Schlagwort 'Ursachen'

Arbeitsumgebung und psychische Belastungen

Dienstag, 21. Juni 2011 - 07:55

http://www.baua.de/de/Themen-von-A-Z/Arbeitsstaetten/Tagungen/pdf/Vortrag-Arbeitsstaetten-2011-04.pdf?__blob=publicationFile&v=1, S.18/19:

Fachveranstaltung Arbeitsstätten – Dortmund, 9. Mai 2011
Andrea Fergen
Ressortleiterin Arbeitsgestaltung und Gesundheitsschutz

Betrieb:

  • Arbeitgeber müssen stärker in die Verantwortung genommen werden, hier sind auch die Aufsichtsbehörden gefordert!
  • Betriebsräte müssen ihre Mitbestimmungsrechte im Interesse guter Arbeit stärker nutzen
  • Fachkräfte für Arbeitssicherheit / Betriebsärzte müssen neues Aufgabenfeld offensiver angehen
  • Kooperationsbeziehungen verbessern

Gesetz-/Verordnungsgeber:

„Arbeitsschutzgemeinde“:

  • Arbeitsbedingtheit psychischer Beeinträchtigungen hervorheben
  • Maßnahmentransfer forcieren

Höchstens 43% der Betriebe beziehen psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung mit ein

Montag, 2. Mai 2011 - 20:40

In einer Präsentation von EUpD Research finden sich sehr interessante und aktuelle Daten, die zeigen, dass nur 43% der befragten Unternehmen psychische Belastungen nach eigenen Angaben in die Gefährdungsbeurteilung mit einbeziehen. Das heißt: 57% der befragten Unternehmen erfüllen die seit 1996 geltenden Anforderungen der ganzheitlichen Arbeitsschutzes nicht.

Basis: 166 Unternehmen

http://www.arbeitsschutz-aktuell.de/downloads/referenten/20_6/Henssler.pdf [nicht mehr aufrufbar]
Psychische Belastungen erkennen und Vermeiden – Corporate Health Award, Oliver-Timo Henssler, EUpD Research (2010-10-20)

Quellen psychischer Belastung (INQA):

  • Arbeit: 39%
  • gesellschaftliche Entwicklung: 26%
  • Familie: 24%
  • Freizeit: 11%

Psychische oder soziale Belastungen der Arbeitnehmer in Deutschland (Forsa, im Auftrag des Fürstenberg Instituts, 1001 Berufstätige):

  • Stress:39%
  • Erschöpfung: 26%
  • depressive Stimmung: 14%
  • Überforderung: 10%
  • Alkohol, Nikotin, Medikamente: 6%

Anteil der Unternehmen, in denen Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt werden (EuPD Research 2010):

  • für alle Arbeitsplätze: 68,7%
  • für Teil der Arbeitsplätze: 21,7%
  • nein: 7,8%
  • keine Angaben: 1,8%

Einbezug psychischer Gefährdungen in die Gefährdungsbeurteilung (EuPD Research 2010):

  • ja: 48,0%
  • nein: 45,3%
  • keine Angaben: 6,7%

(Inhaltliche Wiedergabe eines kleinen Teils der Präsentation)

Mitbestimmte Gefährdungsbeurteilung: EuPD Research gibt auch an, dass 86,7% der Unternehmen, die Gefährdungsbeurteilungen (GBs) durchführen, ein schriftliches Konzept zur Durchführung haben. Mit 90,4% Betrieben, in denen eine GB durchgeführt wird, kann man daher mit einem optimistischen Ansatz vermuten, dass maximal etwa 80% der Betriebe die GB ordentlich mitbestimmt in einer Betriebsvereinbarung geregelt haben können. Aber nur in in 48% der Gefährdungsbeurteilungen wurden psychisch wirksame Belastungen mit einbezogen, d.h. nur 48%×90,4%=43,4% der befragten Unternehmen respektieren nach eigenen Angaben die Anforderungen des ganzheitlichen Arbeitsschutzes.

Die Erhebung von EuPD Research liefert mit 43% eine etwas bessere Befolgung der Vorschriften, als die von der BAuA angegebenen 33% (siehe Deutscher Bundestag, 2010-02-25).

Burnout auf dem Vormarsch

Donnerstag, 21. April 2011 - 21:08

http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2011/04/wido_pra_pm_krstd_0411.pdf (http://www.wido.de/meldungakt+M5f77dd480f8.html), Pressemeldung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK, 2011-04-19:

Berlin. Nach einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) setzt sich der Anstieg von psychischen Erkrankungen unverändert fort. So ist 2010 nahezu jeder zehnte Ausfalltag auf eine psychische Erkrankung zurück zu führen. Bei der Untersuchung der Krankmeldungen von mehr als 10 Millionen AOK-versicherten Arbeitnehmern zeigt sich: Die Diagnose Burnout (Ausgebrannt) wird von den Ärzten zunehmend dokumentiert. Um nahezu das 9-fache sind die Krankheitstage zwischen 2004 und 2010 wegen Burnout angestiegen. Insbesondere Frauen und Menschen in erzieherischen und therapeutischen Berufen sind von einem Burnout betroffen. „Zeitdruck und Stress nehmen offenbar zu und die Gefahr besteht, dass die Menschen von zwei Seiten gleichzeitig ausbrennen, vom Beruf her und durch familiäre Belastungen“, so Helmut Schröder, stellvertretender Geschäftsführer des WIdO.

Auch wenn vermutet werden kann, dass ein verändertes ärztliches Diagnoseverhalten, das in der Bevölkerung mit einem spürbar offeneren Umgang mit psychischen Erkrankungen einhergeht, diesen Anstieg mit verursacht, so können doch insbesondere die gestiegenen psychosozialen Belastungen am Arbeitplatz als Ursache benannt werden. „Auch vor dem Hintergrund dieser neuen Ergebnisse ist es wichtig, nicht nur die Belastungen im beruflichen Umfeld zu reduzieren, sondern auch die Ressourcen und den Umgang mit Stress bei jedem Einzelnen zu stärken“, empfiehlt Helmut Schröder. …

Der ersteinmal gut klingende Aufruf zur Fürsorge lenkt aber von den Prioritäten ab: Die Reduktion der Belastungen (also Verhältnisprävention) im beruflichen Umfeld ist eine Pflicht, die der Arbeitgeber zu erfüllen hat. Die Stärkung der Ressourcen und des Umgangs mit Stress bei jedem Einzelnen (das ist Verhaltensprävention) ist darauf nur ein optionales Sahnehäubchen.

Allerdings haben mehr als 80% der Betriebe in Deutschland immer noch nicht damit angefangen, in der im Arbeitsschutz geforderten Weise Belastungen im beruflichen Umfeld zu reduzieren. Warum empfiehlt Helmut Schröder den Gewerbeaufsichtsbehörden nicht, nun wirklich einmal genauer zu prüfen?

Belastungen, die zu einem Burnout führen können, lassen sich in einem Dreiebenenmodell einordnen:

  • (2) Die vorgeschriebene betriebliche Burnout-Prävention kann der zweiten Ebene zugeordnet werden: “psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, also der Gesamtheit der Ereignisse und Gegebenheiten aus dem Arbeitsumfeld einer Person, die von außen psychisch auf sie einwirken”. Der Arbeitsschutz schreibt Verhältnisprävention in dieser Ebene vor, nicht in der ersten und nicht dritten Ebene.
  • (1) Die Stärkung der Ressourcen und des Umgangs mit Stress bei jedem Einzelnen ist Verhaltensprävention. Sie liegt in der ersten Ebene: “Ressourcen und Kompetenzen der einzelnen Beschäftigten, mit Belastungen umzugehen”. Es geht also um eine Verbesserung der Beanspruchbarkeit (Resilienz) individueller Mitarbeiter. Das ist zwar ein lobenswertes Ziel, dessen Verfolgung mit einem “betrieblichem Gesundheitsmanagement” (BEM) oder einer “betrieblichen Gesundheitsförderung” (BGF) werbewirksam sein mag, aber unglaubwürdig ist, wenn gleichzeitig der in der zweiten Ebene geforderte Arbeitsschutz missachtet wird.
  • (3) Außerbetriebliche Belastungen in der dritten Ebene:
    • Die familiären Belastungen finden wir in der dritten Ebene: “außerbetriebliche, äußere Gegebenheiten”. Ein Beispiel für solche Belastungen ist die Betreuung der Eltern durch ihre Kinder. Heute sind diese “Kinder” oft die “jungen Alten”. Selbst wenn deren Eltern selbstverantwortlich vorgesorgt haben, kommen diese Eltern in ihren letzten Lebensjahren häufig in eine Situation, in der sie auch ihre legitimen Ansprüche nicht mehr aus eigener Kraft durchsetzen können. In einer Gesellschaft, in der Schutzrechte ihre Wirkung verlieren, wenn von den Geschützten erwartet wird, dass sie ihre Rechte selbst durchsetzen müssen, ist das ein Problem; die Unterstützung älterer Menschen durch genetisch nahestehende Nachkommen (die jedoch in Arbeitsprozesse eingespannt sind) wird auch in Industrieländern wieder wichtiger.
    • Eine zunehmende Belastung in der dritten Ebene ist auch die Auslagerung von Geschäftsprozessen zu Mitarbeitern, die in ihrem außerbetrieblichen Leben außerdem immer öfter für ihre Dienstleister (Banken usw.) arbeitenden Kunden sind, denn Komplexitätsreduktion ist bei sich “verschlankenden” Unternehmen häufig nichts anderes, als die Verlagerung von Komplexität zu Kunden (z.B. Bankkunden) und Lieferanten.
    • Auch der Arbeitgeber lagert Aufgaben auf externe Dienstleister und Zulieferer aus. Sie können dann wieder eine Quelle von möglichen Fehlbelastungen sein, auf die lokale Betriebsräte keinen Einfluss haben. Der Arbeitgeber kann hier nur beschränkt Einfluss nehmen, muss aber mit den Gefährdungen im Rahmen des Arbeitsschutzes umgehen, auch wenn er nicht dafür verantwortlich ist. Verantwortlich ist er jedoch für die Wirkung von ihm genutzter externer Prozesse auf die Mitarbeiter des Betriebes, da er ja schließlich Vereinbarungen mit externen Unternehmen getroffen hat, die dann aber auch die Belegschaft im Betrieb beansprucht.
    • Eine weitere außerbetriebliche Quelle von möglichen Fehlbelastungen, auf die lokale Betriebsräte ebenfalls keinen Einfluss haben, sind andere Betriebe innerhalb von Konzernen.
    • Und selbstverständlich sind Kunden eine Belastung. Der Arbeitgeber hat darauf zu achten, dass sie keine Fehlbelastung sind.

Die zunehmenden Belastungen in der dritten Ebene sind von Arbeitnehmern und Arbeitgebern (Betriebsleitungen) schwer zu beeinflussen, insbesondere wenn sie keine ausreichenden Ressourcen (Zeit, Hoffnung sowie Geduld gepaart mit Beharrlichkeit) haben, durch eigenes Engagement politische Veränderungen bewirken zu können. Gerade darum sind die in der zweiten Ebene vorgeschriebenen Arbeitsschutzmaßnahmen um so wichtiger.

In Diskussionen über den Arbeitsschutz können die erste und die dritte Ebene dazu dienen, von der Verantwortung der Arbeitgeber für die in der zweiten Ebene vorgeschriebene Verhältnisprävention abzulenken. Arbeitnehmervertretungen müssen darauf kompetent reagieren können.

Nicht nur die Gewerbeaufsichten sind überfordert, auch die AOK findet sich anscheinend nicht bereit, Arbeitgeber, die in der zweiten Ebene den Patienten dieser Kasse schon jahrelang das Recht auf einen ausreichenden Arbeitsschutz vorenthalten, stärker in die Pflicht zu nehmen. Was hindert die Krankenkassen und die Gewerbeaufsichten daran, genauer hinzusehen? Beispiel: eine Qualitätskontrolle der Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben ist eine ganz einfache Übung. Oft fehlt in ihnen der vorgeschriebene Einbezug psychische wirksamer Belastung völlig. Das ist einfach nachzuweisen.

 
Unter http://www.google.de/search?q=burn-out-auf-dem-vormarsch gibt es übrigens viele Treffer zu “Burnout auf dem Vormarsch”.

2011-08-18: http://blog.psybel.de/jeder-zehnte-ausfalltag-am-arbeitsplatz-psychisch-bedingt/

Zweite Fachtagung: Psychische Belastungen im Beruf

Mittwoch, 9. März 2011 - 18:56

Die Fachtagung (16. und 17. Juni 2011 in Bad Münstereifel) passt zu dem (nicht gerade billigen) Buch des die Tagung veranstaltenden Verlages. Interessant ist das Dreiebenenmodell:

  1. Ressourcen und Kompetenzen der einzelnen Beschäftigten, mit Belastungen umzugehen,
  2. psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, also der Gesamtheit der Ereignisse und Gegebenheiten aus dem Arbeitsumfeld einer Person, die von außen psychisch auf sie einwirken,
  3. außerbetriebliche, äußere Gegebenheiten.

Zum zweiten Punkt wird behauptet: “Diese betrieblichen psychischen Belastungen auf der mittleren Ebene wurden in der Vergangenheit primär diskutiert, wenn es um die Frage der betrieblichen Prävention ging.” Das stimmt nicht ganz, denn in der Diskussion im Betrieb ist die schnelle Hinwendung zum ersten und dritten Punkt häufig die Flucht vor dem zweiten Punkt (siehe Fallbeispiel).

http://rehanews24.de/archives/1494:

Die Veranstaltung fand zum ersten Mal im Mai 2010 statt und wird aufgrund des sehr großen Interesses und der positiven Resonanz in 2011 fortgesetzt. Sie findet wieder in Kooperation mit den Herausgebern des Standardwerks “Praxishandbuch psychische Belastungen im Beruf”, Prof. Dr. Dirk Windemuth, Leiter des IAG; Priv.-Doz. Dr. Detlev Jung, Leitender Betriebsarzt des ZDF und Olaf Petermann, Vorsitzender der Geschäftsführung der BG ETEM, statt.

 


Nachtrag 2011-04-27 (aus dem letzten Jahr):
 
http://www.youtube.com/watch?v=8pva7RQLdcc
Psychische Belastungen – auf drei Ebenen (Dirk Windemuth)


(Siehe auch: http://www.arbeitstattstress.de/2011/05/das-dreiebenenmodell-der-psychischen-belastungen/)

 

http://www.youtube.com/watch?v=VVtV1a5N1Co
Psychische Belastungen – ein wichtiges Thema im Arbeitsschutz (Olaf Petermann)

 

http://www.youtube.com/watch?v=1f6fcaZHHSY
Psychische Belastungen – aus betriebsärztlicher Sicht (Detlev Jung)

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen

Freitag, 12. März 2010 - 20:14


erschöpfende Belastung

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen
(2008)
Quelle der folgenden Einführung: Tom Levold, systemmagazin.de, 2009-05-20

Eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz hat im Auftrag der DGSv ausgewählte SupervisorInnen nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisation befragt. SupervisorInnen werden als “kritische Zeitzeugen” angesehen, die einen berufsspezifischen privilegierten Zugang zu den “Hinterbühnen” von Organisationen haben und daher besser als viele Außenstehende organisationale Wirklichkeiten beurteilen können. Die 8-seitige Dokumentation dieser Befragung ist für 5,- € bei der kassel university press erhältlich, kann aber auch im Internet kostenlos als PDF geladen werden.

Das Fazit der Befragung: »Die befragten Supervisor/innen sind sich darin einig, dass sich zunehmend mehr Beschäftigte einer beschleunigten Dynamisierung und Ausdünnung von Orientierung gebenden Strukturen ausgesetzt erleben. Was den Beschäftigten als “Freiheit” versprochen wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst ambivalente Selbstverantwortlichkeit.

Bei allen Unterschieden im Einzelnen entwerfen die Supervisor/innen doch ein bemerkenswert ähnliches Bild einer tief greifenden Krise: Sie stellen vor allem heraus, dass der Druck sachlich, vor allem aber ökonomisch ununterbrochen hoch effizient sein zu müssen, weithin erheblich zunimmt und die psychophysischen Kräfte vieler Beschäftigter verschleißt. Insbesondere ist es die Anforderung, kontinuierlich innovativ sein zu müssen, die schnell überfordert.

Unter diesen Bedingungen entstehen nur selten nachhaltige Problemlösungen. Oft sind im Gegenteil die Qualität und Professionalität der Arbeit gefährdet, was sich nicht wenige Beschäftigte als eigenes Versagen zuschreiben. Auffällig ist, dass angesichts des ständigen Wandels ein drängender Bedarf nach verantwortlicher und unterstützender Führung besteht, betriebliche Vorgesetzte sich dem aber oft nicht gewachsen zeigen. Sie verstehen sich primär als hart drängende Change-Agents, die den auf sie einwirkenden ökonomischen Druck nach unten weitergeben und ihre Mitarbeiter/innen mit den Folgen weitgehend allein lassen.

Dass unter all dem Kollegialität leidet und die Einzelnen in ganz neuer Quantität und Qualität ihre Arbeit als erschöpfende Belastung erleben, wundert daher nicht. Die Beschäftigten stehen vor der Aufgabe, aktiv Selbstfürsorge zu betreiben, womit aber nicht wenige von ihnen überfordert zu sein scheinen. Nicht zuletzt ist es das Verhältnis von Berufstätigkeit und Privatsphäre, das in Mitleidenschaft gezogen wird. Die modische Rede von der Work-Life-Balance zeigt das Problem zwar an, trägt aber kaum etwas zu seiner Lösung bei.

Inhalt:

Ziel und Hintergrund der Befragung
Methodische Anmerkungen
Ergebnisse
  Effizienz
  Innovation und Veränderung
  Qualität
  Professionalität
  Führung
  Kollegialität
  Belastung
  Selbstfürsorge
Fazit
Ausblick

 
Siehe auch: