Archiv für November, 2013

Mitbestimmung kaum Thema für die HK Hamburg

Montag, 25. November 2013 - 07:49

Die Handelskammer Hamburg bietet eine Broschüre Psychische Belastungen bei der Arbeit – Informationen für Unternehmen und eine Linkliste an. Die Titelseite der Broschüre ziert wieder eines dieser hochoriginellen Fotos gequälter Leute, in diesem Fall ein mit dem Kopf zwischen Betonklotz und Schreibtisch eingeklemmter Büromensch.

Aus der Broschüre:

Um psychische Belastungen der Mitarbeiter zu verringern und eine anhaltende Überbeanspruchung zu vermeiden, sind im Unternehmen zwei Ansatzpunkte möglich:

  • Maßnahmen auf betrieblicher Ebene:
    Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Mitarbeiter durch den Abbau von Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz. Ziel ist es, ein möglichst gesundes und gesundheitsförderliches Arbeitsumfeld zu schaffen. (Verhältnisprävention).
  • Maßnahmen auf Mitarbeiterebene:
    Positive Beeinflussung des individuellen Verhaltens der Mitarbeiter bei Stress und deren Bewältigungsstrategien. Ziel ist es, Belastungen, sowohl aus dem privaten Umfeld als auch aus dem Arbeitsumfeld, abzubauen und Ressourcen zu stärken (Verhaltensprävention).

Man sollte hier nicht so tun, als ob Verhältnisprävention und Verhaltensprävention gleichrangig seien. Die Verhältnisprävention ist im Arbeitsschutzgesetz vorgeschrieben. Die Verhaltensprävention ist die Kür. Man kann sich ja mal überlegen, warum der Gesetzgeber die Verhältnisprävention vorschreibt und nicht die Verhaltensprävention. Beide sind wichtig, aber in welchem der beiden Fällen hat der Arbeitgeber mehr Verantwortung zu tragen?

Zu den Maßnahmen auf betrieblicher Ebene (also vorwiegend Verhältnisprävention) zählt die HK auch:

Beratungs- und Unterstützungsangebote für Mitarbeiter

  • Betriebliche Ansprechpartner benennen
  • Anlaufstelle für psychisch belastete Mitarbeiter im Unternehmen schaffen
  • Externe Unterstützung anbieten, zum Beispiel Employee Assistance-Programme, Sozialberater
  • Webportale zur Information der Mitarbeiter über Maßnahmen und Programme, die zur Steigerung des psychischen Wohlergehens durchgeführt werden

Bei den betrieblichen Ansprechpartnern und den Anlaufstellen empfehle ich den Personal- oder Betriebsrat (in der Hoffnung, dass dort genügend Kompetenz aufgebaut wurde). Employee Assistance-Programme und Sozialberater sind häufig eher verhaltenspräventiv orientiert. Sie widmen sich also eher der individuellen Psyche der Mitarbeiter.

Eine wichtige verhältnispräventive Maßnahme wird von Arbeitgebern immer wieder gerne vergessen: Ehrliche Arbeitsplatz- und Aufgabenbeschreibungen. Sie sind oft schon die halbe Miete, denn es ist einfach fehlbelastend, wenn Mitarbeiter ständig mehr Aufgaben haben, als diejenigen, die mit ihnen offiziell vereinbart wurden. So mancher Arbeitgeber möchte seine Mitarbeiter allerdings nicht für alle Aufgaben bezahlen, die sie erledigen und hat darum Schwierigkeiten, Jobs ehrlich zu beschreiben. Das ist meiner Erfahrung nach einer der häufigsten Gründe für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz.

Als mitbestimmte Maßnahme nennt die HK Hamburg nur:

Betriebsvereinbarungen zu Sucht, Mobbing usw. schließen

Ansonsten sind die Arbeitnehmervertretung und ihre Mitbestimmung im Arbeitsschutz wider besseren Wissens kaum ein Thema ist für die HK, obwohl bei der Implementierung von Gefährdungsbeurteilungsprozessen die Mitbestimmung respektiert zu werden hat. Die Leser der Broschüre der HK erfahren nicht, dass Kriterien, mit denen zwischen Belastungen und Fehlbelastungen unterschieden wird, betriebsnah und mitbestimmt zu vereinbaren sind. Hier sind Betriebsvereinbarungen besonders wichtig, denn Unternehmen tun sich schon aus Haftungsgründen schwer damit, psychische Fehlbelastungen zu erkennen.

Dabei müssen Betriebsleitungen und Arbeitnehmervertretungen ja nicht jeden denkbaren Fall vorab behandeln. Sondern viel wichtiger ist es, in der Unternehmensorganisation Strukturen zu schaffen, mit denen Arbeitsplatzgruppen sinnvoll für eine Beurteilung psychischer Belastungen zusammengefasst werden können. Und für Projekte kann man schon in der Planungsphase im Rahmen des ohnehin erforderlichen Risikomanagements die möglichen Fehlbelastungen beschreiben. Daraus lassen sich dann blitzschnell Gefährdungsbeurteilungen für einzelne Arbeitsplätze von Menschen erstellen, die in mehreren Projekten mitarbeiten. Es gibt dann weniger unangenehme Überraschungen, was nicht nur den Mitarbeitern gut bekommt, sondern auch den Projekten.

In manchen Betrieben gibt es bereits dauerhaft eingerichtete paritätische Kommissionen, in denen auch für Einzelfälle mitbestimmt zwischen legitimen Belastungen und gefährdenden Fehlbelastungen unterschieden werden kann. Solch eine Komission kann sich dann auch mit Überlastungsmeldungen befassen, die die Mitarbeiter abgeben. (Man glaubt es kaum, aber es gibt immer noch Betriebe, die auf Überlastungsmeldungen am Arbeitsschutz vorbei sofort mit Herunterstufung in eine niedrigere Tarifgruppe reagieren. Spätestens wenn solche Fehler dann noch in Arbeitsschutz-Audits verschwiegen werden, wird es Zeit für den Betriebsrat, korrigierend einzugreifen.)

Arbeitgeber können es auch besser als die HK Hamburg: Hier erinnere ich wieder einmal an eine Veröffentlichung der Arbeitgebervereinigung BDA: Die Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz - Besonderer Schwerpunkt: psychische Belastung - Ein Praxisleitfaden für Arbeitgeber.

Link der HK Hamburg (nicht so gut): http://www.hk24.de/servicemarken/branchen/gesundheitswirtschaft/betrieb_gm/2455044/psychische_belastung_arbeitsplatz.html

Hansestadt Hamburg (schon besser): http://blog.psybel.de/kategorie/referenzen/behoerden/abs-hamburg/

DNV-Seminar im März 2014

Freitag, 22. November 2013 - 07:30

http://www.dnvba.com/de/training/Arbeitssicherheit/Pages/Psychische-Belastung-in-der-Arbeitswelt-Herausforderung-fuer-die-Fuehrungsverantwortung.aspx

Psychische Belastung in der Arbeitswelt – Herausforderung für die Führungsverantwortung

Datum: 18. März 2014, 09:00 Uhr – 19. März 2014, 17:00 Uhr
Ort: Essen
Stadt: Essen
Land: Deutschland
Kursnummer: 2014AMS009

[...] Welche gesetzlichen Mindestanforderungen gibt es? [...]

Die Frage “Welche gesetzlichen Anforderungen gibt es?” hätte gereicht.

Det Norske Veritas (DNV) auditiert auch Implementierung von Arbeitsschutzmanagementsystemen (AMS) in Unternehmen, z.B. zur Zertifizierung nach OHSAS 18001. Seit 1996 gehört die Vermeidung psychischer Fehlbelastungen zu den Aufgaben des Arbeitsschutzes. Damit müssen sich Unternehmenwie DNV befassen, wenn sie AMS-Audits durchführen.

Es gibt viele solcher Zertifizierungsfirmen wie DNV. Diese Zertifizierer stehen miteinander im Wettbewerb um Kunden. Aber obwohl es bei AMS-Audits um den Schutz der Arbeitnehmer geht, sind nicht die Arbeitnehmer die Kunden der Zertifizierer, sondern die Arbeitgeber. Sie können unter den Auditoren diejenigen auswählen, die ihnen nur die Einhaltung der Mindestanforderungen abverlangen. In diesem Wettbewerb geht es also nicht um Spitzenqualität im Arbeitzsschutz. Akkreditiert sind die Zertifizierer bei der DAkkS, deren Anteilseigner ebenfalls wenig Bezug zu Arbeitnehmervertretern haben. Im Zertifizierungsgeschäft dominieren wirtschaftliche Interessen.

Seit dem Beginn der Zertifizierung von AMS hätten die Zertifizierungsunternehmen einen eventuell fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in das Arbeitsschutzmanagement eines auditierten Unternehmens als Abweichung protokollieren und Verbesserungen fordern müssen. Auch müssen Zertifizierer darauf achten, dass die Arbeitnehmervertretung in Fragen des Arbeitsschutzes einzubeziehen ist. Selbst wenn Audits (auch Zwischenaudits und Re-Zertifizierungsaudits) konzernweit erfolgen und es in Teilen des Unternehmens keine Mitbestimmung gibt, dann berechtigt das die Unternehmen trotzdem nicht, Betriebs- und Personalräte in Deutschland bei der Ausübung ihrer Aufsichts- und Mitbestimmungspflichten zu behindern. Die Unternehmen haben vielmehr sicherzustellen, dass die Arbeitnehmervertretungen in ihrem Zuständigkeitsbereich ihren Pflichten gerecht werden können. Das hat bei der Durchführung von AMS-Audits auch von der Zertifizierungsgesellschaft beachtet zu werden.

Voraussetzung z.B. für eine Zertifizierung nach OHSAS 18001 ist die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften. Hoffentlich vermittelt DNV den Seminarteilnehmern, wie DNV bei den von DNV durchgeführten Audits die Einhaltung der Vorschriften überprüft. Auch das Betriebsverfassungsgesetz gehört zu diesen Vorschriften.

Welche Verbesserungen für wen?

Donnerstag, 21. November 2013 - 17:33

Zur Erinnerung: Die EU müsse dringend Maßnahmen zur Wiederherstellung eines attraktiven Wettbewerbsumfeldes für die europäische Halbleiterindustrie ergreifen, forderte Peter Bauer, im März 2006, damals Vorsitzender des ZVEI-Fachverbandes Electronic Components. Zu den von ihm gewünschten Maßnahmen zählten neben einer verstärkten Forschungs- und Investitionsförderung auch Verbesserungen im rechtlichen Umfeld, besonders beim Umweltschutz, der Arbeitssicherheit und Gesundheit, Zoll und Sicherheit sowie bei den gewerblichen Schutzrechten. Bauer forderte: “Die Wettbewerbsfähigkeit sollte als unabdingbares Kriterium in allen Gesetzgebungsverfahren verankert werden.”

Was meinte Peter Bauer mit “Verbesserungen”? Fühlen sich Unternehmer in Deutschland beim Umweltschutz sowie bei der Arbeitssicherheit und Gesundheit zu sehr kontrolliert? Wo ist das Problem? Wenn sich die Unternehmen sich an die Vorschriften halten würden, dann könnten die Kontrollen viel einfacher sein. Sie sind ja jetzt schon “einfach” genug.

 


Apropos unabdingbarer Wettbewerbsfähigkeit: Nur die wenigsten Arbeitnehmer können sich einfach einen weniger belastenden Job suchen, wenn die Gesundheit nicht mehr so mitmacht. Darum ist der Arbeits- und Gesundheitsschutz unabdingbar. Aber so sehr er auch in Gesetzen verankert sein mag, die große Mehrheit der Unternehmen klammert einen der heute bedeutensten Belastungskategorien souverän aus: mentale Arbeitsbelastung. Die Gewerbeaufsicht und Auditoren sahen jahrelang tatenlos zu. So streng kann die Kontrolle also wohl nicht sein, denn:
Das Gehirn des modernen Menschen ist ökonomisch verseucht.

Herrmann Broch, Massenwahntheorie. 1939 bis 1948.
3. Teil, Kapitel 5.8. Totalwirtschaft und Totalversklavung
 

Petition: Neue Anteilseigner der DAkkS

Mittwoch, 20. November 2013 - 08:16

Meine Petition an den deutschen Bundestag:

Petition 47175 – 19. November 2013

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, zusätzlich zum Wirtschaftsministerium auch die Ministerien für Arbeit und für Umwelt zu Gesellschaftern der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) zu bestellen. Weiterhin sollten aus dem Bereich der Wirtschaft nicht nur Vertreter der Industrie, sondern alle Sozialpartner im Kreis der Gesellschafter vertreten sein.

 
Begründung

Die DAkkS ist die nationale Akkreditierungsstelle der Bundesrepublik Deutschland. Bei ihr können sich privatwirtschaftliche organisierte Zertifizierungsgesellschaften akkreditieren, die in den Betrieben deutscher Unternehmen die Einhaltung verschiedener Standards überprüfen und den Betrieben ggf. diese Einhaltung bestätigen.

Die GmbH-Anteilseigner der DAkkS sind jeweils zu einem Drittel:

  1. die Bundesländer, vertreten durch die Länder Bayern, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt,
  2. die Bundesrepublik Deutschland, vertretend durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) und
  3. die Deutsche Wirtschaft, vertretend durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI).

Nun überwacht die DAkkS aber auch Zertifizierer, die im Bereich des Umweltschutzmanagements nach ISO 14001 und im Bereich des Arbeitsschutzmanagements z.B. nach OHSAS 18001 zertifizieren. Die Interessen des Umweltschutzes und des Arbeitsschutzes sind aber im Kreis der Gesellschafter nicht so repräsentiert, wie die Interessen der Wirtschaft.

Diese Unausgewogenheit ist schädlich, denn die bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierer übernehmen praktisch Teilaufgaben der überlasteten (siehe Bundestagsdrucksache 17/10229) Gewerbeaufsicht. Es besteht die Gefahr, dass ohne eine ausgewogenere Kontrolle der Zertifizierer nur wirtschaftsorientierte Akteure die Umwelt- und Arbeitsschutzmanagementsysteme der Wirtschaft auditieren ohne dass die Interessen der eigentlichen “Kunden” (Umwelt, Arbeitnehmer) dieser Systeme genügend berücksichtigt werden.

Dass die Wirtschaft die Wirtschaft überwacht, war bei ISO 9001 noch akzeptabel, da hier ein starkes unternehmerisches Eigeninteresse am guten Management des Geschäfts besteht. Zwar wird auch im Bereich z.B. des Arbeitsschutzes von Unternehmern geltend gemacht, dass der Schutz der Arbeitnehmer für die Wirtschaft wichtig sei, Tatsache ist jedoch, dass etwa 80% der Unternehmen über einen sehr langen Zeitraum ihrer Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht gerecht wurden (siehe ebenfalls Bundestagsdrucksache 17/10229). Das Eigeninteresse der Wirtschaft am Arbeits- und Umweltschutz reicht also beobachtbar nicht aus, um nicht nur im Bereich der technischen Standards sowie des Unternehmensmanagements, sondern auch im Arbeits- und Umweltschutz eine gute Einhaltung von Schutz-Standards anzustreben.

 
Links:

  • “Entlastung” der Gewerbeaufsicht bei Vorliegen eines zertifizierten Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS): Tatsächlich kenne ich Fälle, in denen die Gewerbeaufsicht bei Vorliegen eines zertifizierten AMS nicht einmal mehr nachdenkt, wenn der Betriebsrat Zweifel an der tatsächlichen Qualität des AMS eines Betriebes hat. Die Gewerbeaufsicht verweist den Betriebsrat einfach formal auf das Zertifikat und meint, damit ihren Job getan zu haben.
            Daran sieht man, wie AMS-Zertifikate in der Praxis der Sicherheit der Arbeitnehmer schaden können: AMS-Zertifikate sedieren nicht nur die Gewerbeaufsicht, sondern es gibt sogar Betriebe, die externe Audits (z.B. Audits durch Kunden) mit der Begründung ablehnen, dass sie bereits nach OHSAS 18001 zertifiziert seien, ein zusätzlicher Audit also nicht mehr nötig sei.
            Die DAkkS soll die Zertifizierer überwachen. Da aber durch die Zusammensetzung der Anteilseigner der DAkkS die Interessen der Arbeitnehmer einen niedrigeren Stellenwert erhalten haben, als die Interessen der Arbeitgeber, ist es nun möglich, dass nach einem Zertifizierungs-Audit die Zertifikate, die von einem bei der DAkkS akkreditierten Zertifizierer erteilt wurden, den Schutz der Arbeitnehmer schwerer überprüfbar machen. Diese Konstruktion der Arbeitsschutzaufsicht ist ein Nachteil für Arbeitnehmer, aber gleichzeitig auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht für manchen Unternehmer das Hauptmotiv, sein AMS zertifizieren zu lassen.
  • Demontage der Gewerbeaufsicht
  • Geschwächte Aufsicht
  • Wie deutsche Zertifizierer von den Niederlanden lernen könnte
  • Gesetze zur Akkreditierung

 


Gemäß der Antwort des Petitionsausschusses (2014-01-27) ist es möglich, dass meine Petition auf falschen Annahmen beruht. Die Begründungen des Petitionsausschusses des Bundestages sind auch bei der Ablehnung von Eingaben immer sehr hilfreich. Respekt. Aber trotzdem halte ich es für möglich, dass die Zusammensetzung der Anteilseigner der DAkkS die kritische Distanz der DAkkS zur Wirtschaft zu sehr verringert.
 

Instrumentalisierung der DAkkS für’s Zertifizierungsgeschäft

Mittwoch, 20. November 2013 - 07:16

http://www.haward.de/haward_bgm_interaktiv/Special.php

Wissen Sie, dass die DIN SPEC 91020 BGM auf dem Weg zum akkreditierten Standard ist und sich aktuell eine Arbeitsgruppe der Akkreditierungsstelle DAkkS damit beschäftigt? Wir bieten Ihnen bereits jetzt die passende und derzeit einzigartige Software-Lösung. [...]

Steht nun schon fest, dass die DIN SPEC 91020 auf dem Weg zum “akkreditierten Standard” ist? Die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS) akkreditiert Zertifizierer. Weiß die DAkkS, dass sie jetzt auch Privatstandards wie die DIN SPEC 91020 “akkreditieren” wird?

Die DIN SPEC 91020 ist ein privater Standard für das betriebliche Gesundheitsmanagement. Das Deutsche Institut für Normung (DIN) kann helfen, solche Standards in eine korrekte Form zu bringen. Das DIN veröffentlicht den Standard auch, übernimmt aber keine Verantwortung dafür.

Das Marketing für die DIN SPEC 91020 bleibt dreist. Selbst im ansonsten seriösen haufe.de wird die DIN SPEC 91020 ohne Warnung, dass die Spezifikation keine Aspekte des Arbeitsschutzes enthält, neben einen Artikel gestellt, der BGM mit dem Arbeitsschutz in einen Zusammenhang stellt. Das DIN macht aber explizit klar, dass im PAS-Verfahren erstellte DIN SPECs nichts mit dem Arbeitsschutz zu tun haben. Wenn Haufe das BGM schon mit dem Arbeitsschutz in Verbindung bringt, dann ist es irreführend, nur zur DIN SPEC 91020 zu verlinken. Es hätte auch auf Standards wie OHSAS 18001 hingewiesen werden müssen.

Mit dieser im Schnellgang durchgedrückten Privatnorm basteln sich hier einige Firmen ihren eigenen Markt zusammen, und die DAkkS macht da mit? Die DAkkS sollte doch eigentlich genug damit zu tun haben, darauf zu achten, dass die nach OHSAS 18001 zertifizierten Unternehmen kritisch auditiert werden. Da haben z.B. Unternehmen über Jahre hinweg Zertifikate bekommen, die in Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften psychische Belastungen so gut wie überhaupt nicht in ihren Arbeitsschutz einbezogen hatten. Und Audits nach OHSAS 18001 ohne Beteiligung von Betriebsräten sind eine Behinderung der Betriebsratsarbeit. Es gibt also noch ein großes Verbesserungspotential. Erst wenn hier die Hausaufgaben gemacht sind, kann man sich mit der Kür im freiwilligen Gesundheitsmanagement vergnügen.

Wie “unabhängig” ist die DAkkS wirklich? Wenn man sich die Gesellschafter der DAkkS ansieht, dann fehlt u.A. eine Vertretung der Arbeitnehmerseite. Da haben die Menschen, zu deren Schutz die Aufsicht (DAkkS) der Auditoren (Zertifizierer) beitragen sollten, wohl schlechte Karten. Ist dieses strukturelle Problem ein Zufall?

Beim Zustandekommen und der Weiterentwicklung von OHSAS 18001 durften Arbeitnehmer intensiver mitwirken, als bei der DIN SPEC 91020. Vielleicht ist es aber gerade der bei anständigen Normen und Standards erforderliche Konsens, der die Unternehmen stört.

 
Suche: “DIN SPEC 91020″ und “Arbeitsschutzgesetz”. – Ein Trick in der irreführenden Werbung für die DIN SPEC 91020 besteht häufig darin, zu behaupten, dass das BGM über den Arbeitsschutz hinausginge. Das mag sein, wenn der Arbeitsschutz in das BGM eingebettet ist. In die DIN SPEC 91020 ist der Arbeitsschutz aber nicht eingebettet, denn gemäß DIN kann die im PAS-Verfahren erstellte DIN SPEC 91020 kein für den Arbeitsschutz relevanter Standard sein. Ohne z.B. OHSAS 18001 macht eine Zertifizierung nach DIN SPEC 91020 also keinen Sinn, wenn ein Unternehmer auch im Arbeitsschutz ein Zertifikat zum Vorzeigen haben will. Es gibt hier übrigens sogar Unternehmer, die ernsthaft meinen, dass sie externe Audits abwehren können, wenn sie Zertifikate an der Wand hängen haben. Willkommen im Zertifizierungsgeschäft.

2015-12-01: Spezielle Anforderungen zur Akkreditierung von Zertifizierungsstellen, die Managementsysteme nach DIN SPEC 91020:2012 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ zertifizieren

Linkliste der BGHM

Montag, 18. November 2013 - 14:17

Links der Berufsgenossenschaft Holz und Metall zum Thema “psychische Belastung”:
http://www.bghm.de/arbeitsschuetzer/dokumentenbibliothek/psychische-belastungen/

Schüchterne Gewerbeaufsicht

Montag, 18. November 2013 - 07:30

Die Gewerbeaufsicht in Bayern kneift immer noch: In http://www.stmas.bayern.de/arbeitsschutz/arbeitsmedizin/psychologie.php war einmal (2011-07-13) zu lesen:

[...] Arbeitspsychologie

In der heutigen Arbeitswelt spielen psychische Belastungen eine immer größere Rolle. Angst vor Arbeitsplatzverlust, hoher Zeitdruck, Zunahme der Arbeitsmenge, Informationsmangel- oder Informationsüberflutung, Kommunikationsbarrieren, geringe Qualifizierungsmöglichkeiten oder zu wenig Handlungsspielraum können Kopfschmerzen, Lustlosigkeit, “Ausgebranntsein”, Schlafstörungen oder Erkrankungen verursachen.

Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest.

In Fällen von Bournout, Mobbing, Gewalt am Arbeitsplatz oder posttraumatischer Belastungsstörung führt die Gewerbeaufsicht keine Konfliktberatungen durch. Sind keine Verstöße im arbeitsschutzrechtlichen Sinne festzustellen, so wird auf externe Berater und Beratungsstellen oder auf das Präventionsnetzwerk verwiesen. [...]

(Hervorhebungen wurden nachträglich vorgenommen)

Mitte 2012 verschwand die “Zielvereinbarung” von der Seite der bayerischen Gewerbeaufsicht. War das Versprechen der Gewerbeaufsicht an die Arbeitnehmer zu mutig? Hielten die Unternehmen in Bayern Zielvereinbarungen für eine Respektlosigkeit? Tatsächlich habe ich heute den Eindruck, dass es für die Gewerbeaufsicht in Bayern gerade bei großen und politisch gut vernetzten Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung ist, in diesen Unternehmen das Fehlen mitbestimmter Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen als Abweichung zu erkennen. Nicht nur, dass es dann keine Sanktionen gab, sondern nun traute sich die Aufsicht nicht einmal mehr, öffentlich zu schreiben, dass bei Abweichungen Zielvereinbarungen zur Verbesserung der Situation getroffen werden.

Kann es vorkommen, dass die Gewerbeaufsicht Verbesserungsprojekte im Arbeitsschutz lobt und sie dabei mit einem bereits ordentlich implementierten Arbeitsschutz verwechselt? Lob ist eine feine Sache, aber wie dokumentiert die Gewerbeaufsicht, dass in der Übergangszeit von einem bisher unvollständigen Arbeitsschutz zum ganzheitlichen Arbeitsschutz für die Mitarbeiter ein erhöhtes Gefährdungsrisiko besteht?

Falls es das Instrument der Zielvereinbarung noch geben sollte, so kann man auch heute nichts darüber im Webauftritt der bayerischen Gewerbeaufsicht nachlesen. Wer hat den Hinweis streichen lassen? Wie sehen in den Behörden der Gewerbeaufsicht eigentlich die Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeitsbedingungen der Aufsichtspersonen aus?

Gesetzliche Klarstellung

Mittwoch, 13. November 2013 - 06:43

http://www.kanzlei-hmh.de/gesetzliche-klarstellung-psychische-gefahrdungen-als-gesundheitsrisiken-anerkannt/

[...] Dr. Rüdiger Helm: „Im September erfolgte eine wichtige gesetzliche Klarstellung: Psychische Gefährdungen sind jetzt auch nach dem Gesetzeswortlaut als Gesundheitsrisiken anerkannt.“ [...]

Berater und Sachverständige

Montag, 11. November 2013 - 07:11

http://www.arbeitsschutz-konkret.com/#form

[...] Sie erstellen im Handumdrehen eine hieb und stichfeste Gefährdungsbeurteilung. Oder nutzen Sie noch heute die fix und fertige Powerpoint-Unterweisung für neue Mitarbeiter. 

Sie benötigen dafür keine teure Software und keinen teuren Berater. In diesem Paket finden Sie alle Dokumente, die Sie benötigen, um das zu machen, was von Ihnen verlangt wird. Und das völlig kostenlos! [...]

Die Arbeitnehmervertretung muss solche Arbeitsschutzpakete nicht kritiklos hinnehmen. Das Zertifizierungsunternehmen Det Norske Veritas (DNV) warnt:

[...] Die herkömmlichen Vorgehensweisen zur Durchführung von Gefährdungsbeurteilungen sind nur bedingt für die Ermittlung von psychischen Belastungen geeignet. [...]

Die herkömmlichen Methoden bieten oft Checklisten an, die im technischen Arbeitsschutz ganz gut funktionieren, nicht aber im Bereich der psychischen Belastungen. Da geht nichts “im Handumdrehen”. Um vom Arbeitgeber geplante Arbeitsschutzprozesse zu überprüfen, brauchten Arbeitnehmervertretungen externen Sachverstand. Arbeitnehmervertretungen haben ein Recht auf Berater, die sich der Arbeitgeber also nicht so ohne weiteres sparen kann. In § 80 (3) BetrVG steht:

Der Betriebsrat kann bei der Durchführung seiner Aufgaben nach näherer Vereinbarung mit dem Arbeitgeber Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. 

Gute Sachverständige helfen der Arbeitnehmervertretung auch, ihr Recht auf externe Beratung durchzusetzen. Gegebenenfalls beantwortet der Prozess dieser Durchsetzung schon einige Fragen, zu deren Klärung eine externe Beratung beitragen soll.

Manchmal kann auch § 111 BetrVG herangezogen werden.

Psychische Belastung von Drohnen- und Kampfpiloten

Donnerstag, 7. November 2013 - 23:12

http://www.wiwo.de/politik/ausland/drohnen-und-kampfjetpiloten-morgens-toeten-sie-abends-bringen-sie-die-kinder-zum-fussball/9040466.html

Die gute Nachricht ist, dass die große Entfernung der Drohnenpiloten zum Einsatzgebiet ihr Verantwortungsgefühl wohl nicht verringert.