Suizid als Arbeitsunfall?

Samstag, 10. September 2011 - 11:53

http://www.faz.net/artikel/C30513/psychischer-druck-von-selbstmord-erschuettert-30097234.html (Suizid als Arbeitsunfall?, 2007-10-18)

… Wenn der schlimmste Fall eingetreten ist, wollen die Ehepartner und Kinder versorgt werden. Doch fällt es ihnen oft schwer, eine Anspruchsgrundlage zu finden und ihre Voraussetzungen vor Gericht zu beweisen. “Der Suizid eines Arbeitnehmers könnte als Arbeitsunfall gewertet werden”, sagt Gerhard Röder, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Gleiss Lutz in Stuttgart. … Die Kläger müssten darlegen, sagt Röder, dass die Ursache für das Unglück eine zugespitzte betriebliche Situation war, die dem Verstorbenen einen plötzlichen schweren Schock oder ein psychisches Trauma zugefügt hat. “Es reicht in der Regel nicht, dass sich eine Krise langsam und stetig aufgebaut hat”, betont der Anwalt. … Liege ein solcher Arbeitsunfall nicht vor, könne ein Unternehmen wegen Verletzung der allgemeinen Fürsorgepflicht oder des Arbeitsschutzrechtes haften, sagt Röder. …

Heute, am Welt-Suizid-Präventionstag, wird es wieder ernst. Arbeitsbelastung ist nicht die Hauptursache für Selbsttötungen. Es geht generell um den Umgang miteinander.

Auch in diesem Jahr nahmen sich bekannte Persönlichkeiten das Leben, die vermeintlich keine Sorgen haben müssten. Vielleicht sollten wir uns unsere wirklichen Sorgen einmal genauer ansehen. Das hilft.

Suizide können nur in seltenen Fällen als Arbeitsunfall auf die Arbeitsbedingungen in einem Betrieb zurückgeführt werden. Für den extremen Schritt zur Selbsttötung kann zwar niemals ausschließlich der Arbeitgeber verantwortlich gemacht werden, aber zu welchem Grad Arbeitsbedingungen Anteil an den Gründen für eine Selbsttötung haben, wird nach einem Suizid kaum wirklich ergebnisoffen untersucht. Selbst Arbeitnehmervertretungen haben hier Angst.

Hier muss sich etwas ändern. Richter müssten schon den fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz als ein Indiz für eine Mitschuld des Arbeitgebers werten dürfen. Derzeit hilft es Arbeitgebern sogar, vorschriftenwidrig die Beurteilung psychischer Belastungen zu vermeiden, denn das vermeidet auch eine Dokumentation, aus der Hinterbliebene Beweise gewinnen könnten.

Übrigens, um Selbsttötung geht es auch in “Eine Sitte auf der Insel Kreos” in den Essais von Michel de Montaigne. Das ist sehr lesenswert (auf Deutsch z.B. in Reclam 8308), muss aber im Zusammenhang mit den Wertvorstellungen im Frankreich des 16. Jahrhunderts gesehen werden. Aus heutiger Sicht ist das Kapitel eigentlich haarsträubend. Die Wechselwirkung zwischen sich selbst tötenden Menschen und ihren Mitmenschen als Ursache von Suizid ist aber bis heute geblieben. An dieser Wechselwirkung können wir aber auch immer wieder ansetzen. Schließlich ist sie ja der Grund dafür, dass wir Selbsttötungen nicht hinnehmen wollen.


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