Kategorie 'Verbesserungsbedarf'

Arbeitsschutz 2002:
Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung

Sonntag, 10. Juni 2012 - 22:40

http://www.boeckler.de/pdf/fof_zwischenbericht.pdf

Bertelsmann Stiftung
und
Hans Böckler Stiftung

Expertenkommission
Betriebliche Gesundheitspolitik

Zwischenbericht
(Gütersloh/Düsseldorf, 22. November 2002) …

S. 11 (PDF: S. 13/80):

… Betriebliche Gesundheitspolitik hat heute in den Unternehmen geringe Priorität – oft über alle Akteursgruppen hinweg. Unternehmen müssen für eine moderne betriebliche Gesundheitspolitik zumeist erst noch befähigt werden. Kleine und mittlere Unternehmen sollten dabei besondere Berücksichtigung finden. Aber auch in größeren und großen Unternehmen besteht aus unserer Sicht beträchtlicher Handlungs- und Entwicklungsbedarf. Befähigung durch Qualifizierung und Austausch von „best-practice“-Beispielen ist wichtig, reicht jedoch nicht aus, um das Eigeninteresse der Betriebe zu wecken. Auch der Gesetzgeber stößt hier an Grenzen, zumal seine Aufsichtsdienste immer mehr der Haushaltslage wegen abgebaut werden. Finanzielle Anreize sollten als „Hebel“ zur Aktivierung betrieblicher Gesundheitspolitik eingesetzt werden. …

S. 12 (PDF: S. 14/80):

Dass Arbeitsschutz eine klassische Aufgabe für Arbeitnehmervertretungen ist, wird nicht immer ausreichend wahrgenommen. Arbeitgeber halten dies oft für eine lästige Pflicht. Notwendigkeiten für ein modernes betriebliches Gesundheitsmanagement und auch seine Möglichkeiten werden oft nicht gesehen oder ernst genommen. …

… Der Staat hat mit seiner neuen Gesetzgebung wichtige Weichen gestellt. Es besteht jedoch eine Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung. Hier sieht die Kommission Handlungsbedarf. Wie zukünftig die Zusammenarbeit zwischen Staat (Bund, Ländern) einerseits und den Unternehmen andererseits zu gestalten sei – auch bei immer angespannterer Lage der staatlichen Haushalte – bedürfe dringend der Diskussion. Klar sei, dass der Staat sich einerseits „auf dem Rückzug“ befinde, andererseits durch die Notwendigkeit zum verstärkten Arbeiten mit finanziellen Anreizen vor neuen Herausforderungen stehe – auch was seine zukünftigen Prüfpflichten betrifft – Stichworte: externe Qualitätssicherung betrieblichen Gesundheitsmanagements und „neuer Interventionstyp“.

Ansätze für einen fortschrittlichen Arbeitsschutz und eine innovative betriebliche Gesundheitspolitik bieten das Arbeitsschutzgesetz seit 1996 und auch das Arbeitssicherheitsgesetz. Ebenso finden sich im SGB VII und SGB V Ansätze. Daher sind im materiellen Recht schon Ansätze vorhanden. Einigkeit besteht, dass es bei der Umsetzung mangelt, jedoch die Gesetze nicht Reformen be- oder verhindern. Die gesetzlichen Grundlagen sollen effizient genutzt werden. Darüber hinaus ist ein neuer Interventionstyp insbesondere für die überbetrieblichen Akteure erforderlich. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Die “Lücke zwischen Vorschriften und ihrer Umsetzung” ist also schon seit langer Zeit bekannt.

Die heute den Unternehmen von Ursula von der Leyen zugestanden “Unwissenheit und Hilflosigkeit” ist einfach nicht glaubhaft. Die Arbeitgeber haben versagt: Die Experten setzten im Jahr 2002 auf das Eigeninteresse und die Eigenverantwortung der Unternehmer. Heute wissen wir, dass das unrealistisch war. Der “neue Interventionstyp” hat offensichtlich nicht funktioniert, wohl auch wegen Illusionen hinsichtlich dessen, was Unternehmer motiviert. Die Unternehmer haben ihre Chance verspielt, die ihnen gewährte Schonfrist verschlafen und ließen (selbst nach Auffasung der Arbeitsministerin) das Thema der psychischen Belastung einfach schleifen. Der Hauptmotivator ist und bleibt also die Pflicht zur Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen. Da Einsicht seit mehr als 15 Jahren nicht funktioniert, muss die Erfüllung dieser Pflicht nun wohl doch mit Hilfe von strengeren Kontrollen und Sanktionen durchgesetzt werden. Neue Vorschriften sind eigentlich nicht nötig.

Missachtung des Arbeitsschutzes kein Thema für Berufsgenossenschaft BGN

Sonntag, 10. Juni 2012 - 21:00

http://www.bgn.de/10530/38986/1

Erschöpft, gestresst, ausgebrannt
Damit es so weit nicht kommt: psychische Gesundheit der Beschäftigten fördern und stärken
von Constanze Nordbrock
Akzente 3/2012 | Magazin für Arbeitssicherheit, Gesundheitsschutz und Rehabilitation

Sich gestresst fühlen ist keine Krankheit. Dennoch können Stress und psychische Belastung die Gesundheit gefährden. Über die Hintergründe und was der Betrieb tun kann, um die psychische Gesundheit der Beschäftigten zu fördern und zu stärken. …

… Was getan werden kann
Die von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern getragene Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie (GDA) legt einen Schwerpunkt auf die Thematik. So beraten Berufsgenossenschaften und staatliche Arbeitsschutzbehörden die Unternehmen, wie psychische und körperliche Gesundheit als wichtige Ressource eines gesunden Unternehmens gefördert und gestärkt werden können. Dies ist auch relevant im Hinblick auf die Folgen des demografischen Wandels und des damit verbundenen Fachkräftemangels. …

Irgendetwas stimmt hier nicht. Der offensichtlichste und klar nachweisbare Mangel ist die Missachtung des ganzheitlichen Arbeitsschutzes bei der Mehrheit der Unternehmen. Besonders hier brauchen Unternehmen eine nachhaltige Beratung durch die Berufsgenossenschaft. Darauf geht dieser BGN-Artikel nicht klar genug ein. Auch höre ich, dass Aufsichtspersonen der BGs bei Besuchen in Unternehmen selbst einfachste Checks nicht durchführen, mit denen sich der Einbezug psychischer Belastungen beispielsweise in die Gefährdungsbeurteilung überprüfen ließe. Diese intensive Unaufmerksamkeit ist schon ziemlich merkwürdig.

Interessant ist auch hier wieder die Hervorhebung von Themen wie demografischen Wandel und Fachkräftemangel. Der wirtschaftliche Nutzen des Arbeitsschutzes ist eine schöne Sache, aber Körperverletzung geht gar nicht. Trotzdem reicht es anscheinend heute nicht mehr, Arbeitgeber auf das Recht der Mitarbeiter auf körperliche Unversehrtheit (mehr oder notfalls auch weniger freundlich) hinzuweisen.”Zeitgemäßer” ist es wohl, dass Unternehmer nur mit freundlichen Bitten und wirtschaftlichen Anreizen davor abgehalten werden können, Körperverletzung zu begehen. Die ökonomische Verseuchung unseres Denkens ist eben schon ziemlich weit fortgeschritten. Schade, wenn die Berufsgenossenschaften die einfache Tatsache vergessen, dass trotz allen Schönredens im Arbeitsschutz die strenge Durchsetzung von Vorschriften immer noch das wirkungsvollste Mittel ist. Mehr als 15 Jahre Tatenlosigkeit der Mehrheit der Arbeitgeber sollten ausreichen, hier alle Illusionen zur unternehmerischen Verantwortung zu begraben.

Bei der BG ETEM fand ich ein Beispiel, in dem die Pflichten der Arbeitgeber klarer angesprochen werden. Allerdings gibt es noch Aufsichtspersonen auch der BG ETEM, die bei der Überprüfung von Gefährdungsbeurteilungen (und speziell bei der Überprüfung der vollständigen Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung) zu unaufmerksam sind.

(http://osha.europa.eu/fop/germany/de/news/neues/2_quartal_2012/article.2012-06_06 machte mich auf den Artikel der BGN aufmerksam.)

manager magazin: Burn-out-Ranking

Freitag, 8. Juni 2012 - 23:50

http://www.reif.org/blog/blow-up-des-employer-brandings-manager-magazin-uber-burn-out-falle-der-dax-konzerne/

… In einigen Vorstandsbüros und Employer-Branding-Abteilungen schlugen einige Köpfe auf den Tisch. Das ist der Mega-Blow-up für das Employer-Branding. Das Manager-Magazin titelt in seiner neuesten Ausgabe “Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen”. Als Deutschlands erstes Burn-out-Ranking wird der Leitartikel eingeleitet. Bisschen viel Polemik für meinen Geschmack. …

… Solche Berichte sind ein Tritt in die Magengrube des Employer-Brandings. Von solchen Botschaften erholt man sich nicht in einer Woche. Kenne die Zusammenstellung der Studie nicht im Detail. Aber woher kommen die präzisen Angaben und womit lässt sich eine solch konkrete Aussage zur Burn-out-Quote nach Unternehmen mit Zahlen untermauern? …

Die Antwort auf diese Frage von Markus K. Reif interessiert mich auch. Wie mutig sind die Extrapolationen von Asklepios?

 

Suche: http://www.google.de/search?q=Burn-out-Ranking+manager-magazin

Der Schwerpunkt des Heftes 2012-06 ist ein “Burn-out-Ranking” deutscher Unternehmen. Verwendet wurden dabei Daten von Asklepios, “Europas führender privater Klinikkette”. Die Statistik halte ich für zumindest fragwürdig. Der Artikel zum Thema ist aber schon interessant.

S. 108:

… Der Umgang mit Burn-out-Erkrankungen fällt vielen Unternehmen auch deshalb so schwer, weil sich Organisationen zwar ändern lassen, aber die Persönlichkeit des Einzelnen und seine Fähigkeit, mit Stress umzugehen, mindestens ebenso bedeutend sind. …

Organisationen lassen sich ändern? Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen hat ja nicht einmal versucht, wenigstens die schon seit 1996 vorgeschriebenen organisatorischen Maßnahmen im Arbeitsschutz auch für die Gefährdungskategorie der psychischen Belastungen umzusetzen. Im Gegenteil, sie verstießen zunehmend vorsätzlich gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Da die Aufsichüberfordert war, war das anscheinend problemlos (also straflos) möglich. So läuft das heute eben.

Herrmann-Josef Lamberti (Personalvorstand der Deutschen Bank) meinte (so das manager magazin auf S. 105), das Thema der psychischen Belastung werde übertrieben und es bestünde kein Handlungsbedarf. Das zu sagen, war wohl keine gute Idee. Ob Handlungsbedarf besteht, hat nämlich in Gefährdungsbeurteilungen beurteilt zu werden, und zwar in einem vom Betriebsrat mitbestimmten Arbeitsschutzprozess nach vom Betriebsrat mitbestimmten Kriterien. Ich hoffe, dass Lamberts Ausführungen die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft zu häufigen Besuchen bei der Deutschen Bank anregen.

Ob polemisch oder nicht, in einem Punkt haben Eva Buchhorn, Michael O.R. Kröher und Klaus Werle im manager magazin ihre Hausaufgaben gemacht: Sie fragen gezielt nach der Gefährdungsbeurteilung (S. 106):

… Die gezielte Nachfrage seitens mm, ob die Bank das seelische Belastungspotential der Arbeitsplätze analysiere, will die Bank nicht beantworten. Mitarbeitervertreter kritisierten, dass es diese Erhebungen nicht gebe: “Die Bank kuriert nur das Verhalten Einzelner, an den Verhältnissen ändert sich nichts”, heißt es. …

Klartext: Die Bank will nicht sagen, ob sie sich an die Regeln des Arbeitsschutzes hält, und der Betriebsrat sagt, dass in die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen psychische Belastungen nicht einbezogen werden, die Bank also die Regeln des Arbeitsschutzes missachtet. Nebenbei wird noch deutlich, dass die Bank aus der Sicht der Mitarbeitervertreter den Mitarbeitern mit individueller Verhaltensprävention zu Leibe rückt, ihnen aber die vorgeschriebene Verhältnisprävention verweigert.

Die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gibt es im Prinzip schon seit 1996. Darum vermittelt der folgende Absatz ein falsches Bild (S. 112):

… Dass der Kampf gegen den Burn-out die Unternehmen nicht mehr loslässt, dafür sorgt nun auch die Politik. Nach dem Willen von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen soll die Analyse psychischer Belastungen, wie sie von der Commerzbank bereits realisiert werden, auch an Büroarbeitsplätzen endlich Standard werden - und nicht wie bisher auf Industriejobs beschränkt sein. …

Schon seit 1996 gab es ganz klar keine Beschränkung auf Industriejobs mehr. Hier irrt sich entweder das manager magazin oder die Arbeitsministerin oder beide irren sich zusammen. Es gab hier einmal eine entsprechende Rechtsposition der Arbeitgeber, die aber nicht mit einer Tatsache verwechselt werden sollte. Nach Auffassung beispielsweise der Berufsgenossenschafen ist der Einbezug psychischer Belastungen in die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen schon seit langer Zeit der Standard, dem die Arbeitgeber zu folgen haben. Nur hat die Politik es bisher erlaubt, dass Arbeitgeber nicht belangt werden, selbst wenn sie sich beharrlich den Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes widersetzen.

http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/0,2828,834827,00.html

… Und von einem strategischen Gesundheitsmanagement, das etwa auch die Risiken analysiert, am Arbeitsplatz psychisch zu erkranken, sind viele Firmen noch weit entfernt. …

manager magazin online beschreibt hier einen nachhaltigen Verstoß vieler Firmen gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Für diese anarchischen Zustände trägt auch die Ärztin Ursula von der Leyen (zusammen mit ihren Vorgängern) eine Mitschuld..

 

Noch etwas zum manager magazin selbst: Mir schien bisher, es gäbe ein Tabu-Thema in Redaktionen: Missachtung des Arbeitsschutzes. Aber siehe da (S. 106):

… Und die Medien, die sich in zahllosen Beiträgen am Thema [Burn-out] abarbeiten, sitzen selbst im Glashaus: Die Burn-out-Quote der Branche soll etwa doppelt so hoch sein wie im Durchschnitt aller Beschäftigten. …

Hier nun kann sich das manager magazin kleine Seitenhiebe auf Mitbewerber nicht verkneifen. Im Editorial arbeitet Arno Balzer (der Chefredakteur des Magazins) mit Lust am eigenen Employer-Branding (S. 5):

… In unserer Branche ist die Quote nach Asklepios-Schätzung rund doppelt so hoch wie in der übrigen Wirtschaft. Besonders stark betroffen sei der Axel-Springer-Verlag, gefolgt vom Norddeutschen Rundfunk. Die Spiegel-Gruppe, in der auch manager magazin erscheint, weist nach Asklepios-Angaben wenige Stresspatienten auf. …

 
Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil hier erstmalig ein Überblick über die Zustände in einzelnen deutschen Unternehmen veröffentlicht wurde. Die Statistik selbst ist mit Vorsicht zu genießen, aber dass das “Burn-out”-Thema einmal in dieser Weise thematisiert werden wird, hätten wir uns vor vielleicht fünf Jahren wohl so noch nicht vorgestellt.

 
Fortsetzung: http://blog.psybel.de/2012/06/15/massnahmen-der-dax-unternehmen/

 
-> Andere Artikel zum Thema

Pflicht schon im Jahr 2006 bekannt: Bewertung psychischer Fehlbelastungen

Dienstag, 5. Juni 2012 - 07:54

Natürlich gab es diese Pflicht schon früher. Aber als ich diese Veröffentlich einer Berufsgenossenschaft las, musste ich wieder an die “Unwissenheit und Hilflosigkeit” denken, die unsere Arbeitsministerin den deutschen Unternehmen zubilligte. Das ist einfach nicht glaubhaft.

BGFE und TBBG (seit 2010 in der BG ETEM), Ulla Nagel: Psychische Belastungen am Arbeitsplatz, 2006-06-13, also schon vor der heutigen Ausgabe 2011.

In beiden (2006 und 2011) Ausgaben steht:


Nach dem Arbeitsschutzgesetz (§§ 2,3) und dem Sozialgesetzbuch Sieben (SGB VII, §§ 1, 14, 21) sind Arbeitgeber und Berufsgenossenschaften verpflichtet, nicht nur Unfälle und Berufskrankheiten, sondern auch »arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren« zu verhüten. Dazu zählen psychische Belastungen, soweit sie gefährdend sind. Somit ist die Bewertung psychischer Fehlbelastungen in die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung mit eingeschlossen (§ 5 Arbeitsschutzgesetz). 

Über Pflichten klärt auch die EU-Rahmen-Richtlinie 89/391/EWG zur »…Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes …« Art. 6 Abs. 1 und 2 (1989) auf.

(Das hatten wir doch schon einmal: http://blog.psybel.de/2011/03/24/bg-etem/. So richtig ernsthaft geprüft wurde von der Berufsgenossenschaft aber wohl schon seit 2006 und auch davor nicht.)


Wie gehen Sie bei der Gefährdungsbeurteilung vor?

  1. Bilden Sie ein Team für die Analyse und Lösung der Probleme:
    Zum Team gehören: Arbeitgeber, Führungskräfte, Betriebsarzt, Sicherheitsfachkraft, Sicherheitsbeauftragter,Vertreter der Mitarbeiter. Die Kollegen vor Ort sind Experten für die Bewertung ihrer Tätigkeiten!
  2. Ermitteln Sie den Handlungsbedarf
    Wie grenzen Sie die Problembereiche sinnvoll ein? Werten Sie betriebliche Kennzahlen aus:
    Überdurchschnittlich hoher oder niedriger (!) Krankenstand/Fluktuation, Fehlleistungen, Nacharbeit, Qualitätsmängel, Terminüberziehung, Überstunden, Reklamationen, Unfälle/Beinaheunfälle, gesundheitliche Klagen
  3. Erstellen Sie die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG
    Nutzen Sie dazu hier den psy.Risk®-10-Faktorentest in dieser Broschüre. Leiten Sie Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes ab. Mitarbeiter der Präventionsabteilung der BG helfen gern dabei!
  4. Setzen Sie die Maßnahmen um und prüfen Sie die Wirkung.

(Auch das war schon im Jahr 2006 bekannt. Von wegen “unwissend und hilflos“, Frau Dr. von der Leyen.)


Andere Belastungsquellen wirken aus der Freizeit in die Arbeit hinein: aus dem Privatleben (Familie, Freunde), aus nebenberuflicher Betätigung (z.B. Verein) sowie aus den Problemen von Nachbarschaft, Kommune und Gesellschaft (siehe Außenkreis des Modells). Arbeits- und Freizeitbelastungen lassen sich in ihren Wirkungen heute noch nicht völlig trennen. Studien belegen aber, dass die Arbeitsbelastungen das Privatleben nachhaltiger stören als umgekehrt!

(Der letzte Absatz ist auf S. 9/20 in der 2006er Ausgabe und S. 7/20 in der aktuellen Ausgabe.)

Siehe auch: http://blog.psybel.de/analysieren-sie-ihren-arbeitsplatz-selbst/

Suche im Webauftritt der BG ETEM: http://www.bgetem.de/search?SearchableText=psychische+belastungen
 


2015: Psychische Faktoren am Arbeitsplatz, https://www.bgetem.de/medien-service/medienankuendigungen/broschuere-psychische-belastungen-am-arbeitsplatz
 

Schlusslicht Deutschland

Sonntag, 11. März 2012 - 06:30

DER WESTEN
http://www.derwesten.de/gesundheit/mehr-arbeitsschutz-vor-psychischen-belastungen-gefordert-id6438849.html

Mehr Arbeitsschutz vor psychischen Belastungen gefordert
09.03.2012 | 11:30 Uhr

Freiburg – Beim europaweiten Vergleich im Bereich Arbeitschutz bei psychischer Belastung schneidet Deutschland am schlechtesten ab. Dabei verursacht das sogenannte “Burnout-Syndrom” erhebliche Einbußen – sowohl bei der Arbeit als auch im alltäglichen Leben.

Arbeitgeber sollten Burnout-Erscheinungen ihrer Mitarbeiter nach Einschätzung des Freiburger Psychiatrie-Professors Mathias Berger viel ernster nehmen. In Deutschland gebe es auf diesem Gebiet europaweit den geringsten Arbeitsschutz, kritisiert Berger. In Frankreich, Skandinavien oder den Benelux-Staaten sei man auf diesem Gebiet viel weiter. …

 
FOCUS
http://www.focus.de/finanzen/karriere/psychiater-mathias-berger-gewerbeaufsicht-soll-gegen-burn-out-einschreiten_aid_695332.html

… Frankreich, Belgien und Dänemark hätten Verordnungen erlassen, in denen die Beseitigung psychosozialer Missstände am Arbeitsplatz, von Überlastung bis Mobbing, eingefordert werde wie Unfallverhütungsmaßnahmen, so Berger.’Auf die FOCUS-Frage, ob die Arbeitnehmer verlernt hätten, zwischen Beruf und Freizeit zu unterscheiden, antwortete er: „Viele Arbeitnehmer sehen sich einer paradoxen Freiheit gegenüber: Der Freiheit, unermüdlich am beruflichen Fortkommen zu werken, seines eigenen Glückes Schmied zu sein.“ …

Bewusste Pflichtverletzung seit 2005

Samstag, 3. März 2012 - 08:10

Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.

Richard von Weizsäcker

 
http://blog.psybel.de/praeventive-arbeitsgestaltung-unter-nutzung-von-§§-90-91-betrvg/

Seit den 70er Jahren gibt es den gesetzlich verankerten gemeinsamen Auftrag für Arbeitgeber und Betriebsrat, arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit bei der Planung und Korrektur von Gestaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Uwe Dechmann, Sozialforschungsstelle Dortmund

Zu viele “Macher” vergessen gerne die Vergangenheit. Sie schauen lieber “nach vorne”, denn sie möchten zwar für ihre Verantwortung sehr gut entlohnt, aber für Pflichtverletzungen nicht verantwortlich gemacht werden. Sie verlangen göttliche Unantastbarkeit:

Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn sehe, ich will ein Neues schaffen.

Jesaja 43, 18 – 19

Who controls the past controls the future. Who controls the present controls the past.

George Orwell

Geschichte, unter die ein Schlussstrich gezogen werden soll, ist in der Regel eben besonders interessant. Geschichte wird ja nicht nur vergessen, sondern auch noch geklittert. Wir schauen schon deswegen in die Vergangenheit, weil beispielsweise unsere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen heute versucht, die nachhaltige Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen mit “Unwissen und Hilflosigkeit” der Unternehmen zu entschuldigen. Das ist keine Enschuldigung, weil sich zeigen lässt, dass viele Unernehmer wussten was sie taten. Sie ließen das Thema bewusst schleifen und hatten mit ihrem wissentlich gepflegten Unwissen ihre Mitarbeiter die Krankheit getrieben. Dabei mussten politisch ausgebremste Aufsichtsbehörden untätig zuschauen. Unsere wirtschaftliche und politische Elite verletzte dabei nicht nur die Arbeitnehmer, sondern die Anarchie im Arbeitsschutz fügte auch dem Rechtsstaat Schaden zu.

Den ganzheitlichen Arbeitsschutz gibt es seit 1996. Aus den Vorschriften ergab sich damals schon eine Pflicht der Arbeitgeber, psychisch wirksame Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Seit dieser Zeit hatten nicht nur ein Großteil der Unternehmer, sondern auch Arbeitnehmervertretungen (Ausnahmen gab es, z.B. die Pionierarbeit des Betriebsrats der SICK AG) und Aufsichtspersonen ihre Lernkurve sehr flach gehalten.

Spätestens seit 2005 war den Arbeitgebern jedoch klar, was sie zu tun haben. Im Jahr 2004 gab es klärende Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts. Die BDA merkte nun, das es brenzlig wurde und veröffentlichte im Mai 2005 die Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit. Zumindest bei größeren Unternehmen war das Thema also seit 2005 auf ihrem Radar. Aber selbst danach setzten sie nicht einmal das um, was im April 2000 in der eher arbeitgeberorientierten Zeitschrift für Arbeitswissenschaft Leistung und Lohn beschrieben wurde. Darum gehe ich davon aus, dass seit 2005 viele Arbeitgeber ihre Pflicht zum verhältnispräventionsorientierten Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vorsätzlich missachteten. Mitverantwortlich ist hier aber auch eine Politik, die im naïven Vertrauen auf das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen die Aufsichtsbehörden geschwächt hat.

Am Beispiel der BGFE (jetzt in der BG ETEM) kann man sehen, dass auch die Berufsgenossenschaften die von ihnen überwachten Unternehmen auf ihre Pflichten aufmerksam gemacht hatten (2006). Leider führt z.B. die BG ETEM bis heute keine ausreichend gründlichen Prüfungen durch.

In Betrieben mit Bildschirmarbeit kann seit 1996 oft von einer vorsätzlichen Missachtung der Bildschirmarbeitsverordung ausgegangen werden, wenn psychische Belastungen nicht beurteilt wurden. Wurde eine Erfüllung der Bildschirmarbeitverordnung dokumentiert obwohl psychische Belastungen nicht beurteilt wurden, dann ist das eine unwahre Angabe in der Dokumentation des Arbeitsschutzes.

Im Jahr 2010 stellte die BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) fest, dass die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht aufgreife. Erst Ende 2011 erkannte die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auch öffentlich, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema [Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen] schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit”. Was “schleifen lassen” anbetrifft, hat sie sich noch recht freundlich ausgedrückt; aber mit “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” liegt sie ziemlich daneben, wie der Blick auf die Vergangenheit zeigt.

Meine Kritik richtet sich nicht so sehr gegen die Fachkräfte für Arbeitsschutz in den Betrieben oder gegen Aufsichtspersonen, die diese Betriebe (gelegentlich) besuchen. Das sind oft gutmütige Techniker und Chemiker, die psychische Belastungen überhaupt nicht im Blickfeld hatten. Hier gab es nicht durch Absicht, sondern durch Überforderung bedingte Unwissenheit und Hilflosigkeit. Verantwortlich sind viel mehr die oberen Führungskräfte in den Betriebs- und Behördenleitungen, die trotz Kenntnis ihrer Verpflichtungen diese Unwissenheit und Hilflosigkeit aufrecht erhielten. Die Thematisierung von Arbeitsbelastung wurde geradezu angestrengt vermieden.

Es gibt viele Gründe, die Geschichte der “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” (Ursula von der Leyen, Dez. 2011) beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:

  • Wir können aus Fehlern lernen.
  • Spätestens seit 2005 sparte sich die Mehrheit der Unternehmen die Kosten für den vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Dank der dadurch erzielten Einsparungen können Unternehmen sich nun mit überdurchschnittlichen Budgets für einen hochwertigen Arbeitsschutz begeistern, und damit die erforderliche Nacharbeit beschleunigen - ohne jedoch deren Qualität zu mindern.
  • Wenn sich ein Unternehmen dazu entschließt, psychische Belastungen verspätet in den Arbeitsschutz einzubeziehen, können trotzdem die Risiken nicht vergessen werden, denen die Mitarbeiter durch die Pflichtverletzung des Unternehmens zuvor ausgesetzt waren. Zwischen psychischer Verletzung und psychischer Erkrankung können viele Jahre liegen. Eine vollständige Gefährdungsbeurteilung löst noch keine Probleme, sondern sie ist der erste Schritt zu Problemlösungen.
  • Die Gründe für die Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes durch Arbeitgeber müssen verstanden werden. Sind die Regeln nicht umsetzbar und/oder fehlt der Mehrheit der Arbeitgeber der Respekt gegenüber Schutzgesetzten?
  • Außerdem könnte ein Verständnis der Geschichte der mangelhaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes helfen, die Bedeutung von Arbeitnehmervertretungen besser zu verstehen und das (europäische) Entbürokratisierungskonzept zu überdenken, auf dem dieses Gesetz basiert.

Für Betriebe mit kompetenten und durchsetzungsfähigen Arbeitnehmervertretern ist der Gestaltungsspielraum, den ein Rahmengesetz für betriebsnahe Lösungen gibt, eine feine Sache. Dieser Gestaltungsspielraum begründet den an die Arbeitgeber gerichteten Gestaltungsimperativ und die starke Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aber was geschieht in den vielen Unternehmen mit überforderten (und gelegentlich sogar gemobbten) Arbeitnehmervertretungen?

Wie wichtig Betriebsräte im Arbeitsschutz sind, sieht man an einem schönen Beispiel: Belastungen als Thema des Arbeitsschutzes führten kürzlich zur Gründung des ersten Betriebsrats bei Apple in München. Auch das ist ein interessantes Ereignis in der Geschichte des deutschen Arbeitsschutzes.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/motivierendevorschriften/

BMAS: Psychische Gesundheit im Betrieb

Dienstag, 21. Februar 2012 - 18:43

http://www.arbeitstattstress.de/2012/02/broschuere-psychische-gesundheit-im-betrieb/

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine arbeitsmedizinische Empfehlung zur psychischen Gesundheit im Betrieb veröffentlicht: Psychische Gesundheit im Betrieb – Arbeitsmedizinische Empfehlung.

Die Schrift wendet sich in erster Linie an Betriebsärzte. …

http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a450-psychische-gesundheit-im-betrieb.html, S. 23


Ebenso unverzichtbar für das Gelingen ist die gründliche Bedarfsanalyse im Vorfeld. Sie ermöglicht es erst, unternehmensspezifische Programme für alle Interventionsebenen „maßzuschneidern“, die nachweisbar effektiver und nachhaltiger sind. Das Arbeitsschutzgesetz hat 1996 die systematische Beurteilung der Arbeitsbedingungen als zentrale Verantwortung des Unternehmers herausgestellt. Die Gefährdungsermittlung und -beurteilung wird vom Gesetzgeber im § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gefordert und ist Aufgabe des Arbeitgebers. Betriebs und Personalräte haben ein Recht auf Mitbestimmung. Unterstützend können betriebliche Experten mitwirken, insbesondere der Betriebsarzt, die Fachkraft für Arbeits-sicherheit und, sofern vorhanden, andere innerbetrieblichen Ratgeber (Sozialberatung, psychologischer Dienst, Sicherheitsbeauftragte, u.a.).

S. 33


Seit langem schon setzt sich der Staatliche Arbeitsschutz mit den Veränderungen in der Arbeitswelt auseinander und spricht die unterschiedlichen thematischen Aspekte psychischer Gesundheit im Betrieb aktiv an, zum Beispiel im Rahmen von Betriebsrevisionen. Der Staatliche Arbeitsschutz zielt im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes auf verhältnispräventive Maßnahmen, denn sein Adressat ist in erster Linie der Arbeitgeber, der seinerseits für eine gesundheitsgerechte und sichere Gestaltung der Arbeitsplätze und –abläufe in seinem Betrieb Sorge tragen muss. Entsprechend stehen Primär- und Sekundärprävention im Fokus. Im Blickfeld sind dabei innerbetriebliche Strukturen und Prozesse, die zu einer Verbesserung des Arbeitsschutzes führen. Der staatliche Arbeitsschutz kooperiert aber auch bei flankierenden verhaltenspräventiven Maßnahmen und Konzepten: er ermutigt zu innerbetrieblicher Gesundheitsförderung und dem Aufbau von Gesundheitskompetenz, um so den Präventionsgedanken zu stärken. Die Aufsichtspersonen werden in Zukunft noch stärker prüfen, ob in den Gefährdungsbeurteilungen die im Betrieb existierenden psychischen Belastungen angemessen aufgegriffen werden und die entsprechenden Maßnahmen veranlasst und umgesetzt sind.

(Links und Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Diese Veröffentlichung des BMAS behandelt auch den Arbeitsschutz recht ausführlich.

Siehe auch:

Kontrolldruck

Freitag, 17. Februar 2012 - 06:28

http://www.sueddeutsche.de/bayern/hygiene-skandal-bei-mueller-brot-rote-ampel-fuer-den-verbraucherschutz-1.1285365

Hygiene-Skandal bei Müller-Brot

Rote Ampel für den Verbraucherschutz

16.02.2012, 10:14 Von Daniela Kuhr

Die Verbraucher hätten schon deutlich früher von den Missständen bei Müller-Brot erfahren. Wenn denn die Verbraucherschutzminister in 2011 eine Hygiene-Ampel eingeführt hätten. Haben sie aber nicht, denn ausgerechnet Bayern hat ein Veto eingelegt.

Mäusekot, Kakerlaken und Motten … … …

Na Mahlzeit. Die zurückhaltende Lebensmittelkontrolle bei Müller-Brot hatte Arbeitsplätze nicht gerettet, sondern sie vernichtet. Verantwortlich ist dafür eine wohl politisch gewollte Schwächung der staatlichen Aufsicht.

Die Lebensmittelkontrolleure fordern mehr Personal. Sie tun das nicht erst seit heute. Von Martin Müller (Vorsitzender des Bundesverbandes der Lebensmittelkontrolleure) erfahren wir (heute in B5 aktuell), dass 2500 Kontrolleure mehr als 1,1 Millionen Betriebe überwachen müssen. Fachleute wüssten seit langer Zeit, das es in vielen Betrieben Hygienemägel gebe. Aber die Kontrolleure könnten den “Kontrolldruck” nicht aufrecht erhalten, den viele Betriebe bräuchten.

Da Politiker das wussten, wollten sie nicht hinsehen. Diesen Vorsatz sehe ich auch bei der Überprüfung der Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften. An den Aufsichtsbeamten liegt das eher nicht, sondern an der politischen Führung. Auch hier stinkt der Fisch immer noch vom Kopf.

Das Gesetz ist hier knallhart

Dienstag, 14. Februar 2012 - 07:42

Aus einem Interview in BILD am SONNTAG (2012-02-11): http://www.bild.de/geld/wirtschaft/ursula-von-der-leyen/wann-kommen-die-rekordgewinne-der-wirtschaft-22589168.bild.html

Als ich junge Ärztin war, hingen die Telefone noch fest an der Wand. Es gab kein Internet, nur Papierakten. Die Verdichtung und Geschwindigkeit der Arbeitsabläufe, das Zusammenfließen von Privat und Arbeit hat enorm zugenommen.

Das Gesetz ist hier knallhart. So wie der Bauarbeiter einen Helm tragen muss, ist im Arbeitsschutzgesetz auch verankert, dass die psychische Belastung eines jeden Arbeitsplatzes beurteilt werden und Erkrankungen wie Burnout vorgebeugt werden muss.

Das Problem: die allermeisten wissen nichts davon. Deshalb wünsche ich mir auch von den Tarifverhandlungen, dass es nicht nur ums Portemonnaie geht, sondern auch um gesündere Arbeitsbedingungen.

Ursula von der Leyen, Bundesarbeitsministerin, 2012-02-11

(Burnout kann zwar nicht als Krankheit diagnostiziert werden. Aber der Begriff hat sich als ganz hilfreich erwiesen, auf das Thema der Fehlbelastungsfolgen aufmerksam zu machen. Ursula von der Leyen ist ja nicht nur Ärztin, sondern auch Politikerin. Die darf das.)

Siehe auch: http://blog.psybel.de/knallharter-strafenkatalog-seit-1996-ungebraucht/ und http://blog.psybel.de/motivierendevorschriften/

Tabu-Thema in Redaktionen: Missachtung des Arbeitsschutzes

Sonntag, 12. Februar 2012 - 10:24

WELT-Online (2012-02-11) privatisiert in http://www.welt.de/debatte/kommentare/article13863024/Burn-out-Syndrom-ist-vom-Menschen-selbst-gemacht.html wieder einmal das “Burnout”-Syndrom als “Zivilisationskrankheit”.

Burn-out-Syndrom ist vom Menschen selbst gemacht

“Burn-out” ist nicht nur ein Fall für den Arzt, sondern ein Zivilisationsproblem. Aber nicht die moderne Vielfalt ist die Ursache, sondern unsere Unfähigkeit auszuwählen. …

Klar ist das Burnout-Syndrom vom Menschen selbst gemacht. Aber welche Menschen sind am Burnout des Einzelnen beteiligt? Ich frage mich hier auch, wie es in den Redaktionen (on- und off-line) der WELT zugeht.

In der WELT meint Gerd Held zu wissen: “Überforderung kommt von innen”. Der Streit, ob “Burnout” von den von ihm Betroffenen “selbst gemacht” ist, oder von den Arbeitsbedingungen verursacht wurde, ist uralt. In den Redaktionen wird das Thema in überwiegend als individuelles Verhaltensproblem behandelt. Über den tägliche Rechtsbruch im Arbeitsschutz wird dagegen kaum berichtet.

Liegen die Ursachen für psychische Fehlbelastungen bei den Arbeitsbedingungen oder beim Ausgebrannten? Dumme Frage. Tatsächlich trifft beides zu. Noch etwas tiefer geht beispielsweise ein Dreiebenenmodell.

Tatsache ist jedoch auch, dass ein Großteil der Arbeitgeber die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz missachtet. Das ist konkreter darstellbar, als das komplexe Ursachengemenge für psychische Fehlbelastungen, an dem in den Redaktionen schon seit langer Zeit herumspekuliert wird. Die Bundesarbeitsministerin meinte Ende Dezember 2011 zu seelischen Belastungen am Arbeitsplatz, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen” (Von der Leyen kündigt Kampagne an, 2011-12-28). Es gibt inzwischen genug Untersuchungen, die Ursula von der Leyens Feststellung bestätigen. Interessant ist nun, dass der Rechtsbruch der Unternehmen, die seit 1996 die Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes missachten, in den Medien kaum angesprochen wird. Bis zu wichtigen BAG-Beschlüssen im Jahr 2004 war das vielleicht noch nicht so klar. Aber angesichts des heute vorhandenen Wissens muss inzwischen bei vielen Fällen wohl von einer vorsätzlichen Verschleppung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ausgegangen werden. Das gesetzeswidrige Verhalten der Mehrheit der Arbeitgeber ist dermaßen offensichtlich und nun auch offiziell bestätigt, dass sich auch DIE WELT geradezu anstrengen muss, diese Tatsache zu ignorieren.

Dabei sind Redaktionsarbeitsplätze überwiegend Bildschirmarbeitsplätze, an denen sich dank der Bildschirmarbeitsverordnung besonders einfach überprüfen lässt, ob der Arbeitgeber die Regeln des Arbeitsschutzes beachtet. Wenn Sie selbst als Redakteurin oder Redakteur an so einem Arbeitsplatz sitzen, dann stellen Sie einmal die Frage, “wie bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen bei Bildschirmarbeitsplätzen die Sicherheits- und Gesundheitsbedingungen insbesondere hinsichtlich psychischer Belastungen ermittelt und beurteilt werden, sowie welche konkreten Prozesse und Beispiele es dazu im Betrieb gibt.” Oder stellen sie die Frage lieber nicht, weil Sie Nachteile befürchten? Diese Furcht wäre dann schon eine Antwort auf die Frage nach dem Funktionieren des Arbeitsschutzes in Ihrer Redaktion. (Und ihren braven Betriebsrat müssten Sie wohl auch erst einmal aufwecken.)

Eine möglicher Grund dafür, dass die “vierte Gewalt” (die Journalisten) offensichtlichen Rechtsbruch nicht thematisiert, könnte darin bestehen, dass Rechtsthemen wie “Arbeitsschutz” einfach zu unsexy sind. Vielleicht ist es aber heute auch uncool, auf Schutzbestimmungen zu vertrauen. Aus Sicht von konflikterprobten Journalisten brauchen vielleicht nur Weicheier und Warmduscher einen Arbeitsschutz. Echte Kämpfer sorgen eigenverantwortlich für ihre Gesundheit. Sie lassen sich nicht von irgendwelchen “Arbeitsschutzbürokraten” bevormunden.

Auch könnte es sein, dass der vorgeschriebene Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht für realistisch gehalten wird. “Gefährdungsbeurteilung? Wie soll das funktionieren?” Darüber könnte man ja durchaus diskutieren, aber selbst Kritik an der Arbeitsschutzgesetzgebung ist in den Medien nicht zu finden.

Vielleicht gibt es noch eine ganz praktische Erklärung: In den Unternehmen ist das Thema der psychischen Belastungen eine ganz heiße Kartoffel. Die meisten Arbeitnehmer wissen nichts über den Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und sollen es wohl auch nicht wissen. (Wie würden Sie in Ihrem Betrieb eingeschätzt werden, wenn Sie danach fragen? Probieren Sie es doch einfach mal aus.) Auch Zeitungen sind Unternehmen mit Arbeitnehmern. Vermutlich wird auch in diesen Unternehmen mehrheitlich gegen die Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstoßen. Scheuen sich Journalisten also, das Thema der seelischen Belastungen am Arbeitsplatz anzusprechen, weil dann Konflikte mit den Redaktionsleitungen zu befürchten sind, die - wie die Bundesarbeitsministerin das so schön ausdrückte - das Thema schleifen lassen?

Besonders wenn sich Journalisten, die in ihrem Unternehmen eine Führungspositionen haben, über “Burnout” auslassen, sollten sich Leser, Zuseher und Zuhörer also fragen, ob diese Führungskräfte versuchen, mit ihren Äußerungen ihre eigenen Pflichtverletzungen zu verdrängen. Ihre Mitarbeiter dagegen haben möglicherweise zum Schutz ihrer Karriere die Schere im Kopf. Schwächlinge kann keine Redaktion gebrauchen.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/2012/06/08/manager-magazin-burn-out-ranking/#MedienStress