Archiv für Juni, 2012

Wie ein Betriebsrat die Mitarbeiter entrechten kann

Montag, 25. Juni 2012 - 23:44

Mit der steigenden Aufmerksamkeit für das Thema der psychischen Belastung werden zunehmend mehr Unternehmen in diesem Bereich vor Allem Rechtssicherheit anstreben. Arbeitnehmervertreter müssen hier besonders gut aufpassen, dass sie dabei nicht in Projekten das Gesundheits- und Arbeitsschutzes unfreiwillig instrumentalisiert werden.

 
Das Ziel: Die Verbesserung der Rechtssicherheit des Arbeitgebers ist ein legitimes Ziel von erfolgreich abzuschließenden Projekten zur Einführung der Kategorie der psychischen Belastung in den Arbeitsschutz. Erst mit dem wirksamen Einbezug dieser Belastungskategorie wird aus dem Arbeitsschutz der vorgeschriebene ganzheitliche Arbeitsschutz. Dazu muss vor Projektbeginn klar sein, wie der Erfolg des Projektes gemessen wird.

Der Start: Werden die Regeln des Arbeitsschutzes zu Beginn des Projektes noch nicht vollständig eingehalten, dann sollte das in der Betriebsvereinbarung, die solche Projekte regelt, ebenfalls dokumentiert sein. Das Projekt selbst ist nicht notwendigerweise schon eine Verbesserung des Schutzes der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber darf erst dann die von ihm angestrebte Rechtssicherheit bekommen, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen wurde.

 
Tatsächlich müssen Unternehmen eine mangelhafte Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen nicht sehr fürchten. Zunächst ist das nur eine Ordnungswidrigkeit. Es muss schon viel passieren, bis die Kriterien für eine Straftat erfüllt sind. Worum es den Unternehmen beim Arbeits- und Gesundheitsschutz natürlich auch geht, ist die Beschränkung ihres Haftungsrisikos. Es ist darum auch eine Aufgabe der Arbeitnehmervertretung, sicherzustellen, dass Unternehmen, die ihre Mitarbeiter krank machen, im Einzelfall zur Verantwortung gezogen werden können. Dazu muss der Grad der Einhaltung der Atrbeitsschutzbestimmungen auch dann geklärt werden, wenn das zu Konflikten führt. Oder umgekehrt: Wenn schon die Beschreibung der Vergangenheit und der Ausgangssituation eines Projektes zu Konflikten führt, dann stellt das auch ein gemeinsames und vertrauensvolles Erreichen des Ziels in Frage.

Warum ist die Beurteilung und Dokumentation des Grades der Einhaltung von Bestimmungen zur Vermeidung psychischer Fehlbelastungen immer wieder wichtig? Psychisch Erkrankte werden so gut wie nie nachweisen können, dass wesentliche Ursachen für ihre Erkrankung im Handlungsspielraum des Arbeitgebers liegen, also möglicherweise eine vom Arbeitgeber zu verantwortende Körperverletzung vorliegt. Leichter ist es, einen fehlenden oder einen ungenügenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nachzuweisen, wenn dieser Einbezug tatsächlich ungenügend war oder ganz fehlte.

Wie die Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen im Einzelfall zu einem Urteil über fehlbelastende Arbeitsbedingungen als Auslöser einer psychischen Erkrankung beiträgt, ist natürlich die Frage. Es ist aber auch eine Tatsache, dass Ursula von der Leyens “knallharter Strafkatalog” trotz zunehmender psychischer Erkrankungen am Arbeitsplatz fast völlig ungenutzt blieb. Die Arbeitnehmer haben hier einfach schlechte Karten. Vielleicht haben die Gewerkschaften doch Recht mit ihren Forderungen nach schärferen Arbeitsschutzregeln im Bereich der psychischen Belastungen.

Wenn Betriebs- und Personalräte nicht aufpassen, dann kann ihre unvorsichtige und naïve Beteiligung an Arbeitsschutzprojekten und an Audits (Berufsgenossenschaften, Gewerbeaufsicht, Zertifizierungsunternehmen usw.) dazu führen, dass Unternehmen zwar wichtige Regeln des Arbeitsschutzes weiterhin missachten, davon betroffene Mitarbeiter eine Missachtung von Arbeitsschutzbestimmungen aber praktisch kaum noch nachweisen können. In solch einem Fall hätte die Arbeitnehmervertretung die durch schlechte Arbeitsbedingungen erkrankten Mitarbeiter entrechtet und deren ohnehin schlechten Chancen noch zusätzlich geschwächt. Dann wäre es für diese Mitarbeiter vielleicht besser gewesen, wenn es keine Beteiligung des Personalrats oder des Betriebsrats gegeben hätte, auf die sich der Arbeitgeber berufen könnte. (Dabei ist zu auch beachten, dass die Zeit zwischen arbeitsbedingter psychischer Verletzung und sich manifestierender psychischer Erkrankung viele Jahre betragen kann.)

 
Zusammengefasst das Wichtigste für Projekte zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz: Nicht nur die Kriterien für die Zielerreichung von Arbeitsschutzprojekten müssen zwischen dem Arbeitgeber und der Arbeitnehmervertretungm vereinbart werden, sondern auch die Ausgangssituation und die Vergangenheit muss klar dokumentiert sein. Eine wichtige Messgröße ist dabei der Grad der Einhaltung der Arbeitsschutzbestimmungen. Wenn ein Arbeitgeber trotz tatsächlich ungenügender Beachtung dieser Bestimmungen (womöglich noch unter Berufung auf die Mitwirkung des Betriebsrates) behaupten kann, er beziehe psychische Belastungen bereits vorschriftsmäßig in seinen Arbeitsschutz ein, dann schwächt das sowohl die Mitarbeiter wie auch die Bedeutung von Projekten, mit denen der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz erst erreicht werden soll.

Das Wissen durfte nicht weitergegeben werden

Montag, 25. Juni 2012 - 08:23

Zwei Jahre her, aber wohl seit Beginn der Menschheit aktuell:

Heinz Arnold: Organisation und Katastrophen (markt & technik, 2010-07-30)
http://www.elektroniknet.de/bauelemente/news/article/28700/

Die Toten in Folge der Massenpanik auf der Love Parade in Duisburg haben uns alle erschüttert. Wer in der Elektronikindustrie arbeitet, der fragt sich natürlich gleich, warum nicht zumindest einfache und relativ billige Geräte zum Einsatz kamen, die es zumindest erlaubt hätten, eine sich anbahnende Katastrophe zu erkennen und vielleicht noch abwenden zu können. …

Nach verschiedenen Beispielen zu vorhersehbaren Katastrophen fährt der Autor fort:

… Auch wenn die Beispiele aus ganz unterschiedlichen Umfeldern gewählt sind und jeweils ihre eigenen speziellen Ursachen haben mögen, so gibt es doch auch Gemeinsamkeiten.

In all den Fällen war es nämlich nicht so, dass in den Organisationen das Wissen darüber gefehlt hätte, dass etwas in Gefahr ist, schief zu laufen. Das Wissen durfte nur nicht weitergegeben werden, zumindest nicht in vollem Umfang. Von einer Hierarchiestufe auf die nächste geht so immer ein Teil des Wissens verloren – man will ja nicht negativ sein, man will ja nicht als Bedenkenträger und Verhinderer gelten. Das könnte der Karriere schaden und macht nur Ärger.

So kommen auf der Stufe des obersten Managements nur positive Nachrichten an – und zwar genau die, die es hören will. …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)

仕事が終わらない

Montag, 25. Juni 2012 - 07:30

Es ist erst ein paar Jahre her, das ein deutsches Unternehmen in Deutschland Werbung mit einem Hochhaus machte, in dem auch Nachts die Lichter nicht ausgingen. Bekam es anschließend Besuch von der Gewerbeaufsicht?

Solche Hochhäuser sah ich in Japan reichlich. Shigoto ga owaranai (Die Arbeit hört nicht auf, 2003) ist z.B. bei amazon.co.jp zu finden. Es ist eben nicht so, dass Japaner lieb, nett und stillschweigend Überarbeitung dulden. Es gibt dort kritische Literatur wie es sie auch in Deutschland gibt. Und Japaner finden auch ihre Wege, gegen Überarbeitung Widerstand zu leisten.

Erinnern wir uns noch, wie und was wir (angeblich Technik- und Fortschrittsfeinde) einmal alles von Japan lernen sollten? Man kann von den Japanern natürlich immer noch viel lernen, insbesondere das, was nach Japan reisende deutsche Top-Manager uns in Deutschland nicht erzählen, weil sie es selbst nicht mitbekommen. Daran sollten wir auch bei der berühmten “Ruck-Rede” Roman Herzogs denken:

Ich komme gerade aus Asien zurück. In vielen Ländern dort herrscht eine unglaubliche Dynamik.
… … …
Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression – das sind die Stichworte der Krise.
… … …
Aber es ist auch noch nicht zu spät. Durch Deutschland muß ein Ruck gehen.

Also schon im Jahr 1997 stellte der Bundespräsident die Diagnose: “eine unglaubliche mentale Depression” fest. Er warf der Gesellschaft also eine von ihm bei den Deutschen vermutete Krankheit vor und meinte dann auch noch:

Uns fehlt der Schwung zur Erneuerung, die Bereitschaft, Risiken einzugehen, eingefahrene Wege zu verlassen, Neues zu wagen. Ich behaupte: Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Umsetzungsproblem.

(Hervorhebungen nachträglich eingetragen)

Und genau das war sein Erkenntnisproblem damals und unser Problem auch heute: Umsetzen, ohne vorher die wirklichen Kosten und Konsequenzen erkennen zu wollen. Herzog hatte keine Ahnung von dem wirklichen Leben in “Asien”. Zwischen ihm und dem Boden seiner Reiseziele lagen zu dicke rote Teppiche. Wie kommt denn der Schwung abhanden? Wie schleicht sich die Erschöpfungsdepression bei uns ein? Vielleicht, weil uns die Platitüden unserer von der Wirklichkeit abgehobenen Leittiere auch heute noch auf die Nerven fallen?

Hier das Gegengift (ich kann nicht oft genug darauf hinweisen): http://blog.psybel.de/psychosoziale-kosten-turbulenter-veraenderungen/. (Wer Spaß daran hat und Englisch kann, findet auch in einem Klassiker der englischen Literatur ein hübsches Beispiel, wie man Ruck-Reden durch den Kakao ziehen kann.)

Herzogs berühmte Rede war eine Dummheit. Sie war nur halb richtig. Das ist doppelt gefährlich, denn bei so etwas wird mit dem Richtigen dann gleich auch das Falsche in die Köpfe des Publikums mittransportiert. Wenn wir “Asien” (also die Gegend etwa zwischen Istanbul und Wladiwostok) als Referenz hernehmen wollen, dann lohnt es sich immer, genauer hinzusehen - beispielsweise in den japanische Mainstream-Buchladen in Tokyo, in dem ich im Regal “Subkultur” eine Regalreihe mit dem Titel “Subversion” gesehen hatte. Darin standen Bücher, die Ratschäge geben, wie man sich heimlich gegen seine Firma wehrt und an ihr rächt. (Das war im Jahr 2002.)

Daran sollten wir denken, wenn von unverstandener “Dynamik” geblendete Politiker und Unternehmensführer “unabänderlichen” Arbeitsdruck mit dem “Fleiß” “asiatischer” Wettbewerber im Arbeitsmarkt rechtfertigen wollen. Diese Wettbewerber kennen, wie die Japaner, durchaus eine Vielzahl an Methoden, sich gegen ihren eigenen Arbeitsdruck zu wehren. Das ist doch auch verständlich: China hat zum Ausgleich zur aufgezwungenen “Harmonie” auch eine tausendjährige Kultur der Subversion hervorgebracht, und mancher westliche Geschäftsmensch versteht bis heute nicht, warum seine Projekte trotz kooperationsbereiter Partner nicht so recht in die Gänge kommen oder warum die Geschäfte ein bisschen anders laufen, als sie geplant waren. Die “Outsourcer” möchte das aber vielleicht auch nicht wirklich wissen. Sie haben schon längst ihren Bonus eingesteckt, bevor sich zeigt, ob sich das Auslagern von Arbeit wirklich rechnet. Die Frage ist eben immer wieder, für wen sich Einsparungen rechnen.

Lesetipp: Michael Beuthner: Euphorion - Chronokratie & Technokratie im Bitzeitalter; sozialethische und technikphilosophische Überlegungen zur Informatisierung und Computerisierung der Gesellschaft, 1999, 826 Seiten, ISBN 978-3-82584139-3

Gefährdungsbeurteilung und Bildschirmarbeit

Sonntag, 24. Juni 2012 - 17:50

http://www.dguv.de/inhalt/praevention/gemein_strat/documents/GB-Leitlinie_Endfassung-11_06_08__2_.pdf, S. 8

Eine Gefährdungsbeurteilung ist nicht angemessen durchgeführt, wenn
  • die betriebliche Gefährdungssituation unzutreffend bewertet wurde,
  • wesentliche Gefährdungen des Arbeitsplatzes/der Tätigkeit nicht ermittelt worden sind,
  • wesentliche Arbeitsplätze/Tätigkeiten nicht beurteilt wurden,
  • Besondere Personengruppen nicht berücksichtigt wurden,
  • Maßnahmen des Arbeitgebers nicht ausreichend oder ungeeignet sind,
  • keine oder unvollständige Wirksamkeitskontrollen durchgeführt wurden,
  • die Beurteilung nicht aktuell ist,
  • erforderliche Unterlagen des Arbeitgebers nicht aussagefähig bzw. plausibel sind.

Der Arbeitgeber wird in der Regel schriftlich aufgefordert, die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist nachzubessern. Ggf. wird eine Nachverfolgung bzw. Anordnung durchgeführt.

 
Linkliste

 
Extern

 
blog.psybel.de

Wie beinflusse ich Betriebsratswahlen legal? Noch andere Fragen?

Samstag, 23. Juni 2012 - 17:17

Arbeitnehmervertreter sollten sich solche Seminare für Arbeitgeber gut ansehen: http://www.schreiner-praxisseminare.de/seminare/thema-betriebsrat/

Siehe auch: http://blog.psybel.de/psycho-tricks-gegen-betriebsraete/

Der Betriebsrat im Arbeitsschutz

Samstag, 23. Juni 2012 - 17:12

http://medien-e.bghw.de/bge/pdf/m113.pdf, August 2011

 
Und leider nur noch antiquarisch zu bekomen: Jens Gäbert, Mitbestimmung im Gesundheitsschutz, 2008

Begehungen durch Arbeitsschutzfachleute und den Betriebsrat

Samstag, 23. Juni 2012 - 12:40

Hier finden Sie ein paar Hinweise, worauf bei Begehungen von Arbeitsplätzen hinsichtlich der Qualität von Gefährdungsbeurteilungen zu achten ist.

http://blog.psybel.de/wie-die-aufsicht-prueft/#lv52, LV 52, Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder, darin aus dem Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung,  2009, S. 26 und 27:

Beteiligung Führungskräfte: Die mittleren und unteren Führungskräfte wurden bei der Ermittlung und Veränderung psychischer Belastungen beteiligt? 

  • Wie?
  • Melde-/ Beschwerdewesen, durch die Methodenwahl z.B. Fragebogen, Gruppenmoderation, MAG, Einzelinterviews

Planungen: Gefährdungsbeurteilung wurde systematisch geplant.

  • Wer war mit der Umsetzung beauftragt?
  • Wurden Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festgelegt?
  • Beurteilungsablauf festgelegt?

Risikofaktoren: Die wesentlichen Risikofaktoren für psychische Fehlbelastung werden berücksichtigt.

  • Abgleich mit Merkmalliste

Vollständigkeit: Alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten wurden auf psychische Belastungen hin beurteilt.

  • Wurden Prioritäten gesetzt?
  • Welche Bereiche wurden ausgelassen?
  • Aus welchem Grund?

Maßnahmenfestlegung: Bei psychischen Fehlbelastungen wurden Maßnahmen festgelegt.

(nachträgliche Anmerkung in eckigen Klammern)
 

Siehe auch:

 
(Aktualisierung: 2012-06-23. Ursprüngliches Datum: 2011-10-21)

NRW-Koalitionsvertrag 2012 – 2017:
gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen

Samstag, 23. Juni 2012 - 12:20

http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruene-nrw/politik-und-themen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012-2017.pdf

 
Zeilen 228 – 234

Wir setzen uns gemeinsam mit den Gewerkschaften für gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen und faire Löhne ein. Wir halten am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Wir treten auch in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für Mindeststandards als Regeln gegen Missbrauch und Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt ein. Für uns ist es eine Frage der Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, den Menschen durch gute Arbeit wieder Teilhabe und sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

 
Zeilen 4815 – 4846

Beschäftigungsfähigkeit kann nur durch gesunde, humane Arbeitsbedingungen gesichert werden. Darauf werden wir den Gesundheits- und Arbeitsschutz in NRW stärker konzentrieren.

Gemeinsam mit Sozialpartnern und Sozialversicherungen werden wir das Programm “Arbeit gestalten – NRW” auflegen und umsetzen, dass sich schwerpunktmäßig mit der Gestaltung von betrieblichen Handlungsfeldern auf folgenden Gebieten befasst: alternde Belegschaften, gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen, Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Belegschaften.

Dies gilt insbesondere für psychische Erkrankungen, die zu hohen Ausfallzeiten führen und der häufigste Grund für Frühverrentungen sind. Wir wollen daher in Kooperation mit interessierten Unternehmen oder Unternehmensverbänden eine auf Selbsthilfegruppen gestützte Präventionsoffensive starten. Dabei gilt es einerseits zu untersuchen, was die Beschäftigten am Arbeitsplatz belastet, um Konzepte zu entwickeln wie menschlicher und intelligenter gearbeitet werden kann und andererseits innerbetriebliche Beratungs- und Krisenhilfe aufzubauen.

Die bestehende Deckelung des Rehabilitations-Budgets nach § 220 Abs. 1 SGB VI seit 1997 ist aufzuheben und dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Der Rechtsanspruch nach dem SGB IX auf Leistungen zur Teilhabe der Versicherten muss zwingend erfüllt werden. Der Grundsatz „Reha vor Rente“, die Tendenzen zur Verdichtung der Arbeit, zunehmende belastende Arbeitsbedingungen, bedingt ein höheres Budget für Rehabilitation, um frühzeitig drohende Leistungsminderung, Erkrankung, Behinderung und Erwerbsminderung zu verhindern.

Wir werden den einheitlichen Arbeitsschutz wiederherstellen. Der einheitliche Arbeitsschutz umfasst dabei das Aufgabenspektrum des technischen und betrieblichen Arbeitsschutzes, denn beides kann nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Daher muss er auch in der Organisation in der Verwaltung deutlich zu erkennen und abzugrenzen sein. Die Zahl der Stellen für das Fachpersonal muss auskömmlich sein und vom zuständigen Fachressort fachlich verwaltet werden.

 
Zeilen 5510 – 5527

Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Das ist der Wunsch der meisten Familien und es entspricht auch dem wachsenden Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wir wollen eng mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und anderen Akteuren zusammenarbeiten, um gute Ansätze für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbreitern. Dazu werden wir die bestehende Aktionsplattform „Familie@Beruf“ weiterentwickeln.

Die Bundesregierung stellt in ihrem 8. Familienbericht, der sich dem Thema „Zeit“ widmet, fest, dass das Arbeitsrecht eine strukturelle „Blindheit“ gegenüber Familien hat. Wir wollen, dass dieser richtigen Erkenntnis auch Taten folgen und werden deshalb in einer Bundesratsinitiative Vorschläge für familienfreundliche Arbeitszeitregelungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und im Teilzeit- und Befristungsgesetz unterbreiten. Dabei geht es uns darum, dass Eltern mehr Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen haben, wie Arbeitszeit und Arbeitsort. Ebenso wollen wir erreichen, dass Teilzeitstellen nicht zur Sackgasse werden. So werden wir uns dafür einsetzen, dass Teilzeitmodelle an Lebensphasen orientiert werden und es ein Rückkehrrecht auf Vollzeit gibt.

 
Zeilen 6046 – 6053

Psychische Erkrankung im Erwachsenalter ist die Erkrankungsart mit der höchsten Steigerungsrate. Ursachen sind sowohl in den veränderten Anforderungen in unserer Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsplatz zu suchen. Sie verursachen enorme Kosten im Gesundheitssystem und kommen durch in der Regel langen Arbeitsausfall auch die Unternehmen teuer zu stehen.

Das Thema „psychische Gesundheit“ ist daher auch in der Landesgesundheitspolitik
aufzuwerten.

Fehlt dem “sowohl” hier nicht ein “als auch”?

Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil psychische Belastungen am Arbeitsplatz hier erstmalig in einem Koalitionsvertrag thematisiert wurden.

93,7 % der KMU-Betriebe erfassen keine psychischen Gefährdungen

Samstag, 23. Juni 2012 - 10:47

Bei kleinen und mittleren Unternehmen ist es ist schlimmer, als ich dachte:

http://sozialpolitik.verdi.de/ (2012-03-07)

Knapp zwei Drittel der Beschäftigten müssen nach eigenem Urteil seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten, psychische Belastungen und Erkrankungen nehmen zu, ein Großteil der Beschäftigten glaubt nicht daran, die Tätigkeit bis zum Rentenalter ausüben zu können. Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit bis hin zum Verlust greifen mit all ihren Folgen für den Einzelnen und die Unternehmen immer weiter um sich. Das Instrument, das diesen Entwicklungen entgegenwirken soll, kommt in den Unternehmen uneingeschränkt bis gar nicht zur Anwendung.

Eine aktuelle Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin bei 1.000 kleinen und mittelständischen Betrieben hat ergeben, dass 62 % dieser Betriebe keine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und dass 93,7 % der Betriebe keine psychischen Gefährdungen erfasst haben.

Und das, obwohl psychische Störungen mit 9,3 % aller AU-Tage mittlerweile der vierthäufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit ist.

Dieser Zustand ist nach mehr als 15 Jahren Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) völlig inakzeptabel. ver.di fordert deshalb eine Verschärfung von Sanktionen, wenn der Betrieb seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsschutzgesetz nicht nachkommt.

Mehr dazu in unserer sopoaktuell Nr. 118.

Schwache Erklärung der BG ETEM

Freitag, 22. Juni 2012 - 22:44

http://www.bgetem.de/medien-service/jahresbericht/JB%202011/at_download/file, Jahresbericht 2011:

Psychische Faktoren am Arbeitsplatz
Aktivitäten des FG Arbeitsmedizin/Arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren

Psychische Belastungen sind in der Gefährdungsbeurteilung zu ermitteln, zu beurteilen und es ist festzulegen, ob und ggf. welche Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen sind, um der Entstehung von negativen Folgen (,,Fehlbeanspruchungen”) vorzubeugen. Die Thematik ist seit 1974 im Arbeitsicherheitsgesetz als Aufgabe des Betriebsarztes in seinen Beratungspflichten festgeschrieben.

Dennoch wird das Thema ernsthaft und in der Breite erst in letzter Zeit vertieft. Dies kommt u. a. durch die Vereinbarung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) ,,Bedeutung der psychischen Belastung im Betrieb” zum Ausdruck (www.vdbw.de). Dies mag neben vielen anderen Gründen auch daran gelegen haben, dass psychische Belastungen – im Unterschied zu vielen anderen Belastungen am Arbeitsplatz – nicht so einfach zu ermitteln sind. Dazu gehören: Erfassung der Arbeitsorganisation, der Arbeitsmittel, der Arbeitsumgebung sowie die sozialen Beziehungen. Wichtig ist zudem auch die subjektive Bewertung der Arbeitssituation durch die Mitarbeiter/-innen und die Rahmenbedingungen im Betrieb. Und bei der Ableitung von Maßnahmen können gleichartige Ergebnisse, je nach Einzelfall, zu unterschiedlichen Interventionsebenen führen: Mitarbeiter/-in, Führungskraft, Arbeitsaufgabe, Arbeitsmittel, Arbeitsorganisation, Kommunikation und Schnittstellen im Betrieb etc. Neben der Gefahrenabwehr spielt auch die Stärkung gesundheitsförderlicher Ressourcen des Betriebes (,,gesunde Arbeit”) wie auch der Arbeitnehmer (,,Resilienz”) eine wichtige Rolle.

Wichtig ist, dass alle eingesetzten Instrumente und Verfahren qualitätsgesichert sind und hierbei eine Güteprüfung durchlaufen haben, die die Richtigkeit der Methode (Validität) zu Zuverlässigkeit (Reliabilität) und die Unabhängigkeit von Untersucher und Anwendungssituation (Objektivität) sicherstellt. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Selbst ich gehe nicht soweit, die Arbeitgeber für ihre Pflichtverletzungen bis zurück in das Jahr 1974 haftbar zu machen. Die konkretere Geschichte der Vermeidung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz beginnt später. Ab spätestens 2005 mussten die Unternehmen wissen (wenn es sie interessiert hätte), was sie taten bzw. was sie trotz Vorschrift nicht taten.

Und nun wird es peinlich: “Dennoch wird das Thema ernsthaft und in der Breite erst in letzter Zeit vertieft. … Dies mag neben vielen anderen Gründen auch daran gelegen haben, dass psychische Belastungen – im Unterschied zu vielen anderen Belastungen am Arbeitsplatz – nicht so einfach zu ermitteln sind.” Da hat sich die DB ETEM ausgerechnet eine der schwächsten Ausreden der Arbeitgeber ausgesucht. Die BG ETEM traut sich nicht, einen der Hauptgründe zu benennen: Die Berufsgenossenschaften haben kaum kontrolliert und die Unternehmen hatten kein Interesse. Die Unternehmen schaffen es, hochkomplexe Leistungs- und Verhaltensbeurteilungssysteme zu konsturieren und zu implementieren, aber die Verhältnisbeurteilung psychischer Belastung kriegen sie nicht hin. Wer glaubt denn so etwas?

Aus so vielen möglichen Quellen sucht die rücksichtsvolle BG ETEM die Vereinbarung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mit dem Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) “Bedeutung der psychischen Belastung im Betrieb” (2012) aus.

Kleiner Hinweis: Sehr lesenswert ist auch “Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW” (Mai 2009). Aber den Arbeitnehmern, die der nachhaltigen Missachtung wichtiger Arbeitsschutzregeln viele Jahre lang ausgesetzt waren, muss die BG ETEM ja nicht die goldenen Brücken bauen, ohne die man heute Arbeitgeber nicht um die entgegenkommende Einhaltung von Schutzbestimmungen bitten kann.