Archiv für September, 2011

B5 aktuell: Stress am Arbeitsplatz

Freitag, 30. September 2011 - 21:31

Die Diskussionssendung Sonntags um 11 auf B5 aktuell widmet sich am Sonntag (2011-10-02, Zeit: etwa 11:30 bis 12:00) zwei Themen, eines davon ist “Risiko Burnout: haben Sie zuviel Stress am Arbeitsplatz?. (Zuvor gibte es noch ein Stress-Thema: “Erweiterter Euro-Rettungsschirm: kann Europa jetzt aufatmen?“.)

Zu Gast beim Moderator ist jede Woche ein leitender Redakteur einer bayerischen Zeitung. In dieser Sendung ist Rudi Wais (Berlin-Korrespondent der Zeitungen Augsburger Allgemeine, Main-Echo und Straubinger Tagblatt) zu Gast bei Andrea Böckmann.

Ein möglicher Anlass für die Themenwahl ist wohl, dass kürzlich Hans-Jürgen Urban von der die IG Metall vor den Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt gewarnt und von Arbeitgebern und Politik mehr Bereitschaft zur Prävention gefordert hat (2011-09-28). Und zuvor gewann der erschöpfungsbedigte Rücktritt des Schalke-Trainers Ralf Rangnick Aufmerksamkeit in den Medien (2011-09-22).

B5-Hörer können unter der kostenfreien Telefonnummer 0800 80 80 789 anrufen und sich an der Diskussion beteiligen. Nach der Sendung kann ein Podcast heruntergeladen werden.

Ich bin einmal gespannt, ob auch in dieser Diskussion ein wichtiger Grund für psychische Fehlbelastungen am Arbeitsplatz trotz seiner guten Beobachtbarkeit vergessen wird: Immer noch kann der Großteil der Arbeitgeber (weitgehend ungestört von motivierten, aber politisch ausgebremsten Aufsichtseinrichtungen) die seit 1996 bestehende Pflicht zum mitbestimmten Einbezug psychischer Belastungen in den ganzheitlichen Arbeitsschutz missachten:

Es gibt noch viel zu viele Organisationen, die sich bei dem Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz zum “Jagen tragen lassen”, die sich viel zu wenig um die Gesundheit ihrer Beschäftigten sorgen und die sich sogar davor drücken, ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen. Die entsprechenden Entscheidungsträger handeln in meinen Augen nicht nur grob fahrlässig, weil sie es versäumen, ihrer Fürsorgepflicht nachzukommen und für das Wohlergehen ihrer Beschäftigten Sorge zu tragen, sondern sie stellen auch leichtfertig – gerade vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels – die Existenz ihrer Unternehmen aufs Spiel. 

Prof. Dr. Jochen Prümper, HTW Berlin in einem Interview

Das Thema Arbeitsschutz und die mit ihm eng verbundene Verhältnisprävention scheint Vielen immer noch zu unanschaulich zu sein. Verhaltensprävention mit netten Tipps für den Einzelnen ist wohl einfach mediengerechter darstellbar. Mal abwarten, wie es am Sonntag laufen wird.

 
Weitere Links

 


Nachbemerkung 2011-01-02: Das Format der Sendung lässt wohl nicht zu, die strukturellen Probleme genauer zu beleuchten, unter denen fehlbelastete Arbeitnehmer heute leiden. So überwogen wieder die Einzelschicksale, bis hin zur Erfahrung, dass Arbeit leichter fällt, wenn man dabei singt. Wie fast zu erwarten war, berichtete dann auch ein Teilnehmer, sein Psychiater habe ihm gesagt, er müsse sich verändern, die Firma werde sich nie verändern. Dieser Irrtum wird eben auch von den Betroffenen immer wieder neu gepflegt. Arbeitnehmer kennen eben immer noch weder ihre Rechte und Möglichkeiten, noch kennen sie die Pflichten von Arbeitgebern und Betriebsräten.
    Immerhin konnte ich aber am Telefon ein paar Hinweise geben: Podcast (Thema ab 28m42s, mein Beitrag ab 36m16s). Genauer hätte ich allerdings nicht von “Gefährdungsbeurteilungen” sprechen sollen, sondern von “ganzheitlichen Gefährdungsbeurteilungen, in die psychisch wirksame Belastungen einbezogen werden”. Im Gegensatz zu den Gefährdungsbeurteilungen des technischen Arbeitsschutzes werden ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen (also mit Einbezug psychisch wirksamer Belastungen) nur bei wenigen Betrieben durchgeführt, obwohl die Arbeitgeber seit 1996 (und noch klarer nach BAG-Beschlüssen im Jahr 2004) dazu verpflichtet sind.
 

Burnout – Modewort und gesellschaftliches Phänomen

Mittwoch, 28. September 2011 - 11:17

http://mp3.podcast.hr-online.de/mp3/podcast/derTag/derTag_20110927.mp3 (48MB, nicht mehr verfügbar)

Dauer: 52:17 min.
Autor: Redaktion Der Tag
Datum: 27.09.2011
Beschreibung: Burnout – seit Ralf Rangnick den Trainerposten bei Schalke 04 wegen körperlicher, geistiger und seelischer Erschöpfung aufgegeben hat, geistert das Modewort wieder durch die Medien. In der normalen Arbeitswelt geht es zwar nicht so spektakulär zu, aber sicherlich nicht weniger dramatisch: Auch der Industriearbeiter, die Büroangestellte, der Freiberufler, die Halbtagsarbeitskraft mit Kleinkind kennen das Gefühl, ausgebrannt zu sein. Leer, ohne Kraft, ohne Antrieb. Nur können die sich keine luxuriöse Auszeit nehmen wie ein Bundesligatrainer. Die normalen Menschen haben Angst, sich krank zu melden, und bei denen, die es doch tun, nehmen seit Jahren Depressionen und andere psychische Krankheiten deutlich zu.

 

Links:

IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben

Mittwoch, 28. September 2011 - 00:17

http://www.igmetall.de/cps/rde/xchg/internet/style.xsl/6763-8555.htm

Pressemitteilung Nr. 41/2011
IG Metall warnt vor Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in den Betrieben
27.09.2011

Berlin – Die IG Metall hat vor den Folgen zunehmender psychischer Erkrankungen in der Arbeitswelt gewarnt und von Arbeitgebern und Politik mehr Bereitschaft zur Prävention gefordert. “Mit der rasanten Zunahme von arbeitsbedingtem Stress und psychischer Erkrankungen tickt eine gesellschaftliche Zeitbombe”, sagte Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall am Dienstag in Berlin. Stress und Burnout hätten längst in Werkstätten, Fabrikhallen und Büros in einem Tempo und einem Ausmaß um sich gegrifen, dass es fahrlässig sei, diese Problem unter ferner liefen zu behandeln. “Wir wollen alle Akteure, die zur Bewältigung dieses Problems beitragen können, aufrütteln”, betonte Urban.

Der Gewerkschafter verwies auf die Ergebnisse einer Umfrage unter Betriebsräten. Danach wird von 86 Prozent der Befragten der Anstieg psychischer Erkrankungen in den Betrieben als ernst zu nehmendes Problem wahrgenommen. Rund 40 Prozent der Betriebsräte geben an, dass psychische Erkrankungen stark bzw. sehr stark im Unternehmen zugenommen haben. Insgesamt 68 Prozent der Betriebsräte geben an, dass arbeitsbedingter Stress und Leistungsdruck in den Unternehmen besonders seit der Krise erheblich gestiegen sind.

Urban stellte eine eklatante Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung des Problems und den tatsächlichen Hilfs- und Präventionsangeboten in den Betrieben fest. In 43 Prozent der Betriebe gab es keine Hilfen und in 26 Prozent zu wenige Hilfen für Burnout-Betroffene. Insgesamt 73 Prozent der Betriebsräte sind der Meinung, dass in den Betrieben mehr für den Gesundheitsschutz getan werden müsste.

Der Sozialexperte kündigte an, die IG Metall werde arbeitsbedingten Stress und seine gesundheitlichen Folgen zum Thema in den Betrieben und gegenüber der Politik machen. “Gesundheit darf nicht hinter betriebswirtschaftlichen Erfolgszahlen und der Wettbewerbsfähigkeit zurückstehen”, kritisierte Urban. Arbeitgeber müssten mehr in den Gesundheitsschutz investieren.

Die IG Metall wolle die Betriebsräte beim Thema psychische Erkrankungen, wie Burnout, stärker unterstützen. Urban stellte die Arbeitshilfe “Burnout. Betriebsräte als Lotsen für Burnout-Betroffene” vor.

Der Gewerkschafter kritisierte, dass bei Gesundheitsgefahren durch arbeitsbedingten Stress und psychische Belastungen eine eklatante Schutzlücke bestehe, die dringend geschlossen werden müsse. “Bei allen klassischen Gesundheitsgefährdungen wie Gefahrstoffe und Lärm gibt es konkrete Präventionsregeln. Bei arbeitsbedingtem Stress: Fehlanzeige”, kritisierte Urban. Hier müsse endlich mit einer Anti-Stress-Verordnung nachgebessert werden.

 
Die “Anti-Stress-Verordnung” gibt es doch schon seit langer Zeit: Arbeitsschutzgesetz (1996) und BAG-Beschlüsse (2004). Und die Bildschirmarbeitsverordnung ist derart konkret, dass die Stoiber-Kommission sie loswerden will. Wie so oft, mangelt es heute nicht an Gesetzen, sondern an deren Durchsetzung. Ansonsten stimmt Vieles in der Pressemeldung der IG-Metall, aber bitte besser fragen! Fragt die Betriebsräte bei solchen Blitzumfragen:

  • Gibt es in Euren Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, in die psychisch wirksame Belastungen einbezogen sind?
  • Wenn ja, habt Ihr das mit einer Betriebsvereinbarung geregelt?

Mit diesen Fragen kann man ganz leicht harte Tatsachen ermitteln, die sich nicht so leicht wegdiskutieren lassen wie das Stimmungsbild, das Ihr hier wiedergebt. Nicht das Fehlen einer “Anti-Stress-Verordnung” ist das Problem, sondern die mangelhafte Aufsicht durch die Behörden. Auch fehlt Arbeitgebern oft der Respekt vor der Mitbestimmungsplicht der Betriebsräte.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/kategorie/statistik/ (darin speziell: http://blog.psybel.de/ganzheitlicher-arbeitsschutz-nur-bei-16prozent-der-betriebe/)
 

PS: Es mag überraschen, aber ausgerechnet bei der FDP fand ich ein Beispiel für gute Fragen.
 


2011-10-14: Andere Meinung zur Regelungslücke: http://blog.psybel.de/regelungsluecke-psychische-belastungen-schliessen/

Depression als Schlaganfallrisiko

Freitag, 23. September 2011 - 07:07

http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/47429/Depression_als_Schlaganfallrisiko.htm

Boston – Menschen mit Depressionen erkranken häufiger an einem Schlaganfall. Nach einer Meta-Analyse im US-amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2011; 306: 1241-1249) könnten fast 4 Prozent aller Schlaganfälle Folge der mentalen Erkrankung sein. …

Gesundheitsbedingte Frühberentung

Montag, 12. September 2011 - 07:26

Der Bericht ist zwar aus dem Jahr 2006, das Problem wächst aber munter weiter.

Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 30,
Uwe G. Rehfeld, Robert Koch Institut, 2006-04-23
Gesundheitsbedingte Frühberentung
http://www.rki.de/cln_169/nn_199850/DE/Content/GBE/Gesundheitsberichterstattung/
GBEDownloadsT/fruehberentung,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/fruehberentung.pdf

S. 11:

… Im aktuellen Trendverlauf zeigt sich eine ähnliche Entwicklung für alte und neue Bundesländer mit einem weiteren Rückgang der Berentungsalter auf ein Niveau zwischen 49 und 51 Jahren. Dieses wird darauf zurückgeführt, dass jüngere und schwerere Erwerbsminderungsfälle in die Berentung gelangt sind, während Ältere die vorgezogenen Renten, insbesondere wegen Arbeitslosigkeit beantragen. Bemerkenswert ist darüber hinaus das niedrigere Zugangsalter bei Frauen (insgesamt 2003 49,2 Jahre; Männer: 50,7 Jahre). Dies ist auch auf einen hohen Anteil von Frühberentungen auf Grund psychischer Krankheiten (mit Durchschnittsalter 47,3 Jahre bei Arbeiterinnen und 48,3 Jahre bei Angestellten) zurückzuführen. …

S. 14:

… Bei der Frühberentung spielen insbesondere jene Krankheiten eine Rolle, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich sind, jedoch die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen. Von erheblicher Bedeutung sind zunächst die psychiatrischen Krankheiten (ICD-9: 290–319/ICD-10: F00–F99) [♀35,5%, ♂24,5%]. Es folgen in der Häufigkeit des Auftretens die so genannten »Verschleiß-Erkrankungen« des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes (ICD-9: 710–739/ICD-10: M00–M99)) [♀19,3%, ♂20,9%], Neubildungen (ICD-9: 140–239/ICD-10: C00–D48) [♀16,1%, ♂13,5%] und Krankheiten des Kreislaufssystems (ICD-9: 390–459/ICD-10: I00–I99) [♀7,2%, ♂16,1%]. …

S. 15:

… Das Gewicht der Krankheitsgruppen für das Berentungsgeschehen hat sich im Zeitablauf bei Männern und Frauen unterschiedlich entwickelt … . Seit 1983 hat sich der Anteil der Kreislauferkrankungen bei den Männern von ehemals fast 40 % auf nunmehr 16 % verringert. Im gleichen Zeitraum stieg der Anteil der Frühberentungen aufgrund von Krankheiten des Skeletts, der Muskeln und des Bindegewebes zunächst von 15 % auf über 30 %; er liegt derzeit bei rund 21 %. Einen bemerkenswerten Verlauf haben darüber hinaus die Berentungen wegen psychischer Erkrankungen genommen: Ihr Anteil ist von rund 8 % im Jahr 1983 auf rund 24 % im Jahre 2003 angestiegen und dürfte als Indikator die zunehmenden psychosozialen Belastungen in Arbeitswelt und Gesellschaft abbilden. …

Das Grundmuster dieser Entwicklungen hat sich bei Frauen in ähnlicher Weise entwickelt: Frühberentungen wegen Kreislauferkrankungen sind im betrachteten Zeitraum von 37 % auf rund 7 % gesunken, der Anteil der psychischen Erkrankungen ist von unter 10 % auf die nunmehr häufigste Erkrankungsart mit rund 35 % angestiegen. Dieser Trend ist noch stärker als bei den Männern und dürfte auf die vielfältigen sozio-psychologischen Belastungen der heutigen Zeit hinweisen, die sich bei Frauen stärker auswirken. …

S. 17:

… Die aus gesundheitlichen Gründen mit einer Erwerbsminderung früher aus dem Erwerbsleben ausscheidenden Rentner haben eine deutlich niedrigere Lebenserwartung. …

(Nachträglich hinzugefügt: Hervorhebungen, Anmerkungen in eckigen Klammern)

Haben die Berufsgenossenschaften und Gewerbeaufsichten deswegen seit 2006 strenger geprüft?

 


Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Heft 48,
Manuela Nöthen und Karin Böhm, Robert Koch Institut, 2010-01-28
Krankheitskosten
http://www.rki.de/cln_169/nn_199850/DE/Content/GBE/Gesundheitsberichterstattung/
GBEDownloadsT/Krankheitskosten,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Krankheitskosten.pdf
, S. 19
11,3%: [Kostenanteil im Jahr 2006 psychischer Erkrankungen an allen Erkrankungen]
9,0%: unter 15 jahre
12,0%: 15 bis 29 Jahre
12,9%: 30 bis 49 Jahre
9,7%: 45 bis 64 Jahre
10,3%: 65 bis 84 Jahre
24,1%: über 85 Jahre

Absolut betrugen im Jahr 2006 die Kosten für psychische Erkrankungen 26,7 Milliarden Euro. (In der Tabelle auf S. 19 ist ein Fehler. Anstelle der 11,3% standen dort irrtümlicherweise 12,4%.)

Suizid als Arbeitsunfall?

Samstag, 10. September 2011 - 11:53

http://www.faz.net/artikel/C30513/psychischer-druck-von-selbstmord-erschuettert-30097234.html (Suizid als Arbeitsunfall?, 2007-10-18)

… Wenn der schlimmste Fall eingetreten ist, wollen die Ehepartner und Kinder versorgt werden. Doch fällt es ihnen oft schwer, eine Anspruchsgrundlage zu finden und ihre Voraussetzungen vor Gericht zu beweisen. “Der Suizid eines Arbeitnehmers könnte als Arbeitsunfall gewertet werden”, sagt Gerhard Röder, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart. … Die Kläger müssten darlegen, sagt Röder, dass die Ursache für das Unglück eine zugespitzte betriebliche Situation war, die dem Verstorbenen einen plötzlichen schweren Schock oder ein psychisches Trauma zugefügt hat. “Es reicht in der Regel nicht, dass sich eine Krise langsam und stetig aufgebaut hat”, betont der Anwalt. … Liege ein solcher Arbeitsunfall nicht vor, könne ein Unternehmen wegen Verletzung der allgemeinen Fürsorgepflicht oder des Arbeitsschutzrechtes haften, sagt Röder. …

Heute, am Welt-Suizid-Präventionstag, wird es wieder ernst. Arbeitsbelastung ist nicht die Hauptursache für Selbsttötungen. Es geht generell um den Umgang miteinander.

Auch in diesem Jahr nahmen sich bekannte Persönlichkeiten das Leben, die vermeintlich keine Sorgen haben müssten. Vielleicht sollten wir uns unsere wirklichen Sorgen einmal genauer ansehen. Das hilft.

Suizide können nur in seltenen Fällen als Arbeitsunfall auf die Arbeitsbedingungen in einem Betrieb zurückgeführt werden. Für den extremen Schritt zur Selbsttötung kann zwar niemals ausschließlich der Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden, aber zu welchem Grad Arbeitsbedingungen Anteil an den Gründen für eine Selbsttötung haben, wird nach einem Suizid kaum wirklich ergebnisoffen untersucht. Selbst Arbeitnehmervertretungen haben hier Angst.

Hier muss sich etwas ändern. Richter müssten schon den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als ein Indiz für eine Mitschuld des Arbeitgebers werten dürfen. Derzeit hilft es Arbeitgebern sogar, vorschriftenwidrig die Beurteilung psychischer Belastungen zu vermeiden, denn das vermeidet auch eine Dokumentation, aus der Hinterbliebene Beweise gewinnen könnten.

Übrigens, um Selbsttötung geht es auch in “Eine Sitte auf der Insel Kreos” in den Essais von Michel de Montaigne. Das ist sehr lesenswert (auf Deutsch z.B. in Reclam 8308), muss aber im Zusammenhang mit den Wertvorstellungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts gesehen werden. Aus heutiger Sicht ist das Kapitel eigentlich haarsträubend. Die Wechselwirkung zwischen sich selbst tötenden Menschen und ihren Mitmenschen als Ursache von Suizid ist aber bis heute geblieben. An dieser Wechselwirkung können wir aber auch immer wieder ansetzen. Schließlich ist sie ja der Grund dafür, dass wir Selbsttötungen nicht hinnehmen wollen.

Skurriles bei den Arbeitgebertagen

Freitag, 9. September 2011 - 22:30

Am 13. und 14. September veranstaltet die BWRmed!a (ein Unternehmensbereich der Verlag für die Deutsche Wirtschaft AG) die “4. Arbeitgebertage zum Brennpunkt Betriebsrat 2011“, ein “Jahrestreff für Arbeitgeber mit Betriebsrat.” Da muss ein Arbeitgeber, der Betriebsrat hat, unbedingt hin, denn manchmal wird man als Arbeitgeber das Gefühl nicht los, dass Rechtsprechung und Gesetzgeber nur noch die Arbeitnehmer- und Betriebsratsrechte vor Augen haben. Und mit dem Seminartourismus dieser Betriebsräte kann das auch nicht mehr so weiter gehen. Bei dem Jahrestreff erfahren Arbeitgeber mit Betriebsrat aber nicht nur, wie man sich vor Betriebsrat besser schützt oder wie man Betriebsrat behandelt, sondern es ist auch für Trost gesorgt, weil nämlich Professor Dr. jur. Burkhard Boemke da ist. Professor Dr. jur. Burkhard Boemke ist seit 1998 der Direktor des Instituts für Arbeits und Sozialrecht an der Juristenfakultät der Universität Leipzig. (Den Förderverein zu dem Institut gibt es schon seit 1997.) Professor Dr. jur. Burkhard Boemke macht auch noch viele andere Sachen, zum Beispiel ist er der Chefredakteur des Informationsdienstes “Arbeitsrecht kompakt – Urteilsblitzdienst für Arbeitgeber“, Managementberater und so weiter. Am 13. September erzählt er beim Jahrestreff für Arbeitgeber mit Betriebsrat ab 17:15, was für skurrile Betriebsratsfälle es so alles gibt, zum Beispiel einen Check der Unterwäsche bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Besonders lustig ist “Arbeitsplatzgestaltung im öffentlichen Dienst: Temperatur, Helligkeit, Luftfeuchtigkeit und mehr”. Für Feuchtigkeit ist auch am Abend gesorgt: Es gibt dann einen kommunikativen Imbiss und Umtrunk mit allen Referenten in einem Braukeller, der so nahegelegen ist, dass man danach auch ziemlich sicher seinen Weg in das Hotel wieder zurück findet.

Burnout – The Latest Fashion?

Freitag, 9. September 2011 - 18:42

http://www.arbeitstattstress.de/podiumsdiskussion-ist-burnout-die-neueste-mode/

Auf dem Weltwirtschaftsforum 2011 fand eine Podiumsdiskussion zum Thema “Burnout – The Latest Fashion?” statt…

Fragen an Arbeitgeber

Donnerstag, 8. September 2011 - 21:15

Die folgende Liste von Fragen wurde aus einer Kleinen Anfrage der FDP (2009, Mieke Senftleben und Kai Gersch) in Berlin abgeleitet. Hinter den Fragen steckt Kompetenz: Die Fragesteller haben das Thema “Verhaltensprävention vs. Verhältnisprävention” sehr gut verstanden und vermitteln das auch deutlich. Auch das ist eine Aufgabe solcher Anfragen. Zumindest als Oppositionspartei hatte die FDP hier gute Arbeit geleistet.

Bei den Fragen ging es um die Belastung von Lehrern an Berliner Schulen. Ich habe die Fragen so modifiziert, dass man sie in der Privatwirtschaft verwenden könnte. Man muss die Fragen dort, wo die Voraussetzungen des konkreten Falls nicht gegeben sind, natürlich ändern oder gegebenenfalls auch weglassen.

  1. Wie bewertet der Arbeitgeber die krankheitsbedingten Fehlzeiten von Mitarbeitern in seinen Betrieben als Kriterium für die Beurteilung der gesundheitlichen Belastung insbesondere vor dem Hintergrund der außergewöhnlichen Belastungen, denen sie ausgesetzt sind?
  2. Welchen Stellenwert hat nach Ansicht des Arbeitgebers die kontinuierliche Erfassung der Fehlzeiten von Mitarbeitern als Mittel zur Beurteilung der Veränderung und Erkennung von Tendenzen der gesundheitlichen Belastung?
  3. Welche sind nach Ansicht des Arbeitgebers die realen und potenziellen gesundheitlichen Belastungsfaktoren, unter denen Mitarbeiter in seinen Betrieben leiden?
  4. Ist der Arbeitgeber daran interessiert, die gesundheitlichen Belastung der Mitarbeiter in seinen Betrieben zu erfassen?
  5. Sofern der Fall: welcher Methoden/Parameter bedient sich der Arbeitgeber zu diesem Zweck (z.B. Gefährdungs- und Belastungsanalyse), und hält er die ihm zur Verfügung stehende Datenlage zum Gesundheitszustand der Mitarbeiter für ausreichend und statistisch valide?
  6. Wie viele Mitarbeiter wurden in den letzten 10 Jahren in den Betrieben des Arbeitgebers vorzeitig in den Ruhestand versetzt und welchen Anteil machten die vorzeitigen Versetzungen in den Ruhestand an der Gesamtzahl der jährlichen Versetzungen in den Ruhestand jeweils aus?
  7. Wie viele dieser vorzeitigen Versetzungen in den Ruhestand erfolgten in jedem der letzten 10 Jahre aus gesundheitlichen Gründen und welchen Anteil machten die gesundheitlich bedingten vorzeitigen Versetzungen in den Ruhestand an der Gesamtzahl der jährlichen Versetzungen von Mitarbeitern in den Ruhestand jeweils aus?
  8. Wie handhaben andere Arbeitgeber (z.B. Mitglieder in Arbeitgeber- und Personalerorganisationen, in denen auch der Arbeitgeber Mitglied ist) nach Kenntnis des Arbeitgebers die Erfassung und Auswertung der krankheitsbedingten Fehlzeiten von Mitarbeitern in seinen Betrieben?
  9. Liegen dem Arbeitgeber wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirksamkeit von Verhaltens- in Relation zur Verhältnisprävention vor, und – sofern der Fall – welche sind dies?
  10. Wie bewertet der Arbeitgeber die Wirksamkeit von Verhaltens- in Relation zur Verhältnisprävention im Sinne der Förderung der Gesundheit der Mitarbeiter?
  11. Der Arbeitgeber referiert allgemein den Begriff “Verhältnisprävention”, ohne konkrete Maßnahmen der Verhältnisprävention in seinen Betrieben zu nennen. Ist daraus zu folgern, dass vom Arbeitgeber keine Projekte der Verhältnisprävention zur Förderung der Mitarbeitergesundheit in seinen Betrieben durchgeführt werden?
  12. Hält es der Arbeitgeber für angemessen, den Mitarbeitern angesichts der besonderen Belastungen in seinen Betrieben vorwiegend oder ausschließlich sporadisch Strategien anzubieten, wie sie selbst diese Belastungen individuell kompensieren können [Verhaltensprävention], oder ist der Arbeitgeber der Ansicht, dass vor allem im Sinne einer Verhältnisprävention die Ursachen der Belastungen erkannt und behoben werden sollten?
  13. Auf welche Weise und in welchen Intervallen werden die vom Arbeitgeber dargestellten Maßnahmen der Verhaltensprävention bei Mitarbeitern auf ihre Wirksamkeit evaluiert, wie lauten die Ergebnisse der letzten Evaluationen und wie viel haben die Maßnahmen in den letzten 5 Jahren jeweils jährlich gekostet?
  14. Gilt die “Betriebsvereinbarung über das betriebliche Gesundheitsmanagement” vom (im Folgenden BVG genannt) im Betrieb X des Arbeitgebers auch für die Mitarbeiter in anderen Betrieben dieses Arbeitgebers, und wird sie umgesetzt?
  15. Sofern nicht der Fall: warum nicht?
  16. Sofern die BVG für die o.g. Betriebe gilt: Wie viele Gesundheitskoordinatoren/-innen gemäß BVG gibt es derzeit in den Abteilungen für Arbeitsschutz, und welche Betriebe werden von ihnen betreut?
  17. Wie viele Ausschüsse für Gesundheitsmanagement gemäß BVG sind derzeit für die Mitarbeiter tätig, welche Maßnahmenkataloge gemäß BVG wurden erstellt, welche Analyseinstrumente gemäß BVG finden aktuell Anwendung und wann/wo erfolg(t)en Mitarbeiterbefragungen gemäß BVG in den Betrieben des Arbeitgebers?
  18. Wie werden die Vereinbarungen zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement vom November 2007 derzeit in den Betrieben des Arbeitgebers umgesetzt?
  19. In der Gesamtvereinbarung … heißt es in Bezug auf das Gesundheitsmanagement: “Die isolierte Einführung einzelner Maßnahmen wirkt – wenn überhaupt – nur kurzzeitig und ist längerfristig als kontraproduktiv anzusehen”. Wie bewertet der Arbeitgeber diese Aussage?
  20. Wie bewertet der Arbeitgeber vor dem Hintergrund der Gesamtvereinbarung kurzfristige, sporadische Angebote von “Stresskursen” für Mitarbeiter?
  21. Sind dem Arbeitgeber Initiativen anderer Arbeitgeber zur Förderung der Mitarbeitergesundheit bekannt und – sofern der Fall – wie bewertet der Arbeitgeber diese konkreten, langfristig ausgelegten Projekte, welche gesundheitsdiagnostische, gefährdungs- und belastungsanalytische mit nachhaltigen Maßnahmen der Verhältnisprävention kombinieren?

In der Original-Anfrage ging es um die Belastung von Lehrern an Berliner Schulen. Es gab auch Anfragen der CDU, aber die Fragen der FDP weisen viel deutlicher und präziser auf die Schwachstellen im Arbeitsschutz hin.

Siehe auch: http://www.arbeitstattstress.de/verhaeltnis-und-verhaltenspraevention/

 


2013-04-14

Habe hier enmal das Schlagwort “Bundestagswahl 2013″ hinzugefügt. Die Berliner FDP kennt sich nämlich mit dem Arbeitsschutz gut aus - besonders wenn sie damit dem Berliner Senat auf die Pelle rücken kann. Wird man davon etwas im Regierungsprogramm merken?

Erschöpfung

Donnerstag, 8. September 2011 - 17:08

http://www.psychiater-psychotherapie.com/?p=20406&lang=de

Der Zustand der Erschöpfung ist ein klinisches Phänomen. In der Medizin unterscheidet man eine körperliche Erschöpfung von einer psychischen Erschöpfung. Bei der körperlichen Erschöpfung stehen körperliche Symptome und Phänomene im Vordergrund, bei der psychischen Erschöpfung psychische Symptomen und psychische Phänomene.

Der Begriff der Erschöpfung ist in der Medizin nicht näher definiert. Auch in der Psychiatrie ist der Begriff der psychischen Erschöpfung nicht näher definiert.

Man kann dazu jedoch auf der Grundlage der klinischen Erfahrung nachfolgendes sagen:

Physiologisch betrachtet handelt es sich bei einer köperlichen Erschöpfung um einen Zustand, wie er nach extremer körperlicher Belastung aufgetreten ist und zu einer Abweichungen in der Stoffwechsellage geführt hat. Diese Abweichung in der Stoffwechsellage ist also in Folge der maximalen Belastung, also in Folge des Verbrauchs von einzelnen Stoffen und dem Anfall von gewissen Stoffwechselprodukten aufgetreten. …

… Bei der psychischen Erschöpfung handelt es sich um einen Zustand, wie er sich nach mehr oder weniger lang andauernder, hoher psychischer Belastung entwickelt hat, und zuerst ein Reizzustand auftritt, der allmählich in einen psychischen Erschöpfungszustand übergeht. Auch hierbei kommt es – so wie bei der körperlichen Erschöpfung – letztlich zu einem signifikaten Leistungsabfall, der dann eben als psychischer Erschöpfungszustand bezeichnet wird. Eine lebensgefährliche Erschöpfung – wie bei der körperlichen Erschöpfung – tritt hierbei in körperlicher Hinsicht allerdings nicht auf. …