Archiv für Januar, 2014

Durchökonomisiert

Donnerstag, 16. Januar 2014 - 08:02

Besprechung des Buches Und ich? Identität in einer durchökonomisierten Gesellschaft (http://www.zeit.de/kultur/literatur/2014-01/paul-verhaeghe-und-ich):

Sachbuch “Und ich?”

Unsere vorgegaukelte Freiheit

“Identität ist Ideologie”, behauptet Paul Verhaeghe. In seinem neuen Buch weist er dem neoliberalen System die Schuld an unserer psychischen Verfassung zu. von Anja Kümmel [...]

Das war schon ein Problem, bevor es das “neoliberale System” gab:

Das Gehirn des modernen Menschen ist ökonomisch verseucht.

Herrmann Broch, Massenwahntheorie. 1939 bis 1948.
3. Teil, Kapitel 5.8. Totalwirtschaft und Totalversklavung

BGM und BGF

Donnerstag, 16. Januar 2014 - 07:22

Haufe erklärt kurz das “Betriebliche Gesundheitsmanagement” (BGM) und die “Betriebliche Gesundheitsförderung” (BGF). Dabei wird Bezug zum Arbeitsschutzgesetz genommen ()http://www.haufe.de/personal/personal-office-premium/betriebliches-gesundheitsmanagement-zusammenfassung_idesk_PI10413_LI1604823.html

[...] Auch wenn BGM keine direkte gesetzliche Verpflichtung für den Arbeitgeber ist, bilden das Arbeitsschutzgesetz sowie die einschlägigen Rechtsverordnungen, wie z. B. Arbeitsstättenverordnung, Bildschirmarbeitsverordnung oder Gefahrstoffverordnung eine wichtige rechtliche Orientierung. [...]

Das Arbeitsschutzgesetz hilft also beim BGM: BGM kann den Arbeitsschutzes teilweise oder ganz enthalten, muss aber nicht. Weil im Arbeitsschutz eine starke Mitbestimmungspflicht besteht, muss ein Arbeitgeber klar machen, welche Maßnahmen zum Arbeitsschutz beitragen können und welche nicht. Er darf die Möglichkeiten, die eine unklare Abgrenzung hier bietet, nicht dazu benutzen, die Arbeitnehmervertretung zu hintergehen: Werden Maßnahmen als BGM-Maßnahmen durchgeführt, dann aber Auditoren und Zertifizierern ohne Zustimmung des Betriebsrates als Arbeitsschutzmaßnahme verkauft, dann kann das eine vorsätzliche Irreführung der Arbeitnehmervertreter und der Aufsicht sein. Eine gute Arbeitnehmervertretung lässt solche Tricks nicht zu.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/instrumentalisierung-der-dakks-fuers-zertifizierungsgeschaft/

Goinger Kreis verwendet das Wort “Arbeitsschutz” anscheinend nicht so gerne

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 23:15

http://www.goinger-kreis.de/50-0-Gesunde+Unternehmen.html

Wir stehen für [...] ein Verständnis von Gesundheitsmanagement im breiteren Sinne: die Prävention von Unfällen und arbeitsbedingter Krankheit müssen [sic!] über die gesetzlichen Vorschriften und arbeitsmedizinischen Vorschriften hinausreichen. Vielmehr sind wir überzeugt, dass Unternehmen auch präventiv-medizinische Handlungsfelder der Gesundheitsförderung identifizieren und sich selbst zu Aktivitäten für Gesundheit und Wohlbefinden am Arbeitsplatz verpflichten müssen. [...]

Sachte sachte. Bevor über den Arbeitsschutz hinausgereicht wird, sollte man erst einmal die Anforderungen des Arbeitsschutzes erfüllen. Wo finde ich im Webauftritt des Goinger-Kreises etwas dazu?

[...] Wir brauchen [...] mehr Aufmerksamkeit und Unterstützung durch das Top Management, um die Relevanz des Themas im mittleren Management und bei den Mitarbeitern zu verdeutlichen. [...]

Die Initiative für gesunde Arbeit geht erfahrungsgemäß eher von den Betriebsräten aus, als vom Top-Management. Wenn das Top-Management nun diejenigen von gesunder Arbeit überzeugen will, die das Thema zuerst auf den Tisch gebracht haben, dann nennt man das wohl “Chuzpe”.

Soweit zur Personaler-Vereinigung “Goinger Kreis”. Und nun wieder (wie in letzter Zeit so oft, wenn ich Äußerungen von Arbeitgeberorganisationen kritisiere) der Hinweis auf einen guten Beitrag der Arbeitgeber: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz - Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung - Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber. Die BDA hat hier gute Arbeit geleistet.

Mitbestimmung bei QM-Systemen

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 20:21

http://qm-blog.certqua.de/was-sie-ueber-die-betriebliche-mitbestimmung-bei-der-einfuehrung-eines-qm-systems-wissen-muessen/

[...]

5. Audits und Zertifizierungen

Ist das QM-System eingeführt und soll [es] durch eine externe Organisation zertifiziert werden, finden Audits durch interne und externe Auditoren statt. Sie umfassen die Kontrolle darüber inwiefern das QM-System durch die Mitarbeiter auch tatsächlich gelebt wird. Die Kontrolle eröffnet jedoch kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Einzig die Benennung der internen Auditoren bedarf einer Zustimmung des Betriebsrates.

Möchten auch Sie Qualitätsexperte im Bildungsmanagement werden und mehr über die Einführung eines QM-Systems und die betriebliche Mitbestimmung erfahren? Dann besuchen Sie die Basisseminare „Qualitätsmanagementbeauftragter“, „Qualitätsmanager“ und „QM-Fachauditor“ der CERTQUA GmbH

(Hervorhebung nicht im Originaltext)

Bei einer so hilfreichen Information zitiere ich die Werbung für Seminare gerne mit. :-)

Aber Vorsicht: Bei Audits vom QMs, die den Arbeits- und Umweltschutz betreffen, herrscht eine erweiterte Mitbestimmung, die in dem Artikel nicht berücksichtigt worden ist.

Manche Arbeitnehmervertretungen wissen nicht einmal, dass sie bei der Auswahl der internen Auditoren mitbestimmen können. Noch schlimmer: Sie interessieren sich nicht dafür. Ihnen erscheint das Thema als zu kompliziert und zu unwichtig. So kann es dann passieren, das Auditoren und Auditierte sich (entgegen der Forderungen in ISO 19011) sehr nahe stehen und die Audits zur Farce werden. Die Geschäftsführungen und Behörden bekommen geschönte Berichte. Arbeitnehmervertreter, die hier nicht aufpassen, schaden damit den von ihnen vertretenen Arbeitnehmern.

In dem Artikel geht es um die Mitbestimmung bei der Einführung von QM-Systemen generell. Und im Satz “Einzig die Benennung der internen Auditoren bedarf einer Zustimmung des Betriebsrates” geht es um Zustimmung. Die Pflichten des Betriebsrates beschränken sich aber nicht auf Zustimmung: Geht es beim QM um Arbeitsschutzmanagementsysteme (z.B. Zertifikations- und Zwischenaudits nach OHSAS 18001), dann ergeben sich u.A. aus dem § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes für den Betriebsrat bzw. für die Personalvertretung starke zusätzliche Rechte und Pflichten.

Gerade bei Audits im Arbeitsschutz geht es nämlich darum, dass die Arbeitnehmer einseitige Darstellungen des Arbeitgebers korrigieren können müssen. (Falschdarstellungen der Qualität des AMS gab es sogar in Geschäftsberichten großer Unternehmen. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssten solche Fehler verhindern.)

Arbeitnehmervertretungen sind vom Arbeitgeber nicht nur über Arbeitsschutz-Audits zu informieren, sondern sie sind hinzuzuziehen. Das gilt auch für Audits durch private Zertifizierungsunternehmen, auf die sich Aufsichtspersonen der Gewerbeaufsicht verlassen (siehe Absatz 5 im Anhang der LV 54). Ansonsten wäre es ja möglich, die Arbeitnehmervertretung durch die Privatisierung von Teilen der Arbeitsschutzaufsicht zu behindern. Oft reicht schon die Anwesenheit eines sorgfältig Protokoll führenden Arbeitnehmervertreters, sicherzustellen, dass die dargestellte Qualität des Arbeitsschutzes den Tatsachen besser entspricht.

Klarstellende Änderung

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 10:13

http://www.depressionsliga.de/aktuelles-beitrag/items/ddl-begruesst-integration-der-psychischen-belastungen-in-die-gefaehrdungsbeurteilung-des-arbeitsschutzgesetzes-557.html

[...] Im vergangenen Jahr hat der Bundestag durch zwei klarstellende Änderungen im Arbeitsschutzgesetz psychischen Belastungen einen höheren Stellenwert eingeräumt. [...]

So ist es. Besser kann man’s kaum noch klarstellen.

Das IST ist im Irrtum

Mittwoch, 15. Januar 2014 - 06:47

In http://www.ist.de/news/4687/psychische-belastungen-jetzt-im-arbeitsschutzgesetz-verankert.html meint das IST-Studieninstitut:

[...] Seit kurzem sind Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet in der Gefährdungsbeurteilung auch die psychischen Belastungen zu erfassen. [...]

Das ist falsch. Diese Änderung des Arbeitsschutzgesetzes ist eine Klarstellung bereits geltenden Rechts.

OHSAS-Zertifizierung ohne Betriebsräte?

Montag, 13. Januar 2014 - 07:52

DNV schreibt in http://www.dnvba.com/de/zertifizierung/Managementsystem-Zertifizierung/Arbeitsschutz-Sicherheit/Pages/BS-OHSAS-18001.aspx:

BS OHSAS 18001: Ziele

Ihr Unternehmen wird erfolgreich nach BS OHSAS 18001 zertifiziert, wenn:

  • eine Arbeitsschutzpolitik umgesetzt wird
  • die Identifikation von Arbeitsschutzrisiken und gesetzlichen Vorschriften erfolgt ist
  • eine Planung, die die kontinuierliche Verbesserung absichert, erstellt ist
  • eine Definition von ausreichenden Management-Aktivitäten, die die Erreichung der Arbeitsschutzziele steuern, vorhanden ist
  • eine Leistungsüberwachung des AMS durch interne Audits und Management Review durchgeführt wird und somit eine kontinuierliche Verbesserung erreicht wird
  • das AMS gemäß den Forderungen des BS OHSAS 18001 dokumentiert und mindestens 3 Monate implementiert ist.

Hierbei muss in Deutschland beachtet werden, dass

  • die Arbeitsschutzpolitik mitbestimmt umgesetzt wird,
  • die Identifikation von Arbeitsschutzrisiken und gesetzlichen Vorschriften (einschließlich der Betriebsverfassungsgesetzes) mitbestimmt erfolgt ist,
  • eine Planung, die die kontinuierliche Verbesserung absichert, mitbestimmt erstellt ist,
  • eine mitbestimmte Definition von ausreichenden Management-Aktivitäten, die die Erreichung der Arbeitsschutzziele steuern, vorhanden ist,
  • eine Leistungsüberwachung des AMS durch interne Audits und Management Review von unabhängigen (im Sinn der ISO 19011) Auditoren mit Beteiligung des Betriebsrates durchgeführt wird und somit eine kontinuierliche Verbesserung erreicht wird,
  • das AMS gemäß den Forderungen des BS OHSAS 18001 in mitbestimmter Weise dokumentiert und mindestens 3 Monate implementiert ist.
  • Interessieren sich Zertifizierungsunternehmen dafür? Ich kenne Fälle in der Vergangenheit, in denen Zertifizierungsunternehmen es nicht merkwürdig fanden, dass der Betriebsrat an Audits nicht teilnahm und keine Ahnung von den Audits hatte. Wie groß ist überhaupt das Interesse der Zertifizierungsunternehmen, die Darstellungen der Arbeitgeber mit deren Betriebsräten zu verifizieren? Stören Betriebsräte bei kostengünstigen Audits? Kann es sein, dass Betriebe nach OHSAS 18001 zertifiziert wurden, in denen entgegen den gesetzlichen Vorschriften der Betriebsrat an den Zertifizierungsaudits in keiner Weise beteiligt wurde?

“Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten”

Freitag, 10. Januar 2014 - 22:34

Ein großes Problem für die Unternehmen: Sie haben zwar inzwischen begriffen, dass psychische Fehlbelastungen ihrem Geschäft schaden, aber manche Unternehmer stört die Möglichkeit der Arbeitnehmer, über die starke Mitbestimmung im Arbeitsschutz den Führungsstil im Unternehmen wirksam beeinflussen zu können. So kann es dann zum Beispiel bei der Umstellung von Regelwerken für den Arbeitsschutz und bei der Einführung von Formularen zur Gefährdungsbeurteilung zu strafbaren Handlungen kommen, wie z.B. die Behinderung der Mitbestimmung. Das wird wohl einer der wichtigsten Gründe des Widerstandes mancher Arbeitgeber gegen die Thematisierung der psychischen Belastung in den Betrieben sein.

http://www.aerztezeitung.de/news/article/852903/kommentar-dihk-umfrage-gesundheit-bleibt-chefsache.html (2014-01-09)

Kommentar zur DIHK-Umfrage
Gesundheit bleibt Chefsache

Bei der Gesundheitsförderung in Unternehmen hat sich “einiges getan”, lobt der Wirtschaftsverband DIHK. Doch es wachsen Zweifel, wenn es gerade in kleinen Betrieben vor allem vom Chef abhängt, ob Gesundheitsvorsorge angeboten wird.

Von Florian Staeck

Ein Lob vorab: Dass der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) den Stand der Gesundheitsförderung in 1500 Unternehmen ermittelt hat, ist zu begrüßen. Die Umfrage bietet eine Datengrundlage, auf der aufgebaut werden kann.

Freilich nutzen Verbände dieses Instrument auch immer, um pro domo Politik zu machen. Das ist beim DIHK nicht anders. Sein Motto lautet: Das vorhandene Engagement der Betriebe ist beeindruckend, weitere gesetzliche Regelungen schaden nur. Dies zeigt sich besonders deutlich in dem Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten.

[...]

Der DIHK hat seiner Umfrage die Überschrift “An Apple a Day….” gegeben – wenn das denn mal so einfach wäre mit der Gesundheit im Betrieb.

(Die Kursivschrift und den Fettdruck habe ich nachträglich in den Kommentar eingearbeitet.)

Der Kommentar wurde von einem Durchblicker geschrieben. Davon müsste es mehr geben.

 
http://www.dihk.de/presse/meldungen/2014-01-08-unternehmensbaromter-gesundheitsfoerderung

[...] Verstärkt auf der politischen Agenda stehe das Thema psychische Gesundheit, berichtete der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer [Achim Dercks] weiter. Die Zahl entsprechender Diagnosen und Krankschreibungen steige; mit Blick auf die vielfältigen Einflussfaktoren sei es jedoch “verfehlt, das Arbeitsumfeld für diese Entwicklungen allein verantwortlich zu machen”. [...]

Der Trick, den Dercks hier versucht, wird langsam langweilig. Die Herumweinerei der Arbeitgeber, dass das Arbeitsumfeld “allein” für psychische Erkrankungen verantwortlich gemacht werde, ist unredlich. Dercks weiß natürlich, dass das nicht der Hauptvorwurf an die Arbeitgeber ist. Mit seiner Klage lenkt er nur vom eigentlichen Vergehen der Mehrheit der Arbeitgeber ab: 80% dieser Unternehmer wollen die psychischen Belastungen an den Arbeitsplätzen ihrer Betriebe nicht einmal beurteilen.

Das ist das “Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten”. Etwa 80% der Arbeitgeber sehen unter den Augen der Gewerbeaufsicht in gesetzeswidriger Weise weg, sind aber sind dreist genug, trotzdem Aussagen zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu machen. Dabei nutzen sie die Überforderung der Auditoren der Gewerbeaufsicht und der Zertifizierungsunternehmen. In einigen Ländern stehen die Aufsichtspersonen der unteren Behörden unter großem Druck unternehmerfreundlicher Ministerien, so dass zur Überforderung der Aufsichtspersonen (durch einen wohl nicht mehr ganz versehentlichen Ressourcenmangel) noch Angst dazu kommt.

Es ist doch klar, dass zum Rechtsbruch bereite Arbeitgeber sich vor strengeren Vorschriften fürchten. Es ist erwiesen, dass im Arbeitsschutz der Zwang, Vorschriften zu beachten, der stärkste Motivator ist. Das Gerede der Wirtschaftsverbände, die Unternehmen seien selbst an gesunden Mitarbeitern interessiert, dient vorwiegend dazu, strengere und deutlichere Vorschriften zu vermeiden. Die Arbeitgeber wehren sich gegen eine Dokumentation, die ihr Haftungsrisiko erhöht. Die Ärztezeitung erkennt:

[...] Nichts fürchten die Wirtschaftsverbände mehr als die von den Gewerkschaften geforderte “Anti-Stress-Regelung” – direkte Interventionen in die Betriebe via Gesundheitsförderung wären dem DIHK ein Gräuel. [...]

Das stimmt übrigens nicht ganz. Bei der “Anti-Stress-Verordnung” geht es um die Durchsetzung des vorgeschriebenen Arbeitsschutzes, nicht aber um die freiwillige Gesundheitsförderung. Direkte Interventionen in die Betriebe via Arbeitsschutz wären dem DIHK ein Gräuel.

Die Unternehmen gehen über den Arbeitsschutz hinaus. Leider ging dabei eine große Mehrheit der Arbeitgeber gleich über wichtige Teile des Arbeitsschutzes hinweg.

Die Unternehmer stellen sich neue Hausaufgaben im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung und des betrieblichen Gesundheitsmanagements, weil sie die ihnen vorgeschriebenen Aufgaben nicht mögen. In der 12 seitigen Schrift des DIHK wird darum auch wieder dieser Trick probiert: Gleich drei mal geht man dort sinngemäß “über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus”. Die Unternehmen gehen aber nicht nur über den Arbeitsschutz hinaus, sondern die große Mehrheit der Arbeitgeber durfte unter den geschlossenen Augen der Gewerbeaufsicht über wichtige Teile des Arbeitsschutzes hinweg gehen, weil sie das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus dem Arbeitsschutz heraushalten wollten. Gehalt und Arbeitszeit sind unangenehm gut mess- und verhandelbar, da blieb den Unternehmen nur noch übrig, mit einer höheren Arbeitsbelastung mehr aus den Leuten herauszuholen. Das ist ein angenehm komplexes Gebiet. Genaueres Hinsehen im Arbeitsschutz stört hier nur.

Die Klientel des DIHK hat in einem freien Land zwar das Recht, Gesetze für schlecht zu halten, aber es muss den von ihr vertretenen Unternehmern wieder abgewöhnt werden, für sich aus ihrer Meinung heraus einfach das Recht abzuleiten, sich über demokratisch beschlossene Gesetze und Vorschriften zu stellen.

 
Ein Lob zum Schluss: Es gibt Unternehmer und Arbeitgeberverbände, die den Arbeitsschutz auch im Bereich der psychischen Belastungen respektieren. Die BDA hat dazu sogar einen sehr guten Praxisleitfaden herausgegeben. Achim Dercks hätte sich den gründlich durchlesen sollen.

TU Dresden: Occupational Health Psychology

Donnerstag, 9. Januar 2014 - 11:58

Curriculum einer Lehrveranstaltung der TU Dresden mit interessanten Hintergrundinformationen zum Stand der Wissenschaft (http://www.psychologie.tu-dresden.de/i2/klinische/mitarbeiter/materialien/hoyer-curriculum-ohp-2012.pdf):

Technische Universität Dresden September 2012
Fachrichtung Psychologie
Berufsfeld-orientierte Vertiefung (BOV)
Occupational Health Psychology

In Zusammenarbeit von:

  • Professur für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Prof. Dr. Jürgen Hoyer
  • Professur für Arbeits- und Organisationspsychologie, Prof. Dr. Jürgen Wegge, Dr. Petra Kemter
  • Professur für Methoden der Psychologie, Dr. Matthias Rudolf

[...]

In den letzten Jahren haben es technische Entwicklungen möglich gemacht, psychopyhsiologische Aktivierungsparameter über 24 Stunden kontinuierlich zu registrieren. Damit können nun auch gestörte Erholungs- und recovery-Prozesse als Indikatoren fehlbeanspruchender Arbeitsgestaltung diagnostiziert werden, was gänzlich neue Möglichkeiten eröffnet, präventive Maßnahmen der Arbeitsgestaltung und von personenbezogenen Stress-Management-Programmen in die Praxis zu überführen. Das viel bemühte Schlagwort der Einheit von Verhaltens- und Verhältnisprävention kann so in Lehre und Forschung eine einheitliche Gestalt annehmen! [...]

Da kommen interessante Herausforderungen auf die Betriebsräte zu, die solch ein Monitoring mitbestimmend begleiten und auf ein Gleichgewicht der verhaltenspräventiven Beobachtung von Menschen und der verhältnispräventiven Beobachtung von Arbeitsplätzen achten müssen.

Das Gesetz gibt der Verhältnisprävention sogar Vorrang, was in Deutschland die Arbeitgeber (soweit sie den Unterschied überhaupt kennen) allerdings bisher nicht daran gehindert hat, im Widerspruch zu den Vorschriften der Verhaltensprävention Vorrang zu geben: Bisher ließen Gewerbeaufsichten und Zertifizierungsauditoren im Bereich der psychischen Arbeitsbelastung Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz sehr großzügig zu. Wird auch das erforscht werden?

Der Ansatz der Arbeitgeber bestand in der Vergangenheit ja erfolgreich darin, Gefährdungsbeurteilungen der von Arbeitsplätzen ausgehenden psychischen Arbeitsbelastung zu vermeiden, damit keine Haftungsgründe dokumentiert werden können. Arbeitgeber ziehen es aller Erfahrung nach aus rechtlichen Gründen vor, die Arbeitnehmer zu “monitoren”, anstatt die Arbeitsplätze in ihrem Verantwortungsbereich beurteilen zu lassen. Wie beeinflusst das die Forschung?

Lob für Ordnungswidrigkeiten

Donnerstag, 9. Januar 2014 - 06:37

Beispiel aus dem Arbeitsschutz: Ein Unternehmen bezog eine Gefährdungskategorie, zu deren Behandlung es verpflichtet ist, nachhaltig nicht in die Gefährdungsbeurteilung mit ein. Das ist mindestens eine Ordnungswidrigkeit. Bei einem ordentlichen Audit nach OHSAS 18001 würde das als Abweichung bewertet werden. Nun kam das Unternehmen auf die Idee, im Jahr 2012 ein Projekt aufzusetzen, mit dem eine Einhaltung der Vorschriften erst erreicht werden soll. Obwohl Konformität mit den Arbeitsschutzvorschriften noch nicht erreicht ist und der akkreditierte Zertifizierer von der noch nicht korrigierten Abweichung Kenntnis hat, bescheinigt er dem Unternehmen einen positiven Aspekt für das Projekt. Die vor Projektabschluss bis 2014 noch bestehende Ordnungswidrigkeit wird auch vom Auditor verschwiegen.

Statt den Schutz der Mitarbeiter sicherzustellen, hilft der Zertifizierer dem Unternehmen, die Unwahrheit zu behaupten, dass es die Bestimmungen des Arbeitsschutzes einhalte. So funktioniert das Zertifizierungsgeschäft eben in der Wirklichkeit. Wissen die DAkkS und die Gewerbeaufsicht, wie verrückt Audits tatsächlich laufen?