Kategorie 'LV 52'

2009: Beschränkte staatliche Aufsicht

Samstag, 9. April 2016 - 14:34

LV 52 (2009) Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder:

[...] trotz vielfältiger Aktivitäten ist es auch für die Aufsichtsbeamtinnen und –beamten der Arbeitsschutzbehörden noch nicht selbstverständlich, bei der Bewertung betrieblicher Gefährdungsbeurteilungen auch psychische Faktoren zu berücksichtigen. Diese werden nicht selten als „Extra“ betrachtet, auf die eingegangen werden kann, wenn alle anderen Arbeitsschutzaspekte erledigt wurden. Eine solche Prioritätensetzung erfolgt oft mit dem Hinweis, dass gezieltes Aufsichtshandeln zur Reduktion psychischer Belastungen nur sehr eingeschränkt möglich sei, da der Rückgriff auf Normen und Sanktionen schwierig ist. Demzufolge beschränkt sich die staatliche Aufsicht in der Regel auf reines Beratungshandeln.

Diese Sichtweise geht am zentralen Ziel des Arbeitsschutzgesetzes vorbei, das eine umfassende Prävention von gesundheitlichen Risiken einfordert. Hier müssen staatliche Arbeitsschutzbehörden den Erfordernissen moderner Arbeitswelten nachkommen und ihrer institutionellen Schutzfunktion gerecht werden. Der Fokus des Aufsichtshandelns ist dabei auf Tätigkeiten zu legen, in denen in besonderem Ausmaß mit gesundheitlichen Folgen psychischer Belastungen zu rechnen ist. [...]

Siehe auch: Petition an den deutschen Bundestag, Januar 2009

Wie weit sind wir nun im Jahr 2016?
        Ein Gewerbaufsichtsbeamter besucht ein Unternehmen zur Inspektion des dortigen Arbeitsschutz. Thema ist unter Anderem ein Fall, in dem ein Mitarbeiter vom Unternehmen massiv unter Druck gesetzt wurde, nachdem er eine Fehlbelastung meldete. (Später melden noch andere Mitarbeiter ähnliche Fehlbelastungen, erst dann handelte das Unternehmen.) Obwohl der Gewerbeaufsichtsbeamte kompetent im Bereich des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ist, wird wieder wird fast nur beraten. In seinem Bericht findet sich nicht einmal die Andeutung von Kritik am Arbeitgeber für einen der übelsten Fehler, die im Arbeitsschutz gemacht werden können.
        Statt dessen findet der Beamte Platz in seinem Bericht, die Nichtteilnahme des vom Arbeitgeber zur Besprechung eingeladenen betroffenen Mitarbeiters so darzustellen, als ob der Mitarbeiter seine Teilnahme grundlos abgelehnt habe. Der Aufsichtbeamte wusste, dass die Betriebsleitung erreicht hatte, dass ein von der Sicherheitsfachkraft zu Besprechung eingeladenes Betriebsratmitglied nicht an der Besprechung teilnahm, weswegen dann auch der Mitarbeiter der Besprechung fernblieb. Der Aufsichtsbeamte lässt das unerwähnt.
        Von der Gewerbeaufsicht gab es in ihrem Bericht keine Kritik am Arbeitgeber, nicht im kleinen Detail, aber auch nicht im Großen: In dem Betrieb gibt nämlich immer noch es kein geregeltes Verfahren zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Das steht nicht im Einklang mit dem Arbeitsschutzgesetz. Die Gewerbeaufsicht guckt zu, wie das Unternehmen seit Jahren daran arbeitet. Es gibt keine Zielvereinbarung.

Apropos Zielvereinbarung: Deutlich wurde die – sage wir mal – “höfliche” Zurückhaltung der Gewerbeaufsicht beispielsweise in Bayern. Noch im Jahr 2011 schrieb sie in ihrem Internet ganz forsch:

Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest.

Aber schon das ist in Bayern anscheinend zu respektlos gegenüber den Unternehmen. Die Gewerbeaufsicht knickte ein und entfernte diesen Text aus ihrem Internetauftritt: Servus Zielvereinbarung!

Es liegt eben nicht daran, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz für die Gewerbeaufsicht ein Nebenthema sei. Im Gegenteil, es ist ein brisantes Hauptthema. Auch fehlt der Gewerbeaufsicht die Fachkompetenz nicht so, wie früher. Aber selbst mit der Materie vertraute Gewerbeaufsichtsbeamte scheuen den Konflikt mit von ihnen geprüften Unternehmen, insbesondere bei Großbetrieben. Den Aufsichtspersonen auf der unteren Ebene der Gewerbeaufsicht fehlt schlicht die für die Durchsetzung der Arbeitsschutzvorschriften erforderliche Autorität. Das ist das eigentliche Problem.

Das Aufsichtswesen in Deutschland schützt die Wirtschaft. Das ist in Ordnung, den wir alle brauchen eine gesunde Wirtschaft. Allerdings sollten die Behörden dabei auch an ihren gesetzlichen Auftrag denken und kritisch prüfen, ob die Gesundheit der Mitarbeiter ausreichend geschützt wird. Einige Aufsichtspersonen auf der unteren Ebene trauen sich von vorne herein nicht und wählen den Weg des geringsten Widerstandes: Beratung ohne Aufsicht.

Die Mutigeren unter den Aufsichtspersonen versuchen, kritisch zu prüfen. Das kann gefährlich für sie werden: Wenn sie wirklich ernsthaft prüfen, kann ihnen die Politik in den Rücken fallen. Den krassesten Fall gab es hier in Hessen. Sorgfältig arbeitende Steuerfahnder wurden von ihrem Arbeitgeber (der ihnen eigentlich Rückhalt hätte geben müssen) als psychisch krank erklärt.

GDA-Leitlinien: 2008, 2011 und 2015

Montag, 29. Juni 2015 - 07:45

Die GDA-Leitlinien zur Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation sind nicht neu. Sie bauen auf LASI-Veröffentlichungen und DGUV-Veröffentlichungen auf.

Zum Vergleich drei Versionen: 2008, 2011 und 2015. (Von der Ausgabe aus dem Jahr 2012 habe ich keine Kopie.)

 
Weitere Links zur GDA und zu Dokumenten, die es früher schon gab (PsyGeb):

 

Geltendes Recht klargestellt

Donnerstag, 7. Mai 2015 - 06:28

Es gibt Unternehmen, die in Mitteilungen an ihre Mitarbeiter den Eindruck erwecken, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz im Arbeitsschutzgesetz erst seit kurzem vorgeschrieben sei. Das ist Desinformation.

Kern der Gesetzesänderung war nur eine Klarstellung bereits geltenden Rechts: Arbeitgeber haben psychische Belastungen bereits seit dem Jahr 1996 in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Die Analyse der psychischen Belastungen hatte schon immer ein Bestandteil einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung zu sein, wie z. B. ein Blick in die BGI/GUV-I 8700 aus dem Jahr 2009 zeigt (Kap. 3.10).

Auch die behördliche Aufsicht hat zumindest gewusst (wenn auch kaum umgesetzt), was von ihr erwartet wird: Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI) erstellte zur Nutzung durch die behördliche Aufsicht die folgenden Veröffentlichungen:

  • LV 28 (2002) Konzept zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und zu Möglichkeiten der Prävention
  • LV 31 (2003) Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz und Möglichkeiten der Prävention – Handlungsanleitung für die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder
  • LV 52 (2009) Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder

Man sieht: Der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz hätte schon seit vielen Jahren von der behördlichen Aufsicht überprüft werden müssen.

Die Aufsicht ist aber noch heute so geschwächt, dass sie nicht glaubwürdig überprüfen kann, ob in den Betrieben psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbezogen werden. Als Referenz für Compliance ist sie damit eigentlich irrelevant. Das Aufsichtssystem hat hier schlicht versagt. Im Jahr 2012 konnte das nun nicht mehr ignoriert werden: Das Thema kam in den Bundestag (Bundestagsdrucksache 17-10229). Es wurde damals festgestellt, dass in etwa 80% der Betriebe in Deutschland psychische Belastungen nicht in der vorgeschriebenen Weise beurteilt wurden.

Das hier gegen bereits vor der Gesetzesänderung geltendes Recht verstoßen wurde, wird sogar von den Arbeitgebern bestätigt. Die Arbeitgebervereinigung BDA schrieb am 30.8.2013: „Gesundheit ist nicht teilbar, körperliche und seelische Gesundheit hängen zusammen und bedingen einander. … Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor ‘psychische Belastungen bei der Arbeit’ ergänzt werden“

Aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode, Absatz „Ganzheitlicher Arbeitsschutz“: „in bestehenden Arbeitsschutzverordnungen, die noch keine Klarstellung zum Schutz der psychischen Gesundheit enthalten, dieses Ziel aufnehmen“

Im Januar 2013 stellte der Bundesrat klar: „Durch zwei Änderungen im Arbeitsschutzgesetz soll klargestellt werden, dass sich die Gefährdungsbeurteilung auch auf psychische Belastungen bei der Arbeit bezieht und der Gesundheitsbegriff neben der physischen auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten umfasst.“

Auf meine Petition 1902 (18.1.2009) „Betrieblicher Arbeitsschutz – Psychische Belastungen“ antwortete mir der Petitionsausschuss: „Der Petitionsausschuss hat zu der Eingabe eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingeholt. Darin führt das BMAS im Wesentlichen aus, dass es die Auffassung des Petenten teile, dass das Thema Psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes sei.“

Österreich änderte sein Arbeitnehmerschutzgesetz übrigens etwas früher als Deutschland. Auch dort wurde nur bereits geltendes Recht klargestellt: Der Standard schrieb am 20. September 2013: „Unternehmen müssen das [Evaluation psychischer Belastungen im Job] eigentlich schon seit dem Jahr 1995 machen, das ist EU-Recht, allerdings geschah das in der Praxis zu selten. Das Gesetz ist davon ausgegangen, dass die gesamte Arbeitssituation zu evaluieren ist. Nachdem das allerdings im Bereich der psychischen Belastungen kaum passiert ist, bietet es eigentlich nur eine Verdeutlichung, dass die Begriffe physische und psychische Belastungen jetzt vorkommen.“

Und in der Regierungsvorlage zur Änderung des österreichischen Arbeitnehmerschutzgesetzes steht : „Bei den Änderungen in § 2 Abs. 7 und 7a handelt es sich um bloße Klarstellungen, bereits nach geltender Rechtslage sind die dort angeführten Begrifflichkeiten so zu verstehen.“

GDA: Hilfestellung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Dienstag, 14. Oktober 2014 - 05:55

Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 wird gerne mißverstanden. Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes ist eine Klarstellung bereits geltenden Rechts. Diese Klarstellung entlässt die Arbeitgeber also nicht aus ihrer Verantwortung für ihre von den Gewerbeaufsichten tolerierten Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz in der Vergangenheit. Wie man richtig darstellen kann, dass die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur eine Klarstellung bereits zuvor geltender Vorschriften ist, zeigen die Arbeitgeber (BDA) selbst (2013-08):

[...] Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor „psychische Belastungen bei der Arbeit“ ergänzt werden. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 27. Juni 2013 verabschiedet. Das nicht zustimmungspflichtige Gesetz wird voraussichtlich Ende September 2013 den Bundesrat passieren. [...] 

Mit diesem Hintergrundwissen zur Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 können wir uns nun einer Pressemeldung der GDA zuwenden: http://www.gda-portal.de/de/PresseAktuelles/PresseAktuelles.html

11.09.2014 

Neue GDA-Publikation gibt Hilfestellung bei der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen

Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes Ende 2013 hatte es verdeutlicht: Arbeitgeber müssen psychische Belastungen bei der Arbeit in der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung berücksichtigen. Aber wie kann das in der Praxis umgesetzt werden? Eine neue Broschüre der GDA liefert Antworten.

Die im Rahmen des Arbeitsprogramms Psyche erarbeiteten “Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung” erläutern in sieben Schritten die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen, ihre Methoden und Instrumente. Mit den Empfehlungen wird ein Korridor beschrieben, innerhalb dessen sich die konkrete Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung bewegen sollte. Die Broschüre richtet sich insbesondere an Unternehmen und betriebliche Arbeitsschutzakteure (u.a. Arbeitgeber, Betriebs-/Personalräte, Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit).

Man sollte nun aber nicht so tun, als ob es bisher keine Hilfestellungen für die Arbeitgeber gegeben hätte. Ein Blick in die jüngere Geschichte des Arbeitsschutzes in Deutschland zeigt, dass sie schon im Jahr 2009 in der LASI-Veröffentlichung 52 nachlesen konnten (wenn es sie interessiert hätte), wie die behördliche Aufsicht psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einbeziehen sollen. Die LV 28 und die LV 21 zur Ermittlung psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz erschienen bereits in den Jahren 2002 und 2003. Auch von der DGUV gab es genügend viel Informationen und Hilfestellungen.

Wenigstens die großen Unternehmen kannten also die Pflichten, gegen die sie verstießen, und die Möglichkeiten, die sie ungenutzt ließen, schon seit vielen Jahren. Da aber auch die überforderten (und z.T. politisch ausgebremsten) Gewerbeaufsichten ihre eigenen Vorgaben kaum umsetzten, konnten die meisten Arbeitgeber zum Nachteil ihrer Mitarbeiter weiterhin ungeniert gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Hier begingen einige große Unternehmen, die es wissen mussten, über viele Jahre hinweg vorsätzlich Rechtsbruch. Noch schlimmer: Die Arbeitsschutzmanagementsysteme dieser Unternehmen wurden nach Audits (ohne Beteiligung der Arbeitnehmervertreter) durch unaufmerksame Zertifizierer abgesegnet, obwohl psychische Belastungen in den Gefährdungsbeurteilungen weder prozesshaft noch mitbestimmt erfasst und beurteilt wurden.

Man sieht: Hilfestellungen alleine helfen nicht, denn ohne Kontrolle werden Schutzbestimmungen ganz locker und souverän ignoriert.

Update 2016-01: http://blog.psybel.de/dr_lists_blog_2016021/

LASI-Veröffentlichungen als Grundlage für eine “Anti-Stress-Verordnung”

Samstag, 4. Oktober 2014 - 12:14

Im Infodienst “direkt” (Nr. 12, 2014-10-04) der IG Metall Berichtete die IGM ihren Mitgliedern über eine Zwischenbilanz der Anti-Stress-Initiative.

[...] Es ging um Details, doch sie sind entscheidend. Der Bundestag ergänzte 2013 das Arbeitsschutzgesetz: Ziel des Arbeitsschutzes ist nicht nur, Gefährdungen der physischen, sondern auch der psychischen Gesundheit zu vermeiden. Damit ist gesetzlich klargestellt, dass auch psychische Belastungen bei der Arbeit in den Gefährdungskatalog des Arbeitsschutzgesetzes gehören. Aus Sicht der IG Metall ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem zeitgemäßen Arbeitsschutzgesetz, das den Belastungen der modernen Arbeitswelt entspricht. [...] Die Änderung des Arbeitsschutzgesetzes geht maßgeblich auf die Anti-Stress-Initiative der IG Metall zurück. [...]

Die IGM sollte beim Vorentreiben ihrer “Anti-Stress-Initiative” und der “Anti-Stress-Verordnung” darauf achten, dass nicht der Eindruck aufkommt, dass die Arbeitgeber vor der Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nur zur Verminderung der Gefährdung der physischen Gesundheit verpflichtet gewesen wären. Die Ergänzung des Arbeitsschutzgesetzes war eine Klarstellung bereits geltenden Rechts, gegen das der Großteil der Unternehmen verstoßen hatte.

Aus meiner Sicht brauchen wir eine “Anti-Stress-Verordnung”, aber der Name ist eigentlich falsch. Stress ist nicht notwendigerweise schädlich. Wie so oft, geht es auch hier um das richtige Maß. Beistpielsweise ist zu wenig Stress auch schädlich. (Wir nennen das “Langweile”.) Die Ursachen in der mangehaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes im Bereich der psychischen Belastungen liegen nicht im Fehlen von Grenzwerten für psychische Belastungen, die vielleicht auch nicht sinnvoll festlegbar sind. Das Problem liegt vielmehr in mangelhaften Arbeitsschutzprozessen, schlechter Mitbestimmungspraxis und fehlender Kompetenz im Bereich der psychischen Belastungen.

Wir brauchen eine Durchführungsverordnung, z.B. eine Verordnung zur Durchführung des Arbeitsschutzgesetzes und der entsprechenden behördlichen Kontrolle im Bereich der psychischen Belastungen. Hier gibt es doch schon seit 2003 gute Veröffentlichungen des LASI (speziell LV 31, LV 52 und auch LV 54). Da braucht man doch nicht so zu tun, als ob erst noch viel geforscht werden müsse, um psychische Fehlbelastungen mit vernünftigen Prozessen mindern zu können. Es würde eigentlich schon reichen, aus den LASI-Veröffentlichungen eine Verordnung zu machen, in der insbesondere Arbeitsschutzprozesse, die Rollen der Arbeitsschutzakteure und Sanktionsmöglichkeiten konkretisiert werden. Das ist der Gewerkschaft und der Politik aber vielleicht schon zu kompliziert.

Verbesserungen sind insbesondere im Bereich der behördlichen Aufsicht und der Mitbestimmung nötig. In beiden Bereichen gibt es immer noch noch enorme Wissenslücken alleine schon bei der Beobachtung psychischer Belastungen. Sowohl die behördliche Aufsicht wie auch Betriebsräte fühlen sich selbst nicht sicher genug, kritisch auditieren zu können. Das ist einer der Gründe dafür, dass Abweichungen von den Regeln des Arbeitsschutzes in der Vergangenheit von der Mehrheit der Arbeitgeber nicht ordentlich erfasst und dokumentiert wurden. Das Hauptziel der Arbeitgeber ist Rechtssicherheit, Haftungsvermeidung und zunehmend “Employer-Branding”, darum möchten sie wohl keine Probleme im Bereich der psychischen Belastungen dokumentiert sehen, die auch immer eine Darstellung von Führungsproblemen sind. Wichtig ist ihnen auch, Kosten niedrig zu halten. Der Aufwand schon zu einer ernsthaften Erfassung und Beurteilung psychischer Gefährdungen ist nicht zu unterschätzen. Das wissen die Arbeitgeber.

Sie reagieren darauf auch mit dem Aufbau eines werbewirksamen “Gesundheitsmanagements”, in dem wieder vorwiegend die Arbeitnehmer für ihre Gesundheit verantwortlich gemacht werden. Außerdem lassen international tätige Unternehmen ihre Arbeitsschutzmanagementsysteme von privatwirtschaftlich organisierten Dienstleistern zertifizieren. Darum herum hat sich ein Zertifizierungsgeschäft entwickelt, in dem bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierten Zertifizierer die von Ihnen auditierten Betriebe so freundlich behandeln, dass sie auch weiterhin im Geschäft mit diesen Kunden bleiben. Die internen Audits in den Betrieben werden oft ohne Betriebsrat durchgeführt, wobei sich entgegen der Forderung der ISO 19011 die Auditoren und die auditierten Abteilungen oft sehr nahe stehen. Die behördliche Aufsicht ist so überfordert, dass sie erleichtert ist, wenn ihr ein Betrieb ein Zertifikat (z.B. OHSAS 18001) vorlegt. Vielleicht wissen die Aufsichtspersonen sogar, was für eine Farce das Zertifizierungsgeschäft sein kann, aber formal verlassen sie sich gerne unkritisch auf ein zertifiziertes Arbeitsschutzmanagementsystem. Zur einer ernsthaften behördlichen Systemkontrolle kommt es nur selten.

Leider lassen sich auch die Arbeitnehmervertreter bei Kritik am Arbeitsschutz zu schnell mit dem Hinweis des Arbeitgebers z.B. auf ein Zertifikat nach OHSAS 18001 einschüchtern. Ich kenne leider nur einen Fall, in dem ein Betriebsrat durch solch einen hinweis erst auf das Zertifikat aufmerksam wurde. Anstelle sich davon beeindrucken zu lassen, entdeckte er Abweichungen vom Standard und und konnte sogar eine Auditüberprüfung veranlassen. Kompetenz beim Arbeitsschutzmanagement lohnt sich für Betriebsräte.

Eine “Anti-Stress-Verordnung” wäre besonders dann hilfreich, wenn sie die Aufsicht und die Audits verbessert. Handlungshilfen gibt es dazu schon seit vielen Jahren. Die Gewerbeaufsichten und Arbeitgeber hatten sich lange genug vor der Umsetzung vorhandenen Wissens drücken können, da braucht man heute nichts mehr für die Forschung auf die lange Bank zu schieben. Neben den LASI-Veröffentlichungen kann man bei der Verbesserung der Mitbestimmung im Arbeitsschutz übrigens auch noch ein bisschen über den deutschen Zaun gucken und von der niederländischen SCCM lernen. Ich wiederhole diesen Hinweis gerne noch öfter.

Aus Fünf mach Vier

Sonntag, 13. April 2014 - 12:46

Arbeitgeber halten sich jetzt beim Einbezug psychischer Belastungen zunehmend an vier “psychischen Faktoren” fest, die man in einer Leitlinie der GDA findet:

  • Arbeitsaufgabe und deren Auswirkungen auf die Mitarbeiter,
  • Arbeitsorganisation und Arbeitszeiten,
  • sozialen Bedingungen,
  • Arbeitsplatz‐ und Arbeitsumgebungsbedingungen,

Wie man sieht, sind das aber fünf Faktoren. Es geht nicht, den Arbeitnehmervertretern einfach die ersten vier Faktoren aus der Leitlinie in irgendeiner Checkliste zum Abhaken vorzulegen und dann zu behaupten, man habe damit alle Kategorien vollständig erfasst. Der fünfte Punkt muss mit den Arbeitnehmervertretern betriebsbah vereinbart werden: “Die Aufzählung ist nicht abschließend.”

Ich verstehe nicht, dass Arbeitgeber jetzt einfach vier Punkte aus einer Liste abschreiben. Erst jammern sie, ihnen würden zu viele Vorschriften gemacht. Gibt man ihnen aber einen Gestaltungsspielraum (Punkt 5), dann füllen sie ihn nicht aus. Liegt das daran, dass die Gestaltung mitbestimmungspflichtig ist?

Auch bei der Ausfüllung der ersten vier Punkte besteht Mitbestimmungspflicht. Ausführlicher findet man die vier Punkte in der LV 52 des Länderausschusses für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI), und zwar schon im Jahr 2009. Man hätte hier nicht erst auf die GDA warten müssen.

§§ 87 und 89 des Betriebsverfassungsgesetzes

Samstag, 18. Januar 2014 - 09:40

Der § 89 BetrVG Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz konkretisiert den § 87 BetrVG Mitbestimmungsrechte. Genau genommen geht es hier nicht um Mitbestimmungsrechte, sondern um Mitbestimmungspflichten. Beide Paragrafen sind keine Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, sondern sie verbinden diese Freiheit der Arbeitgeber mit deren Verantwortung für die Arbeitnehmer. Beide Normen schreiben dazu den Arbeitnehmern die Ausübung von Mitbestimmunsrechten vor, denn wenn Arbeitnehmervertretungen auf ihr Mitbestimmungsrecht “verzichten” würden, dann funktionieren gesetzlich vorgeschriebene (und von weisen Leuten gut erklärte) Korrekturmechanismen nicht mehr. Die Mitbestimmungspflicht ist unabdingbar, die Arbeitnehmervertretungen haben sich also daran zu halten. Fehlen ihnen die Ressourcen (Wissen, Rechtsbeistand usw.) dazu, so hilft das nicht als Ausrede, sondern die Arbeitnehmervertreter müssen sich dann diese Ressourcen (Freistellungen, Berater, Rechtsanwälte, Weiterbildung usw.) verschaffen.

§ 87 Mitbestimmungsrechte

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
[...]
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
[...]
7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
[...]

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz

(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.

(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

(3) Als betrieblicher Umweltschutz im Sinne dieses Gesetzes sind alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen.

(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.

(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.

(6) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Durchschrift der nach § 193 Abs. 5 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom Betriebsrat zu unterschreibenden Unfallanzeige auszuhändigen.

Damit es klar ist:

  • Der Betriebsrat hat seine Aufgaben unabdingbar zu erfüllen. § 89 gibt ihm nicht nur Rechte, sondern Pflichten. Wo Rechte der Arbeitnehmervertretung als Pflichten formuliert sind, kann sie nicht auf die Ausübung dieser Rechte verzichten. Arbeitgeber, die die Arbeitnehmervertretung bei der Ausübung ihrer Pflichten behindert, begehen eine Straftat.
  • Zu den im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz und betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen zählen auch Audits (sowohl von internen wie auch von externen Auditoren) für OHSAS 18001 und ISO 14001, denn sie dienen der Systemkontrolle z.B. von Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsystemen und damit der Entlastung der behördlichen Aufsicht. Diese Entlastung bedeutet natürlich nicht, dass die Arbeitnehmervertreter von den nun in die Systemkontrolle verlagerten Aufsichtsaufgaben ausgeschlossen werden können.
  • Zu den Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen zählen auch die Berichte, die bei Audits für OHSAS 18001 und ISO 14001 erstellt werden. Der Arbeitgeber hat hier eine Bringschuld.
  • In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben gilt, dass die Dokumentation nur von Unfällen nicht ausreicht. Es sind alle Vorfälle nach Definition 3.9 und 3.8 (OHSAS 18001:2007) zu dokumentieren, also nicht nur meldepflichtige Unfälle, sondern alle Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Das kann der Betriebsrat basierend auf OHSAS 18001 verlangen. (Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.)
  • Gesetzestext: § 89 BetrVG
  • Betriebsverfassungsgesetz im Arbeitsschutz

Ministerium nimmt Personalvertretungen und Betriebsärzte in die Pflicht

Samstag, 23. März 2013 - 22:00

Auf eine Anfrage hin hat mir das Bayerische Staatsministerium für Arbeit- und Sozialordnung, Familie und Frauen (Referat II 3; Arbeitsmedizin, Arbeitsschutzorganisation, sozialer Arbeitsschutz) eine freundliche und ehrliche Antwort geschickt.

Vielen Dank für Ihre E-Mail vom 18. Februar 2013 an Staatsministerin Christine Haderthauer, in der Sie über Probleme bei der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Einbeziehung psychischer Belastungen berichten. Frau Staatsministerin hat uns, als das für die Arbeitsmedizin zuständige Fachreferat, mit der Beantwortung Ihrer E-Mail beauftragt.

Seit dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) im Jahre 1996 hat der Arbeitgeber alle erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit zu treffen. Bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss der Arbeitgeber auch die Gefährdung durch „psychische Belastungen“ mit einbeziehen.

Der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) hat auf seiner 54. Sitzung im September 2009 in Kiel die Veröffentlichung der LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden“ beschlossen. Basierend auf dieser LASI-Publikation wird künftig in Bayern durch technisches und ärztliches Personal der Gewerbeaufsicht die Beratung zu und die Überwachung von psychischen Belastungen am Arbeitsplatz in den Unternehmen von Seiten der Arbeitsschutzbehörden erfolgen. Diese Handlungshilfe wird es dem Aufsichtspersonal in der Praxis ermöglichen, grob orientierend Anhaltspunkte für psychische Fehlbelastungen in Betrieben zu erkennen und erforderliche betriebliche Maßnahmen anzustoßen.

Derzeit werden die bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamtinnen und -beamten entsprechend geschult.

Zentraler Ansatzpunkt ist die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung. Allerdings ist festzustellen, dass es für die Gewerbeaufsicht oft nur sehr schwer möglich sein wird, auch bei vorhandener Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich psychischer Belastungen, im Rahmen einer Betriebsüberprüfung zu erkennen, ob (in bestimmten Bereichen) erhöhte psychische Belastungen vorliegen und ob ausreichende Maßnahmen getroffen wurden, diesen entgegenzuwirken. Einfacher wird es sein in Branchen, in denen es bekannter Weise zu erhöhten psychische Belastungen kommt.

Deshalb und in Anbetracht der sehr limitierten Personalressourcen wird es den bayerischen Arbeitsschutzbehörden nur möglich sein, die Unternehmen für die Belange psychischer Belastungen zu sensibilisieren und eine „Anstoßberatung“ durchzuführen. Kontrollen werden nur in Ausnahmefällen in die Tiefe gehen können.

Es steht außer Frage, dass Gefährdungsbeurteilungen auch in Hinblick auf psychische Belastungen „gelebt“ werden müssen. Die Verantwortung dafür trägt der Arbeitgeber. Sollte es hier Mängel geben, so gibt es ja gerade in großen Betrieben die Möglichkeit Probleme intern, über eine starke Personalvertretung oder den Betriebsarzt anzugehen. Die Behörde wird tätig, sobald ihr Defizite bekannt werden.

(Link und Hervorhebungen nachträglich in den Text eingetragen)

Die “Burnout Detektive” der Ministerin Haderthauer waren dann wohl eher eine Erfindung der Presse.

Es geht vermutlich nicht nur um Ressourcenprobleme, sondern auch um eine Gewerbeaufsicht, die sich gegenüber den Unternehmen nicht wirklich durchsetzen darf. Noch Anfang 2012 traute sich die Gewerbeaufsicht, zu schreiben:

[...] Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest. [...]

Der Text ist inzwischen verschwunden.

Die Überforderung der Gewerbeaufsicht ist übrigens kein ausschließlich bayerisches Problem, sondern sie gefährdet die Arbeitnehmer bundesweit.

 


Vier Anmerkungen zu dem Brief:

Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte in der Pflicht: Die offene und ehrliche Antwort des Staatsministeriums ist hilfreich, denn sie zeigt eine Lösung auf: Die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte werden in die Pflicht genommen. Diese Lösung gibt es natürlich schon seit es das Betriebsverfassungsgesetz und das heutige Arbeitsschutzgesetz gibt! Aber es ist gut, wenn sich Betriebs- und Personalräte auch einmal von einer eher konservativen Staatsregierung anhören müssen, dass die Gewerbeaufsicht ohne engagierte Arbeitnehmervertretungen und Betriebsärzte auf einem verlorenen Posten steht. Wenn diese Akteure zu schüchtern und zu schlecht ausgebildet sind und die Gewerbeaufsicht nicht auf Defizite hinweisen, dann funktioniert die Kontrolle der Gefährdungsbeurteilung nicht.

Mehrbelastung von Arbeitnehmervertretern und Betriebsärzten: Hier sind Aufgaben auf die Arbeitnehmervertretungen und die Betriebsärzte (aber auch auf die Fachkräfte des Arbeitsschutzes) zugekommen, denen möglicherweise existierende Richtlinien zur Budgetierung nicht mehr gerecht werden. Sie müssen ja nun die Ressourcenprobleme der Behörden kompensieren. Für mutige Arbeitnehmervertretungen ist das kein unlösbares Problem: Zwar gilt weiterhin ein Betriebsverfassungsgesetz mit heute zu wenig Freistellungen, aber auch dank der ehrlichen Darstellung von behördlichem Ressourcenmangel durch Staats- und Bundesministerinnen werden Arbeitsrichter die Ressourcenprobleme der Personal- und Betriebsräte, der Betriebsärzte und der Fachkräfte für den Arbeitsschutz besser verstehen. Allerdings gibt es leider auch Arbeitnehmervertretungen, die zu schwach und zu kleinmütig sind, angemessene Ressourcen (z.B. Weiterbildung, externe Auditoren und Experten usw.) für sich durchzusetzen und Freistellungszeiten über das gesetzlich garantierte Mindestmaß hinaus auszudehnen.

Arbeitnehmervertreter zuständig für die Beurteilung der Arbeitsschutzqualität: Die Antwort des Staatsministeriums erlaubt noch eine weitere Schlussfolgerung: Gibt es nach einer Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht keinen Mängelbericht, dann können Betriebe (in Bayern, aber wohl auch in anderen Ländern) trotzdem nicht behaupten, dass die Gewerbeaufsicht ihnen bestätigt habe, dass sie psychische Belastungen pflichtgemäß in den Arbeitsschutz einbeziehen. Das Ministerium verweist uns hier an die Arbeitnehmervertretungen und an die Betriebsärzte.
        Von den beiden genannten Akteuren im Arbeits- und Gesundheitsschutz haben nun wiederum die Arbeitnehmervertretungen die besseren Durchsetzungsmöglichkeiten. (Für die Fachkräfte der Arbeitsschutzes in den Betrieben ist das nicht so einfach.) Wehe den Mitarbeitern der Betriebe, in denen die Betriebsräte oder der Personalräte zu schüchtern oder/und zu schlecht ausgebildet sind, um Ihrer Mitbestimmungspflicht im Arbeitsschutz gerecht zu werden!

Falsches Verständnis von vertrauensvoller Zusammenarbeit: Angesichts der Bedeutung der Betriebs- und Personalräte für die Kontrolle des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ist es besonders bedenklich, wenn der Arbeitgeber und die Arbeitnehmervertretung vertrauensvolle Zusammenarbeit falsch verstehen und gemeinsam bei Besichtigungen durch Auditoren, durch die Gewerbeaufsicht und durch die Berufsgenossenschaft jene Vorfälle und Gefährdungen verheimlichen, die als arbeitsbezogene Ereignisse auftraten oder auftreten können, obwohl diese Vorfälle und Gefährdungen zum Beispiel physische und psychische Verletzungen oder Erkrankungen (bei OHSAS 18001 ohne Berücksichtigung der Schwere!) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. (Erkrankungen sind in diesem Zusammenhang erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert.)
        Solche Arbeitnehmervertretungen sind vielleicht sogar gefährlicher als gar keine Arbeitnehmervertretungen, denn sie nehmen den von ihnen vertretenen Mitarbeitern grundlegende Rechte im Arbeits- und Gesundheitsschutz. Ein ziemlich entsetzliches Beispiel: Von konkreten Fällen starker psychischer Fehlbelastung betroffene Mitarbeiter werden alleine gelassen, damit die harmonische Zusammenarbeit zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat bei gemeinsamen Projekten nicht gestört wird.
        Betriebsräte, die (vielleicht in guter Absicht) einer Betriebsleitung helfen, Fälle psychischer Fehlbelastngen und das Fehlen wirklich wirksamer Beurteilungen psychischer Belastungen unter den Teppich zu kehren, werden am Ende zum Dank auch noch über den Tisch gezogen: Wenn der Arbeitgeber sich nach geschickter Vorbereitung und Vertuschungsarbeit in kleinen und unauffälligen Schritten sicher genug fühlt, wird er behaupten, dass sein Arbeitsschutz schon lange ganzheitlich gewesen sei, denn der Betriebsrat hätte ja in der Vergangenheit bei Besuchen der Gewerbeaufsicht die Aufsichtspersonen pflichtgemäß auf Defizite aufmerksam machen können. “Offensichtlich” habe es aber keine Defizite gegeben. Zum Schluss können der Arbeitgeber und die Gewerbeaufsicht den schwarzen Peter so zum Betriebsrat schieben - und zwar zu Recht!

Andererseits: Auch Betriebsräte können ausbrennen.

Noch einmal der Hinweis: LASI-Veröffentlichungen

Systemkontrolle hat versagt

Montag, 29. Oktober 2012 - 22:16

http://www.bremische-buergerschaft.de/drs_abo/Drs-18-614_957.pdf

BREMISCHE BÜRGERSCHAFT
Landtag
18. Wahlperiode
Drucksache 18/614
23.10.12
Antwort des Senats auf die Kleine Anfrage der Fraktion der SPD
Entwicklung des Arbeitsschutzes im Lande Bremen

Der Wechsel von der ineffizienten Abstellung von Einzelmängeln hin zur Überprüfung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der innerbetrieblichen Arbeitsschutzorganisation – der sogenannten Systemkontrolle – wurde im Jahr 1995 durch die Arbeits- und Sozialministerkonferenz beschlossen. Mit der Systemkontrolle wird die Überwachung und Beratung von Unternehmen als strukturierter Prozess der Behörden angelegt, der die Verbesserung des Niveaus der Arbeitsschutzorganisation im Betrieb anstrebt. Gleichzeitig wird der Aufbau einer funktionierenden innerbetrieblichen Arbeitsschutzorganisation als kontinuierlicher Prozess im Betrieb gefördert.

Weiterhin bietet die Systemkontrolle in Verbindung mit der risikogesteuerten Aufsicht die Möglichkeit, um mit abnehmenden Personalressourcen effektiv für eine staatliche Arbeitsschutzüberwachung im Land Bremen zu sorgen.

Die Systemkontrolle hat sich in Bremen genauso wie in Deutschland bewährt.

Falsch. Die Systemkontrolle hat im Bereich der psychischen Belastungen nachweislich versagt.


Bisher lag der Schwerpunkt der Besichtigungen der Gewerbeaufsicht im „Technischen Arbeitsschutz“. Das Thema „psychische Belastung bei der Arbeit“ wird bisher noch nicht angemessen in den Betrieben sowie der Aufsicht und Beratung durch die Gewerbeaufsicht und die Unfallversicherungsträger berücksichtigt.

Um dem entgegenzuwirken, hat der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) 2009 Vorgaben zur „Integration psychischer Belastungen in die Beratungsund Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder – LV 52 veröffentlicht. Im Rahmen der GDA wurde am 24.09.2012 die „Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz“ als gemeinsamer Grundsatz für die Beratung und Überwachung der Unfallversicherungsträger und der Gewerbeaufsicht beschlossen.

(Links und Hervorhebungen nachträglich eingetragen)

Richtig.

Vielen Betriebsräten scheint das Thema “Systemkontrolle” zu komplex zu sein. Sie blicken nicht durch. So gelingt es den Arbeitgebern, den überforderten Behörden Zertifikate z.B. für OHSAS 18001 vorzulegen, deren Qualität mangels ausreichender Aufsicht durch die Arbeitnehmervertreter jedoch nicht gesichert ist. Nicht die Arbeitnehmer, sondern die Arbeitgeber sind die Auftragsgeber der Zertifizierungsgesellschaften. Und auch im Zertifizierungsgeschäft gilt: Wer zahlt, bestimmt die Musik.

In der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Zertifizierungsgesellschaft fehlt häufig der Respekt für die Arbeitnehmervertreter. Daran sind Betriebsräte, die Arbeitsschutzmanagementsysteme und die Systemkontrolle nicht verstehen, allerdings auch selbst schuld.

Qualifizierung der Bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten

Mittwoch, 25. Juli 2012 - 21:06

http://www.verwaltung.bayern.de/egov-portlets/xview/Anlage/4038079/Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Freistaates Bayern 2010.pdf, S. 59

Qualifizierung der Bayerischen Gewerbeaufsichtsbeamten zur Thematik „arbeitsbedingte psychische Belastungen“

Arbeitsbedingte psychische Belastungen: eine Herausforderung für die Gewerbeaufsicht …

… Schwerpunktaktionen zu psychischen Belastungen hat es zwar in Bayern schon in einzelnen Branchen und Tätigkeitsfeldern gegeben (siehe www.lgl.bayern.de), sie wurden aber ausschließlich von Gewerbeärzten in Zusammenarbeit mit dem LGL durchgeführt. Die technischen Beamten – und damit das Gros des Personals der Gewerbeaufsicht – waren nicht eingebunden. …

 
S. 60

… Alle technischen Aufsichtsbeamten erhalten bis Ende 2011 eine Basisschulung zum Baustein I (siehe Tabelle 3). 2012 sollen alle technischen Aufsichtsbeamten zum Baustein II qualifiziert werden. Der Baustein III dient dem Erfahrungsaustausch der Aufsichtsbeamten und wird voraussichtlich 2013 durchgeführt.
Verbindliche Schulungsinhalte für alle Mitarbeiter mit Revisionstätigkeiten</p>
<p>== Schulungsangebot ==<br />
Basisschulung Baustein I<br />
Basisschulung Baustein II<br />
Erfahrungsaustausch und 'Gefährdungsbeurtei lung'<br />
Basisschulung Baustein III<br />
Erfahrungsaustausch</p>
<p>== Lernziele ==<br />
Aneignung von: Grundkenntnissen zum Themenfeld psychische Belastungen (pB) Integrationsansätzen in die Besichtigungstätigkeit<br />
I. Festigung des erworbenen Wissens, Austausch von Erfahrungen<br />
II.Befähigung zur Information, Beratung und Überwachung zur Gefährdungsbeurteilung (Teil 'Psychische Belastung')<br />
 Festigung des erworbenen Wissens,<br />
 Austausch von Erfahrungen</p>
<p> == Inhalte ==<br />
  Begriffklärung Stress, Belastungs-Beanspruchungs-Konzept<br />
 Risikofaktoren: Begriffe, Beispiele, Bedeutung<br />
 Ressourcen: Begriffe, Beispiele, Bedeutung<br />
Indikatoren von pB im Betrieb<br />
Kurz- und langfristige Folgen von psychischen Belastungen<br />
Tätigkeitsmerkmale der Arbeitsgestaltung<br />
Gestaltungsempfehlungen, Handlungsfelder, Beispiele, Lösungen, Erfah-<br />
rungsaustausch<br />
Relevanz der Erkenntnisse für die Arbeitsschutzverwaltung<br />
Erste Schritte im Betrieb: Wie spreche ich mit dem Arbeitgeber<br />
eigene Rolle und Grenzen<br />
 I. Erfahrungen unter anderem zu/zum<br />
  Bedingungen im Betrieb, Fallbeschreibung<br />
 Vorgehen im Betrieb<br />
 II.Gefährdungsbeurteilung:<br />
Methodenübersicht<br />
  Vorstellung praxisnaher Instrumente<br />
 Prozess und Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung<br />
 Beurteilung der Gefährdungsbeurteilung Teil 'Psychische Belastung' entsprechend der 'Leitlinie'<br />
Wie gehe ich konkret im Betrieb vor?<br />
 Erfahrungen unter anderem zu/zum<br />
  Bedingungen im Betrieb, Fallbeschreibung<br />
 Vorgehen im Betrieb<br />
Handlungsbedarf, Risikofaktoren, Ressourcen<br />
Gestaltungsmaßnahmen<br />
Förderliche und hemmende Faktoren<br />
Reaktion des Unternehmens<br />
Möglichkeiten der verbesserten Einbindung in die Besichtigungstätigkeit</p>
<p>== Methoden ==<br />
 Lehrdialog, moderierte Diskussionen, Fallbeispiele, Aktionsplan 'Transfer'<br />
 Lehrdialog, moderierte Diskussionen, Demonstration, Übung<br />
Fallbeispiele, Aktionsplan zur Umsetzung im Betrieb<br />
Praxisbegleitender Erfahrungsaustausch, intern oder extern moderiert</p>
<p>== Dauer ==<br />
 8 Lerneinheiten/ 2 Tage<br />
 8 Lerneinheiten/ 2 Tage<br />
 4 Lerneinheiten/ 1 Tag oder kontinuierlich praxisbegleitend</p>
<p>Tabelle 3: Curriculum für die Qualifizierung von Aufsichtskräften zum Thema 'psychische Belastungen'
Curriculum für die Qualifizierung von Aufsichtskräften zum Thema “psychische Belastungen”

Diese Tabelle finden Sie auch auf Seite 19 in der LV 52 (LASI).