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Hansjörg Becker: Verhältnisprävention ist nachhaltiger

Donnerstag, 7. Januar 2016 - 21:51

Anlässlich der Verleihung des Corporate Health Awards 2015 hielt Dr. Hansjörg Becker einen Vortrag (VORTRAG_Dr.HJ_Becker_INSITE_Interventions.pdf), den Sie sich von der CHA-Website herunterladen können. (Dazu ist ein Passwort erforderlich, dass sie über eine auf der Seite angegebene Email-Adresse abfragen können.) Darin geht es um die Gefährdungsbeurteilung sowie Verhaltensprävention und Verhältnisprävention. “EAP als Umsetzungsmaßnahme nach Gefährdungsbeurteilung Psychischer Belastung” ist der Titel der Präsentation.

In seinem Vortrag stellte Hansjörg Becker fest, dass bei der Minderung psychischer Fehlbelastungen die Verhältnisprävention nachhaltiger als Verhaltensprävention sei – wenn die Verhältnisprävention richtig implementiert ist. Das ist interessant, den ein EAP (Employee Assistance Program/Plan) bearbeitet primär individuelle Mitarbeiter verhaltenspräventiv und weniger fehlbelastende Arbeitsplätze verhältnispräventiv. Einzelne Mitarbeiter auf die Couch zu bringen, ist die letztmögliche Wahl im Arbeitschutz, denn dort sind individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Maßnahmen.

Wenn INSITE-Interventions sich als externer Dienstleister zu einer Meldung von Fehlbelastungen anböte, die die Mitarbeiter vor Repressalien schützt, dann wäre das eher ein Beitrag zum Arbeitsschutz. Einen tatsächlichen Beitrag zum Arbeitsschutz leistet INSITE-Interventions in diesem Sinn mit seinem Reporting (Punkt 14 im FAQ):

Wir erstellen in größeren Zeitabständen ein anonymisiertes Reporting über die Häufigkeit der Nutzung und über kategorisierte Beratungsanlässe. Das Reporting ist so gehalten, dass man keinerlei Rückschlüsse auf die Identität der Nutzer ziehen kann.

In seinen seriösen Veröffentlichungen Evaluation des EAP von INSITE und Qualitätsanforderungen an ein EAP stellt INSITE-Interventions das EAP auch nicht als Arbeitsschutzmaßnahme dar.

Hansjörg Becker fasst seinen Vortrag so zusammen:

  1. Nur geringe Evidenz für die Wirksamkeit von Verhältnisprävention
    Wenn aber wirksam, dann spät einsetzend und länger andauernd
  2. Bessere Evidenz für die Wirksamkeit von Verhaltensprävention
    Schnell einsetzend aber nur kurz wirksam
  3. Beste Wirksamkeit für kombinierte Interventionen
    Wirkt schnell und nachhaltig. Einschränkung: nur SEHR wenige Studien

Sein Resümee:

  1. Bei Bestehen von relevanten Risiken im Rahmen der Gefährdungsanalyse sollen schnell wirksame; also verhaltenspräventive Maßnahmen eingeführt werden
  2. Da sie aber nur kurzfristig wirken, müssen sie mit langfristigen Maßnahmen kombiniert werden.
  3. Das spezielle von EAP ist, dass es zwar auf den ersten Blick verhaltenspräventives Programm ist, und daher schnell wirksam sein kann, dass es aber auf langfristige Wirkung ausgelegt ist. Unsere Kunden nutzen ihre EAPs dauerhaft, z.T. über 10 bis 15 Jahre.

Langfristig kann EAP verhaltenspräventive und verhältnispräventive Ansätze verbinden

Sobald EAP als Arbeitsschutzmaßnahme zum Einsatz kommt, haben Betriebsräte und Personalräte (wo es sie gibt) eine besondere Mitbestimmungspflicht. Hat INSITE-Interventions dafür ein Konzept? Hansjörg Becker unterteilt richtig:

  • Verhältnisprävention ist Primärintervention
  • Verhaltensprävention ist Sekundärintervention

Hier müssen Betriebs- und Personalräte mit einem eigenen und unabhängigen Berater sicherstellen, dass die Primärintervention gut umgesetzt wurde bevor die Sekundärintervention zum Zug kommt.

Beckers Vortrag hat eine Schwäche: Er führt viele Studien an, versäumt aber darzustellen, dass der inzwischen gut dokumentierte Widerstand der Arbeitgeber gegen die Verhältnisprävention Untersuchungen zur Verhältnisprävention erschwert. Dass die große Mehrheit der Arbeitgeber sich über viele Jahre hinweg (mit Hilfe einer systemisch überforderten Gewerbeaufsicht) über das Arbeitsschutzgesetz stellten, erwähnt Becker nicht, sagt aber: “Nur geringe Evidenz für die Wirksamkeit von Verhältnisprävention”. Einen der Gründe für die “geringe Evidenz” verschweigt Becker: Wenn die Verhältnisprävention rechtsbrecherisch sabotiert wird, kann sie natürlich nicht gut funktionieren.

Zur Gefährdungsbeurteilung meint Hansjörg Becker dann auch ohne Hinweis auf die jahrelange gesetzeswidrige und durchaus schon vorsätzliche Sabotage, dass für Gefährdungsbeurteilungen zum Nachteil von Schutzmaßnahmen zu viel Aufwand getrieben werde. Ich glaube, dass er den Grund dafür nicht versteht. Meine Meinung ist, dass sich der Aufwand vor allem aus dem Widerstand der Arbeitgeber gegen ihnen unangenehme Gefährdungsbeurteilungen ergibt. Das die große Mehrheit der Arbeitgeber immer noch keine ordentlichen Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen implementiert hat, ist kein Versehen. Arbeitgeber, die einerseits komplizierte Verfahren zur Mitarbeiterbewertung implementieren können, andererseits aber über viele Jahre hinweg die Implementierung von Verfahren zur Beurteilung psychischer Fehlbelastungen verschleppen, sabotieren den Arbeitsschutz vorsätzlich. Sie mögen keine Gefährdungsbeurteilungen, die sich auf ihre Führungskultur auswirken könnten und meinen, dass sie das berechtige, Recht zu brechen. Die Ausrede “Unwissen und Hilflosigkeit” ist gerade bei Großunternehmen mit zertifizierten Arbeitsschutzmanagementsystemen einfach nicht glaubwürdig.

Kurz: Viele Unternehmer mögen die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nicht und meinen, das gäbe ihnen das Recht, sich über das Gesetzt zu stellen. Das ist in Deutschland möglich  – und das macht die Einführung von Verfahren zur Beurteilung solcher Gefährdungen verständlicherweise etwas komplizierter. Bei der Bewertung der Sinnhaftigkeit der Verhältnisprävention darf die gegen die Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen gerichtete Subversion der Mehrheit der Arbeitgeber nicht ignoriert werden.

Zuschauer und Mittäter

Donnerstag, 3. Dezember 2015 - 10:55

So allmählich bröckelt das Vertrauen in die behördliche Aufsicht weg.

Während die Gewerbeaufsicht von ihrer arbeitsbelastung überfordert zuschaut, erfassen auch große Unternehmen arbeitsbedingten psychischen Belastungen nicht ausreichend zuverlässig. Und bei Unternehmen mit zertifizierten Vorzeige-Arbeitsschutz-Managementsystemen sind die privaten Zertifizierer nicht für allzu kritische Audits bekannt. Schlampige Audits erzeugen im Gesundheitsschutz eine für die Arbeitnehmer gefährliche Scheinsicherheit, die diese Managementsysteme nicht verbessern, sondern seine Mängel verdecken. Hier ist es die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), die freundlich und milde hinschaut.

Die Begeisterung der Berufsgenossenschaften für ein bessere Dokumentation psychischer Fehlbelastungen bei den Unternehmen ist auch recht überschaubar.

Daszu passt es, dass die Arbeitgeber es geschafft haben, sich aus der paritätischen Beteiligung an Beitragserhöhungen der Krankenkassen zu verabschieden. Dank des Zuschauens der behördlichen und privaten Aufsicht (Gewerbeaufsicht, DAkkS, bei der DAkkS akkreditierte Zertifizierer) können sie den Arbeitnehmern nun auch die Kosten für arbeitsbedingte Erkrankungen aufbürden. So funktioniert erfolgreiche Lobbyarbeit.

Die für diese Zustände verantwortlichen Gesundheitspolitiker sind nicht nur Zuschauer, sondern Mittäter.

Nur noch 39% der befragten Unternehmen verstoßen gegen das Arbeitsschutzgesetz

Samstag, 7. November 2015 - 21:05

http://www.haufe.de/personal/hr-management/studien-psychische-belastung-am-arbeitsplatz-nimmt-zu_80_325968.html

[...] Immer mehr Unternehmen erfassen die psychische Belastung, konkret tun dies 61 Prozent der für den Wettbewerb ausgewerteten Unternehmen. [...] 

Na toll. Gegen das Arbeitsschutzgesetz darf also immer noch ungestraft verstoßen werden.

Gemeisamkeiten: Abgasskandal und Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz

Mittwoch, 4. November 2015 - 06:27

Es geht nicht nur um VW. Siehe http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-11/abgas-stickoxid-autohersteller-dieselmotor

Die Gemeinsamkeit: Unternehmen konnten sich in Deutschland anscheinend ziemlich sorgenlos über Vorschriften und Regeln hinwegsetzen. Und/oder ihnen werden Lücken geboten, mit denen die Wirksamkeit von Vorschriften und Regeln erheblich geschwächt wurde. Wenn man weiß, wie Berater bei Gesetzesentwürfen mitarbeiten, ist das ja auch keine Überraschung.

Bei der Abgasgeschichte geht es nun um hohe Schadensbeträge. Da haben sich die Risikoanalysten der Compliance-Abteilung bei Volkswagen wohl verschätzt. (Gewusst haben sie von Widersprüchen zwischen Testergebnissen und Praxis schon, denn das wurde ja in der Öffentlichkeit bereits früher diskutiert.) Bei Regelverstößen im Arbeitsschutz haben deutsche Unternehmen dagegen viel weniger zu befürchten. Ihre Compliance-Abteilungen machen auch hier eine entsprechende Risikoanalyse. Ist das Sanktionsrisiko z.B. bei fehlendem Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz gering, dann wird das Arbeitsschutzgesetz ohne Furcht vor Sanktionen nur soweit umgesetzt, wie das zur Minderung finanzieller Risiken auf ein geringes Maß nötig ist.

Kam Ursula von der Leyens “knallharter Strafenkatalog” (2012) überhaupt jemals zum Einsatz?

 


http://www.spiegel.de/wirtschaft/volkswagen-lasst-vw-pleitegehen-kolumne-a-1061431.html
[...] Ich frage mich, wie es sein kann, dass die Prüfer, die die Typenzulassungen erteilen, das nicht gemerkt haben. Schlimmer noch: Wie konnte das Kraftfahrt-Bundesamt, immerhin eine Behörde des Staates, das nicht bemerken? Oder die vielen Autojournalisten, von denen es in Deutschland nur so wimmelt? Vielleicht, weil viele von ihnen von der Autoindustrie – wie auch immer – bei Laune gehalten wurden? [...]

 
http://www.forbes.com/sites/enriquedans/2015/09/27/volkswagen-and-the-failure-of-corporate-social-responsibility/

[...] But the sad truth is that this conclusion applies to the vast majority of companies: a head of CSR is appointed, given an air of respectability, and runs a department the job of which is to keep the company’s image clean, despite the filth it is mired in, as is clearly the case with Volkswagen. Once again, we have allowed ourselves to be duped into believing that companies can and will regulate themselves, when of course the sordid reality is that as their actions show, beyond the occasional symbolic act, their sole objective is to maximize profit, and by any means. [...]

Die Siegel-Verkäufer

Montag, 2. November 2015 - 14:15

https://magazin.spiegel.de/digital/?utm_source=spon&utm_campaign=inhaltsverzeichnis#SP/2015/44/139456010

Institutionen – Die Siegel-Verkäufer: Korrekt, unbestechlich, seriös – die Marke TÜV gilt als Inbegriff deutscher Zuverlässigkeit. Doch die Prüfkonzerne gefährden ihren Ruf mit fragwürdigen Zertifikaten, laxen Kontrollen und Geschäftemacherei. [...]

(SPIEGEL 2015-10-24)

Deutsche Zustände:
Amt toleriert Gefährdungen

Donnerstag, 15. Oktober 2015 - 03:44

Aus der Tagesschau vom 14. Oktober:

Lose Schrauben an der Lenksäule, brechende Rückenlehne: Auf deutschen Straßen sind Autos mit schweren Sicherheitsproblemen unterwegs – nach Recherchen des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus eine ernste Gefahr. Doch das Bundesamt wartet bis zu 18 Monate mit Rückrufen.

http://www.br.de/nachrichten/fahrzeuge-sicherheitsmaengel-kraftfahrtbundesamt-100.html

Bundesamt schaut weg

Autos trotz Mängel auf den Straßen

Tausende Fahrzeuge mit gravierenden Sicherheitsmängeln sind auf Deutschlands Straßen unterwegs. Nach Recherchen des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus können diese Mängel eine ernste Gefahr für Insassen und Dritte darstellen. [...]

Das für Verkehrssicherheit zuständige Kraftfahrtbundesamt in Flensburg opfert die Sicherheit der von ihm zu schützenden Bürger den Wirtschaftsinteressen der Autohersteller. Das klingt ein bisschen wie eine Verschwörungstheorie, ist aber leider Praxis.

Das hat zwar mit Arbeitsschutz nichts zu tun, zeigt aber, dass wir nicht bedingungslos auf die behördliche Kontrolle in Deutschland vertrauen können. Dass 80% der Unternehmen in Deutschland erlaubt wurde, gegen das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen, war (und ist) wohl auch kein Versehen. Das Thema Arbeitsschutz ist aber nicht so griffig, dass sich ihm das Plusminus-Magazin so widmen könnte, wie der Kraftfahrzeugsicherheit. Zumindest Großunternehem mit guten Beziehungen zur Politik werden also weiterhin ohne Furcht vor Strafe oder Ordnungsgeldern gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen.

Bundeswirtschaftsministerium unterstützt Kriminalität

Mittwoch, 29. Juli 2015 - 07:13

http://www.br.de/nachrichten/inhalt/lohnbetrug-baustellen-100.html

[...] und ebensowenig in Deutschland. Hier bleibt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), sobald sie ihre Quoten erfüllt hat, im Büro. Ob Papiere echt oder gefälscht sind, wird kaum geprüft. Schließlich, so ein Ermittler, wolle man die Wirtschaft “nicht kriminalisieren”. [...]

Die Wirtschaft (zumindest Teile davon) kriminalisiert sich doch selbst. Darum kann die Aufdeckung ihrer Straftaten keine Kriminalisierung mehr sein, denn diese bestand ja schon vorher.

Bei Schwarzarbeit muss die Finanzkontrolle wegsehen, wenn vom Bundesfinanzministerium sehr niedrig angesetzten Quoten erfüllt sind. Das Bundesfinanzministerium verhindert effektive Kontrollen von Schwarzarbeit. Mehr dazu gibt es heute abend im Fernseh-Magazin “Kontrovers” des Bayerischen Rundfunks.

Noch leichter ist es, im Arbeitsschutz wegzusehen. Wenn ein Großteil der Unternehmen seit 1996 ungestraft den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz verhindern konnte, dann muss die Gewerbeaufsicht über einen langen Zeitraum nachhaltig weggesehen haben.

Auch die privatisierte Aufsicht von Arbeitsschutzmanagementsystemen arbeitet ziemlich “wirtschaftsfreundlich”. Beaufsichtigt werden die Zertifizierungsgesellschaften von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), wenn sie bei der DAkkS akkreditiert sind. Die Gesellschafter der DAkkS sind (a) Das Bundeswirtschaftsministerium, (b) der BDI und (c) die Länder. Ich meine, dass das BMAS ein weiterer Gesellschafter werden sollte, denn die DAkkS muss ja Audits nicht nur im Interesse der Wirtschaft überwachen.

Suche: https://www.google.de/search?q=”Franz+Buckenhofer”+Schwarzarbeit+Polizeii

Aufsichtsperson gibt
Versagen der Gewerbeaufsicht zu

Freitag, 26. Juni 2015 - 07:01

Die Gewerbeaufsicht ist mit der Prüfung des Einbezugs psychischer Überlastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe überfordert. Das wurde im Jahr 2012 im Bundestag festgestellt.

In einem deutschen Bundesland berichtet ein Unternehmen seinen Mitarbeitern ganz stolz, dass die Gewerbeaufsicht es bei der Umsetzung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes unter den Top 10 Unternehmen in dem Bundesland einordnet. Damit lobt die Gewerbeaufsicht dieses Landes ein ziemlich verspätetes Pilotprojekt, dem in dem betroffenen Betrieb nun erst Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung zur Beurteilung psychischer Belastungen folgen werden. Bisher gab es da nichts: Der Abschnitt der Gefährdungsbeurteilung, der psychische Belastungsen betrifft, blieb nämlich bis heute leer, mit dem Hinweis auf das laufende Projekt. Kritik für die Zeit von 1996 bis heute gibt es von der Gewerbeaufsicht nicht, obwohl in dem Betrieb bis heute kein mitbestimmtes Verfahren implementiert ist, mit dem die psychische Belastungen an allen Arbeitsplätzen erfasst und bewertet werden. Treiber war hier der Betriebsrat.

Deutsche Zustände: Eine überforderte Behörde lobt ein Unternehmen, in dem bis zum Jahr 2013 für mehrere tausend Mitarbeiter keine psychische Fehlbelastung so erfasst wurde, wie das Unternehmen es versprach: Es versprach nämlich, dass es selbst solche Vorfälle erfasst, die physische und mentale Erkrankungen nur hätten zur Folge haben können. Nach seiner eigenen Selbstverpflichtung bleibt die Schwere tatsächlicher oder möglicher Erkrankungen dabei unberücksichtigt. Aber nur etwa null Vorfälle wurden selbst seit dem Jahr 2008 erfasst, in dem Mitarbeiter erstmals Mängel im Arbeitsschutz des Unternehmens ansprachen. Die Gewerbeaufsicht berät den Arbeitgeber freundlich und respektvoll, aber beaufsichtigt ihn im Bereich der psychischen Belastungen weiterhin nicht. Im Jahr 2015 wird dann doch Handlungsbedarf für die Arbeitsplätze mehrerer Dutzend Mitarbeiter festgestellt.

Statt den Schutz der Arbeitnehmer zu sichern, schwächt die Gewerbeaufsicht mit ihrem Lob die Position jener Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber über viele Jahre hinweg den Schutz vor psychischen Fehlbelastungen verwehrte – und zwar insbesondere auch, weil die Gewerbaufsicht nicht ordentlich kontrolliert hatte. Das ist wohl das Problem der Gewerbeaufsicht: Wenn korrekt nachkontrollieren würde, dann würde das ihr bisheriges Versagen dokumentieren. Da lässt die Gewerbeaufsicht dann lieber die Arbeitnehmer im Stich.

Die eigentliche Nachricht aber ist, dass sich aus diesem Lob einer extrem verspäteten Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ergibt, dass auch heute noch fast alle der Unternehmen in diesem feinen Bundesland gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen, und zwar mit Wissen der netten Gewerbeaufsicht. Dieses Versagen der Gewerbeaufsicht gab nun eine Aufsichtsperson mit ihrem Lob zu.

Wie gesagt: Deutsche Zustände. Wir haben hübsche Gesetze, aber die behördliche Ausicht kritisiert es nicht in einer nachvollziehbaren Dokumentation, wenn das Arbeitsschutzgesetz nicht richtig umgesetzt wird. Der Arbeitgeber kann dann Kritik seiner Mitarbeiter mit dem Argument abwehren, dass die Gewerbeaufsicht keine Fehler festgestellt habe.

Wird die Aufsicht besser?

Mittwoch, 1. April 2015 - 07:10

Im Herbst 2014 wurden von der GDA die “Empfehlung zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung” veröffentlicht. Die GDA hat jetzt ihre Webesite überarbeitet.

Seit Anfang dieses Jahres sollen Betriebe die Möglichkeit haben, sich von speziell qualifizierten Aufsichtspersonen bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung der psychischen Belastungen unterstützen zu lassen. Ich bezweifele jedoch, dass es ausreichend viele Spezialisten sind. Allzu kritisch durften sie ja bisher nicht sein. Betriebe, die seit 1996 erst noch auf dem Weg sind, die Vorgaben des Arbeitsschutzes zu erfüllen, werden für ihre Anstrengungen sogar gelobt. (Bei kleinen Kindern wäre das eine akzeptable Mitivationstechnik.) Die noch bestehenden Mängel werden nicht dokumentiert, obwohl sie Ordnungswidrigkeiten sind. Mit ihrer freundlichen Zurückhaltung hilft die Gewerbeaufsicht den Betrieben, ihre Haftungsrisiken zu mindern.

Deutsche Zustände: In Deutschland durften Unternehmer weitgehend unbehindert gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Im Juli 2012 behauptete Ursula von der Leyen noch, dass es “strenge” Strafen gebe. Davon hatte aber kein Unternehmer etwas gespürt. In vielen europäischen Staaten müssen Arbeitgeber mit deutlich empfindlicheren Sanktionen rechnen, wenn sie der Pflicht der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz nicht nachgehen. So kam es, dass im Jahr 2012 immer noch 80% der Unternehmen ganz locker auf die von ihnen geforderte Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes im Bereich der psychischen Belastung verzichten konnten.

Leider gibt es auch Betriebsräte, die sich von dem Lob der Gewerbeaufsicht bei der Mängelbeseitigung selbst dann beeindrucken lassen, wenn es in ihrem Betrieb noch gar keinen Prozess für die Beurteilung psychischer Belastungen gibt. Fehlt die im Arbeitsschutz erforderliche Kompetenz, dann trauen sich Betriebsräte nicht, der Gewerbeaufsicht die Mängel im Betrieb darzustellen. Kein Wunder, wenn es Lob gibt. Wenn Betriebsräte dann noch an Besichtigungen durch die Gewerbeaufsicht mit teilnehmen und den Mund dabei nicht aufkriegen, kann der Arbeitgeber stolz darauf hinweisen, dass der Betriebsrat mit der Beurteilung durch die Gewerbeaufsicht einverstanden sei. So kann Mitbestimmung leider auch aussehen: Der Betriebsrat liefert das Alibi.

Gnädige DAkkS

Freitag, 21. November 2014 - 22:02

Die Deutsche Akkreditierungsstelle wird

  • zu einem Drittel vom Wirtschaftsministerium kontrolliert,
  • zu einem weiteren Drittel vom BDI und
  • zum letzten Drittel von den Bundesländern.

Dieses halbstaatliche Organ soll Zertifizierungsauditoren beaufsichtigen.

Wenn diese Zertifizierungsauditoren schlampig auditieren, stört das die DAkkS nicht besonders. Im Arbeitsschutz ließ es die Abteilung 6 der DAkkS zu, dass ein Unternehmen um viele Jahre verspätet von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 umstellte, ohne dass das als Abweichung vermerkt wurde. Es störte die DAkkS auch nicht, dass ein Mitarbeiter, der eine Fehlbelastungsmeldung einreichte, “irrtümlich” abgemahnt wurde. Der Zertifizierungsauditor des Arbeitsschutzmanagementsystems dieses gut vernetzten Unternehmens sagte dazu nichts und darf dessen Betriebe weiterhin unkritisch auditieren. Die DAkkS toleriert das.

Wie kann die DAkkS von sich aus feststellen, dass keine Abweichung vorgelegen habe, wenn die Umsetzung von OHSAS 18001 doch betriebsspezifisch ist und deswegen nur betriebsspezifisch geprüft werden kann, ob eine Abweichung vorliegt? Die DAkkS hat wohl noch nicht ganz verinnerlicht, dass hier die Vertreter der Belegschaft mitbestimmen, welche Bedeutung ein Auditfehler hat und ob er in einem konkreten Betrieb eine Abweichung ist.

In dem konkreten Betrieb wurde nämlich ausgerechnet der Teil des Arbeitschutzmanagement-Handbuchs nicht von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 umgestellt, der die Begriffsbestimmungen enthält, auf denen der Arbeitsschutz des so auditierten Unternehmens aufbaut. Das ganze Gebäude des Arbeitsschutzmanagements stand damit auf einem veralteten Fundament. Die Begriffsbestimmungen waren auch der einzige Abschnitt im Arbeitsschutzmanagement-Handbuch, auf den sich alle Unterprozesse des Arbeitsschutzes des konkreten Betriebes bezogen. Sie waren also ein ganz wichtiger teil des Handbuchs, dessen Fehler sich auf alle Unterprozesse der Arbeitsschutzmanagementsystems, die bezug zu diesen Begriffsdefinitionenn nahmen, auswirkte.

Es fehlte bis 2014 im Arbeitsschutzmanagement-Handbuch des betroffenen Unternehmens auch die Begriffsdefinition 3.8, die klar stellt, dass auch Vorfälle zu vermeiden sind, die zu psychischen Erkrankungen führen können. Bis heute hat das Unternehmen dafür keinen mitbestimmten regulären Gefährdungsbeurteilungsprozess in seinem Arbeitsschutzmanagementsystem.

Das alles stört die DAkkS nicht. Oder sie hat falsche Informationen. In der extrem verzögerten Umstellung von OHSAS 18001:1999 auf OHSAS 18001:2007 will sie jedenfalls keine Abweichung sehen. Und im Bericht zum Nachaudit, in dem das Zertifizierungsunternehmen ja eigentlich auch sich selbst auditierte, wurde nicht einmal deutlich, dass die DAkkS zumindest “Nachbesserungs- und Korrekturbedarf” gesehen hat.

So geht’s zu im Zertifizierungsgeschäft des deutschen Arbeitsschutzes.