Schlagwort 'Systemkritik'

Zertifikatsmühlen

Dienstag, 9. April 2013 - 12:04

“Certificate Mills” ist anscheinend ein vorwiegend von einem amerikanischen Grantler verwendeter Begriff für nichtakkreditierte Zertifizierungsgesellschaften, aber für alle Fälle merke ich mir diese wohl von “Diploma Mills” inspirierte Sprachschöpfung. (Die kommt zu “Badge on the Wall” dazu.) Denn ich kenne in Deutschland akkreditierte Zertifizierer, die nachlässig auditieren. Solange die Betriebsräte noch nicht aufgewacht sind, wird es nachlässige Audits geben.

Das liegt an der Struktur des derzeitigen Zertifizierungs- und Auditgeschäftes: Gerade bei Audits von Arbeitsschutzmanagementsystemen, die die Arbeitnehmer schützen sollen, sind die Arbeitnehmer selbst in der Praxis kaum an der Kontrolle beteiligt. Ihnen fehlt dazu in der Regel auch das erforderliche Wissen: Sie wissen oft sogar nicht, was ihnen hier an Wissen fehlt, weil sie die Wichtigkeit ihrer Mitbeteiligung an Audits nicht verstehen. Und so können Auditoren und Auditierte ohnen kritische Fragen eine harmonische Zusammenarbeit pflegen.

Höchstleistungen durch innovative Managementtechniken

Donnerstag, 6. Dezember 2012 - 11:11

http://www.iga-info.de/fileadmin/Veranstaltungen/iga-Expertendialog/iga-Expertendialog_Managementtechniken_Krause.pdf

Herausforderung für Prävention und Betriebliches Gesundheitsmanagement:
Höchstleistung durch innovative Managementtechniken und ihre (Neben-)wirkungen

iga-Expertendialog
Berlin, August 2012

Prof. Dr. Andreas Krause
Fachhochschule Nordwestschweiz
Hochschule für Angewandte Psychologie
Institut Mensch in komplexen Systemen
Riggenbachstraße 16
CH-4600 Olten

ZEIT für die Systemfrage

Donnerstag, 6. Oktober 2011 - 07:46

http://www.zeit.de/kultur/2011-10/burnout-zwischenruf/komplettansicht

Burn-out ist das Wort unserer Zeit. Aber wir diskutieren lieber Einzelschicksale, als die wesentliche Frage zu stellen: nach dem System der Arbeit. …

Die drei Selektionen von Wissenschaft

Sonntag, 3. Juli 2011 - 00:50

Es geht um die interessengesteuerte Selektion von Resultaten wissenschaftlicher Forschung:

  • Vorselektion
  • Nachselektion
  • Wegselektion

 

Vorselektion

Zwar fand ich beim Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (kurz ZAAR) in München keine Veröffentlichungen zum Thema der psychischen Belastungen, aber das Institut zeigt, wie die Wirtschaft Wissenschaft beeinflusst. Der Stand der Wissenschaft ist bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes (ausfüllungsbedürftiges Rahmengesetz) ein wichtiges Kriterium. Achten Sie beim Hinzuziehen wissenschaftlicher Sachverständiger darauf, von wem und unter welchen Bedingungen deren Forschung finanziert wird.

Dabei ist es nicht so, dass sich die Arbeitgeber Forschungsergebnisse kaufen. Das ZAAR ist tatsächlich unabhängig. Aber die Glaubensrichtung der Wissenschaftler muss stimmen:
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2011%2F07%2F02%2Fa0034&cHash=bcc251bf29


Der Vertrag [mit einer Siftung der Arbeitgeber] sieht ein “koordiniertes Berufungsverfahren” vor, bei dem zunächst die Hochschule nach ihren Regeln Arbeitsrechtsprofessoren beruft. Die Professoren werden dann sofort beurlaubt und gewissermaßen als Leiharbeiter an die Stiftung weitergereicht, die sie wieder anstellt. Zu welchen Konditionen, darüber verhandelt der Kandidat allerdings ausschließlich mit dem Stiftungsrat. Weitergedacht heißt das: Selbst wenn die Universität der abwegigen Idee verfallen sollte, einen arbeitnehmerfreundlichen Professor zu berufen, könnten die Stifter ihm die Stelle mit einem unattraktiven Vertrag madig machen. “Es wurden natürlich von vornherein nur Leute berufen, die der Arbeitgeberseite nahestehen”, sagt der Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler von der Universität Bremen.

Das Ergebnis ist also ähnlich wie bei den theologischen Fakultäten – auch dort darf als Professor nur arbeiten, wer sich eindeutig zum entsprechenden Glaubenssystem bekennt. …

(Bernd Kramer, Abhängig Beschäftigt – LOBBYISMUS: Arbeitgeberverbände leisten sich für 55 Millionen Euro deri Lehrstühle an der Universität München, die tageszeitung, 2011-07-02, S. 30)

Wie unabhängig und überparteilich das ZAAR ist, bestimmt, wer es finanziert.

Volker Rieble ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in  München. Er wird gerne von der Süddeutschen Zeitung zitiert. Sein An-Institut wird direkt von den Arbeitgeberverbänden der bayerischen und baden-württembergischen Metallindustrie sowie der Bundesarbeitgeberverband Chemie finanziert. Mit einem Stiftungsvermögen von 55 Millionen Euro ausgestattet, entstand im Jahr 2004 das ZAAR an der LMU. Zwei weitere Professuren beim ZAAR haben Andrea Angleitner und Abbo Junker.

 

Nachselektion

Neben der Vorselektion der “richtigen” Wissenschaftler gibt es noch die Nachselektion der “richtigen” Forschungsergebnisse:

… Wie stark die Wissenschaft dabei geknebelt werden kann, zeigt das Beispiel zweier Berliner Universitäten, die sich in einem Vertrag mit der Deutschen Bank sogar verpflichteten, Forschungsveröffentlichungen vorab abzustimmen. …

(TAZ, ebd.)

 

Wegselektion

Der Dritte Weg ist der brutalste: Unerwünschter Wissenschaft wird der Geldhahn zugedreht. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass ausgerechnet in einer Zeit steigender Aufmerksamkeit für organisationspsychologische Fragestellen die Forschung dazu an der Universität Oldenburg einfach dichtgemacht wurde. Da dort bei Friedhelm Nachreiner anscheinend weder Vor- noch Nachselektion funktionierte, blieb wohl nur noch die Wegselektion: Die Uni Oldenburg entfernte seinen Lehrstuhl. Daneben wurde in Lüneburg eine den Niedersachsen genehmere Forschung aufgebaut.

Tim Jackson’s economic reality check

Sonntag, 8. Mai 2011 - 11:14

http://www.youtube.com/watch?v=NZsp_EdO2Xk
Tim Jackson’s economic reality check, 2010-10-05

Hier geht es um die dritte Ebene im Dreiebenenmodell: Natürlich ist eine versagende Glaubenslehre (Wachstumsdogmatik in den Wirtschaft) eine psychische Belastung.

 
Lesetipp:
Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum, 2011, ISBN 978-3-86581-245-2

Rolf Rosenbrock zur Gesundheitspolitik

Montag, 25. April 2011 - 22:55

http://www.youtube.com/watch?v=-MLhcsKI5sY
Gastrede von Prof. Rolf Rosenbrock zur Gesundheitspolitik — BDK Freiburg, 21.11.2010

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen

Freitag, 12. März 2010 - 20:14


erschöpfende Belastung

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen
(2008)
Quelle der folgenden Einführung: Tom Levold, systemmagazin.de, 2009-05-20

Eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz hat im Auftrag der DGSv ausgewählte SupervisorInnen nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisation befragt. SupervisorInnen werden als “kritische Zeitzeugen” angesehen, die einen berufsspezifischen privilegierten Zugang zu den “Hinterbühnen” von Organisationen haben und daher besser als viele Außenstehende organisationale Wirklichkeiten beurteilen können. Die 8-seitige Dokumentation dieser Befragung ist für 5,- € bei der kassel university press erhältlich, kann aber auch im Internet kostenlos als PDF geladen werden.

Das Fazit der Befragung: »Die befragten Supervisor/innen sind sich darin einig, dass sich zunehmend mehr Beschäftigte einer beschleunigten Dynamisierung und Ausdünnung von Orientierung gebenden Strukturen ausgesetzt erleben. Was den Beschäftigten als “Freiheit” versprochen wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst ambivalente Selbstverantwortlichkeit.

Bei allen Unterschieden im Einzelnen entwerfen die Supervisor/innen doch ein bemerkenswert ähnliches Bild einer tief greifenden Krise: Sie stellen vor allem heraus, dass der Druck sachlich, vor allem aber ökonomisch ununterbrochen hoch effizient sein zu müssen, weithin erheblich zunimmt und die psychophysischen Kräfte vieler Beschäftigter verschleißt. Insbesondere ist es die Anforderung, kontinuierlich innovativ sein zu müssen, die schnell überfordert.

Unter diesen Bedingungen entstehen nur selten nachhaltige Problemlösungen. Oft sind im Gegenteil die Qualität und Professionalität der Arbeit gefährdet, was sich nicht wenige Beschäftigte als eigenes Versagen zuschreiben. Auffällig ist, dass angesichts des ständigen Wandels ein drängender Bedarf nach verantwortlicher und unterstützender Führung besteht, betriebliche Vorgesetzte sich dem aber oft nicht gewachsen zeigen. Sie verstehen sich primär als hart drängende Change-Agents, die den auf sie einwirkenden ökonomischen Druck nach unten weitergeben und ihre Mitarbeiter/innen mit den Folgen weitgehend allein lassen.

Dass unter all dem Kollegialität leidet und die Einzelnen in ganz neuer Quantität und Qualität ihre Arbeit als erschöpfende Belastung erleben, wundert daher nicht. Die Beschäftigten stehen vor der Aufgabe, aktiv Selbstfürsorge zu betreiben, womit aber nicht wenige von ihnen überfordert zu sein scheinen. Nicht zuletzt ist es das Verhältnis von Berufstätigkeit und Privatsphäre, das in Mitleidenschaft gezogen wird. Die modische Rede von der Work-Life-Balance zeigt das Problem zwar an, trägt aber kaum etwas zu seiner Lösung bei.

Inhalt:

Ziel und Hintergrund der Befragung
Methodische Anmerkungen
Ergebnisse
  Effizienz
  Innovation und Veränderung
  Qualität
  Professionalität
  Führung
  Kollegialität
  Belastung
  Selbstfürsorge
Fazit
Ausblick

 
Siehe auch:

Wirtschafts-Burnout

Freitag, 5. Februar 2010 - 22:24

http://www.oekom.de/index.php?id=736 (Pressemeldung, 2010-01-16)

ISBN 978-3-86581-191-2Wie wir den Kapitalismus zähmen
Die Systemkritik eines Top-Managers

Wie ist es möglich, dass nur wenige Monate nach dem Schock einer weltweit kollabierenden Wirtschaft die Jagd nach maßlosen Boni, unbegrenztem Wachstum und allein wirtschaftlichem Erfolg ohne Rücksicht auf Konsequenzen ungehindert fortgesetzt wird? Ein Insider, der die Schaltzentralen der Macht jahrzehntelang selbst bedient hat, stellt in „Burn out. Wie wir eine aus den Fugen geratene Wirtschaft wieder ins Lot bringen“, das am 10. März im oekom verlag erscheint, die erschütternde Diagnose: Wenn wir weiterhin dem Spiel der freien Märkte freien Lauf lassen, ist der nächste Kollaps vorprogrammiert. In seiner Systemkritik rechnet der ehemalige Wirtschaftsboss Peter H. Grassmann mit einer ausgebrannten und überhitzten globalen Marktwirtschaft ab. Doch er stellt nicht nur unser Wirtschaftssystem in Frage; er gibt auch Antworten und zeigt, wie die Kraft des Dialogs die Welt wieder in die Balance bringen kann.

„Ich gehörte zu denen, die man vor der Wut der Benachteiligten schützen musste, der keine Antwort hatte auf deren Probleme. Gab es wirklich keine?“  Mit dieser Frage beginnt Peter H. Grassmann seine ebenso selbstkritische wie aufrüttelnde Abrechnung mit einem korrupten Wirtschaftssystem, in dessen Führungsetagen er selbst jahrelang saß. Wenige Schlüsselerlebnisse brachten den Siemens-Top-Manager zum Umdenken und er erkannte die wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Schieflagen: Die Unruhe in der Gesellschaft wächst. Die Marktwirtschaft hat bei großen gesellschaftlichen Themen versagt. Und die Antwort der Politik auf die Krise ist völlig unzureichend. Die korrigierenden Kräfte sind zu schwach, die Bemühungen der zivilgesellschaftlichen Organisationen zersplittern. Grassmann schlägt einen neuen, einen dritten Weg vor, zwischen markt-radikalem Macho-Kapitalismus und Staatsgläubigkeit – diesen Weg des gesellschaftlichen Dialogs begreift er als Modell für eine sozialere Marktwirtschaft mit mehr Gemeinsinn und Generationengerechtigkeit. In seiner Road-Map Burn out fordert er vor allem die Mitbestimmung der Zivilgesellschaft in Unternehmen und die Entwicklung eines branchenspezifisch verpflichtenden Wertekodex. Allgemeinverständlich, aber mit wirtschaftlichem Sachverstand entwirft Grassmann seine Vision von ziviler Mitbestimmung als neue gesellschaftliche Kraft mit weniger Staat und mehr Mitsprache, orientiert an den Zielen der Nachhaltigkeit und der sozialen Verantwortung. Ein Buch, das den entscheidenden Anstoß gibt für eine breite gesellschaftliche Debatte nach der Finanzkrise.

„Und genau dieses Bewusstsein, auch als Einzelner etwas tun zu können, ist der erste Schritt zu einer umfassenden Antwort: weil wir damit nicht mehr auf den Staat allein warten, sondern viel stärker auch mit unserer Kraft, der Kraft der Zivilgesellschaft, die Themen in die Hand nehmen und einen neuen Weg verstärkter Mitsprache gehen.“ (Peter H. Grassmann)

Peter H. Grassmann promovierte im Bereich Plasmaphysik am Max-Planck-Institut bei Werner Heisenberg. Er war Generaldirektor und Vorstandsmitglied für den Bereich Medizinische Technik bei der Siemens AG und als Vorstandsvorsitzender Sprecher des Vorstands bei Carl Zeiss Oberkochen und Jena. Heute ist er Vorstandsvorsitzender der Umwelt-Akademie e.V.

(Links nachträglich eingefügt)

So etwas sehe ich immer mir gemischten Gefühlen. Nach meiner Erfahrung nagten und nagen die Erkenntnisse Peter Grassmanns nicht nur an ihm, sondern auch an sehr vielen anderen “Wirtschaftsbossen” und Führungskräften. Aber solange sie im Geschäft sind, bringen sie gerade wegen dieser Erkenntnisse erst einmal für sich und ihre Familie die Schärflein in’s Trockene. Je mehr, desto besser, denn in der Zukunft wird’s eng. Dafür müssen Hoffnung versprochen und Zweifel an Wachstumsversprechen tabuisiert werden, wie sonst soll man die unverschämten Wachstumsziele der modernen Wirtschaft erreichen? Wer gut ausgesorgt hat, kann dann systemkritisch Bescheidengeit predigen.