Archiv für Januar, 2012

Erst einmal die vorhandenen Arbeitsschutzregeln durchsetzen

Dienstag, 24. Januar 2012 - 20:25

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/SID-4C613046-9BAEA969/internet/style.xsl/psychische-belastung-am-arbeitsplatz-9358.htm

Psychische Belastung am Arbeitsplatz

Wir brauchen Schutz vor Stress

24.01.2012 – Die IG Metall ist ein wesentlicher Treiber beim Thema Arbeitsstress. Sie fordert mit ihrer Anti-Stress-Initiative, dass es endlich eine verbindliche Verordnung gibt, an die sich die Unternehmen halten müssen. Denn die Erfahrung zeigt: Die bisherige “freiwillige Rahmenvereinbarung” bringt so gut wie nichts.

Das Arbeitsschutzgesetz setzt bereits den heute von der IGM geforderten vorgeschriebenen Rahmen. An den haben wir uns zu halten. Das ist nicht freiwillig.


Die “Anti-Stress-Initiative” der IG Metall hat das Ziel, den Schutz vor psychischer Gefährdung in der Arbeit in eine konkrete Verordnungen zu fassen. Das Arbeitsschutzgesetz gibt dafür den Rahmen vor. “Ich fordere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen auf, die Schutzlücke bei psychischen Gefährdungen zu schließen”, sagte Hans-Jürgen Urban auf einer Pressekonferenz in Berlin. Es geht Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, um eine Verbindlichkeit, an die sich Arbeitgeber halten müssen.

(Links nachträglich in das Zitat eingefügt)

Die Verbindlichkeit gibt es doch schon längst. Neue und zusätzliche betriebsübergreifende Regelungen bergen die Gefahr in sich, dass man sich hier auf niedrigstem Niveau einigt und dann Alle meinen, ihre Hausaufgaben gemacht zu haben. Gewerkschaften, Arbeitgeber, Bundesarbeitsministerin usw. sehen dann gut aus, aber den Menschen in den Unternehmen hilft das nicht.

Hier verstehe ich die Forderungen meiner Gewerkschaft nicht (oder ich verstehe sie vielleicht auch nur falsch). Der Schwerpunkt der Arbeit muss doch darauf liegen, dass überhaupt erst einmal die bestehenden Arbeitsschutzregeln eingehalten werden und genügend Aufsichtspersonal zur Verfügung steht. Diese Fachleute müssen dann den Arbeitsschutz in den Betrieben wirklich aufmerksam und nachhaltig beaufsichtigen dürfen. Auch müssen die Arbeitnehmervertreter (Betriebs- und Personalräte) verstehen, dass Arbeitsschutzrechte unabdingbar sind. Arbeitnehmervertreter haben beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz die Pflicht zur Mitbestimmung.

Die IGM schreibt doch selbst:


Der Gesundheitswissenschaftler und Leiter der Forschungsgruppe Public Health, Rolf Rosenbrock, erklärt: “Das zentrale Problem ist nicht das Fehlen von allgemeinen gesetzlichen Vorschriften oder Mängel an gesichertem Wissen. Sondern der Unwille in der Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland, den Vorschriften zu folgen und das Wissen zu nutzen.” Aus seiner gesundheitswissenschaftlichen und -politischen Sicht begrüßt er jede Initiative, die die Thematik auf die betriebliche und politische Tagesordnung bringt.

Aber dann wieder:

…Ohne Regeln und Kontrolle passiert zu wenig. 68 Prozent der IG Metall-Betriebsräte gaben in einer Umfrage an, dass seit der Wirtschaftskrise Stress und Leistungsdruck stark oder sehr stark zugenommen haben. Ein wirklich wirksamer Schutz der Beschäftigten kann nur zustande kommen, wenn es Regeln gibt, die zum Handeln führen. Alle Akteure brauchen dafür einen verbindlichen Rahmen.

Die fehlende Kontrolle ist aus meiner Sicht das Hauptproblem. Es ist einfach so, dass der Zwang zur Erfüllung gesetzlicher Regeln das wichtigste Motiv von Unternehmern ist, sich mit psychosozialen Risiken im Betrieb zu befassen. Die Regeln gibt es, den Zwang nicht. Ohne Durchsetzung sind die Regeln für die Tonne. Gesetze zum Vorzeigen haben wir schon genug. Nicht die Regeln fehlen, sondern ihre Durchsetzung in einem Land, in dem wir uns schon zu sehr an einen sehr “flexiblen” Umgang mit rechtlichen Verpflichtungen gewöhnt haben. Der “Unwille in der Mehrzahl der Unternehmen in Deutschland, den Vorschriften zu folgen” sollte in einem Rechtsstaat keine unüberwinbare Hürde sein.

Falls Sie es in diesem Blog noch nicht gelesen haben sollten: Die Mehrheit der Arbeitgeber durfte seit 1996 (und auch nach der Konkretisiertung im Jahr 2004 durch das BAG) ohne ein Einschreiten der Gewerbeaufsicht und der Berufsgenossenschaften straflos ihre Pflicht zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen missachten.

Die mangelnde Thematisierung dieser Tatsache in den Medien zeigt aber, dass diese Art der Rechtsbruchs bei uns heute schulterzuckend toleriert wird. Unternehmer, die die Schutzrechte von Arbeitnehmern ignorieren, gehören wohl zur akzeptierten Lebenswirklichkeit und scheinen journalistisch uninteressant zu sein.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/petition20090202/

Gefährliche Gefährdete

Dienstag, 24. Januar 2012 - 08:08

http://www.labournet.de/branchen/dienstleistung/gw/arbeit.html

Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen.

http://www.marburger-bund.de/baden-wuerttemberg/beitraege/2011/Arbeitsplatz-Krankenhaus-BW.pdf

Positionspapier des Marburger Bundes zu den Arbeitsbedingungen im Krankenhaus – Vorschlag für Hauptversammlung des Bundesverbandes 

Die Ökonomisierung der Medizin im Krankenhaus droht zu einem Attraktivitätsverlust des Arbeitsplatzes für Ärztinnen und Ärzte im Krankenhaus zu führen. Um den Arbeitsplatz Krankenhaus für Ärztinnen und Ärzte attraktiver zu gestalten, Ärztemangel vorzubeugen , die Berufszufriedenheit zu erhöhen und somit die Qualität der Patientenversorgung zu verbessern, hat der Marburger Bund ein Papier zu den Anforderungen an den ärztlichen Arbeitsplatz im Krankenhaus erstellt. Auf Grund der sich ändernden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird es ein Papier sein, das einer regelmäßigen Überarbeitung bedarf. Auch hat das Papier verschiedene ärztliche Interessen zu berücksichtigen, da die Ansprüche an den ärztlichen Arbeitsplatz von einem Assistenten, der sich in Weiterbildung befindet, anders betrachtet wird, als von einem Facharzt, der hier seine Lebensaufgabe sieht und mit besonderen Aufgaben betraut ist.

Ist es nicht nett, wie hier die unterschiedlichen Interessen auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen im Gesundheitswesen umschrieben werden?

Googeln Sie auch einmal selbst zu diesem Thema.

Im Kampf gegen Übertreibungen bei der Verwendung des Burnout-Begriffes kommen in den Medien wieder mehr Ärzte zu Wort, die Burnout als Modebegriff abtun. Mit diesem Ansatz können sich Arbeitgeber generell etwas von ihrer Verantwortung entlasten, also auch Ärzte in Arbeitgeberpositionen. Die in den Medien zitierten Ärzte sind häufig in der Hierarchie so weit oben anzutreffen, dass sie selbst Mitarbeiter führen. Wie weit versuchen sie sich also selbst, von Verantwortung zu befreien?

Überlegen Sie sich das, wenn sie selbst einmal ärztliche Betreuung in einem Krankenhaus benötigen. Wie übermüdet darf der Arzt sein, der Sie behandelt? Wie ausgebrannt sind Pflegekräfte, die Sie betreuen? Ausgerechnet Menschen in Gesundheitsberufen müssen heute krankmachende Arbeitsbedingungen dulden, die nicht nur in einer von Arbeitnehmervertretern mitbestimmten Gefährdungsbeurteilung (wenn es die gibt) als auf Mitarbeiter wirkende Gefährdung beschrieben werden müssten, sondern die auch Patienten gefährden.

Dafür sind auch Ärzte in Führungspositionen verantwortlich. Wer Interviews mit ihnen führt, sollte sich auch mit dem Arbeitsschutz in den Abteilungen dieser Ärzte befassen. In Krankenhäusern sollte es Arbeitnehmervertretungen geben, die dazu etwas sagen können.

Nun noch zu einer guten Präsentation der Charité (Dr. rer. nat. Dipl.-Psych. Nicole Bührsch,
Charité – Campus Benjamin Franklin, Klinik und Hochschulambulanz für Psychiatrie und Psychotherapie, „Psychiatrie des Alterns“) zum Burnout: http://www.klinikaerzte.org/fileadmin/AEI-Dateien/Unterordner/burnout/buehrsch240111.pdf, S. 14/23:


Burnout bei Ärzten – Häufigkeiten

Prävalenz Burnout Ärzte:
25-60% – je nach spezifischer Berufssituation

Moderatorvariablen:

  • Alter/ Berufserfahrung
  • Krankenhaus vs. ambulante Versorgung
  • Fachrichtung

Hilfreich ist auch die Tabelle “Burnout vs. Depression” auf S. 12/23.

In der Grafik “Burnout bei verschiedenen Berufsgruppen” auf Seite 15/23 fällt auf, dass beim Burnout von Ärzten die Depersonalisierung eine große Rolle spielt. Verglichen werden Profile von Sozialarbeitern, Lehreren, Pflegepersonal, Ärzten und pflegenden Angehörigen. Es gibt große Unterschiede bei den Profilen.

Psychische Belastungen durch die Arbeit

Montag, 23. Januar 2012 - 15:04

http://www.arbeitsrecht.de/rat-vom-experten/arbeits-und-gesundheitsschutz/arbeits-und-gesundheitsschutz/psychische-belastungen-durch-die-arbeit.php

Psychische Belastungen durch die Arbeit – Was kann dagegen getan werden?

Es besteht mittlerweile Einigkeit darüber, dass psychische Belastungen bei der Arbeit zu erheblichen Gesundheitsschäden führen können. Auch im Arbeitsschutzrecht hat sich diese Erkenntnis durchgesetzt. Dem im Jahre 1996 in Kraft getretenen Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) liegt ein erweitertes Arbeitsschutzverständnis zugrunde, das den Schutz vor psychischen (Fehl)belastungen mit einschließt.

Deutlich wird dieses neue Arbeitsschutzverständnis durch den Gesundheitsbegriff des ArbSchG, der sich an einer Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (Abkommen Nr. 155) orientiert. Gesundheit im Zusammenhang mit der Arbeit bedeutet danach nicht nur das Freisein von Krankheit oder Gebrechen, sondern umfasst auch die physischen und geistig-seelischen Faktoren, die sich auf die Gesundheit auswirken und die in unmittelbaren Zusammenhang mit der Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit stehen.

Es besteht somit seit dem Jahre 1996 die gesetzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen und Arbeitsabläufe mögliche gesundheitsschädliche psychische Belastungen zu berücksichtigen und diese ggf. abzustellen. Unter dem Begriff “psychische Belastungen” werden verschiedenste Phänomene zusammengefasst, wie z.B.

Gemeint ist wohl “Psychische Fehlbelastungen durch die Arbeit – Was kann dagegen getan werden?”. Menschliche Arbeit fast immer auch psychische Belastung. Zu wenig davon kann ebenfalls eine psychische Fehlbelastung sein.

Der Rest des Artikels ist gut.

Verstöße gegen den Arbeitsschutz

Montag, 23. Januar 2012 - 14:32

http://www.redaktion-die-ratgeber.de/home/recht/fdw-arbeitsschutz

Was tun bei Verstößen gegen den Arbeitsschutz? …

WiWo und ZEIT desinformieren

Montag, 23. Januar 2012 - 08:18

http://www.wiwo.de/technologie/forschung/erschoepfungsdepressionen-die-unkonkrete-volkskrankheit/5963512-2.html

… Ein Zusammenhang zwischen harten Arbeitsbedingungen und einer Depression bestehe selten. Dies treffe nur auf 20 bis 30 Prozent der Fälle zu, sagt der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe. Oft gilt das Gegenteil: Arbeit schützt vor psychischen Leiden. “Erwerbstätigkeit kann Psyche auch stärken”, meldete vergangene Woche die Bundespsychotherapeutenkammer und untermauerte dies mit epidemiologischen Daten der gesetzlichen Krankenversicherung. Arbeitslose seien drei- bis viermal so häufig psychisch krank wie Erwerbstätige. Meistens, so Hegerl, sei nicht Überforderung die Ursache für Depressionen, sondern eine genetische Veranlagung in Verbindung mit Verlusterlebnissen, Partnerschaftskonflikten, kränkenden Misserfolgen oder erheblichen Veränderungen der Lebensumstände. …

Das Erwerbstätigkeit als Gegenstück zur Arbeitslosigkeit die Psyche auch stärken kann, ist eine unüberraschende Feststellung.

Tacheles: Ich hatte die WiWo bereits darauf hingewiesen, dass Arbeitsbedingungen in deutschen Unternehmen nicht einmal in der mindestens vorgeschriebenen Weise beurteilt werden. Die Unternehmen sind überhaupt nicht interessiert daran, dass Zusammenhänge zwischen Arbeitsbedingungen und Depression beobachtet werden könnten. Auch wenn der Artikel (gemäß WiWo) von der ZEIT übernommen wurde, kann ich mir inzwischen nicht mehr vorstellen, dass die WiWo versehentlich vergisst, die Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz durch die Mehrheit der Unternehmen zu erwähnen.

Richtig und falsch

Montag, 23. Januar 2012 - 07:52

Nachdem “Burnout” nach langem Wegsehen zu einem Thema wurde, wird es nun zum “Modethema” erklärt.

http://www.news4teachers.de/2011/11/modekrankheit-burnout-experte-warnt-vor-fehldiagnosen/

Modekrankheit Burnout: Experte warnt vor Fehldiagnosen

LEIPZIG. Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, hat vor dem “inflationären Gebrauch des schwammigen Begriffs Burnout” gewarnt. Dies könne dazu führen, dass Betroffene verwirrt und möglicherweise falsch behandelt würden.


“Auch wenn ausnahmslos jede Depression mit dem tiefen Gefühl der Erschöpftheit einhergeht, ist jedoch nur bei einer Minderheit der depressiv Erkrankten eine tatsächliche Überforderung der Auslöser der Erkrankung”, sagt der Direktor der Klinik für Psychiagtrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. “Bei zahlreichen Menschen mit einer depressiven Episode ist beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser festzustellen. Viele depressiv Erkrankte fühlen sich in einer schweren depressiven Episode zu erschöpft, um ihrer Arbeit nachzugehen, ja um sich selbst zu versorgen; nach erfolgreicher Behandlung und Abklingen der Depression empfinden sie die zuvor als völlige Überforderung wahrgenommene berufliche Tätigkeit wieder als befriedigenden und sinnvollen Teil ihres Lebens”, erklärt der Arzt.

Mehr Schlaf hilft Depressiven nicht

Mit dem Begriff Burnout sei die Vorstellung verbunden, dass langsamer treten, länger schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien seien. Hegerl: “Verbirgt sich hinter diesem Begriff eine depressive Erkrankung, so sind dies jedoch oft keine empfehlenswerten und oft sogar gefährliche Gegenmaßnahmen.” Menschen mit depressiven Erkrankungen reagierten auf längeren Schlaf und eine längere Bettzeit nicht selten mit Zunahme der Erschöpftheit und Stimmungsverschlechterung. Dagegen sei Schlafentzug eine etablierte antidepressive Behandlung bei stationärer Behandlung.

  • Richtig ist, dass falsche Diagnosen schädlich sind. Burnout (Ausgebrannt sein, ICD-10:  F73.0) ist sogar ein Ausschlusskriterium für das Erschöpfungssyndrom (F48.0). Ausgebranntsein wird aber auch als eine mögliche Ursache des Depersonalisierungssyndroms (F48.1) genannt.
  • Falsch ist (aus der Sicht des Arbeitsschutzes) die Behauptung, dass mit dem Begriff Burnout die Vorstellung verbunden sei, dass langsamer treten, länger schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien seien. Professionellen Arbeitsschützer sind solche Amateurempfehlungen fremd. Die Schädlichkeit auch von Unterforderung ist im Arbeitsschutz längst bekannt. Bessere Arbeit ist nicht notwengigerweise weniger Arbeit. Prof. Hegels Behauptungen birgt (von Prog. Hegerl wohl nicht beabsichtigte) die Gefahr in sich, dass denjenigen, die sich z.B. als Aufsichtspersonen, Betriebsräte oder Arbeitsschützer gegen psychische Fehlbelastungen bei der Arbeit im Betrieb wenden, ein fehlendes Wissen über Fehlbelastungsursachen und geeignete Gegenmaßnahmen unterstellt wird. Der Arbeitsschutz würde dann eristisch  für Ansichten kritisiert, die sich nicht Arbeitsschützer, sondern erst ihrer Kritiker ausgedacht haben.
  • Richtig ist, dass sich die Belastungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren beträchtlich verändert haben. Die Arbeitsdichte, die Komplexität der Aufgaben, die Anforderungen an Effizienz und generell die psychosozialen Kosten turbulenter Veränderungen sind spürbar gestiegen.
  • Falsch ist es, zu sagen, das zu einem Sachverhalt “beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser festzustellen” sei, wenn dieser Sachverhalt nicht diszipliniert beobachtet wird. Richtig ist nämlich, dass nicht nur dieser beste Wille nicht existiert, sondern dass in großen Teilen der Arbeitswelt sogar nachhaltig und regelwiedrig versucht wurde, die seit 1996 vorgeschriebene Beurteilung von psychisch wirksamen Belastungen zu vermeiden. (Siehe auch: Friedrich Hauß, Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb, 1983/1997.)

Arbeitgeberverband Gesamtmetall und BGF

Sonntag, 22. Januar 2012 - 10:33

Ein Interview mit arbeitgebernahen Wissenschaftlern in einer arbeitgebernahen Fachzeitschrift.

http://www.gesamtmetall.de/gesamtmetall/meonline.nsf/id/News-Betriebspraxis-301211-Burnout-betriebliche-Gesundheitsfoerderung

Burnout, Depression und Demographie – Was kann und soll betriebliche Gesundheitsförderung hier leisten?

Im Interview mit Betriebspraxis & Arbeitsforschung äußern sich Dr.-Ing. Falk-Gerald Reichel (Gesamtmetall) und Dr. Stephan Sandrock (ifaa) zur Debatte rund um den Burnout sowie zur Verantwortung der Unternehmen für die psychische und physische Gesundheit der Mitarbeiter.

Ich habe einige Punkte aus dem “Interview” herausgegriffen, die helfen, sich auf die Argumentation und die Ziele der Arbeitgeber einzustellen. Die Zitate im folgenden Text sind also aus dem Interview herausgenommen. Sie wurden von mir zum Teil kommentiert.

  • Der „Burnout“ macht Schlagzeilen. Medien, Krankenkassen und Gewerkschaften berichten von einer Zunahme dieses Phänomens. Verantwortlich wird dafür auch der angeblich oder tatsächlich gewachsene Leistungsdruck in den Unternehmen gemacht. Zu Recht? — Da wird nun – bewusst oder unbewusst – Ursache mit Wirkung verwechselt.
  • Es gibt viele weitere Einflüsse, die beim Burnout eine Rolle spielen – insbesondere aus Persönlichkeit und Lebensstil. In einem tarifgebundenen Unternehmen der Metall- und Elektro-Industrie verbringt ein Arbeitnehmer weniger als 18 Prozent des Jahres im Betrieb. Dass die Frage, wie und wo er die restlichen 82 Prozent verbringt, auch eine Rolle spielen musste, ist zwangsläufig, wird aber trotzdem nicht gerne gehört. [Das weinerliche "wird aber trotzdem nicht gerne gehört" ist nicht zutreffend. Der Wissenschaftler bellt hier am falschen Baum. Dieses Argument der Arbeitgeber kommt immer wieder. Soll es davon ablenken, dass der Arbeitsschutz sich nur auf Probleme im Handlungsbereich des Arbeitgebers konzentriert? Keiner verlangt von den Arbeitgebern, für außerbetriebliche Probleme ihrer Mitarbeiter Verantwortung zu übernehmen. Siehe: Dreiebenenmodell]
  • Eine öffentliche Debatte um tatsächlich oder gefühlt wachsende psychische Belastungen erleben wir übrigens auch bei Kindern in den Schulen – also noch vor dem Eintritt ins Arbeitsleben.
  • Viele Menschen fühlen sich durch die intensive Berichterstattung über den Burnout, zu dem sich Prominente zunehmend öffentlich bekennen, ermutigt, ihre persönlichen Erschöpfungsgefühle zu thematisieren. Dabei ist der Begriff „Burnout“ wissenschaftlich nicht wirklich klar definiert. Es handelt sich dabei vermutlich um eine Überlastungs-Depression. Die Grunde dafür sind vielfaltig und können weit über das Arbeitsleben hinausreichen. Zum Beispiel können finanzielle oder auch private Sorgen in der Familie dazu führen.
  • Sowohl die Betriebsrätebefragung der IG Metall als auch der DGB-Index „Gute Arbeit“ sind methodisch ungeeignet, gesicherte Aussagen zur tatsächlichen Verbreitung dieser Erscheinungen zu treffen. Denn sie beruhen auf subjektiven Aussagen und Gefühlen. [Befragungen von Betriebsräten nach Gefährdungsbeurteilungen in den Betrieben sind Fragen nach messbaren Tatsachen. Selbst die Bundesarbeitsministerin kommt zu dem Schluss, dass etwa sieben von zehn Unternehmen der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht nachkommt. Die Missachtung der Arbeitsschutzbestimmungen durch die Mehrheit der Unternehmen ist dann auch der Hauptkritikpunkt der Betriebsräte.]
  • Mitarbeiterbefragungen sind aufgrund ihrer mangelnden bedingungsbezogenen Validität und Reliabilität eher ungeeignet, psychische Belastungsfaktoren zu erfassen. Da die Auswertung von Befragungen in der Regel auch anonymisiert zu erfolgen hat, sind Rückschlüsse auf den einzelnen Arbeitsplatz und vor allem die Ableitung von gestalterischen Maßnahmen nicht möglich. [Das ist ein Irrtum, denn es gibt genügend validierte Tests. Dann führt der Wissenschaftler auch noch in die Irre und tut so, als ob es ein Ziel sei, den einzelnen Arbeitsplatz zu bewerten. Tatsächlich sind es gerade die Arbeitgeber selbst, die schon aus Kostengründen nicht jeden einzelnen Arbeitsplatz beurteilen wollen, sondern gleichartige Arbeitsplätze zusammengefasst beurteilen. Das Arbeitsschutzgesetz erlaubt dieses sinnvolle Vorgehen ja auch. Bei den Kriterien für die Zusammenfassung hat die Arbeitnehmervertretung mitzubestimmen.]
  • Die Debatte um Burnout und verwandte Phänomene verengt am Arbeitsumfeld festzumachen ist ein Irrweg, mit dem auch den meisten Betroffenen herzlich wenig geholfen sein durfte. Es ist auch deshalb spekulativ und vorschnell, weil derzeit belastbare Verfahren fehlen, um ein möglicherweise krankmachendes Belastungsgrenzniveau verlässlich angeben und erkennen zu können. [Die Arbeitgeber wollten betriebsnahe Lösungen. Die haben sie bekommen; da kann es keine außerbetrieblichen Verfahren geben. "Belastbare Verfahren" vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter betriebsnah miteinander.]
  • Gut geführte Unternehmen werden deshalb über den gesetzlichen Arbeitsschutz hinaus bestrebt sein, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fordern. [Tatsächlich beginnen viele Unternehmen mit dem Gesundheitsmanagement ohne vorher ihre Pflichten im Arbeitsschutz erfüllt zu haben.]
  • Viele Gesundheitsprobleme von Mitarbeitern resultieren aus Fehlentwicklungen vor ihrem Unternehmenseintritt oder – wenn sie schon im Betrieb sind – auch aus Problemen in ihrer freien Zeit.
  • Aus all diesen Gründen kann GesundheitsfÖrderung nicht zu einem gesetzlichen Auftrag an die Unternehmen führen. [Ablenkungsmanöver: Die Arbeitnehmer verlangen kein gesetzlich vorgeschriebenes Gesundheitsmanagement, sondern sie fordern, dass sich die Arbeitgeber endlich an die von ihnen mehrheitlich missachteten Arbeitsschutzgesetze halten.]
  • Wo würden Sie bei der Betrieblichen Gesundheitsförderung und beim systematisch betriebenen Betrieblichen Gesundheitsmanagement die Linie zwischen Unternehmen und Staat ziehen? — Grundsätzlich haben Arbeitgeber in Deutschland die Pflicht, die Gesundheit der Mitarbeiter im Arbeitsprozess zu schützen. Dafür gibt es das umfassende gesetzliche Arbeitsschutz-Regelwerk. Eine darüber hinaus gehende Gesundheitsforderung muss jedoch freiwillig bleiben. [Wieder die Ablenkung. Die Mehrheit der Arbeitgeber erfüllt ja nicht einmal die Pflicht.]
  • Eine für mich entscheidende Frage bei der betrieblichen Gesundheitsforderung ist, ob und wie der Betrieb das Bewusstsein und die Eigenverantwortung des Mitarbeiters für die eigene Gesundheit starken kann. [Eigenverantwortung ist ein interessantes Thema. Wer sie fordert, sollte zunächst seine eigenen gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten erfüllen.]
  • Unternehmen, die sich in der Gesundheitsforderung engagieren, können damit auch etwas für ihr Employer-Branding tun. Ein positives Arbeitgeber-Image wird im Wettbewerb um die knapper werdenden Arbeitskräfte immer wichtiger. [Employer-Branding ist ebenfalls ein interessantes Thema.]
  • Einige größere Unternehmen betreiben bereits ein systematisches Gesundheitsmanagement. Entscheidend dafür ist, dass die Maßnahmen durch das Management systematisch implementiert werden und dass sie messbare Ergebnisse haben. Das unterscheidet Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) von Betrieblicher Gesundheitsförderung (BGF).
  • Mir ist bekannt, dass einige Unternehmen mit dem Work Ability Index (WAI) arbeiten, der wesentlich mehr Parameter einbezieht. Es können über eine Zeitschiene auch weiche Daten erhoben werden – zum Beispiel wie die Beschäftigten ihre subjektiv empfundene Arbeitsfähigkeit beurteilen. [Siehe: WAI. Es gibt aber auch bessere Messinstrumente.]
  • Es muss aber klar abgegrenzt sein, was gesetzlich bedingter Arbeitsschutz ist und was eine freiwillige Leistung im Sinne der Gesundheitsforderung ist. Hier darf es keine Überschneidungen geben. [Richtig. Darauf sollten Arbeitnehmervertretungen sehr genau achten, damit Pflichtleistungen nicht als freiwillige Leistungen dargestellt werden. Das kann ein Versuch sein, die Mitbestimmung zu schwächen.]
  • Deshalb rate ich dazu, bei BGM einen längerfristigen Zeithorizont einzuplanen – beispielsweise fünf Jahre. [Das Arbeitsschutzgesetz hat der Arbeitgeber jedoch sofort umzusetzen! Also Vorsicht, wenn der Arbeitgeber mit dem BGM beginnt, ohne vorher seine Hausaufgaben im Arbeitsschutz gemacht zu haben.]
  • Wie beurteilen Sie Initiativen, BGM-Systeme zertifizieren lassen zu wollen? — Das läuft der Position zuwider, dass man keine Vorgaben machen soll. Es beschränkt zudem die Individualität und Kreativität der Betriebe. [Richtig. Gerade diese Freiheit begründet, dass die Mitbestimmungspflicht der Arbeitnehmervertretungen beim BGM bzw. der BGF nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann.]

Arbeitspsychologie in Bayern: Neuer Webauftritt

Freitag, 20. Januar 2012 - 17:54

Die sehr hilfreichen Seiten der Abteilung für Arbeitspsychologie des Bayerisches Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sind neu gestaltet worden. http://www.lgl.bayern.de/arbeitsschutz/arbeitsmedizin/arbeitspsychologie/ ist auch wieder gut gelungen.

Tödliches Abwiegeln

Freitag, 20. Januar 2012 - 02:30

http://www.tagesschau.de/ausland/costaconcordia234.html

“Concordia”-Crew wiegelte in Telefonat mit Küstenwache ab

Lügen, die vermutlich Menschenleben kosteten

Nach der “Concordia”-Havarie ist ein weiteres Telefonat veröffentlicht worden – und das macht viele sprachlos. Denn obwohl der Maschinenraum bereits geflutet war, wiegelte die Crew ab: Es gebe einen Stromausfall. …

Bei komplexeren Vorgängen brechen die Lügengebäude nicht so schnell zusammen, wie bei der “Concordia”-Havarie. Was für ein Glück für die Täter. Wirtschaftskapitäne und ihre Crews haben dank der Komplexität der Wirkzusammenhänge offensichtlich einen Vorteil, die Opfer und ihre Familien einen Nachteil.

Es gibt aber eine Gemeinsamkeit zwischen der Havarie und dem jahrelangen Verschleiß von Mitarbeitern: Die Kapitäne sichern sich zuerst ein Rettungsboot.

40 Jahre Mitbestimmung

Donnerstag, 19. Januar 2012 - 00:40

http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Pressemitteilungen/novelliertes-betriebsverfassungsgesetz.html


Vor 40 Jahren, am 19. Januar 1972, trat die Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes in Kraft. Die Gesetzesänderung brachte die Mitbestimmung der Beschäftigten im Betrieb auf den noch heute gültigen, hohen Standard und entwickelte ihre Mitwirkungsrechte entscheidend weiter. Das novellierte Betriebsverfassungsgesetz ist ein Meilenstein der deutschen Sozialgeschichte.

Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Arbeit und Soziales:

Die Partnerschaft von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in den Betrieben macht Deutschland stark. Das hat sich gerade in der Krise wieder eindrucksvoll gezeigt. Zusammenstehen, Kooperation statt Konfrontation: Das zahlt sich bei allen Interessensunterschieden im Einzelfall am Ende für alle aus. Zusammen mit der Tarifpartnerschaft ist die Mitbestimmung eine unentbehrliche Bedingung für den Erfolg der deutschen Wirtschaft in der Welt.

(Link nachträglich in das Zitat eingefügt)

Na ja, gelegentlich ist auch in einer Kooperation eine Konfrontation nötig. Der Arbeitsschutz ist ein gutes Beispiel: 15 Jahre lang setzten wir auf die Illusion, dass Unternehmer sich im Großen und Ganzen an die Regeln des Arbeitsschutzes halten. Aber bis heute zieht es eine Mehrheit der Unternehmer vor, sich nach Lust und Laune auszusuchen, welche Regeln des Arbeitsschutzes respektiert werden sollen und welche nicht. Mehr als ein Drittel der deutschen Arbeitgeber beurteilt nicht einmal die Risiken der Körperverletzung, die ihre Arbeitsplätze ihren Mitarbeitern durch psychische Fehlbelastungen zugefügt werden können. Statt der ihnen zugewiesenen Verantwortung gerecht zu werden, basteln sich viele Arbeitgeber lieber ein Gesundheitsmanagement zusammen, dass zuerst den Mitarbeitern die Verantwortung zuschiebt.

Wir haben uns an den täglichen Rechtsbruch durch Unternehmer gewöhnt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass staatliche Aufsicht einerseits in den Kleiderschränken und Betten von Sozialhilfeempfängern herumschnüffelt, um herauszufinden, ob sie heimlich in Lebensgemeinschaften leben und damit ihre Kosten um ein paar Euro senken. Andererseits müssen unterbesetzte und schwache Aufsichtsbehörden zulassen, dass Unternehmer, denen persönlich es in der Mehrzahl ohnehin schon gut geht, munter die Gesetze brechen, um in den Betrieben ihre Kosten zu drücken. Diese Toleranz zeigt der Staat ja nicht nur im Arbeitsschutz, sondern z.B. auch gegenüber den Pharmaherstellern und Fleischproduzenten, die seit langer Zeit gesetzeswidrig in Massen Antibiotika verfüttern lassen. Als Nebenprodukt entstehen dadurch resistente Krankheitserreger, die uns zunehmend gefährlicher werden. Aber die Aufsicht ist hilflos. Was für ein Wahnsinn! Bei der Wahl der Prioritäten staatlicher Aufsicht sind wir im wahren Sinne des Wortes verrückt geworden.

In den Betrieben ist die Mitbestimmung ein mögliches Gegenmittel gegen unverantwortliches Wirschaften. Sowohl die staatlichen Aufsichtsbehörden wie auch viele Betriebsräte haben beim ganzheitlichen Arbeitsschutz viel zu lange auf eine zu weiche Kooperation gesetzt und dadurch zugelassen, dass Arbeitnehmer psychisch und physisch verletzt werden konnten. Kooperation und Konfrontation sind aber kein Gegensatz. Wir brauche eine noch aktivere Mitbestimmung, die zum Wohl der Kooperation auch die Konfrontation nicht scheut.