Kauder hat Stress mit Nahles

Donnerstag, 28. August 2014 - 07:26

Die Union ist gegen die von Andrea Nahles vorangetriebene Anti-Stress-Verordnung. “Gerade heute brauchen die Unternehmer die Flexibilität ihrer Mitarbeiter”, so zitierte das Handelsblatt heute den Unions-Fraktionschef Volker Kauder. “Da arbeiten Menschen aus vielen Ländern der Welt an einem Projekt, manchmal 14 Tage am Stück”, und danach nähmen sie sich mehrere Tage frei - meint Kauder. Unternehmen gingen - angesichts des Fachkräftemangels - ohnehin sorgsam mit ihren Mitarbeitern um, da leuchte ihm die Notwendigkeit einer Anti-Stress-Verordnung nicht ein.

Eine gut gemachte Anti-Stress-Verordung schränkt die Flexibilität der Unternehmen aber überhaupt nicht ein. Die Verordnung soll doch nur dafür sorgen, dass seit Jahren geltendes Recht zu tatsächlich umgesetzten Recht wird, so wie sich das in einem Rechtsstaat nun einmal gehört. Psychische Belastungen werden dabei aber gar nicht verboten. Das ist in Ordnung, denn ohne psychische Belastungen gibt es keine Arbeit. Psychische Fehlbelastungen müssen jedoch gemindert werden, und zwar nachprüfbar. Kauder mag das nicht, aber im vorigen Jahrhundert mussten man sich ja auch erst daran gewöhnen, dass physische Fehlbelastungen nicht mehr hingenommen werden müssen. Heute sind vermeidbare psychische Fehlbelastungen nicht mehr akzeptabel.

Gerade heute brauchen die Menschen angesichts der von den Unternehmen benötigten Flexibilität eine gesunde Psyche. Andrea Nahles weiß, wie man Themen in’s Gespräch bringt.

 


Aus einem Interview im heutigen Handelsblatt wird (von der Agentur AFP?) herausgelesen, dass der Unionsfraktionschef Kauder “strikt” gegen die von Arbeitsministerin Nahles geplante Anti-Stress-Verordnung sei. Es ginge auch ohne neue Regeln. Das stimmt: Für die Mehrheit der Unternehmer und die überforderten Gewerbeaufsichten ginge es auch ohne neue Regeln, weiterhin ungestraft gegen das Arbeitsschutzgesetz zu verstoßen. Das Unterfangen, das Thema “psychische Belastung am Arbeitsplatz” möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten blieb dank dieser Situation zu lange ungestört.

Thema des Interviews mit Volker Kauder, das im Handelsblatt fast eine ganze Seite füllt, war “Mehr Mut für neue Ideen”. In einem kleinen Absatz sagte Kauder auch etwas zur Anti-Stress-Verordnung. Unter dem Titel “Stress mit dem Arbeitsschutzgesetz” schrieb Frank Specht dann noch einen Artikel neben dem Interview über die Ablehnung einer Anti-Stress-Verordnung durch die Union und die Arbeitgebervereinigung BDA. Specht schreibt, der Generalsekretär der CDU, Wolfgang Steiger warne davor, die Freiheiten von Unternehmernund Arbeitnehmern weiter einzuschränken. Das Argumentationsmuster ist bekannt, aber eine Anti-Stress-Verordung könnte beiden Parteien ja auch weiterhelfen, ihre Freiheiten besser zu nutzen.

Noch als Arbeitsministerin erkannte Ursula v.d. Leyen “Unwissenheit und Hilflosigkeit” beim Thema der arbeitsbedingten psychischen Belastungen. Das ist keine gute Basis für die Nutzung der Freiheit, die das Arbeitsschutzgesetz den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern als Rahmengesetz gewährt und die Frakn Specht verteidigen will. Der sich aus dieser Freiheit ergebende Gestaltungsbedarf wurde von 1996 bis etwa 2011 kaum befriedigt. Da kann man schon auf die Idee kommen, mit einer Verordnung ein bisschen nachzuhelfen.

Wie kann man gegen eine Verordnung sein, die es noch gar nicht gibt? Es kommt doch darauf an, wie eine solche Verordnung dafür sorgt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber endlich in die Puschen kommen. Eine solche Verordnung könnte ja nicht nur Hilfestellung bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes geben, sondern auch helfen, den § 89 BetrVG (Mitbestimmung im Arbeitsschutz) zeitgemäß umzusetzen, und zwar auch in Betrieben ohne Arbeitnehmervertretung.

So könnte man z.B. Betriebe fördern, in denen mindestens ein Arbeitnehmervertreter (oder Arbeitnehmer, wenn es keinen Betriebsrat gibt) das Arbeitsschutzmanagement nach ISO 19011 gut qualifiziert und professionell auditieren kann. Arbeitsschutz-Audits müssten explizit als “Besichtigungen” im Sinne des § 89 definiert werden, um die Teilnahme der Mitarbeiter (bzw. deren Vertreter) an Audits sicherzustellen. Die Arbeitnehmer müssten nicht nur das Recht haben, die in Audits gewonnenen Erkenntnisse zu erfahren, sondern sie müssten dieses Recht auch in der Praxis nutzen können.

Ich finde, dass Festlegungen von Belastungsgrenzen in einer Anti-Stress-Verordnung wenig Sinn machen. Die Grenzen müssten sehr hoch liegen, um allgemeinverbindlich zu sein. Belastungsgrenzen sollten tatsächlich die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber betriebsnah miteinander vereinbaren. Wichtiger ist es, im Arbeitsschutz glaubwürdige Prozesse zu haben, die nicht nur auf dem Papier stehen, sondern Fehlbelastungen tatsächlich vorbeugen und auch für die Arbeitnehmer vollständig transparent und nachvollziehbar sind. Um an der Gestaltung mitwirken zu können, brauchen insbesondere die Arbeitnehmer jedoch mehr Wirkungsmöglichkeiten und auch eine bessere Qualifikation. Wer mitbestimmen will, muss sich in der mitbestimmten Thematik gut auskennen. Daran hapert es auch bei vielen Arbeitnehmervertretern. Hier könnte eine praxisnah gestaltete Anti-Stress-Verordnung ebenfalls weiterhelfen.


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