Schlagwort 'Änderung des ArbSchG'

Bis 25000 Euro Bußgeld

Montag, 11. Januar 2016 - 14:42

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
Grundlagen, Vorgehensweisen, Erfahrungen

(Klaus Volk, Bayerische Gewerbeaufsicht, 2015-03-25)
(https://www.muenchen.ihk.de/de/standortpolitik/Anhaenge/gefaehrdungsbeurteilung_psychischer_belastungen_dr._volk.pdf)

 
Klarstellungen im Arbeitsschutzgesetz, 2013:

Änderung des Arbeitsschutzgesetzes
im Artikel 8 des BUK-Neuordnungsgesetzes (September 2013):

§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen Grundsätzen
auszugehen:
1. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.
(2) …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Die Änderung ist nur eine Klarstellung bereits seit 1997 geltenden Rechts.

 
Strafen:

Rechtliche Vorgaben für den Arbeitgeber verbindlich, bei Sanktionen Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld bis 25000 Euro!

Interessant wäre hier eine Statistik der tatsächlich verhängten Bußgelder für den Zeitraum von 1997 bis 2004 und von 2005 bis 2015. (Im Jahr 2004 beseitigte das BAG mögliche Zweifel an der Pflicht, psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen.)

Ist dieses Bußgeld ein Popanz? Schwächt die gute politische Vernetzung größerer Unternehmen mit der bayerischen Politik die Autorität der Gewerbeaufsicht? Die ja auch nicht allzu gut mit Ressourcen ausgestattete Gewerbeaufsicht in Bayern traut sich ja nicht einmal mehr zu schreiben, dass mit den Unternehmen bei Abweichungen Zielvereinbarungen getroffen werden.

Nach meinem Eindruck geht es in Bayern zu, wie in einem Kindergarten, in dem die Kleinen bei Fehlern sogar mit Lob motiviert werden, wenn sie nur versprechen, in Zukunft brav sein zu wollen. So werden auch Unternehmer mit kindgerechten Motivationstechniken gepriesen, wenn sie netterweise Maßnahmen ergreifen, mit denen sie sich endlich dazu herablassen, sich zu bemühen, psychische Belastungen vorschriftsmäßig in den Arbeitsschutz einzubeziehen.

Die Gewerbeaufsicht traut sich nicht, Rechtbruch zu dokumentieren, also dass Unternehmen unter den Augen der Gewerbeaufsicht über viele Jahre hinweg gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen hatten. Wenn das Betriebe sind, die sehr gerne komplexe Prozesse wie z.B. die Mitarbeiterbeurteilung beherrschen, dann muss sich die Gewerbeaufsicht doch fragen, ob in diesen Unternehmen die Einführung von Prozessen zur Beurteilung psychischer Belastungen vorsätzlich verschleppt wurde - und noch verschleppt wird.

 
Motivation:

Warum wird das Thema aufgegriffen?

Literatur: Esener Umfrage:

  • 90% der Befragten: Erfüllung gesetzlicher Vorgaben als Handlungsmotiv
  • 80% der Befragten: Druck der Aufsichtsbehörden

Warum waren seit spätestens 2005 weder die Gewerbeaufsichten noch die Berufsgenossenschaften die Initiatoren, die die Arbeitnehmer gebraucht hätten? Pech, wenn’s keinen (kompetenten) Betriebsrat oder keinen (kompetenten) Personalrat gibt.

Wie ist der Hinweis zu verstehen, dass mehrfach geäußert worden sei, dass es ja bereits Maßnahmen zur Gesundheitsförderung gebe? Erkennt Klaus Volk (ein Arzt der Gewerbeaufsicht) diese Ausweichstrategie vieler Unternehmen als einen Beitrag zum Arbeitsschutz an?

Die Links wurden nachträglich in die Zitate eingearbeitet.

Nachhilfe vom Gesetzgeber

Montag, 27. Juli 2015 - 06:39

BWRmed!a Personal und Arbeitsrecht aktuell hört mit seiner Desinformation in seiner Werbung für das E-Book »Gefährdungsbeurteilung leicht gemacht« nicht auf:

[...] “Gefährdungsbeurteilungen für psychische Belastungen am Arbeitsplatz” – jetzt vom Gesetzgeber gefordert. [...]

Was soll das? Der Gesetzgeber fordert das nicht erst “jetzt”, sondern schon seit vielen Jahren. Weil ein Großteil der Unternehmen das ignorierte, half der Gesetzgeber nur mit einer Klarstellung nach.

Es gibt außerdem schon genug gute Handlungshilfen für Unternehmen.

Geltendes Recht klargestellt

Donnerstag, 7. Mai 2015 - 06:28

Es gibt Unternehmen, die in Mitteilungen an ihre Mitarbeiter den Eindruck erwecken, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz im Arbeitsschutzgesetz erst seit kurzem vorgeschrieben sei. Das ist Desinformation.

Kern der Gesetzesänderung war nur eine Klarstellung bereits geltenden Rechts: Arbeitgeber haben psychische Belastungen bereits seit dem Jahr 1996 in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Die Analyse der psychischen Belastungen hatte schon immer ein Bestandteil einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung zu sein, wie z. B. ein Blick in die BGI/GUV-I 8700 aus dem Jahr 2009 zeigt (Kap. 3.10).

Auch die behördliche Aufsicht hat zumindest gewusst (wenn auch kaum umgesetzt), was von ihr erwartet wird: Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI) erstellte zur Nutzung durch die behördliche Aufsicht die folgenden Veröffentlichungen:

  • LV 28 (2002) Konzept zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und zu Möglichkeiten der Prävention
  • LV 31 (2003) Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und Möglichkeiten der Prävention – Handlungsanleitung für die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder
  • LV 52 (2009) Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder

Man sieht: Der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz hätte schon seit vielen Jahren von der behördlichen Aufsicht überprüft werden müssen.

Die Aufsicht ist aber noch heute so geschwächt, dass sie nicht glaubwürdig überprüfen kann, ob in den Betrieben psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbezogen werden. Als Referenz für Compliance ist sie damit eigentlich irrelevant. Das Aufsichtssystem hat hier schlicht versagt. Im Jahr 2012 konnte das nun nicht mehr ignoriert werden: Das Thema kam in den Bundestag (Bundestagsdrucksache 17-10229). Es wurde damals festgestellt, dass in etwa 80% der Betriebe in Deutschland psychische Belastungen nicht in der vorgeschriebenen Weise beurteilt wurden.

Das hier gegen bereits vor der Gesetzesänderung geltendes Recht verstoßen wurde, wird sogar von den Arbeitgebern bestätigt. Die Arbeitgebervereinigung BDA schrieb am 30.8.2013: „Gesundheit ist nicht teilbar, körperliche und seelische Gesundheit hängen zusammen und bedingen einander. … Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor ‘psychische Belastungen bei der Arbeit’ ergänzt werden“

Aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Absatz „Ganzheitlicher Arbeitsschutz“: „in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen“

Im Januar 2013 stellte der Bundesrat klar: „Durch zwei Änderungen im Arbeitsschutzgesetz soll klargestellt werden, dass sich die Gefährdungsbeurteilung auch auf psychische Belastungen bei der Arbeit bezieht und der Gesundheitsbegriff neben der physischen auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten umfasst.“

Auf meine Petition 1902 (18.1.2009) „Betrieblicher Arbeitsschutz – Psychische Belastungen“ antwortete mir der Petitionsausschuss: „Der Petitionsausschuss hat zu der Eingabe eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingeholt. Darin führt das BMAS im Wesentlichen aus, dass es die Auffassung des Petenten teile, dass das Thema Psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes sei.“

Österreich änderte sein Arbeitnehmerschutzgesetz übrigens etwas früher als Deutschland. Auch dort wurde nur bereits geltendes Recht klargestellt: Der Standard schrieb am 20. September 2013: „Unternehmen müssen das [Evaluation psychischer Belastungen im Job] eigentlich schon seit dem Jahr 1995 machen, das ist EU-Recht, allerdings geschah das in der Praxis zu selten. Das Gesetz ist davon ausgegangen, dass die gesamte Arbeitssituation zu evaluieren ist. Nachdem das allerdings im Bereich der psychischen Belastungen kaum passiert ist, bietet es eigentlich nur eine Verdeutlichung, dass die Begriffe physische und psychische Belastungen jetzt vorkommen.“

Und in der Regierungsvorlage zur Änderung des österreichischen Arbeitnehmerschutzgesetzes steht : „Bei den Änderungen in § 2 Abs. 7 und 7a handelt es sich um bloße Klarstellungen, bereits nach geltender Rechtslage sind die dort angeführten Begrifflichkeiten so zu verstehen.“

CDU-Anfrage zur psychischen Belastung

Samstag, 7. März 2015 - 12:02

Nichts gegen den Einsatz von Oppositionsparteien für das Thema der psychischen Belastungen. Ich stelle mir aber oft die Frage, ob sie sich für das Thema genauso einsetzen würden, wenn sie Regierungspartei sind. Ich habe in diesem Blog schon ein Beispiel mit der FDP als Oppositionspartei in Berlin gegeben. Aus dem letzen Jahr nun stammt folgendes Beispiel der CDU in Baden-Württemberg. (Der CSU-Regierung in Bayern zum Beispiel müsste man diese Fragen auch stellen. Da hat die Gewerbeaufsicht weder Zeit noch Mut, die Beurteilung psychischer Belastungen in den Betrieben kritisch zu überprüfen.)

Noch ein Hinweis. Auch hier wieder begeht der Anfrager den Fehler, von einer “Erweiterung” des Arbeitsschutzgesetzes im Jahr 2014 zu sprechen. Tatsächlich wurde aber nur geltendes Recht klarer formuliert.

Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 5386
15. Wahlperiode 27. 06. 2014

Kleine Anfrage des Abg. Stefan Teufel CDU
und Antwort
des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Senioren

Arbeitsschutz unter dem Aspekt psychischer Belastungen

Kleine Anfrage
Ich frage die Landesregierung:

  1. Wie beurteilt sie aus ihrer Sicht das seit Januar 2014 geltende Bundesgesetz zu Erweiterung des Arbeitsschutzes insbesondere im Hinblick auf die festgeschriebene Dokumentation psychischer Belastung bei Arbeitnehmern?
  2. Wie schneidet Baden-Württemberg im Vergleich zu anderen Bundesländer beim Thema Stress- und Burnout-Problematik ab?
  3. Weshalb wurden die Arbeitgeber in Baden-Württemberg im Gegensatz zu jenen in anderen Bundesländern seitens der Gewerbeaufsicht noch nicht über die Änderungen im Gesetz ausführlich informiert?
  4. Worauf führt sie die in Frage 3 angesprochene Tatsache zurück?
  5. Erhält die Gewerbeaufsicht seitens des Ministeriums personelle Unterstützung bei der Umsetzung der Novellierung?
  6. Um wie viele Betriebe muss sich ein Mitarbeiter in der Gewerbeaufsicht aktuell kümmern?
  7. Gibt es aktuelle Zahlen, die belegen, wie viele Unternehmen sich tatsächlich um die psychische Belastung ihrer Mitarbeiter kümmern?
  8. Hat das Ministerium selbst eine psychische Gefährdungsbeurteilung – wie vorgeschrieben – für seine Mitarbeiter umgesetzt?
  9. Gibt es – wie in anderen Bundesländern – eine landesweite Initiative zum Thema „Psychische Belastung des Pflegepersonals“ und wenn nicht, ist diese angedacht?

26. 06. 2014
Teufel CDU

Kompletter Text: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2015/03/15_5386_D.pdf

LASI-Veröffentlichungen als Grundlage für eine “Anti-Stress-Verordnung”

Samstag, 4. Oktober 2014 - 12:14

Im Infodienst “direkt” (Nr. 12, 2014-10-04) der IG Metall Berichtete die IGM ihren Mitgliedern über eine Zwischenbilanz der Anti-Stress-Initiative.

[...] Es ging um Details, doch sie sind entscheidend. Der Bundestag ergänzte 2013 das Arbeitsschutzgesetz: Ziel des Arbeitsschutzes ist nicht nur, Gefährdungen der physischen, sondern auch der psychischen Gesundheit zu vermeiden. Damit ist gesetzlich klargestellt, dass auch psychische Belastungen bei der Arbeit in den Gefährdungskatalog des Arbeitsschutzgesetzes gehören. Aus Sicht der IG Metall ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Arbeitsschutzgesetz, das den Belastungen der modernen Arbeitswelt entspricht. [...] Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes geht maßgeblich auf die Anti-Stress-Initiative der IG Metall zurück. [...]

Die IGM sollte beim Vorentreiben ihrer “Anti-Stress-Initiative” und der “Anti-Stress-Verordnung” darauf achten, dass nicht der Eindruck aufkommt, dass die Arbeitgeber vor der Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur zur Verminderung der Gefährdung der physischen Gesundheit verpflichtet gewesen wären. Die Ergänzung des Arbeitsschutzgesetzes war eine Klarstellung bereits geltenden Rechts, gegen das der Großteil der Unternehmen verstoßen hatte.

Aus meiner Sicht brauchen wir eine “Anti-Stress-Verordnung”, aber der Name ist eigentlich falsch. Stress ist nicht notwendigerweise schädlich. Wie so oft, geht es auch hier um das richtige Maß. Beistpielsweise ist zu wenig Stress auch schädlich. (Wir nennen das “Langweile”.) Die Ursachen in der mangehaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes im Bereich der psychischen Belastungen liegen nicht im Fehlen von Grenzwerten für psychische Belastungen, die vielleicht auch nicht sinnvoll festlegbar sind. Das Problem liegt vielmehr in mangelhaften Arbeitsschutzprozessen, schlechter Mitbestimmungspraxis und fehlender Kompetenz im Bereich der psychischen Belastungen.

Wir brauchen eine Durchführungsverordnung, z.B. eine Verordnung zur Durchführung des Arbeitsschutzgesetzes und der entsprechenden behördlichen Kontrolle im Bereich der psychischen Belastungen. Hier gibt es doch schon seit 2003 gute Veröffentlichungen des LASI (speziell LV 31, LV 52 und auch LV 54). Da braucht man doch nicht so zu tun, als ob erst noch viel geforscht werden müsse, um psychische Fehlbelastungen mit vernünftigen Prozessen mindern zu können. Es würde eigentlich schon reichen, aus den LASI-Veröffentlichungen eine Verordnung zu machen, in der insbesondere Arbeitsschutzprozesse, die Rollen der Arbeitsschutzakteure und Sanktionsmöglichkeiten konkretisiert werden. Das ist der Gewerkschaft und der Politik aber vielleicht schon zu kompliziert.

Verbesserungen sind insbesondere im Bereich der behördlichen Aufsicht und der Mitbestimmung nötig. In beiden Bereichen gibt es immer noch noch enorme Wissenslücken alleine schon bei der Beobachtung psychischer Belastungen. Sowohl die behördliche Aufsicht wie auch Betriebsräte fühlen sich selbst nicht sicher genug, kritisch auditieren zu können. Das ist einer der Gründe dafür, dass Abweichungen von den Regeln des Arbeitsschutzes in der Vergangenheit von der Mehrheit der Arbeitgeber nicht ordentlich erfasst und dokumentiert wurden. Das Hauptziel der Arbeitgeber ist Rechtssicherheit, Haftungsvermeidung und zunehmend “Employer-Branding”, darum möchten sie wohl keine Probleme im Bereich der psychischen Belastungen dokumentiert sehen, die auch immer eine Darstellung von Führungsproblemen sind. Wichtig ist ihnen auch, Kosten niedrig zu halten. Der Aufwand schon zu einer ernsthaften Erfassung und Beurteilung psychischer Gefährdungen ist nicht zu unterschätzen. Das wissen die Arbeitgeber.

Sie reagieren darauf auch mit dem Aufbau eines werbewirksamen “Gesundheitsmanagements”, in dem wieder vorwiegend die Arbeitnehmer für ihre Gesundheit verantwortlich gemacht werden. Außerdem lassen international tätige Unternehmen ihre Arbeitsschutzmanagementsysteme von privatwirtschaftlich organisierten Dienstleistern zertifizieren. Darum herum hat sich ein Zertifizierungsgeschäft entwickelt, in dem bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierten Zertifizierer die von Ihnen auditierten Betriebe so freundlich behandeln, dass sie auch weiterhin im Geschäft mit diesen Kunden bleiben. Die internen Audits in den Betrieben werden oft ohne Betriebsrat durchgeführt, wobei sich entgegen der Forderung der ISO 19011 die Auditoren und die auditierten Abteilungen oft sehr nahe stehen. Die behördliche Aufsicht ist so überfordert, dass sie erleichtert ist, wenn ihr ein Betrieb ein Zertifikat (z.B. OHSAS 18001) vorlegt. Vielleicht wissen die Aufsichtspersonen sogar, was für eine Farce das Zertifizierungsgeschäft sein kann, aber formal verlassen sie sich gerne unkritisch auf ein zertifiziertes Arbeitsschutzmanagementsystem. Zur einer ernsthaften behördlichen Systemkontrolle kommt es nur selten.

Leider lassen sich auch die Arbeitnehmervertreter bei Kritik am Arbeitsschutz zu schnell mit dem Hinweis des Arbeitgebers z.B. auf ein Zertifikat nach OHSAS 18001 einschüchtern. Ich kenne leider nur einen Fall, in dem ein Betriebsrat durch solch einen hinweis erst auf das Zertifikat aufmerksam wurde. Anstelle sich davon beeindrucken zu lassen, entdeckte er Abweichungen vom Standard und und konnte sogar eine Auditüberprüfung veranlassen. Kompetenz beim Arbeitsschutzmanagement lohnt sich für Betriebsräte.

Eine “Anti-Stress-Verordnung” wäre besonders dann hilfreich, wenn sie die Aufsicht und die Audits verbessert. Handlungshilfen gibt es dazu schon seit vielen Jahren. Die Gewerbeaufsichten und Arbeitgeber hatten sich lange genug vor der Umsetzung vorhandenen Wissens drücken können, da braucht man heute nichts mehr für die Forschung auf die lange Bank zu schieben. Neben den LASI-Veröffentlichungen kann man bei der Verbesserung der Mitbestimmung im Arbeitsschutz übrigens auch noch ein bisschen über den deutschen Zaun gucken und von der niederländischen SCCM lernen. Ich wiederhole diesen Hinweis gerne noch öfter.

Der TÜV desinformiert

Montag, 22. September 2014 - 03:03

http://www.tuev-nord.de/de/pressemitteilungen-575-psychische-belastung-lkw-fahrer-risiko-im-strassenverkehr-111689.htm (2014-09-17)

Psychische Belastung der Lkw-Fahrer wird zum Risiko im Straßenverkehr

[...] Durch die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes vom 25. Oktober 2013 sind jetzt auch psychische Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen. Die Arbeitgeber sind somit verpflichtet, sich mit den psychischen Belastungen der Berufskraftfahrer zu beschäftigen und, falls erforderlich, Maßnahmen zu ergreifen, diese zu reduzieren. [...]

In einer Organisation wie dem TÜV muss bekannt sein, dass die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur eine Klarstellung bereits geltenden Rechts war. Mit welcher Absicht verbreitet sogar der TÜV die falsche Meldung, dass Arbeitgeber erst jetzt psychische Belastungen bei der Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen haben?

Auch scheinen die Leute beim TÜV immer noch nicht begriffen zu haben, dass nicht psychische Belastungen zu reduzieren sind (dann gäbe es nämlich überhaupt gar keine Arbeit), sondern es geht um die Vermeidung von Fehlbelastungen!

Außerdem ist die psychische Belastung der LKW-Fahrer nicht erst kürzlich ein Risiko im Straßenverkehr geworden. Die kriminelle Energie vieler Arbeitgeber im Bereich des Arbeitsschutzes ist in dieser Branche bekanntlich schon seit vielen Jahren besonders hoch.

Unterschiedliche Interessenlagen

Mittwoch, 3. September 2014 - 16:53

ver.di-Online-Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung (http://www.verdi-gefaehrdungsbeurteilung.de/page_pdf.php, 2014-09-03)

[...] Die Gesetzeslage ist bezüglich der psychisch wirkenden Gefährdungen ist seit 1996 eindeutig: Das Arbeitsschutzgesetz verlangte von Anfang an, auch jene Gefährdungen zu erfassen und zu beseitigen, die sich z. B. “aus Arbeitsabläufen und Arbeitszeit und deren Zusammenwirken” oder aus “unzureichende[r] Qualifikation” ergeben (vgl. ArbSchG, § 5). Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes im Oktober 2013 hat also lediglich betonend hinzugefügt, dass auch “psychische Belastungen” (ArbSchG § 5, 3, 6) zu den Gefährdungsfaktoren, also den möglichen Quellen für Gefährdungen gehören.

Allerdings haben sich die betrieblichen Akteure des Arbeitsschutzes bisher eher schwer damit getan, Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen, die auch psychisch wirkende Gefährdungen erfassen, und darauf aufbauend geeignete Arbeitsschutz-Maßnahmen dagegen zu entwickeln und durchzuführen. Neben unterschiedlichen Interessenlagen sind es vor allem Missverständnisse und Unklarheiten, die dazu führen, dass das Thema nicht oder nur zaghaft angepackt wird. [...]

Nach meinem Eindruck lag es insbesondere an den unterschiedlichen Interessenlagen: Im Gegensatz zum “technischen” Arbeitsschutz greift der heutige Arbeitsschutz viel tiefer in Führungsstrukturen ein. Es geht an’s Eingemachte.

Auch die Ärztezeitung kann sich mal irren

Sonntag, 24. August 2014 - 14:58

http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/praevention/article/866798/arbeitsplatz-stress-risiken-oft-nicht-ernst-genommen.html (2014-08-19)

[...] Der Gesetzgeber hat reagiert und das Arbeitsschutzgesetz erweitert: Seit Ende 2013 sind Arbeitgeber gehalten, im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz auch psychische Belastungen zu erfassen. [...]

Das ist wieder einmal eine Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur eine Klarstellung bereits geltenden Rechts war. Arbeitsbedingte psychische Belastungen nicht in einer Gefährdungsbelastung zu erfassen, ist im Prinzip schon seit 1996 mindestens eine Ordnungswidrigkeit, die allerdings durch die Überforderung der behördlichen Aufsicht jahrelang toleriert wurde.

Praxisleitfaden der Arbeitgeber: Psychische Belastung in der Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 7. März 2014 - 07:56

Aktualisierung eines Beitrages vom 30. September 2013

http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/res/BDA-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf/$file/BDA-Gefaehrdungsbeurteilung.pdf (2013-08, 21 Seiten)

Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz
Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung
Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber
[...]

D. Gefährdungsbeurteilung und freiwillige betriebliche Gesundheitsförderung
Bei der Diskussion um psychische Belastung werden vielfach die sehr unterschiedlichen Handlungsfelder Gefährdungsbeurteilung und betriebliche Gesundheitsförderung vermischt. Während es sich bei der Gefährdungsbeurteilung um eine gesetzliche Aufgabe nach dem ArbSchG handelt, sind Aktivitäten in der Gesundheitsförderung ein freiwilliges Angebot des Arbeitgebers. Eine Trennung beider Bereiche im Unternehmen ist daher sinnvoll. [...]


E. Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung
Gesundheit ist nicht teilbar, körperliche und seelische Gesundheit hängen zusammen und bedingen einander. Deshalb gibt es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wie sie gelegentlich in Unternehmen gefordert wird. Vielmehr gilt, dass der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung auch zu prüfen hat, ob eine Gefährdung durch psychische Belastung besteht.
        Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor „psychische Belastungen bei der Arbeit“ ergänzt werden. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 27. Juni 2013 verabschiedet. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz wird voraussichtlich Ende September 2013 den Bundesrat passieren.
        Durch die Formulierung „bei der Arbeit“ wird – so die Begründung des Gesetzentwurfs – deutlich gemacht, dass die Klarstellung nicht bezweckt, den Gesundheitszustand der Beschäftigten generell im Hinblick auf alle Lebensumstände zu verbessern. Die Schutzmaßnahmen betreffen ausschließlich Gefährdungen für die physische oder die psychische Gesundheit der Beschäftigten durch die Arbeit. Andere Beeinträchtigungen liegen außerhalb des Schutzzwecks des ArbSchG und können daher nur Gegenstand freiwilliger Maßnahmen des Arbeitgebers sein. [...]

H. Mitbestimmung
Existiert im Unternehmen ein Betriebsrat, steht ihm bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zu. [...]

“Deshalb gibt es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, wie sie gelegentlich in Unternehmen gefordert wird. Vielmehr gilt, dass der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung auch zu prüfen hat, ob eine Gefährdung durch psychische Belastung besteht.” Was bedeutet das?

Richtig ist, dass psychische Belastungen eine Belastungsart unter vielen anderen Belastungen sind, die die Gesundheit beeinträchtigen könnten. Allerdings werden mit den anstehenden Änderungen im Arbeitsschutzgesetz physische und psychische Belastungen nun getrennt benannt. Und wenn im Arbeitsschutzsystem eines Betriebes Gefährdungsbereiche explizit benannt werden, dann wäre es etwas erstaunlich, wenn der Bereich der psychischen Belastungen fehlt.

  • Richtig ist auch, dass es keine Pflicht zu einer gesonderten Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung gibt.
  • Aber es gibt keinen Grund, psychische Belastungen gegenüber anderen Belastungen gesondert zu vernachlässigen.

Die BDA verschweigt in ihrem ansonsten sehr gut gemachten Leitfaden den Grund für die “gelegentlichen” Forderungen in den Unternehmen: In Betrieben, in denen es einerseits Gefährdungsbeurteilungen für verschiedene Gefährdungskategorien gibt, aber andererseits die Gefährdungskategorie der psychischen Belastungen fehlt, fordern Betriebsräte konsequenterweise, dass es für psychische Belastungen genau so eine gesonderte Beurteilung gibt, wie für die anderen Belastungskategorien. Gerade wenn ein Betrieb einen guten Arbeitsschutz mit verschiedenen Prozessen für die verschiedenen körperlichen Belastungen hat, fällt nämlich gemessen an den eigenen Maßstäben des Arbeitgebers ein Fehlen der Kategorie ausgerechnet der psychischen Belastungen besonders auf, und zwar mindestens als Ordnungswidrigkeit.

Es gab leider Gewerbeaufsichten und Zertifizierungsunternehmen, die das Fehlen eines Prozesses für die Beurteilung psychischer Belastungen neben den vorhandenen anderen Prozessen wiederholt übersahen und Betrieben trotz dieses auffälligen Mangels sogar noch gute Bewertungen gaben. Sie ließen damit besonders in Betrieben mit vielen Bildschirmarbeitsplätzen eine klare Ordnungswidrigkeit zu. Diesen Systemfehler im Aufsichtswesen gibt es seit vielen Jahren. Das ging so weit, dass Arbeitnehmer, die auf diesen Missstand hinwiesen, unter den Augen der Gewerbeaufsicht und der Zertifizierer Nachteile erleiden konnten. Solch eine Aufsicht schützte die Arbeitgeber und nicht die Arbeitnehmer. Und wo jetzt der Mangel auf Betreiben vor allem der Arbeitnehmervertretung behoben wird, interessieren sich die Gewerbeaufsicht und die Zertifizierer nicht dafür, ob der Mangel in der Vergangenheit Mitarbeitern Schaden zugefügt hat. Diese Auditoren müssten dann ja selbst Fehler in der Vergangenheit zugeben.

 
Bedeutung der Arbeitnehmerertretungen

Mit Blick auf die Geschichte der Positionen der BDA ist der Praxisleitfaden der BDA und ihres Instituts (ifaa) aber nun ein deutlicher Fortschritt. Betriebs- und Personalräte sollten sich diesen hilfreichen Leitfaden genau ansehen. Hier verdient die Arbeitgebervereinigung ein Kompliment. Der Abschnitt H zur Mitbestimmung wird Arbeitnehmervertreter besonders interessieren. Er zeigt deutlich, wie wichtig ein Betriebsrat bzw. ein Personalrat ist.

Was machen Arbeitnehmer, wenn es keinen Betriebs- oder Personalrat gibt? Mitbestimmung im Arbeitsschutz kann sogar ein Grund für Betriebsratsgründungen sein. Psychische Fehlbelastungen waren beispielsweise beim Apple Store in München der Auslöser für die Einrichtung eines Betriebsrates im bis dahin in Deutschland “betriebsratsfreien” Konzern.

Das Arbeitsschutzgesetz gibt übrigens von § 15 bis § 17 allen “Beschäftigten” Rechte und Pflichten. Diese Rechte und Pflichten bestehen auch ohne dass ein Betriebsrat existiert, sind aber ohne Betriebsrat in der Praxis natürlich schwerer umzusetzen. Das gilt auch für den § 3:

[Der Arbeitgeber hat] Vorkehrungen zu treffen, daß die Maßnahmen erforderlichenfalls bei allen Tätigkeiten und eingebunden in die betrieblichen Führungsstrukturen beachtet werden und die Beschäftigten ihren Mitwirkungspflichten nachkommen können.

Ohne einen Betriebs- oder Personalrat kann schon die Feststellung der Erforderlichkeit zu einem Problem für die Arbeitnehmer werden.

 
Gesundheitsförderung als freiwillige Leistungen des Arbeitgebers

Zum Schluss muss noch ein Irrtum korrigiert werden, der sowohl Arbeitgebern wie auch Arbeitnehmervertretern immer wieder gerne unterläuft (Tabelle auf S. 7):

Betriebliche Gesundheitsförderung [...] ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers und daher nicht mitbestimmungspflichtig.

Das ist falsch.

Richtig und logisch zwingend ist nur, dass ein Betriebsrat freiwillige Maßnahmen nicht erzwingen kann, sonst wären sie ja nicht freiwillig. Werden sie jedoch in den Bereichen umgesetzt, die insbesondere in den §§ 87 und 89 BetrVG definiert sind, dann gelten die Mitbestimmungsrechte und Mitbestimmungspflichten des Betriebsrates. Der Betriebsrat kann sich z.B. mit Wohltaten wie Fitness-Trainings oder Psycho-Workshops befassen, wenn sie z.B. als Maßnahmen des Arbeitsschutzes dargestellt werden und/oder wenn damit auch die körperliche oder mentale Leistungsfähigkeit von einzelnen Mitarbeitern erfasst werden soll. Und wo die betriebliche Gesundheitsförderung Schnittmengen mit dem Arbeitsschutz hat, muss der Betriebsrat ebenfalls nach § 89 BetrVG mitbestimmen.

Freiwillige Leistungen, die den Arbeits- und Gesundheitsschutz betreffen, sind zwar nicht erzwingbar, aber trotz Freiwilligkeit mitbestimmungspflichtig. Das gilt für alle Maßnahmen, die der Arbeitgeber der behördlichen Aufsicht als Beitrag zum Arbeits- und Gesundheitsschutz darstellt.

Wer meint, dass die freiwillige Teilahme an einem Spiel berechtigt, die Spielregeln missachten zu können, ist noch nicht so richtig erwachsen.

Klarstellende Änderung

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 10:13

http://www.depressionsliga.de/aktuelles-beitrag/items/ddl-begruesst-integration-der-psychischen-belastungen-in-die-gefaehrdungsbeurteilung-des-arbeitsschutzgesetzes-557.html

[...] Im vergangenen Jahr hat der Bundestag durch zwei klarstellende Änderungen im Arbeitsschutzgesetz psychischen Belastungen einen höheren Stellenwert eingeräumt. [...]

So ist es. Besser kann man’s kaum noch klarstellen.