Wo der Wille fehlt, nützt Wissen nichts

Donnerstag, 7. Juli 2016 - 07:39

Dieses Blog wird derzeit von etwa 600 Leuten pro Woche gelesen. Die Hälfte davon greift darin gezielt auf Themen zu. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass ich in letzter Zeit weniger zum Thema “psychischen Belastung” schreibe, obwohl das ja das Hauptthema des Blogs ist.

Der Grund: Es gibt zu dem Thema immer mehr zu finden, aber wenig Neues. Die eigentlichen Probleme werden nicht angegangen:

  • Die Gefährdungsbeurteilung dokumentiert möglicherweise auch Tatsachen, die das Haftungsrisiko des Arbeitgebers erhöhen könnte. Das berücksichtigen Arbeitgeber bei Verfahren zur Erstellung von Gefährdungebeurteilungen. Die Meisten Arbeitgeber fürchten eine gut dokumentierte Erfassung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen. Das ist so gut wie nie Gegenstand von Audits.
  • Mit dem Thema “psychische Belastungen” werden Führungsstile in Frage gestellt.
  • Eine ernstafte behördliche Überwachung findet im Bereich der psychischen Belastungen nicht statt. Und interne Audits sind werden in den Betrieben von Auditoren durchgeführt, die nicht kritisch hinsehen und zu abhängig vom Arbeitgeber sind. Externe Audits wiederum dienen in erster Linie dazu, Arbeitgeber formal abzusichern. Die Kunden der bei der DAkkS akkreditierten Prüfer sind die Arbeitgeber, nicht die Arbeitnehmer. Kritische Audits sind darum schlecht für das Zertifizierungsgeschäft.
  • Die Gewerbeaufsichten können auch deswegen nicht kritisch prüfen, weil sie sich dann mit ihrem eigenen Versagen auseinandersetzen müssten. Insbesondere vor dem Jahr 2012 sind sie ihrer Pflicht zur Prüfung des Einbezugs auch psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz überhaupt nicht nachgekommen. Würden sie bei Prüfungen nun den Widerstand eines Arbeitgebers gegen die gesetzlich geforterte umfassende Verhältnisprävention “entecken”, käme natürlich sofort die Frage auf, warum die Gewerbeaufsicht die jahrelangen Gesetzesverstöße dieses Arbeitgeber nicht schon in der Vergangenheit mindestens als Ordnungswidrigkeit geahndet hatte.
  • Viele Betriebsräte (wo es sie überhaupt gibt) sind mit dem Thema der psychischen Belastung überfordert. Und selbst wenn sie kompetent wären, können die von den schüchternen Gewerbeaufsichten geschützten Arbeitgeber Kritik der Betriebsräte an Mängeln im Arbeitsschutz leicht abwehren.

Es gibt verantwortungsvolle Arbeitgeber, aber auch heute sind sie in der Minderheit. Wenn der Wille zu einem ordentlichen Arbeitsschutz, zu ernsthaften Prüfungen und kritischen Audits fehlt, dann nützt auch das inzwischen reichlich vorhandene Wissen gar nichts.

Etwa drei Viertel der Arbeitgeber verstoßen auch heute im Bereich der psychischen Belasstungen gegen das Arbeitsschutzgesetz. In Deutschland traut sich keine Gewerbeaufsicht, das zu kritisieren oder gar Sanktionen zu verhängen. Die Anarchie hört also auch heute nicht auf.

Dieses Blog entstand im Jahr 2011. Heute sehe ich vor allem viel Aktionismus. Aber am grundsätzlichen Widerstand der Arbeitgeber gegen ehrliche und transparente Arbeitsschutzprozesse auch im Bereich der psychischen Belastungen hat sich wenig verändert. Die Arbeitgeber haben nur dazugelernt, wie sie Ihren Widerstand gegen den modernen ganzheitlichen Arbeitsschutz besser mit den Methoden des modernen Reputations-Managements verstecken können. Die Überforderung der Gewerbeaufsichten und das Zertifizierungs-Geschäft mit seinen oberflächlichen Audits spielen dabei eine wichtige Rolle.


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