Kategorie 'BMG'

Prävention im Bundestag

Donnerstag, 4. April 2013 - 07:24

http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/521/52131.html (2013-03-22)
Aktueller Stand: Dem Bundesrat zugeleitet – Noch nicht beraten (geplant für 2013-05-03)

[...]
Inhalt

Unterstützung der Bevölkerung bei gesundheitsförderlichem Verhalten und Reduktion gesundheitlicher Risiken durch zielgerichtete Ausgestaltung der Krankenkassenleistungen zur Primärprävention und Früherkennung von Krankheiten: Einrichtung einer Ständigen Präventionskonferenz, Maßnahmen in den Bereichen betriebliche Gesundheitsförderung, Wettbewerb bei Krankenkassen, Finanzierung von Präventionsleistungen, Qualitätssicherung u.a.;
Änderung und Einfügung versch. §§ Fünftes Buch Sozialgesetzbuch sowie Änderung §§ 1 und 8 Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
Schlagwörter

Betriebliche Gesundheitsförderung; Früherkennung von Krankheiten; Gesetzliche Krankenversicherung; Gesetz zur Förderung der Prävention ; Gesundheitsvorsorge; Krankenkasse; Sozialgesetzbuch V; Zweites Gesetz über die Krankenversicherung der Landwirte
[...]

 
Der Entwurf trägt die Handschrift der FDP und ihrer Klientel (http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2013/0217-13.pdf):

[...]
B. Lösung

  • Fortentwicklung der Leistungen zur Prävention und zur Früherkennung von Krankheiten im Fünften Buch Sozialgesetzbuch;
  • Unterstützung der Verständigung auf gemeinsame Gesundheitsförderungs- und Präventionsziele durch Einrichtung einer Ständigen Präventionskonferenz beim Bundesministerium für Gesundheit;
    [FDP-Politik parallel zur GDA und zu v. d. Leyens (CDU) Arbeitsministerium?]
  • Ausrichtung der Leistungen auf gemeinsame verbindliche Gesundheitsförderungs- und Präventionsziele;
  • Förderung der Verantwortung der Menschen, der Selbstverwaltung und der Unternehmen;
  • Verbesserung der Rahmenbedingungen für die betriebliche Gesundheitsförderung;
    [siehe auch: http://blog.psybel.de/gesundheitsmanagement-als-schleier/]
  • Förderung des Wettbewerbs der Krankenkassen auch im Bereich der Prävention;
  • Stärkung der medizinischen Vorsorgeleistungen;
  • Präventionsorientierte Fortentwicklung der Leistungen zur Früherkennung von Krankheiten bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen;
  • Zielgerichtete Neustrukturierung der Finanzierung von Leistungen zur Prävention;
  • Sicherstellung der Qualität und Förderung der Wirksamkeit von Prävention und Gesundheitsförderung.

C. Alternativen
Keine.
[...]

Eine Alternative (bzw. eine Voraussetzung für eine glaubwürdige Gesundheitsförderung) ist in den Betrieben: Beendigung der Schwächung der Aufsicht im Arbeitsschutz. Die Überforderung der Aufsicht ist so nachhaltig, dass sie eigentlich kein Versehen sein kann.

Psychische Erkrankungen: Fehlzeiten zwischen 2007 und 2011 um 50% gestiegen

Samstag, 26. Januar 2013 - 12:14

Die Zeitschrift “Focus” berichtete unter Berufung auf Zahlen der Techniker Krankenkasse wieder einmal, dass psychische Belastungen zunähmen. Die Zahl der Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen ist zwischen 2007 und 2011 um etwa 50 Prozent gestiegen. Die Zahl der Klinikaufenthalte wegen Depressionen und der Menge der verordneten Antidepressiva hat einen ähnlichen Verlauf genommen. In den Medien wird in diesem Zusammenhang auf die Forderung von DGB-Vorstandsmitglied nach einer Anti-Stress-Verordnung und Sanktionen für Arbeitgeber berichtet. Und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr grätschte sogleich rein und rief die Unternehmen wieder einmal auf, gesundheitsfördernde Bedingungen zu schaffen. Die sind freiwillig und für die Arbeitnehmer nicht immer kostenlos, wenn sie dafür Geld und Urlaub aufbringen müssen. Vorgeschrieben, von den Arbeitgebern zu bezahlen und von der Mehrheit der Unternehmen (spätestens seit 2004 wissentlich) vernachlässigt wurde dagegen der Arbeitsschutz, ohne den die betriebliche Gesundheitsförderung keinen Sinn macht. Das ist in den Medien anscheinend noch immer nicht so recht angekommen. Für den “Focus” ist Bahr aber in dieser Sache relevant. Auch Chefredakteure lenken als Arbeitgeber gerne mit Betrieblicher Gesundheitsförderung vom strengeren Arbeitsschutz ab.

Für den Arbeitsschutz ist die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zuständig. Anlässlich des Starts der neuen Arbeitsperiode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) 2013 – 2018 lädt sie zu der Auftaktveranstaltung “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wir machen es zum Thema!” ein. Auf die geplanten Änderungen im Arbeitsschutzgesetz geht der Focus allerdings auch ein: http://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/tid-29210/fehlzeiten-schnellen-nach-oben-neue-initiative-soll-psycho-stress-im-job-eindaemmen-bahr-aufgabe-der-betriebe_aid_906194.html

… Arbeitsministerin von der Leyen hat Ende des vergangenen Jahres immerhin eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz durchgesetzt. Nun steht dort [langsam, das war zunächst einmal nur ein Kabinettsbeschluss], dass auch übermäßige psychische Belastungen am Arbeitsplatz ein Gesundheitsrisiko darstellen können. [Das gilt nach BAG-Beschlüssen auch jetzt schon!] Für von der Leyen reicht das erst einmal aus, das sei schon „ein sehr scharfes Gesetz“ [für dessen Missachtung die große Menge der Verweigerer aber nicht bestraft wurden], sagt sie und setzt darüber hinaus ebenfalls auf unverbindliche Hilfen und Informationen. Die von den Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung sieht sie zumindest skeptisch, hat sich aber nicht ausdrücklich festgelegt. Denn die Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer wollen eine solche Verordnung über den Bundesrat durchsetzen – und dort hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition keine Mehrheit mehr. …

(Links und Anmerkungen nachträglich eingetragen)

Krankenkassen vergessen den Arbeitsschutz

Samstag, 15. Dezember 2012 - 09:44

http://www.presseportal.de/pm/63330/2382903/praeventionsbericht-2012-krankenkassen-engagieren-sich-verstaerkt-fuer-psychische-gesundheit-im

… “Die gesetzlichen Krankenkassen konzentrieren sich damit schon heute auf das, was der Bundesgesundheitsminister jetzt fordert – nämlich intensiv die betriebliche Gesundheitsförderung und Maßnahmen in Lebenswelten vor Ort zu fördern”, so Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. “Gesundheitsförderung ist dann erfolgreich, wenn sie die Menschen auf möglichst vielen verschiedenen Wegen anspricht und dadurch erreicht. Eine Verengung auf eine ärztliche Verordnung, wie derzeit offenbar im Bundesgesundheitsministerium überlegt wird, wäre ein falscher Ansatz. Prävention muss z. B. im Kindergarten, am Arbeitsplatz und in der Schule beginnen und nicht erst dann, wenn jemand bereits zum Arzt geht.” ..

Bellen am falschen Baum. Der Arbeitsschutz stellt die Prävention sicher – vorausgesetzt, dass sich die Arbeitgeber an die Vorschriften halten. Wenn die Krankenkassen besser darauf geachtet hätten, dann gäbe es jetzt schon weniger Erkrankungen.

… Engagement in der betrieblichen Gesundheitsförderung ausgebaut

Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz – das bedeutet geringere krankheitsbedingte Kosten und mehr Lebensqualität für den Einzelnen. Deshalb haben die Krankenkassen 2011 wie in den Vorjahren ihr Engagement in der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) ausgeweitet …

Mit welcher Absicht wird der Arbeitsschutz am Arbeitsplatz nicht berücksichtigt? Warum wird (abgesehen von der Techniker Krankenkasse) das Engagement beim Arbeitsschutz nicht ausgebaut?

Psychische Erkrankungen verursachen rund 10 Prozent aller Krankheitstage in deutschen Unternehmen und sind seit Jahren die Hauptursache für krankheitsbedingte Frühverrentungen. Entsprechend den gewandelten Belastungen am Arbeitsplatz mit zunehmender Hektik und fortschreitender Arbeitsverdichtung verstärkten die Krankenkassen 2011 weiter ihre Aktivitäten zur Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmern. “Die Anforderungen in der Arbeitswelt haben sich in den letzten Jahren rasant verändert. In der Folge sind vor allem kognitive und psychosoziale Belastungen gestiegen – Stress ist inzwischen das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Der Präventionsbericht zeigt, dass die Krankenkassen hier aktiv gegensteuern”, so Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS.

2011 gehörten Maßnahmen zum Stressmanagement bzw. zur Stressbewältigung und Angebote zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung neben der Reduktion von körperlichen Belastungen zu den häufigsten Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz

Der Präventionsbericht zeigt, dass die Krankenkassen die Bedeutung des Arbeitsschutzes noch immer nicht verstehen.

 
Präventionsbericht: http://www.mds-ev.de/Praeventionsbericht.htm (direkt: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/12/Praeventionsbericht_2011_final_ungschuetzt.pdf)

… Mittlerweile wird die betriebliche Gesundheitsförderung – insbesondere in Großbetrieben – zunehmen in ein umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement integriert. Das betriebliche Gesundheitsmanagement kann darüber hinaus beispielsweise Initiativen des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz, zur Wiedereingliederung langfristig Erkrankter, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Hilfe in privaten Krisen und anderes mehr umfassen. …

Was bezweckt der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) mit solchen Aussagen? Damit es klar ist: Der Arbeitsschutz ist keine Nebensache. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement “kann” den Arbeitsschutz nicht umfassen, sondern der Arbeitgeber hat den Arbeitsschutz mit Einbezug der psychischen Belastungen vorschriftsmäßig umzusetzen.

 
http://www.welt.de/wirtschaft/article112025787/Kassen-sollen-mehr-Geld-in-Praevention-stecken.html

Kassen sollen mehr Geld in Prävention stecken

Sechs Euro pro Mitglied fließen künftig qua Gesetz in die Vorsorge. So soll Krebs häufiger erkannt, die Zahl der Diabetes-Fälle reduziert oder psychisches Leiden im Job verringert werden.

Die schwarz-gelbe Koalition will die gesetzlichen Krankenkassen zu verstärkten Investitionen in die Gesundheitsförderung verpflichten. Der Schwerpunkt soll dabei auf der Krankheitsvorbeugung in den Betrieben liegen. Dies sieht eine 16-seitige Präventionsstrategie vor, auf die sich die Gesundheitsexperten von Union und FDP verständigt haben. …

Die Kassen merken’s nicht. Der Arbeitsschutz muss von den Unternehmen bezahlt werden, nun sollen aber die Kassen mitzahlen. Das sollte für die Kassen doch Motivation genug sein, beim Arbeitsschutz der Unternehmen ein bisschen schärfer hinzusehen.

… Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr sagte am Freitag, Ziel der Strategie sei es, einen gesunden Lebensstil zu fördern und Krankheiten zu vermeiden. Das Konzept setze auf die Eigenverantwortung der Bürger. Die Krankenkassen sollten künftig nur noch qualitätsgesicherte Präventionsmaßnahmen finanzieren. Ein Schwerpunkt solle außer in den Betrieben in sozialen Brennpunkten liegen. …

http://www.daniel-bahr.de/wcsite.php?wc_c=21749&wc_lkm=2611

… Die Prävention verstanden als aktive Gesundheitsvorsorge ist primär eine individuelle Herausforderung. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, durch eine gesundheitsbewusste Lebensweise der Entstehung von Gesundheitsrisiken vorzubeugen, qualitätsgesicherte Angebote sachgerecht zu nutzen und auch bei bereits vorhandenen Krankheiten durch ein verantwortungsbewusstes Verhalten dazu beizutragen, dass eine Besserung erreicht oder eine Verschlimmerung vermieden werden kann. Es ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung zur Vermeidung, Heilung und Linderung bei vielen Erkrankungen zu verdeutlichen und zielgerichtet Menschen, die von sich heraus ohne Hilfe nicht zu einem gesundheitsbewussten Leben in der Lage sind, dabei zu unterstützen, entsprechende Aktivitäten zu entfalten. Die Finanzierung darf deshalb nicht allein auf die Kranken- bzw. Sozialversicherung zentriert werden. …

Das ist überwiegend Verhaltensprävention. Die ist freiwillig. Die Verhältnisprävention verstanden als aktiver Arbeitsschutz ist primär eine den Unternehmen vorgeschriebene Aufgabe. Die Finanzierung ist daher auf sie zu zentrieren.

Die Mehrheit der Arbeitgeber greift den Arbeitsschutz einerseits durch die offene Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften an und andererseits über den Umweg über das Bundesgesundheitsministerium. Bahrs Schwerpunkt liegt zusammen mit den Interessen der Arbeitgeber auf der Eigenverantwortung der in den Betrieben Beschäftigten. Bahr und die Mehrheit der Unternehmen bremsen schon seit einiger Zeit den ganzheitlichen Arbeitsschutz aus, denn der Arbeitsschutz nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht. Die den Arbeitgebern vorgeschriebene Verhältnisprävention gegen arbeitsbedingte Erkrankungen müsste von Ursula von der Leyen (BMAS) nachhaltig eingefordert werden. Sie hat dazu aber nur kurz etwas Lärm gemacht zu haben und scheint danach von Daniel Bahr (BMG) geschickt zur Seite gedrängt worden zu sein.

Die Krankenkassen sollten einmal bei Ursula von der Leyen anklopfen.

 
Links:

Arbeitsschutz verkehrt

Sonntag, 9. September 2012 - 22:53

Seiner Tradition folgend, hilft das von Daniel Bahr (FDP) geleitete Bundesgesundheitsministerium den Unternehmen, die im Arbeitsschutz nachrangige Verhaltensprävention als förderungswürdigen Beitrag zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz zu verkaufen. Das BMG behauptet, das folgende Projekt gehöre in den Bereich der “psychischen Belastung”. Das ist verkehrt. In dem Siemens-Projekt geht es vorwiegend um den Umgang mit individuellen Beanspruchungen. Ich vermute, dass die Fachleute im Ministerium, wissen, dass sie hier die verkehrten Begriffe verwenden. Als Politiker arbeiten sie aber auch an der Umdeutung des Arbeitsschutzvokabulars.

http://mobile.bundesgesundheitsministerium.de/index.php?id=5678

Projekte im Bereich Psychische Belastung
Förderung psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt – Siemens Healthcare und Siemens-Betriebskrankenkasse

Unternehmen: Siemens Healthcare
Beschäftigte:
Zielgruppe: Mitarbeiter mit Führungsverantwortung in der Produktion und Verwaltung, mittlere Leitungsebene
Laufzeit: Start: 05/2009; Laufzeit: 10/2009–07/2010

In Schulungen und Coachings wurden Führungskräfte zur eigenen psychischen Gesundheit und zum Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitern trainiert. In den einzelnen Trainingsmodulen wird der Umgang mit der eigenen Gesundheit und dem eigenen Stressverhalten, sowie dem Umgang mit der Gesundheit der Mitarbeiter thematisiert. Auch Stressbewältigung und Ressourcenmanagement sind fester Bestandteil der Schulungen. Zu Beginn wurde mithilfe einer Arbeitsunfähigkeitsanalyse der Handlungsbedarf ermittelt und im Arbeitskreis Gesundheit eine Strategie hierzu entwickelt. In einer Voranalyse mittels evaluierter Fragebögen wurden die Handlungsschwerpunkte festgelegt und in einem Workshop die betreffenden Inhalte für zwei Seminare abgeleitet. Themen der beiden Seminare waren „Persönliches Stress- und Ressourcenmanagement“ und „Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitern“. Mithilfe von Zwischen- und Posttests durch Fragebögen und Einzelgespräche zur Wissensvermittlung und dem Umgang mit Stress wurden weitere Handlungsempfehlungen gegeben und das Projekt evaluiert.

(Hervorhebungen nachträglich vorgenommen)

Das Ministerium betreibt Desinformation. Hier geht es nicht um “Projekte im Bereich Psychische Belastung” im Sinn des Arbeitsschutzes. Anstelle die Einhaltung der Vorschriften voranzutreiben, beteiligt sich das Ministerium zusammen mit Unternehmen an einer Begriffsverwirrung.

Diese Seminare können ja wohl nicht die im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Unterweisungen gewesen sein sein. Hoffentlich wurde dieses verhaltenspräventiv ausgerichtete Projekt nicht mit Steuergeldern gefördert, solange nicht zuerst die Verhältnisprävention funktioniert.

Das Arbeitsschutzgesetz verlangt, dass individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Schutzmaßnahmen sind. Unternehmen, die die auf das Individuum ausgerichtete Verhaltensprävention über die an Unternehmensprozessen ansetzende Verhältnisprävention stellen, stellen sich damit gegen die Grundsätze des Arbeitsschutzes. Als primäre Prävention haben Unternehmen der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention zu geben.

Im Arbeitsschutz kommen nicht die Mitarbeiter, sondern die Arbeits- und Leistungsbedingungen auf die Couch.

Siehe auch: http://mobile.bundesgesundheitsministerium.de/index.php?id=5784

Verhaltens- und VerhÄaltnisprÄavention im Betrieblichen Gesundheitsmanagement: http://blog.psybel.de/moderne-it-arbeitswelt-gestalten/#VFS

Motivationsdruck auf Mitarbeiter

Freitag, 16. März 2012 - 18:04

Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik
http://blog.psybel.de/grundsaetze-der-behoerdlichen-systemkontrolle/

… Ursachen für Arbeitsschutzmängel müssen aufgedeckt werden. Dabei kann die Ursachenprüfung nicht beim Fehlverhalten des Arbeitnehmers enden, denn allzu häufig finden sich Fehler in der Delegationskette, in der Bereitstellung von Informationen, oder es sind Zuständigkeiten oder Abläufe unklar. …

 

SPIEGEL WISSEN, Patient Seele – Wie die Psyche wieder ins Gleichgewicht kommt,
(132 Seiten, Druckauflage: ca. 240000, Feb. 2012), Nr. 1/2012, S. 115

… Wenn ein Mitarbeiter aber über längere Zeit nichts unternimmt, um sein Problem anzugehen, dann könnte der Vorgesetzte in weiteren Gesprächen auch den Motivationsdruck erhöhen, sagt er [Dr. Werner Kissling, CFDM]. Das könnte dann so klingen: “Wir werden nicht mehr zwölf Monate abwarten, bis Sie etwas unternehmen, um gesund zu werden. Durch klare Ansagen erreiche man oft doch, “dass professionelle Hilfe angenommen wird” …, meint der Psychotrainer. Das letztlich auch im Interesse des erkrankten Mitarbeiters.

Das Modell hat nur einen Haken: Wer auf der Burnour-Spirale schon weit hinabgerutscht ist, hat längst seinen unverstellten Blick dafür verloren, was Gesundheit für ihn mal bedeutet hat. …

Darum schlägt Werner Kissling ein solches “Modell” auch nicht so vor, wie es sich einem unkritischen SPIEGEL-Leser auf den ersten Blick darstellen könnte. In seinen Seminaren rät er Mitarbeitern und Vorgesetzten klar davon ab, Arzt zu spielen. Laien können und dürfen weder “Probleme” von Mitarbeitern als Krankheit diagnostizieren noch Mitarbeiter als psychisch “erkrankt” einstufen.

Werner Kissling ist kein “Psychotrainer”, sondern ein seriöser Psychiater, dessen Institut (der TU-München) Vorträge, Schulungen und Beratung anbietet. Dabei betont er, dass ein funktionierender Arbeitsschutz eine Grundvoraussetzung ist und dass Gefährdungen vorschriftsgemäß beurteilt werden müssen. Im Gegensatz zum SPIEGEL kennt und respektiert Werner Kissling den Arbeitsschutz und die Mitbestimmung. Er bietet auch Betriebsräten Schulungen an.

All das hat der SPIEGEL ignoriert und erweist damit sowohl seinen Lesern wie auch dem von ihm zitierten Arzt keinen Dienst. Auch in dem ganzen 132seitigen Heft habe ich nichts zum Arbeitsschutz und seiner Vernachlässigung durch die Mehrheit der Arbeitgeber gefunden. In Sachen Arbeitsschutz bleiben die Leser unwissend und hilflos.

Die Vernachlässigung der psychischen Belastungen im Arbeitsschutz dermaßen zu ignorieren, muss inzwischen ziemlich anstrengend für Journalisten geworden sein. Diese Vernachlässigung ist inzwischen klar belegt. Die meisten Journalisten ignorieren die Fakten trotzdem: Etwa 70% der Unternehmen beziehen psychisch wirksame Belastungen nicht in den Arbeitsschutz ein. Der SPIEGEL weiß, dass es hier Probleme gibt, kommt aber nicht auf die Idee, dass die beharrliche Missachtung wichtiger Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes das Risiko der Mitarbeiter erhöht, durch ihre Arbeitsbedingungen verletzt zu werden. Unter welchen Bedingungen arbeiten eigentlich die Mitarbeiter des SPIEGEL? Ist der Einbezug psychischer Belastungen an den Bildschirmarbeitsplätzen in der SPIEGEL-Redaktion ein Tabu?

Von wichtige Fakten ausblendende Journalisten zu Politikern, die sich eigentlich um die Gesundheit der Bürger kümmern sollten: Auf der Rückseite des Heftes wirbt das FDP-geführte Bundesministerium für Gesundheit (BMG):

Die Vermeidung von zu viel Stress am Arbeitsplatz ist eine gemeinsame Aufgabe. Daran haben alle ihren Anteil.

Ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber: Zu viel Stress schadet uns allen. Nehmen Sie die betriebliche Gesundheitsförderung nicht auf die leichte Schulter. Machen Sie auch mit: www.Unternehmen-unternehmen-Gesundheit.de

Die Bundesregierung erlässt Gesetze, an die sich die Arbeitgeber zu halten haben. Anstatt die Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes anzusprechen und die Verantwortung der Arbeitgeber für den Arbeits- und Gesundheitsschutz anzusprechen, macht dieses Ministerium (im Gegensatz zum CDU-geführten Bundesarbeitsministerium) Täter und Opfer gleichermaßen für die Gesundheitsförderung verantwortlich. Dabei ist erwiesen, dass sich Arbeitgeber ohne Motivationsdruck durch die Aufsicht beim Arbeitsschutz mehrheitlich nicht an ihre Pflichten halten würden. Ein zu großer Teil der Klientel der FDP drückt sich davor, den gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen.

(Aktualisierung: 2012-03-19)

Lieber Herr Daniel Bahr …

Donnerstag, 19. Mai 2011 - 05:59

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister,

Wenn man den Nachrichten glauben schenken kann, werden Sie die Politik ihres Vorgängers fortsetzen. Wie diese Politik aussieht, wurde am 3.8.2010 in der Süddeutschen Zeitung gut dargestellt:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler [FDP] falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

(Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingetragen)

Tatsache ist, dass Unternehmen in Deutschland massenhaft gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen dürfen. Politiker wie Sie sehen dabei untätig zu oder helfen sogar den Arbeitgebern dabei, im betrieblichen Gesundheitsmanagement der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävention zu geben und damit die vorgeschriebenen Prioritäten des Arbeitsschutzes umzudrehen.

Ich halte die Politik ihres Vorgängers für unredlich, weil sein Ministerium den Anschein erweckte, dass es die Vorbehalte der Firmen gegenüber guter Prävention (d.h. in der Praxis: Missachtung des Arbeitsschutzes durch die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland) billige: Die Darstellung des Themas “Gesundheitsmanagement” durch das BMG sieht so aus, als ob sie vom Arbeitgeberverband geschrieben worden wäre, dessen Mitglieder seit 1996 in ihrer Mehrheit die Forderungen des ganzheitlichen Arbeitsschutz ignorieren. Dass denen das so nachhaltig gelingt, zeigt, wie Anarchie heute aussieht. Sie ist von der Straße in die komfortableren Umgebungen der Führungsetagen von Wirtschaft und Politik umgezogen: Unternehmen können sich heute anscheinend nach Lust und Laune aussuchen, ob sie Schutzbestimmungen einhalten möchten oder auch nicht. Dabei werden von dem Bundesgesundheitsminister und der Arbeitsministerin auch noch unterstützt.

“Eigenverantwortung” ist der zeitgemäße Code für “selber zahlen”. Soll damit die “zweit Säule” der Krankheitskostenfinanzierung legitimiert werden, die die Arbeitgeber aus deren Verantwortung entlässt? Von den Versicherten Eigenverantwortung zu fordern und gleichzeitig den Verursachern von Erkrankungsrisiken billigend bei der Umgehung des Arbeitsschutzes zuzusehen, zeigt, was “mitfühlender Liberalismus” tatsächlich bedeutet: Frechheit siegt. Ich hoffe, dass die nächsten Bundestagswahlen dem ein Ende setzen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge

 


http://www.tagesschau.de/inland/citybkk114.html, 2011-05-19:
Kassen versprechen Besserung – Die Tricksereien, mit denen Krankenkassen versucht haben, Versicherte der City BKK abzuwimmeln, verstoßen gegen das Verbraucherrecht. Das Ultimatum von Gesundheitsminister Bahr und die Drohung der Union, notfalls die Vorstände haften zu lassen, zeigen nun Wirkung. …

Mit was für einem Stil berichtet hier die Tagesschau? Viel Wind um “Tricksereien” der Kassen, aber wo bleibt die journalistische Neugier? Die Mehrheit der Unternehmen missachtet seit Jahren den Arbeitsschutz und belastet damit die Kassen und somit ebenfalls die Gemeinschaft der Versicherten. Warum fragt die Tagesschau nicht, warum der Minister und die Union einerseits rechtswidriges Verhalten der Kassen so schnell abstellen können, aber andererseits das rechtswidrige Verhalten von Unternehmen, die diese Kassen belasten, hinnehmen?

 


Die FDP kann’s mit kompetenten Leuten in Berlin aber auch besser:
http://blog.psybel.de/kompetente-fragen-der-fdp/

Unerhört!

Freitag, 13. Mai 2011 - 21:15

Süddeutsche Zeitung 2011-05-13:

Nun hat sich auch der neue Gesundheitsminister [Daniel Bahr] eingemischt und die Krankenkassen, die eine Übernahme von Versicherten aus der pleitegegangenen City BKK verweigern, scharf gerügt. “Dieses Vorgehen der Krankenkassen ist unerhört, und dieses Vorgehen ist rechtswidrig”, sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums am Freitag in Berlin. Die Versicherten der City BKK hätten das Recht, ihre künftige Krankenkasse frei zu wählen.

Daniel Bahr bereitete bisher die Politik Philipp Röslers vor, nun kann er sie als Gesundheitsminister selbst machen. Seine Empörung über rechtswidriges Vorgehen ist aber unangebracht, denn sein eigenes Ministerium marginalisiert doch auch die Gesetze und die Rechtsprechung.

Beispiel: Die Mehrheit der deutschen Unternehmen setzt die Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes schon seit vielen Jahren einfach nicht um. Das Bundesgesundheitsministerium kommt aber in seinen Empfehlungen nicht auf die Idee, diesem rechtswidrigen Verhalten vieler Arbeitgeber wenigstens mit ordentlicher Aufklärung zu begegnen. Zitat (mit von mir eingefügten Erweiterungen und Korrekturen):

Die Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention) und Maßnahmen, die [auf die] Arbeitsbedingungen analysieren [ausgerichtet sind] (Verhältnisprävention). [Dabei beginnt die Verhältnisprävention mit der Analyse von Gefährdungen durch mögliche physische und psychische Fehlbelastungen.] Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. [Hinsichtlich der Vorschriften des Arbeitsschutzes hat jedoch die Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention: Der Arbeitsschutz fragt nicht nach "auffälligen" Mitarbeitern, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen!]

So verursachen z.B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig [können neben notwendigen Änderungen der Arbeitsbedingungen (vorgeschriebene Verhältnisprävention) beispielsweise auch Kurse zur Stressbewältigung angeboten werden (zusätzliche Verhaltensprävention)]. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt:

Kategorie Verhaltensorientierte Maßnahmen Verhältnisorientierte Maßnahmen
Ganzheitlicher Arbeitsschutz Kurse der Gewerbeaufsicht für Firmenleitungen

Kurse der Gewerbeaufsicht für Betriebs- und Personalräte:

Klare Information der Aufsichtsorgane im Internet an Arbeitnehmer

Befolgung der Arbeitsschutzvorschriften und der Mitbestimmung beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz, z.B.:
Ernährung Ernährungskurse, Ernährungsberatung gesunde Kantinenkost
Bewegung/Ergonomie Rückenkurse, Walking gesundheitsfördernde Arbeitsplatzgestaltung
Stressbewältigung Kurse zur Entspannung, Stressmanagement, Weiterbildung gesundheitsgerechte Mitarbeiterführung
Suchtprävention Kurse zur Tabakentwöhnung, Hilfs- und Beratungsangebote Rauchfreier Betrieb, Verbesserung des Betriebsklimas (Mobbing, Mitarbeiterführung)
Organisationsgestaltung   Etablierung von Gesundheitszirkeln, bauliche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung
Arbeitsgestaltung   Arbeitsplatzwechsel, flexible Arbeitszeiten
Unternehmenskultur   Leitbild, transparente Kommunikation, Führungskompetenz, Mitbestimmung
Aufsicht   Ausreichende Ausstattung der Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichten, damit Aufsichtspersonen wirklich ernsthaft prüfen können.

(Quelle: Bundesgesundheitsministerium. Da die Tabelle unvollständig ist, habe ich noch zwei Tabellenzeilen und ein Wort nachträglich hinzugefügt.)

Die folgende Behauptung im Web-Auftritt des Ministeriums ist schlicht falsch:

Die Betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention) und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention).

Prävention (welcher Art auch immer) kann sich sich natürlich nicht nur auf die Analyse beschränken, sondern die Analyse ist nur ein Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Sie ist der erste Schritt für weitere Maßnahmen. Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.

Eigentlich gehe ich davon aus, dass im Bundesgesundheitsministerium sowohl der Umfang der Verhältnisprävention wie auch der Vorrang der Verhältnisprävention vor der Verhaltensprävention bekannt sein sollte. Dann wäre dem Ministerium hier kein Fehler unterlaufen, sondern es würde Desinformation verbreiten, mit dem Ziel der Marginalisierung der Vorschriften und der Rechtsprechung zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Eine Alternative zu meiner Unterstellung ist Unwissen im Ministerium, zumindest bei der Überprüfung eines vielleicht von externen Beratern geschriebenen Textes. Das wäre aber auch keine gute Entschuldigung.

Zwar ist auf Bundesebene das Bundesministerium für Arbeit und Soziales für den Arbeitsschutz zuständig; wenn jedoch das Bundesministerium für Gesundheit Gesundheitsthemen in der Arbeitswelt aufgreift, dann sollte auch dieses Ministerium die Gelegenheit nutzen, seit 1996 nun wirklich nicht mehr unabsichtlich übersehene Pflichten der Arbeitgeber im Arbeitsschutz darzustellen. Es wäre allerdings ein Vorurteil, jetzt bei einem FDP-geführten Ministerium libertäre Nachsicht gegenüber unternehmerischen Pflichtverletzungen zu vermuten, denn bereits seit 1996 haben fast alle Parteien die Verwirklichung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes vernachlässigt. Da die Bürger einen großen Teil ihres Lebens in der Arbeitswelt verbringen, ist der Arbeitsschutz jedoch keine unwichtige Nebensache.

 
Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/03/07/arbeitsschutz-in-bg/

Konferenz über Arbeitnehmer ohne Arbeitnehmervertreter?

Dienstag, 15. März 2011 - 11:00

http://bmg.bund.de/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/seelische-gesundheit/gesundheit-und-wohlbefinden-am-arbeitsplatz.html

Aus dem Hintergrundpapier zur EU-Konferenz “Förderung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz” am 3. März 2011:

Bei der Organisation ansetzende Aktivitäten sind erforderlich, um Gesundheitsrisiken besser bestimmen und in bestimmte Maßnahmen invertieren zu können, z.B. in eine Verbesserung der Arbeitsplatzkultur und der Kommunikation sowie Möglichkeiten für Rückmeldungen, eine bessere Mitarbeiterführung, leichter zu bewältigende Arbeitslast, flexiblere Arbeitsregelungen und Aufstiegsmöglichkeiten.

Solche Maßnahmen können auch auf Einzelpersonen ausgerichtet sein, um die Belastbarkeit und Fähigkeit zur Bewältigung stressiger Siruationen zu stärken. Auch Mitarbeiter müssen Verantwortung für den Erhalt ihrer Gesundheit übernehmen. Sie können mit den Arbeitgebern bei der Entwicklung eines für die psychische Gesundheit förderlichen Arbeitsumfeldes partnerschaftlich zusammenarbeiten.

Das Agenda-Setting der Wirtschaftsverbände funktioniert. Der Trick ist, das Richtige zu sagen, dabei aber die Prioritäten zu verschieben. Im Arbeitsschutz haben an der Einzelperson ansetzende Maßnahmen die niedrigste Priorität. Die Verantwortung liegt beim Arbeitgeber. Klar sichtbar ist heute aber, dass Arbeitgeber sich schlicht nicht an die Arbeitsschutzvorschriften halten. Anstelle hier anzusetzen, fällt das Ministerium den Aufsichtsbehörden in den Rücken, die es ohnehin schon schwer haben, den Arbeitgebern den Vorrang der Verhältnisprävention vor der Verhaltensprävention klarzumachen.

Geradezu eine Frechheit ist es, wenn das BMG Mitarbeiter auffordert, Verantwortung für den Erhalt ihrer Gesundheit zu übernehmen, indem sie mit den Arbeitgebern bei der Entwicklung eines für die psychische Gesundheit förderlichen Arbeitsumfeldes partnerschaftlich zusammenarbeiten. Die Mitarbeiter (Betriebsräte, Personalräte, Gewerkschaften) sind hier schon seit langem die treibende Kraft und brauchen keine Ratschläge von ihnen hinterherhinkenden Ministerien, die duldend zusehen, wie die Schutzrechte der Arbeitnehmer missachtet werden. Der Minister hat außerdem möglicherweise Schwierigkeiten, das Wort “Mitbestimmung” zu benutzen. Die Ergebnisse aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung (aus einem Bericht für BAuA/GRAziL) sehen immer noch so aus:

  1. Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.
  2. Geringe Handlungskompetenz: Weder bei betrieblichen noch bei überbetrieblichen Arbeitsschutzakteuren ist in der Breite eine ausreichende Kompetenz zum Umgang mit dem Thema “Psychische Belastungen” vorhanden.
  3. Schwierige Kooperation: Von Betriebsrat, Arbeitgeber und betrieblichen Arbeitsschutzakteuren bei der GB zu psychischen Belastungen bzw. unzureichende Abstimmung der Akteure untereinander.

Mehr dazu: http://blog.psybel.de/2011/02/03/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/

Aus der Pressemeldung: Dem Teilnehmerkreis gehören u.a. Regierungsvertreter, Unternehmensvertreter, Verbände der Sozialpartner und Institutionen der sozialen Sicherheit an. Ist “Gewerkschaften” jetzt ein Unwort? Wird hier über Arbeitnehmer gesprochen, anstatt mit ihnen zu sprechen?

Arbeitsschutz ist ein vorgeschriebenes Element der betrieblichen Gesundheitsförderung

Montag, 7. März 2011 - 18:59

Zum Netzwerk Unternehmensnetzwerk zur betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) in der Europäischen Union e.V. gibt es eine Broschüre des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) mit dem Titel: Unternehmen unternehmen Gesundheit. Darin geht es um betriebliche Gesundheitsförderung (BGF; auch betriebliches Gesundgeitsmanagement, BGM) und unter Anderem auch um die Zusammenarbeit mit den Krankenkassen.

Eine Vorbemerkung: Die große Mehrheit der Unternehmen hält es nicht für erforderlich, in der vorgeschriebenen Weise psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in die Beurteilung der von Arbeitsplätzen ausgehenden Gefährdungsrisiken einzubeziehen. Die in einem Rechtsstaat naheliegende Maßnahme zur Verringerung psychisch wirksamer Fehlbelastungen bestünde also konsequenterweise darin, die seit 1996 bestehenden Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes auch wirklich durchzusetzen, denn das Verbesserungspotential ist riesig. Erstaunlicherweise gibt das Ministerium hier aber wenig Anregungen. Es müsste deswegen geprüft werden, inwieweit bei der Erstellung der Broschüre Vertreter der Unternehmen mitgewirkt haben, die es selber nicht für erforderlich halten, sich nach dem Arbeitsschutzgesetz und den Betriebsverfassungsgesetz zu richten. Die Toleranz der Politiker gegenüber Schutzrechte missachtenden Unternehmen muss schon seit vielen Jahren recht groß sein, denn sie sorgen seit 1996 nicht dafür, dass die Gewerbeaufsichten die Unternehmen ausreichend proaktiv und sorgfältig kontrollieren können. Angesichts der Offensichtlichkeit und der Nachhaltigkeit der tolerierten Missachtungen ist es direkt anstrengend, die Untätigkeit der Politik für einen Zufall zu halten.

Nun zur Broschüre selbst: Im Vorwort von Unternehmen unternehmen Gesundheit schreibt Dr. Philipp Rösler (Bundesgesundheitsminister):

Denn wenn die körperliche und psychische Arbeitsbelastung, Krankheits- und Burn-out-Quoten sinken und gleichzeitig die Motivation, die Leistungsfähigkeit und die Kreativität der Belegschaft steigen, profitieren alle im Unternehmen davon.

Das klingt gut, zeigt aber auch den populärpsychologischen Ansatz der Broschüre, denn auch zu wenig Arbeitsbelastung kann eine Fehlbelastung sein. Die Aufgabe der Arbeitgeber besteht nämlich nicht im Senken von psychischen Belastungen, sondern die Arbeitgeber haben psychische Fehlbelastungen zu beseitigen oder zu mindern. Arbeitnehmer brauchen Belastungen, denn für den Umgang damit werden sie bezahlt. Nicht bezahlt werden sie für Fehlbelastungen.

Was sind nun Fehlbelastungen? In Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen (Betriebsräte, Personalräte) vereinbaren diese Vertretungen mit dem Arbeitgeber, was in einem gegebenen Betrieb Fehlbelastungen sind. Die Arbeitnehmer werden hier nicht entgegenkommenderweise einbezogen, sondern sie bestimmen mit. Der Minister hat möglicherweise Hemmungen, das zu verdeutlichen. Das ist problematisch, denn Mitbestimmung ist eine kennzeichnende Voraussetzung für innerbetrieblich vereinbarte Kriterien und Prozesse des Arbeitsschutzes.

Ganz ordentlich aber klärt das BMG die “gesetzlichen Regelungen”:

Der Arbeits- und Gesundheitsschutz sowie das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) sind für Arbeitgeber verpflichtend geregelt:

  • Als Arbeitgeber tragen Sie die Hauptverantwortung für die Überprüfung, Umsetzung und Verbesserung aller erforderlichen Maßnahmen zum Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz (ArbSchG, ASiG).
  • Zudem sind Sie als Arbeitgeber seit 2004 (laut § 84 Abs. 2 SGB IX) gesetzlich dazu verpflichtet, unabhängig von der Betriebsgröße, Maßnahmen des BEM durchzuführen, wenn ein Beschäftigter mehr als 42 Tage innerhalb von 12 Monaten arbeitsunfähig ist. Dies gilt sowohl für länger andauernde Arbeitsunfähigkeit als auch für viele aufeinanderfolgende Kurzzeiterkrankungen.

Die betriebliche Gesundheitsförderung ist eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers. Allerdings ist sie für die Krankenkassen verpflichtend geregelt:

  • Gemäß § 20a SGB V sind die Krankenkassen verpflichtet, Leistungen der betrieblichen Gesundheitsförderung zu erbringen.
  • Gemäß § 65a Absatz 2 SGB V kann die Krankenkasse in ihrer Satzung vorsehen, dass bei Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung sowohl der Arbeitgeber als auch die teilnehmenden Versicherten einen Bonus erhalten.

Im Zusammenhang mit anderen Ausführungen in der Broschüre entsteht allerdings dann doch Verwirrung, denn auf der Seite vor dieser Erklärung der gesetzlichen Regeln schreibt das Ministerium:

Die betriebliche Gesundheitsförderung umfasst Maßnahmen, die auf das Verhalten von Menschen ausgerichtet sind (Verhaltensprävention), und Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention). Oftmals ist eine klare Trennung in der Praxis nicht möglich und auch nicht sinnvoll, da die Bereiche sich gegenseitig beeinflussen. So verursachen z. B. Über- und Unterforderung von Beschäftigten Stress und Demotivation. Um diese Auswirkungen zu vermeiden, sind neben Kursen zur Stressbewältigung auch Änderungen der Arbeitsbedingungen notwendig. Nachfolgend sind mögliche Maßnahmen beispielhaft dargestellt.

“Maßnahmen, die Arbeitsbedingungen analysieren (Verhältnisprävention)” sind vorgeschriebene Arbeitsschutzmaßnahmen. (Die Analyse ist übrigens nur ein kleiner Teil der Maßnahmen der Verhältnisprävention! Vergessen hat das BMG die Maßnahmenfestlegung, die Implementierung der Maßnahmen, die Wirksamkeitskontrolle der Implementierung sowie die all das begleitende Dokumentation und Unterweisung.) Wenn also Arbeitsschutz Teil der BGF ist, dann ist die BGF eben nicht in allen Teilen “freiwillig”. Und Verhältnisprävention geschieht nicht “neben” Verhaltensprävention, sondern im Arbeitsschutz hat Verhältnisprävention ganz klar Vorrang vor der Verhaltensprävention. Es ist verwunderlich, dass das ausgerechnet in einem Bundesministerium nicht verstanden wird.

Außerdem ist es mit “Kursen zur Stressbewältigung” ganz sicher nicht getan. Das Ministerium weiß das anscheinend auch nicht. Die vorgeschriebenen Unterweisungen gehen viel weiter. Dass die Broschüre das nicht darzustellen vermag, legt ebenfalls die Vermutung nahe, dass die Broschüre des BMG mit nicht unwesentlicher Hilfe der Arbeitgeber erstellt wurde.

Gelegentlich ist die Ansprache “persönlicher Probleme” von Mitarbeitern auch ein Mittel von Arbeitgebern, die “Ursachen” der “Auffälligkeit” des Verhaltens von Mitarbeitern bei diesen zu verorten und eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu vermeiden. Das war schon immer der leichteste Weg für diese Sorte von Arbeitgebern, denn damit entlasten sie sich  und halten die Mitarbeiter gleichzeitig davon ab, Probleme offen anzusprechen. Genau aus diesem Grund konzentriert sich der Arbeitsschutz auf die Verhältnisprävention. Das ist einer der vom Bundesgesundheitsministerium nicht verstandenen Gründe für die Trennung von Verhältnisprävention und Verhaltensprävention. Die Gerichte dagegen verstehen diese Gründe. Betriebsräte haben hier die wichtige Aufgabe, diese Trennung im Sinn des Arbeitsschutzes zu verteidigen.

Wird aus den Fehlern und den Schwerpunkktsetzungen des BGM bei der Darstellung der Sachverhalte ein Desinteresse des BGM am Arbeitschutz und an der Mitbestimmung durch die Arbeitnehmer deutlich? Es muss auch die Möglichkeit erwogen werden, dass die Broschüre von den Arbeitgebern selbst geschrieben wurde: In der Broschüre wird die Mitbestimmung ignoriert. Auch die Priorität der Verhältnisprävention (gegenüber der Verhaltensprävention) im Arbeitsschutz und die Tatsache, dass ein Großteil der Betriebe seit vielen Jahren versäumt hat, psychisch wirksame Arbeitsbelastungen in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen. Der Minister und Arzt sieht zu, wie Arbeitgeber den Arbeitnehmern ihre Schutzrechte seit 1996 verweigern. Was er dagegen tun könnte, tut er nicht.

Arbeitgeber lenken die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit  auf ihre freiwilligen Leistungen im “betrieblichen Gesundheitsmanagement” (BGM) bzw. in der “betrieblichen Gesundheitsförderung”. Das ist werbewirksamer als die Befolgung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes, deren Initiator dann in vielen Fällen auch noch die Arbeitnehmervertretung des Unternehmens ist. Betriebsräte können das Interesse der Unternehmen an einer werbewirksamen BGF aber durchaus nutzen: Wie glaubwürdig betriebliche Gesundheitsförderung ist, kann mit einer einfachen Frage an Unternehmen, die mit ihrer BGF werben, überprüft werden: “Ist der Einbezug psychische wirksamer Belastungen in arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen und Unterweisungen bei Ihnen mit einer Betriebsvereinbarung geregelt worden?”

Für Betriebsräte nutzbar ist zum Beispiel auch der Qualitätsfragebogen zum betrieblichen Gesundheitsmanagememt (PDF, 189 KB). Fragen 3b und 3c:

Basieren die Maßnahmen zur BGF auf einer sorgfältigen und regelmäßig aktualisierten Ist-Analyse, die sich auf wichtige gesundheitsrelevante Informationen stützt: Arbeitsbelastungen, Gesundheitsindikatoren, subjektiv wahrgenommene Beschwerden, Risikofaktoren, Unfallgeschehen, Berufskrankheiten, krankheitsbedingte Fehlzeiten, Erwartungen aller betrieblichen Akteure, insbesondere der Beschäftigten? Sind alle Mitarbeiter durch geeignete Mittel der internen Öffentlichkeitsarbeit über die Vorhaben im Bereich BGF informiert?

Das geht ein bisschen in Richtung Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung. Arbeitgeber werden diesen Fragebogen zur Selbstbewertung der Qualität der BGF akzeptieren. Damit ist schon einmal ein Mindeststandard gesetzt. Um mit dem Fragebogen umgehen zu können, müssen Betriebsräte allerdings auch wissen, was ihm noch fehlt.

Wenn Arbeitsschutz ein Teil des BGM und/oder der BGF ist, dann ist der Arbeitsschutz zunächst die Pflicht. Der Rest ist Kür. Die Aufgabe der Betriebsräte wird sein, dafür zu sorgen, dass die Pflicht erledigt ist, bevor der Arbeitgeber zur werbewirksamen Kür schreitet.
 

Siehe auch: http://blog.psybel.de/2011/05/13/unerhoert/ (2011-05-13)