Archiv für März, 2011

Politikberatung

Dienstag, 8. März 2011 - 20:40

Im Artikel “Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung” machte ich ziemlich deutlich, dass sich das Bundesgesundheitsministerium bei der Erstellung einer Broschüre vermutlich durch Arbeitgeber beraten ließ. Deswegen vermuten Sie als ehrenwerter Leser meines Blogs vielleicht, dass ich als verbohrter Gewerkschafter wieder einmal das Klischee vom unredlichen Arbeitgeber bemühe. Das ist aber nicht so. Nicht die Arbeitgeber sind unredlich, sondern sie sind einfach schlauer, als die von ihnen beim Schreiben von Gesetzvorlagen Beratenen. Meine Kritik richtet sich nicht gegen Lobbyisten, sondern gegen die Dummheit derer, die sich von Lobbyisten beeindrucken lassen. Wie andere Menschen auch, machen Lobbyisten, was man sie machen lässt.

Dazu eine kleine Geschichte. In den frühen 80gern verkaufte ein Freund von mir einen der ersten Laptop-Computer (TRS 80 Model 100) an eine Bank, die damit Kreditberatung direkt im Kundenwohnzimmer machen wollte. Ich entwickelte das Programm dafür und entdeckte dabei, dass bei der Berechnung des Effektivzinssatzes verschiedene Geldflüsse mit verschiedenen Gewichtungen in die Formel zur Effektivzinsberechnung eingingen. Der Effektivzins hing also davon ab, wie sich der Geldfluss beispielsweise auf Zins, Tilgung und Gebühren verteilte. So lassen sich für gleiche Geldflüsse unterschiedliche Effektivzinssätze gestalten. Da ich damals noch naïv an die Überzeugungskraft der Vernunft glaubte, bat ich ein Bundesministerium (ich weiß nicht mehr genau, ob für Wirtschaft oder für Finanzen), mir zu erklären, wieso eine derart manipulierbare Berechnungsmethode sich in ein Gesetz verirren konnte, zumal die Bank intern ein anderes Verfahren einsetzte, dem sie mehr vertraute. Die mich damals noch überraschende und gleichfalls naïve Antwort des Ministeriums: Die Berechnungsformel könne nicht falsch sein, da bei ihrer Entwicklung die Banken mitgewirkt hatten.

In wackerer Fortsetzung meiner Naïvität bot ich der Bank an, auch das von ihr intern benutzte Berechnungsverfahren als Option in das Programm einzubauen, damit man Kunden ehrlich beraten könne. Die Bank zeigte dafür jedoch eher wenig Interesse, weil diese Option nicht den gesetzlichen Vorschriften entspräche, nach denen man sich (leider!) zu richten habe.

Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung

Montag, 7. März 2011 - 18:59

Zum Netzwerk Unternehmensnetzwerk zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Europäischen Union e.V. gibt es eine Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit dem Titel: Unternehmen unternehmen Gesundheit. Darin geht es um betriebliche Gesundheitsförderung (BGF; auch betriebliches Gesundgeitsmanagement, BGM) und unter Anderem auch um die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen.

Eine Vorbemerkung: Die große Mehrheit der Unternehmen hält es nicht für erforderlich, in der vorgeschriebenen Weise psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in die Beurteilung der von Arbeitsplätzen ausgehenden Gefährdungsrisiken einzubeziehen. Die in einem Rechtsstaat naheliegende Maßnahme zur Verringerung psychisch wirksamer Fehlbelastungen bestünde also konsequenterweise darin, die seit 1996 bestehenden Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auch wirklich durchzusetzen, denn das Verbesserungspotential ist riesig. Erstaunlicherweise gibt das Ministerium hier aber wenig Anregungen. Es müsste deswegen geprüft werden, inwieweit bei der Erstellung der Broschüre Vertreter der Unternehmen mitgewirkt haben, die es selber nicht für erforderlich halten, sich nach dem Arbeitsschutzgesetz und den Betriebsverfassungsgesetz zu richten. Die Toleranz der Politiker gegenüber Schutzrechte missachtenden Unternehmen muss schon seit vielen Jahren recht groß sein, denn sie sorgen seit 1996 nicht dafür, dass die Gewerbeaufsichten die Unternehmen ausreichend proaktiv und sorgfältig kontrollieren können. Angesichts der Offensichtlichkeit und der Nachhaltigkeit der tolerierten Missachtungen ist es direkt anstrengend, die Untätigkeit der Politik für einen Zufall zu halten.

Nun zur Broschüre selbst: Im Vorwort von Unternehmen unternehmen Gesundheit schreibt Dr. Philipp Rösler (Bundesgesundheitsminister):

Denn wenn die körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Krankheits- und Burn-out-Quoten sinken und gleichzeitig die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Belegschaft steigen, profitieren alle im Unternehmen davon.

Das klingt gut, zeigt aber auch den populärpsychologischen Ansatz der Broschüre, denn auch zu wenig Arbeitsbelastung kann eine Fehlbelastung sein. Die Aufgabe der Arbeitgeber besteht nämlich nicht im Senken von psychischen Belastungen, sondern die Arbeitgeber haben psychische Fehlbelastungen zu beseitigen oder zu mindern. Arbeitnehmer brauchen Belastungen, denn für den Umgang damit werden sie bezahlt. Nicht bezahlt werden sie für Fehlbelastungen.

Was sind nun Fehlbelastungen? In Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräte, Personalräte) vereinbaren diese Vertretungen mit dem Arbeitgeber, was in einem gegebenen Betrieb Fehlbelastungen sind. Die Arbeitnehmer werden hier nicht entgegenkommenderweise einbezogen, sondern sie bestimmen mit. Der Minister hat möglicherweise Hemmungen, das zu verdeutlichen. Das ist problematisch, denn Mitbestimmung ist eine kennzeichnende Voraussetzung für innerbetrieblich vereinbarte Kriterien und Prozesse des Arbeitsschutzes.

Ganz ordentlich aber klärt das BMG die “gesetzlichen Regelungen”:

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) sind für Arbeitgeber verpflichtend geregelt:

  • Als Arbeitgeber tragen Sie die Hauptverantwortung für die Überprüfung, Umsetzung und Verbesserung aller erforderlichen Maßnahmen zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz (ArbSchG, ASiG).
  • Zudem sind Sie als Arbeitgeber seit 2004 (laut § 84 Abs. 2 SGB IX) gesetzlich dazu verpflichtet, unabhängig von der Betriebsgröße, Maßnahmen des BEM durchzuführen, wenn ein Beschäftigter mehr als 42 Tage innerhalb von 12 Monaten arbeitsunfähig ist. Dies gilt sowohl für länger andauernde Arbeitsunfähigkeit als auch für viele aufeinanderfolgende Kurzzeiterkrankungen.

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Allerdings ist sie für die Krankenkassen verpflichtend geregelt:

  • Gemäß § 20a SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erbringen.
  • Gemäß § 65a Absatz 2 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.

Im Zusammenhang mit anderen Ausführungen in der Broschüre entsteht allerdings dann doch Verwirrung, denn auf der Seite vor dieser Erklärung der gesetzlichen Regeln schreibt das Ministerium:

Die betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention), und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention). Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. So verursachen z. B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden, sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt.

“Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention)” sind vorgeschriebene Arbeitsschutzmaßnahmen. (Die Analyse ist übrigens nur ein kleiner Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.) Wenn also Arbeitsschutz Teil der BGF ist, dann ist die BGF eben nicht in allen Teilen “freiwillig”. Und Verhältnisprävention geschieht nicht “neben” Verhaltensprävention, sondern im Arbeitsschutz hat Verhältnisprävention ganz klar Vorrang vor der Verhaltensprävention. Es ist verwunderlich, dass das ausgerechnet in einem Bundesministerium nicht verstanden wird.

Außerdem ist es mit “Kursen zur Stressbewältigung” ganz sicher nicht getan. Das Ministerium weiß das anscheinend auch nicht. Die vorgeschriebenen Unterweisungen gehen viel weiter. Dass die Broschüre das nicht darzustellen vermag, legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass die Broschüre des BMG mit nicht unwesentlicher Hilfe der Arbeitgeber erstellt wurde.

Gelegentlich ist die Ansprache “persönlicher Probleme” von Mitarbeitern auch ein Mittel von Arbeitgebern, die “Ursachen” der “Auffälligkeit” des Verhaltens von Mitarbeitern bei diesen zu verorten und eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu vermeiden. Das war schon immer der leichteste Weg für diese Sorte von Arbeitgebern, denn damit entlasten sie sich  und halten die Mitarbeiter gleichzeitig davon ab, Probleme offen anzusprechen. Genau aus diesem Grund konzentriert sich der Arbeitsschutz auf die Verhältnisprävention. Das ist einer der vom Bundesgesundheitsministerium nicht verstandenen Gründe für die Trennung von Verhältnisprävention und Verhaltensprävention. Die Gerichte dagegen verstehen diese Gründe. Betriebsräte haben hier die wichtige Aufgabe, diese Trennung im Sinn des Arbeitsschutzes zu verteidigen.

Wird aus den Fehlern und den Schwerpunkktsetzungen des BGM bei der Darstellung der Sachverhalte ein Desinteresse des BGM am Arbeitschutz und an der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer deutlich? Es muss auch die Möglichkeit erwogen werden, dass die Broschüre von den Arbeitgebern selbst geschrieben wurde: In der Broschüre wird die Mitbestimmung ignoriert. Auch die Priorität der Verhältnisprävention (gegenüber der Verhaltensprävention) im Arbeitsschutz und die Tatsache, dass ein Großteil der Betriebe seit vielen Jahren versäumt hat, psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen. Der Minister und Arzt sieht zu, wie Arbeitgeber den Arbeitnehmern ihre Schutzrechte seit 1996 verweigern. Was er dagegen tun könnte, tut er nicht.

Arbeitgeber lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit  auf ihre freiwilligen Leistungen im “betrieblichen Gesundheitsmanagement” (BGM) bzw. in der “betrieblichen Gesundheitsförderung”. Das ist werbewirksamer als die Befolgung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes, deren Initiator dann in vielen Fällen auch noch die Arbeitnehmervertretung des Unternehmens ist. Betriebsräte können das Interesse der Unternehmen an einer werbewirksamen BGF aber durchaus nutzen: Wie glaubwürdig betriebliche Gesundheitsförderung ist, kann mit einer einfachen Frage an Unternehmen, die mit ihrer BGF werben, überprüft werden: “Ist der Einbezug psychische wirksamer Belastungen in arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen bei Ihnen mit einer Betriebsvereinbarung geregelt worden?”

Für Betriebsräte nutzbar ist zum Beispiel auch der Qualitätsfragebogen zum betrieblichen Gesundheitsmanagememt (PDF, 189 KB). Fragen 3b und 3c:

Basieren die Maßnahmen zur BGF auf einer sorgfältigen und regelmäßig aktualisierten Ist-Analyse, die sich auf wichtige gesundheitsrelevante Informationen stützt: Arbeitsbelastungen, Gesundheitsindikatoren, subjektiv wahrgenommene Beschwerden, Risikofaktoren, Unfallgeschehen, Berufskrankheiten, krankheitsbedingte Fehlzeiten, Erwartungen aller betrieblichen Akteure, insbesondere der Beschäftigten? Sind alle Mitarbeiter durch geeignete Mittel der internen Öffentlichkeitsarbeit über die Vorhaben im Bereich BGF informiert?

Das geht ein bisschen in Richtung Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung. Arbeitgeber werden diesen Fragebogen zur Selbstbewertung der Qualität der BGF akzeptieren. Damit ist schon einmal ein Mindeststandard gesetzt. Um mit dem Fragebogen umgehen zu können, müssen Betriebsräte allerdings auch wissen, was ihm noch fehlt.

Wenn Arbeitsschutz ein Teil des BGM und/oder der BGF ist, dann ist der Arbeitsschutz zunächst die Pflicht. Der Rest ist Kür. Die Aufgabe der Betriebsräte wird sein, dafür zu sorgen, dass die Pflicht erledigt ist, bevor der Arbeitgeber zur werbewirksamen Kür schreitet.
 

Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/05/13/unerhoert/ (2011-05-13)

Politik der unterbesetzten Aufsichtsbehörden

Freitag, 4. März 2011 - 22:07

Aus der Südeutschen Zeitung von heute:

Laxe Steuerprüfung —Millionäre bevorzugt

Was für ein Leben: viel Geld verdienen, eine Villa am See besitzen – und die Gewissheit haben, dass das Finanzamt nur selten vorbeikommt. Nach Ansicht der Grünen reduzieren viele Bundesländer absichtlich die Zahl der Steuerprüfungen. Von C. Hulverscheidt

- Finanzamt – Wenn der Steuerprüfer gar nicht klingelt
- Steuererklärung – Steuerschummeln? Darauf achten Finanzbeamte

Bei der Gewerbeaufsicht sieht es nicht besser aus, als bei der Steuerprüfung. Dass seit 15 Jahren mehr als 80% der Unternehmen immer noch Gefährdungsbeurteilungen ohne Einbezug psychisch wirksamer Belastungen anfertigen dürfen, kann kein Zufall mehr sein. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom“. Fachkräfte, die direkt Aufdicht ausüben, möchten ihre Arbeit durchaus tun. Aber ist ihnen das auch politisch erlaubt?

Siehe auch: http://blog.psybel.de/2010/11/22/mentale-belastung-am-arbeitsplatz/

Arbeitszeit in der Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 4. März 2011 - 16:42

P1 – Der Aspekt der Arbeitszeit in der Gefährdungsbeurteilung

Beginn: 01.01.2005
Kooperationspartner:—
Projektleitung: Dipl. Psych. O. Dittmar
Inhalt und Ziele:

Eine stärkere Berücksichtigung arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse bei der Beurteilung des Belastungsaspektes Arbeitszeit m Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen erscheint notwendig. Eine einfache Beurteilung der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben reicht offensichtlich nicht aus, wie erhöhte Unfallrisiken und gesundheitliche Beschwerden in Abhängigkeit von der Arbeitsdauer bereits innerhalb der gesetzlichen Vorgaben erkennen lassen (Nachreiner et al. 2005).

Eine derart differenzierte Analyse von Arbeitszeitsystemen ist jedoch aufgrund der gegebenen Komplexität des Prüfproblems ohne die in der Praxis häufig fehlende Expertise und ohne technische Hilfsmittel kaum zu leisten. Vor diesem Hintergrund wird der Frage nachgegangen, ob und wie computergestützte Instrumente zur Arbeitszeitgestaltung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zur Abschätzung der aus der konkreten Arbeitszeitgestaltung resultierenden Gefährdungen eingesetzt werden können.

Eine geeignete Software sollte dem Praktiker eine Hilfe sowohl im Hinblick auf die Beurteilung der Gefährdung wie auch im Hinblick auf die Entwicklung von gefährdungsminimierenden Lösungsansätzen sein.

Erste Untersuchungen und Analyseergebnisse zum Zusammenhang zwischen der Dienstplangüte und gesundheitlichen Beschwerden zeigen, dass die Dienstplangüte (Prädiktor), operationalisiert durch eine Bewertungskennzahl aus BASS 4, zur Vorhersage für zu erwartende psychische und physische Beschwerden (Kriterium) verwendet werden kann.

Seit Mai 2008 läuft die von der Gawo selbst finanzierte Onlineumfrage “Arbeitszeit und Gesundheit”, um den Zusammenhang zwischen der Dienstplangüte, weiteren Belastungs- und Arbeitsbedingungen sowie persönlichen Merkmalen und gesundheitlichen Beschwerden genauer beschreiben zu können.

zurück zur Übersicht “Aktuelle Projekte”

Quelle: http://www.gawo-ev.de/cms/index.php?page=p1—der-aspekt-der-arbeitszeit-in-der-gefaehrdungsbeurteilung

Siehe auch: http://blog.psybel.de/forschungsarbeit/

Der erweiterte Bürokratiebegriff

Freitag, 4. März 2011 - 15:49

Bericht der Kommission Mitbestimmung der Wirtschaftsverbände BDA und BDI (2004):

Mitbestimmung modernisieren
8. Teil: Betriebsverfassung entbürokratisieren

Die Mitbestimmung im Rahmen des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) entwickelt sich in der Rechtsprechung zu einer gefährlichen Generalklausel. Die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben ist nicht Sache des Betriebsrats. Sie ist Aufgabe der Berufsgenossenschaft, die hierfür auch arbeitstechnisch und -medizinisch qualifiziert ist. Der Betriebsrat kann die Interessen der Belegschaft schon jetzt durch seinen Kontakt zur Berufsgenossenschaft (§ 89 BetrVG) wahren. Mehrfache Bürokratie ist nicht sinnvoll und kann zu sachwidrigen Koppelungsgeschäfte führen.

Der BDI und die BDA leisten sich hier bei der Benutzung des Begriffes “Bürokratie” anscheinend eine recht große künstlerische Freiheit. In ihrer Welt schließt dieser Begriff anscheinend die mitbestimmte Ausgestaltung des Arbeitsschutzes mit ein. Aber wie bereits erläutert, bedeutet Entbürokratisierung beim Arbeitsschutz, dass früher vom Staat vorgenommene Regelungen jetzt in den Betrieben vorgenommen werden müssen. Sicherlich führt die Gestaltung betriebsnaher Regelungen zu Arbeitsaufwand. Die zur Erhaltung einer Zivilgesellschaft notwendige Arbeit bekommt man nicht umsonst. Die Gerichte haben erkannt, dass betriebsnahe Regelungen etwa gleich starke Verhandlungspartner auf der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite benötigen. Darum schützen sie die Mitbestimmung.

BDI und BDA haben das Arbeitsschutzgesetz nicht verstanden, wenn sie den Eindruck entstehen lassen, dass nach Auffassung der Gerichte die Konkretisierung von Arbeitsschutzvorgaben Sache des Betriebsrats sei. Es ist keineswegs die Auffassung der Gerichte, dass die Konkretisierung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen Sache der Betriebsräte sei. Die BDI und BDA bellen hier am falschen Baum. Für die Konkretisierung tragen immer noch die Arbeitgeber die Verantwortung. Die Betriebsrate passen darauf auf, dass die Arbeitgeber Schutzgesetze beachten. Diese Arbeit wird ihnen von den Betriebsräten nicht abgenommen. Aber wenn die Arbeitgeber ihre Pflichten missachten, dann helfen ihnen logischerweise die Arbeitnehmer (Betriebsräte oder Personalräte) mit konkreten und konstruktiven Vorschlägen ein bisschen weiter, denn Politiker sorgen dafür, dass die Berufsgenossenschaften schon für ihre Aufsichtspflicht nicht genügend Ressourcen haben. Dass sich der BDI und die BDA dann auch noch über die Hilfe der Betriebsräte beschweren, ist doch etwas zu undankbar.

Siehe auch. http://blog.psybel.de/betriebsverfassungsgesetz/

Der arbeitende Kunde

Freitag, 4. März 2011 - 15:38

http://www.arbeitenundleben.de/ako-start.htm:

Wenn Konsumenten zu unbezahlten Mitarbeitern werden 

Als ein zentrales weiterführendes Ergebnis des DFG-Forschungsprojekts “Dienstleistung als Interaktion” entstand in der Kooperation von Kerstin Rieder (jetzt Olten/Schweiz) und G. Günter Voß eine 2005 (2. Auflg. 2006) als Buch vorgelegte These zum Wandel des Konsums und der Konsumenten resp. der (aus betrieblicher Sicht) “Kunden”.

Rieder und Voß wagen mit ihrem Konzept in systematischer Parallele zur These des Arbeitskraftunternehmers die provokante Vermutung, dass Konsumenten zunehmend zu informellen Arbeitskräften von Betrieben werden. Sie werden zu „Arbeitenden Kunden“, die den bisherigen schlicht ‚kaufenden’ Konsumenten verdrängen und durch die den Betrieben ein historisch neuartiges Feld der Nutzung gesellschaftlicher Arbeit und Arbeitskraft erschlossen wird. Auch dies ist Teil des Prozesses der zunehmenden „Entgrenzung“ und „Subjektivierung“ von Arbeit. …

VIPs sind dadurch gekennzeichnet, dass sie Sonderbetreuungen bekommen. Der Rest muss heute auch nach Feierabend weiterarbeiten. Lösung des Problems: Werden Sie VIP!

Gefährdungsbeurteilung: Frage an den Arbeitgeber

Freitag, 4. März 2011 - 07:35

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, psychisch wirksame Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung mit einzubeziehen. Wenn es keine solchen Belastungen gibt, kann das ja in der Gefährdungsbeurteilung nachvollziehbar dokumentiert werden. Trotzdem gibt es bei vielen Unternehmen, in denen Arbeitnehmervertreter das Thema des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung aufgreifen, zähe Diskussionen um die Notwendigkeit eines solchen Einbezugs.

In Betrieben, in denen es viel Bildschirmarbeit gibt, kann es deswegen zur Vermeidung unnötiger Diskussionen pragmatisch sein, sich auf eine Vorschrift zu konzentrieren, in der der Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung ganz unmißverständlich vorgeschrieben ist: Stellen Sie die Frage an den Arbeitgeber, „wie bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen ermittelt und beurteilt werden, sowie welche konkreten Prozesse und Beispiele es dazu im Betrieb gibt.”

Kann der Arbeitgeber das nicht erläutern, dann kann eine Missachtung der Arbeitsschutzbestimmungen vorliegen, also mindestens eine Ordnungswidrigkeit und eine Erhöhung seines Haftungsrisikos. Überrascht er jedoch den Betriebsrat mit einer Darstellung, dass psychisch wirksame Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbezogen seien, dann könnte er die Mitbestimmung der Arbeitnehmervertretung umgangen haben. Dann läge eine Straftat vor.

Arbeitsgruppe Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 4. März 2011 - 07:30

Wie ein Betriebsrat den Einbezug psychisch wirksamer Erbeitsbelastung in den Arbeitsschutz fördert, sollte er auch seinen Klienten im Unternehmen mitteilen:

„Zur Erarbeitung einer Betriebsvereinbarung zur ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung hat der Betriebsrat eine eigene Arbeitsgruppe (nach § 28a BetrVG) eingerichtet. Die Gefährdungsbeurteilung ist ein Instrument des Arbeitsschutzes und bezieht psychisch wirksame Belastungen mit ein. Dabei gilt: Beurteilt werden Arbeitsbedingungen, nicht die einzelnen Mitarbeiter. Die Gefährdungsbeurteilung ist eine der wichtigsten Instrumente des Arbeitsschutzmanagement unseres Unternehmens. Ohne es können im Arbeitsschutz keine Maßnahmen zur Vermeidung von Fehlbelastungen beschlossen und umgesetzt werden. Mit Fragen und Anregungen zur Arbeitsgruppe können sie sich jederzeit an den Betriebsrat wenden.″

Leiharbeiter

Donnerstag, 3. März 2011 - 16:00

http://www.iab.de/

Leiharbeiter und befristet Beschäftigte fühlen sich weniger in die Gesellschaft integriert als Festangestellte. Arbeitslose empfinden sich aber noch häufiger als ausgeschlossen. 

IAB-Kurzbericht 4/2011

Presseinformation

IAB-Infoplattform: Armut, Arbeitsmarktintegration und gesellschaftliche Teilhabe

Im Bereich des Arbeitsschutzes tragen Betriebsräte auch für die in ihrem Betrieb arbeitenden Leiharbeiter und “Consultants” Verantwortung.

Macht Mitbestimmung Spaß?

Donnerstag, 3. März 2011 - 13:44

Mitglieder des Betriebsrats bilden eine besondere Risikogruppe, da sie mit überdurchschnittlich vielen psychosozialen Konflikten umgehen müssen. Dazu gibt es auch Seminare, z.B. vom Forschungs- und Beratungsinstitut GULMO

Hinweise zu Seminaren mit interessanten Themen lasse ich in diesem Blog stehen, auch wenn die Termine schon in der Vergangenheit liegen. Hier ist so ein Seminar. Es geht um ein bisher ziemlich vernachlässigtes Thema:

14.03. – 15.03.2011 in Heidelberg, Leonardo Hotel

Wer kennt das nicht: Erst rackert man sich für die Kollegen ab und dann kommt noch nicht mal ein Dankeschön. Im Gegenteil, bei der nächstbesten Gelegenheit ist der Betriebsrat dann auch noch Blitzableiter für alle möglichen Probleme im Unternehmen – mit freundlicher Unterstützung des Arbeitgebers. Oft herrscht auch im Gremium, in Betriebsversammlungen oder bei Verhandlungen keine heile Welt, was zu zusätzlichem Ärger und Belastungen führt.

Der Stresssituation von Arbeitnehmervertretern in Deutschland wurde von Dr. Norbert Gulmo an der Universität Heidelberg in einer umfangreichen Studie von 2006 bis 2007 nachgegangen. Auf der Grundlage dieser Erkenntnisse und mit Hilfe des von den Krankenkassen geförderten Konzepts „Gelassen und sicher im Stress“ werden im Seminar nützliche Problemlöse- und Stressbewältigungsmethoden vorgestellt und Wege aus verfahrenen und belastenden Situationen aufgezeigt.

Montag, 14. März 2011
09:30 Uhr Begrüßung und Einführung in das Seminar
10:00 Uhr Stress für Arbeitnehmervertreter, gibt’s den überhaupt? Beispiele der betrieblichen Praxis
10:30 Uhr Kaffeepause
10:45 Uhr Macht Mitbestimmung Spaß? Ergebnisse der Studie zu Stress von Betriebsräten in der BRD
11:30 Uhr Grundlagenwissen: Was ist Stress? Ursachen, Erscheinungsformen, Folgen für Gesundheit etc.
12:15 Uhr Mittagspause
13:30 Uhr Die eigenen Fähigkeiten nutzen
– Drei Hauptwege zur Stressbewältigung
14.15 Uhr Stress entsteht im Gehirn: Wie man sich selbst verrückt machen kann und was wirklich dran ist
15:00 Uhr Kaffeepause
15:30 Uhr Kloß im Hals oder Herzrasen: Cool bleiben durch Erregungskontrolle
Dienstag, 15. März 2011
09:00 Uhr Diskussion oder Diskreditierung?
Über Kommunikation im Gremium und anderswo
10:15 Uhr Kaffeepause
10:30 Uhr Woher kommt eigentlich der Ärger?
Ursachenanalyse und Problemlösemethoden für Stresssituationen, die nur Arbeitnehmervertreter kennen
11:30 Uhr Enthusiasmus – Frustration – Resignation:
Wege aus der Burnout-Falle
12:15 Uhr Mittagspause
13.30 Uhr Wenn`s wenigstens einen gibt, mit dem man reden kann: Was andere Menschen bewirken können
14:15 Uhr Warum das alles? Ziele klären und mit sich selbst übereinstimmen
15:00 Uhr Kaffeepause
15:15 Uhr Wenn einem alles über den Kopf wächst:
Zeitmanagement und Nein-Sagen können
16:00 Uhr BR-/PR-Arbeit ist auch nicht alles:
Work-Life-Balance
16:30 Uhr Ende des Seminars

Seminarkosten
Seminargebühr: 590,-€
Hotelkosten mit Vollpension 218,-€, bei Anreise am Sonntag 350,-€ incl. Abendessen; (Sollten Sie nicht im Hotel übernachten berechnet das Hotel eine Tagungspauschale von 86,-€). Alle Preise zzgl. MwSt.

Zur Anmeldung.

Norbert Gulmo begann seine berufliche Laufbahn als Schlosser, sammelte dann Erfahrung als Betriebsratsmitglied und Betriebsratsvorsitzender und arbeitet nun schon seit einigen Jahren als Berater, nachdem ein Psychologie-Studium mit einer Promotion abschloss. Ich konnte diese personifizierte Kombination aus Praxis und Theorie selbst in einem seiner Seminare kennenlernen.

 


Nachtrag (2015-11): http://www.gulmo.de/seminare/klausurtagung/