Archiv für September, 2013

Büro der Zukunft

Samstag, 14. September 2013 - 14:18

http://www.arbeitstattstress.de/2013/09/wie-sieht-das-buero-der-zukunft-aus/

Unsinn vom Professor

Freitag, 13. September 2013 - 07:10

Die Saarbrückener Zeitung meldet heute, dass Joachim Malter, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung Saarländischer Unternehmensverbände (VSU), sich gegen das Argument wehre, das Fehlzeiten in den Betrieben vor allem von den Gewerkschaften mit der Belastung am Arbeitsplatz erklärt werde. Vielmehr wirke sich Arbeit in der Regel positiv auf die psychische Gesundheit aus.

Nun hören wir auch von Joachim Malter diese triviale Tatsache. Den Arbeitgebern scheint nichts Intelligenteres mehr einzufallen. Was Malter sagt, ist doch kein Gegenargument. Keiner bestreitet, dass sich gesunde Arbeit positiv auf die Gesundheit auswirkt. Hier ist es nun Malters Eristik, die davon ablenken soll, dass die Gewerkschaften nichts gegen die Arbeit haben. Allerdings kämpfen sie gegen schlechte Arbeit. Vermutlich weiß Joachim Malter das auch. Aber eine korrekte Darstellung der Gewerkschaftspositionen korrekt liegt möglicherweise nicht im Interesse der von Joachinm Malter vertretenen Arbeitgeber.

Für ein noch unintelligenteres Argument bemüht Walter einen Unsinn, den Professor Sascha Stowasser vom Düsseldorfer Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (ifaa) von sich gegeben haben soll: Die Arbeit habe zu Unrecht „den Schwarzen Peter“, denn schließlich litten Arbeitslose drei Mal so häufig an psychischen Krankheiten wie Erwerbstätige.

Bisher habe ich solche Dummheiten vorwiegend vom ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hundt zitieren können.

Kaum jemand bestreitet, dass es Arbeitslosen in der Regel schlechter geht, als Menschen mit einem guten Arbeitsplatz. Das ist aber doch gar nicht das Thema: Es geht um den Unterschied zwischen

  • gesunden Erwerbstätigen und
  • fehlbelasteteten Erwerbstätigen.

So einfach ist das. Es muss schon sehr anstrengend sein, das nicht verstehen zu wollen. Stohwasser begeht mit dem Vergleich von Arbeitslosen und Erwerbstätigen einen vorsätzlichen Kategorienfehler, denn er ist Wissenschaftler genug, um zu wissen, dass er diesen Fehler begeht.

Stohwassers Eristik wäre (wenn er richtig zitiert wurde) also kein Versehen. Und außerdem wäre sie auch noch leicht zu erklären: Träger seines Instituts sind die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Das beweist zwar noch nicht zwingend, dass sich die Wissenschaft hier für die Arbeitgeber prostituiert, könnte aber durchaus erklären, wieso aus dem Institut Stohwassers die gleichen Dummheiten kämen, wie aus den Arbeitgebervereinigungen.

 
In der Diskussion um die Ursachen der Zunahme psychischer Erkrankungen darf insbesondere eine Tatsache nicht vergessen werden: Seit 1996 gelingt es der großen Mehrheit der Unternehmen, die Arbeit zu verdichten und gleichzeitig ihre Pflicht zur Beurteilung psychischer Gefährdungen straflos zu missachten. Diesen Gesetzesbrechern half eine Bundesministerin von der Leyen, die auf strenge Arbeitsschutzgesetze verwies, deren Strenge aber dank einer systematisch überforderten Gewerbeaufsicht kein Arbeitgeber zu spüren bekam. Kein Wunder, wenn dann Arbeitgeberverbände mit dieser Unterstützung dreist behaupten können, es sei nicht erwiesen, dass arbeitsbedingte psychische Belastungen zunähmen. Sie haben ja schon die Beobachtung arbeitsbedingter psychischer Belastungen und damit die von ihnen geforderte Verhältnisprävention sabotiert.

Psychische Belastung und Stress

Freitag, 13. September 2013 - 07:05

http://www.bdp-verband.de/bdp/archiv/gesunde-arbeit/BDP-Broschuere-05-Stress.pdf

[...] Das Ziel ist nicht, jegliche psychische Belastung abzuschaffen,
sondern dauerhafte Überforderung zu vermeiden! [...]

So ist es. Oder anders: Das Ziel ist, Fehlbelastungen zu mindern. Manchmal reicht es sogar, bisher nicht wahrgenommene Belastungen zur offiziellen Aufgabe zu machen. Stichwort: Anerkennung.

[...] Die Themen psychische Belastung und Stress sind im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) zu behandeln. [...]

So ist es nicht so ganz. Auch Psychologen verstehen die Aufgaben des BGM einerseits sowie des den Arbeits- und Gesundheitsschutzes andererseits gelegentlich noch nicht so gut. Zur Klärung:

  • Die Themen psychische Belastung und Stress können im Rahmen des freiwilligen betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) behandelt werden.
  • Der vorgeschriebene Arbeits- und Gesundheitsschutz kann in das freiwillige BGM eingebettet werden.
  • Die Themen psychische Belastung und Stress müssen in den von den Arbeitnehmern mitbestimmten Arbeits- und Gesundheitsschutz einbezogen werden.

“BGM-Experten” verstehen die DIN SPEC 91020 nicht

Donnerstag, 12. September 2013 - 07:55

http://bgm-expeerts.de/index.php/analyse-toolbox/bgm-qualitaetsmanagement-din-spec-91020/norm-din-spec-91020

Die Norm DIN SPEC 91020
[...]
GesundheitsManagement geht über den “klassischen” Arbeitsschutz hinaus
[...]
Das Arbeitsschutzgesetz zeichnet sich durch einen ganzheitlichen und präventiven Ansatz, einen kooperativen und beteiligungsorientierten Ablauf und ein erweitertes Verständnis von Arbeits- und Gesundheitsschutz aus. Ziel ist, neben der Verhütung von Unfällen, die menschengerechte Gestaltung der Arbeit (ArbSchG § 2 Abs. 1).

Außerdem schreibt das ArbSchG vor, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz als kontinuierlicher Verbesserungsprozess zu organisieren ist. Dieses Verfahren findet sich im BGM wieder.

Ich nehme zu Gunsten der “BGM-Experten” einmal an, dass sie keine Ahnung haben, nicht mit Absicht desinformieren und nur versehentlich den Eindruck erwecken, dass es bei der DIN SPEC 91020 um Arbeitsschutz ginge. Sie haben noch immer nicht begriffen, dass das DIN keine DIN SPECS für den Arbeitsschutz zulässt.

Dauerstress: Wenden Sie sich zuerst an den Betriebsrat

Donnerstag, 12. September 2013 - 07:27

http://www.mittelstanddirekt.de/content/f0906-0/internet/website/home/versichern_und_vorsorgen/nachrichten/psychische-belastungen-arbeitsplatz.html

[...] TÜV-Empfehlung: Beratung durch den Betriebsarzt

Die TÜV-Arbeitsmediziner raten Arbeitnehmer andauernden psychischen Stress am Arbeitsplatz sowie Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch ernst zu nehmen und sich an ihren Arbeitgeber zu wenden. Dieser muss im Zuge seiner gesetzlichen Fürsorgepflicht für die Sicherheit und Gesundheit seiner Mitarbeiter sorgen und den Betriebsarzt verständigen. Den medizinischen Grund der Anfrage muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht offen legen. Der Betriebsarzt stellt im Rahmen einer Arbeitsplatz- und Gefährdungsbeurteilung sowie individuellen Untersuchung des Beschäftigten die Ursachen für eine psychische Belastung fest. Ziele der Beratung sind gezielte individuelle Lösungen zur Suchtprävention und Stressabbau. [...]

Es gibt genug Fälle, in denen sich Mitarbeiter an den Arbeitgeber wenden und dann ein niedrigeres Einkommen “angeboten” bekommen. Ich rate fehlbelasteten Arbeitnehmern dringend, sich zuerst an den Betriebsrat zu wenden und zu besprechen, welche Prozesse zur Bearbeitung von Meldungen über fehlbelastenden Dauerstress zwischen dem Betriebsrat und der Betriebsleitung vereinbart worden sind.

Betriebsärzte können durchaus die richtige Adresse für solche Fehlbelastungsmeldungen sein, aber wenn es aus Sicht des Betriebsrates neben der individuellen Beratung durch den Betriebsarzt keinen ordentlichen und vorrangig verhältnispräventiven Arbeitsschutz mit einem mitbestimmten und auditierbaren Prozess für Gefährdungsbeurteilungen gibt, dann könnte das ein Zeichen sein, dass das Unternehmen Fehlbelastungen gleich von Anfang an den Mitarbeitern zuschreiben möchte.

Problematisch wird es natürlich, wenn auch der Betriebsrat keine Ahnung hat und keine ordentlichen Prozesse zur Bearbeitung von Fehlbelastungsmeldungen vereinbart wurden, denn wer bei Fehlbelastungen zu verständigen ist und wie solche Fälle bearbeitet werden, hat im Rahmen der Arbeitsschutzregeln in Betrieben mit Arbeitnehmervertretungen mitbestimmt entschieden zu werden. Zunächst geht es nicht um die fürsorgliche Belagerung von Arbeitnehmern, sondern um den Arbeitsschutz und um die Beurteilung der Arbeitsplätze möglicherweise fehlbelasteter Mitarbeiter.

Hinsichtlich der “individuellen Untersuchung des Beschäftigten” stellen der TÜV bzw. mittelstdanddirekt.de die Prioritäten des Arbeitsschutzes falsch dar. Im Arbeitsschutz ist ganz klar vorgeschrieben, dass individuelle Maßnahmen nachrangig zu allen anderen Schutzmaßnahmen sind. Warum verkehren der TÜV und mittelstanddirekt.de die Prioritäten? Inzwischen sollten sie es wirklich besser wissen: Zunächst sitzten bei der Beurteilung der Arbeitsplatz und die Arbeitsbedingungen auf der Couch und nicht die Arbeitnehmer.

Meine Empfehlung für einen ersten Besuch beim Betriebsarzt: Nehmen Sie ein Mitglied des Betriebsrats zu dem Gespräch mit. Wenn Betriebsärzte das mit Hinweis auf die Vertraulichkeit zwischen Arzt und Patient ablehnen wollen, dann weisen Sie darauf hin, dass Sie kein Patient sind. Da bei der Beurteilung der Arbeitsbedingungen persönliche Daten kein Thema sind, gibt es auch keine Vertraulichkeitsprobleme. Die Beurteilung von Arbeitsbedingungen ist kein Geheimnis.

Testen Sie, wie Betriebsärzte sich gegenüber dem Arbeitgeber verhalten: Vertrauen Sie keinen Betriebsärzten, die sich bei Mängeln in der Gefährdungsbeurteilung beim Arbeitgeber nicht für eine wahrheitsgemäße Gefährdungsbeurteilung einsetzen.

BG ETEM: Der Beitrag des Betriebsrats zur Arbeitssicherheit

Dienstag, 10. September 2013 - 13:24

http://etf.bgetem.de/htdocs/r30/vc_shop/bilder/firma53/jb_005_a05_2011.pdf (2005, Backup)

Inhalt:

Für wen ist diese Broschüre geschrieben? 4

Das Interesse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer an der Arbeitssicherheit 6

Rechte und Pflichten des Betriebsrats in der Arbeitssicherheit 10
Das Verhältnis von Pflichten und Rechten zueinander 10
Die Pflichten im Einzelnen 13
Die Rechte 19

Freiwillige Betriebsvereinbarungen 36

Das praktische Vorgehen des Betriebsrats 37
Rechte wahren – aber wie? 37
Die richtige Organisation der Arbeitssicherheit 41
Gefährdungsbeurteilung 43
Unterweisungen und Arbeitsanweisungen 44
Betriebsanweisungen und Bedienungsanleitungen 45
Von den Sicherheitsbeauftragten lernen 46
Mit den Betriebsärzten und Sicherheitsfachkräften zusammenarbeiten 48
Sicher arbeiten mit Gefahrstoffen 52
Lärm und Vibrationen 57
Arbeitsmedizinische Vorsorge 62
Bildschirmarbeitsplatz, Telearbeit, Call-Center 71
Alkohol im Betrieb 80

Anhang 89
Die wichtigsten gesetzlichen Vorschriften, Verordnungen und UVVen
für den Betriebsrat 91
Wichtige Auszüge aus Gerichtsurteilen 141

Siehe auch: http://blog.psybel.de/betriebsrat-muss-gefaehrdungen-erkennen/

Vertraulichkeit bei AMS-Audits

Dienstag, 10. September 2013 - 12:57

In nach OHSAS 18001 auditierten Betrieben kann die Kommunikation zwischen Auditor und Arbeitgeber weitgehend am Betriebsrat vorbei laufen, wenn im Audit die Pflicht zur Vertraulichkeit falsch verstanden wird.

Interessant ist hier insbesondere der Abs. 2 in § 89 BetrVG:

  • Der Arbeitgeber und die in Absatz 1 Satz 2 genannten Stellen [d.h. die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen] sind verpflichtet, den Betriebsrat oder die von ihm bestimmten Mitglieder des Betriebsrats bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen und bei Unfalluntersuchungen hinzuzuziehen.
  • Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat auch bei allen im Zusammenhang mit dem betrieblichen Umweltschutz stehenden Besichtigungen und Fragen hinzuzuziehen und ihm unverzüglich die den Arbeitsschutz, die Unfallverhütung und den betrieblichen Umweltschutz betreffenden Auflagen und Anordnungen der zuständigen Stellen mitzuteilen.

Bei den “sonstigen in Betracht kommenden Stellen” denke ich z.B. an die mit hoheitlichen Aufgaben beauftragte DAkkS und an die bei ihr akkreditierten Zertifizierungsgesellschaften.

Es ist wichtig und richtig, wenn Auditoren dem auditierten Unternehmen Vertraulichkeit gegenüber Außenstehenden (Kunden, Mitbewerber usw.) zusichern. Der Betriebsrat ist aber kein Außenstehender. „Bei allen im Zusammenhang mit dem Arbeitsschutz oder der Unfallverhütung stehenden Besichtigungen und Fragen“ kann aus meiner Sicht keine den Betriebsrat ausschließende Vertraulichkeit zwischen Auditor und Arbeitgeber gelten. Ich fände es darum merkwürdig, wenn es eine vertrauliche Kommunikation zwischen Auditor und Arbeitgeber gäbe, in die der Betriebsrat (bzw. die von ihm mit Aufgaben im Arbeitsschutz beauftragten BR-Mitglieder) nur teilweise einbezogen würde.

Aufgewacht?: Die “nachträgliche” Mitbestimmung

Dienstag, 10. September 2013 - 07:34

http://www.jes-beratung.de/mitbestimmung.html

[...] Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats gelten immer und ununterbrochen. Wenn eine bestimmte Maßnahme des Arbeitgebers bereits vor einiger Zeit stattgefunden hat, der Betriebsrat aber seinerzeit – sei es, weil er keine Notwendigkeit der Mitbestimmung erkannt hat, weil er vom Arbeitgeber unzureichend informiert wurde oder aus anderen Gründen – sein Mitbestimmungsrecht nicht ausgeübt hat, dann kann er zu jedem beliebigen späteren Zeitpunkt, zu dem die Maßnahme noch gilt, seine Mitbestimmungs- aufgaben wahrnehmen.

Wenn also der Arbeitgeber z. B. bereits vor einiger Zeit eine Kleiderordnung erlassen hat (§ 87 Abs. 1), und der Betriebsrat zu dem Zeitpunkt seine Mitbestimmungsaufgabe nicht wahrgenommen hat, dann kann er – solange die Kleiderordnung noch gilt – jederzeit später verlangen, eine Betriebsvereinbarung über das Thema abzuschließen. Er wird natürlich in dem Fall kaum die Möglichkeit haben, die Kleiderordnung nachträglich durch z. B. eine Einstweilige Verfügung verbieten zu lassen.

Das Argument mancher Arbeitgeber, es handle sich hier doch um “betriebliche Übung” und der Betriebsrat habe sein Mitbestimmungsrecht sozusagen “verwirkt”, weil er den Zustand stillschweigend akzeptiert habe, greift aus verschiedenen Gründen nicht. [...]

Ideentreffen

Montag, 9. September 2013 - 07:16

Auf die folgende Veröffentlichung wurde ich durch arbeitstattstress.de aufmerksam. Die DGUV bietet hier mehr, als der Titel verspricht. Die Tipps können auch Teams in Großunternehmen helfen. So ein “Ideentreffen” kann man nicht nur für Gesundheitsthemen, sondern auch in Projekt-Retrospektiven (lessons learned) einbauen.

http://publikationen.dguv.de/dguv/pdf/10002/i-7010-1.pdf

Gesund und fit im Kleinbetrieb
Arbeiten: entspannt, gemeinsam, besser
So geht´s mit Ideen-Treffen
Tipps für Wirtschaft, Verwaltung und Dienstleistung

Politiker erleichtern Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes

Sonntag, 8. September 2013 - 10:20

Alle politischen Parteien, die an der Gestaltung und Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes mitgewirkt hatten und noch mitwirken, hatten den Unternehmen gleichzeitig auch die Missachtung des Gesetzes erleichtert. Immerhin haben die SPD und die Grünen dazugelernt und sind mit der “Anti-Stress-Verordnung” nun auf dem richtigen Weg.

Arbeitgeber kommen mit ihrer Gestaltungsfreiheit nicht zurecht: Nun kam es unter der Moderation des BMAS zu einer gemeinsamen Erklärung der BDA und des DGB zur psychische Gesundheit in der Arbeitswelt. Die Erklärung ist zwar schon ganz brauchbar, aber das Grundproblem wurde nicht deutlich. Ein Hinweis auf das Grundproblem ist die Forderung der Arbeitgeber nach “Handlungssicherheit”. Sie kommen mit der Gestaltungsfreiheit nicht zurecht, die sie sich noch im letzten Jahrhundert mit intensiver Lobbyarbeit verschafft hatten: Damals trieben sie auf europäischer Ebene die “Entbürokratisierung” der Gesetzgebung voran. Resultat waren eine europäische Arbeitsschutzrichtlinie, die zu Rahmengesetzen führte, innerhalb derer Arbeitnehmer und Arbeitgeber unterschiedliche Regelungen für einzelne Betriebe vereinbaren konnten. Ihre Gestaltungsfreiheit haben die meisten Arbeitgeber bis heute nicht genutzt, obwohl sie auch eine Gestaltungspflicht war. Denn auch die Gewerbeaufsichten waren mit dieser Situation überfordert. Ich glaube inzwischen, dass das durchaus poltisch beabsichtigt war.

Es geht ans Eingemachte: Anstelle sich rechtzeitig mit den Personal- und Betriebsräten zusammenzusetzen und zu Vereinbaren zu kommen, gelang es den meisten Arbeitgebern so, das Thema bis etwa in das Jahr 2011 zu verschleppen. Wie kann das sein, wenn sie doch behaupten, ein guter Arbeitsschutz sei aus wirtschaftlichen Gründen auch im Interesse der Wirtschaft? Das kann deswegen sein, weil noch immer nicht begriffen wurde, dass sich zu viele Führungskräfte individuell gegen einen gut dokumtierten Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz wehren: Ein wichtiger Grund für die fehlende Begeisterung der Unternehmern beim Thema der psychischen Belastungen ist, dass Führungskräfte ahnen/wissen, dass es bei ggf. erforderlichen Veränderungen häufig ans Eingemachte (Organisation, Personaleinsatz/ -entwicklung, Führung/ Kommunikation) geht - und dass man dieses (Diskussions-) Risiko scheut.

Der Arbeitsschutz begrenzt die Unternehmensautonomie: Im Grunde versteht die BDA insbesondere die Mitbestimmung beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als einen Angriff auf die Unternehmensautonomie. In Deutschland dürfen die Unternehmen aber autonom genug sein, sich über das Gesetz zu stellen. Sie ignorieren einfach jene Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes, mit denen sie nicht einverstanden sind. Sie machen das, weil sie das können. Das ist Anarchie. In diesen Unternehmen wird insbesondere der mitbestimmte Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als eine Einschränkung der Unternehmensführung gesehen. Zur Führung gehört, auf Arbeitnehmer in verschiedenster Weise Druck ausüben zu können. Da auch Arbeitnehmer nicht immer ihre vertraglichen und gesetzlichen Pflichten erfüllen, kann solch ein Druck fallweise legitim sein, aber ein vorschriftsmäßiger Arbeitsschutz mit einer guten Dokumentation erhöht die Verantwortung, die Arbeitgeber für ihre Maßnahmen gegenüber Arbeitnehmern haben. Die dabei durch einen ordentlichen Arbeitsschutz hergestellte Transparenz stellt bisher nicht offen dokumentierte Führungsstile jedoch in Frage. Das ist für manchen “Macher” schwer verdaulich.

Rechtsbrüche an der Tagesordnung: Wir haben hier einen Kampf um neue Grenzen für Macht. Eine Bundesregierung, die naiv glaubt, dass wirtschaftlichen Gründe als Motivation der Arbeitgeber für einen guten Arbeitsschutz ausreichen, vergisst, dass das Interesse “der Wirtschaft” nicht unbedingt dem Interesse der vielen einzelnen Führungskräfte entspricht, ihre Handlungsspielräume zu maximieren und gleichzeitig Verantwortung zu vermeiden. Es ist doch spätestens seit 1996 klar: Zu viele Führungskräfte missachten die ihnen unangenehmen Passagen des Arbeitsschutzgesetzes seit langer Zeit und mit großer Beharrlichkeit. Auch beim Arbeitszeitgesetz ist längst bekannt, dass Rechtsbruch seit Jahrzehnten dort an der Tagesordnung ist, wo nicht so genau hingesehen werden kann. Dort, wo genau hingesehen wird, zahlen z.B. “eigenverantwortlich handelnde” LKW-Fahrer die Strafe für nicht ausreichende Ruhezeiten selbst. Das hat banale Ursachen: Die Politik will nicht wahrnehmen, wie es um die realen Abhängigkeitsverhältnisse in der Arbeitswelt bestellt ist. Dann werden Schutzvorschriften so gestaltet, dass sie nur schwer umzusetzen sind.

Gesetze sind nur auf dem Papier “streng”: Bei psychischen Belastungen ist das Hinsehen viel komplizierter, als im “klassischen” technischen Arbeitsschutz. Die Gewerbeaufsichten blickten einfach nicht durch. Darum konnte auch im Arbeitsschutz unter den Augen der Gewerbeaufsicht die Anarchie herrschen. CDU, CSU und insbesondere die FDP unternehmen nichts wirklich Wirksames gegen diese Zustände. Die Bundesministerin von der Leyen sprach von “strengen” Gesetzen, aber diese Strenge wurde seit 1996 nicht spürbar. Mit solchen Frivolitäten hilft die Bundesregierung vielen Arbeitgebern, wichtige Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes souverän zu ignorieren.

Fragen an Arbeitgeber: Mir ist hier allerdings eine Ausnahme bekannt: Dort wo die FDP einer Regierung, an der sie nicht beteiligt war, an den Wagen fahren konnte, interessierte sie sich plötzlich und mit überraschender Kompetenz für das Thema der psychischen Belastungen. Ausgerechnet aus einer Anfrage der FDP im Senat des Landes Berlin entstand meine Liste von Fragen an Arbeitgeber. Die FDP kennt sich also aus. Von der FDP wird aber trotzdem kaum zu erwarten sein, dass sie gleichermaßen deutliche Fragen an die vielen Unternehmen richten wird, in denen sie ihre Klientel sieht. Das ist eine besonders üble Politik wider besseren Wissens.