Motivierende Vorschriften

Mittwoch, 7. März 2012 - 22:40

Die Autonomie von Einzelpersonen und Unterehmen wird durch Gesetze begrenzt. In einer Demokratie ist das legitim. Soweit zur Erinnerung. Zur zur weiteren Erinnerung an ein paar wichtige Fakten zu den Grenzen der Unternehmensautonomie zitiere ich hier einmal aus meinem eigenen Blog.

 
Auszug aus http://blog.psybel.de/2011/06/29/esner/ und http://blog.psybel.de/2011/10/07/dekra-burnout-der-moderne-arbeitsunfall/:

  • Antworten durch Arbeitsschutzverantwortliche der befragten Betriebe 1510 in Deutschland auf die Frage „Welche der folgenden Gründe haben Ihren Betrieb dazu veranlasst, sich mit psychosozialen Risiken zu befassen?:
    • 53% – Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen
    • 42% – Anforderungen seitens der Beschäftigten oder ihrer Vertreter
    • 22% – Anforderungen seitens der Kunden oder Bedenken hinsichtlich des Rufs der Organisation
    • 22% – Auflagen seitens der Gewerbeaufsicht oder Berufsgenossenschaft
    • 19% – Nachlassen der Produktivität oder der Qualität der Leistung
    • 11 % – Hohe Fehlzeitenrate“

    Michael Ertel, European Survey of Enterprises on New & Emerging Risks (ESENER)

  • Die Antworten von 600 von der DEKRA befragte Unternehmen zeigen: „Die Betriebe werden im Arbeitsschutz meist nur aktiv, weil sie gesetzliche Vorschriften befolgen müssen (84 Prozent der Nennungen) und nicht, weil sie den wirtschaftlichen Nutzen sehen (31 Prozent) oder aus „ethischen Gründen“ (38 Prozent).“
  • „Wie aus dem DEKRA Arbeitssicherheitsbarometer 2011 hervorgeht, installieren vier von fünf Unternehmen Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz in erster Linie, weil es gesetzlich vorgeschrieben ist.“
  •  

    Prof. Dr. Jochen Prümper ist Wirtschafts- und Organisationspsychologe in Berlin. Er meint (http://blog.psybel.de/zu-viele-organisationen-druecken-sich-vor-dem-arbeitsschutz/, 2011-07-09):

    Es gibt noch viel zu viele Organisationen, die sich bei dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zum “Jagen tragen lassen”, die sich viel zu wenig um die Gesundheit ihrer Beschäftigten sorgen und die sich sogar davor drücken, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen. Die entsprechenden Entscheidungsträger handeln in meinen Augen nicht nur grob fahrlässig, weil sie es versäumen, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und für das Wohlergehen ihrer Beschäftigten Sorge zu tragen, sondern sie stellen auch leichtfertig – gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels – die Existenz ihrer Unternehmen aufs Spiel.

     

    Dr. Ursula von der Leyen meinte in einem Inteview mit der Saabrücker Zeitung (http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html, 2011-12-27):

    Es gibt ein Thema, das bislang viel zu kurz gekommen ist: die psychischen Belastungen in der Arbeitswelt. … Nach dem Arbeitsschutzgesetz muss, wer den Arbeitsschutz auch in seelischer Hinsicht vernachlässigt, mit empfindlichen Strafen bis hin zu Gefängnis oder Betriebsstilllegung rechnen. Wir brauchen also keine schärferen Gesetze. Studien zeigen, dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit. Deswegen müssen wir besser informieren, Lösungswege aufzeigen, kontrollieren und die Beteiligten motivieren.

    Ihr Ministerium sagt (http://blog.psybel.de/bmas-psychische-gesundheit-im-betrieb/, 2011-12):

    Die Aufsichtspersonen werden in Zukunft noch stärker prüfen, ob in den Gefährdungsbeurteilungen die im Betrieb existierenden psychischen Belastungen angemessen aufgegriffen werden und die entsprechenden Maßnahmen veranlasst und umgesetzt sind.

     

    Welche Hemmnisse gibt es?
    Auszug aus http://blog.psybel.de/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/:

    Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL, 2007-09 – 2010-04) sehen immer noch so aus:
    1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
    2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
    3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

    (s.a.: http://www.arbeitstattstress.de/2011/07/wie-wird-die-gefaehrdungsbeurteilung-in-den-betrieben-umgesetzt/)
    Siehe auch: Ralf Bellmann, Holger Wellmann, Andreas Blume, Uta Walter, Betriebsräte als Motor der betrieblichen Gesundheitspolitik, Gute Arbeit 2012-03

     

    Gründe für fehlende Begeisterung der Unternehmern beim Thema der psychischen Belastungen sieht Perry Jordan (Arbeitsgestaltung & Betriebsorganisation) darin (http://blog.psybel.de/veraenderungen-gehen-ans-eingemachte/, 2011), dass:

    1. psychische Belastungen oft noch als individuelles Problem angesehen wird (man kennt sie ja, die Workaholiker oder unfähigen Zeitmanager …) bzw. eine gedankliche Trennung zwischen Mensch und Betrieb vornimmt,
    2. Führungskräfte ahnen/wissen, dass es bei ggf. erforderlichen Veränderungen häufig ans Eingemachte geht – Organisation, Personaleinsatz/ -entwicklung, Führung/ Kommunikation -und man dieses (Diskussions-) Risiko scheut,
    3. ganz einfach Zusammenhänge nicht klar sind.

     

    Das zeigt auch, woran Arbeitnehmervertretungen ansetzen müssen, wenn sie ihrer Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz gerecht werden wollen. Ohne die Nutzung der motivierenden Kraft von Vorschriften wird Betriebsrats- bzw. Personalratsarbeit ein äußerst zähes und frustrierendes Geschäft werden.
     


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