Kategorie 'Bundestag'

Petition: Neue Anteilseigner der DAkkS

Mittwoch, 20. November 2013 - 08:16

Meine Petition an den deutschen Bundestag:

Petition 47175 – 19. November 2013

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, zusätzlich zum Wirtschaftsministerium auch die Ministerien für Arbeit und für Umwelt zu Gesellschaftern der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) zu bestellen. Weiterhin sollten aus dem Bereich der Wirtschaft nicht nur Vertreter der Industrie, sondern alle Sozialpartner im Kreis der Gesellschafter vertreten sein.

 
Begründung

Die DAkkS ist die nationale Akkreditierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland. Bei ihr können sich privatwirtschaftliche organisierte Zertifizierungsgesellschaften akkreditieren, die in den Betrieben deutscher Unternehmen die Einhaltung verschiedener Standards überprüfen und den Betrieben ggf. diese Einhaltung bestätigen.

Die GmbH-Anteilseigner der DAkkS sind jeweils zu einem Drittel:

  1. die Bundesländer, vertreten durch die Länder Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt,
  2. die Bundesrepublik Deutschland, vertretend durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und
  3. die Deutsche Wirtschaft, vertretend durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Nun überwacht die DAkkS aber auch Zertifizierer, die im Bereich des Umweltschutzmanagements nach ISO 14001 und im Bereich des Arbeitsschutzmanagements z.B. nach OHSAS 18001 zertifizieren. Die Interessen des Umweltschutzes und des Arbeitsschutzes sind aber im Kreis der Gesellschafter nicht so repräsentiert, wie die Interessen der Wirtschaft.

Diese Unausgewogenheit ist schädlich, denn die bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierer übernehmen praktisch Teilaufgaben der überlasteten (siehe Bundestagsdrucksache 17/10229) Gewerbeaufsicht. Es besteht die Gefahr, dass ohne eine ausgewogenere Kontrolle der Zertifizierer nur wirtschaftsorientierte Akteure die Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsysteme der Wirtschaft auditieren ohne dass die Interessen der eigentlichen “Kunden” (Umwelt, Arbeitnehmer) dieser Systeme genügend berücksichtigt werden.

Dass die Wirtschaft die Wirtschaft überwacht, war bei ISO 9001 noch akzeptabel, da hier ein starkes unternehmerisches Eigeninteresse am guten Management des Geschäfts besteht. Zwar wird auch im Bereich z.B. des Arbeitsschutzes von Unternehmern geltend gemacht, dass der Schutz der Arbeitnehmer für die Wirtschaft wichtig sei, Tatsache ist jedoch, dass etwa 80% der Unternehmen über einen sehr langen Zeitraum ihrer Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht gerecht wurden (siehe ebenfalls Bundestagsdrucksache 17/10229). Das Eigeninteresse der Wirtschaft am Arbeits- und Umweltschutz reicht also beobachtbar nicht aus, um nicht nur im Bereich der technischen Standards sowie des Unternehmensmanagements, sondern auch im Arbeits- und Umweltschutz eine gute Einhaltung von Schutz-Standards anzustreben.

 
Links:

  • “Entlastung” der Gewerbeaufsicht bei Vorliegen eines zertifizierten Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS): Tatsächlich kenne ich Fälle, in denen die Gewerbeaufsicht bei Vorliegen eines zertifizierten AMS nicht einmal mehr nachdenkt, wenn der Betriebsrat Zweifel an der tatsächlichen Qualität des AMS eines Betriebes hat. Die Gewerbeaufsicht verweist den Betriebsrat einfach formal auf das Zertifikat und meint, damit ihren Job getan zu haben.
            Daran sieht man, wie AMS-Zertifikate in der Praxis der Sicherheit der Arbeitnehmer schaden können: AMS-Zertifikate sedieren nicht nur die Gewerbeaufsicht, sondern es gibt sogar Betriebe, die externe Audits (z.B. Audits durch Kunden) mit der Begründung ablehnen, dass sie bereits nach OHSAS 18001 zertifiziert seien, ein zusätzlicher Audit also nicht mehr nötig sei.
            Die DAkkS soll die Zertifizierer überwachen. Da aber durch die Zusammensetzung der Anteilseigner der DAkkS die Interessen der Arbeitnehmer einen niedrigeren Stellenwert erhalten haben, als die Interessen der Arbeitgeber, ist es nun möglich, dass nach einem Zertifizierungs-Audit die Zertifikate, die von einem bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierer erteilt wurden, den Schutz der Arbeitnehmer schwerer überprüfbar machen. Diese Konstruktion der Arbeitsschutzaufsicht ist ein Nachteil für Arbeitnehmer, aber gleichzeitig auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht für manchen Unternehmer das Hauptmotiv, sein AMS zertifizieren zu lassen.
  • Demontage der Gewerbeaufsicht
  • Geschwächte Aufsicht
  • Wie deutsche Zertifizierer von den Niederlanden lernen könnte
  • Gesetze zur Akkreditierung

 


Gemäß der Antwort des Petitionsausschusses (2014-01-27) ist es möglich, dass meine Petition auf falschen Annahmen beruht. Die Begründungen des Petitionsausschusses des Bundestages sind auch bei der Ablehnung von Eingaben immer sehr hilfreich. Respekt. Aber trotzdem halte ich es für möglich, dass die Zusammensetzung der Anteilseigner der DAkkS die kritische Distanz der DAkkS zur Wirtschaft zu sehr verringert.
 

Beachtliche europäische Erkenntnisse

Sonntag, 28. Juli 2013 - 15:04

http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/2013/134_Sitzung_psych_Belastung/Wortpro_134_Sitzung.pdf

Deutscher Bundestag
17. Wahlperiode
752 – 2401
Protokoll 17/134
Öffentliche Anhörung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Wortprotokoll
134. Sitzung

[...] Abgeordnete Kramme (SPD): Meine Frage geht an Herrn Professor Kohte. Welche arbeitsschutzrechtlichen Konsequenzen ergeben sich aus europäischer Sicht? Wie lassen sich deren Ergebnisse und Entwicklungen zusammenfassen? Sind nach Ihrer Auffassung die Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion geeignet, nationale Verbesserungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz herbeizuführen?

Sachverständiger Prof. Dr. Kohte: Vielen Dank für diese Frage. Auf der europäischen Ebene ist seit 1989 klar, dass psychische Belastungen und nicht nur psychische Gesundheit ein Thema des verpflichtenden staatlichen Arbeitsschutzes sind. Wir haben das bei uns ganz versteckt in der Maschinenverordnung 1992 übernommen, aber im Arbeitsschutzgesetz ist dieser Passus der Verschlankung im Jahre 1996 zum Opfer gefallen. Schlankheit ist für Gesetze ein schlechtes Programm. Ich war bei der Anhörung 1994 dabei, da waren wir uns eigentlich alle über den ganzheitlichen Arbeitsschutz einig. Diese Verschlankung hatte andere sachwidrige Gründe. Auf der europäischen Ebene hat man 2004 eine Sozialpartnervereinbarung – also Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften – zu arbeitsbedingtem Stress getroffen.

Ein wesentlicher Punkt war, dass Stress auch ein Thema des Arbeitsschutzes ist. Er ist natürlich nicht nur ein Thema des Arbeitsschutzes – aber auch. Wenn Sie jetzt hier persönliche Belastungen nehmen, selbstverständlich haben heute viele Menschen persönliche Belastungen durch Lärm am Wochenende. Das ist für uns überhaupt kein Argument, dass wir im Betrieb nicht das, was wir dort an Lärmbelastungen haben, verringern. Die meisten Menschen von uns leben in verschiedenen Welten. Es geht jetzt heute um die betriebliche Welt.

Auf der Basis dieser Sozialpartnervereinbarung haben sich auf der europäischen Ebene folgende Konsequenzen ergeben: Die europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheit hat im Jahre 2005 bei der Arbeit in Bilbao ein breites Forschungsprogramm aufgelegt. Daran könnten wir uns sehr viel stärker beteiligen. Das fehlt im Antrag 17/13088. So sehr ich Forschungsförderung begrüße, es gibt schon beachtliche europäische Erkenntnisse, einige Mittel könnte man bei uns einfach zur Übersetzung einsetzen. Ansonsten könnten wir diese Kenntnisse für uns besser nutzen und unsere Fähigkeiten, auch die der BAuA, dort besser einbringen.

In der Mehrzahl der Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat diese Vereinbarung dazu geführt, dass nicht nur die Verbände, sondern auch die jeweiligen politischen Akteure das Rechtssystem präzisiert haben, und zwar in aller Regel auf den drei Ebenen des allgemeinen Gesetzes, der konkreten Verordnung – ich nehme hier die deutschen Kategorien – und zusätzlicher Praxisrichtlinien. Wir haben einige Länder, in denen das ganz hervorragend ausformuliert worden ist, zum Beispiel in den skandinavischen Staaten. Als dann die Kommission nach fünf Jahren Bilanz zog, stellte sie fest, dass diejenigen, die schon gute Ansätze hatten, diese wesentlich verbessert hatten, und dass Deutschland zusammen mit Bulgarien und der Tschechischen Republik im hinteren Mittelfeld hinter Platz 20 von 27 Beteiligten landete. Eine neue Untersuchung hat das noch einmal bestätigt.

Ich habe das Glück, dass nach meiner Stellungnahme am 9. Mai 2013 eine aktuelle ausführliche Veröffentlichung der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheit publiziert worden ist. Dort ist u. a. die Frage untersucht worden, wird der strukturierte Umgang mit dem Stress auf der betrieblichen Ebene verbessert? Da liegt Deutschland wieder hinter Platz 20 und die deutschen Beschäftigten liegen nur mit ihren Wünschen ziemlich weit vorne. Das heißt also, all das, was wir hier diskutiert haben, ist auf der europäischen Ebene bereits analysiert und festgestellt worden. Deswegen muss man daraus Konsequenzen ziehen. Der Antrag 17/12818 stellt zu Recht eine Verordnung in den Vordergrund. So gut es auch ist, dass die Bedeutung des Psychischen im Gesetz klargestellt wird – ich begrüße das auch, – aber das reicht für die Praxis nicht.

Herr Panter hat zu Recht darauf hingewiesen, dass in Deutschland, kooperative Ausschüsse Praxisrichtlinien erstellen. Diese Ausschüsse sind aber keine spontanen Gruppen, die irgendwann zusammen kommen, sondern bei uns in Deutschland ist ein solches Verfahren rechtlich geordnet. In einer Verordnung wird geregelt, wer in einem solchen Ausschuss sitzt und wie dieser Ausschuss sich die Themen wählt. Das Thema der psychischen Belastungen befindet sich im Moment für die Ausschüsse im Niemandsland. Es ist nicht in erster Linie ein arbeitsmedizinisches Thema. Der Ausschuss für Arbeitsmedizin kann nicht das Problem ständiger Erreichbarkeit, akzeptabler E-Mail-Organisation und Ähnliches bearbeiten. Das geht nur, wenn wir eine Verordnung haben, die für einen neuen Ausschuss einen Rahmen schafft.

Als Letztes zur Rolle der Vorgesetzten: In dem Beschluss des Bundesrates, der mit beachtlicher Mehrheit letzte Woche eine solche Verordnung beschlossen hat, sind in § 5 Absatz 3 dort genau solche verpflichtenden Fortbildungsprogramme für Vorgesetzte enthalten, so dass es auch insoweit kein Rätsel ist, was man machen muss. Die Arbeitswissenschaft hat uns auch im europäischen Kontext viele Erkenntnisse vermittelt – man muss diese jetzt nur umsetzen. [...]

Gewerbeaufsicht ist ein Steinbruch

Sonntag, 28. Juli 2013 - 13:55

http://www.aerzteblatt.de/archiv/142796/Interview-mit-Dr-med-Wolfgang-Panter-Praesident-des-Verbandes-Deutscher-Betriebs-und-Werksaerzte-(VDBW)-Entscheidend-ist-das-Fuehrungsverhalten-Fuehren-durch-Vorbild

POLITIK: Das Interview
Interview mit Dr. med. Wolfgang Panter, Präsident des Verbandes Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW): „Entscheidend ist das Führungsverhalten – Führen durch Vorbild“
PP 12, Ausgabe Juli 2013, Seite 300
Bühring, Petra; Osterloh, Falk

[...] Die bisherigen Regelungen fordern bereits eine Gefährdungsbeurteilung sowohl im körperlichen wie im seelischen Bereich, auch wenn Ersteres bisher sehr stark im Vordergrund steht. Wir müssen die Arbeitsabläufe stärker analysieren und schauen, welche Stressfaktoren es in welchen Situationen gibt.

Wir haben aber grundsätzlich weniger ein Regelungs- als ein Umsetzungsproblem. Der Deutsche Beamtenbund hat die Gewerbeaufsicht vor kurzem als Steinbruch bezeichnet, von dem nicht mehr viel übrig ist. Die Gewerbeaufsicht ist aber für die Überwachung der Einhaltung der Regelungen in den Betrieben zuständig. Die Länder haben die Strukturen und Ressourcen vor Ort jedoch so reduziert, dass die Gewerbeaufsicht gar nicht mehr in der Lage ist, die bereits bestehenden Regeln zu kontrollieren. [...]

 
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/2013/134_Sitzung_psych_Belastung/Stellungnahmen_17_11_1152.pdf

DEUTSCHER BUNDESTAG
Ausschuss für
Arbeit und Soziales
17. Wahlperiode
Ausschussdrucksache 17(11)1152
08. Mai 2013

[...] Der dbb hat sich intensiv mit den psychischen Belastungen in der Arbeitswelt befasst und sich in einem Leitantrag dafür ausgesprochen, dass den psychischen Belastungen in der Arbeitswelt und deren Folgen entgegengewirkt werden muss. Dabei steht im Fokus des dbb die Schaffung einer abgestimmten und schlüssigen Rechtslage, deren Umsetzung durch die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder und die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung im bewährten dualen System begleitet und überwacht wird.

In Anbetracht des gravierenden Stellenabbaus der letzten Jahre sowohl in der Arbeitsschutzverwaltung als auch bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, erlaubt es die gegenwärtige Personalsituation jedoch nicht, dass die mit dem Arbeitsschutz betrauten Kolleginnen und Kollegen diesen Ansprüchen gerecht werden können. Seit 2003 sind dem Bericht Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit 2011 zufolge bundesweit mehr als 25 Prozent der Zahl der Gewerbeaufsichtsbeamten abgebaut worden (2003: ca. 4.100 Gewerbeaufsichtsbeamte/2011: ca. 3.050). Daneben wurde der Bestand der Gewerbeärzte in den Arbeitsschutzverwaltungen um mehr als 30 Prozent abgebaut (2003: ca. 150/2011: 90). In einigen Ländern geht der massive Personalabbau sogar noch weiter, und es wird Personal beispielsweise zum Verbraucherschutz versetzt. Zusätzlich gibt es seit Jahren die Tendenz, den Arbeitsschutzverwaltungen fachfremde Aufgaben zu übertragen, so dass die zur Verfügung stehende Zeit für die eigentlichen Aufgaben immer weiter schrumpft. Dies spiegelt sich in einer seit Jahren sinkenden Zahl an vorgenommenen Betriebsbesichtigungen wider. So wurden 2010 von der Gewerbeaufsicht der Länder nur 4,9 Prozent der Betriebe besichtigt, während es 2005 noch 6,4 Prozent waren. Die gewerblichen Berufsgenossenschaften erreichten mit 8,2 Prozent zwar eine höhere Besichtigungsquote, haben ihre Kontrollen gegenüber 2005 (11,31 Prozent) aber ebenfalls reduziert. Diese Zahlen verdeutlichen, dass viele Bundesländer den Staatlichen Arbeitsschutz vernachlässigen und die Arbeitsschutzverwaltungen als ,,Steinbruch” für Personalabbau sehen.

Dieser Entwicklung ist dringend Einhalt zu gebieten. Damit die Aufsichtspersonen ihrer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe auch nachkommen können, muss der Arbeitsschutz ausgebaut und mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet werden. Die von allen drei Oppositionsfraktionen erhobene Forderung nach einer Aufstockung des Personals bei den Arbeitsschutzverwaltungen der Länder und bei den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung wird daher vom dbb vollumfänglich unterstützt. Sie ist die unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die in allen Anträgen – auch dem der Regierungskoalition – formulierten Ziele und Vorhaben zur rechtlichen Regelung des Schutzes der psychischen Gesundheit der Beschäftigten auch tatsächlich greifen. Damit würde Deutschland auch seiner Verpflichtung aus der 1950 in Kraft getretenen ILO-Konvention Nr. 81 nachkommen, die sich mit dem Thema Arbeitsaufsicht in Gewerbe und Handel befasst und in Artikel 10 festschreibt, dass die Zahl der Aufsichtsbeamten ausreichen muss, um die wirksame Ausführung der Aufgaben der Arbeitsaufsicht zu gewährleisten. Zutreffend wird in den vorliegenden Anträgen erkannt, dass neben den erforderlichen Neueinstellungen die bereits im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätigen Kollegen und Kolleginnen zur besseren Beurteilung von psychischen Gefährdungen entsprechend weitergebildet werden müssen. [...]

 
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/2013/134_Sitzung_psych_Belastung/Wortpro_134_Sitzung.pdf

Deutscher Bundestag
17. Wahlperiode
752 – 2401
Protokoll 17/134
Öffentliche Anhörung
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Wortprotokoll
134. Sitzung

[...] Sachverständiger Niesen (Deutscher Beamtenbund und Tarifunion): [...] Zu den Gewerbeaufsichtsbeamten: Hier stellt sich sicherlich für die Zukunft zu diesem Thema die Frage, ob auch sehr breit Schulungsmaßnahmen vorgenommen werden müssen. Aber eines müsste vor allem gestoppt werden, das ist der Abbau von Stellen. Zur Erklärung: Die Gewerbeaufsichtsverwaltung wird in vielen Ländern als Steinbruch benutzt. In den letzten zehn Jahren allein sind über 25 Prozent der Gewerbeaufsichtsbeamten abgebaut worden. Das ist einfach ein Unding.

Also bei allem Respekt vor dem, was Sie heute hier machen wollen, auch noch fraktionsübergreifend, das ist alles zu begrüßen. Aber ich frage mich, wer soll das draußen noch machen? Da müssten Sie ebenfalls noch den Ländern einiges an Vorgaben machen, dass dort quasi nicht jeder machen kann, was er gerade will. Es müsste auch ein klares Wort zu den Organisationsformen der Gewerbeaufsichtsverwaltung zum Ausdruck gebracht werden. Nämlich das, was seit der teuflischen Reform – so nenne ich das jetzt mal – in Baden-Württemberg mit der Gewerbeaufsichtsverwaltung passiert ist. Das ist für mich schlicht und ergreifend ein Skandal. [...]

ArbSchG-Änderungen am 22. April im Bundestag

Freitag, 19. April 2013 - 08:00

Keine Plenardebatten, sondern Anhörungen von Sachverständigen
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/

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Ausschuss für Arbeit und Soziales – Öffentliche Anhörungen

Als nächstes wird der Ausschuss für Arbeit und Soziales Sachverständige zu folgenden Themen in öffentlicher Sitzung anhören:

  1. Neuorganisation der Unfallkassen
    [Hier geht es auch um Änderungen im Arbeitsschutzgesetz.]
    BT-Drs. 17/12297
    Montag,·22. April 2013, 14.00 Uhr,·Paul-Löbe-Haus E 200
    Tagesordnung der 131. Sitzung
  2. Psychische Belastungen in der Arbeitswelt
    BT-Drs.·​17/11042, 17/10867 und 17/12818 [Fehlt hier 17/13088?]
    Montag, 13. Mai 2013, 14.00 Uhr, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus 3.101
    [Siehe auch: http://blog.psybel.de/psychische-gesundheit-am-13-mai-im-bundestag/#13Mai]

Psychische Gesundheit am 13. Mai im Bundestag

Mittwoch, 17. April 2013 - 23:45

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713088.pdf

Für eine humane Arbeitswelt – Psychische Gesundheit auch am Arbeitsplatz stärken
[...]
Volker Kauder [CDU], Gerda Hasselfeldt [CSU] und Fraktion
Rainer Brüderle [FDP] und Fraktion

Die zweite von 15 Forderungen in dem Antrag der Koalitionsfraktionen ist,

durch mehr Öffentlichkeitsarbeit bei Unternehmen, Verwaltungen, sonstigen Einrichtungen und Belegschaften verstärkt für die betriebliche Gesundheitsförderung zu werben.

Mit Gesundheitsförderung von mangelhaftem Arbeitsschutz ablenken: Die Werbung für die betriebliche Gesundheitsförderung ist jetzt schon viel umfangreicher (und wohl auch besser finanziert), als die Werbung für den vorschriftsmäßigen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Anstelle der Gewerbeaufsicht ausreichende Ressourcen zu geben, soll nach dem Willen der Koalition noch mehr Geld in eine betriebliche Gesundheitsförderung gesteck werden, die im Gegensatz zum Arbeits- und Gesundheitsschutz auch die Ressourcen (Zeit und Geld) der Arbeitnehmer beanspruchen kann.
    Der Antrag der Regierungsparteien ist ein Versuch (ähnlich der Strategie des FDP-geführten Bundesministeriums für Gesundheit), betriebliche Gesundheitsförderung vor dem Arbeitsschutz in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich ist die betriebliche Gesundheitsförderung nur eine Ergänzung des Arbeitsschutzes.
    Die Forderungen im Antrag der Regierungsfraktionen sehen auf den ersten Blick sinnvoll aus, könnten (und sollen?) aber von den bekannten Mängeln bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ablenken. Der verhältnispräventionsorientierte Arbeitsschutz liegt speziell der FDP wohl ohnehin nicht so sehr, weil er die unternehmerische Verantwortung erhöht. Mit dem Antrag der Regierungskoalition wird Arbeitsschutz unter vielen Forderungen erdrückt, die nichts mit dem Arbeitsschutz zu tun haben.

Gewerbeaufsicht: Anstelle in dem Antrag viele nicht zum Arbeitsschutz gehörenden Forderungen zusammen zu rühren, wäre es einfacher, ersteinmal die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes sicherzustellen und die Gewerbeaufsichten wieder vernünftig arbeiten zu lassen. Das ist aber nicht das Ziel der Koalitionsfraktionen. Die Aufsicht darf weiter hungern, bedient werden statt dessen die Unternehmen mit der Forderung,

den Richtwert in § 20 Abs. 2 SGB V für die Gesundheitsförderung zu erhöhen und zwei Euro pro Versicherten als Mindestwert für die BGF festzuschreiben, mit dem Ziel Investitionen in den Erhalt der Gesundheit am Arbeitsplatz zu steigern. Nicht in Anspruch genommene Mittel sollen regionalen Kooperationen der Krankenkassen mit örtlichen Unternehmensorganisationen zugutekommen.

Gefährdungsbeurteilung: Besonders fällt auf, dass im Entwurf der Koalition nichts zur Gefährdungsbeurteilung gesagt wird. Das ist fast schon eine Sabotage der noch ziemlich frischen Anstrengungen der letzten zwei bis drei Jahre, die bisherigen Anarchie im Arbeitsschutz zu beenden: Etwa 80% der Unternehmen versäumen auch heute noch, auch psychische Belastungen vorschriftsmäßig in die Gefährdungsbeurteilung einzubeziehen.

Mitbestimmung: Die Forderungen der CDU/CSU und FDP ignorieren nicht nur die Gefährdungsbeurteilung, eines der wichtigsten Instrumente des Arbeitsschutzes. Auch die Rolle der Personal- und Betriebsräte interessiert diese Koalitionspolitiker nicht.

[...] Da die besten Lösungen partnerschaftlich gefunden werden, obliegt es Arbeitgebern wie Arbeitnehmern, gemeinsam ihrer Verantwortung für den Erhalt der psychischen Gesundheit nachzukommen. Nach den Ergebnissen der BIBB/BAuAErwerbstätigenbefragung 2011/2012 herrscht in den Betrieben ein gutes soziales Miteinander, allerdings fühlen sich viele Beschäftigte zu wenig von ihrem Vorgesetzten unterstützt (BAuA: Stressreport Deutschland 2012). Während Vorgesetzte sich von einer ständigen Erreichbarkeit ihrer Mitarbeiter verabschieden müssen, müssen Arbeitnehmer aber auch selbstbewusst genug sein, ihr Handy in ihrer Freizeit auszuschalten. Freizeit und die damit einhergehenden Erholungsmöglichkeiten muss für alle Beteiligten eine größere Bedeutung annehmen. [...]

Man sieht, dass durchaus an ein gemeinsames Vorgehen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gedacht wurde. Aber dass das Mitbestimmung heißt, haben zumindest die Antragssteller der CDU, CSU und FDP anscheinend bis heute nicht verstanden. Dabei war es doch die Philosophie des Arbeitsschutzgesetzes, anstelle bürokratischer Regeln einen weiten Rahmen zu bieten, innerhalb dessen dann Arbeitgeber und Arbeitnehmer betriebsnahe Lösungen finden. Diesen Politikern passt aber wohl diese ganze Richtung nicht, obwohl auf der Arbeitsebene beispielsweise in einem bayerischen Staatsministerium die Bedeutung von Arbeitnehmervertretern (zusammen mit den Betriebsärzten) schon angesichts der Überforderung der Gewerbeaufsicht sehr gut verstanden wird. Mitbestimmung hat für die Koalitionsparteien im Arbeitsschutz offensichtlich keine Bedeutung. Hier hat sich die FDP wohl durchgesetzt.

Pflichtverletzungen im Arbeitsschutz: Die Koalition sieht (abgesehen von ein paar inzwischen verhallten Drohungen Ursula von der Leyens) den Pflichtverletzungen der Arbeitgeber ziemlich untätig zu und scheint diese Versäumnisse auch weiterhin zulassen zu wollen. Die Regierungsparteien fördern also weniger die Gesundheit, sondern sie tolerieren die Rechtsverstöße der Mehrheit der Arbeitgeber und fördern damit die speziell von der FDP geschickt betriebene Schwächung des Arbeitsschutzes.

Ursachen psychischer Erkrankungen: Im Antrag gibt es dazu Mutmaßungen. Dazu siehe http://blog.psybel.de/stichwort/arbeitsbedingte-risiken/

Eristik: Die Antragssteller der Koalitionsfraktion sind sich auch nicht zu schade, auf die psychische Belastung von Arbeitslosen zu verweisen und damit Dietmar Hundts eristische Argumentation zu übernehmen, allerdings in einer noch ausgefuchsteren Weise, als Hundt das versuchte.

 
Am 13. Mai im Bundestag:
Bei der öffentlichen Expertenanhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestagsliegen jetzt vier Anträge vor.
http://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse17/a11/anhoerungen/2013/133_Sitzung_psych_Belastung/Gegenstand/index.html

Navigationspfad: Startseite > Der Bundestag > Ausschüsse > Arbeit und Soziales > Anhörungen > Öffentliche Anhörungen 2013 > 13.05.2013: Psychische Belastungen in der Arbeitswelt > Gegenstand der Anhörung

Ausschuss für Arbeit und Soziales – Gegenstand der Anhörung

 

PS: In dem Antrag der CSU/CDU/FDP werden auch gesundheitsziele.de, die Initiative Gesundheit & Arbeit und das Deutsche Netzwerk für betriebliche Gesundheitsförderung erwähnt. Hier ist die Versicherungswirtschaft gut vertreten, aus der in der Vergangenheit kaum Kritik an jene Arbeitgebern gerichtet wurde, die ihre Pflichten im Arbeitsschutz ignorierten.

Noch ein Datum: Am 22. April geht es im Bundestag um Änderungen des Arbeitsschutzgesetzes: Psychische Belastungen sollen darin explizit genannt werden.

Prävention im Bundestag

Donnerstag, 4. April 2013 - 07:24

http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/521/52131.html (2013-03-22)
Aktueller Stand: Dem Bundesrat zugeleitet – Noch nicht beraten (geplant für 2013-05-03)

[...]
Inhalt

Unterstützung der Bevölkerung bei gesundheitsförderlichem Verhalten und Reduktion gesundheitlicher Risiken durch zielgerichtete Ausgestaltung der Krankenkassenleistungen zur Primärprävention und Früherkennung von Krankheiten: Einrichtung einer Ständigen Präventionskonferenz, Maßnahmen in den Bereichen betriebliche Gesundheitsförderung, Wettbewerb bei Krankenkassen, Finanzierung von Präventionsleistungen, Qualitätssicherung u.a.;
Änderung und Einfügung versch. §§ Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sowie Änderung §§ 1 und 8 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
Schlagwörter

Betriebliche Gesundheitsförderung; Früherkennung von Krankheiten; Gesetzliche Krankenversicherung; Gesetz zur Förderung der Prävention ; Gesundheitsvorsorge; Krankenkasse; Sozialgesetzbuch V; Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
[...]

 
Der Entwurf trägt die Handschrift der FDP und ihrer Klientel (http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2013/0217-13.pdf):

[...]
B. Lösung

  • Fortentwicklung der Leistungen zur Prävention und zur Früherkennung von Krankheiten im Fünften Buch Sozialgesetzbuch;
  • Unterstützung der Verständigung auf gemeinsame Gesundheitsförderungs- und Präventionsziele durch Einrichtung einer Ständigen Präventionskonferenz beim Bundesministerium für Gesundheit;
    [FDP-Politik parallel zur GDA und zu v. d. Leyens (CDU) Arbeitsministerium?]
  • Ausrichtung der Leistungen auf gemeinsame verbindliche Gesundheitsförderungs- und Präventionsziele;
  • Förderung der Verantwortung der Menschen, der Selbstverwaltung und der Unternehmen;
  • Verbesserung der Rahmenbedingungen für die betriebliche Gesundheitsförderung;
    [siehe auch: http://blog.psybel.de/gesundheitsmanagement-als-schleier/]
  • Förderung des Wettbewerbs der Krankenkassen auch im Bereich der Prävention;
  • Stärkung der medizinischen Vorsorgeleistungen;
  • Präventionsorientierte Fortentwicklung der Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen;
  • Zielgerichtete Neustrukturierung der Finanzierung von Leistungen zur Prävention;
  • Sicherstellung der Qualität und Förderung der Wirksamkeit von Prävention und Gesundheitsförderung.

C. Alternativen
Keine.
[...]

Eine Alternative (bzw. eine Voraussetzung für eine glaubwürdige Gesundheitsförderung) ist in den Betrieben: Beendigung der Schwächung der Aufsicht im Arbeitsschutz. Die Überforderung der Aufsicht ist so nachhaltig, dass sie eigentlich kein Versehen sein kann.

Bundestagsdebatte 17/201

Donnerstag, 1. November 2012 - 16:08


http://dbtg.tv/fvid/1975670

 
http://www.das-parlament.de/2012/44-45/Innenpolitik/41250030.html

Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Über die Bedingungen der Arbeitswelt hat der Bundestag am Donnerstag vergangener Woche debattiert. Die Fraktion Die Linke hatte einen Antrag (17/11042) vorgelegt, der eine “Anti-Stress-Verordnung” fordert. Die soll es ermöglichen, im Dialog mit Beschäftigten Ursachen für psychische Belastungen zu benennen und gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zudem forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung in einem weiteren Antrag (17/10867) dazu auf, Arbeitsplätze “alters- und alternsgerecht” zu gestalten. Es seien Bedingungen notwendig, die für alle Altersklassen und das ganze Berufsleben eines Menschen gelten. Im Anschluss an die Debatte wurden die beiden Anträge zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

 

2012-10-25
17/201 (201. Sitzung, 17. Wahlperiode)

TOP 6 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Es geht zwei Anträge:

  1. 6.a) Beratung Antrag DIE LINKE.
    Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren
    - Drucksache 17/11042 -
    … Ein individuelles Vetorecht für die Beschäftigten ist zu verankern, das dann greift, wenn die Arbeitsanforderungen zu gravierenden negativen Belastungen für die Psyche führen. Bereits bestehende Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten (Arbeitsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Überlastungsanzeigen) müssen entsprechend ausgebaut und stärker bekannt gemacht werden. Die Aufgabe, individuelle Belastungsschwerpunkte zu identifizieren und konkrete Gegenmaßnahmen daraus abzuleiten, erhält eine verpflichtend einzurichtende Kommission zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, die paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten und der Arbeitgeber besetzt ist und verbindliche Entscheidungen fällen kann. Bei Nicht-Einigung entscheidet die Einigungsstelle. …

    Anmerkung: Tatsächlich haben nach meiner Ansicht die Arbeitnehmervertretungen bereits heute speziell in nach OHSAS 18001:2007 zertifizierten Betrieben die Pflicht, im Fall von (potentiell) krank machenden Vorfällen (Punkt 3.9), bei der Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (Punkt 4.3.1) sowie bei der Vorfalluntersuchungen, der Bearbeitung von Nichtkonformitäten und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (Punkt 4.5.3) mitzubestimmen (Punkt 4.4.3.1). Dazu müssten sie allerdings ersteinmal aufwachen und die nötige Kompetenz erwerben. Dem Gesetzgeber empfehle ich, bei Entwürfen OHSAS 18002:2008 (das ist OHSAS 18001:2007 mit Hinweisen zur Umsetzung) zu berücksichtigen, was auch den Unternehnmen bei der Organisation des Arbeitsschutzes helfen würde.

  2. 6.b) Beratung Antrag B90/GRÜNE
    Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten
    - Drucksache 17/10867 -
    … In Deutschland existieren zwar Arbeitsschutzgesetze, aber es besteht ein Umsetzungsdefizit auf betrieblicher und gesetzgeberischer Ebene. So fehlen in vielen Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, die aufzeigen, welche gesundheitlichen Belastungen auftreten und wie sie vermieden werden können. Und obwohl seit 2004 die europäische Sozialpartnervereinbarung zu Stress am Arbeitsplatz existiert, gehört Deutschland zu den wenigen europäischen Ländern, in denen weiterhin ein Regelungsdefizit besteht. Die Bundesregierung muss daher endlich die europäische Rahmenvereinbarung zu arbeitsbedingtem Stress mit untergesetzlichen Regelungen unterlegen, um Beschäftigte effektiver vor psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz zu schützen. Arbeitgeber sind in Zusammenarbeit mit den zuständigen Interessenvertretungen (gegebenenfalls Schwerbehindertenvertretungen), Integrationsämtern und Rehabilitationsträgern zur gesundheitlichen Prävention in ihren Betrieben verpflichtet. Diese Präventionsverpflichtung, die unter anderem durch das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) erfüllt wird, muss – insbesondere in kleinen und mittleren Betrieben – gestärkt werden. …

    Anmerkung: Die Vorlage der Grünen beschreibt den Verbesserungsbedarf beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz recht gut, aber BEM dient nicht der Prävention. Allerdings gilt auch, dass Betriebliches Eingliederungsmanagement ohne den seit 1996 vorgeschriebenen verhältnispräventiven Arbeitsschutz natürlich keine Sinn macht: Kranke werden an kranken Arbeitsplätzen nicht nicht gesund.

 

Im Video oben können Sie sich die ganze Debatte ansehen. Über http://suche.bundestag.de/plenarprotokolle/search.form habe ich die Einzelbeiträge gefunden:

Protokoll(PDF | 3,0 MB) Video des Tagesordnungspunkts
Alle Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

Die Beiträge von Pascal Kober (FDP) und Ulrich Lange (CDU) sind recht anschauliche und aktuelle Darstellungen von Positionen, die auch von den Arbeitgebern vertreten werden. Darum habe ich in http://blog.psybel.de/hauptsache-gesundheit/ auf die Redebeiträge der beiden Abgeordneten hingewiesen.

Beide Abgeordneten lobten unüberraschenderweise die jüngsten Aktivitäten ihrer Koalition beim Einbezug der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz - die 16 Jahre zu spät kommen und zum Teil Ablenkung sind: Pascal Kober gibt ein Beispiel für die Betonung der Gesundheitsförderung beim Thema psychische Belastung, obwohl diese die ja oft eher verhaltenspräventionsorientiert ist und in das Privatleben der Mitarbeiter eingreift. Der Arbeitsschutz schreibt dagegen Verhältnisprävention vor. Meiner Ansicht nach muss genau beobachtet werden, wie ideologisch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie orientiert sein wird, denn die gemeinsame Begeisterung von Schwarz-Gelb und der Arbeitgeber für dieses Projekt ist auffällig.

Ulrich Lange weist darauf hin, das man nicht immer auf die “schwarzen Schafe” unter den Unternehmen sehen solle:

… Wir haben durchaus Vertrauen in unsere Unternehmen, in unsere Unternehmer und Unternehmerinnen, dass das Arbeitsschutzgesetz in den Betrieben angewendet wird. Man sollte hier nicht immer das Negativbeispiel nennen, auf das schwarze Schaf abzielen. In vielen Betrieben wird mit den Arbeitnehmervertretungen zusammen sehr wohl, sehr gut und sehr konstruktiv an diesem Thema gearbeitet. …

Der Anwalt Lange weiß, wie man die Unwahrheit sagt, ohne zu lügen. Er weiß natürlich, dass die schwarzen Schafen die große Mehrheit sind. Die Mehrheit der Unternehmen hat wichtige Teile des ganzheitlichen Arbeitsschutz spätestens seit dem Jahr 2005 wissentlich missachtet. Im Gegensatz zu Langes Darstellung handelten die Unternehmen im Bereich der psychischen Belastungen überwiegend verantwortungslos. Weiterhin macht Lange die Furcht der Unternehmer (und damit die Vorbehalte der Arbeitgeber) vor der Mitbestimmung im Arbeitsschutz sehr deutlich:

… Zum Betriebsverfassungsgesetz. Mit dieser Keule, mit der Sie schlagen, sind Sie bei einem alten Thema. Immer dann, wenn wir hier irgendetwas diskutieren, wollen Sie über das Betriebsverfassungsrecht Dinge regeln, womit letztlich die Systematik dieses Gesetzes und das Grundverständnis über die Stellung unserer Betriebe verändert würden. Sie wollen ein Mitbestimmungsrecht bei wirtschaftlichen Fragen und bei der strategischen Ausrichtung. …

Die Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.3.1) sowie die Vorfalluntersuchungen, die Bearbeitung von Nichtkonformitätren und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.5.3) mag die strategische Ausrichtung und wirtschaftliche Fragen eines Unternehmens berühren. Aber hier herrscht bereits eine Mitbestimmungspflicht, für die die Unternehmen mit den Arbeitnehmern Prozesse zu vereinbaren haben (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.4.3.2).

Ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte und (leider nur vereinzelt) auch die Aufsichtssbehörden wäre die Mehrheit der von Ulrich Lang gelobten Unternehmen heute nicht motiviert, die Voerschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes zu respektieren.

Zur SPD: http://www.spdfraktion.de/themen/reden/psychische-belastungen-der-arbeitswelt-verhindern

… Die SPD wird in den nächsten Wochen einen umfassenden Antrag zur Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorlegen. …

Menschenrechtsbericht 2012

Montag, 29. Oktober 2012 - 20:43

http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/112/1711250.pdf (S. 13/172)

Deutscher Bundestag
17. Wahlperiode
Drucksache 17/11250
24.10.2012
Unterrichtung durch die Bundesregierung
Zehnter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik 

[...]

Mit der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) wurde ein wichtiger Schritt für ein modernes und anforderungsgerechtes Arbeitsschutzsystem getan, um sichere und gesunde Arbeitsbedingungen zu erhalten, weiter zu verbessern und zu fördern. Bund, Länder und Unfallversicherungsträger treten mit der GDA dafür ein, auf allen Ebenen des betrieblichen Gesundheitsschutzes eine nachhaltige und längerfristig angelegte Präventionspolitik zu betreiben und – abgestimmt mit den Sozialpartnern – praktische Verbesserungen für die Beschäftigten in der Prävention zu erreichen. Themenschwerpunkte für die neue GDA-Periode (2013 bis 2018) sind:

  • Verbesserung der Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes
  • Verringerung von arbeitsbedingten Gesundheitsgefährdungen und Erkrankungen im Muskel-Skelett-Bereich
  • Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung

Die Ziele wurden jeweils in Abstimmung mit den Kooperationspartnern, insbesondere den Krankenkassen, verabschiedet.

Ein Kernelement der GDA ist die die Erstellung eines kohärenten und anwenderfreundlichen Vorschriften- und Regelwerks. Dazu haben GDA-Träger gemeinsam mit den Sozialpartnern ein neues Leitlinienpapier verabschiedet. Dieses Papier ist nun Maßstab im Genehmigungsverfahren von Unfallverhütungsvorschriften und die Richtschnur für das gesamte Regelwerk. Im Bereich Beratung und Überwachung soll die GDA ein arbeitsteiliges System schaffen, das mit neuen Abstimmungsinstrumenten und einheitlichen Überwachungsgrundsätzen den Länderbehörden und den Unfallversicherungsträgern eine effektive und effiziente Aufsichtstätigkeit zum Nutzen der Betriebe ermöglicht. Länder und Unfallversicherungsträger haben sich mit den Leitlinien ,,Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation” sowie ,,betriebliche Arbeitsschutzorganisation” in zentralen Arbeitsschutzfeldern auf eine neue Überwachungsstrategie verständigt.

1927: Physische und psychische Ermüdung

Montag, 17. September 2012 - 00:04

 

 
http://www.reichstagsprotokolle.de/Sach_bsb00000080_000447

4. Entschl. Müller (Franken) u. Gen. (zur II. B. Rhs 1927, Arbeitsmin., F. A. Kap. 4): Bd. 414, Nr. 3071 zu a und b. — Betr. Beobachtung der Wirkungen der modernen Produktionsmethode, insbesondere der Fließarbeit, durch die Gewerbeaufsichtsbeamten (Punkt a). — Ferner Beobachtung der durch physische und psychische Ermüdung hervorgerufenen Schäden durch zu diesem Zwecke einzustellende besonders ausgebildete Gewerbeärzte (Punkt b). Bd. 392, 282. Sitz. S. 9365B . Bd. 393, 307. Sitz. S. 10572D . — 9. Aussch.

Psychische Belastungen bei 80% der Betriebe nicht beurteilt

Samstag, 21. Juli 2012 - 15:30

2018-06-08: Bundestagsdrucksache 19/01011


Zur Einleitung (2012-07-21): Es gibt mindestens ein größeres Unternehmen, dass vor 2013 der Öffentlichkeit die Unwahrheit mitgeteilt hat. Er berichtete offiziell, dass sein Arbeitsschutz vollständig sei, obwohl ihm auch danach Prozesse zur Beurteilung psychischer Belastungen nachweislich fehlten. In der untenstehenden Statistik stehen die Großunternehmen besser da, als kleinere Unternehmen. Das mag einfach daren liegen, dass die Großunternehmen die Brisanz von Aussagen zum Einbezug psychischer Belastungen in ihrern Arbeitsschutz besser verstanden hatten und darum aus rechtlichen Gründen falsche Angaben machten, also lügen. Mangels Qualifikation konnten die Gewerbeaufsichten das nicht überprüfen. Ich vermute daher, dass im Jahr 2012 psychische Belastungen in noch mehr als 80% der Betriebe nicht beurteilt wurden.

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Drucksache 17/10026, 2012-07-03
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
(oder http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf)

Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz


9. Wie häufig stellte sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei Betriebsbesichtigungen pro Jahr seit 2005 bis heute absolut und prozentual zu allen geprüften Betrieben heraus, dass die geprüften Betriebe keine Gefährdungsbeurteilungen bzw. Gefährdungsbeurteilungen ohne die Beachtung von psychischen Gefährdungen durchgeführt haben (bitte nach Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften differenzieren)?

Diese Daten werden in den Jahresberichten der staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Länder bisher statistisch nicht erfasst, und auch die Unfallversicherungsträger verfügen nicht über verlässliche Aussagen.

Im Rahmen der Dachevaluation der 1. Periode zur Umsetzung der GDA wurden deutschlandweit über alle Wirtschafts- und Größenklassen insgesamt 6500 Arbeitgeber zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen befragt. Aus den Antworten ergibt sich, dass 52 Prozent der befragten Arbeitgeber für ihren Betrieb angaben, eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben. Je kleiner ein Betrieb desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungsbeurteilung erstellt wurde. Ähnliche Ergebnisse ergab eine im Jahr 2009 von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte repräsentative Befragung von Inhaberinnen und Inhabern bzw. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern in Klein- und Kleinstunternehmen (BAuA: „Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Inhaber/innen/Geschäftsführer/innen in Klein- und Kleinstunternehmen“, Dortmund/Berlin/Dresden 2011).


[Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen nach Größenklasse
(„Werden an den Arbeitsplätzen in Ihrem Betrieb Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt?“)
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD;
Drucksache 17/10026, 2012-07-03, “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz”.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
Umfrage: Presseinformation "Arbeitsschutz auf dem Prüfstand: Qualitätsbarometer beschlossen"
(http://www.gda-portal.de/de/pdf/PM-Evaluation.pdf?__blob=publicationFile&v=2, 2011-05-11).]

[...] [Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im ‘Technischen Arbeitsschutz’ liegt. Das Sachgebiet ‘Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie’ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet ‘Arbeitszeit’ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt. [...]

[...] In der o. g. repräsentativen Befragung wurde nach der Einbeziehung der „psychischen“ Belastungsfaktoren „soziale Beziehungen“ und „Arbeitszeitgestaltung“ in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. 44 Prozent bzw. 48 Prozent der befragten Betriebe, die eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, gaben an, dass sie diese Belastungsfaktoren einbezogen haben. In der erwähnten Untersuchung wurde auch direkt nach der Einbeziehung psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. Bezogen auf die Grundgesamtheit der repräsentativen Stichprobe von 6500 Betrieben führen insgesamt 20 Prozent der befragten Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung von psychischen Belastungen durch. Die entsprechende Verteilung auf die Betriebsgrößenklassen zeigt die oben angeführte Abbildung.
[...]

In der Umfrage wurden Unternehmen (Geschäftsführungen beziehungsweise Arbeitsschutzfachleute) in den Betrieben befragt. Von großen Betrieben, die vor allem auf die Rechtssicherheit des Top-Managements achten, könnten auch Fehlangaben gekommen sein, damit keine Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen dokumentiert werden oder Zertifikate zurückgegeben werden müssen. Mir ist ein Betrieb bekannt, der hier bei Angaben zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schlicht lügt.

Die Betriebsräte dieser Unternehmen könnten den den Gewerbeaufsichten gegebenenfalls nähere Angaben machen. Diese Schutzbehörden bleiben aber weiterhin unkritisch und fragen in den Betrieben nicht aktiv nach Belegen für behauptete Arbeitsschutzmaßnahmen im Bereich der psychischen Belastungen. Denn bei genauerer Kontrollen müssten Aufsichtspersonen feststellen, dass sie in der Vergangenheit den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe in der Vergangenheit nicht gründlich und kompetent genug kontrolliert hatten. Das gemeinsame Versagen bindet Geprüfte und Prüfer darum enger aneinander, die zu schützenden Mitarbeiter haben das Nachsehen.

Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert sind, aber das Thema der psychischen Belastungen nicht ausreichend in ihren Arbeitsschutz integriert haben. Von Zertifikaten für Arbeitsschutzsysteme versprechen sich die Prüfer der Gewerbeaufsicht leider mehr, als diese Zertifikate wirklich bieten. Auch kann es vorkommen, dass Arbeitsschutzfachleute psychische Belastungen nicht ernsthaft beurteilen, den Begriff aber in der Gefährdungsbeurteilung zur Beruhigung überforderter Aufsichtsbeamter der Form halber ohne irgendwelche Aussagen zur Qualität des Arbeitsschutzes in diesem Bereich erwähnen. Sie können dann sagen, sie dass psychische Belastungen thematisiert worden seien. Und schon wieder gefährdet diese Scheinsicherheit die Arbeitnehmer.

Wegen dieser Situation hätten auch die Betriebsräte und die Personalräte in der bundesweite Umfrage befragt werden müssen, und zwar auch kritisch, denn viele Arbeitnehmervertretungen verstehen das Thema der psychischen Belastungen immer noch nicht gut genug.

Aber das Ergebnis ist so oder so eine Ohrfeige für die Arbeitsschutzpolitik aller seit 1996 dafür Verantwortlichen, nicht nur aus der Sicht des Arbeitsschutzes, sondern auch aus rechtsstaatlicher Sicht. Wir haben hier einen massenhaften Rechtsbruch, der sogar heute noch von den Behörden toleriert wird. Ich verlange ja nicht gleich Strafen, sondern wenigstens die Kontrolle leicht prüfbarer Dinge. Beispielsweise werden psychische Belastungen in vielen Unternehmen überhaupt nicht in die Arbeitsschutzunterweisung einbezogen. Unterlagen und Belege fehlen. Aber die Gewerbeaufsicht protokolliert nicht einmal solche eindeutigen Mängel.

Die Hoffnung auf unternehmerische Eigenverantwortung rechtfertigte den netten Versuch laxer Kontrolle vielleicht, aber dieser Versuch hätte früher beendet werden müssen: Mindestens die Hälfte der Großunternehmen missachtete über viele Jahre hinweg die Pflicht, die Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” in den Arbeitsschutz zu integrieren. Eigentlich ist das Anarchie, aber sie erstaunt uns nicht mehr. Einerseits leben wir in einem Land, in dem Sozialhilfeempfänger penibel kontrolliert werden, damit sie keinen Cent zuviel bekommen. Andererseits trauen wir uns nicht, Unternehmer zu überwachen, deren Mehrheit auch heute noch die Gesundheit ihrer Mitarbeiter bis hin zur Körperverletzung auf das Spiel setzt. Angesichts der Geschichte kann heute die nachhaltige Respektlosigkeit dieser Unternehmer gegenüber den Arbeitsschutzbestimmungen eigentlich kein Versehen mehr sein.

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

 
Siehe auch:

 


2013-01-05

Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK):
http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2013/01/Protokoll_ASMK_2012.pdf

Ergebnisprotokoll der 89. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 28./29. November 2012 in Hannover

Umsetzungsdefizite

Dem Bedeutungswandel im Spektrum der Arbeitsbelastungen muss in der Gesetzgebung und in der betrieblichen Praxis Rechnung getragen werden: Ein Arbeitsschutz, der psychische Belastungsfaktoren nicht oder nicht angemessen in seinen Fokus nimmt, wird in der modernen Arbeitswelt das Ziel, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Unfälle zu vermeiden und Arbeit menschengerecht zu gestalten, nicht erfüllen.

Trotz richtungsweisender Aktivitäten der Länder und anderer Arbeitsschutzakteure, trotz der Anstrengungen vieler Betriebe im Handlungsfeld psychischer Belastungen: Es mangelt an einer stärkeren Verbindlichkeit für die Betriebe und an mehr Handlungssicherheit für die Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus muss auch die Kompetenz der verantwortlichen Akteure gefördert werden.

Defizite in Betrieben

Psychische Belastungen spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der Gefährdungsbeurteilung. So ergab eine Betriebsrätebefragung, dass in 58 Prozent der Betriebe mit mehr als neunzehn Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung ganz oder teilweise durchgeführt wurde, darunter aber lediglich zwanzig Prozent auch psychische Belastungen ermittelten (WSI 2008/2009). Eine repräsentative Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zeigte für Klein- und Kleinstbetriebe (< 50 Beschäftigte) ein noch schlechteres Ergebnis: Nur 38 Prozent dieser Betriebe hatte eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, nur sechs Prozent ermittelten davon auch psychische Belastungen. (Sczesny, C., Keindorf, S., Droß, P. 2011, S.45ff.). Die jüngsten Ergebnisse der Dachevaluation der GDA bestätigen die unzureichende Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen. Von den befragten 6.500 Arbeitgebern antwortete nur jeder Zweite, dass in seinem Betrieb eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Von diesen Betrieben berücksichtigte nur jeder fünfte Betrieb psychische Belastungen (soziale Beziehungen, Arbeitszeitgestaltung). Je kleiner der Betrieb, desto seltener lag eine Gefährdungsbeurteilung vor und desto geringer war der Anteil von Betrieben, die psychische Belastungsfaktoren ermitteln (BMA 2012, S. 10f.). Über die anschließende Umsetzung von Maßnahmen gibt es bisher keine Erkenntnisse. Die Gründe für die unzureichende Beurteilung von Arbeitsbedingungen und vermutlich noch geringere Umsetzung geeigneter Maßnahmen sind vielfältig. Es fehlt das Verständnis für psychische Belastungen, die Anforderungen sind unklar, es herrscht Unsicherheit über anzuwendende Instrumente und es mangelt an der Kompetenz der zuständigen Akteure.

Die Begriffsdefinitionen, Verpflichtungen und Grundsätze im Arbeitsschutzgesetz (z.B. §§ 2, 3, 4, 5 ArbSchutzG) reichen offenbar nicht, um psychische Belastungen angemessen zu berücksichtigen und Arbeitsbedingungen menschengerecht zu gestalten. Auch andere geltende gesetzliche Regelungswerke werden nicht in erforderlichem Maße umgesetzt, obwohl die Beurteilung psychischer Belastungsfaktoren mittelbar oder unmittelbar enthalten ist (Arbeitssicherheitsgesetz [gemeint ist wohl "Arbeitsschutzgesetz"], Bildschirmarbeitsverordnung, etc.).

Defizite im Aufsichtshandeln

Wie in den Betrieben werden psychische Belastungen auch von den Gewerbeaufsichten in der Überwachungspraxis nicht angemessen berücksichtigt (Beck D., Richter G., Lenhardt U. 2012). Die Gründe dafür unterscheiden sich nicht wesentlich von denen in den Unternehmen. Es herrscht auch bei den Aufsichtsbeamtinnen und –beamten noch eine große Unsicherheit bei diesem Thema und die Beurteilungsmaßstäbe für die Angemessenheit von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen sind unklar. Trotz bestehender Konzepte, existierender Handlungshilfen und Qualifizierungsoffensiven der Arbeitsschutzbehörden müssen sich die vorwiegend technisch ausgebildeten staatlichen Aufsichtspersonen den Zugang zu den „modernen“ Belastungen im Aufsichtshandeln noch besser erschließen. Die Veränderungen im Anforderungsprofil des Aufsichtspersonals durch Neueinstellungen oder Nachbesetzungen von Angehörigen anderer nicht technisch ausgebildeter Berufsgruppen, vollzieht sich nur langsam. Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Unverbindlichkeit dafür sorgt, dass im Spannungsfeld zwischen Unternehmensleitungen und staatlicher Aufsicht die Durchsetzungsfähigkeit für konkrete Forderungen an die Betriebe stark eingeschränkt ist.

(Link nachträglich eingefügt)

Zu guter Letzte: Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert worden sind, obwohl ihnen mitbestimmte Prozesse zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz fehlen. Manche Zertifizierungen durch externe Auditoren (auf die sich die Gewerbeaufsichten leider formal verlassen) sind also nur eine Farce.