Archiv für Januar, 2013

Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz systematisch schützen

Montag, 28. Januar 2013 - 22:34

Pressemeldung, 2013-01-28

Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN)

Am 29. Januar 2013 hat das Bundesarbeitsministerium zur Auftaktveranstaltung „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wir machen es zum Thema!” geladen. Vertreter der Sozialpartner, der Kranken- und Unfallversicherungsträger sowie des Bundes und der Länder werden beispielhafte Initiativen vorstellen und diskutieren. Diese Initiative ist ein wichtiger Impuls, wenn er auch längst überfällig anmutet. In der Arbeitswelt ist psychische Gesundheit bereits lange Thema: An den steigenden Zahlen der Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Erkrankungen kommt niemand vorbei – sie machen effektive Prävention vor psychischen Belastungen in der Arbeitswelt dringend notwendig. Die Beschäftigten im medizinischen Gesundheits- und Versorgungssystem sehen und spüren seit Jahren die Folgen der Vernachlässigung dieses Themas. Belastete Arbeitnehmer werden ihren Anforderungen nicht gerecht und fallen krankheitsbedingt aus. Burnoutfolgestörungen chronifizieren, Wiedereingliederungen sind langwierig und nicht immer erfolgreich. Zudem stellen psychische Erkrankungen seit Jahren den häufigsten Grund für Frühberentungen dar.

Bei der Auftaktveranstaltung des BMAS jedoch fehlen Vertreter der fachärztlichen Versorgung und der universitären medizinischen Forschung – und damit auch die Fachleute, die seit langem die Ursache belastungsbedingter Krankheiten erkunden und diese Erkenntnis in die medizinische Behandlungspraxis umsetzen. Die DGPPN hat bereits vor einem Jahr Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Versorgung in einer Task-Force zusammengebracht, um die Diskussion um arbeitsbedingte psychische Erkrankungen zu versachlichen und aus kurzfristig angelegtem Aktionismus zu befreien. Auch auf dem diesjährigen DGPPN Kongress wird das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz wieder im Mittelpunkt stehen. Der Kongress findet vom 27. bis 30. November 2013 in Berlin statt und steht unter dem Motto „Von der Therapie zur Prävention“. ( http://www.dgppn.de/kongress )

Obwohl Prävention bei Gesunden zwar als zentraler Teil des ärztlichen Auftrags in der Beratung von Patienten und Risikopersonen verstanden wird, hat der Gesetzgeber bisher keine tragfähige Basis geschaffen. Bereits 2005 und 2008 sind zwei Initiativen gescheitert, ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen. Während für spezifische Bereiche (z. B. Krebsmedizin) bereits heute gesonderte medizinisch vorbeugende Früherkennungsmaßnahmen eingeführt wurden, bleibt die Lage bei der Prävention psychischer Störungen völlig unzureichend: Die aktuelle Präventionsstrategie der Bundesregierung sieht vor, lediglich bestehende Strukturen zu stärken und beim Bundesgesundheitsministerium eine „ständige Präventionskonferenz“ unter Beteiligung der Haus- und Fachärzte einzurichten. Ein eigenes Gesetz jedoch ist nicht einmal mehr vorgesehen. Erstaunlich ist daher umso mehr, dass das BMAS keine Haus- und Fachärzte einbeziehen will, obwohl die überwiegende Mehrzahl der Risikopersonen gerade bei diesen Rat sucht. Es drängt sich der Verdacht auf: Hier soll ein wichtiges Thema öffentlichkeitswirksam besetzt werden, die Angemessenheit der angezielten Maßnahmen steht weniger im Mittelpunkt. Angesichts des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ist es aus Sicht der DGPPN sehr kurzsichtig, nicht in Prävention zu investieren.

Ein Blick zu unseren europäischen Nachbarn zeigt, dass die meisten Länder entsprechend der EU-Sozialpartnervereinbarung (2004) verpflichtende Regelungen zur Reduktion von psychosozialem Stress am Arbeitsplatz etabliert haben. In Dänemark etwa existieren pragmatische, konkrete und für alle Beteiligten nachvollziehbare Abläufe, um psychische Gefährdungen im Bedarfsfall zu prüfen und ggf. zu beseitigen. Laut einer parteiübergreifenden Vereinbarung besuchen Inspektoren der dänischen Arbeitsschutzbehörde Betriebe mit hohem Risiko für die Gesundheit häufiger, in der Überprüfung sind psychosoziale Risiken am Arbeitsplatz explizit eingeschlossen. Die Ergebnisse der Inspektion sind auf der Internetseite der Behörde für alle transparent einsehbar – z.B. für zukünftige Arbeitnehmer. Zudem steht es jedem Arbeitnehmer frei, sich auch bei psychischen Belastungen in seiner Arbeitsumgebung an die Aufsichtsbehörde zu wenden.

Aus Sicht der DGPPN ist es dringend notwendig, dass auch der Gesetzgeber in Deutschland dem Vorbild der Nachbarländer folgt und dabei v.a. Fachexperten als beratendes Gremium mit einbezieht.

Kontakt
Prof. Dr. med. Wolfgang Maier
Präsident DGPPN
Direktor der Klinik der Psychiatrischen Klinik und Poliklinik
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Sigmund-Freud-Str. 25
53105  Bonn
Tel.: 022828715723
Fax: 0228-287-16097
E-Mail: wolfgang.maier[at]ukb.uni-bonn.de

Download
pm-2013-01-28_Gesundheit_am_Arbeitsplatz [162 KB; PDF]

Interessante Sichtweise, aber der Satz mit den “Risikopersonen” ist problematisch. Es werden ganz “normale” Leute durch “Risikoarbeitsbedingungen” psychisch krank. Besser als Hausärzte, an die sich “Risikopersonen” wenden, wären (wie in Österreich) Betriebspsychologen, die in ihren Betrieben auf gesunde Arbeitsplätze achten.

Die Verdachtsäußerung, dass hier ein wichtiges Thema öffentlichkeitswirksam besetzt werden solle und die Angemessenheit der angezielten Maßnahmen weniger im Mittelpunkt stehe, ist ein bisschen billig. Es ist eher so, dass hier verschiedene Akteure um verschiedene Wege ringen. Da sind dann nicht nur Psychater und Psychologen dabei, sondern Politiker und Juristen, die ganz legitim auch an die Durchsetzbarkeit von Regelungen denken müssen.

Der Hinweis auf Dänemark ist mir zwar sympatisch, aber obwohl das ein Nachbarland ist, sind die kulturellen Unterschiede meiner Ansicht nach leider so groß, dass alleine eine Übernahme dänischer Arbeitsschutzmethoden nicht ausreichen würde. Es ginge dann auch um Führungsstile, um die Stellung der Behörden (an die sich Arbeitnehmer problemloser wenden können, als in Deutschland) gegenüber den Unternehmen, um andere Ansätze bei der Ressoucenverteilung und Teilhabe usw. Der Kulturwandel wäre ziemlich dickes Brett, was da zu bohren wäre. Ich glaube, dass es für uns einfacher ist, von den Österreichern zu lernen.

Ein kleiner Witz, den mir ein dänischer Freund erzählte:
- Däne: “Ich muss zugeben, dass es etwas gibt, was die Deutschen haben, aber wir Dänen nicht.”
- Deutscher: “Oh ja! was ist das?”
- Däne: “Gute Nachbarn!”

Aufsichtsstelle an der Grenze

Montag, 28. Januar 2013 - 07:59

http://www.hh-heute.de/depressionen-weiter-auf-dem-vormarsch/

… Petra Heese, beim DGB Hamburg für das Thema Arbeitsschutz zuständig: „Psychische Gesundheitsgefährdung ist ein zu ernstes Thema, um es lediglich durch eine Selbstverpflichtung der Betriebe zu regeln. Deswegen erwarten wir von der Bundesregierung eine deutlichere Ergänzung des Arbeitsschutzgesetzes. Dieses muss aber auch einhergehen mit einer personellen Aufstockung beim Amt für Arbeitsschutz, zum Beispiel hier in Hamburg. Im Bundesschnitt führen lediglich zwanzig Prozent der Betriebe die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsanalyse unter Berücksichtigung psychischer Belastungen durch. Das zeigt, dass diese Aufsichtsstelle jetzt schon an ihre Grenzen stößt. Die konkrete Umsetzung und Kontrolle des Gesetzes würde dafür sorgen, dass sich auch die Arbeitsbedingungen der Menschen wieder verbessern.“

Jetzt schon?

Anti-Stress-Verordnung Thema beim Auftakt

Montag, 28. Januar 2013 - 07:42

http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3809176/2013-01-28-bgv-psychische-belastung-arbeitsplatz.html

… Ihre Position werden die Länder auch bei der Veranstaltung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Thema „Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt“ am 29. Januar in Berlin noch einmal verdeutlichen. Dort wird Kristin Alheit, Ministerin für Soziales, Gesundheit, Familie und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein, die Forderungen der Länder u.a. gegenüber Ministerin Dr. Ursula von der Leyen vertreten.

(Link nachträglich eingefügt)

Der Arbeitsschutz kommt in den Medien an

Montag, 28. Januar 2013 - 07:26

http://www.taz.de/Psychische-Belastung-am-Arbeitsplatz/!109865/

Psychische Belastung am Arbeitsplatz
„Ein Raum ohne Telefon“

Arbeitsschützer sollen psychische Belastungen in Betrieben identifizieren – doch viele wissen noch gar nicht, wie. Die Psychologin Hiltraut Paridon erklärt, was man tun kann.
Interview: Eva Völpel

Das ist ein Interview mit Hiltraut Paridon, Institut für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).

… An welchem Punkt sagen Sie, hier muss sich etwas ändern?

Es gibt bei psychischen Belastungen keine allgemeingültigen Grenzwerte. Deshalb muss der Betrieb festlegen, ab wann er reagiert. Wenn beispielsweise über 70 Prozent der Belegschaft die Kommunikation kritisiert, sollte man Maßnahmen ergreifen. …

Wie man das macht, vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmer miteinander. Die Betriebs- und Personalräte haben hier eine Mitbestimmungspflicht. D.h., die Arbeitnehmervertretung muss mitbestimmen.

Die Änderung des ArbSchG ist eine Klarstellung

Sonntag, 27. Januar 2013 - 23:55

Petition an den Bundestag (2009-01-18):

Petition 1902

Betrieblicher Arbeitsschutz – Psychische Belastungen

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, den tatsächlichen Grad des Einbezugs psychischer Belastungen in die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in deutschen Unternehmen durch entsprechende Dienste oder Beauftragte des Bundestages feststellen zu lassen und im Fall einer mangelhaften Umsetzung der Arbeitsschutzgesetzes und vergleichbarer Gesetzte und Vorschriften die personelle Situation der Aufsichtsbehörden so zu verbessern, dass sie ihrer Aufsichtspflicht auch praktisch nachkommen könne. …

Aus der Antwort des Bundestages (2010-02-05, http://blog.psybel.de/petition20090202/#PsyBelArbeitsschutz):

… Der Petitionsausschuss hat zu der Eingabe eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingeholt. Darin führt das BMAS im Wesentlichen aus, dass es die Auffassung des Petenten teile, dass das Thema Psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes sei. Dem BMAS sei auch die Bedeutung des Themas bekannt. Die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der psychischen Komponente bei der Gefährdungsbeurteilung werde daher grundsätzlich unterstützt. …

 
Nun will die Bundesregierung das auch in das Arbeitsschutzgesetz einbauen (http://www.bundesrat.de/cln_227/SharedDocs/TO/906/erl/26,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/26.pdf):

Durch zwei Änderungen im Arbeitsschutzgesetz soll klargestellt werden, dass sich die Gefährdungsbeurteilung auch auf psychische Belastungen bei der Arbeit bezieht und der Gesundheitsbegriff neben der physischen auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten umfasst.

Es handelt sich hier also um eine Klarstellung bereits geltender Regeln. Arbeitgeber werden nach dem Inkrafttreten der Änderung nicht behaupten können, dass es vor dieser Änderung keine Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz gegeben habe. Schon bisher hatten sie mindestens eine Ordungswidrigkeit begangen, wenn sie psychische Belastungen nicht in ihren Arbeitsschutz einbezogen hatten.

In http://www.institut-aser.de/out.php?idart=1438 fand ich:

Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit
kompakt, BDA, Berlin, Oktober 2012
[Meinen Kommentar dazu habe ich in einen eigenen Artikel verschoben, weil er hier nicht so gut hineinpasst.]

Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 21.12.2012 (Änderungsentwurf zum Arbeitsschutzgesetz)
Foliensatz, ASER, Wuppertal, Februar 2013

Die Präsentation ist eine gute und sehr übersichtliche Darstellung des ASER-Instituts zum Bundesregierungs-Entwurfs des BUK-Neuorganisationsgesetzes (BR-Drs. 811/12 vom 21.12.2012). Es geht da um ein Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen. Dieses Artikelgesetz, das “BUK-NOG”, soll auch Änderungen im Arbeitsschutzgesetz regeln.

Nachtrag (2013-02-06): http://www.institut-aser.de/out.php?idart=1446

Nun zu den Details: Mit https://www.google.de/search?q=BUK-Neuorganisationsgesetz+Drucksache+811/12 fand ich eine Information der Bundesregierung zum Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG) (http://dipbt.bundestag.de/extrakt/ba/WP17/500/50024.html). Darüber fand ich wiederum die untenstehenden Veröffentlichungen.

 


http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2012/0811-12.pdf, S. 25 – 26
Bundesrat
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Drucksache 811/12
21.12.12
Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung anderer Gesetze
(BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG)

Artikel 8
Änderung des Arbeitsschutzgesetzes

Das Arbeitsschutzgesetz vom 7. August 1996 (BGBl. I S. 1246), das zuletzt durch …
(BGBl. I S. …) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 4 Nummer 1 werden die Wörter „Leben und“ durch die Wörter „das Leben sowie die physische und die psychische“ ersetzt.

2. § 5 Absatz 3 wird wie folgt geändert:
a) In Nummer 5 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt.
b) Folgende Nummer 6 wird angefügt: „6. psychische Belastungen bei der Arbeit.“

3. In § 13 Absatz 1 Nummer 5 wird das Wort „beauftragte“ durch das Wort „verpflichtete“ ersetzt.

4. § 21 Absatz 5 wird wie folgt geändert:
a) In Satz 2 werden die Wörter „Unfallkasse des Bundes“ durch die Wörter „Unfallversicherung Bund und Bahn“ ersetzt.
b) In Satz 3 werden die Wörter „Eisenbahn-Unfallkasse, soweit diese Träger der Unfallversicherung ist“ durch die Wörter „Unfallversicherung Bund und Bahn, soweit die Eisenbahn-Unfallkasse bis zum 31. Dezember 2014 Träger der Unfallversicherung war“ ersetzt.
c) In Satz 5 werden die Wörter „Unfallkasse Post und Telekom“ durch die Wörter „Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft Post-Logistik Telekommunikation“ ersetzt.

 
S. 66 – 67

Zu Artikel 8 (Änderung des Arbeitsschutzgesetzes)

Zu Nummer 1
Die Regelung stellt klar, dass der Gesundheitsbegriff unteilbar ist und sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit einschließlich der Wechselwirkungen umfasst.

Zu Nummer 2
Die Regelung dient der Klarstellung hinsichtlich der Gefährdungsfaktoren, die bei der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt werden müssen. Die Anpassung zielt darauf ab, das Bewusstsein der Arbeitgeber für psychische Belastungen bei der Arbeit zu schärfen, die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in der Praxis weiter zu steigern und dabei das Augenmerk vor allem auch auf die Berücksichtigung von psychischen Belastungen zurichten. Durch die Formulierung „bei der Arbeit“ wird deutlich gemacht, dass die Klarstellung nicht bezweckt, den Gesundheitszustand der Beschäftigten generell im Hinblick auf alle Lebensumstände zu verbessern. Schutzmaßnahmen werden dem Arbeitgeber weiterhin nur insoweit abverlangt, als Gefährdungen für die physische oder die psychische Gesundheit der Beschäftigten durch die Arbeit auftreten.

Zu Nummer 3
Die Regelung stellt klar, dass Anordnungen zur Durchsetzung von Arbeitsschutzpflichten, die in einer auf der Grundlage des § 19 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) erlassenen Arbeitsschutzverordnung anderen als Personen nach § 2 Absatz 3 ArbSchG auferlegt sind, auch diesen Personen gegenüber getroffen werden können.

Zu Nummer 4
Zu Buchstabe a: Folgeänderung zur Errichtung der Unfallversicherung Bund und Bahn. Im Auftrag der Zentralstelle für Arbeitsschutz beim Bundesministerium des Innern handelt künftig die Unfallversicherung Bund und Bahn, die insoweit der Aufsicht des Bundesministeriums des Innern unterliegt.
Zu Buchstabe b: Folgeänderung zur Errichtung der Unfallversicherung Bund und Bahn.
Zu Buchstabe c: Die bisher der Unfallkasse Post und Telekom übertragene Aufgabe wird im gleichen Umfang auch der Nachfolgeorganisation Berufsgenossenschaft Verkehrswirtschaft PostLogistik Telekommunikation übertragen. Die Aufsicht über die hier als staatliche Arbeitsschutzbehörde fungierende Berufsgenossenschaft führt insoweit das Bundesministerium der Finanzen. Die Vorschriften über die Selbstverwaltung der Sozialversicherung finden keine Anwendung.

 
Anmerkung zu Nummer 2 im Artikel 8 BUK-NOG (§ 5 ArbSchG Absatz 3):

Auch wenn klar ist, dass psychische Belastungen jetzt schon eine vom Arbeitgeber zu beachtende Kategorie des Arbeitsschutzes sind, könnte die Anfügung „6. psychische Belastungen bei der Arbeit.“ die Arbeitgeber dazu verleiten, psychische Belastungen als eine jetzt neu hinzugekommene Kategorie darzustellen und so tun, als ob der Gesetzgeber ihnen für ihre Versäumnisse beim Einbezug psychischer Belastungen die Absolution erteilt hätte.

Nachtrag 2013-10-03: Mit meiner Unkerei lag ich insofern daneben, als dass die BDA ganz korrekt darauf hinweist, dass hier keine Neuregelung vorliegt:

[... es gilt,] dass der Arbeitgeber im Rahmen der allgemeinen Gefährdungsbeurteilung auch zu prüfen hat, ob eine Gefährdung durch psychische Belastung besteht. Zur Klarstellung dieses bereits heute geltenden Grundsatzes soll das ArbSchG in § 5 Abs. 3 Nr. 6 künftig ausdrücklich um den Gefährdungsfaktor „psychische Belastungen bei der Arbeit“ ergänzt werden. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 27. Juni 2013 verabschiedet. [...]

Ich muss mich hier also beim Arbeitgeberverband entschuldigen. Aber ganz falsch war meine Unkerei leider auch wieder nicht: In den Medien wird jetzt schon fälschlicherweise der Eindruck vermittelt, dass der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz z.B. erst seit September 2013 vorgeschrieben sei.

Die als “Die Arbeit ist so zu gestalten, daß eine Gefährdung für das Leben sowie die physische und die psychische Gesundheit möglichst vermieden und die verbleibende Gefährdung möglichst gering gehalten wird;” neu formulierte Nummer 1 in § 4 reicht eigentlich schon. Will man sich aber nicht darauf beschränken und „psychische Belastungen bei der Arbeit“ explizit anfügen, dann wird bei der Interpretation des § 5 z.B. auf die Begründung dieser Änderung hinzuweisen sein: Die Anfügung ist eine Klarstellung.

Übrigens, der Gesetzgeber könnte auch von OHSAS 18001 etwas lernen und in das Gesetz schreiben, dass alle Gefährdungen zu vermeiden oder zu mindern sind, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge haben könnten. Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.

Das führt uns zum nächsten Problem. So wie es nach OHSAS 18001 zertifizierte Unternehmen gibt, die sich wegen schwacher Audits der Zertifizierungsgesellschaften nicht an den Standard halten, gibt es wegen überforderter und unterausgestatteten Gewerbeaufsichten auch die große Mehrheit der Unternehmen, die die jetzt schon bestehende Forderung nach Einbezug psychischer Belastungen locker missachten durften. In beiden Fällen ist das gemeinsame Problem die mangelnde Durchsetzung der Normen. Daran ändert auch die beabsichtigte Änderung des Arbeitsschutzgesetzes nicht viel. Die Vorschläge zur “Anti-Stress-Verordnung” sehen im Vergleich dazu schon besser aus.

 


http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2012/0811-1-12.pdf, S. 4 – 6
Bundesrat
Drucksache 811/1/12
21.01.13
Empfehlungen der Ausschüsse AS-Fz-R-Wi
zu Punkt … der 906. Sitzung des Bundesrates am 1. Februar 2013

Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zurÄnderung anderer Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz - BUK-NOG)

Der federführende Ausschuss für Arbeit und Sozialpolitik (AS),
der Rechtsausschuss (R) und
der Wirtschaftsausschuss (Wi)
empfehlen dem Bundesrat, zu dem Gesetzentwurfgemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen:

6. Zu Artikel 8 Nummer 2a – neu – (§ 6 Absatz 1 Satz 3 und Satz 4 ArbSchG)

In Artikel 8 ist nach Nummer 2 folgende Nummer einzufügen:
“2a. In § 6 Absatz 1 werden die Sätze 3 und 4 gestrichen.”

Begründung:
    In § 6 Absatz 1 Satz 3 ArbSchG werden Betriebe mit zehn oder weniger Beschäftigten von der Pflicht zur Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung ausgenommen. Satz 4 konkretisiert Satz 3 bezüglich der Feststellung der Zahl der Beschäftigten.
    Die Streichung von Satz 3 stellt klar, dass die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung bereits ab dem ersten Beschäftigten erforderlich ist. Diese Pflicht ergibt sich aus der dem Arbeitsschutzgesetz zugrunde liegenden Richtlinie 89/391/EWG über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit.
    Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie 89/391/EWG bestimmt, dass die Mitgliedstaaten in einzelstaatlichen Vorschriften festlegen, welche Dokumente betreffend einer Gefährdungsbeurteilung und der durchzuführenden Schutzmaßnahmen vom Arbeitgeber zu erstellen und vorzuhalten sind. Damit kann zwar Art und Umfang der Dokumentation einzelstaatlich unterschiedlich geregelt werden, nicht aber auf eine Dokumentation verzichtet werden.
    Im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens zur Umsetzung der Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a und 10 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 89/391/EWG gegen die Bundesrepublik Deutschland (Rechtssache C-5/00) führte die Bundesregierung aus, dass sich eine Dokumentationspflicht ab dem ersten Beschäftigten bereits durch Einbeziehung des Gesetzes über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit [ASiG] in Verbindung mit § 15 Absatz 1 Nummer 6 [Unfallverhütungsvorschriften] Siebtes Buch Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Unfallversicherung – und den Unfallverhütungsvorschriften ergäbe. Diesen Argumenten folgte der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 7. Februar 2002 im Wesentlichen. Zur Rechtsklarheit ist jedoch eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz selbst unbedingt erforderlich.
    Die Änderung des § 6 Absatz 1 ArbSchG ist notwendig, da einem Arbeitgeber mit zehn oder weniger Beschäftigten nicht zugemutet werden kann, die tatsächlich vorhandene, generelle Dokumentationspflicht aus anderen Rechtsvorschriften herzuleiten. Dies führt regelmäßig zu Problemen beim Vollzug, da den Arbeitgebern erst die geltende Rechtslage erläutert werden muss. Mit einer Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz lässt sich hierzu Rechtsklarheit herstellen.
    Daneben kann der ursprünglich beabsichtigte Regelungszweck einer Entlastung von Kleinbetrieben vom bürokratischen Aufwand der Dokumentation in der Praxis ohnehin nicht mehr erreicht werden, da andere Rechtsvorschriften, die diese Betriebe ebenfalls zu berücksichtigen haben (zum Beispiel Gefahrstoffverordnung, Arbeitsstättenverordnung), eine Gefährdungsbeurteilung bereits ab dem ersten Beschäftigten fordern.

7. Zu Artikel 8 Nummer 3 Buchstabe b – neu – (§ 13 Absatz 3 – neu – ArbSchG)
In Artikel 8 ist Nummer 3 wie folgt zu fassen:
’3. § 13 wird wie folgt geändert:
a) In Absatz 1 Nummer 5 … < weiter wie Vorlage >
b) Folgender Absatz wird angefügt:
“(3) Soweit in einer Rechtsverordnung aufgrund der §§ 18 und 19 anderen als den in § 2 Absatz 3 genannten Personen Pflichten auferlegt werden, sind diese Personen ebenfalls verantwortliche Personen im Sinne dieses Gesetzes.” ‘

Begründung:
    § 22 ArbSchG regelt die Befugnisse der Aufsichtsbehörden gegenüber dem Arbeitgeber und den verantwortlichen Personen im Sinne des § 13 ArbSchG. Insbesondere sind Anordnungen nach § 22 Absatz 3 Satz 1 ArbSchG nur gegenüber diesem Personenkreis möglich. Bislang sind daher keinerlei Anordnungen zur Durchsetzung von Arbeitsschutzpflichten möglich, die in einer Arbeitsschutzverordnung gemäß § 19 ArbSchG anderen Personen auferlegt werden. Dieses Problem besteht insbesondere für die Pflichten des Bauherrn nach § 4 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz auf Baustellen (BaustellV) sowie den Pflichten des auf einer Baustelle tätigen Unternehmers ohne Beschäftigte nach § 6 BaustellV. Durch Aufnahme des neuen Absatzes 3 in § 13 ArbSchG wird diese Regelungslücke geschlossen.

Anmerkung: In diesem Text finden Sie einen nützlichen Hinweis zur Dokumentationspflicht. Arbeitgeber behaupten gelegentlich, das die Umsetzung der Dokumentationspflicht nicht geregelt sei und legen dann wenig aussagekräftige Gefährdungsbeurteilungen vor, deren Zustandekommen nicht ausreichend nachvollziehbar ist. Oft gibt es in den Betrieben aber Managementsysteme, die die Qualität der Dokumentation sichern sollen. Es kann dann nicht sein, dass die Dokumentation für den Arbeitsschutz schlechter ist, als die Dokumentation für Geschäftsprozesse. Betriebs- und Personalräte sollten sich dann mit der Norm ISO 9001 und ggf. den Standards BS OHSAS 18001 bzw. ILO-OSH auskennen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten dafür sorgen, dass die Dokumentation in internen und externen Audits thematisiert wird.

 


Nachtrag 2013-02-01

http://www.bundesrat.de/cln_227/SharedDocs/Drucksachen/2012/0801-900/811-12_28B_29,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/811-12(B).pdf, S. 3 – 4

Bundesrat Drucksache
01.02.13
811/12 (Beschluss) Stellungnahme des Bundesrates

Entwurf eines Gesetzes zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und zur Änderung andere Gesetze (BUK-Neuorganisationsgesetz – BUK-NOG)

Der Bundesrat hat in seiner 906. Sitzung am 1. Februar 2013 beschlossen, zu dem Gesetzentwurf gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes wie folgt Stellung zu nehmen: …

Der Entwurf wurde unverändert übernommen.

Mit neuen Mehrheiten im Bundesrat

Sonntag, 27. Januar 2013 - 17:41

http://www.zeit.de/karriere/2013-01/anti-stress-verordnung-spd

Arbeitsschutz

SPD will Anti-Stress-Verordnung durchsetzen …

… Eine von SPD-geführten Bundesländern im Bundesrat vorgeschlagene Anti-Stress-Verordnung sei im vergangenen Jahr am Widerstand der Union gescheitert, sagte Schwesig. “Frau von der Leyen kann nun zeigen, ob sie es ernst meint, wenn wir die Initiative mit neuen Mehrheiten im Bundesrat erneut einbringen.” …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/schutzluecke-beim-arbeitsschutz-schliessen/

Der IHK geht es vor allem um Haftungsvermeidung

Sonntag, 27. Januar 2013 - 16:16

IHK Düsseldorf, http://www.duesseldorf.ihk.de/Industrie_Innovation_Umweltschutz/Umwelt/1285488/Arbeitschutz.html

… Die Pflicht zur Durchführung von Arbeitsplatzanalysen besteht nach dem Arbeitsschutzgesetz generell für jeden Betrieb. Eine schriftliche Dokumentation wird immer empfohlen, da der schriftliche Nachweis vor Haftungsproblemen schützt. …

Da sieht man, worum es den Unternehmern aus der Sicht einer IHK vor allem geht. Ist Haftungsvermeidung nicht ein bisschen zu negativer Motivator? Der positive Ansatz wäre: Eine schriftliche Dokumentation wird immer empfohlen, da der schriftliche Nachweis bei der Maßnahmenableitung aus der Gefährdungsbeurteilung hilft. Außerdem wird die Gefährdungsbeurteilung z.B. für die Arbeitnehmer, für deren Vertreter und für Aufsichtspersonen sowie sonstige Auditoren nachvollziehbar. Müssen hier die Grundlagen der Qualitätssicherung erläutert werden?

Kleiner Hinweis: Der Arbeits- und Gesundheitsschutz dient dazu, die Mitarbeiter zu schützen.

 
Arbeitsschutz in kleinen und mittleren Unternehmen, http://www.duesseldorf.ihk.de/linkableblob/1285128/.3./data/M5_Arbeitsschutz_Broschuere-data.pdf


Psychische Belastungen des Arbeitnehmers                                    ja ( )  nein ( )
Über-/Unterforderung; Handlungsspielraum/Verantwortung;
Soziale Bedingungen; Arbeitszeit; Alkohol- und Drogenmissbrauch

Eine weitergehende Beurteilung des Arbeitsplatzes ist bei besonderer psychischer Beanspruchung (z.B. bei überwiegender Datenerfassung) erforderlich.

Anmerkung: Bei der Gefährdungsbeurteilung geht es um die Eigenschaften von Arbeitsplätzen, Arbeitsbedingungen usw. Alkohol- und Drogenmissbrauch ist keine Eigenschaft von Arbeitsplätzen.

Zur Checkliste: Das ist eine typische Liste, mit der bei Gefährdungsbeurteilungen in der Tradition des alten technischen Arbeitsschutzes heute oft noch gearbeitet wird. Manche Sicherheitskräfte (vorwiegend Ingenieure und Techniker) meinen, dass ihnen solche Listen helfen, Rechtssicherheit zu erlangen. Ob das den Zielen des Arbeitsschutzes wirklich weiterhilft? Mit solchen Checklisten kann man psychische Belastungen nicht ernsthaft erfassen. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter müssen hierfür im Betrieb bessere Lösungen finden. Darum ist in der Liste der IHK immerhin der Hinweis ein Pluspunkt, dass eine weitergehende Beurteilung des Arbeitsplatzes ist bei besonderer psychischer Beanspruchung (z.B. bei überwiegender Datenerfassung) erforderlich ist, jedoch nicht nur bei überwiegender Datenerfassung. Es ist ein Irrtum, z.B. die Bildschirmarbeitsverordnung so zu interpretieren.

Die Bildschirmarbeitsverordnung beschränkt die Beurteilung psychischer Belastungen in ihrem § 3 nicht nur auf softwareergonomische Themen, sondern sie macht Bildschirmarbeit zum Kennzeichen von Arbeitsplätzen, an denen eine Beurteilung psychischer Belastungen nach § 5 des Arbeitsschutzgesetzes durchgeführt werden muss. Es reicht nicht, anerkannte Software aus Redmond oder Weinheim zu verwenden, sondern die Geeignetheit aller Arbeitsmittel für die Aufgabenstellung an dem zu beurteilenden Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung (Lärm, Störungen, Unterbrechungen, Zeitdruck usw.) und das Zusammenwirken der Arbeitsmittel sind zu berücksichtigen.

Fünf Argumente der BDA

Sonntag, 27. Januar 2013 - 12:03

“Erfolgsfaktor Psychische Gesundheit” ist ein Positionspapier der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Die Veöffentlichung ist sehr interessant, weil man hier die wichtigsten Argumentationsversuche der Arbeitgeber kennenlernen kann, die größtenteils schon im Jahr 2009 vorbereitet wurden. Da ist zum Beispiel
(1) die schlichte Falschdarstellung, “dass die Ursachen psychischer Erkrankungen meist außerhalb des beruflichen Umfelds liegen.” In dem Papier findet man auch den bekannten
(2) Versuch, die Bereitschaft der Unternehmer anzupreisen, bei der freiwilligen Gesundheitsförderung (das ist nicht der vorgeschriebene Gesundheitschutz) über ihren Verantwortungsbereich hinauszugehen. Die Praxis zeigt, dass dabei der der vorgeschriebene Arbeitsschutz gerne übersprungen wird.
(3) Nicht fehlen darf natürlich der Hinweis auf verbesserte Diagnosemöglichkeiten, die angeblich die Zunahme erkannter psychischer Erkrankungen erklären. Auch
(4) das an die Arbeitnehmer gerichtete Eigenverantwortungsmantra von einer Vereinigung, deren Mitglieder mehrheitlich ihrer Verantwortung nicht gerecht wurden, war schon 2009 dabei.
(5) Das fieseste Argument der Arbeitgeber ist “Arbeit stärkt psychische Gesundheit” in Verbindung mit “Arbeitslose durch psychische Störungen deutlich stärker betroffen”. Kürzlich hatte es Dieter Hundt wieder einmal mit dieser Eristik versucht. - Hier haben wir die ganze BDA-Rhetorik auf zwei Seiten zusammengesammelt, weswegen sich die Lektüre durchaus lohnt.

(Dieser Text war ursprünglich ein Absatz in http://blog.psybel.de/arbschg-aenderung-ist-eine-klarstellung/#Erfolgsfaktor)

Koalition gegen Stress

Sonntag, 27. Januar 2013 - 12:01

Hier einmal ein Beispiel für einen guten Artikel zum Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz: http://www.welt.de/print/wams/wirtschaft/article113157196/Grosse-Koalition-gegen-Stress.html

Welt am Sonntag 27.01.13
Große Koalition gegen Stress

Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik wollen gegen die steigende Zahl der Burn-out-Fälle vorgehen. Dabei sind sie sich nicht einmal über deren Ursachen einig
Von Ileana Grabitz und Flora Wisdorff

Nichts lag dem Arbeitgeberpräsidenten bislang ferner als einzugestehen, dass Arbeit auch krank machen kann: Erst jüngst verwehrte sich Dieter Hundt, Chef der Bundesvereinigung deutscher Arbeitgeberverbände, wieder vehement gegen die Kritik, dass die Unternehmen an der drastischen Zunahme psychischer Erkrankungen zumindest eine Mitschuld tragen könnten. Derlei Erkrankungen seien kein durch Arbeit verursachtes Problem, erklärte Hundt entrüstet. Entscheidend sei vielmehr die persönliche Disposition und das Lebensumfeld der Betroffenen: “Die wesentlichen Ursachen liegen in genetischen und entwicklungsbedingten Faktoren, im familiären Umfeld und im Freizeitverhalten”, war sich der Arbeitgeberpräsident sicher. Die Unternehmen könnten “nicht alles reparieren, was in Einzelfällen in anderen Lebensbereichen schiefläuft”.

So überzeugt Hundt damals urteilte: Kurz vor einem Gipfeltreffen, an dem das Bundesarbeitsministerium, hochrangige Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter erstmals gemeinsam nach Rezepten gegen den Stress am Arbeitsplatz fahnden wollen, schlägt der Verbandschef in der “Welt am Sonntag” nun spürbar sanftere Töne an. …

 
Nun zu einer neuen Argumentationstaktik der Arbeitgeber: http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-01/25802964-stress-am-arbeitsplatz-bda-will-auf-gewerkschaften-zugehen-003.htm

… Auch Hans-Joachim Wolff, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), sieht die Arbeitgeber in der Pflicht: Die Gründe für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz seien zwar vielfältig, betont Wolff gegenüber der “Welt am Sonntag”. Einen zentralen Einfluss habe aber auch das Verhalten der Führungskräfte. Wichtig sei daher, “für jeden Arbeitsplatz eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen, die auch die psychischen Belastungen mit einschließt”. Schon heute habe die DGUV dabei einen Katalog von Leitlinien [http://blog.psybel.de/dguv-infos/] in petto, an denen sich Unternehmen orientieren könnten. Die Arbeitgeber sehen den Handlungsbedarf jedoch vor allem an anderer Stelle: Der Erfolg einer psychotherapeutischen Behandlung hänge wesentlich von der frühen Erkennung und richtigen Einordnung ab, moniert Arbeitgeberchef Hundt. Deshalb sei der Zustand “unhaltbar, dass Betroffene im Schnitt drei Monate auf das Erstgespräch für eine psychotherapeutische Behandlung warten” müssten. “Ich erwarte von der Gesundheitspolitik, den Ärztevereinigungen und den Krankenkassen, dass sie diesen Missstand entschlossen beheben”, so Hundt.

Hier kommt zu den bekannten Argumentationsmustern der BDA noch ein neues (bzw. eine Variation älterer Argumente) hinzu: Die Mahnung, bessere Verhältnisprävention zu betreiben, pariert Dieter Hundt nun mit der Forderung, durch frühzeitigere psychotherapeutische Behandlung individuelles Verhalten zu ändern. Auf den ersten Blick klingt das nach einer Unterstützung erkrankter Menschen, aber Behandlung ist schon keine Prävention mehr. Hier wird ein neuer “Red Herring” in die Debatte geschmissen, der von den vorgeschriebenen Prioritäten ablenkt: Im Arbeitsschutz wird Verhältnisprävention gefordert, nicht Verhaltensbehandlung. Hundt versucht nun, den Schwarzen Peter zu den Psychotherapeuten zu schieben. Die Tricks hören nicht auf.

Selbst die Medien halten sich bei der Feststellung einer Tatsache zurück: 80% der Unternehmen haben psychische Belastungen nicht in ihren Arbeitsschutz integriert. Sie begehen eine Ordungswidrigkeit. Das ist spätestens seit 2004 klar. Die Nachhaltigkeit, mit der sie ihre Pflichten im Arbeitsschutz missachteten, lässt sogar an strafbares Handeln denken. Da ist ja nun wohl etwas Grant erlaubt: Alleine ihrer wirtschaftlichen Stärke ist es wohl zu verdanken, dass die Unternehmen, die diese Vergehen begingen, nicht zur Veranwortung gezogen wurden und eine ausgedünnte Gewerbeaufsicht ziemlich hilflos dabei zusehen musste. So rücksichtsvoll wird beispielsweise mit den wohl weniger “systemrelevanten” und deswegen gnadenloser beaufsichtigten kleinen Harz-IV-Betrügern nicht umgegangen, obwohl diese mit ihren Vergehen kaum Körperverletzungen riskieren. Dass die BDA dann noch entschlossens Handeln bei der Therapie psychischer Krankheiten fordert, ist Chuzpe vom Feinsten.

Ich erwarte von den Arbeitgebern, dass sie die Vorschriften des Arbeitsschutzes entschlossen respektieren. Es mag sein, das der Hinweis auf ihren Rechtsbruch die betroffenen Unternehmer nicht motiviert, ihren Pflichten nachzukommen. Politiker, Gewerkschaften, Behörden und Unternehmensberater sind deswegen diplomatisch. Mir jedoch geht es um eine zukünftig illusionslosere Gesetzgebung. Nicht nur die Erfahrungen mit der “Bankenkrise”, sondern auch mit der modernen “entbürokratisierten” Arbeitschutzgesetzgebung sollten gezeigt haben, dass eine konsequente Aufsicht der Unternehmen unerlässlich ist.

Psychische Erkrankungen: Fehlzeiten zwischen 2007 und 2011 um 50% gestiegen

Samstag, 26. Januar 2013 - 12:14

Die Zeitschrift “Focus” berichtete unter Berufung auf Zahlen der Techniker Krankenkasse wieder einmal, dass psychische Belastungen zunähmen. Die Zahl der Fehlzeiten wegen psychischer Erkrankungen ist zwischen 2007 und 2011 um etwa 50 Prozent gestiegen. Die Zahl der Klinikaufenthalte wegen Depressionen und der Menge der verordneten Antidepressiva hat einen ähnlichen Verlauf genommen. In den Medien wird in diesem Zusammenhang auf die Forderung von DGB-Vorstandsmitglied nach einer Anti-Stress-Verordnung und Sanktionen für Arbeitgeber berichtet. Und Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr grätschte sogleich rein und rief die Unternehmen wieder einmal auf, gesundheitsfördernde Bedingungen zu schaffen. Die sind freiwillig und für die Arbeitnehmer nicht immer kostenlos, wenn sie dafür Geld und Urlaub aufbringen müssen. Vorgeschrieben, von den Arbeitgebern zu bezahlen und von der Mehrheit der Unternehmen (spätestens seit 2004 wissentlich) vernachlässigt wurde dagegen der Arbeitsschutz, ohne den die betriebliche Gesundheitsförderung keinen Sinn macht. Das ist in den Medien anscheinend noch immer nicht so recht angekommen. Für den “Focus” ist Bahr aber in dieser Sache relevant. Auch Chefredakteure lenken als Arbeitgeber gerne mit Betrieblicher Gesundheitsförderung vom strengeren Arbeitsschutz ab.

Für den Arbeitsschutz ist die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen zuständig. Anlässlich des Starts der neuen Arbeitsperiode der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) 2013 – 2018 lädt sie zu der Auftaktveranstaltung “Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Wir machen es zum Thema!” ein. Auf die geplanten Änderungen im Arbeitsschutzgesetz geht der Focus allerdings auch ein: http://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/tid-29210/fehlzeiten-schnellen-nach-oben-neue-initiative-soll-psycho-stress-im-job-eindaemmen-bahr-aufgabe-der-betriebe_aid_906194.html

… Arbeitsministerin von der Leyen hat Ende des vergangenen Jahres immerhin eine Klarstellung im Arbeitsschutzgesetz durchgesetzt. Nun steht dort [langsam, das war zunächst einmal nur ein Kabinettsbeschluss], dass auch übermäßige psychische Belastungen am Arbeitsplatz ein Gesundheitsrisiko darstellen können. [Das gilt nach BAG-Beschlüssen auch jetzt schon!] Für von der Leyen reicht das erst einmal aus, das sei schon „ein sehr scharfes Gesetz“ [für dessen Missachtung die große Menge der Verweigerer aber nicht bestraft wurden], sagt sie und setzt darüber hinaus ebenfalls auf unverbindliche Hilfen und Informationen. Die von den Gewerkschaften geforderte Anti-Stress-Verordnung sieht sie zumindest skeptisch, hat sich aber nicht ausdrücklich festgelegt. Denn die Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer wollen eine solche Verordnung über den Bundesrat durchsetzen – und dort hat die schwarz-gelbe Regierungskoalition keine Mehrheit mehr. …

(Links und Anmerkungen nachträglich eingetragen)