Schlagwort 'SPD'

Bundestagsdebatte 17/201

Donnerstag, 1. November 2012 - 16:08


http://dbtg.tv/fvid/1975670

 
http://www.das-parlament.de/2012/44-45/Innenpolitik/41250030.html

Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Über die Bedingungen der Arbeitswelt hat der Bundestag am Donnerstag vergangener Woche debattiert. Die Fraktion Die Linke hatte einen Antrag (17/11042) vorgelegt, der eine “Anti-Stress-Verordnung” fordert. Die soll es ermöglichen, im Dialog mit Beschäftigten Ursachen für psychische Belastungen zu benennen und gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zudem forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung in einem weiteren Antrag (17/10867) dazu auf, Arbeitsplätze “alters- und alternsgerecht” zu gestalten. Es seien Bedingungen notwendig, die für alle Altersklassen und das ganze Berufsleben eines Menschen gelten. Im Anschluss an die Debatte wurden die beiden Anträge zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

 

2012-10-25
17/201 (201. Sitzung, 17. Wahlperiode)

TOP 6 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Es geht zwei Anträge:

  1. 6.a) Beratung Antrag DIE LINKE.
    Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren
    - Drucksache 17/11042 -
    … Ein individuelles Vetorecht für die Beschäftigten ist zu verankern, das dann greift, wenn die Arbeitsanforderungen zu gravierenden negativen Belastungen für die Psyche führen. Bereits bestehende Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten (Arbeitsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Überlastungsanzeigen) müssen entsprechend ausgebaut und stärker bekannt gemacht werden. Die Aufgabe, individuelle Belastungsschwerpunkte zu identifizieren und konkrete Gegenmaßnahmen daraus abzuleiten, erhält eine verpflichtend einzurichtende Kommission zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, die paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten und der Arbeitgeber besetzt ist und verbindliche Entscheidungen fällen kann. Bei Nicht-Einigung entscheidet die Einigungsstelle. …

    Anmerkung: Tatsächlich haben nach meiner Ansicht die Arbeitnehmervertretungen bereits heute speziell in nach OHSAS 18001:2007 zertifizierten Betrieben die Pflicht, im Fall von (potentiell) krank machenden Vorfällen (Punkt 3.9), bei der Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (Punkt 4.3.1) sowie bei der Vorfalluntersuchungen, der Bearbeitung von Nichtkonformitäten und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (Punkt 4.5.3) mitzubestimmen (Punkt 4.4.3.1). Dazu müssten sie allerdings ersteinmal aufwachen und die nötige Kompetenz erwerben. Dem Gesetzgeber empfehle ich, bei Entwürfen OHSAS 18002:2008 (das ist OHSAS 18001:2007 mit Hinweisen zur Umsetzung) zu berücksichtigen, was auch den Unternehnmen bei der Organisation des Arbeitsschutzes helfen würde.

  2. 6.b) Beratung Antrag B90/GRÜNE
    Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten
    - Drucksache 17/10867 -
    … In Deutschland existieren zwar Arbeitsschutzgesetze, aber es besteht ein Umsetzungsdefizit auf betrieblicher und gesetzgeberischer Ebene. So fehlen in vielen Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, die aufzeigen, welche gesundheitlichen Belastungen auftreten und wie sie vermieden werden können. Und obwohl seit 2004 die europäische Sozialpartnervereinbarung zu Stress am Arbeitsplatz existiert, gehört Deutschland zu den wenigen europäischen Ländern, in denen weiterhin ein Regelungsdefizit besteht. Die Bundesregierung muss daher endlich die europäische Rahmenvereinbarung zu arbeitsbedingtem Stress mit untergesetzlichen Regelungen unterlegen, um Beschäftigte effektiver vor psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz zu schützen. Arbeitgeber sind in Zusammenarbeit mit den zuständigen Interessenvertretungen (gegebenenfalls Schwerbehindertenvertretungen), Integrationsämtern und Rehabilitationsträgern zur gesundheitlichen Prävention in ihren Betrieben verpflichtet. Diese Präventionsverpflichtung, die unter anderem durch das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) erfüllt wird, muss – insbesondere in kleinen und mittleren Betrieben – gestärkt werden. …

    Anmerkung: Die Vorlage der Grünen beschreibt den Verbesserungsbedarf beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz recht gut, aber BEM dient nicht der Prävention. Allerdings gilt auch, dass Betriebliches Eingliederungsmanagement ohne den seit 1996 vorgeschriebenen verhältnispräventiven Arbeitsschutz natürlich keine Sinn macht: Kranke werden an kranken Arbeitsplätzen nicht nicht gesund.

 

Im Video oben können Sie sich die ganze Debatte ansehen. Über http://suche.bundestag.de/plenarprotokolle/search.form habe ich die Einzelbeiträge gefunden:

Protokoll(PDF | 3,0 MB) Video des Tagesordnungspunkts
Alle Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

Die Beiträge von Pascal Kober (FDP) und Ulrich Lange (CDU) sind recht anschauliche und aktuelle Darstellungen von Positionen, die auch von den Arbeitgebern vertreten werden. Darum habe ich in http://blog.psybel.de/hauptsache-gesundheit/ auf die Redebeiträge der beiden Abgeordneten hingewiesen.

Beide Abgeordneten lobten unüberraschenderweise die jüngsten Aktivitäten ihrer Koalition beim Einbezug der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz - die 16 Jahre zu spät kommen und zum Teil Ablenkung sind: Pascal Kober gibt ein Beispiel für die Betonung der Gesundheitsförderung beim Thema psychische Belastung, obwohl diese die ja oft eher verhaltenspräventionsorientiert ist und in das Privatleben der Mitarbeiter eingreift. Der Arbeitsschutz schreibt dagegen Verhältnisprävention vor. Meiner Ansicht nach muss genau beobachtet werden, wie ideologisch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie orientiert sein wird, denn die gemeinsame Begeisterung von Schwarz-Gelb und der Arbeitgeber für dieses Projekt ist auffällig.

Ulrich Lange weist darauf hin, das man nicht immer auf die “schwarzen Schafe” unter den Unternehmen sehen solle:

… Wir haben durchaus Vertrauen in unsere Unternehmen, in unsere Unternehmer und Unternehmerinnen, dass das Arbeitsschutzgesetz in den Betrieben angewendet wird. Man sollte hier nicht immer das Negativbeispiel nennen, auf das schwarze Schaf abzielen. In vielen Betrieben wird mit den Arbeitnehmervertretungen zusammen sehr wohl, sehr gut und sehr konstruktiv an diesem Thema gearbeitet. …

Der Anwalt Lange weiß, wie man die Unwahrheit sagt, ohne zu lügen. Er weiß natürlich, dass die schwarzen Schafen die große Mehrheit sind. Die Mehrheit der Unternehmen hat wichtige Teile des ganzheitlichen Arbeitsschutz spätestens seit dem Jahr 2005 wissentlich missachtet. Im Gegensatz zu Langes Darstellung handelten die Unternehmen im Bereich der psychischen Belastungen überwiegend verantwortungslos. Weiterhin macht Lange die Furcht der Unternehmer (und damit die Vorbehalte der Arbeitgeber) vor der Mitbestimmung im Arbeitsschutz sehr deutlich:

… Zum Betriebsverfassungsgesetz. Mit dieser Keule, mit der Sie schlagen, sind Sie bei einem alten Thema. Immer dann, wenn wir hier irgendetwas diskutieren, wollen Sie über das Betriebsverfassungsrecht Dinge regeln, womit letztlich die Systematik dieses Gesetzes und das Grundverständnis über die Stellung unserer Betriebe verändert würden. Sie wollen ein Mitbestimmungsrecht bei wirtschaftlichen Fragen und bei der strategischen Ausrichtung. …

Die Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.3.1) sowie die Vorfalluntersuchungen, die Bearbeitung von Nichtkonformitätren und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.5.3) mag die strategische Ausrichtung und wirtschaftliche Fragen eines Unternehmens berühren. Aber hier herrscht bereits eine Mitbestimmungspflicht, für die die Unternehmen mit den Arbeitnehmern Prozesse zu vereinbaren haben (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.4.3.2).

Ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte und (leider nur vereinzelt) auch die Aufsichtssbehörden wäre die Mehrheit der von Ulrich Lang gelobten Unternehmen heute nicht motiviert, die Voerschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes zu respektieren.

Zur SPD: http://www.spdfraktion.de/themen/reden/psychische-belastungen-der-arbeitswelt-verhindern

… Die SPD wird in den nächsten Wochen einen umfassenden Antrag zur Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorlegen. …

Firmen sollen Burn-out bekämpfen

Dienstag, 30. Oktober 2012 - 20:29

http://www.sueddeutsche.de/karriere/seelische-gesundheit-in-unternehmen-firmen-sollen-burn-out-bekaempfen-1.1510394

Seelische Gesundheit in Unternehmen
Firmen sollen Burn-out bekämpfen

30.10.2012, 17:24
Von Guido Bohsem und Sibylle Haas

Der Arbeitsschutz in Deutschland stammt aus einer anderen Zeit: Es geht vor allem um die körperliche Unversehrtheit schwer arbeitender Männer. Doch inzwischen ist nicht mehr der Körper das größte Problem, sondern ist die Seele. Darum soll nun das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit ergänzt werden.

Eine Gruppe SPD-regierter Länder will das Arbeitsschutzgesetz erweitern. Über eine Bundesratsinitiative soll das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit der Beschäftigten ergänzt werden.

Im Juni hatte schon Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angekündigt, den Umgang mit Handys strikter regeln zu wollen. Das Arbeitsschutzgesetz verlange mit seinem “knallharten Strafenkatalog” von jedem Chef, dass er “Körper und Geist seiner Mitarbeiter aktiv schützt”, sagte die Ministerin.

(Links nachträglich eingetragen)

Es muss ja nicht immer etwas Neues sein, über das eine Zeitung berichtet.
Schön, dass die SZ am Ball bleibt. Hier ist eine Erinnerung durchaus notwendig. Ein Personalratsmitglied schrieb mir:

… bei uns gibt es Erfahrungen mit Gesundheitsprogrammen. Leider aber keine wirklich positiven.
Es gab Versprechen und Ansätze, die aber nie verwirklicht wurden. Insbesondere mit der Einbeziehung von psychischen Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung tut man sich sehr schwer. …

Viele Unternehmen wollen psychische Belastungen nicht wirklich in ihren Arbeitsschutz einbeziehen. Vor Allem wollen sie nicht dokumentieren, dass es arbeitsbedingte Fehlbelastungen gibt. Mitarbeiter, die solche Vorfälle melden, werden sogar noch zusätzlich unter Druck gesetzt. Selbstverpflichtungen (z.B. durch Zertifizierungen nach OHSAS 18001) zur Vorfallsuntersuchung sind dann nur Makulatur. Es gibt eben einen Konflikt zwischen Haftungsabwehr und ehrlicher Gefährdungsbeurteilung. Außerdem macht ein konsequenter ganzheitlicher Arbeitsschutz Führungsstile in einer Weise transparent, an die sich Unternehmensführungen wohl erst noch gewöhnen müssen.

Die Vorschriften des Arbeitsschutzes und die Rechtsprechung reichen eigentlich aus, um den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz durchzusetzen. Aber das läuft in der Praxis viel zu zäh. Mehr als 15 Jahre der sehr beharrlichen Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften durch viele Unternehmen sind ein Beweis für die Anarchie, die hier herrscht. Darum ist die Initiative der vier Länder leider wohl notwendig.

Psychische Belastungen bei 80% der Betriebe nicht beurteilt

Samstag, 21. Juli 2012 - 15:30

2018-06-08: Bundestagsdrucksache 19/01011


Zur Einleitung (2012-07-21): Es gibt mindestens ein größeres Unternehmen, dass vor 2013 der Öffentlichkeit die Unwahrheit mitgeteilt hat. Er berichtete offiziell, dass sein Arbeitsschutz vollständig sei, obwohl ihm auch danach Prozesse zur Beurteilung psychischer Belastungen nachweislich fehlten. In der untenstehenden Statistik stehen die Großunternehmen besser da, als kleinere Unternehmen. Das mag einfach daren liegen, dass die Großunternehmen die Brisanz von Aussagen zum Einbezug psychischer Belastungen in ihrern Arbeitsschutz besser verstanden hatten und darum aus rechtlichen Gründen falsche Angaben machten, also lügen. Mangels Qualifikation konnten die Gewerbeaufsichten das nicht überprüfen. Ich vermute daher, dass im Jahr 2012 psychische Belastungen in noch mehr als 80% der Betriebe nicht beurteilt wurden.

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Drucksache 17/10026, 2012-07-03
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
(oder http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf)

Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz


9. Wie häufig stellte sich nach Kenntnis der Bundesregierung bei Betriebsbesichtigungen pro Jahr seit 2005 bis heute absolut und prozentual zu allen geprüften Betrieben heraus, dass die geprüften Betriebe keine Gefährdungsbeurteilungen bzw. Gefährdungsbeurteilungen ohne die Beachtung von psychischen Gefährdungen durchgeführt haben (bitte nach Gewerbeaufsicht in den Ländern, Unfallversicherung und Berufsgenossenschaften differenzieren)?

Diese Daten werden in den Jahresberichten der staatlichen Arbeitsschutzbehörden der Länder bisher statistisch nicht erfasst, und auch die Unfallversicherungsträger verfügen nicht über verlässliche Aussagen.

Im Rahmen der Dachevaluation der 1. Periode zur Umsetzung der GDA wurden deutschlandweit über alle Wirtschafts- und Größenklassen insgesamt 6500 Arbeitgeber zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen befragt. Aus den Antworten ergibt sich, dass 52 Prozent der befragten Arbeitgeber für ihren Betrieb angaben, eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben. Je kleiner ein Betrieb desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gefährdungsbeurteilung erstellt wurde. Ähnliche Ergebnisse ergab eine im Jahr 2009 von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) durchgeführte repräsentative Befragung von Inhaberinnen und Inhabern bzw. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführern in Klein- und Kleinstunternehmen (BAuA: „Ergebnisse einer repräsentativen Befragung von Inhaber/innen/Geschäftsführer/innen in Klein- und Kleinstunternehmen“, Dortmund/Berlin/Dresden 2011).


[Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen nach Größenklasse
(„Werden an den Arbeitsplätzen in Ihrem Betrieb Gefährdungsbeurteilungen durchgeführt?“)
Quelle: Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD;
Drucksache 17/10026, 2012-07-03, “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz”.
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
Umfrage: Presseinformation "Arbeitsschutz auf dem Prüfstand: Qualitätsbarometer beschlossen"
(http://www.gda-portal.de/de/pdf/PM-Evaluation.pdf?__blob=publicationFile&v=2, 2011-05-11).]

[...] [Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im ‘Technischen Arbeitsschutz’ liegt. Das Sachgebiet ‘Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie’ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet ‘Arbeitszeit’ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt. [...]

[...] In der o. g. repräsentativen Befragung wurde nach der Einbeziehung der „psychischen“ Belastungsfaktoren „soziale Beziehungen“ und „Arbeitszeitgestaltung“ in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. 44 Prozent bzw. 48 Prozent der befragten Betriebe, die eine Gefährdungsbeurteilung durchführen, gaben an, dass sie diese Belastungsfaktoren einbezogen haben. In der erwähnten Untersuchung wurde auch direkt nach der Einbeziehung psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gefragt. Bezogen auf die Grundgesamtheit der repräsentativen Stichprobe von 6500 Betrieben führen insgesamt 20 Prozent der befragten Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung von psychischen Belastungen durch. Die entsprechende Verteilung auf die Betriebsgrößenklassen zeigt die oben angeführte Abbildung.
[...]

In der Umfrage wurden Unternehmen (Geschäftsführungen beziehungsweise Arbeitsschutzfachleute) in den Betrieben befragt. Von großen Betrieben, die vor allem auf die Rechtssicherheit des Top-Managements achten, könnten auch Fehlangaben gekommen sein, damit keine Verstöße gegen Arbeitsschutzbestimmungen dokumentiert werden oder Zertifikate zurückgegeben werden müssen. Mir ist ein Betrieb bekannt, der hier bei Angaben zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schlicht lügt.

Die Betriebsräte dieser Unternehmen könnten den den Gewerbeaufsichten gegebenenfalls nähere Angaben machen. Diese Schutzbehörden bleiben aber weiterhin unkritisch und fragen in den Betrieben nicht aktiv nach Belegen für behauptete Arbeitsschutzmaßnahmen im Bereich der psychischen Belastungen. Denn bei genauerer Kontrollen müssten Aufsichtspersonen feststellen, dass sie in der Vergangenheit den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe in der Vergangenheit nicht gründlich und kompetent genug kontrolliert hatten. Das gemeinsame Versagen bindet Geprüfte und Prüfer darum enger aneinander, die zu schützenden Mitarbeiter haben das Nachsehen.

Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert sind, aber das Thema der psychischen Belastungen nicht ausreichend in ihren Arbeitsschutz integriert haben. Von Zertifikaten für Arbeitsschutzsysteme versprechen sich die Prüfer der Gewerbeaufsicht leider mehr, als diese Zertifikate wirklich bieten. Auch kann es vorkommen, dass Arbeitsschutzfachleute psychische Belastungen nicht ernsthaft beurteilen, den Begriff aber in der Gefährdungsbeurteilung zur Beruhigung überforderter Aufsichtsbeamter der Form halber ohne irgendwelche Aussagen zur Qualität des Arbeitsschutzes in diesem Bereich erwähnen. Sie können dann sagen, sie dass psychische Belastungen thematisiert worden seien. Und schon wieder gefährdet diese Scheinsicherheit die Arbeitnehmer.

Wegen dieser Situation hätten auch die Betriebsräte und die Personalräte in der bundesweite Umfrage befragt werden müssen, und zwar auch kritisch, denn viele Arbeitnehmervertretungen verstehen das Thema der psychischen Belastungen immer noch nicht gut genug.

Aber das Ergebnis ist so oder so eine Ohrfeige für die Arbeitsschutzpolitik aller seit 1996 dafür Verantwortlichen, nicht nur aus der Sicht des Arbeitsschutzes, sondern auch aus rechtsstaatlicher Sicht. Wir haben hier einen massenhaften Rechtsbruch, der sogar heute noch von den Behörden toleriert wird. Ich verlange ja nicht gleich Strafen, sondern wenigstens die Kontrolle leicht prüfbarer Dinge. Beispielsweise werden psychische Belastungen in vielen Unternehmen überhaupt nicht in die Arbeitsschutzunterweisung einbezogen. Unterlagen und Belege fehlen. Aber die Gewerbeaufsicht protokolliert nicht einmal solche eindeutigen Mängel.

Die Hoffnung auf unternehmerische Eigenverantwortung rechtfertigte den netten Versuch laxer Kontrolle vielleicht, aber dieser Versuch hätte früher beendet werden müssen: Mindestens die Hälfte der Großunternehmen missachtete über viele Jahre hinweg die Pflicht, die Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” in den Arbeitsschutz zu integrieren. Eigentlich ist das Anarchie, aber sie erstaunt uns nicht mehr. Einerseits leben wir in einem Land, in dem Sozialhilfeempfänger penibel kontrolliert werden, damit sie keinen Cent zuviel bekommen. Andererseits trauen wir uns nicht, Unternehmer zu überwachen, deren Mehrheit auch heute noch die Gesundheit ihrer Mitarbeiter bis hin zur Körperverletzung auf das Spiel setzt. Angesichts der Geschichte kann heute die nachhaltige Respektlosigkeit dieser Unternehmer gegenüber den Arbeitsschutzbestimmungen eigentlich kein Versehen mehr sein.

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

 
Siehe auch:

 


2013-01-05

Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK):
http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2013/01/Protokoll_ASMK_2012.pdf

Ergebnisprotokoll der 89. Konferenz der Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder am 28./29. November 2012 in Hannover

Umsetzungsdefizite

Dem Bedeutungswandel im Spektrum der Arbeitsbelastungen muss in der Gesetzgebung und in der betrieblichen Praxis Rechnung getragen werden: Ein Arbeitsschutz, der psychische Belastungsfaktoren nicht oder nicht angemessen in seinen Fokus nimmt, wird in der modernen Arbeitswelt das Ziel, arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren und Unfälle zu vermeiden und Arbeit menschengerecht zu gestalten, nicht erfüllen.

Trotz richtungsweisender Aktivitäten der Länder und anderer Arbeitsschutzakteure, trotz der Anstrengungen vieler Betriebe im Handlungsfeld psychischer Belastungen: Es mangelt an einer stärkeren Verbindlichkeit für die Betriebe und an mehr Handlungssicherheit für die Aufsichtsbehörden. Darüber hinaus muss auch die Kompetenz der verantwortlichen Akteure gefördert werden.

Defizite in Betrieben

Psychische Belastungen spielen keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der Gefährdungsbeurteilung. So ergab eine Betriebsrätebefragung, dass in 58 Prozent der Betriebe mit mehr als neunzehn Beschäftigten eine Gefährdungsbeurteilung ganz oder teilweise durchgeführt wurde, darunter aber lediglich zwanzig Prozent auch psychische Belastungen ermittelten (WSI 2008/2009). Eine repräsentative Befragung der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zeigte für Klein- und Kleinstbetriebe (< 50 Beschäftigte) ein noch schlechteres Ergebnis: Nur 38 Prozent dieser Betriebe hatte eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt, nur sechs Prozent ermittelten davon auch psychische Belastungen. (Sczesny, C., Keindorf, S., Droß, P. 2011, S.45ff.). Die jüngsten Ergebnisse der Dachevaluation der GDA bestätigen die unzureichende Umsetzung von Gefährdungsbeurteilungen. Von den befragten 6.500 Arbeitgebern antwortete nur jeder Zweite, dass in seinem Betrieb eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt wurde. Von diesen Betrieben berücksichtigte nur jeder fünfte Betrieb psychische Belastungen (soziale Beziehungen, Arbeitszeitgestaltung). Je kleiner der Betrieb, desto seltener lag eine Gefährdungsbeurteilung vor und desto geringer war der Anteil von Betrieben, die psychische Belastungsfaktoren ermitteln (BMA 2012, S. 10f.). Über die anschließende Umsetzung von Maßnahmen gibt es bisher keine Erkenntnisse. Die Gründe für die unzureichende Beurteilung von Arbeitsbedingungen und vermutlich noch geringere Umsetzung geeigneter Maßnahmen sind vielfältig. Es fehlt das Verständnis für psychische Belastungen, die Anforderungen sind unklar, es herrscht Unsicherheit über anzuwendende Instrumente und es mangelt an der Kompetenz der zuständigen Akteure.

Die Begriffsdefinitionen, Verpflichtungen und Grundsätze im Arbeitsschutzgesetz (z.B. §§ 2, 3, 4, 5 ArbSchutzG) reichen offenbar nicht, um psychische Belastungen angemessen zu berücksichtigen und Arbeitsbedingungen menschengerecht zu gestalten. Auch andere geltende gesetzliche Regelungswerke werden nicht in erforderlichem Maße umgesetzt, obwohl die Beurteilung psychischer Belastungsfaktoren mittelbar oder unmittelbar enthalten ist (Arbeitssicherheitsgesetz [gemeint ist wohl "Arbeitsschutzgesetz"], Bildschirmarbeitsverordnung, etc.).

Defizite im Aufsichtshandeln

Wie in den Betrieben werden psychische Belastungen auch von den Gewerbeaufsichten in der Überwachungspraxis nicht angemessen berücksichtigt (Beck D., Richter G., Lenhardt U. 2012). Die Gründe dafür unterscheiden sich nicht wesentlich von denen in den Unternehmen. Es herrscht auch bei den Aufsichtsbeamtinnen und –beamten noch eine große Unsicherheit bei diesem Thema und die Beurteilungsmaßstäbe für die Angemessenheit von Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen sind unklar. Trotz bestehender Konzepte, existierender Handlungshilfen und Qualifizierungsoffensiven der Arbeitsschutzbehörden müssen sich die vorwiegend technisch ausgebildeten staatlichen Aufsichtspersonen den Zugang zu den „modernen“ Belastungen im Aufsichtshandeln noch besser erschließen. Die Veränderungen im Anforderungsprofil des Aufsichtspersonals durch Neueinstellungen oder Nachbesetzungen von Angehörigen anderer nicht technisch ausgebildeter Berufsgruppen, vollzieht sich nur langsam. Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Unverbindlichkeit dafür sorgt, dass im Spannungsfeld zwischen Unternehmensleitungen und staatlicher Aufsicht die Durchsetzungsfähigkeit für konkrete Forderungen an die Betriebe stark eingeschränkt ist.

(Link nachträglich eingefügt)

Zu guter Letzte: Es gibt Betriebe, die nach OHSAS 18001 zertifiziert worden sind, obwohl ihnen mitbestimmte Prozesse zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz fehlen. Manche Zertifizierungen durch externe Auditoren (auf die sich die Gewerbeaufsichten leider formal verlassen) sind also nur eine Farce.

Weniger Beanstandungen mit weniger Gewerbeaufsicht

Samstag, 21. Juli 2012 - 00:49

2012-06-17: In verschiedenen Berichterstattungen (basierend auf einer zur Westdeutsche Allgemeine Zeitung gehörenden Quelle?) war zu lesen, dass die Zahl der von den für die Arbeitsschutz-Aufsicht zuständigen Länderbehörden jährlich inspizierten Betriebe von 2005 bis 2010 auf 25 Prozent gesunken sei. Im letzten Jahr dieses Zeitraums sollen nur noch 1220000 Betriebe kontrolliert worden sein.

Hintergrund dieser Entwicklung sei ein deutlicher Personalabbau: Von 2005 bis 2010 sei jede sechste Stelle in der Arbeitsschutz-Aufsicht gestrichen worden. Übriggeblieben waren dann im letzten Jahr dieses Zeitraums noch etwa 3200 Aufsichtsbeamte der Länder, die bundnesweit 4,9% der Betriebe besucht und dabei 509000 Beanstandungen festgestellt haben sollen. Gegenüber dem Jahr 2006 seien das 60% weniger gewesen.

Das sind dann so um die 380 Betriebe, die eine Aufsichtsperson in einem Jahr kontrolliert. Und die soll dann auch noch überprüfen, wie in den Betrieben mit dem Thema der psychischen Belastungen umgegangen wird? Wie sieht es da mit den psychischen Fehlbelastungen aus, denen Ausichtsbeamte selbst ausgesetzt sind? Da stimmt etwas nicht mit der Meldung. Aber dazu komme ich später.

Die Daten wurden in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage genannt. In der Antwort soll es auch geheißen haben, dass dieser Personalabbau “nicht ohne Sorge” betrachtet werde. Sogleich musste ich an die Meldung denken, die ich nach Stöbern in Bundestagsdrucksachen einen Tag zuvor gebracht hatte und schaue noch einmal in die dort zitierte Bundestagsdrucksache hinein. Da meint die um ihre Bürger rührend besorgte Bundesregierung (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf bzw. http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf, 2012-07-03):

Es gibt weder im nationalen Recht noch in europäischen oder internationalen Vereinbarungen konkrete quantitative Anforderungen an den Umfang einzusetzender Personal- oder sonstiger Ressourcen für die Aufsichtstätigkeit, so dass diesbezügliche konkrete Anforderungen an die Länder nicht gestellt werden können. Gleichwohl beobachtet die Bundesregierung den Personalabbau bei der Arbeitsschutzaufsicht der Länder nicht ohne Sorge.

Wie peinlich. Die Regierung findet keine europäischen oder internationalen Vorgaben für sich und macht dann halt nix. Aber die Drucksache ist sehr lesenswert. Interessant ist dabei, dass es um das Arbeitsschutzthema “psychische Belastungen” ging. Auch wurde nicht berichtet, wer die Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. Was sind denn das für Journalisten? Liebe blog.psybel.de-Leser, nehmen Sie sich doch mal Zeit für die ganze Bundestagsdrucksache und überprüfen Sie die oben angegebenen Zahlen.

Im Jahr 2010 haben die Aufsichtsbeamtinnen und -beamten der Länder insgesamt 300252 Besichtigungen in 121990 Betrieben durchgeführt.

1220000/10=122000. (Ein anderer WAZ-Beitrag macht hier vorsichtshalber keine Angeben.)

Bevor Sie sich davon ab- und dann der Drucksache zuwenden, hier noch ein weiteres Geständnis unserer Regierung:

[Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im „Technischen Arbeitsschutz“ liegt. Das Sachgebiet „Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie“ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet „Arbeitszeit“ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt.

Na toll. Wenn kaum geprüft wird, dann weiß man doch gleich, was unsere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit ihrem “knallharten Strafkatalog” unseres “strengen Arbeitsschutzgesetzes” machen kann, wenn’s nicht zu anstrengend ist.

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

Bundestag: Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz

Montag, 16. Juli 2012 - 00:58

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Drucksache 17/10026, 2012-07-03
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
(oder http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf)


4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufsichtspersonen ausreichend qualifiziert sind, um den Anforderungen bei der Besichtigung von psychischen Gefährdungen angemessen gerecht zu werden?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen plant die Regierung?

Die Integration des Gefährdungsfaktors „psychische Belastung“ in die Arbeitsschutzaufsicht erfordert eine veränderte Herangehensweise. Die bisherigen Konzepte greifen hier nicht. Psychische Belastungen sind im Rahmen von Betriebsbesichtigungen nur schwer zu ermitteln. Ein einfacher Soll-Ist-Vergleich (wie z. B. bei physikalischen oder stoffbezogenen Grenzwerten) ist nicht mögich. Psychische Belastungen müssen im Rahmen von Gesprächen mit dem Arbeitgeber und den Beschäftigten sowie durch intensive Beobachtungen vor Ort ermittelt werden. Eine solche Vorgehensweise ist zeit- und personalaufwändiger als die bisherige Ermittlung der klassischen Gefährdungsfaktoren, die in Verordnungen und staatlichen Regeln weitgehend konkretisiert sind. Erste Schritte zur Qualifizierung der Aufsichtsbeamtinnen und -beamten haben die Länder und die Unfallversicherungsträger bereits frühzeitig eingeleitet. So wurde im Jahr 2009 die LASI-Veröffentlichung LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder“ erarbeitet. Mit der Umsetzung der LV 52 wurde durch ein spezielles länderübergreifendes Schulungskonzept begonnen. Im Rahmen des „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ der GDA wird die Qualifizierung der Aufsichtspersonen der Länder und auch der Unfallversicherungsträger einen Schwerpunkt darstellen. Eine „Leitlinie Beratung und Überwachung zu psychischer Belastung“ ist in Vorbereitung.

(Links nachträglich eingetragen)

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

NRW-Koalitionsvertrag 2012 – 2017:
gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen

Samstag, 23. Juni 2012 - 12:20

http://www.gruene-nrw.de/fileadmin/user_upload/gruene-nrw/politik-und-themen/12/koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2012-2017.pdf

 
Zeilen 228 – 234

Wir setzen uns gemeinsam mit den Gewerkschaften für gute Arbeit, anständige Arbeitsbedingungen und faire Löhne ein. Wir halten am Ziel der Vollbeschäftigung fest. Wir treten auch in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften für Mindeststandards als Regeln gegen Missbrauch und Lohndumping auf dem Arbeitsmarkt ein. Für uns ist es eine Frage der Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt unserer Gesellschaft, den Menschen durch gute Arbeit wieder Teilhabe und sozialen Aufstieg zu ermöglichen.

 
Zeilen 4815 – 4846

Beschäftigungsfähigkeit kann nur durch gesunde, humane Arbeitsbedingungen gesichert werden. Darauf werden wir den Gesundheits- und Arbeitsschutz in NRW stärker konzentrieren.

Gemeinsam mit Sozialpartnern und Sozialversicherungen werden wir das Programm “Arbeit gestalten – NRW” auflegen und umsetzen, dass sich schwerpunktmäßig mit der Gestaltung von betrieblichen Handlungsfeldern auf folgenden Gebieten befasst: alternde Belegschaften, gesundheitsgerechte Arbeitsbedingungen, Umgang mit Vielfalt und Unterschiedlichkeit in den Belegschaften.

Dies gilt insbesondere für psychische Erkrankungen, die zu hohen Ausfallzeiten führen und der häufigste Grund für Frühverrentungen sind. Wir wollen daher in Kooperation mit interessierten Unternehmen oder Unternehmensverbänden eine auf Selbsthilfegruppen gestützte Präventionsoffensive starten. Dabei gilt es einerseits zu untersuchen, was die Beschäftigten am Arbeitsplatz belastet, um Konzepte zu entwickeln wie menschlicher und intelligenter gearbeitet werden kann und andererseits innerbetriebliche Beratungs- und Krisenhilfe aufzubauen.

Die bestehende Deckelung des Rehabilitations-Budgets nach § 220 Abs. 1 SGB VI seit 1997 ist aufzuheben und dem tatsächlichen Bedarf anzupassen. Der Rechtsanspruch nach dem SGB IX auf Leistungen zur Teilhabe der Versicherten muss zwingend erfüllt werden. Der Grundsatz „Reha vor Rente“, die Tendenzen zur Verdichtung der Arbeit, zunehmende belastende Arbeitsbedingungen, bedingt ein höheres Budget für Rehabilitation, um frühzeitig drohende Leistungsminderung, Erkrankung, Behinderung und Erwerbsminderung zu verhindern.

Wir werden den einheitlichen Arbeitsschutz wiederherstellen. Der einheitliche Arbeitsschutz umfasst dabei das Aufgabenspektrum des technischen und betrieblichen Arbeitsschutzes, denn beides kann nicht unabhängig voneinander gedacht werden. Daher muss er auch in der Organisation in der Verwaltung deutlich zu erkennen und abzugrenzen sein. Die Zahl der Stellen für das Fachpersonal muss auskömmlich sein und vom zuständigen Fachressort fachlich verwaltet werden.

 
Zeilen 5510 – 5527

Wir setzen uns für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein. Das ist der Wunsch der meisten Familien und es entspricht auch dem wachsenden Fachkräftebedarf in der Wirtschaft. Wir wollen eng mit Arbeitgebern, Gewerkschaften, Betriebsräten, Verbänden und anderen Akteuren zusammenarbeiten, um gute Ansätze für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbreitern. Dazu werden wir die bestehende Aktionsplattform „Familie@Beruf“ weiterentwickeln.

Die Bundesregierung stellt in ihrem 8. Familienbericht, der sich dem Thema „Zeit“ widmet, fest, dass das Arbeitsrecht eine strukturelle „Blindheit“ gegenüber Familien hat. Wir wollen, dass dieser richtigen Erkenntnis auch Taten folgen und werden deshalb in einer Bundesratsinitiative Vorschläge für familienfreundliche Arbeitszeitregelungen im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz und im Teilzeit- und Befristungsgesetz unterbreiten. Dabei geht es uns darum, dass Eltern mehr Einfluss auf die Ausgestaltung ihrer Arbeitsbedingungen haben, wie Arbeitszeit und Arbeitsort. Ebenso wollen wir erreichen, dass Teilzeitstellen nicht zur Sackgasse werden. So werden wir uns dafür einsetzen, dass Teilzeitmodelle an Lebensphasen orientiert werden und es ein Rückkehrrecht auf Vollzeit gibt.

 
Zeilen 6046 – 6053

Psychische Erkrankung im Erwachsenalter ist die Erkrankungsart mit der höchsten Steigerungsrate. Ursachen sind sowohl in den veränderten Anforderungen in unserer Gesellschaft, insbesondere am Arbeitsplatz zu suchen. Sie verursachen enorme Kosten im Gesundheitssystem und kommen durch in der Regel langen Arbeitsausfall auch die Unternehmen teuer zu stehen.

Das Thema „psychische Gesundheit“ ist daher auch in der Landesgesundheitspolitik
aufzuwerten.

Fehlt dem “sowohl” hier nicht ein “als auch”?

Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil psychische Belastungen am Arbeitsplatz hier erstmalig in einem Koalitionsvertrag thematisiert wurden.

Psychische Belastung am Arbeitsplatz dürfen nicht zu Rentenkürzungen führen

Mittwoch, 21. Dezember 2011 - 10:27

http://www.seknews.de/2011/12/19/afa-bezirkskonferenz-olaf-schussler-wiedergewahlt/#more-41520

Arbeit darf nicht krank machen, lautete das zentrale Anliegen der diesjährigen AfA-Bezirkskonferenz in Eichenzell-Löschenrod im Kreis Fulda. Die Verwirklichung humaner Arbeitsbedingungen sei ein Kernanliegen der SPD und vor allem der AfA. Dem steigenden Arbeits- und Leistungsdruck in den Betrieben durch Umstrukturierung, Leistungsverdichtungen und rigidere Kontrollmechanismen müsse entschieden entgegengewirkt werden, forderte die Konferenz in zahlreichen Anträgen.

Harsche Kritik hagelte es vor allem an der Rente mit 67. Die beiden Gastredner, der Gesundheitspolitiker und Bundestagsabgeordnete Dr. Edgar Franke sowie der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Nordhessen und Bundestagsabgeordnete Ullrich Meßmer hielten es für dringend erforderlich, dass neben dem Einstieg in Arbeitsleben ein verstärktes Augenmerk darauf gelegt werde, dass die Menschen auch gesund aus einem langen Arbeitsleben ausscheiden. Schichtdienst, physische und psychische Belastung am Arbeitsplatz dürften nicht zu Rentenkürzungen führen, weil die Arbeitnehmer gar nicht bis 67 durchhalten können. Es müsse aber auch dringend eine Humanisierung der Arbeitsbedingungen erfolgen.

Das Präventionsgesetz gibt es bereits

Samstag, 3. Dezember 2011 - 10:54

http://www.aerzteblatt.de/v4/news/news.asp?id=48252

Bahr: Kein Präventionsgesetz – Gesundheitsförderung lässt sich dennoch regeln

Berlin – Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) hat sich auf dem Kongress „Unternehmen unternehmen Gesundheit 2011“ erneut gegen ein Präventionsgesetz ausgesprochen, um die betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zu unterstützen. Damit erteilte er dem in der vergangenen Legislaturperiode erarbeiteten Entwurf der SPD-Fraktion zu einem Präventionsgesetz erneut eine Absage. …

Hier hat Bahr recht. Nicht Gesetze fehlen, sondern der Wille, sie umzusetzen. Das Präventionsgesetz gibt es bereits: Das Arbeitsschutzgesetz. Schade, das Bahr nicht darauf hinwies. Zusammen mit dem Betriebsverfassungsgesetz und vielen anderen Vorschriften könnten Betriebsärzte, Arbeitssicherheitsfachleute, Arbeitnehmervertreter und die Aufsichtsbehörden eine gute Prävention sicherstellen – wenn man sie ließe. In den Ländern, in denen die SPD regiert, soll sie erst einmal zeigen, wie bestehende Gesetze endlich besser durchgesetzt werden.

Ministerin mit wenig Ahnung?

Dienstag, 1. November 2011 - 18:31

Die Thüringer Verbraucherschutzministerin Heike Taubert (SPD) ist auch für den Arbeitsschutz zuständig. Sie versteht aber leider nicht viel davon (wenn man dieser Meldung der DAPD trauen darf):
http://www.b2b-deutschland.de/thueringen/region/detail_dapd_3195556230.php (2011-10-25)

… Der Arbeitsschutz steht darüber hinaus durch veränderte Arbeitsprozesse vor neuen Herausforderungen. Während die körperliche Belastung durch technische Fortschritte weniger werde, böten erhöhter Zeitdruck und zu lange Arbeitszeiten nun verstärkt eine Gefahr für Beschäftigte, sagte Ziemer.

Aus diesem Grund sei es eine immer wichtiger werdende Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden, Betriebe auf die psychische Belastung ihrer Arbeitnehmer zu kontrollieren. Diese Information müsse jedoch von den Arbeitgebern direkt kommen. Es sei nicht die Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden, die Beschäftigten zu untersuchen. …

Wie man es richtig macht, könnt Heike Taubert von Christine Haderthauer (CSU) lernen, der derzeitigen Bayerischen Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen. Hoffentlich finden sich wenigstens die Fachleute in Heike Tauberts Ministerium besser im Arbeitsschutz zurecht, auch wenn da der Schwerpunkt selbst nach 15 Jahren Arbeitsschutzgesetz immer noch auf dem technischen Arbeitsschutz liegt.

Natürlich ist es nicht Aufgabe der Arbeitsschutzbehörden, die Beschäftigten zu untersuchen. Keiner, der etwas von Arbeitsschutz versteht, käme auf einen solchen Unsinn. Wenn Heike Taubert hier nicht falsch zitiert wurde, dann versteht sie die wichtigsten Grundlagen des Arbeitsschutzes nicht: Die Arbeitsschutzbehörden haben die Einhaltung des Arbeitsschutzgesetzes zu überwachen. Belastungen werden dabei aber nicht mit der “Untersuchung von Beschäftigten” ermittelt, sondern mit der Untersuchung von Arbeitsbedingungen.

Burnout-Beauftragter für Bayern

Samstag, 22. Oktober 2011 - 15:09

http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-Burnout-in-Bayern-_arid,150557.html, Schwäbisches Tageblatt:

Schon vor einem Jahr schlug Söders Staatssekretärin Melanie Huml Alarm: Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer in Bayern arbeite regelmäßig unter Stress, jeder sechste gar oft an der Grenze der Leistungsfähigkeit, und rund zehn Prozent des Krankenstands seien auf psychische Krankheiten zurückzuführen, meldete sie dem Chef. …

In dem Artikel können Sie auch nachlesen, wie die Opposition auf Markus Söders “Burnout-Beauftragten” reagiert: Die Polemik des SPD-Vorsitzenden Florian Pronold macht das Thema kaputt. Das hilft auch nicht weiter.
 

dapd/aerzteblatt.de
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47759/
Soeder_will_Gesundheitssystem_zukunftsfest_machen.htm

… [Bayern soll] einen Staatsbeauftragten für psychische Erkrankungen bekommen. „Wir werden einen bayerischen Psychiatrie- und Burn-out-Beauftragten berufen“, kündigte der Minister [Markus Söder (CSU) in einer Regierungserklärung zur Gesundheitspolitik] an. Hintergrund sei die Zunahme von psychischen Erkrankungen und Erschöpfungen. Der Beauftragte solle Ansprechpartner für die Akteure in Betrieben und Fachgesellschaften sein und sie beraten. Das Amt sei eine Mittlerfunktion zwischen Praxis, Forschung und Politik. …

Na ja. Meiner Ansicht nach hilft es schon sehr viel weiter, wenn die Gewerbeaufsichten und die Berufsgenossenschaften ihren Job ordentlich ausüben dürfen. Dafür setzt sich Christine Haderthauer ein, eine Kollegin Söders, der wohl auch etwas machen musste, nachdem die “Burnout-Detektive” seiner Kollegin in die Schlagzeilen kamen.