Tabuthema Arbeitsschutz

Freitag, 9. März 2012 - 11:56

Die Arbeitgeber haben die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Die folgende Veröffentlichung erhellt die Strategie der Arbeitgeber, von ihrer eigenen Verantwortung abzulenken und statt dessen ihre Mitarbeiter in die Pflicht zu nehmen. Alexander Gunkel hat sich richtig Mühe gegeben, das Wort Arbeitsschutz zu vermeiden. Auch die Presse findet den Arbeitsschutz zu langweilig, obwohl erst die Zwänge des modernen Arbeitsschutz die Arbeitgeber dazu gebracht haben, das Thema der psychischen Belastungen nicht mehr ignorieren zu können.

Arbeitgeber sprechen lieber von “Gesundheitsmanagement” und “Gesundheitsförderung” als von “Arbeitsschutz”. Bei letzterem haben sie sich nach dem Arbeitsschutzgesetz zu richten. Damit haben die Arbeitgeber aber seit 1996 Schwierigkeiten, wie selbst Ursula von der Leyen feststellte:
http://fazjob.net/ratgeber_und_service/beruf_und_chance/fuehrungskraefte/?em_cnt=120637

… Die Ministerin will dazu nicht die Gesetze verschärfen, vielmehr müssten Arbeitgeber die geltenden Arbeitsschutzgesetze besser einhalten: Sieben von zehn Unternehmen ließen das Thema “aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit” schleifen, sagte von der Leyen …

Außerdem hat im Arbeitsschutz die Verhältnisprävention Vorrang. Das erschwert es, die Ursachen für psychische Erkrankungen vorwiegend bei den individuellen Mitarbeitern zu verorten. Der Arbeitsschutz aber fragt nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen.

Offen Stellen die Arbeitgeber das Arbeitsschutzgesetz nicht in Frage. Wirksamer scheint es zu sein, die schon bisher so hilfreiche “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” nicht nur zu pflegen, sondern auch noch zu verstärken:

http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/125D79C3512AFB0FC12579A5002CE46B/$file/Statement%20Gu-Salzgitter.pdf

(Es gilt das gesprochene Wort.)
Statement im Pressegespräch:

Psychische Gesundheit – Abgestimmtes Handeln im Unternehmen schafft Handlungssicherheit und Erfolg

Rede von Alexander Gunkel

(Erstellungsdatum der Datei: 2012-02-14)

Meine Damen und Herren,

noch immer wird der Begriff Gesundheit vor allem mit einem gesunden Körper verbunden. Dabei ist das psychische Befinden für Gesundheit ebenso wichtig.

Den Betrieben ist die Bedeutung der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter seit langem bewusst. Psychische Gesundheit entscheidet ganz maßgeblich darüber, wie einsatz-, leistungs- und belastungsfähig ein Arbeitnehmer ist. Fehlt sie, drohen häufige lange Fehlzeiten und ggf. sogar das vorzeitige Ausscheiden der Arbeitnehmer aus dem Beruf.

Der großen Mehrheit der Betriebe ist spätestens seit 2005 bewusst, dass sie Bestimmungen zum Schutz der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeiter missachten.

Deshalb ist der Erhalt gerade auch der psychischen Gesundheit der Beschäftigten ein ganz wichtiges Anliegen der Arbeitgeber. Viele Betriebe engagieren sich daher mit großem Einsatz, um die psychische Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu stärken, z. B. mit Schulungen zu Zeitmanagement, sportlichen Aktivitäten oder Training von Entspannungsübungen. Sie versuchen die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Zudem gehört es inzwischen zu jeder guten Führungskräfteschulung, dass Sensibilität für die wichtige Frage der psychischen Gesundheit geweckt wird. 

Zwar ist darum der Erhalt gerade auch der psychischen Gesundheit der Beschäftigten ein ganz wichtiges Anliegen der Arbeitgeber, aber die Notwendigkeit, Vorschriften befolgen zu müssen, ist das Hauptmotiv der Arbeitgeber.

  • Verhaltensprävention: Viele Betriebe engagieren sich daher mit großem Einsatz, um die psychische Gesundheit ihrer Arbeitnehmer zu stärken, z. B. mit Schulungen zu Zeitmanagement, sportlichen Aktivitäten oder Training von Entspannungsübungen. Wenn dabei die Freizeit und das Geld der Arbeitnehmer in Anspruch genommen wird, dann können diese Maßnahmen jedoch nicht als ein Beitrag zur Befolgung der Arbeitsschutzbestimmungen dargestellt werden.
  • Verhältnisprävention: Die Arbeitgeber haben die Arbeitsabläufe so zu gestalten, dass psychische Fehlbeanspruchungen möglichst vermieden werden. Zudem gehört es inzwischen zu jeder guten Führungskräfteschulung, dass Sensibilität für die wichtige Frage der psychischen Gesundheit geweckt wird. Schulungen, die als im Arbeitsschutz vorgeschriebene Unterweisungen gelten sollen, sind mitbestimmt.

Das Engagement der Betriebe kann dazu beitragen, aber niemals allein sicherstellen, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer psychisch gesund ist und bleibt. Psychische Gesundheit hängt von sehr viel mehr ab als von betrieblichen Faktoren, z. B. von den jeweiligen persönlichen Voraussetzungen, vom Selbstwertgefühl, dem eigenen Verhalten, von Einstellungen und Erwartungen, dem persönlichen Umfeld und von den sozialen Kontakten. Auf all diese Faktoren haben Betriebe jedoch keinen Einfluss.

Dass das Engagement der Betriebe dazu beitragen, aber niemals allein sicherstellen kann, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer psychisch gesund ist und bleibt, wird gerne von Arbeitgebern betont, um den Anschein zu erwecken, als ob ihnen eine Verantwortung zugewiesen wird, die sie nicht haben.

Da psychische Gesundheit nicht nur von betrieblichen Faktoren abhängen, interessiert sich der Arbeitsschutz eben gerade nicht für die jeweiligen persönlichen Voraussetzungen, für das individuelle Selbstwertgefühl, für das individuelle Verhalten, für individuelle Einstellungen und Erwartungen, für das persönlichen Umfeld und und für individuelle soziale Kontakte. Statt dessen richtet der Arbeitsschutz den Blick auf die Belastungen, die vom Arbeitsplatz ausgehend auf das Individuum wirken. Nur für diese Belastungen sind die Arbeitgeber verantwortlich und haftbar. Keiner verlangt von ihnen, für Belastungen verantwortlich zu sein, auf die Arbeitgeber keinen Einfluss haben.

Obwohl der Arbeitsschutz die Arbeitgeber für die von ihnen nicht beeinflussbaren Faktoren eben gerade nicht verantwortlich macht, weisen sie gerne immer wieder darauf hin, dass Betriebe auf all diese Faktoren keinen Einfluss haben. Möchten sie davon ablenken, dass sie genau dort, wo sie Einfluss haben, seit vielen Jahren nachhaltig gegen die Pflicht verstoßen, psychisch wirksame Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen?

Beispiel: Eine Gefährdungsbeurteilung nicht durchzuführen oder sogar darin falsche Angaben zu machen (z.B. Behauptung der Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung ohne Angabe, dass es die in der Verordnung geforderte Beurteilung psychischer Belastungen nicht gibt) ist eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Pflichtverletzung, für die weder die böse Umwelt noch weichliche Mitarbeiter verantwortlich gemacht werden können. Kurz: Das Fehlen einer Beurteilung psychischer Belastungen führt selbst schon zu einer Erhöhung des Gefährdungsrisikos für die Mitarbeiter. Dafür ist der rechtswidrig handelnde Arbeitgeber verantwortlich, nicht seine Mitarbeiter und nicht der Wettbewerb oder ein anderer außerhalb des Unternehmens liegender Faktor.

Es gibt sogar Fälle, in der diese Pflichtverletzung monatelang aufrecht erhalten wurde, obwohl die Arbeitnehmervertretung eine Korrektur verlangt hatte. Solch eine vorsätzliche Pflichtverletzung hat doch auch nichts mit der individuellen seelischen Verfasstheit einzelner Mitarbeiter zu tun. Und umweltbedingt ist der Wille des Arbeitgebers zur Missachtung seiner Pflichten auch nicht. Allerdings hat der Wille, sich über das Gesetz zu stellen, durchaus mit individuellen Einstellungen zu tun: Es geht hier um die individuelle seelische Verfasstheit von Top-Managern.

Deshalb bleibt jeder einzelne Beschäftigte gefordert, selbst dazu beizutragen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Wer will, findet dabei inzwischen vielfältige, gut geeignete Unterstützung. Eine nützliche Handlungshilfe für Beschäftigte hat z. B. das Deutsche Netzwerk für Betriebliche Gesundheitsförderung zur Verfügung gestellt.

Weil die Arbeitgeber ihre Pflichten verletzen, bleiben die Beschäftigten gefordert, selbst dazu beizutragen, psychisch im Gleichgewicht zu bleiben. Hallo?!

Für uns Arbeitgeber ist vor allem eins wichtig: Die Probleme mit psychischen Erkrankungen lassen sich nur im gemeinsamen Zusammenwirken aller Beteiligten lösen. Die Betriebe sind dabei ebenso gefordert wie die Betroffenen selbst. Und genauso wichtig ist eine gute medizinische Versorgung sowie vor allem ein gutes Versorgungsmanagement. Hier sind gerade auch die Sozialversicherungsträger in der Pflicht. Wie wir gleich noch an einem guten Beispiel erfahren können, sind die Kranken- und Rentenversicherung dabei auch zunehmend aktiv.

Alexander Gunkel, der für ihre Pflichten verletzende Arbeitgeber spricht, verteilt hier Pflichten an die Sozialversicherungsträger.

Die Betriebe sind bei ihrem Engagement zur Vorbeugung, zur Vermeidung und beim Umgang mit psychischen Erkrankungen auf fachliche Unterstützung angewiesen. Wir sehen dabei die Betriebs- und Werksärzte als unsere ersten Ansprechpartner. Die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Betriebsärzten hat sich über viele Jahrzehnte hinweg bewährt. Sie kann und muss aber noch im Bereich der psychischen Gesundheit optimiert werden. Betriebsärzte, da sind wir gemeinsam überzeugt, können zwei ganz wichtige Aufgaben übernehmen:

  • Zum einen können sie dem einzelnen Beschäftigten durch gezielte individuelle Beratung helfen, Belastungen bei der Arbeit besser zu bewältigen.
  • Zum anderen können die Betriebsärzte die Arbeitgeber vor allem dann unterstützen, wenn es darum geht, mögliche negative Belastungsfaktoren zu vermeiden, und sie können den Arbeitgebern bei der Frage des Umgangs mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern helfen.

Um hierfür zu werben und künftig noch besser von den Betriebsund Werksärzten unterstützt werden zu können, wollen wir, BDA und VDBW, mit unserer heutigen Erklärung den Handlungsrahmen für künftige gemeinsame Aktivitäten abstecken.

(Vergleiche dazu: Position von IGM und VDBW.)

Alexander Gunkel führte eigentlich drei Punkte auf:

  • Zum einen sollen Betriebsärste dem einzelnen Beschäftigten durch gezielte individuelle Beratung helfen können, Belastungen bei der Arbeit besser zu bewältigen.
  • Zum anderen sollen die Betriebsärzte die Arbeitgeber vor allem dann unterstützen können, wenn es darum geht, mögliche negative Belastungsfaktoren zu vermeiden,
  • und sie können den Arbeitgebern bei der Frage des Umgangs mit psychisch erkrankten Arbeitnehmern helfen.

Was für ein Glück, dass Ärzte den Eid des Hippokrates geschworen haben - und dass wir daran glauben.

Wie viel sich durch ein konzertiertes Zusammenwirken von Arbeitgebern, Betriebsärzten und Sozialversicherungsträgern erreichen lässt, zeigt das erfolgreiche Modell der Salzgitter AG, das zu geringeren Fehlzeiten und einer besseren Wiedereingliederung vormals psychisch Erkrankter geführt hat.

Anstrengungen, wie sie hier unternommen wurden, lohnen sich nicht nur für die Sozialversicherung, sondern helfen auch den Betrieben, indem sie die Beschäftigungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter erhalten. Arbeitgeber, Betriebsärzte und Sozialversicherung verbindet bislang vor allem das gemeinsame Interesse, die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

Jetzt geht es darum, auch gemeinsam zu handeln. Ein Universalmittel gegen psychische Störungen gibt es nicht. Ich bin aber sehr zuversichtlich, dass das Zusammenwirken verschiedener Akteure, wie wir es Ihnen heute präsentieren, viel dazu beiträgt, um auf diesem schwierigen Feld erfolgreich zu sein.

Das Universalmittel gegen psychische Störungen gibt es nicht, aber auf die Idee, das die Verstöße der Mehrheit der Arbeitgeber gegen den Arbeitsschutz das Risiko von psychischen Störungen erhöhen können, kam Alexander Gunkel in seiner Pressearbeit nicht zu sprechen.

Auch scheint ihn die Mitbestimmung nicht zu interessieren. Eine gute Mitbestimmung durch die Beschäftigten erhöht die Resilienz dieser Beschäftigten. Ohne Respekt für die Mitarbeiter und die Arbeitnehmervertreter wird die fürsorgliche Betreuung von Mitarbeitern zur fürsorglichen Bevormundung der Mitarbeiter.

 
Gemeinsame Positionen vom VDBW mit

 
Siehe auch: http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_Search?open=&l=DE&t=All&q=psychisch


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