Archiv für Januar, 2014

Fast jede zweite neue Frührente psychisch bedingt

Dienstag, 28. Januar 2014 - 22:29

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) berichtet in http://www.bptk.de/aktuell/einzelseite/artikel/fast-jede-zw.html:

28. Januar 2014
Fast jede zweite neue Frührente psychisch bedingt
BPtK-Studie zu psychischen Erkrankungen und Frührente

Rund 75.000 Versicherte bezogen 2012 erstmals eine Rente wegen Erwerbsminderung aufgrund psychischer Erkrankungen. Sie sind durchschnittlich 49 Jahre alt. Fast jede zweite neue Frührente ist inzwischen psychisch verursacht (42 Prozent). Dabei haben seit 2001 vor allem Depressionen (plus 96 Prozent), Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen (plus 74 Prozent) sowie Suchterkrankungen (plus 49 Prozent) als Grund zugenommen. Psychische Erkrankungen sind seit mehr als zehn Jahren die Hauptursache für gesundheitsbedingte Frührenten – mit großem Abstand vor körperlichen Erkrankungen. [...]

Private dürfen verantwortungslos sein

Dienstag, 28. Januar 2014 - 22:19

http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/kreditwuerdigkeit-bgh-weist-klage-gegen-schufa-ab-a-946013.html

[...] Die Schufa gibt nur über die Ergebnisse der Kreditbewertung von Personen Auskunft. Sie informiert die Verbraucher aber nicht, wie diese Werte errechnet werden, und verweist dazu auf ihr Betriebsgeheimnis. [...]

Das passiert eben, wenn Sicherheitsaufgaben von privaten Wirtschaftsunternehmen durchgeführt werden. Sie können sich leicht ihrer Verantwortung entziehen. Das Geschäftsinteresse hat Vorrang vor Transparenz.

Leider musste ich feststellen, dass die privatwirtschaftlich organisierten Zertifizierer für Arbeitsschutzmanagementsysteme auch nicht transparent arbeiten müssen. Die Arbeitnehmer, die geschützt werden sollen, sind leider nicht die zahlenden Klienten dieser Zertifizierer. An einer Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern sind einige Zertifizierer nicht interessiert, denn die Zeit für Audits ist begrenzt. Wenn Betriebsräte sich einmischen und möglicherweise auch noch die hübschen Präsentationen des auditierten Arbeitgebers in Frage stellen, dann würde das Zeit und Geld kosten. Dabei hilft es den Zertifizierer und ihren Klienten, Auditberichte z.B. als so “vertraulich” einzustufen, dass sie nicht an Betriebsräte weitergegeben werden. So hindern Zertifizierer gemeinsam mit ihren überprüften Klienten die Arbeitnehmervertretungen daran, Audits nachvollziehen zu können.

Die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaften sind auch nicht sonderlich daran interessiert, Audits in Frage zu stellen. Denn die privatwirtschaftlich durchgeführten Audits erleichtert der systemisch überforderten behördlichen Aufsicht ihre Arbeit.

Die Arbeitnehmer haben das Nachsehen.

DGB mit neuem Vorstoß gegen Psychostress

Dienstag, 28. Januar 2014 - 11:30

http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/arbeitswelt/arbeitsbedingungen-dgb-mit-neuem-vorstoss-gegen-psychostress-12772999.html

Arbeitsbedingungen

DGB mit neuem Vorstoß gegen Psychostress

28.01.2014 · Schon länger wünschen sich Gewerkschaften eine Anti-Stress-Verordnung, die Arbeitnehmer vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schützen soll. Weil heute Zahlen zu Fehlzeiten wegen seelischer Leiden herauskommen, gewinnt die Debatte an Fahrt. [...]

Zum FAZ-Artikel:

BGI 650: Bildschirm- und Büroarbeitsplätze

Dienstag, 28. Januar 2014 - 07:37

http://www.bgbau-medien.de/zh/z418/4_1.htm

Balsam für die Betriebsratseele

Donnerstag, 23. Januar 2014 - 12:50

Über http://whitepaper.haufe.de/arbeitsschutz/Abbau-psychischer-Belastungen-am-Arbeitsplatz/ gelangen Sie zu der kostenlosen Präsentation Abbau psychischer Belastungen am Arbeitsplatz von Haufe, “eines der innovativsten Medien- und Softwareunternehmen auf den Gebieten Recht, Wirtschaft und Steuern (RWS) sowie Informationsverarbeitung.” Natürlich soll die Präsentation helfen, Haufes “Arbeitsschutz Office” zu verkaufen, aber wenn das Paket so gut ist, wie die 26seitige Präsentation, dann helfe ich bei der Werbung gerne mit – auch kostenlos :-)

Die Seiten 18 bis 21 sind Balsam für die Betriebsratseele. Beispiel:

[...]

  • Mitarbeitervertretungen sind häufig die ersten, die von den Beschäftigten über Belastungen informiert werden. Sie haben so das ausgeprägteste Problembewusstsein und die besten Kenntnisse.
  • Betriebs- oder Personalräte haben sehr gute Möglichkeiten, das Thema der psychischen Belastungen beim Arbeitgeber anzusprechen und auf eine Behandlung zu dringen. Dies können einzelne betroffene Mitarbeiter so nicht.
  • Betriebs- oder Personalräte müssen im Verlauf eines Projekts zur Analyse und zum Abbau psychischer Belastungen ohnehin einbezogen werden. Besser ist es, wenn sie nicht nur reagieren, sondern von sich aus aktiv werden.

[...]

Aber auch die wirtschaftlichen Vorteile einer guten Gesundheitsförderung kommen in der schön ausgewogenen Präsentation nicht zu kurz. Die Präsentation ist sowohl arbeitnehmer- wie auch arbeitgeberkompatibel.

Übrigens: Der Hinweis von Haufe, dass Betriebsräte nicht nur reagieren, sondern von sich aus aktiv werden sollten, ist tatsächlich nötig. Obwohl einerseits in vielen Unternehmen die Betriebsräte die treibende Kraft beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz sind, gibt es dennoch in zu vielen anderen Unternehmen Betriebsräte, die von der Komplexität des Themas noch überfordert werden.

Es gibt aber auch ein prominentes Beispiel, dass das Thema “arbeitsbedingte psychische Belastung” sogar der Anlass für die Gründung eines Betriebsrates sein kann.

Noch zwei weitere Lesetipps:

Zertifizierer wehrt sich gegen Betriebsratsthemen

Dienstag, 21. Januar 2014 - 16:16

In Facebook hatte ein bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierter Zertifizierer im letzten Jahr einen Lehrgang “Auditor für Arbeitsschutzmanagementsysteme nach BS OHSAS 18001:2007″ angeboten. Ich stellte ihm in einem Kommentar zu seiner Seminar-Ankündigung in Facebook die kurze Frage: “Wurde in dem Seminar die Mitwirkung von Betriebsräten an Audits thematisiert?” Nicht mehr, nicht weniger. Das Zertifizierungsunternehmen löschte diesen Frage.

Viel professioneller und hilfreicher reagiert die TÜV-SÜD-Akademie: https://www.facebook.com/tuevsuedakademie/posts/10152225658444595.

Der Wille zum Rechtsbruch

Sonntag, 19. Januar 2014 - 12:29

Direkt mit psychischen Belastungen hat dieser Beitrag nichts zu tun: http://www.br.de/presse/inhalt/pressemitteilungen/medikamententests-billigstudien-nebenwirkungen-100.html

B5 aktuell / Bayern 2 Medizinische Billigstudien mit Nebenwirkungen

In Europa kommen in großer Zahl Arzneimittel auf den Markt, die unter fragwürdigen Umständen im Ausland klinisch getestet wurden. Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks werden in Russland – wo die Pharmaindustrie besonders viele Studien anfertigen lässt – Medikamententests verfälscht und Nebenwirkungen verschwiegen. Über dieses Risiko für Patienten in Deutschland berichtet die Autorin Christiane Hawranek am Sonntag, 19. Januar 2014 um 9.15 Uhr im “Funkstreifzug” auf B5 aktuell und am Montag, 20. Januar 2014 um 10.05 Uhr im “Notizbuch” auf Bayern 2. [...]

Anständigerweise wurde hier auch dem Risiko für die menschlichen Versuchskaninchen in Russland usw. genügend Sendezeit gewidmet.

Können wir uns in Deutschland Rechtsstaatlichkeit nur leisten, weil wir den zu unserem Wohlergehen anscheinend notwendigen Rechtsbruch in das Ausland verlagern?

Änderung des § 89 BetrVG: akkreditierte Zertifizierer

Sonntag, 19. Januar 2014 - 02:07

In der folgenden Petition an den Deutschen Bundestag geht es um Institutionen außerhalb des Betriebes, gegenüber denen der Betriebsrat (bzw. der Personalrat) in Arbeitsschutz besondere Pflichten und Rechte hat, die im Betriebsverfassungsgesetz beschrieben werden.

Petition 48712 – 19. Januar 2014

Der Deutsche Bundestag möge die folgende Erweiterung in § 89 BetrVG, Satz 2, Abs 1 beschließen:

[Der Betriebsrat] hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierten Zertifizierer und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.

 
Begründung:

Bisherige Regelung:

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz
(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden.
Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.
(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

Zum Beispiel gemäß LV 54 (Veröffentlichung des Länderausschuss für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (LASI)), Anhang, Kapitel 5 “Umgang mit zertifizierten Systemen” gilt:

Der erfolgreiche Abschluss einer Prüfung der Wirksamkeit eines Arbeitsschutzmanagementsystems(AMS) oder vergleichbaren Systems soll zu Entlastungen bei eigeninitiierten Überwachungsmaßnahmen führen. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Betrieb Bescheinigungen, Gütesiegel oder andere Zertifikate, die die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes bewerten, vorlegt und diese die Inhalte und Anforderungen des Nationalen Leitfadens erfüllen. Anlassbezogene Maßnahmen der zuständigen staatlichen Behörden bleiben unberührt. Über die Ergebnisse werden die Unfallversicherungsträger ggf. informiert.

Damit werden die AMS-Prüfer zu “sonstigen in Betracht kommenden Stellen”. Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) und ein AMS-Prüfer (großes Zertifizierungsunternehmen) konnten mir das jedoch nicht bestätigen. Also fehlt wichtigen Akteuren der Arbeitsschutzaufsicht eine klare Grundlage zur Wahrung des Rechts des Betriebsrates, an Audits so beteiligt zu werden, wie bei Inspektionen durch die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft.

Die vorgeschlagene Erweiterung des Betriebsverfassungsgesetzes würde die bestehende Rechtslage so klären, dass Betriebsräte sich eine Teilnahme an Zertifizierungsaudits und Zwischenaudits (z.B. für OHSAS 18001) nicht mühevoll erkämpfen müssen. Es gab in der Vergangenheit Zertifizierungen auch von großen Betrieben, bei denen den Betriebsräten keine Gelegenheit gebenen wurde, in den entsprechenden Audits an der Darstellung der Qualität des Arbeitsschutzmanagements mitzuwirken. Auditierte Betriebe konnten so z.B. die Thematisierung eines fehlenden Gefährdungsbeurteilungsprozesses für psychische Belastungen vermeiden.

Dass AMS-Prüfer “sonstige in Betracht kommenden Stellen” im Sinn des Satz 2 in Absatz 1 sind, ist meine Interpretation. Wenn ich mich irre, dann kann die Auslagerung von Aufsichtsfunktionen von den Behörden zu privaten Zertifizierern die Mitbestimmung im Arbeitsschutz schwächen.

Ich rechne eher nicht mit einer Gesetzesänderung, aber nach meiner Erfahrung werden ernsthafte Petitionen im Petitionsausschuss des Bundestages sehr sorgfältig beantwortet. In diesem Fall könnte die Antwort klären, wie ähnlich das Verhältnis zwischen Betriebsrat und einem bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierer dem Verhältnis ist, das der Betriebsrat zur Gewerbeaufsicht und zur Unfallversicherung hat.

Noch besser wäre diese Formulierung:

[Der Betriebsrat] hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, die bei der Deutschen Akkreditierungsstelle akkreditierten Zertifizierer für Arbeitsschutzmanagementsysteme und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.

§§ 87 und 89 des Betriebsverfassungsgesetzes

Samstag, 18. Januar 2014 - 09:40

Der § 89 BetrVG Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz konkretisiert den § 87 BetrVG Mitbestimmungsrechte. Genau genommen geht es hier nicht um Mitbestimmungsrechte, sondern um Mitbestimmungspflichten. Beide Paragrafen sind keine Beschränkung der unternehmerischen Freiheit, sondern sie verbinden diese Freiheit der Arbeitgeber mit deren Verantwortung für die Arbeitnehmer. Beide Normen schreiben dazu den Arbeitnehmern die Ausübung von Mitbestimmunsrechten vor, denn wenn Arbeitnehmervertretungen auf ihr Mitbestimmungsrecht “verzichten” würden, dann funktionieren gesetzlich vorgeschriebene (und von weisen Leuten gut erklärte) Korrekturmechanismen nicht mehr. Die Mitbestimmungspflicht ist unabdingbar, die Arbeitnehmervertretungen haben sich also daran zu halten. Fehlen ihnen die Ressourcen (Wissen, Rechtsbeistand usw.) dazu, so hilft das nicht als Ausrede, sondern die Arbeitnehmervertreter müssen sich dann diese Ressourcen (Freistellungen, Berater, Rechtsanwälte, Weiterbildung usw.) verschaffen.

§ 87 Mitbestimmungsrechte

(1) Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:
[...]
1. Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb;
[...]
7. Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften;
8. Form, Ausgestaltung und Verwaltung von Sozialeinrichtungen, deren Wirkungsbereich auf den Betrieb, das Unternehmen oder den Konzern beschränkt ist;
[...]

§ 89 Arbeits- und betrieblicher Umweltschutz

(1) Der Betriebsrat hat sich dafür einzusetzen, dass die Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung im Betrieb sowie über den betrieblichen Umweltschutz durchgeführt werden. Er hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.

(2) Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

(3) Als betrieblicher Umweltschutz im Sinne dieses Gesetzes sind alle personellen und organisatorischen Maßnahmen sowie alle die betrieblichen Bauten, Räume, technische Anlagen, Arbeitsverfahren, Arbeitsabläufe und Arbeitsplätze betreffenden Maßnahmen zu verstehen, die dem Umweltschutz dienen.

(4) An Besprechungen des Arbeitgebers mit den Sicherheitsbeauftragten im Rahmen des § 22 Abs. 2 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch nehmen vom Betriebsrat beauftragte Betriebsratsmitglieder teil.

(5) Der Betriebsrat erhält vom Arbeitgeber die Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen, zu denen er nach den Absätzen 2 und 4 hinzuzuziehen ist.

(6) Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat eine Durchschrift der nach § 193 Abs. 5 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch vom Betriebsrat zu unterschreibenden Unfallanzeige auszuhändigen.

Damit es klar ist:

  • Der Betriebsrat hat seine Aufgaben unabdingbar zu erfüllen. § 89 gibt ihm nicht nur Rechte, sondern Pflichten. Wo Rechte der Arbeitnehmervertretung als Pflichten formuliert sind, kann sie nicht auf die Ausübung dieser Rechte verzichten. Arbeitgeber, die die Arbeitnehmervertretung bei der Ausübung ihrer Pflichten behindert, begehen eine Straftat.
  • Zu den im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz und betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen zählen auch Audits (sowohl von internen wie auch von externen Auditoren) für OHSAS 18001 und ISO 14001, denn sie dienen der Systemkontrolle z.B. von Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsystemen und damit der Entlastung der behördlichen Aufsicht. Diese Entlastung bedeutet natürlich nicht, dass die Arbeitnehmervertreter von den nun in die Systemkontrolle verlagerten Aufsichtsaufgaben ausgeschlossen werden können.
  • Zu den Niederschriften über Untersuchungen, Besichtigungen und Besprechungen zählen auch die Berichte, die bei Audits für OHSAS 18001 und ISO 14001 erstellt werden. Der Arbeitgeber hat hier eine Bringschuld.
  • In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben gilt, dass die Dokumentation nur von Unfällen nicht ausreicht. Es sind alle Vorfälle nach Definition 3.9 und 3.8 (OHSAS 18001:2007) zu dokumentieren, also nicht nur meldepflichtige Unfälle, sondern alle Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Das kann der Betriebsrat basierend auf OHSAS 18001 verlangen. (Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.)
  • Gesetzestext: § 89 BetrVG
  • Betriebsverfassungsgesetz im Arbeitsschutz

Arbeitsschutzauditoren schützen zuerst den Arbeitgeber

Donnerstag, 16. Januar 2014 - 21:45

Unternehmen können sich ihr Arbeitsschutzmanagementsystem (AMS) von externen Auditoren zertifizieren lassen. Das folgende Beispiel zeigt, wie ein Arbeitgeber einen Mitarbeiter massiv bedrohen konnte ohne die sich daraus ergebende psychische Gefährdung dokumentieren zu müssen. Die Auditoren des Zertifizierungsunternehmens unterstützten den Arbeitgeber nämlich dabei, eine Erfassung und Beurteilung der vom Arbeitgeber verursachte psychische Gefährdung zu vermeiden. Man sieht: Der nun auch ausdrücklich im Gesetz geforderte Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz kann mit auf Arbeitgeberinteressen zugeschnittenen Auditstrukturen ausgehebelt werden. Die folgende Geschichte ist eine Fiktion. Könnte sie sich aber auch tatsächlich ereignet haben?

 
Der psychisch gefährdende Vorfall:

Arbeitnehmer AN wird mit arbeitsorganisatiroschem Prozess P fehlbelastet. Er meldet das dem Arbeitgeber AG. Arbeitgeber AG bedroht daraufhin AN mit einer dessen berufliche Existenz betreffenden Maßnahme B. AN fordert über Rechtsanwalt RA Rücknahme der Maßnahme B, ansonsten werde AN den AG verklagen. Betriebsrat BR unterstützt den AN und fordert ebenfalls Rücknahme von B. Nach 3 Monaten zieht AG die Maßnahme B tatsächlich zurück, denn er hätte sie vor Gericht nicht rechtfertigen können.

Sechs Kollegen von AN melden ebenfalls den Prozess P als fehlbelastend. Erst daraufhin ändert AG den Prozess P, der ja nun nicht mehr so einfach als individuelles Problem der Psyche von AN dargestellt werden kann. Die Verbesserung erfolgt zur Zufriedenheit von AN und Kollegen. Allerdings wird die vor einer Verbesserungsmaßnahme vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung für den Prozess P nicht durchgeführt (was ein Verstoß gegen das Arbeitsschutzgesetz ist). Die durch die Prozessgestaltung vom AG verursachte Gefährdung bleibt also undokumentiert.

AN ist zwar zunächst erleichtert, musste allerdings die Bedrohung 3 Monate lang aushalten (der Urlaub in der Zeit war keine Erholung) und fühlte sich durch AG ziemlich verletzt. Nach Beendigung der Bedrohung treten starke Blutdruckschwankungen auf. Danach folgen innerhalb eines Jahres ingesamt 12 Wochen Arbeitsunfähigkeit, darin 6 Wochen in einer psychosomatischen Klinik wegen burnoutbasierter Depression. Es müsste also untersucht werden, ob die Erkrankung durch die von AG verursachte Bedrohung B und/oder entstanden ist und/oder ob eine bestehende Erkrankung dadurch verschlechtert wurden.

Die Vermeidung der Gefährdungsbeurteilung:

AG hatte sich für sein AMS zur Beachtung der folgenden Definitionen im Sinn der Begriffsbestimmung 3.9 in OHSAS 18001:2007 verpflichtet: Im Arbeitsschutz sind “Vorfälle” arbeitsbezogene Ereignisse, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können. Arbeitsbedingte Erkrankungen sind erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden. AN fordert deswegen, die ihn damals bedrohende Maßnahme A als einen entsprechenden Vorfall einzustufen, der ihn hätte verletzen und/oder erkranken lassen können.

Betriebsrat BR im Betrieb des AG fragt entsprechend bei AG an. AG wendet sich an die von AG bezahlte Zertifizierungsgesellschaft Z und beschreibt Z diesen arbeitsschutzrelevanten (und damit mitbestimmungspflichtigen) Vorgang aus seiner Sicht. AN und BR werden davon nachträglich informiert, hatten also keine Gelegenheit, die Darstellung des AG ggf. zu korrigieren. Z teilt AG mündlich mit, dass AG den Vorfall nicht als Ereignis nach Def. 3.9 behandeln muss. Das bedeutet, dass nach Auffassung von Z die Bedrohung durch B den AN weder hätte psychisch verletzen noch psychisch erkranken lassen können.

AG hat also zusammen mit Z eine Gefährdungsbeurteilung der Bedrohung B vorgenommen, ohne den Betriebsrat z.B. bei der Beschreibung von Z beteiligt zu haben. AG hat damit die Mitbestimmung behindert und Z hat bei diesem Vergehen geholfen.

Betriebsrat BR fordert über AG eine schriftliche Stellungnahme von Z. Nach vier Monaten erhält er sie, kann ihr aber nicht entnehmen, wie AG den Vorfall gegenüber Z dargestellt hatte. (AG hatte bereits an anderer Stelle die Qualität seines AMS falsch beschrieben.) Der Stellungnahme kann man nicht einmal entnehmen, auf welchen konkreten Vorfall sie sich bezieht. Sie bestätigt nur, dass das Zertifizierung des AG nicht in Frage gestellt werde. Die Grundlage, auf der aufbauend Z urteilte, ist also weiterhin unbekannt.

AG hat übriges eine Auditaufgabe in einem anderen Bereich als dem Arbeitsschutz von Z auf einen Mitbewerber von Z übertragen. AG übt also auch Druck auf seinen Dienstleister Z aus. Z wird sich also bemühen, vorwiegend die Interessen des AG zu berücksichtigen. Die Arbeitnehmer haben das Nachsehen.

Kommentar:

Das klingt alles sehr kompliziert. Klar wird aber, dass mit der derzeitig möglichen Praxis des Zertifizierungsgeschäfts ein zertifiziertes Arbeitsschutzmanagement Arbeitgebern helfen kann, die Erfassungen arbeitsbedingter psychischer Gefährdungen erheblich zu erschweren. Das Zertifizierungsgeschäft ist zuerst Arbeitgeberschutz, und danach erst Arbeitnehmerschutz.

Es gibt zwar sorgfältiger arbeitende Zertifizierungsgesellschaften als Z, die auch die Mitbestimmung zu beachten versuchen, aber da der Arbeitgeber sich seinen selbst Zertifizierer aussucht und bezahlt, wird er den Zertifizierer aussuchen, der am wenigsten Kosten und Schwierigkeiten verursacht. Und für viele Arbeitgeber bedeutet Mitbestimmung eben “Schwierigkeiten”.

Beaufsichtigt werden die Zertifizierungsgesellschaften von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), wenn sie bei der DAkkS akkreditiert sind. Die Gesellschafter der DAkkS sind (a) Das Bundeswirtschaftsministerium, (b) der BDI und (c) die Länder. Ich hoffe, dass die neue Führung des BMWi der DAkkS bei der Überwachung von Audits im Arbeitsschutz mehr Freiraum und Durchsetzungsfähigkeit geben wird. Es wäre außerdem gut, wenn das BMAS ein weiterer Gesellschafter werden könnte, denn die DAkkS muss ja Audits nicht nur im Interesse der Wirtschaft überwachen.

Behinderung der Mitbestimmung:

Ein großes Problem im Zertifizierungsgeschäft in Deutschland ist, dass dabei sogar eine Straftat möglich ist, wenn Betriebsräte an Arbeitsschutz-Audits nicht beteiligt werden. Der § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes steht immer noch über Vertraulichkeitsvereinbarungen zwischen Zertifikator und Klient. Das Betriebsverfassungsgesetz darf hier nicht straflos ignoriert werden können. (Z vermeidet Betriebsratskontakt und möchte z.B. die Frage nicht beantworten, ob Audits “Besichtigungen” im Sinn des § 89 sind.) In den Niederlanden wird es den Unternehmen nicht so leicht gemacht, bei Audits ihres Arbeitschutzmanagementsystems die Mitbestimmung auszuschalten. Ich bitte die DAkkS, von den Niederlanden zu lernen.