Kategorie 'Mitbestimmung'

Keine psychischen Belastungen bei BASF?

Donnerstag, 16. Mai 2013 - 07:15

http://www.salzburg.com/nachrichten/rubriken/bestestellen/karriere-nachrichten/sn/artikel/wenn-die-balance-verloren-geht-59010/

[...] BASF-Personalchefin Anna Gstöttner sagt, dass die Evaluierung zwar ergeben habe, dass es im Betrieb keine psychischen Belastungen gebe, aber dennoch arbeite man mit dem Ergebnis weiter und setze bei Themen an, die am schlechtesten abgeschnitten hätten. [...]

Daran erkennt man, dass die Personalchefin die Grundzüge des Arbeitsschutzes noch nicht ganz versteht. Natürlich haben alle Mitarbeiter psychische Belastungen, sonst hätten sie nichts zu tun. Und ganz ohne Fehlbelastungen kann es auch nicht gehen, das verlangt selbst der österreichische Arbeitsschutz nicht.

Verlangt wird dagegen, dass die in der Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” (“mentale Arbeitsbelastung” wäre die bessere Übersetzung von “mental workload” in der ISO 10075) immer wieder unvermeidlich auftretenden Fehlbelastungen mitbestimmt und auditierbar erfasst, bewertet und gemindert werden. Die mentale Arbeitsbelastung (psychische Belastung) selbst abzuschaffen würde bedeuten, jede geistige Arbeit schlechthin abzuschaffen. Ein Unternehmen, in dem es keine psychischen Belastungen gibt, könnte nicht im Markt bestehen.

Der Unterschied von Belastung und Fehlbelastung hat übrigens auch in Österreich im Rahmen der Regeln des Arbeitnehmerschutzes und der wissenschaftlichen Erkenntnisse mitbestimmt gefunden zu werden. Die Presse sollte überprüfen, ob bei Aussagen von Firmenleitungen zur psychischen Belastungen in einem Unternehmen sichergestellt ist, dass auch der Betriebsrat zu diesen Aussagen steht. Unternehmensleitungen machen hier gelegentlich falsche Angaben.

Der Artikel ist trotzdem ganz interessant. Er macht deutlich, dass die Mitarbeiter ein Eindringen des Unternehmens in ihre privaten Angelegenheiten nicht so sehr mögen. Der gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsschutz vermeidet ein solches Eindringen. Er nimmt das Unternehmen aber viel mehr in die Verantwortung, als die freiwillige Gesundheitsförderung. Das, was in den Unternehmen oft als Gesundheitsförderung verstanden wird, mischt sich schon eher in das Privatleben ein.

Vorgaben für den Arbeitschutz

Sonntag, 12. Mai 2013 - 22:49

Landesweit gibt es verschiedene Ansätze, dem Arbeitsschutz Vorgaben zu machen.

  • Handlungshilfen und Leitlinien gibt es sowohl zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in den Betrieben wie auch für Auditoren der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaften. Mit deutlicher werdender Orientierungslosigkeit der Arbeitgeber und Behörden suchen die Akteure - darunter insbesondere die Arbeitgeber -jetzt verstärkt bei der GDA den Kompass. Die GBA baut dabei auf sehr guter Vorarbeit des LASI und der Berufsgenossenschaften auf. Früher gab es dagegen noch spürbarere Widerstände.
  • Standards für Arbeits- und Gesundheitsschutzmanagementsysteme, z.B. ILO-OSH, OHRIS und OHSAS 18001: Hier sind internationale Kunden die Treiber, die sich (zumindest formal) gegen Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen bei ihren Zulieferern absichern wollen. In größeren und international agierenden Unternehmen bieten Managementsystemnormen den Arbeitnehmervertretern jedoch viele Möglichkeiten, die allerdings von den Arbeitnehmern und ihren Vertretern erst noch verstanden werden müssen.
        In Deutschland lehnen die “maßgeblichen interessierten Kreise”, die DIN-Normen erarbeiten, eine Managementnorm für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ab. Ich vermute, dass (mit Ausnahme der Gewerkschaften) diese Kreise ein weniger mitbestimmtes und eher verhaltenspräventives Gesundheitsmanagement gegenüber dem eher verhältnispräventiven Arbeits- und Gesundheitsschutz vorziehen und auch deswegen versuchen, die DIN SPEC 91020 voranzubringen.
  • Verordnungen sollen die sich aus dem Arbeitsschutzgesetz ergebenden Forderungen konkretisieren. Konkret macht die Bildschirmarbeitverordnung (bzw. Bildschirmarbeitsplatzverordnung) den Bildschirmarbeitsplatz zum Indikator für die Pflicht, an solch einem Arbeitsplatz psychische Belastungen gemäß Arbeitsschutzgesetz zu beurteilen. Aber natürlich haben Arbeitgeber an jedem Arbeitsplatz die Pflicht, psychische Belastungen mitbestimmt zu ermitteln, mitbestimmt zu dokumentieren und mitbestimmt zu bewerten.
        Treiber der “Anti-Stress-Verordnung” sind gegenwärtig die Gewerkschaften und die großen Oppositionsparteien. Gegner sind insbesondere jene Arbeitgeber, die weiterhin Ordnungswidrigkeiten (bzw. Straftaten bei Vorsätzlichkeit) begehen können wollen ohne dafür verantwortlich gemacht zu werden.
  • Gesetze: Das im Jahr 1996 verabschiedete Arbeitsschutzgesetz wird im Jahr 2013 konkretisiert: Die bisher schon geltende Pflicht, psychische Belastungen in den ganzheitlichen Arbeitsschutz einzubeziehen, wird jetzt auch in dieses Gesetz geschrieben. Treiber ist hier das BMAS, wohl auch als Antwort auf den Vorschlag der detaillierteren “Anti-Stress-Verordnung”. Weitere wichtige Gesetze sind in Deutschland das Betriebsverfassungsgesetz und das Sozialgesetzbuch.
  • Betriebsvereinbarungen: Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren konkreten Betrieben gerecht werdende Wege, das Arbeitsschutzgesetz und wissenschaftliche Erkenntnisse umzusetzen. Bisher wurde dafür in den Betrieben noch nicht genug Kompetenz entwickelt.
  • Wissenschaftliche Erkenntnisse liefert die Arbeits- und Organisationspsychologie seit sehr vielen Jahren.

Trotz des Geredes von unternehmerischer Verantwortung und dem wirtschaftlichen Nutzen des ganzheitlichen Arbeitsschutzes sind von allen diesen Umsetzungshilfen die Gesetze und Vorschriften nun einmal die wirksamsten. Freiwillig wird die Mehrheit der Unternehmer ihren Pflichten insbesondere im Bereich der psychischen Belastungen erwiesenermaßen nicht gerecht. Das ist seit 1996 eine traurige Tatsache:

[...] Die Betriebe werden im Arbeitsschutz meist nur aktiv, weil sie gesetzliche Vorschriften befolgen müssen (84 Prozent der Nennungen) und nicht, weil sie den wirtschaftlichen Nutzen sehen (31 Prozent) oder aus „ethischen Gründen“ (38 Prozent). [...]

DEKRA, 2011-10-07

Behördliche Systemkontrolle

Donnerstag, 2. Mai 2013 - 10:50

Die Leitlinien zur behördlichen Kontrolle von Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) sind auch betriebsintern anwendbar:

Siehe auch: Schlagwort “Systemkontrolle”

Hauptsache Gesundheit: Positionen

Mittwoch, 24. April 2013 - 07:12

Arbeitgeberpositionen

Die erste Veröffentlichung in der folgenden Liste ist respektabel und anständig geschrieben. Viele Punkte in Die Sache mit der psychischen Belastung können auch Arbeitnehmervertretern als Referenz dienen. Manche dieser Punkte könnten Arbeitgebern und Arbeitnehmern helfen, in einigen Fragen eine gemeinsame Position zu finden. Die nach Die Sache mit der psychischen Belastung aufgelisteten Veröffentlichungen helfen Arbeitnehmervertretern zumindest, das Denken und die Einstellungen vieler Arbeitgeber zu verstehen und sich darauf einzustellen.

  1. A. Hofmann und K.- J. Keller (Arbeitgeberverband Metall NRW), R. Neuhaus (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft), April 2000 (nicht 2002, wie das bei ergonassist.de steht), 59 Seiten: Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370). Die Abhandlung ist ziemlich ausführlich und geschickt gemacht: Sie ist eine Mischung aus richtigen Aussagen und auch ein bisschen Polemik. Die Abhandlung kann der Arbeitnehmerseite sehr gut helfen, die Haltung und das Vorgehen von Arbeitgebern beim Thema des Einbezugs der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz in Verhandlungen besser zu verstehen. Sie setzt aber auch Mindeststandards, die eine gemeinsame Ausgangsbasis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein könnten.
    Die BAG-Beschlüsse aus dem Jahr 2004 konnten hier natürlich noch nicht berücksichtigt werden, und die in dem Artikel kritisierte paritätische Kommission (Stichwort: Gesundheitsauschuss) funktioniert bereits gut. Es kommt eben darauf an, wie so eine Kommission arbeitet.
    Suche auch:
    Hoffmann+Keller+Neuhaus+psychische-Belastung
    Einigungsstelle+psychische-Belastung+”Ralf+Neuhaus”

    Was der Artikel auch zeigt: Zumindest in den Personalabteilungen der großen Unternehmen war das Thema seit 2000 bekannt. Schon damals hatten die Arbeitgeber einen ausreichenden Wissensstand. Seit dieser Zeit kann die Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz bei bei der ganz großen Mehrheit der Unternehmen in Deutschland also kein Versehen mehr gewesen sein. Sie erhöhten damit wissentlich das Erkrankungsrisiko ihrer Mitarbeiter.
  2. BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber), Mai 2005: Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit.
    Die BDA meint: 

    … Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass psychische Belastungen grundsätzlich Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sind. Beim Fehlen besonderer Anhaltspunkte kann aus Sicht der BDA jedoch davon ausgegangen werden, dass keine Gesundheitsgefährdungen durch psychische Belastungen bestehen. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Bildschirmarbeitsplätze. …

    Was für ein Unsinn. Diese Arbeitgebervereinigung stellt sich gegen die Bildschirmarbeitsverordnung sowie gegen die Beschlüsse des BAG und verleitetet viele Unternehmer damit möglicherweise sogar zu Rechtsverstößen. Denn nach den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts hat sich diese Position der Arbeitgeber als unrichtig erwiesen: Das Vorliegen “besonderer Anhaltsspunkte” ist für eine Gefährdungsbeurteilung schon aus Gründen der Logk nicht erforderlich, denn Anhaltspunkte werden ja erst mit der Gefährdungsbeurteilung gewonnen. (In der Praxis kann man in Anlehnung an OHSAS 18001 die Gefährdungsbeurteilung in eine Gefährungserkennung und eine Risikobewertung aufteilen.)

  3. BDA, Mai 2009: Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit
    (Siehe auch: http://blog.psybel.de/mehr-eigenverantwortung-der-beschaeftigten/)
  4. BDA, Nov. 2010, Arbeitsschutz und Gesundheitsgefärderung: Unternehmen engagiert und erfolgreich
    (Hier ist die Trennung zwischen “gesetzlich verpflichtendem Arbeits- und Gesundheitschutz” und “freiwilliger Beteiligung” an der “Gesundheitsförderung” keine unbedeutende Nebensache: Die Unterscheidung zwischen “verpflichtend” und “freiwillig” kann den Arbeitgebern bei der Schwächung der starken Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmer im ganzheitlichen Arbeitsschutz helfen.)
  5. BDA, Geschäftsbericht 2010, S. 48-49: Psychische Gesundheit: Unternehmen aktiv
    Die BDA behauptet hier, es gäbe eine falsche “Herleitung”, dass psychische Belastung aus der Arbeitsaufgabe zu psychischen Störungen der Mitarbeiter führen. Der BDA ist demzufolge nicht bekannt, dass psychische Fehlbelastungen zu psychischen und körperlichen Erkrankungen führen können. Der Arbeitgebervereinigung fehlen also elementare Kenntnisse des ganzheitlichen Arbeitsschutzes. Was legitime Belastungen einerseits und gesundheitsgefährdende Fehlbelastungen andererseits sind, haben die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in einem Betrieb miteinander und unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft zu vereinbaren.
  6. BDA: Psychische Belastung – psychische Gesundheit (aktuelle Website, mein Kommentar dazu)
  7. Gesamtmetall und ifaa, 2011: Burnout, Depression und Demographie – Was kann und soll betriebliche Gesundheitsförderung hier leisten? (Kommentar)
  8. Arbeitgeber gegen Anti-Stress-Verordung, 2011-10: Kommentar und Link zu Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein, Anti-Stress-Verordnung nicht zielführend; mit einem Link zu Stephan Sandrock, Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, ifaa, Depression und Burnout – Wie Unternehmen damit umgehen können, 2011-09-28
  9. BDA und VDBW, 2012: Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb
  10. Alexander Gunkel (Salzgitter AG), 2012: Psychische Gesundheit – Abgestimmtes Handeln im Unternehmen schafft Handlungssicherheit und Erfolg
  11. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa), 2012-06-27: IG Metall Entwurf für die Anti-Stress-Verordnung praxisfern und nicht zielorientiert
  12. Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, 2012-07-26: Nichterwerbstätige deutlich anfälliger // Überreglementierter Arbeitsschutz hilft hier gar nicht // Arbeitgeber müssen mit “Samthandschuhen” vorgehen..
  13. Pascal Kober (FDP), Ulrich Lange (CDU), 2012-10-25, Reden in der Bundestagsdebatte 17/201. Hier fielen mir insbesondere die eher ideologischen Bedenken Ulrich Langes zur Mitbestimmung auf. Wie die Arbeitgeber befürchtet er Mitbestimmung im Bereich unternehmensstrategischer Entscheidungen. Tatsächlich bedeutet Mitbestimmung im Bereich der psychischen Belastung auch Beeinflussung von Führungsstilen.
  14. Dieter Hundts Rede, 2013-01-29
  15. Volker Kauder (CDU), Gerda Hasselfeldt (CSU) und Fraktion; Rainer Brüderle (FDP) und Fraktion, 2013-04: Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken. Als Arbeitgeberposition ist dieser Beitrag zu Arbeitsschutzthemen deswegen hier aufgelistet, weil er ganz wichtige Probleme (unzureichende Kontrolle und Missachtungd der Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes in der großen Mehrheit der Betriebe) nicht anspricht. CDU/CSU und FDP tolerieren damit erhöhte Risiken der Verletzungen von Arbeitnehmern.
  16. BDA, August 2013: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz, Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung, Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber
  17. Suche in der BDA-Website: “psychische

 

Arbeitnehmerpositionen

  1. Mitbestimmung bei Stress und anderen psychischen Belastungen, Der Personalrat 10/2002, S. 420-427
  2. Tausendmal diskutiert und doch ist nichts passiert?,
    Computer-Fachwissen 2/2004, 9 – 14 und 3/2004, 8 – 13
  3. Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW, Mai 2009
  4. Hauptsache Gesundheit – Tarif- und betriebspolitisches Drehbuch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
    ver.di, Juni 2010
    Das “Drehbuch” setzt sich auch ziemlich ausführlich mit den Argumenten der Arbeitgebervereinigung (BDA) auseinander. Interessant auch das Kapitel “Tarifvertragliche und/oder betriebliche Umsetzung“.
  5. Aus Arbeitnehmersicht betrachtet: Widerstand gegen die Mitbestimmung im Arbeitsschutz
  6. Eigentlich eher als arbeitgebernah bekannt, überraschte mich die FDP mit einer ungewöhnlich kompetent gestellten Anfrage (2009) zur Belastungssituation von Lehrern an Berliner Schulen. Ich habe daraus Fragen an Arbeitgeber in der Privatwirtschaft abgeleitet, die angesichts ihres Ursprungs von Arbeitgebern sicherlich nicht als “gewerkschaftsideologisch” vom Tisch gewischt werden können.
  7. IG Metall, 2012-06, Anti-Stress-Verordnung

 

Gemeinsame Positionen

  1. Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB (2004-04-21), Zukunft einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik
    Einiges gilt wohl nicht mehr, z.B.: “DGB und BDA sind der Auffassung, dass es zur weiteren Förderung betrieblicher Gesundheitspolitik grundsätzlich keiner neuer gesetzlichen Regelungen bedarf.”

  2. Gemeinsame Erklärung von BMAS, BDA und DGB (2013-09-05), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
     
    Update: 2013-09-30

Wann ist betriebliche Gesundheitsförderung Arbeitsschutz?

Freitag, 19. April 2013 - 06:54

http://www.ergo-online.de/site.aspx?url=html/gesundheitsvorsorge/betriebliche_gesundheitsfoerd/bgf.htm

[...]
Ziele
Betriebliche Gesundheitsförderung zielt darauf ab, gesundheitliche Belastungen am Arbeitsplatz abzubauen. Dadurch wird das Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erhalten und gefördert. Das schließt Unfall- und Krankheitsverhütung ein, will aber darüber hinaus die Kräfte des einzelnen stärken und all das, was bei der Arbeit fit hält bspw. eine inhaltlich befriedigende Tätigkeit. 

Ansatzpunkte
Gesundheitsförderung nimmt in erster Linie die Arbeitsbelastungen ins Visier. Aber auch gesundheitsschädigende Verhaltensweisen der Beschäftigten können bspw. durch Rückenschulen, Kurse zur Stressbewältigung, Ernährungsberatung usw. positiv beeinflusst werden. So findet eine Verknüpfung von verhältnis- und verhaltensorientierter Prävention statt.
[...]

Die Minderung gesundheitlicher Fehlbelastungen am Arbeitsplatz ist das Ziel des Arbeitsschutzes, der in die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) eingebettet sein kann. In der Wirklichkeit setzen die Arbeitgeber in der betrieblichen Gesundheitsförderung derzeit noch andere Schwerpunkte. Die Kräfte der einzelnen Mitarbeiter zu stärken erhöht deren Beanspruchbarkeit. Das ist eine feine Sache, verändert aber nichts an der Belastung der Mitarbeiter.

In der heutigen betrieblichen Praxis der betrieblichen Gesundheitsförderung wird die Arbeitsbelastung erst in zweiter Linie ins Visier genommen. Statt dessen wird der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävetion gegeben. Der Schwerpunkt liegt auf individuellem Resilienzaufbau: Dabei fordern Arbeitgeber, die ihrer Verantwortung für den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz seit 1996 mehrheitlich nicht gerecht wurden, nun umgekehrt ihre Mitarbeiter auf, ihrerseits eigenverantwortlich ihre Gesundheit zu erhalten. Die Chuzpe kann so weit gehen, dass individuelle Maßnahmen, für die Mitarbeiter auch noch eigene Zeit und eigenes Geld aufbringen müssen, der Öffentlichkeit, den Auditoren der Aufsichtsbehörden und den Zertifizierungsgesellschaften als Arbeitschutzmaßnahme verkauft werden.

Für die Arbeitgeber freiwillige Maßnahmen müssen von den vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen unterschieden werden. Auditoren der Aufsichtsbehörden, Berufsgenossenschaften und Zertifizierungsgesellschaften können nur solche Maßnahmen als Maßnahmen der Arbeits- und Gesundheitsschutzes enerkennen,

  • die vorrangig arbeitsplatzbezogen und verhältnispräventiv sind (weil im Arbeitsschutz individuelle Maßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen sind) und
  • deren Kosten (Zeit und Geld) vollständig vom Arbeitgeber getregen werden und
  • die mitbestimmt festgelegt, durchgeführt und kontrolliert werden.

Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, dann können die Maßnahmen nicht als Nachweis für eine Umsetzung der Arbeitsschutzvorschriften herangezogen werden. Eine Maßnahme, die der Betriebsrat (oder die Einigungsstelle oder schließlich ein Gericht) nicht als Arbeitsschutzmaßnahme anerkennt, ist kein Beitrag zur Erfüllung der Arbeitsschutzvorschriften.

Psychische Gesundheit am 13. Mai im Bundestag

Mittwoch, 17. April 2013 - 23:45

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713088.pdf

Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken
[...]
Volker Kauder [CDU], Gerda Hasselfeldt [CSU] und Fraktion
Rainer Brüderle [FDP] und Fraktion

Die zweite von 15 Forderungen in dem Antrag der Koalitionsfraktionen ist,

durch mehr Öffentlichkeitsarbeit bei Unternehmen, Verwaltungen, sonstigen Einrichtungen und Belegschaften verstärkt für die betriebliche Gesundheitsförderung zu werben.

Mit Gesundheitsförderung von mangelhaftem Arbeitsschutz ablenken: Die Werbung für die betriebliche Gesundheitsförderung ist jetzt schon viel umfangreicher (und wohl auch besser finanziert), als die Werbung für den vorschriftsmäßigen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Anstelle der Gewerbeaufsicht ausreichende Ressourcen zu geben, soll nach dem Willen der Koalition noch mehr Geld in eine betriebliche Gesundheitsförderung gesteck werden, die im Gegensatz zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auch die Ressourcen (Zeit und Geld) der Arbeitnehmer beanspruchen kann.
    Der Antrag der Regierungsparteien ist ein Versuch (ähnlich der Strategie des FDP-geführten Bundesministeriums für Gesundheit), betriebliche Gesundheitsförderung vor dem Arbeitsschutz in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich ist die betriebliche Gesundheitsförderung nur eine Ergänzung des Arbeitsschutzes.
    Die Forderungen im Antrag der Regierungsfraktionen sehen auf den ersten Blick sinnvoll aus, könnten (und sollen?) aber von den bekannten Mängeln bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ablenken. Der verhältnispräventionsorientierte Arbeitsschutz liegt speziell der FDP wohl ohnehin nicht so sehr, weil er die unternehmerische Verantwortung erhöht. Mit dem Antrag der Regierungskoalition wird Arbeitsschutz unter vielen Forderungen erdrückt, die nichts mit dem Arbeitsschutz zu tun haben.

Gewerbeaufsicht: Anstelle in dem Antrag viele nicht zum Arbeitsschutz gehörenden Forderungen zusammen zu rühren, wäre es einfacher, ersteinmal die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes sicherzustellen und die Gewerbeaufsichten wieder vernünftig arbeiten zu lassen. Das ist aber nicht das Ziel der Koalitionsfraktionen. Die Aufsicht darf weiter hungern, bedient werden statt dessen die Unternehmen mit der Forderung,

den Richtwert in § 20 Abs. 2 SGB V für die Gesundheitsförderung zu erhöhen und zwei Euro pro Versicherten als Mindestwert für die BGF festzuschreiben, mit dem Ziel Investitionen in den Erhalt der Gesundheit am Arbeitsplatz zu steigern. Nicht in Anspruch genommene Mittel sollen regionalen Kooperationen der Krankenkassen mit örtlichen Unternehmensorganisationen zugutekommen.

Gefährdungsbeurteilung: Besonders fällt auf, dass im Entwurf der Koalition nichts zur Gefährdungsbeurteilung gesagt wird. Das ist fast schon eine Sabotage der noch ziemlich frischen Anstrengungen der letzten zwei bis drei Jahre, die bisherigen Anarchie im Arbeitsschutz zu beenden: Etwa 80% der Unternehmen versäumen auch heute noch, auch psychische Belastungen vorschriftsmäßig in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.

Mitbestimmung: Die Forderungen der CDU/CSU und FDP ignorieren nicht nur die Gefährdungsbeurteilung, eines der wichtigsten Instrumente des Arbeitsschutzes. Auch die Rolle der Personal- und Betriebsräte interessiert diese Koalitionspolitiker nicht.

[...] Da die besten Lösungen partnerschaftlich gefunden werden, obliegt es Arbeitgebern wie Arbeitnehmern, gemeinsam ihrer Verantwortung für den Erhalt der psychischen Gesundheit nachzukommen. Nach den Ergebnissen der BIBB/BAuAErwerbstätigenbefragung 2011/2012 herrscht in den Betrieben ein gutes soziales Miteinander, allerdings fühlen sich viele Beschäftigte zu wenig von ihrem Vorgesetzten unterstützt (BAuA: Stressreport Deutschland 2012). Während Vorgesetzte sich von einer ständigen Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter verabschieden müssen, müssen Arbeitnehmer aber auch selbstbewusst genug sein, ihr Handy in ihrer Freizeit auszuschalten. Freizeit und die damit einhergehenden Erholungsmöglichkeiten muss für alle Beteiligten eine größere Bedeutung annehmen. [...]

Man sieht, dass durchaus an ein gemeinsames Vorgehen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gedacht wurde. Aber dass das Mitbestimmung heißt, haben zumindest die Antragssteller der CDU, CSU und FDP anscheinend bis heute nicht verstanden. Dabei war es doch die Philosophie des Arbeitsschutzgesetzes, anstelle bürokratischer Regeln einen weiten Rahmen zu bieten, innerhalb dessen dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer betriebsnahe Lösungen finden. Diesen Politikern passt aber wohl diese ganze Richtung nicht, obwohl auf der Arbeitsebene beispielsweise in einem bayerischen Staatsministerium die Bedeutung von Arbeitnehmervertretern (zusammen mit den Betriebsärzten) schon angesichts der Überforderung der Gewerbeaufsicht sehr gut verstanden wird. Mitbestimmung hat für die Koalitionsparteien im Arbeitsschutz offensichtlich keine Bedeutung. Hier hat sich die FDP wohl durchgesetzt.

Pflichtverletzungen im Arbeitsschutz: Die Koalition sieht (abgesehen von ein paar inzwischen verhallten Drohungen Ursula von der Leyens) den Pflichtverletzungen der Arbeitgeber ziemlich untätig zu und scheint diese Versäumnisse auch weiterhin zulassen zu wollen. Die Regierungsparteien fördern also weniger die Gesundheit, sondern sie tolerieren die Rechtsverstöße der Mehrheit der Arbeitgeber und fördern damit die speziell von der FDP geschickt betriebene Schwächung des Arbeitsschutzes.

Ursachen psychischer Erkrankungen: Im Antrag gibt es dazu Mutmaßungen. Dazu siehe http://blog.psybel.de/stichwort/arbeitsbedingte-risiken/

Eristik: Die Antragssteller der Koalitionsfraktion sind sich auch nicht zu schade, auf die psychische Belastung von Arbeitslosen zu verweisen und damit Dietmar Hundts eristische Argumentation zu übernehmen, allerdings in einer noch ausgefuchsteren Weise, als Hundt das versuchte.

 
Am 13. Mai im Bundestag:
Bei der öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestagsliegen jetzt vier Anträge vor.
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/2013/133_Sitzung_psych_Belastung/Gegenstand/index.html

Navigationspfad: Startseite > Der Bundestag > Ausschüsse > Arbeit und Soziales > Anhörungen > Öffentliche Anhörungen 2013 > 13.05.2013: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt > Gegenstand der Anhörung

Ausschuss für Arbeit und Soziales – Gegenstand der Anhörung

 

PS: In dem Antrag der CSU/CDU/FDP werden auch gesundheitsziele.de, die Initiative Gesundheit & Arbeit und das Deutsche Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung erwähnt. Hier ist die Versicherungswirtschaft gut vertreten, aus der in der Vergangenheit kaum Kritik an jene Arbeitgebern gerichtet wurde, die ihre Pflichten im Arbeitsschutz ignorierten.

Noch ein Datum: Am 22. April geht es im Bundestag um Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes: Psychische Belastungen sollen darin explizit genannt werden.

Gefährdungsbeurteilung als lohnendes Betätigungsfeld für Arbeitnehmervertretungen

Mittwoch, 17. April 2013 - 12:27

http://arbeitundgesundheit.de/archiv/pdf/2008/2008_faltblatt_gefaehrdungsbeurteilung.pdf (2008):

[...]
Gesundheitsschutz: Besser mit System als von Beschwerde zu Beschwerde

Betriebs und Personalräte kennen es nur zu gut: Kollegen klagen über Probleme am Arbeitsplatz, zum Beispiel über Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Vorgesetzten, möchten aber aus Unsicherheit und Angst heraus nicht, dass der Betriebs- oder Personalrat tätig wird. Und die Arbeitgeberseite? Welcher Betriebs- oder Personalrat kennt das nicht? »Nennen Sie mir Ross und Reiter, ansonsten sehe ich keinen Handlungsbedarf«.

Die Gefährdungsbeurteilung bietet einen Ausweg aus diesem Dilemma. Durch eine systematische Erhebung aller Belastungen im Betrieb können Themen besprochen und gelöst werden, die vorher eventuell als individuelle Probleme abgetan wurden.

Besonders wichtig ist es, die Beschäftigten aktiv mit einzubeziehen, denn sie sind diejenigen, die ihre Arbeitsbedingungen am besten kennen. Leider wird die Beteiligung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer häufig auf das Ausfüllen von Fragebögen, also auf die Problemermittlung begrenzt.

Will man einen nachhaltigen, von allen akzeptierten Gesundheitsschutz im Betrieb schaffen, ist es nötig, die Beschäftigten auch bei der Entwicklung und Umsetzung von Schutzmaßnahmen einzubeziehen. Eine gute, in der Praxis erprobte Vorgehensweise, ist die kombinierte Anwendung von einem Fragebogen mit anschließendem Zirkel oder Workshop, in dem dann nach der Auswertung des Fragebogens Lösungsansätze entwickelt werden können.

Die Gefährdungsbeurteilung als lohnendes Betätigungsfeld für betriebliche Interessenvertretungen

Es gibt kaum ein Betätigungsfeld, in dem es so weit reichende Mitbestimmungsrechte gibt, wie im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz eröffnet den Interessenvertretungen ein Handlungsfeld, welches weit über den klassischen Reparaturgedanken – Beseitigung punktuell auftretender Gefährdungen – hinausgeht. Durch die Einbeziehung von Themen, wie zum Beispiel

  • Arbeitszeit
  • Termindruck
  • Zu große Arbeitsmenge
  • Arbeitsabläufe
  • Vorgesetztenverhalten und
  • Betriebsklima

können alle Fragestellungen des Gesundheitsschutzes bearbeitet werden, ohne dass Beschwerden einzelner Kollegen vorliegen müssen. Damit können zum Beispiel Maßnahmen für Themen wie Führungsverhalten und Gesundheit, Kommunikation im Betrieb, aber auch zu hohe Arbeitsmengen und Zeitdruck entwickelt und verhandelt werden.
[...]

Die Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit besteht seit 1989. Sie ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins „Arbeit & Gesundheit“ und wird unter anderem mit Mitteln der Hamburger Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz finanziert. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist die kostenlose Beratung von Hamburger Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu allen Fragen des betrieblichen Gesundheitsschutzes. [...]

Die Mitbestimmung entscheidet

Sonntag, 14. April 2013 - 16:38

Aus dem Regierungsprogramm der SPD (http://www.spd.de/linkableblob/92664/data/20130311_regierungsprogramm_2013.pdf):

[...]
Die Arbeitswelt wandelt sich durch die Digitalisierung grundlegend. Digitale Technologien können neue Freiheitsräume im Arbeitsalltag der Beschäftigten schaffen, beispielsweise mit Blick auf orts- und zeitflexibler Arbeit. Ob Erwerbstätige diese auch tatsächlich zu ihrem eigenen Nutzen realisieren können und nicht neue Formen der (Selbst-)Ausbeutung entstehen, hängt von vielen Faktoren ab, nicht zuletzt auch von arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Wir wollen deshalb das Arbeitsrecht und den Arbeitsschutz den neuen Herausforderungen anpassen, so dass Flexibilität ermöglicht und zugleich Schutz für neue Arbeitsformen geschaffen wird. Unser Bildungssystem muss jeden in die Lage versetzen, die Aufstiegschancen der Digitalisierung für sich zu nutzen.
[...]
Druck und verdichtete Arbeitsabläufe führen zunehmend zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz. Das weit entwickelte Arbeitsschutzrecht werden wir daher den neuen Herausforderungen anpassen. Wir wollen, dass die Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben stärker kontrolliert wird, insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen. Wir wollen mit einer Anti-Stress-Verordnung im Arbeitsschutzrecht mehr Verbindlichkeit schaffen und den Handelnden und Betroffenen in den Betrieben Rechtssicherheit bieten.
[...]
Wir wollen die Mitbestimmungsrechte auch für die Ausgestaltung der innerbetrieblichen Weiterbildung oder [sic! Da ist wohl "und" gemeint.] den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz.
[...]

Dass Druck und verdichtete Arbeitsabläufe zunehmend zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz führen, ist kein Poblem.
Dass Druck und verdichtete Arbeitsabläufe zunehmend zu psychischen Fehlelastungen am Arbeitsplatz führen, ist ein Poblem.
Bei der Unterscheidung zwischen Belastung und Fehlbelastung in einem konkreten Betrieb ist die Mitbestimmung der Arbeitnehmer ein entscheidender Faktor.

Mitbestimmungsrechte für den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz gibt es bereits. Das sind nicht nur Rechte, sondern sogar Pflichten. Aber das Thema ist komplex, und der Ressourcen- und Kompetenzaufbau bei den Arbeitnehmervertretungen steht in sehr vielen Betrieben leider noch ganz am Anfang. Es hat sich jedoch bereits jetzt schon erwiesen, dass die Personal- und Betriebsräte (wenn sie einmal aufgewacht sind), zu den wichtigsten Treibern im Ganzheitlichen Arbeitsschutz gehören.

Nebenbei angenmerkt: Mir ist für diesen Artikel keine originellere Überschrift eingefallen. Der SPD-Slogan “Das Wir entscheidet” hat ja zusammen mit dem gleichlautenden Slogan einer Leiharbeitfirma für einen von der SPD wohl nicht so vorgesehenen Gesprächsstoff gesorgt. Außerdem liefert Google natürlich heute (2013-04-14) schon für “Das Bier entscheidet” hunderte von Treffern.

Gute Arbeit darf nicht krank machen und braucht Mitbestimmung

Sonntag, 14. April 2013 - 14:01

DIE GRÜNEN haben im März einen Entwurf für ihr Regierungsprogramm veröffentlicht (http://www.gruene.de/fileadmin/user_upload/Dokumente/programmentwurf-bundestagswahl-2013.pdf)

[...]
Gute Arbeit darf nicht krank machen und braucht Mitbestimmung

Gut ist Arbeit nur dann, wenn sie nicht krank macht. Der Wandel der Arbeitswelt führt zu neuen Belastungen. Psychische Erkrankungen sind inzwischen der Hauptgrund für Frühverrentungen. Frauen sind überproportional davon betroffen. Mehr Eigenverantwortung, reine Zielorientierung bei freier Arbeitsorganisation – das kommt zwar vielen entgegen, aber andere belastet der ständige Termindruck und die vielen Überstunden, die nicht ausgeglichen werden. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leiden aber auch unter starren Vorgaben, wenig Flexibilität, zu wenig Abwechslung und zunehmender Intensität. Eine zunehmend belastende Entwicklung für viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ist die ständige Erreichbarkeit per Handy oder E-Mail auch außerhalb der Arbeitszeiten oder die Zunahme von Schicht- und Nachtarbeit. Für uns Grüne heißt das einerseits, dass der Arbeitsschutz auf die neuen Gefährdungen hin überarbeitet werden muss. Deshalb fordern wir eine Anti-Stress-Verordnung zum Schutz vor Stress am Arbeitsplatz. Und wir wollen den Missbrauch von Werkverträgen und Scheinselbständigkeit verhindern durch eine klare Abgrenzung zwischen Leiharbeit und Werkverträgen. Diese Beschäftigungsverhältnisse sollen in reguläre tariflich bezahlte Arbeit überführt werden. Andererseits sind Aufsichtsbehörden und Sozialpartner stärker zu sensibilisieren und in die Lage zu versetzen, neue Gesundheitsrisiken zu erkennen und sie zu beheben. Wir wollen Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung vorantreiben, auch dort wo prekäre Beschäftigung, Teilzeit und Leiharbeit dominieren.

Gute Arbeit für alle ist nur mit einer starken Mitbestimmung zu schaffen. Das bewährte Recht, sich an betrieblichen und unternehmerischen Entscheidung zu beteiligen, wollen wir bewahren und ausbauen. Die Mitbestimmungsrechte müssen der sich veränderten Arbeitswelt gerecht werden. Das gilt für den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen im Betrieb, für ausländische Rechtsformen von Unternehmen genauso wie für einen zeitgemäßen Beschäftigtendatenschutz.
[...]

 
Schlüsselprojekte:

[...]
Arbeit darf nicht krank machen – Arbeitsschutz weiterentwickeln

Viele ArbeitnehmerInnen erleben im Beruf starre Vorgaben, wenig Flexibilität und zu wenig Abwechslung. Anderseits sind manche Arbeitsverhältnisse heute zunehmend geprägt von hohen Flexibilitätsanforderungen, nicht planbaren Arbeitszeiten und von der Notwendigkeit ständiger Erreichbarkeit. Wir werden zusammen mit den Sozialpartnern die Anforderungen des gesetzlichen Arbeitsschutzes an die neuen psychischen Belastungen anpassen. Zum Schutz der Beschäftigten und mit Blick auf den demografischen Wandel sind alters- und alternsgerechte Arbeitsbedingungen das Gebot der Stunde, denn die Beschäftigten sollen gesund bis zum Renteneintritt arbeiten können. So schaffen wir Arbeit, die nicht krank macht.
[...]

Das Arbeitsschutzgesetz bleibt ein Rahmengesetz

Samstag, 9. März 2013 - 14:37

Dieser Artikel wurde durch einen Blogeintrag in blog.humanresourcesmanager.de zur vorgesehenen Änderung des Arbeitsschutzgesetzes angeregt (http://blog.humanresourcesmanager.de/2013/03/08/psychische-belastungen-bei-der-arbeit/):

[...] Auch wenn es zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber eine gesetzliche Grundlage dafür schafft, dass das betriebliche Gesundheitsmanagement auch auf psychische Belastungen ausgeweitet werden kann, bleiben in der Praxis weiterhin viele Fragen offen. Insbesondere ist es für das Unternehmen nach wie vor schwer, zu erkennen, ob ein Arbeitnehmer tatsächlich psychisch erkrankt ist oder unter dem Deckmantel eines Burn-outs eine Krankheit lediglich vortäuscht und hierdurch umfangreiche Kosten verursacht [...] 

Jens Ginal erläutert auch,

  • dass bereits in der Vergangenheit galt, dass der Arbeitgeber auch dafür Sorge tragen muss, die Arbeitnehmer vor allen Faktoren zu schützen, die eine psychische Erkrankung auslösen können und
  • dass nach der vorgesehenen Änderung des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im Rahmen der nach § 5 Abs. 3 ArbSchG zu berücksichtigenden Gefährdungsfaktoren auch „psychische Belastungen bei der Arbeit“ einzubeziehen sind.

Weil gemäß Arbeitsschutzgesetz Arbeitsplätze beurteilt werden und nicht Erkrankte, geht Jens Ginals Hinweis auf offen bleibenden Fragen in die falsche Richtung. Ob ein Arbeitnehmer tatsächlich psychisch erkrankt ist oder eine Krankheit lediglich vortäuscht, ist kein Problem des Arbeitsschutzgesetzes. Das Arbeitsschutzgesetz ist so konstruiert, das Arbeitgeber genau auf diese Frage nicht ausweichen können. Da kann es dann z.B. darum gehen, ob bei einem Arbeitsplatz vorgetäuscht wird, ob er psychisch fehlbelastend sei, oder nicht ;-) Es kann ja auch vorkommen, dass Gefährdungsbeurteilungen falsch und Arbeits(platz)beschreibungen nicht realistisch sind. Es gibt Unternehmen, die selbst krasse Fälle psychischer Fehlbelastungen vor Audits verstecken.

Außerdem schafft der Gesetzgeber keine gesetzliche Grundlage dafür, dass das “Betriebliche Gesundheitsmanagement” (BGM) auch auf psychische Belastungen ausgeweitet werden kann. Diese Grundlage gibt es schon seit 1996. Sondern der Gesetzgeber schafft nun nur noch eine Grundlage für weniger Streit bei der Umsetzung der geltenden Vorschriften des Arbeitsschutzes: Spätestens im Jahr 2004 machte das BAG klar, dass der vorgeschriebene Arbeits- und Gesundheitsschutz (das freiwillige BGM ist hier kein Thema) seit Bestehen des Arbeitsschutzgesetzes auch auf psychische Belastungen ausgeweitet wurde. Die Arbeitgeber sollen nicht so tun, als ob das jetzt erst nach einer Änderung des Arbeitsschutzgesetzes klar werden würde.

 
Tatsächlich bleiben aber auch im geänderten Arbeitsschutzgesetz Fragen offen, und zwar mit Absicht: Wie sollen “psychische Belastungen bei der Arbeit” als Gefährdungsfaktoren berücksichtigt werden? Wo ist die Grenze zwischen Belastung und Fehlbelastung? Dass diese Fragen offen bleiben, liegt daran, dass das Arbeitsschutzgesetz (im Gegensatz zu der von den Ländern vorgeschlagenen “Anti-Stress-Verordnung”) ein Rahmengesetz geblieben ist, innerhalb dessen der Arbeitgeber den Arbeitsschutz betriebsnah gestalten muss. So wollten die Arbeitgeber das Ende des letzten Jahrhunderts. Sie argumentierten, dass bei zu engen konkreten Vorgaben in den unterschiedlichen Unternehmen keine betriebsgerechten Lösungen möglich seien. Die Erarbeitung konkreter Normen wurde also aus der Legislative in die Betriebe verlagert. Dass das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 viele Fragen offen lässt, ist die logische Konsequenz aus diesem von den Arbeitgebern gewünschten und in einer eropäischen Richtlinie entsprechend bestimmten Vorgehen. Genau aus diesem Grund gehört zur Gestaltungspflicht der Arbeitgeber die Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmervertreter.

Der weite Rahmen, den das Arbeitsschutzgesetz bietet, bedeutet nun aber nicht, dass ein Arbeitgeber beispielsweise einfach fünf Punkte zur psychischen Belastung (wobei der letzte Punkt 10.5 ein noch auszugestaltendes “Sonstiges” ist) aus einer Leitlinie der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzinitiative (GDA) in Vordrucke zur Gefährdungsbeurteilung eintragen und dann behaupten kann, es gäbe keine festen Vorgaben, mit denen sich Pflichtverletzungen nachweisen ließen. Manche Arbeitgeber “vergessen” hier nämlich das Betriebsverfassungsgesetz und die Urteile des BAG (z.B. 2004) zur Gefährdungsbeurteilung. Wendet der Arbeitgeber in einem Betrieb mit Arbeitnehmervertretern ein derart zusammengebasteltes Formular ohne Respekt für die Mitbestimmung an, dann stellt sich sogleich die Frage, ob er ein Straftäter ist, weil er die Mitbestimmung behindert hat. Einsetzen darf der Arbeitgeber solche Formulare erst, wenn er auch Prozesse gestaltet hat, mit denen dieses Formular nachvollziehbar ausgefüllt werden können. Die Arbeitnehmervertreter können bei der Gestaltung mitarbeiten, in jedem Fall müssen sie aber nach Abschluss der Gestaltung und vor der Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen mitbestimmen.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können z.B. mit einer Betriebsvereinbarung regeln, wie psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung (und auch in die vorgeschriebene Unterweisung der Mitarbeiter) einbezogen werden sollen. Können sie sich nicht einigen, dann hilft zunächst eine Einigungsstelle. Wie auch immer, auf die Mitbestimmung darf keinesfalls verzichtet werden. Sie ist auch für die Arbeitnehmervertreter nicht nur ein Recht, sondern eine unabdingbare Pflicht, denn im Betriebsverfassungsgesetz steht nicht, dass sie mitbestimmen dürfen, sondern dass sie mitzubestimmen haben. Das ist sogar manchen Pesonal- und Betriebsräten immer noch nicht klar.

Übrigens: Die GDA hat nicht von Null angefangen. Der LASI leistete eine enorme Vorarbeit.