Schlagwort 'Haftungsabwehr'

Wo der Wille fehlt, nützt Wissen nichts

Donnerstag, 7. Juli 2016 - 07:39

Dieses Blog wird derzeit von etwa 600 Leuten pro Woche gelesen. Die Hälfte davon greift darin gezielt auf Themen zu. Vielleicht fällt Ihnen auf, dass ich in letzter Zeit weniger zum Thema “psychischen Belastung” schreibe, obwohl das ja das Hauptthema des Blogs ist.

Der Grund: Es gibt zu dem Thema immer mehr zu finden, aber wenig Neues. Die eigentlichen Probleme werden nicht angegangen:

  • Die Gefährdungsbeurteilung dokumentiert möglicherweise auch Tatsachen, die das Haftungsrisiko des Arbeitgebers erhöhen könnte. Das berücksichtigen Arbeitgeber bei Verfahren zur Erstellung von Gefährdungebeurteilungen. Die Meisten Arbeitgeber fürchten eine gut dokumentierte Erfassung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen. Das ist so gut wie nie Gegenstand von Audits.
  • Mit dem Thema “psychische Belastungen” werden Führungsstile in Frage gestellt.
  • Eine ernstafte behördliche Überwachung findet im Bereich der psychischen Belastungen nicht statt. Und interne Audits sind werden in den Betrieben von Auditoren durchgeführt, die nicht kritisch hinsehen und zu abhängig vom Arbeitgeber sind. Externe Audits wiederum dienen in erster Linie dazu, Arbeitgeber formal abzusichern. Die Kunden der bei der DAkkS akkreditierten Prüfer sind die Arbeitgeber, nicht die Arbeitnehmer. Kritische Audits sind darum schlecht für das Zertifizierungsgeschäft.
  • Die Gewerbeaufsichten können auch deswegen nicht kritisch prüfen, weil sie sich dann mit ihrem eigenen Versagen auseinandersetzen müssten. Insbesondere vor dem Jahr 2012 sind sie ihrer Pflicht zur Prüfung des Einbezugs auch psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz überhaupt nicht nachgekommen. Würden sie bei Prüfungen nun den Widerstand eines Arbeitgebers gegen die gesetzlich geforterte umfassende Verhältnisprävention “entecken”, käme natürlich sofort die Frage auf, warum die Gewerbeaufsicht die jahrelangen Gesetzesverstöße dieses Arbeitgeber nicht schon in der Vergangenheit mindestens als Ordnungswidrigkeit geahndet hatte.
  • Viele Betriebsräte (wo es sie überhaupt gibt) sind mit dem Thema der psychischen Belastung überfordert. Und selbst wenn sie kompetent wären, können die von den schüchternen Gewerbeaufsichten geschützten Arbeitgeber Kritik der Betriebsräte an Mängeln im Arbeitsschutz leicht abwehren.

Es gibt verantwortungsvolle Arbeitgeber, aber auch heute sind sie in der Minderheit. Wenn der Wille zu einem ordentlichen Arbeitsschutz, zu ernsthaften Prüfungen und kritischen Audits fehlt, dann nützt auch das inzwischen reichlich vorhandene Wissen gar nichts.

Etwa drei Viertel der Arbeitgeber verstoßen auch heute im Bereich der psychischen Belasstungen gegen das Arbeitsschutzgesetz. In Deutschland traut sich keine Gewerbeaufsicht, das zu kritisieren oder gar Sanktionen zu verhängen. Die Anarchie hört also auch heute nicht auf.

Dieses Blog entstand im Jahr 2011. Heute sehe ich vor allem viel Aktionismus. Aber am grundsätzlichen Widerstand der Arbeitgeber gegen ehrliche und transparente Arbeitsschutzprozesse auch im Bereich der psychischen Belastungen hat sich wenig verändert. Die Arbeitgeber haben nur dazugelernt, wie sie Ihren Widerstand gegen den modernen ganzheitlichen Arbeitsschutz besser mit den Methoden des modernen Reputations-Managements verstecken können. Die Überforderung der Gewerbeaufsichten und das Zertifizierungs-Geschäft mit seinen oberflächlichen Audits spielen dabei eine wichtige Rolle.

Deutsche Bank:
He who controls the past controls the future.
He who controls the present controls the past.

Sonntag, 1. Mai 2016 - 07:10

Zumindest im Mai 2016 gibt es dieses Photo noch auf dem Webserver der Deutschen Bank:
(https://www.db.com/ir/img/Georg_F_Thoma.jpg)

Georg Thoma hat am 28. April 2016 den Aufsichtsrat der Deutschen Bank verlassen. So sieht das aus, was man als “Vergangenheitsmanagement” der Deutschen Bank bezeichnen könnte. Wenn ein Aufsichtsratsmitglied zu viel aufsieht, dann gibt es Aufsehen.

 

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/deutsche-bank-thoma-ruecktritt-101.html (2016-04-29)

Genau dafür ist der Integritätsausschuss zuständig. Doch Thoma ging vielen zu weit, grub unnötig tief.

Mobbig gibt es eben auf allen Ebenen. An der öffentlichen Diffamierung des Aufklärers Georg Thoma hatte sich auch der Betriebsratschef und Aufsichtsratsvize Alfred Herling (ver.di) beteiligt: “Mit seinem Übereifer und der juristischen Selbstverwirklichung stößt Dr. Thoma zunehmend auf Kritik.”

 

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken-versicherungen/deutsche-bank-ruecktritt-nach-massivem-druck/13521702.html

Im Aufsichtsrat hätten sich dann nochmal alle Mitglieder über den Schritt informiert und einhellig festgestellt, dass man diesen Schritt für richtig hält. Erst vor diesem Hintergrund war Thoma zurückgetreten.

Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat: Alfred Herling, Wolfgang Böhr, Frank Bsirske, Thimo Heider, Sabine Irrgang, Martina Klee, Henriette Mark, Gabriele Platscher, Bernd Rose, Rudolf Stockern, Stephan Szukalski.

 

http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken-versicherungen/deutsche-bank-ein-gremium-demontiert-sich-selbst/13522394.html

Thoma habe es mit der Aufklärerei übertrieben, er habe die Bank gelähmt, habe einem Blick nach vorne im Weg gestanden, werfen ihm seine Kritiker vor.

“Blick nach vorne”, das ist wohl der beliebeste Klassiker unter den Argumentationsmustern derer, die sich aus ihrer Verantwortung stehlen wollen. Der Blick in die Vergangenheit stört jene beim Blick nach vorne, die die Vergangenheit fortgesetzten wollen.

He who controls the past controls the future. He who controls the present controls the past.

George Orwell, “1984″

 

Deutsche Bank, Geschäftsbericht 2015 (https://geschaeftsbericht.deutsche-bank.de/2015/gb/serviceseiten/downloads/files/dbfy2015_gesamt.pdf)

Integritätsausschuss: Der Integritätsausschuss berät und überwacht den Vorstand fortlaufend im Hinblick darauf, ob die Geschäftsleitung einer wirtschaftlich tragfähigen, nachhaltigen Entwicklung des Unternehmens verpflichtet ist und unter Beachtung der Grundsätze guter und verantwortungsvoller Unternehmensleitung sowie unter Wahrnehmung der sozialen Verantwortung des Unternehmens und gleichzeitiger Schonung der natürlichen Ressourcen der Umwelt erfolgt (Environment Social Governance – ESG) und ob die Ausrichtung der betriebswirtschaftlichen Unternehmensführung an diesen Werten mit dem Ziel einer ganzheitlichen Unternehmenskultur ausgerichtet ist. Der Integritätsausschuss behandelt insbesondere die folgenden Angelegenheiten: Er überwacht die Maßnahmen des Vorstands zur Sicherstellung der Einhaltung von Rechtsvorschriften, behördlichen Regelungen und der unternehmensinternen Richtlinien durch das Unternehmen. Er überprüft regelmäßig die Ethik- und Verhaltenskodizes der Bank, um ein vorbildliches Verhalten der Mitarbeiter des Unternehmens innerhalb und außerhalb des Unternehmens zu fördern, das nicht allein an der formalen Einhaltung von Rechtsvorschriften ausgerichtet ist. Er beobachtet und analysiert die für die Bank wesentlichen Rechts- und Reputationsrisiken und wirkt auf deren Vermeidung hin. Zu diesem Zweck berät er den Vorstand, wie auf die Bedeutung derartiger Risiken aufmerksam zu machen ist. Der Integritätsausschuss bereitet des Weiteren die Entscheidungen des Aufsichtsrats über die Verfolgung von Ersatzansprüchen oder die Ergreifung sonstiger Maßnahmen gegenüber amtierenden oder ehemaligen Mitgliedern des Vorstands vor. Im Geschäftsjahr 2015 fanden fünfzehn Sitzungen des Integritätsausschusses, davon vier gemeinsam mit dem Prüfungsausschuss, statt.

Die derzeitigen Mitglieder des Integritätsausschusses sind Georg Thoma (Vorsitzender), Dr. Paul Achleitner, Sabine Irrgang, Timo Heider, Martina Klee und Peter Löscher.

Mal sehen, wie lange Georg Thoma noch auf dem Gruppenfoto des Aufsichtsrats zu sehen ist:
(https://geschaeftsbericht.deutsche-bank.de/2014/gb/bilder/img/10a.jpg)

Reihe vorn, von links nach rechts:
Georg F. Thoma, Martina Klee, John Cryan, Dr. Paul Achleitner, Louise M. Parent, Alfred Herling, Katherine Garrett-Cox

Reihe hinten, von links nach rechts:
Gabriele Platscher, Rudolf Stockem, Stephan Szukalski, Professor Dr. Klaus Rüdiger Trützschler, Dr. Johannes Teyssen, Dina Dublon, Timo Heider, Henriette Mark, Peter Löscher, Bernd Rose, Sabine Irrgang, Professor Dr. Henning Kagermann, Frank Bsirske

 

Schirm für Vorstände

Dienstag, 26. April 2016 - 00:22

http://www.tagesschau.de/wirtschaft/vw-abgasskandal-133.html

Untersuchungen zu VW-Abgasaffäre
Zweite Reihe im Visier der Ermittler

Stand: 25.04.2016 17:00 Uhr

Die internen Untersuchungen zum VW-Abgasskandal sprechen den damaligen Vorstand von einer Schuld vorerst frei. Unterhalb der Vorstandsebene gelten aber fast alle Führungskräfte, die in die Entwicklung des Motors eingebunden waren, als belastet. Das zeigen Recherchen von NDR und WDR.[...]

[...] Unter den Verdächtigen bei der Staatsanwaltschaft wie auch in den Unterlagen von Jones Day finden sich nach Recherchen von NDR und WDR allerdings bisher keine Belege dafür, dass Vorstandsmitglieder an der Planung beteiligt gewesen sind oder frühzeitig davon erfahren haben. [...]

Heutzutage achten manche Unternehmensführer darauf, dass es keine Belege dafür gibt, dass sie nichts erfahren wollten, womit sie in die Verantwortung (für die sie sehr gut bezahlt werden) genommen werden könnten. Sie bohren auch ungerne nach, wo ihnen Berichte nicht plausibel erscheinen müssten. Hauptsache, die Form stimmt. Vorstände vor gefährlichem Wissen abzuschirmen ist eine Hauptaufgabe der Compliance-Abteilungen.

Unkritische DGUV

Montag, 7. März 2016 - 22:28

Ohne Zweifel gibt es sehr gutes Informationsmaterial der DGUV zur Minderung psychischer Fehlbelastungen in den Betrieben der bei ihren Unfallversicherern versicherten Arbeitgeber. Die DGUV senkt damit auch die Risiken einer Inanspruchnahme der Unfallversicherung. Das ist ethisch kein Problem.

Ich frage mich allerdings, warum die DGUV Projekte des Gesundheitsmanagements der bei ihr versicherten Arbeitgeber lobend darstellt, wenn der Arbeitsschutz in deren Betrieben im Bereich der psychischen Belastungen noch überhaupt nicht ausreichend implementiert ist.

Es geht mir nicht darum, die Leistungen von Unternehmen schlecht zu reden. Wenn aber Unternehmen in wissenschaftlich aussehenden “Reports” des “Institute for Work and Health of the German Social Accident Insurance” gelobt werden, die weder regelmäßigen Gefährdungsbeurteilung noch eine vollständige Erfassung und Bewertung aller potenziellen Gefahren durchführen, dann wäre das durchaus ein ethisches Problem: Natürlich fällt es beispielsweise durch arbeitsbedingte psychische Fehlbelastungen erkrankten Mitarbeitern eines von der DGUV öffentlich gepriesenen Vorzeigearbeitgebers schwerer, Ansprüche an die Berufsgenossenschaft zu stellen, als wenn die DGUV im Bereich der psychischen Belastungen Verstöße des Arbeitgebers gegen Arbeitsschutzbestimmungen dokumentiert hätte. Der Arbeitgeber stellt sich mit dem werbewirksamen Lob der DGUV als fürsorglich dar, obwohl es bei ihm noch kein prozesshaftes Verfahren und keine mit dem Betriebsrat vereinbarten Kriterien zur Erfassung und Beurteilung psychischer Belastungen gibt.

Die Hilfe der DGUV beim Showbusiness der bei ihr versicherten Unternehmen schwächt die Position geschädigter Arbeitnehmer in Konflikten mit dem Arbeitgeber und könnte so den Berufsgenossenschaften helfen, Kosten zu sparen. Wenn das die Absicht der DGUV wäre, dann hätten durch Fehlbelastungen geschädigte Arbeitnehmer schlechte Karten. Derzeit jedenfalls haben Arbeitnehmer derzeit kaum eine Chance, dass die Berufsgenossenschaft durch arbeitsbedingte psychische Fehlbelastungen verursachten Erkrankungen auch als arbeitsbedingt anerkennt.

INSITE interventions

Mittwoch, 16. Dezember 2015 - 06:30

INSITE Interventions ist eines von jenen bei Arbeitgebern beliebten Beratungsunternehmen, die verhaltenspräventiv arbeiten. Die Verhaltensprävention setzt im Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen im Wesentlichen am individuellen Verhalten der einzelnen Mitarbeiter an. Stichworte: Stressmanagement, Resilienz, Eigenverantwortung usw.

Die Mitarbeiter werden in die Verantwortung für ihre eigene Gesundheit genommen – allerdings von Arbeitgebern, deren ganz große Mehrheit bis 2012 ihrer eigenen Verantwortung nicht gerecht wurde, die von ihnen im ganzheitlichen Arbeitsschutz seit 1997 geforderte Verhältnisprävention umzusetzen. Unsere Rechtskultur ist inzwischen so weit, dass Unternehmer, die ein Schutzgesetz für falsch halten, ganz locker dagegen verstoßen können. Anstatt ihre Ressourcen in die Erfüllung ihrer Pflichten zu stecken, konzentrieren sie sich auf angenehmere Kür: Lieber betreiben die Arbeitgeber mit viel Werbegetrommel ihr Vorzeige-Gesundheitsmanagement, anstatt die Arbeitsverhältnisse durch die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung auch psychischer Belastungen transparent zu machen. Lieber wenden sie sich der fürsorglichen Belagerung “psychisch auffälliger” Mitarbeiter zu, anstatt mit der Dokumentation auffälligre Arbeitsbedingungen ihre Berichterstattung zur Corporate Social Responsibility (CSR) zu belasten.

Anlässlich der Verleihung des Corporate Health Awards 2015 hielt Dr. Hansjörg Becker einen Vortrag, in dem es um den aus Dr. Beckers Sicht übertriebenen Aufwand für die Gefährdungsbeurteilung sowie um die angeblichen Vorzüge der Verhaltensprävention gegenüber der Verhältnisprävention ging. Bei genauerem Hinsehen gewinnt in dem Vortrag aber die Verhältnisprävention.

Betriebsräte in Unternehmen, die sich von INSITE Interventions beraten lassen und/oder den/das EAP (Employee Assistance Plan, Employee Assistance Program) von INSITE Interventions nutzen, sollten einen eigenen Organisationspsychologen als Berater hinzuziehen, damit die gesetzliche Prioritäten des Arbeitsschutzes besser beachtet werden können.

Es ist doch klar, dass Verhältnisprävention und die Gefährdungsbeurteilung nicht helfen, wenn die Unternehmen unter den Augen der Gewerbeaufsicht der Verhaltensprävention den Vorzug geben und die Beurteilung psychischer Belastungen nicht vorschriftsmäßig durchführen. Sie haben ja von der Gewerbeaufsicht keine schmerzhaften Sanktionen zu befürchten. Bei diesen anarchischen Zuständen im deutschen Arbeits- und Gesundheitsschutz ist es kein Wunder, dass auch in fast 20 Jahren seit Bestehen des ganzheitlich und verhältnispräventiv orientierten Arbeitsschutzgesetzes nur wenig Erfahrungen mit der Beurteilung psychischer Belastungen und mit der Verhältnisprävention generiert werden konnten. Den von den Unternehmern zu verantwortenden Mangel an verhältnispräventiver Praxis zur Argumentation gegen die Verhältnisprävention und gegen die Wichtigkeit der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zu verwenden, ist nicht seriös.

Gefährdungsbeurteilung dokumentiert mögliche Haftungsgründe

Die Gefährdungsbeurteilung birgt Risiken für Arbeitgeber. Die Arbeitgeber mögen die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen wohl auch deswegen nicht so sehr, weil sie mögliche Haftungsgründe dokumentieren könnte. Wird ein Mitarbeiter physisch oder psychisch so verletzt (z.B. Arbeitsunfall oder arbeitsbedingte psychische Erkrankung), kann er Ansprüche zwar grundsätzlich nur gegenüber der Berufsgenossenschaft geltend machen, aber das hat auch nachteilige Auswirkungen auf den Arbeitgeber.

Psychische Fehlbelastungen sind ein so angenehm unscharfes Thema; ohne Dokumentation bleibt für arbeitsbedingt psychische erkrankte Mitarbeiter die Beweisführung bei der Berufsgenossenschaft und vor Gericht extrem schwierig. Konkret dokumentierte psychische Fehlbelastungen sind den Arbeitgebern aus haftungsrechtlichen Gründen darum eher unangenehm, unsbesondere wenn er sie hätte abstellen müssen. Als Argument gegen die Gefährdungsbeurteilung werden Arbeitgeber das aber nicht offen ins Feld führen.

Lieber werden Arbeitgeber mit wissenschaftlich aussehenden Argumenten versuchen, die Dokumentation (und ggf. auch die Vorfallserfassung) von psychischen Fehlbelastungen zu marginalisieren. Das Mittel dazu sind Ausweichstrategien, mit denen sich Arbeitgeber zur Vermeidung einer ihnen unangenehmen Verhältnisprävention scheinbar menschenfreundlich dem einzelnen Mitarbeiter zuwenden. Ein EAP ist sinnvoll und hilfreich, aber wenn es als Arbeitsschutzmaßnahme der ersten Wahl verkauft wird, müssen Betriebsräte hier besonders aufmerksam die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes überwachen und eine fürsorgliche Belagerung der Mitarbeiter verhindern (Die Gewerbeaufsicht wird dabei wenig helfen, denn sie lässt sich zu leicht verhaltenspräventiven Projekten des Gesundheitsmanagements beeindrucken.) Dabei haben Betriebsräte einen Anspruch auf einen ihre Interessen vertretende Beratung.

Haftung für psychische Verletzungen

Donnerstag, 31. Januar 2013 - 07:06


http://diepresse.com/home/recht/rechtallgemein/1339019/Neue-Pflicht-zur-Praevention

Neue Pflicht zur Prävention

30.01.2013 | 18:13 | von Katharina Braun (Die Presse)

Arbeitnehmerschutz. Dienstgeber müssen künftig mehr auf die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter achten. von Katharina Braun …

Tatsächlich gehen die Anfang des Jahres umgesetzten Änderungen des österreischen Arbeitnehmerschutzgesetzes weiter, als die anstehenden Klarstellungen im deutschen Arbeitsschutzgesetz. Aber auch in Österreich hatten die Arbeitgeber psychische Belastungen schon vorher in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Der Vorteil der österreichischen Nachbesserungen gegenüber den deutschen Klarstellungen: In Österreich ist durch konkrete Vorgaben zur Umsetzung der Vorschrift die Überprüfbarkeit der Vorschriftenbefolgung einfacher geworden.

Auch Folgendes wird nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland festgestellt werden können:

… Anwälte orten einen erhöhten Beratungsbedarf im Zusammenhang mit psychischen Belastungen in der Arbeitswelt …

Deutschland gehört zu der Art von Ländern, in denen Arbeitgeber ungestraft gegen Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen dürfen. Die große Mehrheit der Unternehmen tut das dann auch, und zwar (angesichts des inzwischen vorhandenen Wissens) vorsätzlich. Wenn manche Unternehmen psychische Fehlbelastungen vermindern, dann geschieht das nicht basierend auf einer Gefährdungsbeurteilung, sondern gerade zur Vermeidung einer Gefährdungsbeurteilung. Dass das eine Missachtung von Vorschriften (und ggf. von Selbstverpflichtungen z.B. nach OHSAS 18001) ist, stört die Gewerbeaufsicht nicht.

Unternehmen verstoßen gegen ihre Pflichten wohl auch, weil Gefährdungsbeurteilungen Haftungsgründe dokumentieren könnten. Da kann es für Unternehmen kostengünstiger sein, einfach das Gesetz zu missachten. In der Diskussion um die Hemmnisse, ernsthaft psychische Belastungen in Gefährdungsbeurteilungen zu evaluieren, wird in den Medien das Thema “Haftung” bzw. “Entschädigung” erstaunlich selten thematisiert. In Österreich spricht Die Presse das Thema an:

… Rechtsanwältin Ulrike Kargl weist außerdem darauf hin, dass Leiharbeiter diesbezüglich jetzt ebenfalls gleiche Rechte wie die Stammbelegschaft haben: „Bei erlittenen persönlichen Beeinträchtigungen kann man laut Gesetz eine Entschädigung fordern. Bisher konnte das einfach dadurch umgangen werden, dass die Überlassung beendet und das Dienstverhältnis anschließend vom Überlasser gekündigt wurde.“

Die derzeit vorgesehenen Änderungen im deutschen Arbeitsschutzgesetz stellen nur Pflichten klar, die auch bisher schon bestanden. Die Durchsetzbarkeit des Arbeitsschutzgesetzes verbessert sich dadurch also nicht. Unter Anderem mangels ausreichender Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht können geschädigte Arbeitnehmer auch weiterhin nur mit großen und kräftezehrenden Anstrengungen nachweisen, dass ihr Arbeitgeber die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes ignoriert. Darum ist die “Anti-Stress-Verordnung” wohl nicht vermeidbar. Vielleicht werden auch Verbesserungen im Betriebsverfassungsgesetz durchsetzbar sein, aber es reicht nicht, die Betriebsräte zu stärken, sondern im Arbeitsschutz muss in den Betriebsräten ein besseres Wissen um psychische Belastungen aufgebaut werden.

Der IHK geht es vor allem um Haftungsvermeidung

Sonntag, 27. Januar 2013 - 16:16

IHK Düsseldorf, http://www.duesseldorf.ihk.de/Industrie_Innovation_Umweltschutz/Umwelt/1285488/Arbeitschutz.html

… Die Pflicht zur Durchführung von Arbeitsplatzanalysen besteht nach dem Arbeitsschutzgesetz generell für jeden Betrieb. Eine schriftliche Dokumentation wird immer empfohlen, da der schriftliche Nachweis vor Haftungsproblemen schützt. …

Da sieht man, worum es den Unternehmern aus der Sicht einer IHK vor allem geht. Ist Haftungsvermeidung nicht ein bisschen zu negativer Motivator? Der positive Ansatz wäre: Eine schriftliche Dokumentation wird immer empfohlen, da der schriftliche Nachweis bei der Maßnahmenableitung aus der Gefährdungsbeurteilung hilft. Außerdem wird die Gefährdungsbeurteilung z.B. für die Arbeitnehmer, für deren Vertreter und für Aufsichtspersonen sowie sonstige Auditoren nachvollziehbar. Müssen hier die Grundlagen der Qualitätssicherung erläutert werden?

Kleiner Hinweis: Der Arbeits- und Gesundheitsschutz dient dazu, die Mitarbeiter zu schützen.

 
Arbeitsschutz in kleinen und mittleren Unternehmen, http://www.duesseldorf.ihk.de/linkableblob/1285128/.3./data/M5_Arbeitsschutz_Broschuere-data.pdf


Psychische Belastungen des Arbeitnehmers                                    ja ( )  nein ( )
Über-/Unterforderung; Handlungsspielraum/Verantwortung;
Soziale Bedingungen; Arbeitszeit; Alkohol- und Drogenmissbrauch

Eine weitergehende Beurteilung des Arbeitsplatzes ist bei besonderer psychischer Beanspruchung (z.B. bei überwiegender Datenerfassung) erforderlich.

Anmerkung: Bei der Gefährdungsbeurteilung geht es um die Eigenschaften von Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen usw. Alkohol- und Drogenmissbrauch ist keine Eigenschaft von Arbeitsplätzen.

Zur Checkliste: Das ist eine typische Liste, mit der bei Gefährdungsbeurteilungen in der Tradition des alten technischen Arbeitsschutzes heute oft noch gearbeitet wird. Manche Sicherheitskräfte (vorwiegend Ingenieure und Techniker) meinen, dass ihnen solche Listen helfen, Rechtssicherheit zu erlangen. Ob das den Zielen des Arbeitsschutzes wirklich weiterhilft? Mit solchen Checklisten kann man psychische Belastungen nicht ernsthaft erfassen. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter müssen hierfür im Betrieb bessere Lösungen finden. Darum ist in der Liste der IHK immerhin der Hinweis ein Pluspunkt, dass eine weitergehende Beurteilung des Arbeitsplatzes ist bei besonderer psychischer Beanspruchung (z.B. bei überwiegender Datenerfassung) erforderlich ist, jedoch nicht nur bei überwiegender Datenerfassung. Es ist ein Irrtum, z.B. die Bildschirmarbeitsverordnung so zu interpretieren.

Die Bildschirmarbeitsverordnung beschränkt die Beurteilung psychischer Belastungen in ihrem § 3 nicht nur auf softwareergonomische Themen, sondern sie macht Bildschirmarbeit zum Kennzeichen von Arbeitsplätzen, an denen eine Beurteilung psychischer Belastungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes durchgeführt werden muss. Es reicht nicht, anerkannte Software aus Redmond oder Weinheim zu verwenden, sondern die Geeignetheit aller Arbeitsmittel für die Aufgabenstellung an dem zu beurteilenden Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung (Lärm, Störungen, Unterbrechungen, Zeitdruck usw.) und das Zusammenwirken der Arbeitsmittel sind zu berücksichtigen.

Hundts Eristik durchschaut

Mittwoch, 16. Januar 2013 - 06:29

(überarbeitet: 2012-01-30)

Schopenhauer sammelte in weiser Voraussicht seine Kunstgriffe der Eristischen Dialektik, um beispielsweise Dieter Hundts Versuche damit durchschaubar zu machen. Hundts versucht, damit zu argumentieren (http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/stressreport-streit-um-burnout-vorbeugung-a-880314.html),

… dass Beschäftigte seltener an psychischen Erkrankungen leiden als Nichtbeschäftigte. “Daher ist es auch falsch, psychische Erkrankungen vorrangig auf Arbeit zurückzuführen, das Gegenteil ist richtig.” …

Hundt ist intelligent genug, zu wissen, dass er damit das Publikum täuscht. Er weiß, dass es nicht um die Behauptung geht, dass Arbeit krank mache, sondern die an die Arbeitgeber gerichtete Kritik auch des Bundesarbeitsministeriums richtet sich gegen deren langjährige Vernachlässigung der vorgeschriebenen Erfassung und Bewertung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Es geht da noch gar nicht darum, allen psychischen Belastungen eine schädliche Wirkung zuzuschreiben, sondern es besteht die von sehr vielen Arbeitgebern inzwischen wissentlich missachtete gesetzliche Forderung, überhaupt erst einmal genau hinzusehen: Sehr angestrengt versuchen diese Arbeitgeber nun, Gefährdungsbeurteilungen zu vermeiden, mit denen gelegentlich auch einmal Haftungsgründe für eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Körperverletzung dokumentiert werden könnten. Von dieser Pflichtverletzung lenkt Hundt beharrlich ab.

Hundts ständig wiederholtem rhetorischen Trick widmet auch Stephan List ein paar Worte: http://www.arbeitstattstress.de/arbeit-und-psychische-erkrankungen/

… Zunächst stellt er fest, dass laut Studien mehr psychische Erkrankungen bei Erwerbslosen vorkämen als bei Erwerbstätigen. Somit sei klar, dass Arbeit gar nicht die Ursache von psychischen Erkrankungen sein könne.

Hier hat einer seinen Schopenhauer sorgfältig studiert (“Die Kunst, Recht zu behalten”). Wenn Sie lange genug suchen, dann werden Sie auch den passenden rhetorischen Trick finden, den Herr Hundt hier angewandt hat. Natürlich ist es unzulässig, diesen Bezug herzustellen, aber im ersten Moment erzielt er Wirkung und darauf kommt es an. …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/bewertung-psychischer-fehlbelastungen-ist-pflicht/#Belastungsquellen

Gefälligkeitsaudidts machen Arbeitnehmer schutzlos

Samstag, 20. Oktober 2012 - 12:53

Hinweis an Auditoren (OHSAS 18001) und Aufsichtspersonen: Zunehmend werden Sie auf Betriebe stoßen, die Ihnen Maßnahmen zur Einführung des Gefährdungsbereichs “psychische Belastungen” in den (bisher nicht ganzheitlichen) Arbeitsschutz vorzeigen, ohne dass Gefährdungsbeurteilungen vorliegen, aus denen diese Maßnahmen abgeleitet wurden. Im Arbeitsschutz sind Gefährdungsbeurteilungen jedoch die Voraussetzung für Maßnahmen. (Ein entsprechender Beschluss des BAG wurde von einem Arbeitgeber erstritten.) Trotzdem gibt es Auditoren und behördliche Aufsichtspersonen, die sich “pragmatisch” damit begnügen, geplante Maßnamen ohne Gefährdungsbeurteilungen zu akzeptieren. Damit werden sie zu Komplizen jener Arbeitgeber, die Gefährdungsbeurteilungen sowie die Dokumentierung und Analyse von Vorfällen (siehe Punkte 3.9, 4.3.1 und 4.5.3 in OHSAS 18001:2007) vermeiden, um die Mitbestimmung zu schwächen und Haftung abzuwehren.

Psychische Fehlbelastungen können auch nach vielen Jahren noch zu Erkrankungen führen. Wurde ihre Erfassung und Vermeidung in der Vergangenheit mehr oder minder bewusst vernachlässigt, dann ist das eine Gefährdung, die dokumentiert werden muss. Unaufmerksame Auditoren und Aufsichtspersonen lassen den Betrieben die vergangene Missachtung ihrer Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz aber zu oft undokumentiert durchgehen. Das kann auch daran liegen, dass die Auditoren seit 1996 selbst das Thema der psychischen Belastung in der Vergangenheit vernachlässigt hatten und nun vermeiden wollen, das durch eine Verbesserung der Kontrollen deutlich werden zu lassen.

Nachlässige Audits schaden den Arbeitnehmern mehr, als gar keine Aufsicht, denn die Betriebsleitungen verwenden die scheinbar entlastenden Ergebnisse solches Audits als Alibi. Wenn dann auch noch die Betriebsräte nicht durchblicken oder überfordert sind, sind die Arbeitnehmer in diesem traurigen Spiel die Verlierer.

Wo ist die Kritik an Standards für Qualitätsmanagementsysteme?

Freitag, 19. Oktober 2012 - 10:02

Es scheint kaum kritische Anmerkungen zu Standards für Managementsysteme zu geben. Nicht, dass ich verzweifelt nach Schwachstellen suche, aber bedeutet das Fehlen von Kritik an solchen Standards und deren Anwendung in der Praxis nicht auch, dass sie nicht verstanden und nicht ernst genommen werden? Bei den Betriebsräten ist beispielsweise OHSAS 18001 kein Thema, obwohl die Arbeitgeber viel Geld dafür ausgeben, Zertifikate vorzeigen zu können. Da es in Deutschland Unternehmen gibt, die trotz gesetzeswidrig mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht nur von akkreditierten Auditoren zertifiziert, sondern sogar re-zertifiziert wurden, ist hier etwas ziemlich faul! Da versagten nicht nur Auditoren, sondern auch die Akkreditierung der Zertifizierungsgesellschaften durch die DAkkS ist fragwürdig.

Vielleich habe ich da auch etwas falsch verstanden. Darum arbeite ich mich nun etwas eingehender in das Thema ein. Dass ich mit meinen Zweifeln an dem Zertifizierungsgeschäft nicht ganz daneben liege, konnte ich zum Beispiels in David Hoyles ISO 9000 Quality Systems Handbook (2009) nachlesen. Hoyle hat mich auch neugierig gemacht, was John Seddon in The Case Against ISO9000: How to create real quality in your organisations (2000) zu sagen hat, denn Forderungen wie “Replace compliance with responsibility” sind gut nachvollziebar. Wo Seddons Kritik zu weit geht, hilft sie vielleicht trotzdem, die Praxis zu verbessern: Auditoren und Zertifizierungsgesellschaften müssen zeigen, dass Seddon sich irrt.

Das Zertifizierungsgeschäft mag oft nur eine Farce sein, eine Flucht vor der Verantwortung für komplexe Prozesse, eine Pflichtübung sowohl zur Haftungsabwehr wie auch zur selbstreferenziellen Bestätigung einer eigenen anspruchsvollen Ethik. Bei OHSAS 18001 (und einer eventuellen daraus noch abzuleitenen ISO Norm) könnte das nun jedoch anders aussehen: Bei den Reihen ISO 9000 und der ISO 14000 sind die Kunden (Käufer und Umwelt) außerhalb des Betriebes angesiedelt, aber bei Arbeitsschutzmanagementstandards wie der OHSAS sind die Mitarbeiter die Kunden. Sie müssen das aber erst noch merken. Sie sitzen in den Betrieben und könn(t)en mitbestimmen - vorausgesetzt, dass Gewerkschaften und Betriebsräte aufwachen und Kompetenz entwickeln, den Standard als einen von den Arbeitgebern selbst ausgesuchten Maßstab für unternehmerische Verantwortung zu verwenden.

Siehe auch: