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Der menschliche Faktor

Sonntag, 5. August 2018 - 16:22

https://www.psychologie-heute.de/beruf/39372-psychische-gesundheit-und-arbeit.html

Der menschliche Faktor

Viele Unternehmen kümmern sich zu wenig um die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Ein Gespräch mit dem Psychiater Werner Kissling.

Eva-Maria Träger , 11. Jul 2018 …

Zum Weiterlesen in PSYCHOLOGIE HEUTE muss man zahlen, und das ist gut so.

Einen Fehler gibt es in dem Interview: In einer Frage behauptet PSYCHOLOGIE HEUTE, dass es ab 2013 Pflicht sei, die Gefährdungsbeurteilung auch im Hinblick auf psychische Belastungen durchzuführen. Das behaupten auch viele Arbeitgeber gerne, um den Rechtsbruch, den sie früher begangen hatten, zu verbergen. Richtig ist dagegen, dass im Jahr 2013 nur eine Klarstellung seit 1997 geltenden(!) Rechts erfolgte. Es wird aber trotzdem immer wieder versucht, so zu tun, als ob der Schutz der psychischen Gesundheit erst ab 2013 vorgeschrieben sei. Die ständige Wiederholung des Falschen gab es natürlich schon vor Trump.

Das war ein Fehler von PSYCHOLOGIE HEUTE. Der Fokus des Psychaters Kissling liegt natürlich nicht auf rechtlichen Fragen. Er berichtet aber, dass immer noch nur 25% der Unternehmen psychische Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung einbeziehen. Im Jahr 2012 waren es 20%, also eine tolle Leistung der immer noch verschlafenen behördlichen Aufsicht. Kissling beschränkt sich hier richtigerweise auf Fakten, ich dagegen kann mir auch Wertungen erlauben: Der mit 5% doch allzu überschaubare Fortschritt zeigt, wie verantwortungslos Politik und Unternehmern hier immer noch geblieben sind.

Inzwischen wissen wir ja, dass auch die Topunternehmen der deutschen Wirtschaft problemlos gegen Vorschriften verstoßen konnten, deren Einhaltung viel einfacher zu kontrollieren ist, als der Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährungsbeurteilung. Und selbst wenn sie schon mit den Fingern in der Keksdose ertappt wurden, verstoßen Sie munter weiter gegen Recht und Gesetz. Sie machen das, weil sie’s können.

Nach meiner Erfahrung verstoßen Unternehmen gegen ihre Pflicht zu ordentlichen Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen wo immer sie das können, d.h. wo immer nicht sorgfältig und kritisch geprüft wird. Bei der Gefährdungsbeurteilung ist der Grund für den gewohnheitsmäßigen Rechtsbruch einfach: Die Gefährdungsbeurteilung könnte Haftungsgründe dokumentieren. Das könnte teurer werden als Sanktionen bei Verstößen gegen das Arbeitsschutzrecht. Bei der derzeitigen “flexiblen” und “pragmatischen” Einstellung der Politik, der behördlichen Aufsicht und der deutschen Unternehmensleitungen zur Vorschriften und Normen wird es noch einige Zeit dauern, bis es glaubhafte Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen gibt.

Gesundheitsschutz bei Brose?

Mittwoch, 1. August 2018 - 23:09

26 Arbeitstage Arbeitsunfähigkeit bei Brose in Coburg? Was ist da los? Wie sieht der Gefährdungsbeurteilungsprozess aus? Findet die behördliche Aufsicht das nicht merkwürdig? Wie hat die Aufsicht den Betriebsrat befragt?

Nachricht: https://www.br.de/nachrichten/oberfranken/inhalt/1500-jobs-in-gefahr-brose-chef-droht-werksschliessung-in-coburg-an-100.html

Suche: https://www.google.com/search?q=%22gesundheitsschutz%22+site%3Abrose.com

Wegen der Richtlinien des BR wurden die Links aus meinem Kommentar (Nr. 14) zur Nachricht des BR entfernt. Hier ist der Text mit Links (und mit weniger Tippfehlern):

Ich habe versucht, mit https://www.google.com/search?q=%22gesundheitsschutz%22+site%3Abrose.com etwas über den Gesundheitsschutz bei Brose herauszufinden. Das Ergebnis ist ernüchternd. Es scheint gemäß der Stellenanzeige (https://www.brose.com/de-de/karriere/job-betriebsarzt-(m-w)–3454.html) ein “Gesundheitsmanagement” zu geben. Wie aber ist der gesetzlich geforderte verhältnispräventive Gesundheitsschutz (Gegenstand des Arbeitsschutzgesetzes) implementiert? Oder dominiert bei Brose die oft vorwiegend verhaltenspräventiv ausgerichteten freiwilligen Gesundheitsförderung? Die Gewerbeaufsicht wird Brose wohl immer ihren Segen gegeben haben – in einem Land, in dem 2012 das Aufsichtsversagen im Bereich der psychischen Belastungen sogar im Bundestag zum Thema wurde (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf). Ist der Arbeitsschutz zertifiziert (z.B. OHSAS 18001)? Im an GRI4 orientierten Nachhaltigkeitsbericht (https://www.brose.com/de/media/unternehmen-downloads/umwelt/nachhaltigkeitsbericht-brose-gruppe-2017.pdf) erfährt man wenig dazu.

Den link zur Stellenanzeige habe ich noch hinzugefügt.

Politisch gewollter Rechtsbruch in Deutschland

Montag, 26. Februar 2018 - 08:39

Ich kümmere mich kaum noch um dieses Blog, aber möchte diese heutige Meldung doch kommentieren:

https://www.focus.de/finanzen/news/wirtschaftsticker/umfrage-betriebsraete-beklagen-gestiegenen-arbeitsdruck_id_8525605.html

Montag, 26.02.2018, 11:26

Die größeren deutschen Unternehmen sind auf die Herausforderungen der Digitalisierung und des gleichzeitigen demografischen Wandels nicht ausreichend vorbereitet.
Das ist das Fazit einer am Montag veröffentlichten Betriebsrätebefragung der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung in Düsseldorf. [...]

[...] Beim Gesundheitsschutz führten drei von vier Betrieben die vorgeschriebenen Gefährdungsabschätzungen nicht wie vorgeschrieben durch, berichteten die Arbeitnehmer. [...]

Das Gejammer nervt. Hier ist doch nichts mehr neu! Die große Mehrheit der Unternehmer kann sich über Recht und Gesetz stellen, weil das offensichtlich erlaubt ist. Und faktisch erlaubt ist das, weil das Versagen der überforderten und eingeschüchterten behördlichen Aufsicht politisch gewollt ist. Trotz besten Bemühens fällt mir dazu nun wirklich keine bessere Erklärung mehr ein.

Im Jahr 2012 führten 80% der Unternehmen keine Beurteilung psychischer Belastungen durch.

Im Jahr 2018 wird nun berichtet, dass sich immer noch satte 75% der Unternehmen frech über Recht und Gesetz stellen.

Diese Anarchie herrscht seit mindestens 2004, nachdem das BAG die seit 1997 bestehende Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen klarstellte. Das kann kein Zufall mehr sein, sondern geht nur, wenn dieser Rechtsbruch politisch gewollt ist.

Kann man die Mehrzahl dieser Unternehmer und die mit ihnen zusammenarbeitenden Aufsichtsbehörden deswegen “kriminalisieren”? Wie nennt man Leute, die zulassen, dass Menschen durch vorsätzlich mangelhafte Kontrolle arbeitsbedingt krank werden? Diese Art von “Nachhaltigkeit” ist ziemlich ekelhaft. Wie kann man den Rechtsstaat noch schützen, wenn Politiker, die mit ihnen verbundenen Unternehmer und die oberen Behörden die unteren Aufsichtsbehörden (nicht nur im Arbeitsschutz) so ausbremsen, dass sie ihre Aufgabe gar nicht erfüllen können? Solche Politiker leisten vorsätzlich Beihilfe zur Körperverletzung.

Hier gibt’s mehr: https://idw-online.de/de/news689789

Wenn der Staat das Arbeitsschutzgesetz vergisst

Sonntag, 10. Dezember 2017 - 22:15

Als in Hessen versucht wurde, sorgfältig arbeitende Steuerfahnder aus ihrem Job zu mobben, war ich schon neugierig, ob die für diese Leute zuständige Gewerbeaufsicht irgendein Interesse daran gezeigt hatte, den Schutz dieser Menschen vor vorsätzlichen psychischen Fehlbelastungen zu überprüfen. Wenn ja, wie wurde das dokumentiert?

In diesen Tagen gab es Nachrichten über den Dachau-Preis für Zivilcourage, der an Jan-Robert von Renesse vergeben wurde. So wie sein Dienstherr in NRW mit dem Richter insbesondere nach dessen Petition umgegangen ist, hätte auch hier die Gewerbeaufsicht die gesetzlich vorgeschriebene Gewährleistung der Schutzes vor psychischen Fehlbelastungen überprüfen müssen, zumal im Fall des Vorliegens vorsätzlicher psychischer Fehlbelastungen eine vom Arbeitgeber des Richters begangene Straftat vorliegen könnte. Hat der Staat hier seine eigenen Gesetze ignoriert?

Arbeitgeber brauchen Sicherheit, bestraft zu werden

Sonntag, 12. November 2017 - 18:55

Der Vorsitzende der sogenannten “Wirtschaftsweisen”, Christoph M. Schmidt, meinte in der der Welt am Sonntag (2017-11-12), dass die Unternehmen Sicherheit bräuchten, dass sie nicht gesetzwidrig handeln, wenn ein Angestellter morgens beim Frühstück seine Mails liest. Schon wegen dieser Dummheit muß man “Wirtschaftsweise” in Gänsefüßchen schreiben. Professor hin oder her, Christoph M. Schmidt ist nicht weise.

Die Mehrheit der Arbeitgeber stellt sich immer noch über das Arbeitsschutzgesetz: Sie lassen in ihren Betriebe keine Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen durchführen. Dieser “flexible” Umgang mit Gesetzen und Vorschriften ist natürlich nur möglich, weil die Gewerbeaufsichten in diesem Bereich des Arbeitsschutzes weiterhin versagen. Inzwischen bin ich sicher, dass die gut dokumentierten Defizite im Aufsichtshandeln im Arbeitsschutz politisch gewollt sind. Solange Arbeitgeber weiterhin so ungestraft gegen dasArbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen wie ihnen das in der Vergangen erlaubt war, wäre es nicht nur unweise, sondern eine große Dummheit, das Arbeitsschutzgesetz aufzuweichen. Für flexiblere Arbeitszeiten brauchen wir eine Gewerbeaufsicht, der endlich mit einer besseren Ausstattung erlaubt wird, die Betriebe auch tatsächlich kritisch zu beaufsichtigen.

Die Überwachung des modernen ganzheitlichen Arbeitsschutzes ist komplex. Die Überwachung von Arbeitszeiten ist schon einfacher. Allerdings hat man sich in Deuschland hier auch schon an Rechtsbruch gewöhnt. Solange Arbeitgeber ihre Pflicht zur Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes und Schutz der psychischen Gesundheit immer noch vernachlässigen dürfen, darf es keine Arbeitszeitregelungen geben, die noch flexibler sind, als das derzeit schon der Fall ist. Anstelle hier den Arbeitgebern entgegenzukommen, brauchen diese Leute endlich Sicherheit, dass sie für ihre fortgesetzte und vorsätzliche Verletzungen von unabdingbar einzuhaltenden Schutzgesetzen kräftig bestraft werden.

Gefährdungen reichen

Mittwoch, 8. November 2017 - 16:52

https://www.bund-verlag.de/aktuelles~BAG-stärkt-Betriebsrat-im-Arbeitsschutz~?newsletter=BR-Newsletter%2F07.11.2017

[...] Das BAG vertrat seit geraumer Zeit die problematische Auffassung, die Mitbestimmung im Gesundheitsschutz sei eingeschränkt und verlange eine konkrete, im Betrieb nachweisbare Gesundheitsgefahr. Das war vor allem die Auffassung des Urteils vom 11.12.2012 (1 ABR 81/11).

Das neue Urteil [1 ABR 25/15], das diese Auffassung verwirft, ist somit ein Paukenschlag für die Betriebsräte, die im Arbeits- und Gesundheitsschutz tätig sind. Ab sofort brauchen sie nicht mehr eine konkrete Gesundheitsgefahr im Betrieb nachzuweisen, um tätig zu werden. Vielmehr reichen bloße Gefährdungen aus. Damit sind vor allem die Rechte der Betriebsräte im Präventionsbereich deutlich gestärkt. [...]

Wenn BGM zum Arbeitsschutz wird

Dienstag, 19. September 2017 - 11:22

http://www.bund-verlag.de/blog/betriebsrat/psychische-leiden-am-arbeitsplatz-nehmen-zu/?newsletter=BR-Newsletter%2F19.09.2017

AOK-Fehlzeiten-Report 2017
Psychische Leiden am Arbeitsplatz nehmen zu

18 Sep, 2017 Aktuelles ,Kategorie: Aktuelles ,Themen: Arbeitsschutz [...]

Der Schwerpunkt liegt hier auf nicht-arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen, die sich natürlich auch am Arbeitsplatz auswirken. BGM (Betrieblisches Gesundheitsmanagement) hilft hier, aber der Umgang mit persönlichen Lebenskrisen ist erst nachrangig ein Arbeitsschutzthema.

Merke: Bei der Prävention im gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz geht es um die verhältnispräventive Minderung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen.

Für Betriebsräte wichtig: BGM kann ein Rahmen für den Arbeitsschutz bieten. BGM kann aber auch dazu missbraucht werden, mitbestimmungspflichtige und nicht mitbestimmungsflichtige Maßnahmen miteinander zu verquirlen und damit die Mitbestimmung zu schwächen. Darum müssen Betriebsräte aufpassen: Alle Maßnahmen, die der Arbeitgeber der Gewerbeaufsicht und externen Auditoren (z.B. OHSAS 18001) als Beitrag zur Umsetzung der Vorschriften des Arbeitsschutz darstellt, sind mitbestimmungspflichtig.

Betriebsräte sollten deswegen mithören und mitlesen können, wie ein Unternehmen seinen Arbeitsschutz gegebnüber der behördlichen Aufsicht und externen Auditoren darstellt.

Überlast anzeigen

Dienstag, 13. Juni 2017 - 07:05

https://www.boeckler.de/6299.htm?produkt=HBS-006442

Ausgewertet werden 24 Regelungen aus über 20 Jahren Vereinbarungspraxis. Quer durch unterschiedliche Branchen geht es um Umgangsweisen mit Überlastungs- bzw. Gefährdungsanzeigen. Welche Ursachen haben Überlastungssituationen? Wie wird die Interessenvertretung eingebunden? Wie gestaltet sich der rechtliche Rahmen? Die Anzeige von Überlastungen kann ein wichtiger Baustein des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sein. Dieser gewinnt, nicht zuletzt angesichts ständig steigender Zahlen bei psychischen Belastungen, an Bedeutung. Beispiele zeigen die Bandbreite der betrieblichen Regelungen.

Immer noch unverstandene Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 12. Mai 2017 - 20:59

Im Artikel Produktives Arbeitsklima schaffen (Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 01/2017, 73. Jahrgang, 2. Januar 2017) von Eva Müller Tauber geht es um die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen (S. 55ff):

Die Infineon Technologies AG hat bereits einige Erfahrung mit der Ermittlung psychischer Belastung im Betrieb gesammelt: „Schon 2009 haben wir erstmals an der Mitarbeiterbefragung ‘Great place to Work‘ teilgenommen, bei der auch die Arbeitsplatzqualität unter psychischen wie physischen Gesichtspunkten abgefragt wird“, erläutert Ralf Memmel (53), Sprecher der Betriebsleitung und Leiter HR Talent Marketing, Diversity Management und Health.

Wenn Instrumente von Great Place to Work für eine Gefährdungsbeurteilung verwendet werden sollen, so muss das vor deren Einsatz mit dem Betriebsrat explizit als Arbeitsschutzmaßnahme geregelt werden, weil ansonsten die Arbeit des Betriebsrates behindert worden wäre.

„Man muss versuchen, eine subjektive Empfindung objektiv zu messen und sie Faktoren zuzuordnen, die sich verändern lassen. Um eine Belastung dann abzustellen oder zumindest zu mindern, müssen konkrete Maßnahmen möglich sein“, erklärt Memmel. Die Einschätzung einer Belastung sei nicht nur von der Arbeitsplatzgestaltung abhängig, sondern auch von anderen Dingen, etwa der Persönlichkeit eines Beschäftigten und seiner Tagesform.

Muss man nicht.

  • Was der Arbeitgeber machen muss, ist eine Beurteilung der Arbeitsbedingungen. Das ist Vorschrift. Die “Persönlichkeit” von Beschäftigten hat mit der Beurteilung der Arbeitsbedingungen (für die der Arbeitgeber verantwortlich ist) nichts zu tun. Es ist hart für Arbeitgeber, aber der Arbeitsschutz ist nun einmal verhältnispräventiv orientiert.
  • Mit der die Gefährdungsbeurteilung müssen keine subjektiven Empfindungen erfasst werden, sondern sie muss sich objektiv den Auslösern (für die der Arbeitgeber verantwortlich ist) von Empfindungen widmen. Dazu müssen alle Führungskräfte, die Arbeitsabläufe gestalten und umsetzen, lernen, die mit diesen Arbeitsabläufen verbundenen Belastungen bewusster und systematischer in Gefährdungsbeurteilungen zu berücksichtigen, als das bisher der Fall war. Ein guter Platz für die Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsabläufen ist der Abschnitt zur Risikoabwägung, den es ohnehin in einer professionellen Prozessbeschreibung gibt.
  • Nicht Belastungen müssen abgestellt oder gemindert werden, sondern Fehlbelastungen. Ohne Belastungen gibt es keine Arbeit, was dann wohl erst recht eine Fehlbelastung ist.

 
 

In dem Artikel kommt auch ein Arbeitsmediziner der bayerischen Gewerbeaufsicht zu Wort:

„Da viele Firmen diese Aspekte [der psychischen Belastung] bisher nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt haben, hat der Gesetzgeber sie im Rahmen des Bundesunfallkassen-Neuordnungsgesetzes im Oktober 2013 nun nochmals explizit im Arbeitsschutzgesetz angesprochen“, erläutert Klaus Volk, Arbeitsmediziner beim Gewerbeaufsichtsamt der Regierung von Oberbayern.

Ein Grund für diesen Zustand ist das Versagen der Gewerbeaufsicht, wuvor vermutlich Klaus Volk nicht verantwortlich ist, sondern Politiker, die die behördliche Aufsicht so führen, dass Aufsichtspersonen leicht unter Druck geraten und systemisch (Zeit, Ausstattung, Befugnisse) überfordert sind. In meinem Geschäft nennt man das “designed to fail.”

Anstelle z.B seit 1996 jahrelange Verlschleppungen des Einbezugs des Arbeitsschutzes in den Arbeitsschutz als Ordnungswidrigkeite (oder bei Vorsatz als Straftat) strenger zu ahnden, geht es zu wie im Kindergarten: Die bayerische Gewerbeaufsicht lobt Unternehmen für ihre Bemühungen, das Arbeitsschutzgesetz umzusetzen. Auch das darf sich gerne wieder über Jahre hinziehen. Das ist nicht gut für die Arbeitnehmer. Mängel müssten gerade bei Großunternehmen deutlicher angesprochen werden, insbesondere wenn sie den verhaltenspräventiven Arbeitsschutz mit einer überwiegend verhaltenspräventiven (aber oft werbewirksameren) Gesundheitsförderung marginalisieren.

Es gibt wohl wegen der Schwäche der Gewerbeaufsicht auch heute noch größere Unternehmen, bei denen ein Drittel der befragten Mitarbeiter angeben, dass sie den Schutz ihrer psychischen Gesundheit nicht gewährleistet sehen. Aus der Sicht der Arbeitnehmer verstößt der Arbeitgeber also gegen das Arbeitsschutzgesetz. Solche Angaben von Arbeitgebern sollte eine Gewerbeaufsicht genau so respektieren, wie die Präsentationen des Arbeitgebers.

Arbeitsmediziner Volk rät zu einem systematischen Prozess. Um Gefährdungen zu erkennen, können Unternehmen auf bereits vorhandene Daten wie etwa Ausfalltage oder die Fluktuation zurückgreifen. Am besten beginnen sie mit einfachen Erhebungsinstrumenten. Je nach Unternehmen können Mitarbeiterbefragungen, Gruppenverfahren – wie zum Beispiel ein Workshop – oder Experten zum Einsatz komme 

Das ist heute der Standardansatz bei der Beurteilung psychischer Belastungen. Der Aufwand wird damit hoch getrieben, weswegen Gefährdungsbeurteilungen leiderleider so herausfordernd sind. Vielleicht käme ein Arbeits- und Organisationspsychologe eher als ein Arbeitsmediziner auf die Idee, dass schon bei der Arbeitsgestaltung auch nicht-technischer Prozesse frühzeitig und kontinuierlich darauf geachtet zu werden hat, psychische Fehlbelastungen zu vermeiden. Besonders wichtig ist das in Großunternehmen, in denen die Mitarbeiter in Matrix-Organisationen in mehreren unterschiedlichen Prozessen arbeiten. Diese Arbeitsabläufe haben gefährdungsbeurteilt zu werden, und zwar möglichst schon bevor in Umfragen Fehlbelastungen festgestellt werden. Die vom Arbeitsmediziner Klaus Volk vorgeschlagenen Befragungsinstrumente eigenen sich eher zur gesetzlich vorgeschriebenen Wirksamkeitskontrolle von Arbeitsschutzmaßnahmen als zur Gefährdungsbeurteilung.

Klaus Volk:

„In der Praxis zeigt sich leider, dass vor allem bei kleinen und mittleren Firmen das Thema Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen nach wie vor nicht auf der Agenda steht“, weiß der Experte. Nach seiner Erfahrung beschäftigen sich auch größere Firmen zum Teil nur ansatzweise damit, nach dem Motto: „Wir haben ein gutes Betriebsklima und keine psychisch erkrankten Mitarbeiter“ oder verweisen auf ihre Maßnahmen zur Gesundheitsförderung. Oft reagieren die Unternehmen auch nur, wenn Aufsichtsbehörde oder Betriebsrat es fordern.

Da hat er recht. Ich glaube aber, dass Großfirmen nicht viel besser sind, als KMUs. Größere Firmen haben jedoch oft eine professionellere Außenkommunikation und können auch ihren Arbeits. und Gesundheitsschutz besser verkaufen. Zudem sind sie politisch besser vernetzt, was ihre Position gegenüber Prüfern der Gewerbeaufsicht stärkt. Das erklärt vieleicht, warum die bayerische Gewerbeaufsicht beim Thema “Zielvereinbarungen” den Schwanz eingezogen hat.

Noch ein Tipp an die Gewerbeaufsicht: Wenn ein Arbeitgeber jahrelange Verzögerungen beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz mit der Komplexität dieses Themas zu rechtfertigen versucht, dann prüfen sie:

  • Wie viele Psychologen beschäftigt das Unternehmen mit Imagepflege? Und wie viele Psychologen beschäftigt das Unternehmen im Arbeitsschutz? Ohne ausreichende Ressourcen kommt man natürlich nicht weiter. Wenn ein Unternehmen noch Mängel im Arbeitsschutz beheben muss, dann reicht eine Budgetierung nach DGUV Vorschrift 2 nicht aus.
  • Hat das Unternehmen mit der Bewältigung komplexer Aufgaben z.B. im HR-Bereich gezeigt, dass es durchaus in der Lage ist, mit komplexen Aufgaben umzugehen, wenn die Unternehmensführung das will?
  • Im Fall, dass das Arbeitsschutzmanagementsystem des Unternehmens zertifiziert ist: Kann man dem Zertifiket trauen (und das gemäß Anhang 5 in der LV 54 berücksichtigen), wenn es innerhalb des Arbeitsschutzmanagementsystems kein reguläres Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen gibt?

Und bitte mehr Zurückhaltung beim Lob von Bemühungen im Arbeitsschutz. Lob Kann motivieren. Aber ein von der Gewerbeaufsicht gelobtes Unternehmen kann dieses Lob auch gegen Arbeitnehmer einsetzen, wenn deren Vertreter Mängel im Arbeitsschutz kritisieren oder wenn vom Arbeitgeber psychisch verletzte Arbeitnehmer Haftungsansprüche erheben. Es ist nicht die Aufgabe der Gewerbeaufsicht, die Rechtssicherheit von Arbeitgebern mit Lob zu stärken, bevor die Bemühungen des Unternehmens im ganzheitlichen Arbeitsschutz zum Ziel geführt haben.

Mit Lob für Bemühungen ohne klarem Tadel für jahrelange Verzögerungen verwehrt die Gewerbeaufsicht den Arbeitnehmern den Schutz, auf den sie Anspruch haben. Die Gewerbeaufsicht leistet hier einen traurigen Beitrag zum generellen Versagen der behördlichen Aufsicht in Deutschland.

Außer Kontrolle

Mittwoch, 26. April 2017 - 05:59

Markus Balser schrieb in seinem Kommentar “Außer Kontrolle” in der Süddeutschen Zeitung (2017-04-25, S. 4):

Keine einzige [Regierung] hat ihre Kontrollsysteme grundlegend überarbeitet. Die Autoindustrie macht damit in diesen Wochen vor, wie Schwindel und Tricksereien im großen Stil ungestraft funktionieren.

Am Abgasskandal können wir sehen, dass das Aufsichtswesen in Deutschland tatsächlich eine Kumpanei von Politik und Autobranche zulässt. Selbst nachdem das offensichtlich zutage trat:

Die Kumpanei von Politik und Autobranche geht einfach weiter.

Kuschelt die Politik nur mit der Autobranche? Die Politik bestimmt nicht nur beim Kraftfahr-Bundesamt, wie milde Prüfer vorgehen sollten, sondern kann auch den Prüfern der Gewerbeaufsichten Hinweise geben, wie freundlich systemwichtige Unternehmen zu behandeln sind.

Spätestens im Jahr 2005 war nach einem Beschluss der Bundesarbeitsgerichts klar, dass alle Arbeitgeber die Pflicht haben, zu den psychischen Belastungen, die von den Arbeitsbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen aines Betriebes ausgehend auf die in dem Betrieb Beschäftigten wirken, hinsichtlich möglicher Gefährdungen der psychischen Gesundheit zu beurteilen.

Der Staat erlaubt nicht nur der Autoindustrie, Schutzvorschriften zu ignorieren: Im Jahr 2012 wurde im Bundesestag klar, dass etwa 80% der Betriebe in Deutschland keine Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen durchführten.

Kürzlich wieder besuchte die Gewerbeaufsicht irgendwo in Deutschland einen großen Betrieb, in dem hunderte Mitarbeiter bei einer externen Befragung angaben, dass der Schutz ihrer psychischen Gesundheit nicht gewährleistet sei. Aber anstatt nachzuforschen, wie dieses Misstrauen der Mitarbeiter zu erklären ist, lobt die Gewerbeaufsicht ein Pilotprojekt zur Gefährdungsbeurteilung, mit dem vor Jahren Daten zur Belastung der Mitarbeiter erhoben wurden, deren Auswertung ziemlich schleppend verlief. Es gibt darüber hinaus im Arbeitsschutzmanagementsystem des Unternehmens kein reguläres Verfahren zur Beurteilung psychischer Belastungen. Auch ganz einfach zu erkennende Vorfälle psychischer Fehlbelastungen werden nicht einmal gemäß den internen Standards des Unternehmens erfasst und beurteilt. Ein privates Auditunternehmen, das die Einhaltung dieser Standards prüft, bestätigt den Betrieben der Firma trotzdem, dass das Arbeitsschutzmanagementsystem vollständig sei.

Die Gewerbeaufsicht und das Unternehmen jammern gemeinsam über die Komplexität des Themas, obwohl beide wissen, dass der Betriebsrat schon im Jahr 2008 Zweifel daran angemeldet hatte, dass die psychische Gesundheit in den Betrieben des Unternehmens ausreichend geschützt sei. Seit dieser Zeit wurden in dem Unternehmen viele andere komplexe Aufgaben bewältigt, unter anderem ein Leistungsbeurteilungsprozess. Aber einen regulären Prozess für Gefährdungsbeurteilungen psychischer Belastungen gibt es immer noch nicht.

Die Gewerbeaufsicht zeigt Verständnis für das Unternehmen: Ein Grund für die Komplexität der Beurteilung psychischer Belastungen sei, dass die Menschen individuell unterschiedlich auf Belastungen reagierten. Hier zeigen nun Gewerbeaufsicht und das milde geprüfte Unternehmen gemeinsam, dass sie unsere verhältnispräventiv angelegten Arbeitsschutzvorschriften bis heute nicht verstanden haben. Bei der verhältnispräventiv orientierten Beurteilung der von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen ausgehenden und auf die Mitarbeiter wirkenden psychischen und psychischen Belastungen spielen individuelle Unterschiede bei den Reaktionen auf die Belastungen nämlich gar keine Rolle.

Ein Arbeitsplatz ist keine Person. Es müssen darum keine personenbezogenen Daten erhoben werden, mit denen man eine Gefährdungsbeurteilung von Arbeitsplätzen (d.h. von Prozessen, Arbeitsmitteln, Arbeitsbedingungen, Software usw.) zu einer Geheimsache machen kann, was Arbeitgeber trotzdem immer wieder gerne versuchen. Im Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter.