Schlagwort 'Unwissen und Hilflosigkeit'

Hansjörg Becker: Verhältnisprävention ist nachhaltiger

Donnerstag, 7. Januar 2016 - 21:51

Anlässlich der Verleihung des Corporate Health Awards 2015 hielt Dr. Hansjörg Becker einen Vortrag (VORTRAG_Dr.HJ_Becker_INSITE_Interventions.pdf), den Sie sich von der CHA-Website herunterladen können. (Dazu ist ein Passwort erforderlich, dass sie über eine auf der Seite angegebene Email-Adresse abfragen können.) Darin geht es um die Gefährdungsbeurteilung sowie Verhaltensprävention und Verhältnisprävention. “EAP als Umsetzungsmaßnahme nach Gefährdungsbeurteilung Psychischer Belastung” ist der Titel der Präsentation.

In seinem Vortrag stellte Hansjörg Becker fest, dass bei der Minderung psychischer Fehlbelastungen die Verhältnisprävention nachhaltiger als Verhaltensprävention sei – wenn die Verhältnisprävention richtig implementiert ist. Das ist interessant, den ein EAP (Employee Assistance Program/Plan) bearbeitet primär individuelle Mitarbeiter verhaltenspräventiv und weniger fehlbelastende Arbeitsplätze verhältnispräventiv. Einzelne Mitarbeiter auf die Couch zu bringen, ist die letztmögliche Wahl im Arbeitschutz, denn dort sind individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen.

Wenn INSITE-Interventions sich als externer Dienstleister zu einer Meldung von Fehlbelastungen anböte, die die Mitarbeiter vor Repressalien schützt, dann wäre das eher ein Beitrag zum Arbeitsschutz. Einen tatsächlichen Beitrag zum Arbeitsschutz leistet INSITE-Interventions in diesem Sinn mit seinem Reporting (Punkt 14 im FAQ):

Wir erstellen in größeren Zeitabständen ein anonymisiertes Reporting über die Häufigkeit der Nutzung und über kategorisierte Beratungsanlässe. Das Reporting ist so gehalten, dass man keinerlei Rückschlüsse auf die Identität der Nutzer ziehen kann.

In seinen seriösen Veröffentlichungen Evaluation des EAP von INSITE und Qualitätsanforderungen an ein EAP stellt INSITE-Interventions das EAP auch nicht als Arbeitsschutzmaßnahme dar.

Hansjörg Becker fasst seinen Vortrag so zusammen:

  1. Nur geringe Evidenz für die Wirksamkeit von Verhältnisprävention
    Wenn aber wirksam, dann spät einsetzend und länger andauernd
  2. Bessere Evidenz für die Wirksamkeit von Verhaltensprävention
    Schnell einsetzend aber nur kurz wirksam
  3. Beste Wirksamkeit für kombinierte Interventionen
    Wirkt schnell und nachhaltig. Einschränkung: nur SEHR wenige Studien

Sein Resümee:

  1. Bei Bestehen von relevanten Risiken im Rahmen der Gefährdungsanalyse sollen schnell wirksame; also verhaltenspräventive Maßnahmen eingeführt werden
  2. Da sie aber nur kurzfristig wirken, müssen sie mit langfristigen Maßnahmen kombiniert werden.
  3. Das spezielle von EAP ist, dass es zwar auf den ersten Blick verhaltenspräventives Programm ist, und daher schnell wirksam sein kann, dass es aber auf langfristige Wirkung ausgelegt ist. Unsere Kunden nutzen ihre EAPs dauerhaft, z.T. über 10 bis 15 Jahre.

Langfristig kann EAP verhaltenspräventive und verhältnispräventive Ansätze verbinden

Sobald EAP als Arbeitsschutzmaßnahme zum Einsatz kommt, haben Betriebsräte und Personalräte (wo es sie gibt) eine besondere Mitbestimmungspflicht. Hat INSITE-Interventions dafür ein Konzept? Hansjörg Becker unterteilt richtig:

  • Verhältnisprävention ist Primärintervention
  • Verhaltensprävention ist Sekundärintervention

Hier müssen Betriebs- und Personalräte mit einem eigenen und unabhängigen Berater sicherstellen, dass die Primärintervention gut umgesetzt wurde bevor die Sekundärintervention zum Zug kommt.

Beckers Vortrag hat eine Schwäche: Er führt viele Studien an, versäumt aber darzustellen, dass der inzwischen gut dokumentierte Widerstand der Arbeitgeber gegen die Verhältnisprävention Untersuchungen zur Verhältnisprävention erschwert. Dass die große Mehrheit der Arbeitgeber sich über viele Jahre hinweg (mit Hilfe einer systemisch überforderten Gewerbeaufsicht) über das Arbeitsschutzgesetz stellten, erwähnt Becker nicht, sagt aber: “Nur geringe Evidenz für die Wirksamkeit von Verhältnisprävention”. Einen der Gründe für die “geringe Evidenz” verschweigt Becker: Wenn die Verhältnisprävention rechtsbrecherisch sabotiert wird, kann sie natürlich nicht gut funktionieren.

Zur Gefährdungsbeurteilung meint Hansjörg Becker dann auch ohne Hinweis auf die jahrelange gesetzeswidrige und durchaus schon vorsätzliche Sabotage, dass für Gefährdungsbeurteilungen zum Nachteil von Schutzmaßnahmen zu viel Aufwand getrieben werde. Ich glaube, dass er den Grund dafür nicht versteht. Meine Meinung ist, dass sich der Aufwand vor allem aus dem Widerstand der Arbeitgeber gegen ihnen unangenehme Gefährdungsbeurteilungen ergibt. Das die große Mehrheit der Arbeitgeber immer noch keine ordentlichen Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen implementiert hat, ist kein Versehen. Arbeitgeber, die einerseits komplizierte Verfahren zur Mitarbeiterbewertung implementieren können, andererseits aber über viele Jahre hinweg die Implementierung von Verfahren zur Beurteilung psychischer Fehlbelastungen verschleppen, sabotieren den Arbeitsschutz vorsätzlich. Sie mögen keine Gefährdungsbeurteilungen, die sich auf ihre Führungskultur auswirken könnten und meinen, dass sie das berechtige, Recht zu brechen. Die Ausrede “Unwissen und Hilflosigkeit” ist gerade bei Großunternehmen mit zertifizierten Arbeitsschutzmanagementsystemen einfach nicht glaubwürdig.

Kurz: Viele Unternehmer mögen die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nicht und meinen, das gäbe ihnen das Recht, sich über das Gesetzt zu stellen. Das ist in Deutschland möglich  – und das macht die Einführung von Verfahren zur Beurteilung solcher Gefährdungen verständlicherweise etwas komplizierter. Bei der Bewertung der Sinnhaftigkeit der Verhältnisprävention darf die gegen die Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen gerichtete Subversion der Mehrheit der Arbeitgeber nicht ignoriert werden.

Kauder hat Stress mit Nahles

Donnerstag, 28. August 2014 - 07:26

Die Union ist gegen die von Andrea Nahles vorangetriebene Anti-Stress-Verordnung. “Gerade heute brauchen die Unternehmer die Flexibilität ihrer Mitarbeiter”, so zitierte das Handelsblatt heute den Unions-Fraktionschef Volker Kauder. “Da arbeiten Menschen aus vielen Ländern der Welt an einem Projekt, manchmal 14 Tage am Stück”, und danach nähmen sie sich mehrere Tage frei - meint Kauder. Unternehmen gingen - angesichts des Fachkräftemangels - ohnehin sorgsam mit ihren Mitarbeitern um, da leuchte ihm die Notwendigkeit einer Anti-Stress-Verordnung nicht ein.

Eine gut gemachte Anti-Stress-Verordung schränkt die Flexibilität der Unternehmen aber überhaupt nicht ein. Die Verordnung soll doch nur dafür sorgen, dass seit Jahren geltendes Recht zu tatsächlich umgesetzten Recht wird, so wie sich das in einem Rechtsstaat nun einmal gehört. Psychische Belastungen werden dabei aber gar nicht verboten. Das ist in Ordnung, denn ohne psychische Belastungen gibt es keine Arbeit. Psychische Fehlbelastungen müssen jedoch gemindert werden, und zwar nachprüfbar. Kauder mag das nicht, aber im vorigen Jahrhundert mussten man sich ja auch erst daran gewöhnen, dass physische Fehlbelastungen nicht mehr hingenommen werden müssen. Heute sind vermeidbare psychische Fehlbelastungen nicht mehr akzeptabel.

Gerade heute brauchen die Menschen angesichts der von den Unternehmen benötigten Flexibilität eine gesunde Psyche. Andrea Nahles weiß, wie man Themen in’s Gespräch bringt.

 


Aus einem Interview im heutigen Handelsblatt wird (von der Agentur AFP?) herausgelesen, dass der Unionsfraktionschef Kauder “strikt” gegen die von Arbeitsministerin Nahles geplante Anti-Stress-Verordnung sei. Es ginge auch ohne neue Regeln. Das stimmt: Für die Mehrheit der Unternehmer und die überforderten Gewerbeaufsichten ginge es auch ohne neue Regeln, weiterhin ungestraft gegen das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen. Das Unterfangen, das Thema “psychische Belastung am Arbeitsplatz” möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten blieb dank dieser Situation zu lange ungestört.

Thema des Interviews mit Volker Kauder, das im Handelsblatt fast eine ganze Seite füllt, war “Mehr Mut für neue Ideen”. In einem kleinen Absatz sagte Kauder auch etwas zur Anti-Stress-Verordnung. Unter dem Titel “Stress mit dem Arbeitsschutzgesetz” schrieb Frank Specht dann noch einen Artikel neben dem Interview über die Ablehnung einer Anti-Stress-Verordnung durch die Union und die Arbeitgebervereinigung BDA. Specht schreibt, der Generalsekretär der CDU, Wolfgang Steiger warne davor, die Freiheiten von Unternehmernund Arbeitnehmern weiter einzuschränken. Das Argumentationsmuster ist bekannt, aber eine Anti-Stress-Verordung könnte beiden Parteien ja auch weiterhelfen, ihre Freiheiten besser zu nutzen.

Noch als Arbeitsministerin erkannte Ursula v.d. Leyen “Unwissenheit und Hilflosigkeit” beim Thema der arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Das ist keine gute Basis für die Nutzung der Freiheit, die das Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern als Rahmengesetz gewährt und die Frakn Specht verteidigen will. Der sich aus dieser Freiheit ergebende Gestaltungsbedarf wurde von 1996 bis etwa 2011 kaum befriedigt. Da kann man schon auf die Idee kommen, mit einer Verordnung ein bisschen nachzuhelfen.

Wie kann man gegen eine Verordnung sein, die es noch gar nicht gibt? Es kommt doch darauf an, wie eine solche Verordnung dafür sorgt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber endlich in die Puschen kommen. Eine solche Verordnung könnte ja nicht nur Hilfestellung bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes geben, sondern auch helfen, den § 89 BetrVG (Mitbestimmung im Arbeitsschutz) zeitgemäß umzusetzen, und zwar auch in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung.

So könnte man z.B. Betriebe fördern, in denen mindestens ein Arbeitnehmervertreter (oder Arbeitnehmer, wenn es keinen Betriebsrat gibt) das Arbeitsschutzmanagement nach ISO 19011 gut qualifiziert und professionell auditieren kann. Arbeitsschutz-Audits müssten explizit als “Besichtigungen” im Sinne des § 89 definiert werden, um die Teilnahme der Mitarbeiter (bzw. deren Vertreter) an Audits sicherzustellen. Die Arbeitnehmer müssten nicht nur das Recht haben, die in Audits gewonnenen Erkenntnisse zu erfahren, sondern sie müssten dieses Recht auch in der Praxis nutzen können.

Ich finde, dass Festlegungen von Belastungsgrenzen in einer Anti-Stress-Verordnung wenig Sinn machen. Die Grenzen müssten sehr hoch liegen, um allgemeinverbindlich zu sein. Belastungsgrenzen sollten tatsächlich die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber betriebsnah miteinander vereinbaren. Wichtiger ist es, im Arbeitsschutz glaubwürdige Prozesse zu haben, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern Fehlbelastungen tatsächlich vorbeugen und auch für die Arbeitnehmer vollständig transparent und nachvollziehbar sind. Um an der Gestaltung mitwirken zu können, brauchen insbesondere die Arbeitnehmer jedoch mehr Wirkungsmöglichkeiten und auch eine bessere Qualifikation. Wer mitbestimmen will, muss sich in der mitbestimmten Thematik gut auskennen. Daran hapert es auch bei vielen Arbeitnehmervertretern. Hier könnte eine praxisnah gestaltete Anti-Stress-Verordnung ebenfalls weiterhelfen.

Nicht können wollen

Dienstag, 25. Juni 2013 - 10:40

http://www.handwerksblatt.de/handwerk/gefaehrdungsbeurteilung-bei-psychischer-belastung-20919.html

[...] Die Hürde: Lücken bei der Umsetzung

Den Arbeitsschutz im Bereich der psychischen Belastungen voranzutreiben, ist eine besondere Aufgabe und Verpflichtung von Arbeitgebern, Betriebsräten und den Behörden des Arbeitsschutzes. Interesse an einer stärkeren Berücksichtigung psychischer Fehlbelastungen im Arbeitsschutz haben aber nicht nur Sozialpartner und der Gesetzgeber, sondern auch die Krankenkassen sowie die Berufsgenossenschaften.

Doch die Umsetzung hapert. Nur wenige Unternehmen berücksichtigen psychische Belastungen am Arbeitsplatz tatsächlich bei der Gefährdungsbeurteilung, und noch weniger haben mit Arbeitnehmervertretungen entsprechende Betriebsvereinbarungen abgeschlossen. Der Grund dafür ist mehr ein Nicht-Können als ein Nicht-Wollen. Zwar sind im Gegensatz zur Gefährdungsbeurteilung im technischen Arbeitsschutz Gefährdungen bei psychischer Belastung methodisch deutlich anspruchsvoller zu ermitteln. Werkzeuge dafür sind aber reichhaltig vorhanden. Die immer wieder vorgebrachte Komplexität des Themas erklärt sich oftmals nur aus fehlenden Informationen über die Instrumente des modernen Arbeitsschutzes. [...]

Hauptsache Gesundheit: Positionen

Mittwoch, 24. April 2013 - 07:12

Arbeitgeberpositionen

Die erste Veröffentlichung in der folgenden Liste ist respektabel und anständig geschrieben. Viele Punkte in Die Sache mit der psychischen Belastung können auch Arbeitnehmervertretern als Referenz dienen. Manche dieser Punkte könnten Arbeitgebern und Arbeitnehmern helfen, in einigen Fragen eine gemeinsame Position zu finden. Die nach Die Sache mit der psychischen Belastung aufgelisteten Veröffentlichungen helfen Arbeitnehmervertretern zumindest, das Denken und die Einstellungen vieler Arbeitgeber zu verstehen und sich darauf einzustellen.

  1. A. Hofmann und K.- J. Keller (Arbeitgeberverband Metall NRW), R. Neuhaus (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft), April 2000 (nicht 2002, wie das bei ergonassist.de steht), 59 Seiten: Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370). Die Abhandlung ist ziemlich ausführlich und geschickt gemacht: Sie ist eine Mischung aus richtigen Aussagen und auch ein bisschen Polemik. Die Abhandlung kann der Arbeitnehmerseite sehr gut helfen, die Haltung und das Vorgehen von Arbeitgebern beim Thema des Einbezugs der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz in Verhandlungen besser zu verstehen. Sie setzt aber auch Mindeststandards, die eine gemeinsame Ausgangsbasis für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sein könnten.
    Die BAG-Beschlüsse aus dem Jahr 2004 konnten hier natürlich noch nicht berücksichtigt werden, und die in dem Artikel kritisierte paritätische Kommission (Stichwort: Gesundheitsauschuss) funktioniert bereits gut. Es kommt eben darauf an, wie so eine Kommission arbeitet.
    Suche auch:
    Hoffmann+Keller+Neuhaus+psychische-Belastung
    Einigungsstelle+psychische-Belastung+”Ralf+Neuhaus”

    Was der Artikel auch zeigt: Zumindest in den Personalabteilungen der großen Unternehmen war das Thema seit 2000 bekannt. Schon damals hatten die Arbeitgeber einen ausreichenden Wissensstand. Seit dieser Zeit kann die Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz bei bei der ganz großen Mehrheit der Unternehmen in Deutschland also kein Versehen mehr gewesen sein. Sie erhöhten damit wissentlich das Erkrankungsrisiko ihrer Mitarbeiter.
  2. BDA (Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber), Mai 2005: Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit.
    Die BDA meint: 

    … Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass psychische Belastungen grundsätzlich Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz sind. Beim Fehlen besonderer Anhaltspunkte kann aus Sicht der BDA jedoch davon ausgegangen werden, dass keine Gesundheitsgefährdungen durch psychische Belastungen bestehen. Dies gilt uneingeschränkt auch für die Bildschirmarbeitsplätze. …

    Was für ein Unsinn. Diese Arbeitgebervereinigung stellt sich gegen die Bildschirmarbeitsverordnung sowie gegen die Beschlüsse des BAG und verleitetet viele Unternehmer damit möglicherweise sogar zu Rechtsverstößen. Denn nach den Beschlüssen des Bundesarbeitsgerichts hat sich diese Position der Arbeitgeber als unrichtig erwiesen: Das Vorliegen “besonderer Anhaltsspunkte” ist für eine Gefährdungsbeurteilung schon aus Gründen der Logk nicht erforderlich, denn Anhaltspunkte werden ja erst mit der Gefährdungsbeurteilung gewonnen. (In der Praxis kann man in Anlehnung an OHSAS 18001 die Gefährdungsbeurteilung in eine Gefährungserkennung und eine Risikobewertung aufteilen.)

  3. BDA, Mai 2009: Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit
    (Siehe auch: http://blog.psybel.de/mehr-eigenverantwortung-der-beschaeftigten/)
  4. BDA, Nov. 2010, Arbeitsschutz und Gesundheitsgefärderung: Unternehmen engagiert und erfolgreich
    (Hier ist die Trennung zwischen “gesetzlich verpflichtendem Arbeits- und Gesundheitschutz” und “freiwilliger Beteiligung” an der “Gesundheitsförderung” keine unbedeutende Nebensache: Die Unterscheidung zwischen “verpflichtend” und “freiwillig” kann den Arbeitgebern bei der Schwächung der starken Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmer im ganzheitlichen Arbeitsschutz helfen.)
  5. BDA, Geschäftsbericht 2010, S. 48-49: Psychische Gesundheit: Unternehmen aktiv
    Die BDA behauptet hier, es gäbe eine falsche “Herleitung”, dass psychische Belastung aus der Arbeitsaufgabe zu psychischen Störungen der Mitarbeiter führen. Der BDA ist demzufolge nicht bekannt, dass psychische Fehlbelastungen zu psychischen und körperlichen Erkrankungen führen können. Der Arbeitgebervereinigung fehlen also elementare Kenntnisse des ganzheitlichen Arbeitsschutzes. Was legitime Belastungen einerseits und gesundheitsgefährdende Fehlbelastungen andererseits sind, haben die Arbeitgeber und die Arbeitnehmer in einem Betrieb miteinander und unter Berücksichtigung des Standes der Wissenschaft zu vereinbaren.
  6. BDA: Psychische Belastung – psychische Gesundheit (aktuelle Website, mein Kommentar dazu)
  7. Gesamtmetall und ifaa, 2011: Burnout, Depression und Demographie – Was kann und soll betriebliche Gesundheitsförderung hier leisten? (Kommentar)
  8. Arbeitgeber gegen Anti-Stress-Verordung, 2011-10: Kommentar und Link zu Arbeitgeberverbände Siegen-Wittgenstein, Anti-Stress-Verordnung nicht zielführend; mit einem Link zu Stephan Sandrock, Institut für angewandte Arbeitswissenschaft, ifaa, Depression und Burnout – Wie Unternehmen damit umgehen können, 2011-09-28
  9. BDA und VDBW, 2012: Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb
  10. Alexander Gunkel (Salzgitter AG), 2012: Psychische Gesundheit – Abgestimmtes Handeln im Unternehmen schafft Handlungssicherheit und Erfolg
  11. Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (ifaa), 2012-06-27: IG Metall Entwurf für die Anti-Stress-Verordnung praxisfern und nicht zielorientiert
  12. Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, 2012-07-26: Nichterwerbstätige deutlich anfälliger // Überreglementierter Arbeitsschutz hilft hier gar nicht // Arbeitgeber müssen mit “Samthandschuhen” vorgehen..
  13. Pascal Kober (FDP), Ulrich Lange (CDU), 2012-10-25, Reden in der Bundestagsdebatte 17/201. Hier fielen mir insbesondere die eher ideologischen Bedenken Ulrich Langes zur Mitbestimmung auf. Wie die Arbeitgeber befürchtet er Mitbestimmung im Bereich unternehmensstrategischer Entscheidungen. Tatsächlich bedeutet Mitbestimmung im Bereich der psychischen Belastung auch Beeinflussung von Führungsstilen.
  14. Dieter Hundts Rede, 2013-01-29
  15. Volker Kauder (CDU), Gerda Hasselfeldt (CSU) und Fraktion; Rainer Brüderle (FDP) und Fraktion, 2013-04: Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken. Als Arbeitgeberposition ist dieser Beitrag zu Arbeitsschutzthemen deswegen hier aufgelistet, weil er ganz wichtige Probleme (unzureichende Kontrolle und Missachtungd der Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes in der großen Mehrheit der Betriebe) nicht anspricht. CDU/CSU und FDP tolerieren damit erhöhte Risiken der Verletzungen von Arbeitnehmern.
  16. BDA, August 2013: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz, Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung, Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber
  17. Suche in der BDA-Website: “psychische

 

Arbeitnehmerpositionen

  1. Mitbestimmung bei Stress und anderen psychischen Belastungen, Der Personalrat 10/2002, S. 420-427
  2. Tausendmal diskutiert und doch ist nichts passiert?,
    Computer-Fachwissen 2/2004, 9 – 14 und 3/2004, 8 – 13
  3. Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW, Mai 2009
  4. Hauptsache Gesundheit – Tarif- und betriebspolitisches Drehbuch zum Arbeits- und Gesundheitsschutz
    ver.di, Juni 2010
    Das “Drehbuch” setzt sich auch ziemlich ausführlich mit den Argumenten der Arbeitgebervereinigung (BDA) auseinander. Interessant auch das Kapitel “Tarifvertragliche und/oder betriebliche Umsetzung“.
  5. Aus Arbeitnehmersicht betrachtet: Widerstand gegen die Mitbestimmung im Arbeitsschutz
  6. Eigentlich eher als arbeitgebernah bekannt, überraschte mich die FDP mit einer ungewöhnlich kompetent gestellten Anfrage (2009) zur Belastungssituation von Lehrern an Berliner Schulen. Ich habe daraus Fragen an Arbeitgeber in der Privatwirtschaft abgeleitet, die angesichts ihres Ursprungs von Arbeitgebern sicherlich nicht als “gewerkschaftsideologisch” vom Tisch gewischt werden können.
  7. IG Metall, 2012-06, Anti-Stress-Verordnung

 

Gemeinsame Positionen

  1. Gemeinsame Erklärung von BDA und DGB (2004-04-21), Zukunft einer zeitgemäßen betrieblichen Gesundheitspolitik
    Einiges gilt wohl nicht mehr, z.B.: “DGB und BDA sind der Auffassung, dass es zur weiteren Förderung betrieblicher Gesundheitspolitik grundsätzlich keiner neuer gesetzlichen Regelungen bedarf.”

  2. Gemeinsame Erklärung von BMAS, BDA und DGB (2013-09-05), Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt
     
    Update: 2013-09-30

1999: Gewolltes Unwissen, erlernte Hilflosigkeit

Sonntag, 29. Juli 2012 - 20:01

Psychischer Stress in der Arbeitswelt. Erkennen - Mindern - Bewältigen, RKW-Fachtagung, 127 S., 1999-11-24, http://www.infoline-gesundheitsfoerderung.de/global/show_document.asp?id=aaaaaaaaaaagejg

Die nach dem Arbeitsschutzgesetz geforderte Gefährdungsbeurteilung verlangt vom Arbeitgeber u.a., dass psychische Belastungen ermittelt, Maßnahmen zur Regulierung eingeleitet und deren Wirksamkeit überprüft werden. Ein Schritt, um einen ganzheitlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu verwirklichen, liegt deshalb im Erkennen und in der Beurteilung von kognitiven, psychosozialen und emotionalen Belastungsfaktoren. Hierzu gibt es eine Reihe von Methoden und Instrumenten, die jedoch nur zögerlich in der Praxis eingesetzt werden. Vielen betrieblichen Praktikern fehlen zum einen die Kenntnisse, angemessene Ermittlungsmethoden auszuwählen; zum anderen sind viele Verfahren noch wenig erprobt und erfüllen eher wissenschaftliche als praktische Ansprüche. …

… Die gesetzlichen Entwicklungen tragen den veränderten Arbeitsbedingungen und der merklichen Belastungsverschiebung in der Arbeitswelt Rechnung und korrespondieren mit der notwendigen Verständniserweiterung. Das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) vertritt diese ganzheitliche Sicht und gibt ihr die rechtliche Legitimation. Ein Gesetzesauszug, der diese systemische Auffassung repräsentiert, lautet “Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen; [...].” (§ 4, Nr. 4 ArbSchG). Das betriebliche Arbeitsschutzhandeln soll demnach auf ein ganzheitliches Arbeitsschutzhandeln ausgerichtet sein und neben den technischen Bedingungen die der Arbeitsorganisation und sozialen Beziehungen berücksichtigen.

Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung ist das Erkennen der verschiedenen Quellen betrieblicher Gesundheitsgefährdungen, um daraus präventive und korrektive Arbeitsschutzmaßnahmen abzuleiten. Ein wichtiges Instrument und eine wesentliche Entscheidungsgrundlage dafür ist die gesetzlich geforderte Gefährdungsbeurteilung. Nach § 5 Abs. 1 ArbSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, “durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.” Dies schließt psychische Belastungen mit ein. Gefährdungen, verstanden als Quelle möglicher arbeitsbedingter Gesundheitsbeeinträchtigungen oder arbeitsbedingter Unfälle, werden beispielhaft in § 5 Abs. 3 aufgeführt, u.a. mit der Spezifizierung: “Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch [...] (die) Gestaltung von Arbeits- und Fertigungsverfahren, Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken”, d.h. eben diese Elemente eines Arbeitssystems, die mit dem Konzept der psychischen Belastungen erfasst werden. Ganz explizit genannt, werden psychische Belastungen bisher als Kriterium bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen in § 3 der Bildschirmarbeitsverordnung.

… obwohl für die Ermittlung der belastenden Arbeitsbedingungen als auch die der Beanspruchungen können zwei Erhebungsstrategien unterschieden werden: Bei der ersten Variante führt ein externer Experte, d.h. eine Person, die nicht unmittelbar von den Arbeitsbedingungen betroffen ist, die Analyse und Bewertung durch. Im Betrieb kann das die Fachkraft für Arbeitssicherheit sein oder der Betriebsarzt [Leider kann es vorkommen, dass sich beide dem Arbeitgeber verpflichteter fühlen, als den Arbeitnehmern], im Fall der überbetrieblichen Einrichtungen, die staatlichen und technischen Aufsichtsbeamten [die bis heute vorwiegend technisch geblieben sind!] oder ein Unternehmensberater. Diese Vorgehensweise wird auch häufig als “objektiv” bezeichnet, in Abgrenzung zu den subjektiven Verfahren. Bei der zweiten Ermittlungsstrategie erfolgt die Analyse und Bewertung durch die Beschäftigten. Am bekanntesten ist hier wohl die Methode der fragebogengestützten Mitarbeiterbefragung. …

(Hervorhebungen und Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingetragen)

Das war also schon im Jahr 1999 klar. Aber Ursula von der Leyen billigt den Unternehmern heute “Unwissen und Hilflosigkeit” zu. Es war aber eine nachhaltig gewolltes Unwissen und gut erlernte Hilflosigkeit. Auch in den Gewerbeaufsichten schein das Unwissen von den politischen Führungen gewollt und durch “Verschlankung” so erfolgreich erreicht worden zu sein, wie sich die Unternehmerverbände das wünschten. Dabei rufen die vielen Unternehmer, die erst dann Handlungsbedarf sehen, wenn es rechtlich für sie brenzlig wird, geradezu nach scharfen Kontrollen. Sie sollten sich nicht beschweren. Immerhin hatten sie eine Chance gehabt. Statt dessen hören wir von zu vielen Unternehmern, die ihrer eigenen unternehmerische Verantwortung selbst nicht gerecht werden, Aufforderungen an die Mitarbeiter, sich “eigenverantwortlich” um ihre Gesundheit zu kümmern. Wird Frechheit wieder einmal siegen?

Laut propagierter Anspruch an Selbstverantwortlichkeit

Sonntag, 15. Juli 2012 - 07:26

Matthias T. Meifert, Mathias Kesting: Gesundheitsmanagement Im Unternehmen: Konzepte – Praxis – Perspektiven (2003), ISBN 978-3-540-00583-4

books.google.de/books?id=LmZGzGYleg0C&pg=PA165&lpg=PA165

Mathias Kesting (von der Kienbaum-Unternehmensberatung) schrieb in dem Kapitel Selbstmanagement - Zwischen Selbstverantwortung und äußeren Sachzwängen im Fazit auf Seite 165:

… Der heute so laut propagierte Anspruch an Selbstverantwortlichkeit von Mitarbeitern ist in den vergangenen Jahren in vielen Unternehmen im Keim erstickt worden, in dem ein übergroßer Moloch an Bürokratie und bevormundender Einschränkung vorherrschte. …

Vielleicht ist das eigentliche Problem aber, dass Unternehmensführungen ihrer eigenen unternehmerischen Eigenverantwortung (im ganzheitlichen Arbeitsschutz seit etwa 2005 wissentlich) nicht gerecht wurden und (bei gleichzeitig überproportional steigendem Einkommenfür sich selbst) versuchten, die Verantwortung, der sie selbst nicht gerecht wurden, den Mitarbeitern als “Eigenverantwortung” zuzuschieben.

Kesting versuchte auch, den Mitarbeitern “erlernte Hilflosigkeit” (nach Seligman, 1979) zuzuschreiben, was aber nur eine Erklärung sei, keine Entschuldigung. Da muss ich an Ursula von der Leyens Versuch denken, das unternehmerische Versagen im ganzheitlichen Arbeitsschutz mit “Unwissenheit und Hilflosigkeit” zu entschuldigen bzw. zu erklären.

Als Kesting an dem Buch mitschrieb, war das in den Unternehmen missachtete Thema der psychischen Belastungen allerdings noch nicht so auf dem Radar, wie heute.

Das Wissen durfte nicht weitergegeben werden

Montag, 25. Juni 2012 - 08:23

Zwei Jahre her, aber wohl seit Beginn der Menschheit aktuell:

Heinz Arnold: Organisation und Katastrophen (markt & technik, 2010-07-30)
http://www.elektroniknet.de/bauelemente/news/article/28700/

Die Toten in Folge der Massenpanik auf der Love Parade in Duisburg haben uns alle erschüttert. Wer in der Elektronikindustrie arbeitet, der fragt sich natürlich gleich, warum nicht zumindest einfache und relativ billige Geräte zum Einsatz kamen, die es zumindest erlaubt hätten, eine sich anbahnende Katastrophe zu erkennen und vielleicht noch abwenden zu können. …

Nach verschiedenen Beispielen zu vorhersehbaren Katastrophen fährt der Autor fort:

… Auch wenn die Beispiele aus ganz unterschiedlichen Umfeldern gewählt sind und jeweils ihre eigenen speziellen Ursachen haben mögen, so gibt es doch auch Gemeinsamkeiten.

In all den Fällen war es nämlich nicht so, dass in den Organisationen das Wissen darüber gefehlt hätte, dass etwas in Gefahr ist, schief zu laufen. Das Wissen durfte nur nicht weitergegeben werden, zumindest nicht in vollem Umfang. Von einer Hierarchiestufe auf die nächste geht so immer ein Teil des Wissens verloren – man will ja nicht negativ sein, man will ja nicht als Bedenkenträger und Verhinderer gelten. Das könnte der Karriere schaden und macht nur Ärger.

So kommen auf der Stufe des obersten Managements nur positive Nachrichten an – und zwar genau die, die es hören will. …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)

Konsequenzen aus dem Burn-out-Ranking

Dienstag, 12. Juni 2012 - 21:49

Fortsetzung von http://blog.psybel.de/2012/06/08/manager-magazin-burn-out-ranking/:

Habe mit heute einmal die Tabelle angesehen: Die Asklepios-Kliniken vermuten, dass von von den mehr als 1,5 Millionen Mitarbeitern in DAX-Unternehmen etwa 47000 bis 100000 Mitarbeiter vom Burn-out betroffen sind. Das sind etwa 3.1% bis 6.4%, also im Durchschnitt 4.7%. Basis ist eine im manager magazin 2012-06 veröffentlichte Tabelle - mit allerdings ziemlich mutigen Extrapolationen möglicherweise etwas magerer Daten.

Auch etwas belastbarere Daten zeigen, dass so abschreckend der angeblich seit schon vielen Jahren mögliche “knallharte Strafkatalog” nicht zu wirken scheint. Es wird vermutlich sogar keine einzige knallharte Strafe für eine von mangelhafter Prävention verursachte psychische Erkrankung gegeben haben.

Die Beunruhigungspille der Ministerin Ursula von der Leyen ist in Wirklichkeit eine Beruhigungspille an die Unternehmer: Ernstaft unternimmt die Politik nichts. Sie wedelt nur ein bisschen mit einem Strafkatalog zur Volksberuhigung, wird die ernsthafte Anwendung dieses Katalogs aber auch weiterhin bremsen.

Die eigentliche Konsequenz aus dem Burn-out-Ranking ist, dass Prävention ernsthafter betrieben und genauer beurteilt werden muss. Das ist zuverlässiger als gewagte Statistiken:

  • Ernsthafte und kompetente Kontrollen der Unternehmen durch Aufsichtsbehörden.
  • Überprüfung der Übereinstimmung der Prozessbeschreibung eines Unternehmens zur Umsetzung der Bildschirmarbeitsverordnung mit der tatsächlichen Umsetzungspraxis.
  • Veröffentlichung der Protokolle von behördlichen Kontrollen eines Unternehmens an alle Mitarbeiter des Unternehmens (also nicht nur an den Betriebsrat).
  • Ernsthafte Überprüfung der vorgeschriebenen Arbeitsschutz-Dokumentation und darin insbesondere der Gefährdungsbeurteilungen. (Kennen und Verstehen die Mitarbeiter den Inhalt und die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilungen zu ihren Arbeitsplätzen inzbesondere hinsichtlich des Einbezugs psychischer Belastungen? Kennen sie die Bildschirmarbeitsverordnung und wird sie tatsächlich eingehalten?)
  • Ernsthafte Überprüfung der vorgeschriebenen Arbeitsschutz-Unterweisungen an das untere Management. (Versucht das Top-Management, Verantwortung in das untere Management zu verlagern, ohne die Mitarbeiter und Vorgesetzten über ihre Pflichten und Rechte aufzuklären? Werden nur Webtrainings gegeben, die wenig wirksame Pflichtübungen zum formalen Abhaken von Vorschriften sind?)
  • Proaktive behördliche Unterstützung der Betriebsräte bei der Ausübung der Pflicht zur Mitbestimmung im Arbeitsschutz. (Betriebsräte sind angesichts der Realität des Umgangs mit dem Arbeitsrecht und mit den Schutzrechten für Arbeitnehmer in Deutschland in einer Zwickmühle: Sprechen sie im Betrieb Regelwidrigkeiten an, dann beschwert sich die Arbeitgeberin, der Betriebsrat würde die harmonische Zusammenarbeit stören und Führungskräfte persönlich angreifen. Halten sie sich zurück - womöglich in Anwesenheit von Aufsichtspersonen der Berufsgenossenschaften oder der Gewerbeaufsicht -, dann missachten sie ihre Pflicht zum Schutz der Mitarbeiter und geben u.U. auch noch stillschweigend ihr Einverständnis zu Dingen, mit denen sie nicht einverstanden sein dürfen.)
  • Stärkung der Unabhängigkeit von Betriebsärzten und Arbeitsschutzbeauftragten. (Der Arbeitgeber hat auf der Grundlage der Gefährdungsbeurteilung für eine angemessene arbeitsmedizinische Vorsorge zu sorgen. Wie kommt es, dass diese Vorschrift (§3 ArbMedVV) von der Mehrheit der Unternehmen in Deutschland beim Einbezug psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz noch nicht beachtet wird? Haben die Betriebsärzte Angst, eine vollständige Gefährdungsbeurteilung einzufordern, obwohl ihnen die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung als Grundlage der Primärprävention bekannt ist? Was haben sie zu befürchten, wenn sie den Arbeitgeber auffordern, ihnen diese Grundlage nicht weiterhin zu verwehren? Entstehen den Arbeitsschutzbeauftragten Nachteile, wenn sie psychische Belastungen (unter Beachtung der betrieblichen Mitbestimmung) in Gefährdungsbeurteilung einbeziehen und damit ihre Aufgabe pflichtgemäß erfüllen?)
  • Haftung des Unternehmens gegenüber psychisch erkrankten Mitarbeitern mit Erschöpfungsdepression schon dann, wenn der Arbeitgeber zwar nur ein möglicher Mitverursacher der Erkrankung ist, aber dazu aktuell oder in den Jahren vor der Erkrankung (deswegen müssen auch vergangene Pflichtverletzungen in den Unternehmen untersucht werden!) noch erhebliche Mängel beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz festgestellt wurden. Wichtig wäre es auch, dass Berufsgenossenschaften, Berufsunfähigkeitsversichererer und Krankenversicherer sich leichter Versicherungsleistungen erstatten lassen können, die von fahrlässig ihre Mitarbeiter körperverletzenden Unternehmen verursacht wurden.

Wenn Unternehmen einen ordentlichen Arbeitsschutz betreiben, dann braucht sie irgendein “Burn-our Ranking” nicht zu interessieren.

Ich weiß nicht, ob die von Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung oder sonstige neue Bestimmungen etwas bringen. Eine Stärkung der Arbeitnehmervertretungen könnte helfen, mit den bestehenden Arbeitsschutzvorschriften auszukommen. Es gibt ja bereits seit 1996 ein Gesetz. Es gibt darauf aufbauende Verordnungen und gerichtliche Beschlüsse. Nur wurden die Regeln in der Praxis kaum durchgesetzt obwohl beispielsweise die Bildschirmarbeitsverordnung sehr gut überprüfbar ist. Davon wird aber kaum Gebrauch gemacht. So kann es passieren, dass Aufsichtspersonen in einem Betrieb, von dem sie wissen, das psychische Belastungen nicht ordnungsgemäß beurteilt werden, es durchgehen lassen, dass in Gefährdungsbeurteilungen steht, die Bildschirmarbeitsverordnung werde eingehalten. Uns fehlen keine Schutzgesetze, sondern der Respekt vor ihnen ist abhanden gekommen.

(Nachbearbeitung: 2011-06-17)

Arbeitsschutz 2002:
Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung

Sonntag, 10. Juni 2012 - 22:40

http://www.boeckler.de/pdf/fof_zwischenbericht.pdf

Bertelsmann Stiftung
und
Hans Böckler Stiftung

Expertenkommission
Betriebliche Gesundheitspolitik

Zwischenbericht
(Gütersloh/Düsseldorf, 22. November 2002) …

S. 11 (PDF: S. 13/80):

… Betriebliche Gesundheitspolitik hat heute in den Unternehmen geringe Priorität – oft über alle Akteursgruppen hinweg. Unternehmen müssen für eine moderne betriebliche Gesundheitspolitik zumeist erst noch befähigt werden. Kleine und mittlere Unternehmen sollten dabei besondere Berücksichtigung finden. Aber auch in größeren und großen Unternehmen besteht aus unserer Sicht beträchtlicher Handlungs- und Entwicklungsbedarf. Befähigung durch Qualifizierung und Austausch von „best-practice“-Beispielen ist wichtig, reicht jedoch nicht aus, um das Eigeninteresse der Betriebe zu wecken. Auch der Gesetzgeber stößt hier an Grenzen, zumal seine Aufsichtsdienste immer mehr der Haushaltslage wegen abgebaut werden. Finanzielle Anreize sollten als „Hebel“ zur Aktivierung betrieblicher Gesundheitspolitik eingesetzt werden. …

S. 12 (PDF: S. 14/80):

Dass Arbeitsschutz eine klassische Aufgabe für Arbeitnehmervertretungen ist, wird nicht immer ausreichend wahrgenommen. Arbeitgeber halten dies oft für eine lästige Pflicht. Notwendigkeiten für ein modernes betriebliches Gesundheitsmanagement und auch seine Möglichkeiten werden oft nicht gesehen oder ernst genommen. …

… Der Staat hat mit seiner neuen Gesetzgebung wichtige Weichen gestellt. Es besteht jedoch eine Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung. Hier sieht die Kommission Handlungsbedarf. Wie zukünftig die Zusammenarbeit zwischen Staat (Bund, Ländern) einerseits und den Unternehmen andererseits zu gestalten sei – auch bei immer angespannterer Lage der staatlichen Haushalte – bedürfe dringend der Diskussion. Klar sei, dass der Staat sich einerseits „auf dem Rückzug“ befinde, andererseits durch die Notwendigkeit zum verstärkten Arbeiten mit finanziellen Anreizen vor neuen Herausforderungen stehe – auch was seine zukünftigen Prüfpflichten betrifft – Stichworte: externe Qualitätssicherung betrieblichen Gesundheitsmanagements und „neuer Interventionstyp“.

Ansätze für einen fortschrittlichen Arbeitsschutz und eine innovative betriebliche Gesundheitspolitik bieten das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 und auch das Arbeitssicherheitsgesetz. Ebenso finden sich im SGB VII und SGB V Ansätze. Daher sind im materiellen Recht schon Ansätze vorhanden. Einigkeit besteht, dass es bei der Umsetzung mangelt, jedoch die Gesetze nicht Reformen be- oder verhindern. Die gesetzlichen Grundlagen sollen effizient genutzt werden. Darüber hinaus ist ein neuer Interventionstyp insbesondere für die überbetrieblichen Akteure erforderlich. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Die “Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung” ist also schon seit langer Zeit bekannt.

Die heute den Unternehmen von Ursula von der Leyen zugestanden “Unwissenheit und Hilflosigkeit” ist einfach nicht glaubhaft. Die Arbeitgeber haben versagt: Die Experten setzten im Jahr 2002 auf das Eigeninteresse und die Eigenverantwortung der Unternehmer. Heute wissen wir, dass das unrealistisch war. Der “neue Interventionstyp” hat offensichtlich nicht funktioniert, wohl auch wegen Illusionen hinsichtlich dessen, was Unternehmer motiviert. Die Unternehmer haben ihre Chance verspielt, die ihnen gewährte Schonfrist verschlafen und ließen (selbst nach Auffasung der Arbeitsministerin) das Thema der psychischen Belastung einfach schleifen. Der Hauptmotivator ist und bleibt also die Pflicht zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen. Da Einsicht seit mehr als 15 Jahren nicht funktioniert, muss die Erfüllung dieser Pflicht nun wohl doch mit Hilfe von strengeren Kontrollen und Sanktionen durchgesetzt werden. Neue Vorschriften sind eigentlich nicht nötig.

manager magazin: Burn-out-Ranking

Freitag, 8. Juni 2012 - 23:50

http://www.reif.org/blog/blow-up-des-employer-brandings-manager-magazin-uber-burn-out-falle-der-dax-konzerne/

… In einigen Vorstandsbüros und Employer-Branding-Abteilungen schlugen einige Köpfe auf den Tisch. Das ist der Mega-Blow-up für das Employer-Branding. Das Manager-Magazin titelt in seiner neuesten Ausgabe “Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen”. Als Deutschlands erstes Burn-out-Ranking wird der Leitartikel eingeleitet. Bisschen viel Polemik für meinen Geschmack. …

… Solche Berichte sind ein Tritt in die Magengrube des Employer-Brandings. Von solchen Botschaften erholt man sich nicht in einer Woche. Kenne die Zusammenstellung der Studie nicht im Detail. Aber woher kommen die präzisen Angaben und womit lässt sich eine solch konkrete Aussage zur Burn-out-Quote nach Unternehmen mit Zahlen untermauern? …

Die Antwort auf diese Frage von Markus K. Reif interessiert mich auch. Wie mutig sind die Extrapolationen von Asklepios?

 

Suche: http://www.google.de/search?q=Burn-out-Ranking+manager-magazin

Der Schwerpunkt des Heftes 2012-06 ist ein “Burn-out-Ranking” deutscher Unternehmen. Verwendet wurden dabei Daten von Asklepios, “Europas führender privater Klinikkette”. Die Statistik halte ich für zumindest fragwürdig. Der Artikel zum Thema ist aber schon interessant.

S. 108:

… Der Umgang mit Burn-out-Erkrankungen fällt vielen Unternehmen auch deshalb so schwer, weil sich Organisationen zwar ändern lassen, aber die Persönlichkeit des Einzelnen und seine Fähigkeit, mit Stress umzugehen, mindestens ebenso bedeutend sind. …

Organisationen lassen sich ändern? Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen hat ja nicht einmal versucht, wenigstens die schon seit 1996 vorgeschriebenen organisatorischen Maßnahmen im Arbeitsschutz auch für die Gefährdungskategorie der psychischen Belastungen umzusetzen. Im Gegenteil, sie verstießen zunehmend vorsätzlich gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Da die Aufsichüberfordert war, war das anscheinend problemlos (also straflos) möglich. So läuft das heute eben.

Herrmann-Josef Lamberti (Personalvorstand der Deutschen Bank) meinte (so das manager magazin auf S. 105), das Thema der psychischen Belastung werde übertrieben und es bestünde kein Handlungsbedarf. Das zu sagen, war wohl keine gute Idee. Ob Handlungsbedarf besteht, hat nämlich in Gefährdungsbeurteilungen beurteilt zu werden, und zwar in einem vom Betriebsrat mitbestimmten Arbeitsschutzprozess nach vom Betriebsrat mitbestimmten Kriterien. Ich hoffe, dass Lamberts Ausführungen die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft zu häufigen Besuchen bei der Deutschen Bank anregen.

Ob polemisch oder nicht, in einem Punkt haben Eva Buchhorn, Michael O.R. Kröher und Klaus Werle im manager magazin ihre Hausaufgaben gemacht: Sie fragen gezielt nach der Gefährdungsbeurteilung (S. 106):

… Die gezielte Nachfrage seitens mm, ob die Bank das seelische Belastungspotential der Arbeitsplätze analysiere, will die Bank nicht beantworten. Mitarbeitervertreter kritisierten, dass es diese Erhebungen nicht gebe: “Die Bank kuriert nur das Verhalten Einzelner, an den Verhältnissen ändert sich nichts”, heißt es. …

Klartext: Die Bank will nicht sagen, ob sie sich an die Regeln des Arbeitsschutzes hält, und der Betriebsrat sagt, dass in die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen psychische Belastungen nicht einbezogen werden, die Bank also die Regeln des Arbeitsschutzes missachtet. Nebenbei wird noch deutlich, dass die Bank aus der Sicht der Mitarbeitervertreter den Mitarbeitern mit individueller Verhaltensprävention zu Leibe rückt, ihnen aber die vorgeschriebene Verhältnisprävention verweigert.

Die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gibt es im Prinzip schon seit 1996. Darum vermittelt der folgende Absatz ein falsches Bild (S. 112):

… Dass der Kampf gegen den Burn-out die Unternehmen nicht mehr loslässt, dafür sorgt nun auch die Politik. Nach dem Willen von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen soll die Analyse psychischer Belastungen, wie sie von der Commerzbank bereits realisiert werden, auch an Büroarbeitsplätzen endlich Standard werden - und nicht wie bisher auf Industriejobs beschränkt sein. …

Schon seit 1996 gab es ganz klar keine Beschränkung auf Industriejobs mehr. Hier irrt sich entweder das manager magazin oder die Arbeitsministerin oder beide irren sich zusammen. Es gab hier einmal eine entsprechende Rechtsposition der Arbeitgeber, die aber nicht mit einer Tatsache verwechselt werden sollte. Nach Auffassung beispielsweise der Berufsgenossenschafen ist der Einbezug psychischer Belastungen in die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen schon seit langer Zeit der Standard, dem die Arbeitgeber zu folgen haben. Nur hat die Politik es bisher erlaubt, dass Arbeitgeber nicht belangt werden, selbst wenn sie sich beharrlich den Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes widersetzen.

http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/0,2828,834827,00.html

… Und von einem strategischen Gesundheitsmanagement, das etwa auch die Risiken analysiert, am Arbeitsplatz psychisch zu erkranken, sind viele Firmen noch weit entfernt. …

manager magazin online beschreibt hier einen nachhaltigen Verstoß vieler Firmen gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Für diese anarchischen Zustände trägt auch die Ärztin Ursula von der Leyen (zusammen mit ihren Vorgängern) eine Mitschuld..

 

Noch etwas zum manager magazin selbst: Mir schien bisher, es gäbe ein Tabu-Thema in Redaktionen: Missachtung des Arbeitsschutzes. Aber siehe da (S. 106):

… Und die Medien, die sich in zahllosen Beiträgen am Thema [Burn-out] abarbeiten, sitzen selbst im Glashaus: Die Burn-out-Quote der Branche soll etwa doppelt so hoch sein wie im Durchschnitt aller Beschäftigten. …

Hier nun kann sich das manager magazin kleine Seitenhiebe auf Mitbewerber nicht verkneifen. Im Editorial arbeitet Arno Balzer (der Chefredakteur des Magazins) mit Lust am eigenen Employer-Branding (S. 5):

… In unserer Branche ist die Quote nach Asklepios-Schätzung rund doppelt so hoch wie in der übrigen Wirtschaft. Besonders stark betroffen sei der Axel-Springer-Verlag, gefolgt vom Norddeutschen Rundfunk. Die Spiegel-Gruppe, in der auch manager magazin erscheint, weist nach Asklepios-Angaben wenige Stresspatienten auf. …

 
Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil hier erstmalig ein Überblick über die Zustände in einzelnen deutschen Unternehmen veröffentlicht wurde. Die Statistik selbst ist mit Vorsicht zu genießen, aber dass das “Burn-out”-Thema einmal in dieser Weise thematisiert werden wird, hätten wir uns vor vielleicht fünf Jahren wohl so noch nicht vorgestellt.

 
Fortsetzung: http://blog.psybel.de/2012/06/15/massnahmen-der-dax-unternehmen/

 
-> Andere Artikel zum Thema