Schlagwort 'Selbstfürsorge'

Interessierte Selbstgefährdung

Mittwoch, 11. November 2015 - 06:36

Klaus Peters, Indirekte Steuerung und interessierte Selbstgefährdung. Eine 180-Grad-Wende bei der betrieblichen Gesundheitsförderung in:
Nick Kratzer, Wolfgang Dunkel, Karina Becker, Stephan Hinrichs (Hrsg.)
Arbeit und Gesundheit im Konflikt, Seite 105 – 122
Analysen und Ansätze für ein partizipatives Gesundheitsmanagement
1. Auflage 2011,
ISBN print: 978-3-8360-3580-4, ISBN online: 978-3-8452-7123-1,
DOI: 10.5771/9783845271231-105

Kapitelvorschau (http://www.nomos-elibrary.de/10.5771/9783845271231-105/indirekte-steuerung-und-interessierte-selbstgefaehrdung-eine-180-grad-wende-bei-der-betrieblichen-gesundheitsfoerderung):

[...] Man kennt es von Freiberuflern und so genannten Existenzgründern: Wenn der eigene Erfolg gefährdet ist oder einmalige Chancen winken, wird ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit gearbeitet. Neuen Managementmethoden gelingt es, die Leistungsdynamik von Selbstständigen in unselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu importieren. Darum kommt es auch bei Arbeitnehmern zu interessierter Selbstgefährdung – mit weitreichenden Folgen für das betriebliche Gesundheitsmanagement. [...]

[...] Den zunehmenden psychischen Belastungen bei der Arbeit ist es ähnlich ergangen wie dem Klimawandel: Der Streit darüber, ob es eine solche Entwicklung überhaupt gebe, hat lange Zeit Energie absorbiert, die für die Arbeit an einer lösung der neuartigen Probleme dringend benötigt worden wäre. Inzwischen ist die Entwicklung so weit fortgeschritten , dass die Leugner, die sich hier wie dort als Dramatisierungsgegner, Antihysteriker und Katastrophismuskritiker in Szene gesetzt hatten, unter nachhutgefechten zurückziehen und der Streit im Wesentlichen entschieden zu sein scheint.
        Wenn es denn wahr ist, dass die psychischen Belastungen bei der Arbeit dramatisch zunehmen, dann sollte man jetzt ein zweites Vermeidungsmanöver vermeiden und nicht die Größenordnung der Herausforderung herunterspielen. [...]

Der kostenpflichtige Zugang zum Volltext wird auf der Website von Nomos erklärt.
 

Nach meinem Eindruck sind wir nicht nicht sehr viel weiter, als im Jahr 2011.

Vorgelebte Work-Life-Balance

Freitag, 29. November 2013 - 21:24

Geschickte Führungskräfte geben ein Beispiel für den verantwortungsvollen Umgang mit der eigenen Gesundheit. Sie schalteten einen Gang zurück und verlassen das Unternehmen, in dem die Mitarbeiter nicht mehr für langjährige Anwesenheit am Arbeitsplatz belohnt werden. Der Arbeitgeber beschließt kurz vor dem Aussscheiden der Führungskraft, dass wegen sinkender Belastbarkeit kündigende Top-Manager eine Sonderrente bekommen. Die Firma zeigt damit große Verantwortung zumindest für einen Teil ihrer Mitarbeiter. Anschließend übernehmen die sonderberenteten Top-Manager etwas weniger anstrengende Aufgaben (z.B. in Aufsichtsräten), für die sie von anderen Unternehmen sehr gut bezahlt werden. Solche Führungskräfte zeigen auch dem gewöhnlichen Arbeitnehmer, wie man eigenverantwortlich eine gesunde Balance zwischen Beruf und Familie finden kann. Daran sollten sich auch nicht zu dieser Führungselite gehörende Menschen ein Beispiel nehmen!

Burnout in der IT-Branche (2)

Donnerstag, 15. November 2012 - 23:36

http://www.heise.de/resale/artikel/Burnout-in-der-IT-Branche-1736491.html

Burnout in der IT-Branche
Was Arbeitgeber tun können und müssen

Marzena Sicking – 29.10.12

Diplom-Ingenieur Tim Sturm hat im Rahmen seines Studiums “Supervision & Coaching” an der Donau-Universität Krems eine Studie über das tatsächliche Ausmaß der Burnout-Gefährdung in der IT-Branche durchgeführt. Mit Heise Resale sprach er über die Ergebnisse. 

Für ihre Masterarbeit zum Thema “Burnout in der IT-Branche: Sind Reflexion, Coaching und Supervision wirksame Instrumente zur erfolgreichen Prävention?” haben Sie die Daten von 1.155 Arbeitnehmern aus der IT-Branche ausgewertet. Wieso haben Sie ausgerechnet die IT-Branche unter diesem Aspekt beleuchtet?

(“Supervision” kann sich hier wohl nicht auf jene Supervisoren beziehen, die in Deutschland langjährig ausgebildete und erfahrene Psychotherapeuten sind, die die offizielle Befähigung haben, angehende Psychotherapeuten in der Ausbildung anzuleiten. Diese Befähigung kann erst einige Zeit nach dem Studium erlangt werden.)

… Wie können Unternehmen Ihrer Meinung nach die MitarbeiterInnen unterstützen, Burnout zu vermeiden?

Sturm: Ich halte einen Aufklärungs- und Maßnahmenprozess für essentiell und fasse diesen unter dem Begriff “Burnout Management” zusammen:

  1. Eine kompetente Aufklärungskampagne, mit der Unternehmen und MitarbeiterInnen ein Basiswissen über Burnout vermittelt wird.
  2. Mechanismen zur Prävention, wie etwa Workshops zur Förderung des Selbst-Bewusstseins und der Selbstwahrnehmung.
  3. Ein gezieltes Informationsprogramm für Betroffene, KollegInnen und ManagerInnen um die Wiedereingliederung ins Arbeitsleben nach längerer Abwesenheit konstruktiv und auf offener Basis zu gestalten.
  4. Notwendig erscheint ein Evaluierungssystem wie den Fragebogen meiner Arbeit, um gefährdete Personen zu identifizieren und diesen Hilfeleistungen anbieten zu können.

Als “Burnout-Management” mag das vielleicht reichen. Aber “Notwendig erscheint ein Evaluierungssystem wie den Fragebogen meiner Arbeit, um gefährdete Personen zu identifizieren und diesen Hilfeleistungen anbieten zu können” ist nicht der Ansatz des (auch in Österreich) vorgeschriebenen Arbeitsschutzes. Entsprechend auch der Kommentar eines Lesers bei Heise:

1. November 2012 08:36
“Fragebogen [...], um gefährdete Personen zu identifizieren”
Codehunter (mehr als 1000 Beiträge seit 26.09.02)

Ganz ehrlich, bekäme ich von meinem Arbeitgeber einen Fragebogen zu
meinem Geisteszustand, er würde doch in hohem Bogen in die kreisrunde
Ablage fliegen.

Die Leute mögen keine fürsorgliche Belagerung.

Ein dem vorgeschriebenen Arbeitsschutz entsprechender Ansatz ist: “Notwendig erscheint ein Evaluierungsverfahren, um gefährdende Aufgabenstellungen und Arbeitssituationen zu identifizieren und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen anbieten zu können”. Es gibt hier ein reichhaltiges Angebot getesteter Verfahren zur Verhältnisprävention. In seiner Hompage schreibt Tim Stark: “Als besondere Dienstleistung biete ich anonymisierte, individuelle Unternehmens- sowie Betriebsanalysen mittels online Fragebogen an….”. Wichtig dabei wäre es, verhältnispräventive Verfahren zu verwenden, die den Kriterien der BAuA gerecht werden. Individualisierungen (Anpassung an die Bedürfnisse einzelner Betriebe) sind dabei möglich. Das kann meiner Ansicht nach aber nur zusammen mit kompetenten und von erfahrenen Arbeitspsychologen beratenen Arbeitnehmervertretern funktionieren.

“Eine kompetente Aufklärungskampagne, mit der Unternehmen und MitarbeiterInnen ein Basiswissen über Burnout vermittelt wird” ist eine feine Sache als ein Element der im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Unterweisung. Vermittelt werden muss vor Allem, wie durch eine menschengerechte Arbeitsgestaltung psychische Fehlbelastungen zu vermeiden sind.

Der Schwerpunkt von Tim Sturms “Institut für Individuelles Wachstums” liegt logischerweise auf dem Individuum. Es ist auch klar, dass ein Coach für Coaching wirbt. In seiner Homepage schreibt Tim Stark allerdings auch, sein Ziel sei, “ein fundiertes Verständnis zum Begriff Burnout zu vermitteln sowie die Achtsamkeit und Verantwortung gegenüber MitarbeiterInnen neu zu entdecken.” In Deutschland ist das Problem jedoch, dass Firmenleitungen das Thema der psychischen Belastungen oft schon längst entdeckt haben (spätstens seit 2005), aber sich sehr unwohl fühlen, wenn sie durch transparente und nachvollziehbare Arbeitsschutzprozesse für Fehlbelastungen tatsächlich verantwortlich gemacht werden können. Ein guter Coach sollte keine Betriebe betreuen wollen, die sich weigern, ernsthaft vor (oder spätestens parallel) zu individiellem Coaching einen vorschriftsmäßigen, mitbestimmten, prozesshaft organisierten und verhältnispräventiv orientierten Arbeitsschutz zu implementieren. Die Stärkung der Resilienz einzelner Mitarbeiter kann nicht funktionieren, wenn gleichzeitig die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes missachtet werden.

Links:

Wie die BKK eine BPtK-Pressemeldung wiedergibt

Donnerstag, 14. Juni 2012 - 21:37

Zur jüngsten Veröffentlichung der Bundestherapeutenkammer (BPtK) ist es interessant, zu sehen, was die BKK hinsichtlich der Bedeutung der Arbeitswelt als Ursache für psychische Erkrankungen aus der Meldung herauspickt und wie die in dieser Hinsicht ausgewogener formulierte Pressemeldung der BPtK ursprünglich aussah.

 
BKK
http://www.bkk.de/arbeitgeber/news/?showaktuelles=239507&module=5002C,
aber auch (Quelle der BKK?): http://www.personalwirtschaft.de/de/html/news/details/1885/Studie:-Arbeitnehmer-sind-zunehmend-überfordert/)

… An der zunehmenden Überlastung trage die Arbeitswelt nicht alleine Schuld. Im Gegenteil: Erwerbslose würden im Vergleich zu Erwerbstätigen drei- bis viermal so häufig an psychischen Erkrankungen leiden. In den Betrieben würden vor allem Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe zu den Risikofaktoren zählen. Eine offene Kommunikation über psychische Belastungen könne in diesem Zusammenhang sehr hilfreich sein. 

Professionelle Beratung und Unterstützung sowie eine Anleitung zur Selbsthilfe seien wichtig, um der Entwicklung einer seelischen Krankheit zuvorzukommen. “Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird”, so die Forderung des BPtK-Präsidenten Prof. Dr. Richter. Nach Angaben der Bundesregierung beliefen sich die Produktionsausfälle aufgrund von psychischen Krankheiten auf jährlich rund 26 Milliarden Euro.

 
BPtK
http://www.bptk.de/presse/pressemitteilungen/einzelseite/artikel/betriebliche.html

06. Juni 2012
Betriebliche Fehltage aufgrund von Burnout um 1.400 Prozent gestiegen
BPtK-Studie „Arbeitsunfähigkeit und psychische Erkrankungen 2012“ 

Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von Burnout ist seit 2004 um fast 1.400 Prozent gestiegen. „Die Menschen fühlen sich in ihrem Leben und bei ihrer Arbeit immer häufiger überfordert“, stellt Prof. Dr. Rainer Richter, Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fest. „Die psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft werden erheblich unterschätzt. Seelisch überlastete Personen erhalten zu spät Beratung sowie Hilfe und psychisch Kranke zu spät eine Behandlung.“

Im Jahr 2004 fehlten 100 Versicherte 0,6 Tage aufgrund von Burnout, im Jahr 2011 waren es schon neun Tage. Ihr Anteil an allen Fehltagen aufgrund psychischer Erkrankungen ist aber noch gering. Im Jahr 2011 waren 100 Versicherte rund 200 Tage aufgrund seelischer Leiden arbeitsunfähig. Im Vergleich zu psychischen Erkrankungen machen die Ausfälle aufgrund von Burnout also nur 4,5 Prozent der Fehltage aus.

„Im Gespräch mit dem Arzt schildern viele Arbeitnehmer Erschöpfung oder Stress“, erklärt BPtK-Präsident Richter. Solche Schilderungen von Burnout-Symptomen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden, weil dahinter meist psychische Erkrankungen stecken.“ Bei 85 Prozent der Krankschreibungen wegen Burnout diagnostizierte der Arzt zusätzlich eine psychische (z. B. Depression, Angststörung) oder körperliche Erkrankung (z. B. Rückenschmerzen). Nur 15 Prozent der Burnout-Krankschreibungen erfolgen ohne eine weitere Diagnose. Auch dann kann Burnout jedoch ein Hinweis auf eine entstehende psychische oder auch körperliche Erkrankung sein.

Aktuell gibt es keine allgemein anerkannte Definition, was unter Burnout zu verstehen ist. Häufig genannte Symptome des „Burnouts“ oder des „Ausgebranntseins“ treten auch bei einer Reihe psychischer Erkrankungen auf: u. a. Antriebsschwäche, gedrückte Stimmung, Reizbarkeit, Erschöpfung. Burnout wird in Deutschland in der ICD-10-GM in einer Zusatzkategorie (Z73) verschlüsselt, in der Faktoren beschrieben werden, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen können, ohne eine eigenständige Erkrankung zu sein. Meist handelt es sich um Überforderungen durch berufliche und private Belastungen. „Eine solche Kategorie ist durchaus sinnvoll, weil sie dem Arzt die Verschlüsselung von psychosozialen Risikofaktoren oder auch von Gründen bzw. Anlässen für eine tatsächliche Erkrankung ermöglicht“, erläutert Richter. „Es muss dann aber auch sichergestellt sein, dass eine diagnostische Abklärung oder eine Behandlung eingeleitet wird.“

Psychische Erkrankungen haben ihre Ursachen nicht nur in der Arbeitswelt. Arbeit kann sogar ein wichtiger Faktor für psychische Gesundheit sein. Berufstätige Frauen erkranken deutlich seltener an einer Depression. Arbeitslose Menschen leiden bei Weitem häufiger an psychischen Erkrankungen als Erwerbstätige. Nach Berechnungen der BPtK erkrankt fast jede fünfte nicht berufstätige Frau ohne minderjährige Kinder im Haushalt an einer Depression (19,5 Prozent), aber nur jede achte berufstätige Frau mit Kindern (12,8 Prozent). Am gesündesten sind berufstätige Frauen ohne Kinder (9,6 Prozent). Arbeitslose sind drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Während gesetzlich krankenversicherte Erwerbstätige durchschnittlich elf Tage je 1.000 Versichertenjahre aufgrund psychischer Erkrankungen stationär behandelt werden, sind es bei Arbeitslosen sechsmal so viele Tage. Arbeitslose Männer erhalten außerdem fast dreimal so häufig Antidepressiva verordnet wie Erwerbstätige.

Die Ursachen für psychische Erkrankungen liegen aber auch in der Arbeitswelt. „Auch die moderne Arbeitswelt der Dienstleistungen und Konkurrenz kennt eine Art Fließbandarbeit. Zeitdruck und zu geringe Kontrolle über die Arbeitsabläufe sind Risikofaktoren für psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz“, erklärt BPtK-Präsident Richter. „Krankmachend ist, wenn gefährdete oder erkrankte Arbeitnehmer keinen Weg zur Veränderung finden.“ Die Unternehmen können dazu beitragen, dass über psychische Belastungen offen gesprochen werden kann. Es darf nicht dazu kommen, dass in den Betrieben die Meinung herrscht: „Wer ein Problem hat, ist das Problem!“ Wer sich überfordert fühlt, gibt sich häufig selbst die Schuld. Die Erfolgsgeschichten der anderen scheinen dann zu belegen, dass mit der eigenen Leistungsfähigkeit etwas nicht stimmt. „In solchen Situationen reichen Angebote zum Zeit- und Stressmanagement nicht aus“, stellt der BPtK-Präsident fest.

„So belastete Arbeitnehmer brauchen professionelle Beratung und Unterstützung, bevor sich eine seelische Krankheit entwickelt“, empfiehlt Richter. „Nicht jedes Problem bei der Lebensbewältigung erfordert eine Behandlung. Wichtig ist jedoch eine schnelle diagnostische Abklärung, ob eine Krankheit vorliegt. Nur so kann einer Chronifizierung vorgebeugt werden.“ Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert. „Die menschliche Psyche hat eine erhebliche Selbstheilungskraft.“, betont BPtK-Präsident Richter. „Die Selbsthilfepotenziale der Menschen werden bisher nicht ausreichend genutzt. Wir brauchen dringend eine Präventionsstrategie, die insbesondere den psychosozialen Belastungen der modernen Gesellschaft gerecht wird.“

Hintergrund:
Deutsche Arbeitnehmer erkranken immer häufiger aufgrund von psychischen Erkrankungen. Die Zahl der betrieblichen Fehltage aufgrund von seelischen Leiden ist auch im Jahr 2010 weiter gestiegen. Die ersten Auswertungen zeigen, dass sich dieser Trend auch im Jahr 2011 fortsetzt. Aktuell werden 12,5 Prozent aller betrieblichen Fehltage durch psychische Erkrankungen verursacht. Der Anteil der Fehltage an allen Krankschreibungen hat sich seit dem Jahr 2000 etwa verdoppelt. Psychische Erkrankungen führen zu besonders langen Fehlzeiten von durchschnittlich 30 Tagen. Depressiv erkrankte Arbeitnehmer fehlen durchschnittlich sogar 39 Tage. Nach jüngsten Berechnungen der Bundesregierung entstehen den Unternehmen jährlich durch psychische Krankheiten Produktionsausfälle von 26 Milliarden Euro.

Links und Hervorhebungen wurden von mir nachträglich in beide Zitate eingearbeitet.

Die Therapeuten der BPtK wenden sich dem einzelnen Menschen zu. Der Satz “Aber auch dann, wenn noch keine Erkrankung vorliegt, benötigt der Gefährdete eine qualifizierte Beratung und Anleitung zur Selbsthilfe, die eine Verschlimmerung verhindert” beschreibt einen Beitrag zur Verhaltensprävention. Aber in der Arbeitswelt kann die Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention (vorgeschrieben im Arbeitsschutz) nicht funktionieren. Fehlt die Verhältnisprävention am Arbeitsplatz, können auch austherapierte Menschen dort schnell wieder erkranken. Darum wäre es gut gewesen, wenn die BPtK deutlicher auf die gesetzlich vorgeschriebene Verhaltensprävention hingewiesen hätte. Wichtig ist in diesem Zusammenhang beispielsweise ein Gemeinsames Positionspapier von IG Metall und VDBW, dass die Gewerkschaft und die Vereinigung der Betriebsärzte im Jahr 2009 gemeinsam veröffentlichten.

 
Siehe auch:

Die DAK traut sich auch nicht

Mittwoch, 23. November 2011 - 19:32

http://www.wiwi-treff.de/home/index.php?mainkatid=1&ukatid=1&sid=9&artikelid=4990&pagenr=0

… »Stress am Arbeitsplatz lässt sich nicht völlig vermeiden«, sagt Frank Meiners von der DAK. »Wir können aber Techniken erlernen, mit denen wir die Probleme aktiv angehen – der Griff zur Flasche oder zur Tablettenpackung kann auf Dauer keine Lösung sein.« Die DAK fordert zudem ein nachhaltiges Stressmanagement in den Betrieben: Flexible Arbeitszeitmodelle, bessere Angebote für die Betreuung von Kindern und ein offenes Arbeitsklima könnten ein positives Gegengewicht zu den Anforderungen bilden. Außerdem solle jeder Einzelne für genügend Ausgleich sorgen: »Die Balance zwischen Beruf und Freizeit entscheidet darüber, ob eine Belastung zur Krankheit wird«, erklärt Frank Meiners. »Wer sich aktiv für seine innere Ausgeglichenheit einsetzt, fängt Belastungen am Arbeitsplatz wesentlich besser auf.«

Auch Frank Meiners von der DAK (soweit in wiwi-treff.de vollständig zitiert) traut sich nicht, die Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes durch die Arbeitgeber anzusprechen. Wieder einmal gibt es billige Ratschläge zur Selbstfürsorge.

Natürlich hilft Selbstfürsorge. Die Kunden der DAK haben auch eine eigene Verantwortung für ihre eigene Gesundheit. Es ist aber doch auffällig, dass auch hier wieder eine Krankenkasse kneift, wenn es darum geht, die Arbeitgeber in ihre gesetzlich vorgeschriebene Verantwortung zu nehmen. Die DAK hat hier wieder einmal eine Chance verpasst, auf die offensichtliche (und darum eigentlich doch recht dreiste) Zurückhaltung der großen Mehrheit der Unternehmen beim Einbezug der psychisch wirksamen Belastung in den Arbeitsschutz einzugehen.

Im Leistungsfall sollten Kassen ein Unternehmen, in dem ein Versicherter psychisch erkrankt, dann in Regress zu nehmen versuchen, wenn psychische Belastungen beispielsweise nicht in den Gefährdungsbeurteilungen des Unternehmens berücksichtigt werden. Die Beweislage ist hier oft sehr klar. Statt dessen jedoch holen sich die Kassen die von rechtswidrig handelnden Arbeitgeber verursachten Kosten bei ihren Kunden über Versicherungsprämien vergesellschaftet wieder herein. Auch hier wurde wohl ein Weg gefunden, wie Arbeitnehmer den großen Teil der Arbeitgeber subventionieren, der sich seit 1996 ungestraft seiner Verantwortung für einen ganzheitlichen Arbeitsschutz entziehen konnte.

Die Glückslüge

Montag, 9. Mai 2011 - 23:00

Anti-Lesetipps vom NDR-Kulturjournal

http://www.ndr.de/kultur/literatur/gluecksluege101.html:

von Boris Rosenkranz

Das ganz große Glück – die Regale der Buchhandlungen sind voll damit. Ein Millionengeschäft mit dem Versprechen: Hier wird jeder Wunsch Wirklichkeit. “Da ist in den letzten zehn Jahren eine Menge passiert”, sagt Ursula Caberta von der Innenbehörde Hamburg. “Die Leute sind anfälliger geworden für Vereinnahmung von irgendetwas Spirituellem.” “Das Emotionale wird heute sehr viel stärker akzeptiert, als es früher der Fall war”, weiß Michael Eid, Professor für Psychologie. “Deswegen darf man sich auch stärker damit beschäftigen.”

Es ist eben ein Problem, mit dem Emotionalen ohne Verstand umzugehen. Erfolgsbuchautoren wissen das. Sie nutzen mit Verstand die Emotionen ihrer Leser für ihr erfolgreiches Geschäft.

In dem Beitrag des NDR wird auch wieder eine bekannte Masche dieser Glücksberater erläutert: Wer sein Glück nicht findet, hat es sich nicht stark genug herbeigewünscht. Wem also ein Glücksbuch kein Glück bringt, der sollte sich nicht beim Glücksautor beschweren.

Es gibt aber mindestens ein Buch über Glück, dass einen Lesetipp verdient:
Herrad Schenk: Glück und Schicksal. Wie planbar ist unser Leben? (2001).

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen

Freitag, 12. März 2010 - 20:14


erschöpfende Belastung

Psychosoziale Kosten turbulenter Veränderungen
(2008)
Quelle der folgenden Einführung: Tom Levold, systemmagazin.de, 2009-05-20

Eine Arbeitsgruppe um Rolf Haubl vom Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt und Günter Voß von der TU Chemnitz hat im Auftrag der DGSv ausgewählte SupervisorInnen nach ihren Einschätzungen gegenwärtigen Veränderungen von Arbeitsbedingungen in Organisation befragt. SupervisorInnen werden als “kritische Zeitzeugen” angesehen, die einen berufsspezifischen privilegierten Zugang zu den “Hinterbühnen” von Organisationen haben und daher besser als viele Außenstehende organisationale Wirklichkeiten beurteilen können. Die 8-seitige Dokumentation dieser Befragung ist für 5,- € bei der kassel university press erhältlich, kann aber auch im Internet kostenlos als PDF geladen werden.

Das Fazit der Befragung: »Die befragten Supervisor/innen sind sich darin einig, dass sich zunehmend mehr Beschäftigte einer beschleunigten Dynamisierung und Ausdünnung von Orientierung gebenden Strukturen ausgesetzt erleben. Was den Beschäftigten als “Freiheit” versprochen wird, erweist sich bei genauerem Hinsehen als höchst ambivalente Selbstverantwortlichkeit.

Bei allen Unterschieden im Einzelnen entwerfen die Supervisor/innen doch ein bemerkenswert ähnliches Bild einer tief greifenden Krise: Sie stellen vor allem heraus, dass der Druck sachlich, vor allem aber ökonomisch ununterbrochen hoch effizient sein zu müssen, weithin erheblich zunimmt und die psychophysischen Kräfte vieler Beschäftigter verschleißt. Insbesondere ist es die Anforderung, kontinuierlich innovativ sein zu müssen, die schnell überfordert.

Unter diesen Bedingungen entstehen nur selten nachhaltige Problemlösungen. Oft sind im Gegenteil die Qualität und Professionalität der Arbeit gefährdet, was sich nicht wenige Beschäftigte als eigenes Versagen zuschreiben. Auffällig ist, dass angesichts des ständigen Wandels ein drängender Bedarf nach verantwortlicher und unterstützender Führung besteht, betriebliche Vorgesetzte sich dem aber oft nicht gewachsen zeigen. Sie verstehen sich primär als hart drängende Change-Agents, die den auf sie einwirkenden ökonomischen Druck nach unten weitergeben und ihre Mitarbeiter/innen mit den Folgen weitgehend allein lassen.

Dass unter all dem Kollegialität leidet und die Einzelnen in ganz neuer Quantität und Qualität ihre Arbeit als erschöpfende Belastung erleben, wundert daher nicht. Die Beschäftigten stehen vor der Aufgabe, aktiv Selbstfürsorge zu betreiben, womit aber nicht wenige von ihnen überfordert zu sein scheinen. Nicht zuletzt ist es das Verhältnis von Berufstätigkeit und Privatsphäre, das in Mitleidenschaft gezogen wird. Die modische Rede von der Work-Life-Balance zeigt das Problem zwar an, trägt aber kaum etwas zu seiner Lösung bei.

Inhalt:

Ziel und Hintergrund der Befragung
Methodische Anmerkungen
Ergebnisse
  Effizienz
  Innovation und Veränderung
  Qualität
  Professionalität
  Führung
  Kollegialität
  Belastung
  Selbstfürsorge
Fazit
Ausblick

 
Siehe auch: