Kategorie 'Gefährdungsbeurteilung'

Arbeitszeitrecht als Arbeitsschutz

Freitag, 29. April 2016 - 07:30

In einem großen Unternehmen verteilte die dortige IGM-Gruppe gestern in ihren Mitteilungen an die Belegschaft einen langen Artikel zur psychischen Belastung. “Flexible” Arbeitszeiten im Weltkonzern führen zu psychischen Fehlbelastungen. Das Arbeitsschutzrecht wurde in dem Artikel mit keinem Wort erwähnt, sondern es ging um das Arbeitszeitrecht.

Ich habe Verständnis dafür: Derzeit gibt es in etwa 75% der deutschen Betriebe immer noch keine Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. (Im Jahr 2012 waren es 80%.) Die behördliche Aufsicht ist machtlos (oder wird von politischen Führungen machtlos gehalten) und die privatwirtschaftlichen Auditoren von Arbeitsschutzmanagementsystemen sorgen unter den Augen der DAkkS dafür, dass ihre Klienten (die auditierten Betriebe) nicht durch sorgfältige Audits verschreckt werden. Man will ja im Geschäft bleiben.

Bei der Arbeitszeit ist es nicht besser. Undokumentierte Mehrarbeit wird immer wieder versucht. Aber das Thema “Arbeitszeit” ist weitaus weniger komplex, als der Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Deswegen habe ich Verständnis dafür, dass die IGM scharf auf die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes achtet und dass Betriebsräte immer wieder die Arbeitszeitprotokolle der Mitarbeiter überprüfen. Das ist wohl einer der wirksamsten Hebel im Arbeitsschutz.

Ich selbst habe in Korea häufiger öfters auch mal 14 Stunden am Tag gearbeitet und mich dabei sehr wohl gefühlt, fast schon in Trance. Das war Softwareentwicklung “im Flow”, wobei ich überhaupt nicht unterbrochen werden wollte. In bestimmten Fällen ist auch lange Arbeit ein Vergnügen. Wegen solcher Beispiele könnte man au die Idee kommen, die Arbeitszeitregelungen in Deutschland “flexibilisieren” zu wollen.

Aber im Arbeitsschutz herrscht Anarchie. Solange Arbeitgeber sowohl von der behördlichen Aufsicht geduldet und wie auch von unkritisch prüfenden Auditoren abgesichert gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen, muss jeder Versuch, irgend etwas am Arbeitszeitgesetz zu drehen, mit aller Kraft abgewert werden. Die IGM hat völlig recht: Solange Arbeitgeber im Arbeitsschutz in ihrer großen Mehrheit geltendes Recht brechen dürfen und dabei vor Körperverletzungen nicht zurückschrecken, sind die Betriebsleitungen selbst daran schuld, wenn der Arbeitszeitknüppel immer wieder herausgeholt werden muss.

Handlungshilfe aus Bremen

Dienstag, 29. März 2016 - 07:32

Handlungshilfe zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bei der Arbeit
Freie Hansestadt Bremen, 2016-01
http://www.finanzen.bremen.de/sixcms/media.php/13/Handlungshilfe GfB psych Belast_final.pdf

studie.psychische-gefährdungsbeurteilung.de

Samstag, 5. März 2016 - 07:56

Mit der Studie „Der Zusammenhang zwischen BGM-Kennzahlen und psycho-sozialen Faktoren
am Arbeitsplatz unter Berücksichtigung der Persönlichkeit“ soll untersucht werden, ob bestimmte Personal-Kennzahlen wie zum Beispiel Krankheitstage, nicht genommener Jahres-Urlaub und Überstunden in ihrer Summe so interpretiert werden können, dass sich aus ihnen eine Aussage über die psychische Belastung ableiten lässt.

http://studie.psychische-gefährdungsbeurteilung.de/:

Wird ein solcher Zusammenhang wissenschaftlich bestätigt, so ist dies vor allem für Arbeitnehmer und Arbeitgeber kleinerer Unternehmen und kleinerer Abteilungen, die aus Gründen des Datenschutzes keine Mitarbeiterbefragung durchführen dürfen, eine große Hilfe, denn dann könnte auf solche Befragungen weitgehend verzichtet werden. Wissenschaftlich wird die Studie von Isabel Niklas (Gesundheitspsychologin B.Sc.) der Hochschule SRH in Heidelberg betreut. Das Ergebnis der Studie wird dazu in Ihrer Master-Thesis ausgewertet.

Damit diese Zusammenhänge richtig erkannt werden können, benötigen wir insgesamt 1000 Befragungen. Diese Befragungen werden entweder online oder auf Papier durchgeführt und erfassen sowohl die Kennzahlen als auch die eigene Sichtweise zum Thema Arbeit. Teilnehmen können an der Studie alle, die arbeiten – unabhängig davon ob Teil- oder Vollzeit, ob angestellt oder selbständig. Das Mindestalter liegt allerdings bei 18 Jahren!

Die Befragung startete am 01.03.2016 und endet am 01.05.2016. Das Ergebnis wird am 24. Juni 2016 auf dem Kongress der Stress- und Burnout-Experten in Bad Rappenau bekannt gegeben.

Unterstützt wird die Studie von der Sali Med GmbH & Co. KG.

Gefährdungsbeurteilungen beschreiben Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen usw. Sie lassen sich so gestalten, dass keine personenbezogenen Daten erhoben werden. Dann gibt es keine Probleme mit dem Datenschutz. Die Master-Thesis könnte einen Beitrag zur Erstellung verhältnispräventiver Gefährdungsbeurteilungen sein.

Belastung und Belastbarkeit

Donnerstag, 25. Februar 2016 - 06:43

http://www.bad-gmbh.de/de/newsletter/newsletter_archiv/ausgabe_02_16.html#c17183

Unternehmer im Gespräch am 20. April

Die psychische Belastbarkeit von Beschäftigten ist durch Stress, Termindruck und ständige Erreichbarkeit stark gefordert, viele werden darüber krank. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) leistet in diesem Zusammenhang einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung von Mitarbeitern. Welche Aspekte BGM erfolgreich machen – in einer zunehmend digitalisierten und entgrenzten Arbeitswelt – stellen Experten praxisnah auf der Tagung „Unternehmer im Gespräch“ am 20. April in Wiesbaden vor.

Mit dieser Veranstaltungsreihe bietet die B·A·D GmbH eine Plattform zum Netzwerken und zum Austausch über aktuelle Aspekte aus dem Arbeits- und Gesundheitsschutz. Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft, Industrie und Forschung erörtern Fragen, die den unternehmerischen Erfolg prägen.

 
http://info.bad-gmbh.de/uig2016-wiesbaden

„Arbeitswelt 4.0“

Chancen und Herausforderungen im modernen Arbeits- und Gesundheitsschutz

Werte schaffen, Ressourcen nutzen, Produktivität steigern – das sind die Schwerpunktthemen des Business-Netzwerkes “Unternehmer im Gespräch”.

Die Welt der Arbeit befindet sich in einem stetigen Wandel. Während früher vornehmlich technische Probleme im Vordergrund standen, wirken sich heute hoher Termindruck, Stress, ständige Erreichbarkeit, Arbeitsklima u. a. in immer stärkerem Maße auf die psychische Belastbarkeit der Mitarbeiter aus.

Psychische Erkrankungen machen heute etwa 10 Prozent der Erkrankungen aus und zeigen die höchsten Steigerungsraten. Dazu kommt, dass Ausfallzeiten aufgrund psychischer Faktoren besonders langwierig sind.

 
Solche Seminare von B.A.D. gehören zu einem den verhältnispräventiven Arbeitsschutz schwächenden Agenda-Setting, dass den Fokus auf die Verantwortung der Unternehmen für eine Minderung arbeitsbedingter Fehlbelastungen auf die “Belastbarkeit” der Mitarbeiter umlenkt. Vergleichen Sie die beiden Sätze:

  • Die psychische Belastbarkeit von Beschäftigten ist durch Stress, Termindruck und ständige Erreichbarkeit stark gefordert, viele werden darüber krank.
  • In Gefährdungsbeurteilungen nicht vorschriftsmäßig erfasste psychische Fehlbelastungen wie zu hoher Stress, zu großer Termindruck und ständige Erreichbarkeit fordern die Beschäftigten stark, viele werden darüber krank.

oder

  • Während früher vornehmlich technische Probleme im Vordergrund standen, wirken sich heute hoher Termindruck, Stress, ständige Erreichbarkeit, Arbeitsklima u. a. in immer stärkerem Maße auf die psychische Belastbarkeit der Mitarbeiter aus.
  • Während früher vornehmlich technische Probleme im Vordergrund der Gefährdungsbeurteilungen standen, steigern heute nicht vorschriftsgemäß erfasste, beurteilte und dokumentierte Eigenschaften von Arbeitsplätzen wie Termindruck, Stress, ständige Erreichbarkeit, Arbeitsklima u. a. in immer stärkerem Maße die auf die Mitarbeiter wirkende psychische Belastung.
  • Noch immer missachtet die Mehrheit (derzeit etwa drei Viertel) der deutschen Unternehmen die Vorschriften des Arbeitsschutzes, und zwar vorsätzlich, denn heute sind den Unternehmern ihre Pflichten im Arbeitsschutz genügend bekannt. Es gibt hier keine Entschuldigungen mehr. B.A.D. sollte sich ersteinmal darauf konzentrieren, den Unternehmer zu helfen, ihre Hausaufgaben bei der Minderung arbeitsbedingter psychischer Fehlbelastungen machen, bevor sie sich jener Belastbarkeit der Mitarbeiter zuwenden, die für die Bewältigung der zulässigen Arbeitsbelastung erforderlich ist.

    Bisher hatten psychische Erkrankungen den Vorteil für Unternehmen, dass sie nur in wenigen Fällen auf arbeitsbedingte psychische Fehlbelastungen zurückgeführt werden konnten, zumal auch die Untersuchung solcher Fehlbelastungen so gestaltet werden kann, dass sie Mitarbeiter zusätzlich unter Druck setzt. Gerade psychisch erkrankte Mitarbeiter möchten sich einem solchen Druck nicht aussetzen. Entsprechend schlecht ist die Beweislage für die Mitarbeiter und entsprechend günstig ist sie für die Unternehmer.

Mitbestimmung bei der Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 19. Februar 2016 - 07:03

http://www.bund-verlag.de/zeitschriften/arbeitsrecht-im-betrieb/aktuelles/rechtsprechung/2015-08/E03-LAG-BB-Mitbestimmung-Gesundheitsschutz.php

Es geht um den Beschluss des LAG Berlin-Brandenburg vom 25.03.2015, Az.: 23 TaBV 1448/14.

http://www.labournet.de/wp-content/uploads/2015/04/HM_kommentar4.pdf (Alfons Kilad 20.04.2015):

Was die Mitbestimmung bei Maßnahmen des Gesundheitsschutzes betrifft, machte sehr bezeichnend mal wieder das LAG Berlin-Brandenburg jüngst (Beschluss vom 25.02.2015 – 23 TaBV 1448/14) mit einer arbeitgeberfreundlichen Entscheidung im Interesse von H&M auf sich aufmerksam. Hat der Betriebsrat zwar nach Gesetz (§ 87 (1) Nr.7 BetrVG) bei “Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften” ein Mitbestimmungsrecht, will das LAG Berlin-Brandenburg dies nicht mehr so einfach anerkennen. Es behauptet – völlig abweichend vom bisherigen vorherrschenden Rechtsverständnis übrigens -, dass bei “sehr weit gefassten gesetzlichen Generalklauseln (??) zum Gesundheitsschutz (z.B. § 3 Abs.1 ArbSchG) (…) ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats” nur bestünde, “sofern eine unmittelbare objektive Gesundheitsgefahr vorliegt oder eine zum Gesundheitsschutz durchgeführte Gefährdungsbeurteilung (z.B. § 5 ArbSchG) einen Handlungsbedarf ergibt.” (zitiert nach Pressemitteilung). Einen besonderen “Leckerbissen” für H&M und dessen Verständnis von Arbeits- und Gesundheitsschutz hält das LAG mit dem Argument bereit, das H&M nicht die (gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung) durchgeführt hätte, “auf deren Grundlage Regelungen zum Gesundheitsschutz bei Mitbestimmung des Betriebsrats getroffen werden könnten” (a.a.O.). Arbeitgerseitige Unterlassung der gesetzlichen Vorschrift § 5 Arbeitschutzgesetz als Argument und Mittel gegen die Mitbestimmung des Betriebsrats? Das mit der richterlichen Nebentätigkeit scheint seine Früchte zutragen, wobei man sich nicht des Eindrucks erwehren kann, dass die richterliche Zusammenarbeit mit Arbeitgeberorganisationen sich nicht auf Schulungen in Rechtsfragen beschränkt, sondern Rechtsprechung zu Gunsten der Arbeitergeber im Preis mit enthalten sein kann.

(Übrigens, der Hauptteil des Artikels von Alfons Kilad betrifft http://www.work-watch.de/2015/05/schwere-niederlage-fuer-hm-gegen-betriebsrat-quinto/ und hat mit diesem Mitbestimmungsurteil 23 TaBV 1448/14 nicht direkt zu tun. Zum im Artikel angekündigten BAG-Verfahren gibt es jetzt Aktenzeichen des BAG: 2 ABR 38/14 (2015-05-13) und speziell http://www.bag-urteil.com/13-05-2015-2-abr-38-14/)

Die Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung in neuer Auflage

Sonntag, 14. Februar 2016 - 09:37

http://www.arbeitstattstress.de/2016/02/die-empfehlungen-zur-umsetzung-der-gefaehrdungsbeurteilung-psychischer-belastung-in-neuer-auflage/

Zu den Leitlinien der GDA gehören auch die Empfehlungen zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung. Diese Empfehlungen wurde jetzt eine zweite und eine dritte Anlage hinzugefügt: “Empfehlungen und Prüffragen zur Auswahl von Instrumenten/Verfahren” und “Qualitätsgrundsätze für Instrumente/Verfahren zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung”.

Die wichtigen Links (ohne Session ID) zur GDA in Dr. Lists Posting (mit Backups von mir):

Missbrauch des Datenschutzes

Donnerstag, 11. Februar 2016 - 00:44

Es gibt noch einen Grund, der Arbeitgeber motivieren könnte, anstelle des im Arbeitsschutzgesetz geforderten verhältnispräventiven Vorgehens ein verhaltensorientiertes Vorgehen zu bevorzugen: Bei der nur auf den ersten Blick fürsorglich aussehenden verhaltenspräventiven Zuwendung zu einzelnen Mitarbeitern kann eine Dokumentation persönlicher Daten entstehen, also auch individueller medizinischer Daten. Das können Arbeitgeber dazu missbrauchen, die Transparenz von Gefährdungsbeurteilungen und Vorfallsuntersuchungen einzuschränken. Damit kann dann auch die Arbeit von Betriebstäten bzw. Personalräten erschwert werden.

Der sicherste Datenschutz ist die Vermeidung sensibler Daten.

Hohe Anwaltskosten für Gefährdungsbeurteilung

Freitag, 29. Januar 2016 - 05:48

Rechtsanwälte können Arbeitnehmern dabei helfen, vom Arbeitgeber eine Gefährdungsbeurteilung ihrer Arbeitsbedingungen zu fordern. Aber Vorsicht: Wessen Wehrhaftigkeit durch psychische Fehlbelastungen ohnehin schon angegriffen ist, kann dann auch noch an einen Anwalt geraten, der die Schwäche seiner Klienten nutzt und ihnen für wenige Anwaltsstunden sowie den Brief an den Arbeitgeber beispielsweise 8000€ berechnet. Wer dann noch genug Kraft für eine zusätzliche Baustelle hat, kann ja versuchen, sich gegen so einer Anwaltsrechnung zu wehren.

Mein Ratschlag: Versuchen Sie zunächst, sich vom Betriebsrat helfen zu lassen (wenn es den in Ihrem Betrieb gibt und wenn er kompetent ist). Auch kann die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft helfen. Hier bekommen sie rechtliche Hilfe. Zwar sind auch heute noch Betriebsräte und Gewerkschaften mit praktischen rechtlichen Maßnahmen zur Durchsetzung von Arbeitsschutzmaßnahmen im Bereich der psychischen Belastungen nicht so vertraut, aber das gilt für Rechtsanwälte gleichermaßen. Zusätzlich können Rechtsanwälte für Arbeitnehmer ein hohes finanzielles Risiko darstellen.

Es dürfte überhaupt nicht erst dazu kommen, dass Arbeitnehmer sich um eine ordentliche Gefährdungsbeurteilung selbst bemühen müssen. Der Grund für das Dilemma für Arbeitnehmer, zuverlässige und kompetente Hilfe zu finden, ist letztendlich die landesweite Überforderung der Gewerbeaufsichten bei der Durchsetzung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz der deutschen Unternehmen. Wenn die Unternehmen sich nicht seit Jahren ungestraft über Arbeitsschutzvorschriften hinwegsetzen dürften, gäbe es in den Betrieben längst schon ordentliche Beurteilungen psychischer Gefährdungen am Arbeitsplatz.

Die Gefährdungsbeurteilung ist die halbe Miete

Freitag, 8. Januar 2016 - 08:55

Sie haben wahrscheinlich schon bemerkt, dass mich ein Vortrag von INSITE-Interventions ärgerte. Ich kann mir da auch Polemik nicht verkneifen.

Ein Grund für mein Gegrantel ist, dass die Bedeutung der Gefährdungsbeurteilung kleingeredet wird. Ich wage aber zu behaupten dass gerade in Großunternehmen eine ehrliche Gefährdungsbeurteilung selbst schon viele Probleme im Bereich psychischer Belastungen lösen kann: Ein Großteil psychischer Fehlbelastungen entsteht nämlich einfach dadurch, dass Aufgabenanalysen und Stellenbeschreibungen die tatsächlichen Belastungen nicht realistisch darstellen.

Betriebsräte haben beispielsweise in ERA-Verhandlungen erlebt, dass Mitarbeitern bei der Überarbeitung ihrer Aufgabenbeschreibungen so wenig Eigenverantwortung wie möglich zugestanden wurde, weil eine hohe Eigenverantwortung zu einer höheren Einkommensgruppe führt. Zuvor wurden die Mitarbeiter jedoch, dem Zeitgeist folgend, bis zum Erbrechen dazu aufgefordert, “Unternehmer im Unternehmen” zu sein. Eine entsprechend hohe Eigenverantwortung wurde von ihnen abverlangt. Das passt nicht zusammen. Arbeitgeber versuchten, die Aufgabenbeschreibung an die Einkommensgruppe anzupassen, die sie sich für die Mitarbeiter vorstellten, anstelle die zuvor von den Arbeitnehmern abverlangte Eigenverantwortung dann auch in der Aufgabenbeschreibung darzustellen.

Ich gehe sogar so weit, zu sagen, dass eine Gefährdungsbeurteilung selbst schon eine Maßnahme zur Verringerung von psychischen Fehlbelastungen ist, wenn Aufgabenbeschreibungen (auch nach ERA) basierend auf dieser Beurteilung korrigiert werden. Im einfachsten Fall können bisher nicht erfasste Belastungen, die zuvor unerkannt als Fehlbelastungen wirkten, in offiziell anerkannte Aufgaben überführt werden, die zur Arbeit der von diesen Belastungen betroffenen Mitarbeitern gehören. Die Fehlbelastungen werden einfach dadurch zu den normalen Belastungen, für die Mitarbeiter bezahlt werden, dass sie beschrieben werden und so eine ehrlichere Ausstattung der Mitarbeiter mit den erforderlichen Ressourcen und Handlungsbefugnissen möglich wird.

Hier ist mein kostenloser Vorschlag für ein Employee Assistance Program: Anerkennung und Ausstattung mit genügend Ressourcen. Die dafür erforderlichen Aufgaben- und Stellenbeschreibungen können nicht nur mit Gefährdungsbeurteilungen korrigiert werden, sondern aus ehrlichen Aufgaben- und Stellenbeschreibungen können auch Erkenntnisse für die Gefährdungsbeurteilung gewonnen werden. Außerdem gehören Aufgabenbeschreibungsmodule in Prozessbeschreibungen und Projektplanungen. Daraus lassen sich in Matrixorganisationen dann schnell die Belastungsprofile erstellen, die auf die einzelnen Mitarbeiter wirken.

Verwaltungshandeln bei dem Ergebnis: „Die Gefährdungsbeurteilung wurde nicht angemessen durchgeführt“

Mittwoch, 16. Dezember 2015 - 07:01

LASI-Veröffentlichung 59 (2014), S. 14:

Der Arbeitgeber wird in der Regel schriftlich aufgefordert, die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist nachzubessern. Die Mitarbeitervertretung erhält eine Kopie des Besichtigungsschreibens. Ggf. wird eine Nachverfolgung bzw. Anordnung durchgeführt.

Erkennt die Aufsichtsbeamtin/der Aufsichtsbeamte zudem Gefährdungen, gegen die keine ausreichenden Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen wurden, ist der Arbeitgeber grundsätzlich schriftlich aufzufordern, hierfür die Gefährdungsbeurteilung in einer angemessenen Frist durchzuführen und die Dokumentation vorzuhalten. Davon unberührt bleiben Maßnahmen, die unverzüglich bei unmittelbar drohender Gefahr einzuleiten sind.

Die Mitarbeitervertretung erhält eine Kopie des Besichtigungsschreibens.

Eine Nachverfolgung ggf. mit Anordnung wird durchgeführt.

Ebenfalls ist durch die Aufsichtsbeamtin/den Aufsichtsbeamten zu prüfen, ob ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einzuleiten ist.

In der Praxis sieht es so aus, dass die Gewerbeaufsichten sich gerade bei politisch gut vernetzten Großunternehmen kaum trauen, so vorzugehen. Auch wenn die Gefährdungsbeurteilungen nicht angemessen durchgeführt wurden, können dermaßen gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßende Unternehmen dann behaupten, die Gewerbeaufsicht habe sie nicht schriftlich zu Verbesserungen aufgefordert.

Dass Mitarbeitervertretungen eine Kopie von Aufforderungen der Gewerbeaufsucht bekommen, ist wohl der Ausnahmefall. Es hätte solche Aufforderungen massenweise geben müssen.

In Bayern kann es sogar vorkommen, dass ein Unternehmen gelobt wird, wenn psychische Belastungen nicht angemessen beurteilt werden, das Unternehmen sich jedoch bemüht, dieses Defizit abzubauen. Das ist schon ziemlich verrückt. Mit Minderleistungen ihrer Mitabeiter würden diese Unternehmen wohl weniger gnädig umgehen. Stattdessen würde der Arbeitgeber versuchen, mit geeigneten Zielvereinbarungen Verbesserungen zu erwirken. In Bayern sollen die Gewerbeaufsichten das angeblich auch gemacht haben, aber dann kniffen sie doch im Jahr 2012 und sagten “Servus” zur Zielvereinbarung.