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“Fürsorgliche Gespräche” bei Bosch

Donnerstag, 4. August 2016 - 07:02

In der metallzeitung vom August 2016 der IGM (https://www.igmetall.de/20160728_metall_08_2016_11dc5f0494d262cc9d8864166080a4c86870f4ee.pdf) berichtet Jan Chaberny auf Seite 8 über die Vergabe des Betriebsrätepreises 2016. Auch der Gesamtbetriebsrat von Bosch wurde nominiert. Es geht um zwei Gesamtbetriebsvereinbarungen (GBVs):

  • Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung
  • Psychische Gesundheit

[...] Hervorzuheben ist vor allem der Abschluss der Gesamtbetriebsvereinbarung
»Psychische Gesundheit«. In der Vereinbarung wird betont, dass psychische Erkrankungen kein Makel sind und dass Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretungen Betroffene gemeinsamdazu ermutigen, sich in sogenannten »fürsorglichen Gesprächen« ihrer Führungskraft anzuvertrauen. »Ziel dieser Gespräche ist, die Belastungen und deren Ursachen zu erkennen und den Betroffenen Hilfe anzubieten«, sagt der Nürnberger Betriebsratsvorsitzende Ludwig Neusinger, der die Vereinbarungmit ausgehandelt hat. [...]

Was ist denn daran “hervorzuheben”? Bosch wollte doch immer schon hin zu einem individualpsycholigisch und verhaltenspräventiv orientierten Gesundheitsmanagement, das in das persönliche Seelenleben hilfsbedürftiger Mitarbeiter eindringt. Damit kann der Arbeitgeber zu leicht Gründe für eine verhaltensbedingte Kündigung sammeln, denn die Führungskraft, an die sich Mitarbeiter wenden können, ist im Konfliktfall weder Vater noch Mutter. Bei der eher sozial- und organisationspsychologisch orientierten verhältnispräventiven Beurteilung der Arbeitsplätze lässt sich Bosch nur alle drei Jahre in die Karten gucken. Darauf kann ein Betriebsrat nicht stolz sein.

Ludwig Neusinger, BR-Vorsitzender, Robert Bosch GmbH (http://betriebsraetetag.de/programm/wir-fuer-psychische-gesundheit-bei-bosch.html):

Mit den beiden Gesamtbetriebsvereinbarungen „Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung“ und „Psychische Gesundheit“ ist dem Gesamtbetriebsrat der Robert Bosch GmbH der große Wurf gelungen: Mit der „Psychischen Gesundheit“ bekennen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam dazu, dass das Erkennen von psychischen Belastungen, Gefährdungen und Erkrankungen und Gegenmaßnahmen zur deren Beseitigung eine Führungsaufgabe ist. Hauptaugenmerk liegt auf dem optimalen Schutz der Beschäftigten in Fertigung, Forschung und Entwicklung und in der Verwaltung mit dem Ziel, den Beschäftigten konkrete Hilfen anzubieten. Die GBV regelt das Verfahren und die Verantwortlichkeiten. Die Umsetzung der beiden Gesamtbetriebsvereinbarungen wird begleitet von einer Informationskampagne des Gesamtbetriebsrates und der lokalen Arbeitnehmervertretungen Richtung Beschäftigte und mit Schulung der Führungskräfte. [...]

Richtig wäre: »Mit der „Ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilung“ bekennen sich Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretungen gemeinsam dazu, dass das Erkennen von psychischen Belastungen, Gefährdungen und Erkrankungen und Gegenmaßnahmen zur deren Beseitigung eine Führungsaufgabe ist.« Vor allem entspräche das der vorgeschriebenen Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes.

Ein großer Wurf sieht anders aus. Der Gefährdungsbeurteilung widmet der GBR-Vorsitzende keinen Kommentar, obwohl genau da in Deutschland der größte Nachbesserungsbedarf besteht. Die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung könnte der Bosch-GBR stolz hervorheben, wenn darin der in vielen Bosch-Betrieben geltende Standard OHSAS 18001 für Arbeitsschutzmanagementsysteme eingeflossen wäre. Das wäre ungewöhnlich, denn nur wenige Betriebsräte nehmen die Standards für Arbeitsschutzmanagementsysteme, nach denen ihre Betriebe zunehmend häufiger zertifiziert sind, genügend ernst. Die Vernachlässigung der disziplinierten Anwendung von Arbeitsschutz-Standards ist ein Fehler, den Betriebsräte viel zu häufig begehen – und dann noch stolz darauf sind. Die Kenntnis und Nutzung der Maßstäbe, auf die sich der Bosch selbst verpflichtet hat, hätte besonders bei der für eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung erforderliche Regelung der Vorfallserfassung und Vorfallsanalyse viel Klärungsbedarf bei Verhandlungen zur Betriebsvereinbarung vermieden.

Aus dem Arbeitsschutzgesetz ergibt sich, dass individuelle Maßnahmen nachrangig zu allen anderen Maßnahmen sind. Die Verhältnisprävention hat Vorrang vor einer “fürsorglichen” Verhaltensprävention, weil sich mit letzterer “psychische Auffälligkeiten” von Mitarbeitern zu leicht individualisieren lassen. Aus meiner Sicht wurde der Bosch GBR hier vom Arbeitgeber in die falsche Richtung gelockt und verdient keinen Preis dafür. Noch habe ich aber die beiden Betriebsvereibarungen nicht gesehen und kann mir darum noch kein ausreichend fundiertes Urteil bilden.

Ausgebrannt: Betriebsräte als Lotsen für Burnout-Betroffene

Freitag, 8. Januar 2016 - 07:23

http://www.ergo-online.de/html/service/download_area/burnout_screen.pdf (IGM, 2011)

Offensive betriebliche Mitbestimmung

Mittwoch, 9. April 2014 - 07:07

Aus einer praxisnahen Mitbestimmungsperspektive wird mit interessenpolitischer Absicht in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung die gute Arbeit von Betriebsräten verdeutlicht. Diese Arbeit setzt aus Sicht der Stiftung das Zusammenwirken mit den Gewerkschaften im dualen System deutscher Arbeitsbeziehungen voraus. Gemeinsam mit dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften, gestützt auf Wissenschaft und externen Sachverstand, werden die Herausforderungen für die Zukunft der betrieblichen Mitbestimmung beschrieben. Die Studie möchte den Betriebsräten eine wirksame praktische Unterstützung bieten, alle Akteure der Mitbestimmung zur Diskussion anregen und damit die konzeptionelle Weiterentwicklung der Mitbestimmung vorantreiben.

http://www.boeckler.de/pdf/p_betriebl_mitbestimmung_online.pdf, S. 26ff:

[...]

Betriebsräte gestalten gute Arbeit mit betrieblichen Vereinbarungen

Betriebsräte machen den Unterschied. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem eine repräsentative Beschäftigtenbefragung des DGB-Index „Gute Arbeit“ aus dem Jahr 2009. Danach gefragt, ob der Betriebsrat für die Beschäftigten wichtig oder sehr wichtig sei, antworteten 60 % der Arbeitnehmer mit „ja“. In Betrieben mit Betriebsrat beurteilten Beschäftigte insgesamt ihre Arbeitsbedingungen besser als in Betrieben ohne Betriebsrat. Im Einzelnen wird die Einkommenssituation mit Betriebsrat besser bewertet, ebenso die Arbeitsplatzsicherheit. In Betrieben mit Betriebsrat sei außerdem mehr Leistungsgerechtigkeit vorhanden und der Anteil von befristet Beschäftigten in niedrigen Lohngruppen sei deutlich geringer als in Betrieben ohne Betriebsrat.

[...]

Andere aktuelle Herausforderungen für die Gestaltung guter Arbeitsbedingungen sind die verstärkte Arbeitsverdichtung, die zunehmend fließende Grenze zwischen der Privatsphäre und dem beruflichen Alltag sowie die wachsenden psychischen Belastungen. Diverse Befragungen ergeben, dass Stress, Zeitdruck und ständige Erreichbarkeit zu Fehlbelastungen führen. Deshalb müssen Wege gefunden werden, um Fehlbelastungen zu verringern und somit auch alter(n)sgerechte Arbeitsbedingungen zu schaffen.

Relevant hierfür sind beispielsweise Gefährdungsbeurteilungen. Der Arbeitgeber muss sie durchführen, das ist seit 1996 gesetzlich geregelt. Doch bislang haben sehr viele Unternehmen und Verwaltungen keine Verfahren für aussagekräftige Gefährdungsbeurteilungen etabliert. Ein positives Beispiel ist im Container Terminal Tollerort des Hamburger Hafens zu finden. Dort befasst man sich auf der Basis eines Konzerntarifvertrages aus dem Jahr 2007 mit dem demografischen Wandel, mit globalem Wettbewerb und betrieblicher Sozialpolitik. Altersstrukturanalysen und Qualifizierungsbedarfe werden jährlich erhoben. Auf diese Weise wird erkannt, wie Arbeit organisiert, gestaltet und die Personalentwicklung aussehen muss. Hinzu kommen Arbeitszeitmodelle für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit, Familie und Pflege sowie ein ausgereiftes Präventionssystem zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Die Details werden in Betriebsvereinbarungen geregelt. Inzwischen gibt es auch Gefährdungsbeurteilungen für psychische Belastungen.

Ein weiteres Beispiel ist die Rheinbahn in Düsseldorf. Dort entwickelten Betriebsräte gemeinsam mit dem Arbeitgeber eine Dienstplanregelung zur Entlastung der Kolleginnen und Kollegen im Fahrdienst. Im vergangenen Jahr wurden sie vom Deutschen Betriebsrätepreis dafür mit dem Sonderpreis für Gute Arbeit ausgezeichnet. Überstunden, Krankenstand und demografischer Wandel waren die Auslöser für die Initiative. Im Zentrum steht eine „Belastungsampel“ für die Gestaltung des Dienstplanes. Für jede Schicht wird die Gesamtbelastung anhand eines Kriterienkataloges mit Punkten bewertet. Bereits in der Schichtplanung ist schnell ersichtlich welcher Dienst „rot“ und somit stark belastend ist. Ziel ist, die roten Schichten zu eliminieren. Zusätzlich konnte Personal eingestellt werden.

Viele aktuelle Ansatzpunkte für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen liegen im klassischen Feld der Arbeitszeitgestaltung. Gerade flexible Arbeitszeitmodelle (Arbeitszeitkonten, Arbeitszeitkorridore, Gleitzeiten, Rufbereitschaften, Wochenendarbeit etc.) sind Hauptgegenstand in Betriebsvereinbarungen. Vor allem die Rücksichtnahme auf private und nicht der ausschließliche Vorrang betrieblicher Belange ist regelmäßig umkämpftes Terrain. Aber heute ist nicht mehr nur die Arbeitszeit flexibel, sondern in zunehmendem Maß auch der Arbeitsort und selbst die Inhalte der Arbeit. Wachsende Digitalisierung und Vernetzung in die Arbeitswelt, Fragen des Datenschutzes sowie Stress und psychische Fehlbelastungen sind aktuelle „Begleiterscheinungen“ und neue Themenfelder. DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach (2012) mahnt daher einen Stresstest nicht nur für Bahnhöfe, Atomkraftwerke oder Banken an, sondern auch „für die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen.“ In diesem Zusammenhang machte im Dezember 2011 eine Nachricht hinsichtlich des Umgangs mit mobilen Endgeräten Schlagzeilen. Es ging um die Regelung zur zeitlichen Beschränkung der Smartphone-Nutzung für Tarifbeschäftigte bei
Volkswagen: „Das Smartphone wird grundsätzlich während der Anwesenheit im Betrieb genutzt, außerhalb der Anwesenheit im Betrieb sind die Nutzungsmöglichkeiten eingeschränkt. Während des Zeitfensters von 18.15 Uhr bis 7.00 Uhr und an Wochenenden steht die Telefonfunktion zur Verfügung, alle anderen Anwendungen nicht.“ Der Betriebsrat hatte diese Regelung durchgesetzt, um die ständige Erreichbarkeit einzudämmen.

Zentrale Handlungsfelder zur Verringerung von Stress sind Arbeitszeitregelungen und Arbeitsüberlastung, Gesundheitsschutz, Kompetenzentwicklung und Personalpolitik. Entsprechende Ideen von Betriebsräten werden in verbindlichen Regelungen mit dem Arbeitgeber vereinbart: der Zugriff auf das Firmennetz für die Zeit der betrieblichen Gleitzeit wird begrenzt. Andere Regelungen betonen die Freiwilligkeit und legen fest, dass Beschäftigte außerhalb ihrer Arbeitszeit nicht erreichbar sein müssen. Oder Vorgesetzte werden verpflichtet, der Erwartungshaltung einer ständigen Erreichbarkeit der Beschäftigten entgegenzuwirken. Weitere Regelungen befassen sich mit transparenten Vertretungsregelungen für den E-Mail-Verkehr bei Krankheit und Urlaub. In einigen Bereichen wird zusätzlich bezahlte und geplante Rufbereitschaft eingerichtet, verbunden mit Sonderurlauben. Neue Regelungen sehen Kompetenzschulungen für die mobile Arbeitswelt und den angemessenen Umgang mit mobilen Endgeräten vor. Derlei Regelungen müssen ein Mindestmaß an Schutz bieten und zugleich Bedürfnisse von sehr unterschiedlichen Beschäftigtengruppen berücksichtigen. Ein solches Dilemma ist nicht immer lösbar. Um Konflikte mit Beschäftigten zu vermeiden, ist deren Beteiligung an der Gestaltung von Regelungen und Verfahrensweisen wichtig.

Betriebsräte sorgen für gute Arbeit und Arbeitsbedingungen. Weil technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität das Arbeitsleben verdichten und beschleunigen, entstehen neue Handlungsfelder für die betriebliche Mitbestimmung beim Thema gute Arbeit. Das bedeutet auch Mitbestimmung im Datenschutz und bei Leistungs- und Verhaltenskontrollen.

Für viele Beschäftigte wachsen individuelle Freiräume. Aber nicht für alle verbessern sich auch ihre Arbeitsbedingungen. Für Betriebsräte entsteht eine Zwickmühle: Einerseits geht es um den Schutz vor zu viel Arbeitsverdichtung und überhöhten betrieblichen Flexibilitätsanforderungen. Andererseits müssen wichtige individuelle Freiräume erhalten bleiben für Arbeitsorganisation und Zeitarrangements.[...]

[...]

Betriebsräte kämpfen für internationale Standards guter Arbeit

Der Einsatz von Betriebsräten für gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen endet längst nicht mehr am Werkstor oder an den nationalen Grenzen. Immer wieder machen Unfälle durch verheerende Arbeitsbedingungen Schlagzeilen: z. B. der Großbrand in einer Textilfabrik in Bangladesh im November 2012. Bereits im September 2012 waren 289 Arbeiter in Pakistan in einer Textilfabrik verbrannt. Aus der zynischen Sicht mancher Unternehmen, die gern in Entwicklungsländern produzieren lassen, sind diese Nachrichten schlecht fürs Geschäft. Deshalb bekennen sich gerade große Bekleidungshersteller seit Jahren zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung, ihrer Corporate Social Responsibility (CSR). Es ist die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen, sich im Kerngeschäft über das gesetzliche Maß hinaus für die Umsetzung sozialer und ökologischer Standards einzusetzen. Und in solchen Firmen es ist nicht selten der Druck von Betriebsräten, die aus Solidarität mit ihren Kollegen in den Entwicklungsländern vom eigenen Unternehmen eine wirkungsvolle Übernahme der Verantwortung für gute Arbeitsbedingungen vor Ort und bei den Lieferanten einfordern.

CSR ist seit Jahren in aller Munde: Die Bundesregierung hat 2009 ein „Nationales CSR-Forum“ eingerichtet. In der Europäischen Union gibt es Diskussionen, in den Geschäftsberichten neben finanziellen Kennzahlen auch Angaben zur sozial und ökologisch nachhaltigen Entwicklung verpflichtend zu machen. Die Vereinten Nationen bieten mit Global Compact ein Programm an, bei dem sich Unternehmen auf eine sozial verantwortliche Unternehmensstrategie verpflichten können.

Beispiele wie in Bangladesh oder Pakistan zeigen jedoch, dass CSR oft nur auf dem Papier existiert und es ein weiter Weg von der Selbstverpflichtung zur konkreten Umsetzung ist. Gelingen kann die Umsetzung nur, wenn die Interessenvertretungen der Beschäftigten in diesen Prozess einbezogen sind. Auch die Betriebsräte in Deutschland können dazu einen wichtigen Beitrag leisten. Das haben viele Unternehmensleitungen inzwischen selbst erkannt. Seit einigen Jahren erklären sich mehr und mehr international tätige Unternehmen bereit, mit den globalen Gewerkschaftsverbänden internationale Rahmenvereinbarungen auszuhandeln, die Unternehmen auf die Einhaltung sozialer Mindeststandards verpflichten. Auch in Bangladesh haben die meisten großen Handelsketten im Mai 2013 eine Vereinbarung mit den Gewerkschaftsverbänden UNI Global und IndustriALL unterzeichnet, um Arbeitsbedingungen, Brandschutz und Gebäudesicherheit in den Fabriken verbessern zu müssen.

Grundbestandteil solcher Regelungen ist die Verpflichtung der Unternehmen auf die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation: Vereinigungsfreiheit, das Recht auf Kollektivverhandlungen, Verbot von Zwangsarbeit und Kinderarbeit sowie das Verbot von Diskriminierung und die Pflicht zur gleichen Bezahlung für gleichwertige Arbeit für Männer und Frauen. Darüber hinaus enthalten sie im Idealfall konkrete Pflichten für den Arbeits- und Gesundheitsschutz, zur Aus- und Weiterbildung, für Mindestlöhne und zur Vermeidung exzessiver Arbeitszeiten. Für die Umsetzung dieser Mindeststandards werden Verfahren zur Durchsetzung und Sanktionen geregelt sowie teilweise auch die Ausdehnung und Verpflichtung auf Zulieferer.

Aber auch bei diesen internationalen Rahmenvereinbarungen ergibt sich die Umsetzung nicht von selbst. Sie setzt voraus, dass an allen Standorten Personen existieren, die gegenüber der Konzernleitung für die Umsetzung verantwortlich sind, und auch eine Interessenvertretung der Beschäftigten vorhanden ist, die in die Umsetzung einbezogen ist. Internationale Rahmenvereinbarungen sind dann erfolgreich, wenn von Anfang an eine enge Verbindung zwischen den globalen Gewerkschaftsverbänden und den Interessenvertretungen vor Ort besteht. Hier kommen auch die Betriebsräte in Deutschland ins Spiel. Sie verfügen über Kenntnisse zu internen Prozessen und Strukturen im Unternehmen, die nötig sind, um Ansatzpunkte zu finden, Abteilungen einzubeziehen, Zulieferbeziehungen und Geschäftsprozesse zu beachten.

Wie mühsam die Umsetzung internationaler Rahmenvereinbarungen sein kann, zeigt sich aktuell am Beispiel Volkswagen. Der Weltbetriebsrat kämpft darum, die Rahmenabkommen in allen Standorten weltweit umzusetzen. In den USA stößt der Versuch, mit der US-Gewerkschaft UAW gemeinsam die Einrichtung einer betrieblichen Interessenvertretung im Werk Chattanooga anzustoßen, auf massiven Widerstand. In Italien dagegen wird die Umsetzung der VW-Charta der Arbeitsbeziehungen als Gegenmodell zu FIAT begrüßt. Dort werden von den Gewerkschaften drastische Zugeständnisse verlangt und trotzdem wird ein italienisches Werk nach dem anderen geschlossen.

Globale Rahmenvereinbarungen gibt es nicht nur in globalen Konzernen, sondern auch in deutlich kleineren. So hat die IG Metall gemeinsam mit der Bau- und Holzarbeiter Internationale und deutschen Schreibwarenherstellern wie Faber-Castell, Staedler und Schwan-Stabilo internationale Rahmenvereinbarungen getroffen, die weltweit nur wenige Tausend Beschäftigte haben. Hier übernehmen die deutschen Betriebsräte zum Teil selbst die Aufgabe, die Umsetzung der Vereinbarung in den ausländischen Standorten zu prüfen. Sie tun dies, weil sie wissen, dass die Existenz ihres Unternehmens in Deutschland auch davon abhängt, dass es weltweit als sozial verantwortliches Unternehmen wahrgenommen wird. In den internationalen Standorten gibt es bislang keine Interessenvertretung der Beschäftigten, sondern muss erst noch aufgebaut werden.

Gute Arbeitsbedingungen zu entwickeln, ist Bestandteil einer gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung. Es ist ein mühseliges Unterfangen für Betriebsräte, entlang weltweiter und grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten Standards für gute Arbeit zu erkämpfen. Dabei liegt ein weiteres Motiv für deutsche Betriebsräte im Gedanken des Schutzes der eigenen Standards der Arbeitsbedingungen. Die Verbesserung der Arbeitsbedingungen weltweit hilft womöglich auch, Standortkonkurrenzen zu verringern.

Es ist mühselig für Betriebsräte, entlang weltweiter und grenzüberschreitender Wertschöpfungsketten Standards für gute Arbeit zu erkämpfen. Aber gute Arbeit an weniger sozial geschützten Arbeitsplätzen hilft auch guter Arbeit an besser geschützten Orten. Betriebsräte in Deutschland machen sich deshalb mehr und mehr auch im eigenen Interesse auf den Weg, über ihre Europäischen Betriebsräte und mit den internationalen Gewerkschaftssekretariaten verbindliche internationale Rahmenabkommen zu erreichen. Der Anspruch muss sein, die Einhaltung der international vereinbarten ILO-Menschenrechte umzusetzen.

Für bessere Handlungsfähigkeit von Betriebsräten

Zwanzig Jahre geübte Praxis der Interessenvertretung in Europäischen Betriebsräten machten sie zu einem selbstverständlichen Element der Interessenvertretung in grenzüberschreitenden Unternehmen. Sie haben sich auf den Weg gemacht, mit den europäischen und internationalen Gewerkschaftssekretariaten gemeinsam verbindliche internationale Rahmenabkommen zu erreichen. Den Kernarbeitsnormen der ILO-Menschenrechte soll damit Geltung verschafft werden. Denn: Jeder Arbeitsplatz hat ein Gesicht, wo auch immer auf der Welt.

  • Betriebsräte sorgen für gute Arbeit und faire Arbeitsbedingungen. Weil technologischer Fortschritt, Digitalisierung, Vernetzung und Mobilität das Arbeitsleben verdichten und beschleunigen, entstehen neue Handlungsfelder für betriebliche Mitbestimmung und gute Arbeit. Die klassischen Schutzinteressen stehen demgegenüber jedoch nicht zurück.
  • Für viele Beschäftigte wachsen individuelle Freiräume. Aber nicht für alle verbessern sich auch ihre Arbeitsbedingungen. Für Betriebsräte entsteht eineZwickmühle: Einerseits geht es um den klassischen Schutz vor Überforderung. Andererseits muss die betriebliche Mitbestimmung den Autonomiewünschen der Beschäftigten stärker entgegenkommen. Auch deshalb muss der Betriebsrat neue Kommunikationsformen in der direkten und unmittelbaren Beteiligung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern finden.
  • Die betriebliche Mitbestimmung leistet konstruktive Beiträge, um die Innovationskraft von Unternehmen zu erhöhen. Arbeitsplätze und Arbeitsbedingungen verbessern sich. „Gute Arbeit“ entsteht. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass der Betriebsrat klar Stellung bezieht und auch bereit ist, Konflikte mit dem Management einzugehen, um seine Ziele zu erreichen.
  • Die Kurzfristigkeit von Renditeanforderungen internationaler Kapitalgeber hat das Handeln und Spielräume für das Management verändert. Damit muss auch der Betriebsrat umgehen. Der Umgang mit Maßnahmen mit kurzfristigen Kostensenkungseffekten oder zur Restrukturierung ganzer Bereiche ist mehr und mehr zum Alltag von Betriebsrat und Gewerkschaften geworden.
  • Die Unternehmensmitbestimmung ist eine Erfolgsgeschichte, weil Betriebsratsmitglieder über ihr Mandat im Aufsichtsrat die betriebliche Mitbestimmungsagenda voranbringen können. Idealtypisch wird mit der Montanmitbestimmung vorgelebt, wie paritätische Mitbestimmung erfolgreich zum Wohl von Arbeitnehmern und Unternehmen praktiziert werden kann.
  • Professionalität des Betriebsrates kombiniert sich aus Erfahrung, erworbenen Fähigkeiten, Kompetenzen und Qualifikationen. Eine entsprechende formale Anerkennung und Vergütung entlang transparenter Grundsätze wäre ein Signal von Wertschätzung für das Wahlamt Betriebsrat.

 

Links:

IGM Online-Ratgeber

Mittwoch, 17. Juli 2013 - 17:37

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/online-ratgeber-psychische-belastungen-5122.htm

Der Ratgeber ist etwas knapp geraten.

Bei den Tools für Betriebsräten vermisse ich Angaben, wie sie wissenschaftlich überprüft worden sind. Generell habe ich das Gefühl, dass die IGM etwas plump an das Thema der psychischen Belastungen herangeht.

Psychische Belastungen aus Arbeitnehmersicht

Dienstag, 25. Juni 2013 - 10:21

http://suqr.uni-wuppertal.de/fileadmin/Fachgebiete/SiTe/LuFG_Sicherheitsrecht/Kolloquium_Download/Pickshaus_2013-06-05.pdf

Psychische Belastung bei Daimler

Dienstag, 16. April 2013 - 07:43

http://www.daimler.igm.de/news/meldung.html?id=58230

BRennglas 01 / 2013
[...]
Psychische Belastung: Was kann ich tun?, Seite 6
[...]

 
http://www.daimler.igm.de/downloads/artikel/attachments/ARTID_58230_0ZoQkP?name=info.pdf, S. 6:

Psychische Belastung: Was kann ich tun?
Der BR im Erfahrungsaustausch mit den Verantwortlichen der Sozialberatung Frau Braun und dem Werksarzt Dr. Ickler.
Zu dem Thema Psychische Belastung und Burnout hat der „neue“ Suchtberater des Betriebsrates Stefan Pilz einige Fragen [...]

[...]
Pilz: Der Leistungsdruck verlangt den Beschäftigten einiges ab! Durch die „Vitale Fabrik“ bietet Daimler verschieden Möglichkeiten Stressfaktoren abzubauen. Was raten Sie unseren KollegInnen präventiv zu tun?
Fr. Braun/Dr. Ickler: Betriebliche Aktivitäten, wie z. B. gemeinsames Wandern in der Natur, sind auf jeden Fall positiv für die Stressreduzierung. Nutzen der Achstiv-Angebote, wie z. B. Rückenschule oder Spinning. Sport ist im Allgemeinen sehr gut zum Stressabbau. Dabei spielt auch die soziale Einbindung eine wichtige Rolle.

Was ist das denn für ein Interview? Schläft der Betriebsrat bei Daimler? Ein Betriebsrat könnte gerade den Werksarzt und die Sozialberatung fragen, wie sie darauf achten, dass es zu den Arbeitsplätzen der Betroffenen ordentliche Gefährdungsbeurteilungen gibt.

Was können Mitarbeiter tun, wenn sie an ihrem Arbeitsplatz psychische Fehlbelastungen vermuten? Wenn sie sich nicht an ihre Führungskraft wenden möchten, dann können sie den Betriebsrat bitten, mit ihnen zusammen die Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsplatzgruppe zu überprüfen, zu der ihr Arbeitsplatz gehört. Muss die Gefährdungsbeurteilung aktualisiert werden? Bevor überhaupt individuell verhaltenspräventiv wirkenden Maßnahmen ergriffen werden, muss die Verhältnisprävention überprüft werden. Im Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht aber die Mitarbeiter.

Auch in nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben geht es erst einmal um die Beurteilung der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen bevor überhaupt daran gedacht werden darf, sich mit den Befindlichkeiten einzelner Mitarbeiter zu befassen: Sind Vorfälle und Gefährdungen in der betroffenen Arbeitsplatzgruppe gemäß OHSAS 18001 ordentlich erfasst und dokumentiert worden? Sind die internen Audits nach OHSAS 18001 glaubwürdig? Das kann ein Betriebsrat schon einmal fragen, ohne die Mitarbeiter individuell zu benennen. Dazu braucht man kompetente und aufgeweckte Betriebsräte.

Maßnahmen gegen Arbeitshetze

Donnerstag, 7. Februar 2013 - 15:39

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-DCA8B93A-1A81082E/internet/style.xsl/interview-mit-hans-juergen-urban-zur-anti-stress-verordnung-11215.htm

Interview mit Hans-Jürgen Urban zur Anti-Stress-Verordnung

Verbindliche Regelungen zum Schutz der Beschäftigten

07.02.2013 Ι Der kürzlich vorgelegte “Stressreport Deutschland 2012″ der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin belegt, wie dringlich Maßnahmen gegen Stress und Arbeitshetze im Betrieb sind. Die IG Metall hat konkrete Vorstellungen, wie mit Hilfe einer “Anti-Stress-Verordnung” die Beschäftigten besser geschützt werden können. Das erläutert Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall

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Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

Sonntag, 9. September 2012 - 23:35

In der markigen Beschreibung http://www.industry.siemens.com/topics/global/en/system-certificates/Documents/IA_Management_Manual.pdf eines Managementhandbuchs schreibt Siemens I IA CE:

… Das Managementsystem von I IA umfasst die Themen Qualität, Umweltschutz und Arbeitssicherheit (EHS).

Indikatoren für die Wirksamkeit des Managementsystems sind die positive Geschäftsentwicklung und die hohe Kundenzufriedenheit.

Und die Mitarbeiterzufriedenheit ist kein Indikator? Oder kann man irgendwo bei Siemens nachlesen, dass für OHSAS 18001 auch die Mitarbeiter zu den Kunden gehören?

 
http://www.dialog.igmetall.de/Artikel.32+M5cfbfaf1969.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=7781:

Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

Man könnte meinen, dass die Thematik psychische Belastung mittlerweile abgegriffen erscheint – aber immer wieder schrecken uns Zahlen und Fakten auf und zeigen ganz deutlich, wie dramatisch diese Krankheit tatsächlich auf dem Vormarsch ist (siehe zum selben Thema).

Herunterspielen aus Kostengründen?

Positive Ansätze im Umgang mit dieser Problematik bei Siemens verliefen allerdings im Sande: Die aus Kostengründen gestoppte psychosoziale Hotline oder das ebenfalls gestoppte Hand-out für Führungskräfte hätten weitere Bausteine zur Hilfe und Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen sein können. Weitere Maßnahmen wie ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung im Intranet und Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter werden gar nicht mehr mit dem Ausschuss des Gesamtbetriebsrats besprochen. …

Die Gewerkschaft (in der ich Mitglied bin) liegt daneben: Psychische Belastung ist keine Krankheit. Ohne “psychische Belastung” (die schlechte Übersetzung des Begriffs “mental workload” in der deutschsprachigen Version der ISO EN DIN 17005 ) gäbe es keine Jobs. Das wäre dann allerdings eine psychische Fehlbelastung. Und selbst die ist keine Krankheit, sondern eine mögliche Ursache von Krankheiten.

Wenn ein Arbeitgeber Maßnahmen wie eine Befragung zur Selbsteinschätzung im Intranet und den Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter ohne Mitbestimmung durchführt, dann läge auch er daneben, und der Betriebsrat könnte rechtlich gegen solche Straftaten vorgehen. In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben, die ihr Zertifikat nicht verlieren wollen, gibt es aber noch andere Handlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter.

Viele Betriebe der Siemens AG sind nach OHSAS 18001:2007 zertifiziert. In den Zertifikaten können Siemensianer auch die nächsten Rezertifizierungstermine nachlesen. Und für die internen Audits gibt es Auditpläne. Macht da mal mit! Übrigens, in der großen Mehrheit der Fälle ist DQS der Zertifikator. Das Unternehmen bietet einen Beschwerdeprozess an.

Ein paar Fragen, die sich Arbeitnehmervertreter in allen nach OHSAS 18001 zertifizierten Unternehmen stellen sollten:

  • Wenn trotz mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz Zertifikate für das Arbeitsschutzmanagementsystem erteilt wurden, ist diese Nichtkonformität dann wenigstens in einem Abweichungsbericht dokumentiert worden?
  • Sprechen Zertifikatoren mit den Kunden des OHSAS 18001, also mit den Mitarbeitern und ihren Vertretern?
  • Sind die Berufsgenossenschaft und die Gewerbeaufsicht überfordert? Verlässt sich die behördliche Aufsicht darum zu leichtfertig auf Zertifikate für Managementsysteme?
  • Kennen die Betriebsräte an den Standorten und der Gesamtbetriebsrat den Standard BS OHSAS 18001 und darin das Kapitel zur Mitbestimmung?
  • Was ist der Hauptmotivator im Arbeitsschutz?
  • Warum lassen Unternehmen ihre Managementsysteme zertifizieren?
  • Sind den Betriebsräten die Berichte der internen und externen Audits bekannt?
  • Welche Dokumente wurden den Auditoren vorgelegt?
  • Werden im Widerspruch zum OHSAS 18001:2007 (Punkt 3.9 und Kapitel 4.5.3.1) nur Unfälle dokumentiert und untersucht, die der Arbeitgeber der Berufsgenossenschaft zu melden hat, oder werden (mit Beachtung der Mitbestimmung nach OHSAS 18001:2007, Kapitel 4.4.3.2) alle arbeitsbezogenen Ereignisse verhältnispräventiv analysiert und auch in der Statistik ausgewiesen, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können? (Nach OHSAS 18002:2008, Anhang, C.4 gehören auch Mobbing und Einschüchterung zu solchen Ereignissen.)
  • Kennen die Betriebsräte die Auditpläne für vergangene und zukünftige Audits?
  • Sind die Betriebsräte kompetent genug, den Arbeitgeber an seinen eigenen Maßstäben zu messen?
  • Was ist die Selbstverpflichtung eines Unternehmens nach OHSAS 18001 wert, wenn schon die Betriebsräte dieses Versprechen nicht ernst nehmen?

 
Siehe auch: https://www.google.de/search?q=psychische-belastung+”OHSAS+18001″+-psybel. Was man da findet, ist wenig beeindruckend. Betriebsräte könnten hier den Hebel ansetzen. Lesestoff: LV 52 und LV 54 und OHSAS 18002:2008 (die Umsetzungshilfe zu OHSAS 18001:2007).

Anti-Stress-Paket der IG Metall

Freitag, 10. August 2012 - 23:00

http://www.dgb.de/themen/++co++7164198c-dd5f-11e1-8bde-00188b4dc422

Liebe Kollegen, beschreibt das Paket bitte ein bisschen ausführlicher. Und mit Firefox oder Cromium unter Linux klappt die Bestellung nicht.

Aufsicht ausgedünnt

Sonntag, 22. Juli 2012 - 11:12

Wie konnte es zu der Demontage der Arbeitsschutz-Aufsicht kommen?

BDA-Geschäftsbericht 2004
http://www.arbeitgeber.de/www/arbeitgeber.nsf/files/66D039DEA7DBE91BC12574EF004FFB09/$file/BDA_GB_2004.pdf, S. 54:

… Die historisch gewachsene Organisationsstruktur der gewerblichen Berufsgenossenschaften muss gestrafft und im Hinblick auf die Aufgabenstellung und moderne Anforderungen des Verwaltungshandelns optimiert werden. Aufgrund von Veränderungen und Gewichtsverschiebungen in und zwischen den Branchen ist die heutige Organisationsstruktur nicht mehr zukunftsfähig. Fusionen müssen daher erleichtert und von der Selbstverwaltung verstärkt vorangetrieben werden. Daneben sind die Verwaltungsstrukturen der Berufsgenossenschaften zu verschlanken und die Möglichkeiten anderer Organisations- und Finanzierungsformen im Bereich der berufsgenossenschaftlichen Schulungsstätten, Forschungsinstitute und Kliniken zu prüfen.

Doppelarbeiten von Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaft mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe zugunsten einer einheitlichen Zuständigkeit der Berufsgenossenschaften sind zu beseitigen. Dabei darf es jedoch zu keinen zusätzlichen Kostenbelastungen für die Berufsgenossenschaften kommen.

 
http://www.dihk.de/ressourcen/downloads/32_vorschlaege.pdf

4. Vorschlag: Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz abbauen

Bereich / Rechtsgebiet: Arbeitsschutzrecht

Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)Gesetzliche Grundlage: § 21 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG)

Ausganglage / Problemstellung: Das duale Arbeitsschutzsystem in Deutschland zeichnet sich dadurch aus, dass sowohl staatliche Behörden – die Arbeitsschutzverwaltungen der Länder – als auch die Berufsgenossenschaften Verantwortung für die Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer wahrnehmen. Unternehmen beklagen, dass diese Parallelzuständigkeiten in der Praxis häufig kostenintensive Doppelprüfungen nach sich ziehen, zumal Gewerbeaufsicht und Berufsgenossenschaften ihre Prüfungen oftmals nicht untereinander abstimmen.

Lösungsvorschlag: Bei Überschneidung der Zuständigkeiten sollten in Zukunft die Berufsgenossenschaften in der Regel allein zuständig sein. Mindestens sollten die zuständigen Landesbehörden und die Berufsgenossenschaften ihre Aktivitäten beim Arbeitsschutz besser koordinieren und miteinander verzahnen, um so die Belastungen der Betriebe zu reduzieren. Als erster Schritt kann die diskutierte gemeinsame Beratungs- und Überwachungsstrategie sinnvoll sein, sie sollte daher zügig umgesetzt werden. Zuständiges Bundesressort: Bundesministerium für Arbeit und Soziales

DIHK-Ansprechpartner:
Hildegard Reppelmund
Tel: 030-20308 2702, reppelmund.hildegard@berlin.dihk.de
Dr. Oliver Heikaus
Tel: 030-20308 1115, heikaus.oliver@berlin.dihk.de

 
Fachinformationen zur Arbeitsgestaltung I NR. 43 I Oktober 2011
http://www.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-577D2ED4-F01794B3/internet/Tipp43_V6_Finale_Screen_0180513.pdf, S. 2

Die Kritik der Arbeitgeber war heftig, ihre Argumente einfach: Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) beklagte Mehrfachzuständigkeiten im Arbeitsschutz als nicht zeitgemäß. Hier die Berufsgenossenschaften, dort der staatliche Arbeitsschutz – das führe zu „Doppelarbeiten mit zwangsläufigen Reibungsverlusten und Doppelbelastungen für die Betriebe“, monierte 2004 auch die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA). All das koste die Unternehmer Zeit und Geld. Ihre Klagen hatten Erfolg. Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden wurden regelrecht demontiert. In einigen Bundesländern wurden die Gewerbeaufsichtsämter aufgelöst, mal wurde das Personal in Land- und Stadtkreise verschoben, mal der Unfallkasse zugeteilt, mal sind weitere Aufgaben hinzugekommen. Fast überall wurde das Personal so ausgedünnt, dass von einer funktionierenden Arbeitsschutzaufsicht kaum noch zu sprechen ist.

Das hat Folgen. Ein Beispiel: Im Jahr 2009 besuchte der staatliche Arbeitsschutz in Nordrhein-Westfalen knapp 11000 von insgesamt 920000 Betriebsstätten, gut ein Prozent. Daraus ergibt sich, dass die Arbeitsschützer einen Betrieb rechnerisch alle 86 Jahre aufsuchen. Auch der EU-Ausschuss Hoher Aufsichtsbeamter (SLIC) übte in seinem Bericht von 2006 Kritik. „In Fällen, wo eine Sanktion voll gerechtfertigt gewesen wäre, verhängten die Inspektoren keine Sanktionen, sondern übernahmen faktisch Mitverantwortung für die Situation.“ Inspektionen ohne vorherige Ankündigung, „ein wesentliches und wertvolles Inspektionsmittel“, vermisste der EU-Ausschuss ebenfalls.

Um Ressourcen besser zu nutzen und eine bessere Abstimmung zwischen staatlicher Aufsicht und Berufsgenossenschaften zu erzielen, wurde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie, kurz GDA, verabschiedet und im § 20a Arbeitsschutzgesetz festgelegt. Die GDA definiert gemeinsame Arbeitsschutzziele, etwa die Verringerung der Muskel-Skelett-Erkrankungen. Sie entwickelt gemeinsame Arbeitsprogramme und zielt darauf, dass sich die zuständigen Landesbehörden und die Unfallversicherungsträger bei der Beratung und Überwachung der Betriebe und bei den Vorschriften- und Regelwerken abstimmen.

(Link nachträglich eingetragen)

Die Vorschläge von BDA und DIHK sind nicht durchweg schlecht, umgesetzt wurden anscheind aber vorwiegend Einsparungen, nicht jedoch eine qualitätserhaltende Koordination. Außerdem gibt es einen Unterschied zwischen dem Ansatz der Berufsgenossenschaft, in der auch die Arbeitgeber Mitglieder und Kunden sind, und einer staatlichen Aufsicht. Und staatliche Aufsicht ist offensichtlich nötig.

Aktualisierung des Artikels: 2012-07-04

 
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