Schlagwort 'Ordnungswidrigkeit'

Bis 25000 Euro Bußgeld

Montag, 11. Januar 2016 - 14:42

Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
Grundlagen, Vorgehensweisen, Erfahrungen

(Klaus Volk, Bayerische Gewerbeaufsicht, 2015-03-25)
(https://www.muenchen.ihk.de/de/standortpolitik/Anhaenge/gefaehrdungsbeurteilung_psychischer_belastungen_dr._volk.pdf)

 
Klarstellungen im Arbeitsschutzgesetz, 2013:

Änderung des Arbeitsschutzgesetzes
im Artikel 8 des BUK-Neuordnungsgesetzes (September 2013):

§ 4 Allgemeine Grundsätze
Der Arbeitgeber hat bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes von folgenden allgemeinen Grundsätzen
auszugehen:
1. Die Arbeit ist so zu gestalten, dass eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;

§ 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen
(1) Der Arbeitgeber hat durch eine Beurteilung der für die Beschäftigten mit ihrer Arbeit verbundenen Gefährdung zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind.
(2) …
(3) Eine Gefährdung kann sich insbesondere ergeben durch

6. psychische Belastungen bei der Arbeit.

Die Änderung ist nur eine Klarstellung bereits seit 1997 geltenden Rechts.

 
Strafen:

Rechtliche Vorgaben für den Arbeitgeber verbindlich, bei Sanktionen Ordnungswidrigkeit mit Bußgeld bis 25000 Euro!

Interessant wäre hier eine Statistik der tatsächlich verhängten Bußgelder für den Zeitraum von 1997 bis 2004 und von 2005 bis 2015. (Im Jahr 2004 beseitigte das BAG mögliche Zweifel an der Pflicht, psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen.)

Ist dieses Bußgeld ein Popanz? Schwächt die gute politische Vernetzung größerer Unternehmen mit der bayerischen Politik die Autorität der Gewerbeaufsicht? Die ja auch nicht allzu gut mit Ressourcen ausgestattete Gewerbeaufsicht in Bayern traut sich ja nicht einmal mehr zu schreiben, dass mit den Unternehmen bei Abweichungen Zielvereinbarungen getroffen werden.

Nach meinem Eindruck geht es in Bayern zu, wie in einem Kindergarten, in dem die Kleinen bei Fehlern sogar mit Lob motiviert werden, wenn sie nur versprechen, in Zukunft brav sein zu wollen. So werden auch Unternehmer mit kindgerechten Motivationstechniken gepriesen, wenn sie netterweise Maßnahmen ergreifen, mit denen sie sich endlich dazu herablassen, sich zu bemühen, psychische Belastungen vorschriftsmäßig in den Arbeitsschutz einzubeziehen.

Die Gewerbeaufsicht traut sich nicht, Rechtbruch zu dokumentieren, also dass Unternehmen unter den Augen der Gewerbeaufsicht über viele Jahre hinweg gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen hatten. Wenn das Betriebe sind, die sehr gerne komplexe Prozesse wie z.B. die Mitarbeiterbeurteilung beherrschen, dann muss sich die Gewerbeaufsicht doch fragen, ob in diesen Unternehmen die Einführung von Prozessen zur Beurteilung psychischer Belastungen vorsätzlich verschleppt wurde - und noch verschleppt wird.

 
Motivation:

Warum wird das Thema aufgegriffen?

Literatur: Esener Umfrage:

  • 90% der Befragten: Erfüllung gesetzlicher Vorgaben als Handlungsmotiv
  • 80% der Befragten: Druck der Aufsichtsbehörden

Warum waren seit spätestens 2005 weder die Gewerbeaufsichten noch die Berufsgenossenschaften die Initiatoren, die die Arbeitnehmer gebraucht hätten? Pech, wenn’s keinen (kompetenten) Betriebsrat oder keinen (kompetenten) Personalrat gibt.

Wie ist der Hinweis zu verstehen, dass mehrfach geäußert worden sei, dass es ja bereits Maßnahmen zur Gesundheitsförderung gebe? Erkennt Klaus Volk (ein Arzt der Gewerbeaufsicht) diese Ausweichstrategie vieler Unternehmen als einen Beitrag zum Arbeitsschutz an?

Die Links wurden nachträglich in die Zitate eingearbeitet.

Von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat

Freitag, 3. August 2012 - 21:11

Fehlt der Einbezug psychischer Belastungen in die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung, so ist das mindestens eine Ordnungswidrigkeit. Wird dieser Mangel vorsätzlich aufrecht erhalten, kann das eine Straftat sein.

Nachdem das Thema jetzt mehr Aufmerksamkeit gewonnen hat, werden die Unternehmen verstärkt auf Rechtssicherheit achten. Besonders dort, wo die Betriebsräte überfordert sind, könnte existierende technische Gefährdungsbeurteilungen schnell einfach mal um ein paar Zeilen erweitert werden, und schon kann der Gewerbeaufsicht, der Berufsgenossenschaft, den Zertifikatoren (OHSAS 18001), den Auditoren und dem eigenen nur an Formalien interessierten Top-Management (OHSAS 18001, Absatz 7.6) gezeigt werden, dass psychische Belastungen ordnungsgemäß beurteilt werden, auch wenn es keinen ausreichenden Prozess und keine Betriebsvereinbarung für die Gefährdungsbeurteilung gibt. So einfach geht das.

Wenn aber bei der Gefährdungsbeurteilung, bei der Maßnahmenfestlegung, bei der Maßnahmenumsetzung, bei der Wirksamkeitskontrolle, bei den Unterweisungen, bei der Dokumentation, bei der Qualifikation der Akteure im Arbeitsschutz und und beim Aufbau des Arbeitsschutzsystems nicht ordentlich mitbestimmt wurde, dann ist die Behinderung der Mitbestimmung keine Ordnungswidrigkeit mehr, sondern schon eine Straftat.

Es hift auch nichts, wenn bei Audits, bei Begehungen usw. Betriebsratsmitglieder dabei sind, aber keine Ahnung vom ganzheitlichen Arbeitsschutz haben und/oder Konflikte scheuen. Im Gegenteil, überforderte Betriebsratsmitglieder machen es nur noch schlimmer. Sie helfen den schwarzen Schafen unter den Arbeitgebern, Mitwirkung (OHSAS 18001, Absatz 4.4.3.2) der im Betrieb Beschäftigten und Mitbestimmung (BetrVG) durch die Arbeitnehmer vorzugaukeln.

Wie ein Betriebsrat die Mitarbeiter entrechten kann

Montag, 25. Juni 2012 - 23:44

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für das Thema der psychischen Belastung werden zunehmend mehr Unternehmen in diesem Bereich vor Allem Rechtssicherheit anstreben. Arbeitnehmervertreter müssen hier besonders gut aufpassen, dass sie dabei nicht in Projekten das Gesundheits- und Arbeitsschutzes unfreiwillig instrumentalisiert werden.

 
Das Ziel: Die Verbesserung der Rechtssicherheit des Arbeitgebers ist ein legitimes Ziel von erfolgreich abzuschließenden Projekten zur Einführung der Kategorie der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz. Erst mit dem wirksamen Einbezug dieser Belastungskategorie wird aus dem Arbeitsschutz der vorgeschriebene ganzheitliche Arbeitsschutz. Dazu muss vor Projektbeginn klar sein, wie der Erfolg des Projektes gemessen wird.

Der Start: Werden die Regeln des Arbeitsschutzes zu Beginn des Projektes noch nicht vollständig eingehalten, dann sollte das in der Betriebsvereinbarung, die solche Projekte regelt, ebenfalls dokumentiert sein. Das Projekt selbst ist nicht notwendigerweise schon eine Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber darf erst dann die von ihm angestrebte Rechtssicherheit bekommen, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde.

 
Tatsächlich müssen Unternehmen eine mangelhafte Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen nicht sehr fürchten. Zunächst ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Es muss schon viel passieren, bis die Kriterien für eine Straftat erfüllt sind. Worum es den Unternehmen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz natürlich auch geht, ist die Beschränkung ihres Haftungsrisikos. Es ist darum auch eine Aufgabe der Arbeitnehmervertretung, sicherzustellen, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter krank machen, im Einzelfall zur Verantwortung gezogen werden können. Dazu muss der Grad der Einhaltung der Atrbeitsschutzbestimmungen auch dann geklärt werden, wenn das zu Konflikten führt. Oder umgekehrt: Wenn schon die Beschreibung der Vergangenheit und der Ausgangssituation eines Projektes zu Konflikten führt, dann stellt das auch ein gemeinsames und vertrauensvolles Erreichen des Ziels in Frage.

Warum ist die Beurteilung und Dokumentation des Grades der Einhaltung von Bestimmungen zur Vermeidung psychischer Fehlbelastungen immer wieder wichtig? Psychisch Erkrankte werden so gut wie nie nachweisen können, dass wesentliche Ursachen für ihre Erkrankung im Handlungsspielraum des Arbeitgebers liegen, also möglicherweise eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Körperverletzung vorliegt. Leichter ist es, einen fehlenden oder einen ungenügenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nachzuweisen, wenn dieser Einbezug tatsächlich ungenügend war oder ganz fehlte.

Wie die Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen im Einzelfall zu einem Urteil über fehlbelastende Arbeitsbedingungen als Auslöser einer psychischen Erkrankung beiträgt, ist natürlich die Frage. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Ursula von der Leyens “knallharter Strafkatalog” trotz zunehmender psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz fast völlig ungenutzt blieb. Die Arbeitnehmer haben hier einfach schlechte Karten. Vielleicht haben die Gewerkschaften doch Recht mit ihren Forderungen nach schärferen Arbeitsschutzregeln im Bereich der psychischen Belastungen.

Wenn Betriebs- und Personalräte nicht aufpassen, dann kann ihre unvorsichtige und naïve Beteiligung an Arbeitsschutzprojekten und an Audits (Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht, Zertifizierungsunternehmen usw.) dazu führen, dass Unternehmen zwar wichtige Regeln des Arbeitsschutzes weiterhin missachten, davon betroffene Mitarbeiter eine Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen aber praktisch kaum noch nachweisen können. In solch einem Fall hätte die Arbeitnehmervertretung die durch schlechte Arbeitsbedingungen erkrankten Mitarbeiter entrechtet und deren ohnehin schlechten Chancen noch zusätzlich geschwächt. Dann wäre es für diese Mitarbeiter vielleicht besser gewesen, wenn es keine Beteiligung des Personalrats oder des Betriebsrats gegeben hätte, auf die sich der Arbeitgeber berufen könnte. (Dabei ist zu auch beachten, dass die Zeit zwischen arbeitsbedingter psychischer Verletzung und sich manifestierender psychischer Erkrankung viele Jahre betragen kann.)

 
Zusammengefasst das Wichtigste für Projekte zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz: Nicht nur die Kriterien für die Zielerreichung von Arbeitsschutzprojekten müssen zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretungm vereinbart werden, sondern auch die Ausgangssituation und die Vergangenheit muss klar dokumentiert sein. Eine wichtige Messgröße ist dabei der Grad der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Wenn ein Arbeitgeber trotz tatsächlich ungenügender Beachtung dieser Bestimmungen (womöglich noch unter Berufung auf die Mitwirkung des Betriebsrates) behaupten kann, er beziehe psychische Belastungen bereits vorschriftsmäßig in seinen Arbeitsschutz ein, dann schwächt das sowohl die Mitarbeiter wie auch die Bedeutung von Projekten, mit denen der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erst erreicht werden soll.

Gefährdungsbeurteilung: Frage an den Arbeitgeber

Freitag, 4. März 2011 - 07:35

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, psychisch wirksame Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung mit einzubeziehen. Wenn es keine solchen Belastungen gibt, kann das ja in der Gefährdungsbeurteilung nachvollziehbar dokumentiert werden. Trotzdem gibt es bei vielen Unternehmen, in denen Arbeitnehmervertreter das Thema des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung aufgreifen, zähe Diskussionen um die Notwendigkeit eines solchen Einbezugs.

In Betrieben, in denen es viel Bildschirmarbeit gibt, kann es deswegen zur Vermeidung unnötiger Diskussionen pragmatisch sein, sich auf eine Vorschrift zu konzentrieren, in der der Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung ganz unmißverständlich vorgeschrieben ist: Stellen Sie die Frage an den Arbeitgeber, „wie bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen ermittelt und beurteilt werden, sowie welche konkreten Prozesse und Beispiele es dazu im Betrieb gibt.”

Kann der Arbeitgeber das nicht erläutern, dann kann eine Missachtung der Arbeitsschutzbestimmungen vorliegen, also mindestens eine Ordnungswidrigkeit und eine Erhöhung seines Haftungsrisikos. Überrascht er jedoch den Betriebsrat mit einer Darstellung, dass psychisch wirksame Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen seien, dann könnte er die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretung umgangen haben. Dann läge eine Straftat vor.