Archiv für August, 2012

Erosion im Arbeitsschutz

Dienstag, 21. August 2012 - 22:29

Annette Funk: Erosion im Arbeitsschutz, mit vertiefender Betrachtung der psychischen Belastungen, 2011, ISBN 978-3-86618-643-9

Beschreibung beim Hampp-Verlag:

Aufgrund des Paradigmenwechsels in Verbindung mit den Forderungen nach Deregulierung und Bürokratieabbau werden im Arbeitsschutz häufig nur noch Schutzziele oder unbestimmte Rechtsbegriffe vorgegeben. Dies hat aber nicht zu der erhofften Vereinfachung für die Betriebe geführt, sondern eher neue Unklarheiten und Schwierigkeiten hervorgerufen. Die dadurch auftretenden Umsetzungsprobleme werden anhand ausgewählter gesetzlicher Bestimmungen dargestellt, wobei insbesondere die kleinen und mittleren Betriebe wegen fehlender Ressourcen vielfach überfordert sind. Zudem haben sich die Tätigkeitsfelder in der Arbeitswelt verlagert. Im Zusammenhang mit der zunehmenden Standardisierung und Rationalisierung auch in den mittlerweile überwiegenden Formen der Erwerbstätigkeit von Büro-, Dienstleistungs- und Wissensarbeit, die früher überwiegend als rationalisierungsresistent eingestuft wurden, steigen die Fehlbeanspruchungen durch die erhebliche Zunahme der psychischen Belastungen.

So gehört eine für die Beschäftigten belastungsungünstige Arbeitsorganisation zu den zentralen Stressfaktoren im Arbeitsleben, bei denen der Umfang des Handlungsspielraums und die Komplexität der Arbeitsprozesse maßgebliche Stellschrauben sind. Infolge der aus wirtschaftlichen Gründen forciert verfolgten Optimierung und Standardisierung der Arbeitsprozesse gerät der Arbeitsschutz häufig ins Hintertreffen, indem arbeits- und gesundheitsschutzkonforme Anpassungen für die Ressource Mitarbeiter vernachlässigt werden, weil belastungsungünstige Interdependenzen nicht erkannt werden oder zum Teil aus Unkenntnis, da entsprechende interdisziplinäre Arbeitsschutzkenntnisse – vor allem hinsichtlich psychischer Belastungen – bei den Organisationsverantwortlichen bzw. Führungskräften und ihren Beratern oft genug nicht gegeben sind.

Der Verlag hat überhaupt ein recht interessantes Angebot.

DIN SPEC 91020 ist nicht allgemein akzeptiert

Dienstag, 21. August 2012 - 21:42

Det Norske Veritas Business Assurance (DNVBA) meint in http://www.dnvba.com/de/zertifizierung/Managementsystem-Zertifizierung/Qualitatsmanagement/Pages/DIN-SPEC-91020.aspx

[...] Mit der neuen DIN SPEC 91020 „Betriebliches Gesundheitsmanagement”, gibt es nun erstmalig einen allgemein akzeptierten Standard für diesen Bereich. [...]

Auch wenn es gelungen ist, diese Behauptung sogar bei OSHA und beim DIN-Institut einzuschmuggeln, die Veritas sieht anders aus: http://blog.psybel.de/2012/08/12/din-spec-nach-pas-verfahren/#Kritik.

Die Entwicklung dieser nur wenige Wochen alten Spezifikation hat gar nicht die Prozesse durchlaufen, mit denen irgendeine Akzeptanz erreicht werden könnte. Der Standard wurde von der B A D Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik, anderern Anbietern für Betriebliches Gesundheitsmanagement, einigen Mitgliedern das Bundesverbands Betriebliches Gesundheitsmanagement sowie von Vertretern von Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Hochschulen, unterschiedlicher Unternehmen und Zertifizierungsunternehmen flink zusammengestrickt. Die Gewerkschaften waren nicht mit dabei. Dass heißt, dass die eigentlichen Kunden des Betrieblichen Gesundheitsmanagements, also die Arbeitnehmer, gar nicht gefragt wurden. Das ist der Unterschied zu einer ordentlichen Norm, bei deren Entwicklung auch die Gewerkschaften mitarbeiten, wenn es um die Gesundheit der Arbeitnehmer geht.

Wenn die DIN SPEC so seriös ist, wir ihre Erarbeitung und die dreiste Werbung dafür, dann wird das von vorne herein nichts mit der Akzeptanz.

 
Es gibt perfide Versuche, die DIN SPEC 91020 in den Arbeitsschutz einzuschmuggeln:

[...] Zusätzliche Managementanforderungen wie z. B. Qualität, Arbeits- und Umweltschutz können schnell in ein bereits bestehendes System organisiert werden [...]

DNV ist aber ein ordentlicher Zertifizierer und meint damit sicherlich, dass ein nach DIB SPEC 91020 zertifiziertes BGM hilft, den in dieser DIN SPEC explizit ausgeschlossenen Arbeitsschutz basierend beispielsweise auf OHSAS 18001 in das BGM zu integrieren. Wie DNV weiß, wäre die DIN SPEC 91020 vom DIN nicht zur Bearbeitung im PAS verfahren zugelassen worden, wenn sie dem Arbeitsschutz hätte dienen sollen. DNV wird nicht so unredlich sein, den Eindruck erwecken zu wollen, dass die DIN SPEC 91020 trotzdem auf den Arbeitsschutz anwendbar sei.

Psychische Fehlbelastungen häufiger als körperliche Fehlbelastungen

Dienstag, 21. August 2012 - 08:20

https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/Indikatoren/QualitaetArbeit/QualitaetArbeit.html, Menüpunkt “Stress am Arbeitsplatz”:

… Psychische Belastungen treten etwas häufiger auf, als körperliche Belastungen

Erwerbstätige gaben etwas häufiger an, durch psychische als durch körperliche Belastungen beeinträchtigt zu sein. Im Jahr 2007 waren 12 von 100 Erwerbstätigen betroffen. Als Auslöser wurden Zeitdruck und Arbeitsüberlastung genannt (11 %), während Mobbing oder Belästigungen am Arbeitsplatz eine vergleichsweise geringe Rolle spielten (1 %). …

Prioritäten bei der Risikominderung

Dienstag, 21. August 2012 - 07:44

Auf psychische Gefährdungen übertragen, gilt nach OHSAS 18001:2007 Kap. 4.3.1 für die Minderung von Risiken diese Reihenfolge:

  1. Die psychischen Gefährdungen sind zu eliminieren.
  2. Wo psychische Gefährdungen nicht zu eliminieren sind, hat der Arbeitgeber die sie verursachenden Prozesse durch weniger gefährdende Prozesse zu ersetzen.
  3. Verbleibende psychische Gefährdungen sind durch zusätzliche Maßnahmen zu mindern. (Der Standard fordert “technische Maßnahmen”.)
  4. Die psychischen Gefährdungen müssen klar benannt werden. Kennzeichnung/Warnhinweise sind erforderlich.
  5. Erst zuletzt bleibt die Forderung des Standards, den Mitarbeitern eine “persönliche Schutzausrüstung” zu geben. Das entspricht auch der Vorgabe des Arbeitsschutzgesetzes, in dem individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu allen anderern Schutzmaßnahmen sind.

Da es zertifizierte Unternehmen gibt, die gleich gar nicht versuchen, vor dem fünften Schritt die vier ersten Schritte zu gehen, müssen Arbeitnehmer (oder wenigstens ihre Vertreter) wissen, dass diese Unternehmen gegen die von ihnen selbst gewählten Regeln verstoßen. In so einem Fall sollte der Betriebsrat das dokumentieren und Auditoren entsprechend informieren.

Gefahren sind vorrangig an ihrer Quelle zu bekämpfen

Österreich: Novelle zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz

Montag, 20. August 2012 - 07:37

http://www.bmask.gv.at/site/Startseite/Topnews/Hundstorfer_Mehr_Praevention_bei_psychischen_Belastungen_in_Betrieben

Hundstorfer: Mehr Prävention bei psychischen Belastungen in Betrieben
16.08.2012 Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes ist weiterer Baustein im Paket zum Erhalt der Arbeitsfähigkeit

Die heute von Sozialminister Rudolf Hundstorfer in Begutachtung geschickte Novelle zum ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchg) bringt die verstärkte Berücksichtigung psychischer Belastungen bei der betrieblichen Prävention. “Wir wissen, dass in der Arbeitswelt psychische Belastungen und Gefährdungen zunehmen. Diese sind oft die Ursache für arbeitsbedingte Beschwerden und Erkrankungen”, so Hundstorfer. Die Novelle regelt nun klar, dass im Betrieb auch Gefahren ermittelt und beurteilt werden müssen, die zu psychischen Belastungen führen können. “Nach der Gesundheitsstraße, dem Präventivprogramm fit2work und der kürzlich in Begutachtung geschickten Invaliditätspension Neu baut auch das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz auf den Erhalt der Arbeitsfähigkeit”, unterstrich der Sozialminister.

Schon bisher war der Arbeitgeber verpflichtet, den einzelnen Arbeitsplatz auf Gefährdungen der physischen Gesundheit des Arbeitnehmers – etwa durch Chemikalien, gefährliche Arbeitsvorgänge usw. – zu evaluieren. Nunmehr sind auch Gefährdungen der psychischen Gesundheit zu überprüfen. Damit sollen Fehlbelastungen, die zu psychischen Erkrankungen führen, vermieden werden, indem entsprechende Maßnahmen zur Verhütung arbeitsbedingter psychischer Belastungen gesetzt werden müssen. Dies können etwa Änderungen bei den Arbeitsabläufen oder die Klärung von Zuständigkeiten sein. Außerdem sollen in Zukunft auch geeignete Fachleute, insbesondere ArbeitspsychologInnen, mit der Ermittlung und Beurteilung der Gefahren betraut werden können.

Mit den geplanten Änderungen werden auch weitere notwendige Aktualisierungen und Anpassungen durchgeführt z.B. die Erhöhung der Geldstrafen um 15 Prozent.

Downloads:

Suche: https://www.google.at/search?q=Novelle+Arbeitnehmerinnenschutzgesetz

Burnout trifft die Engagierten

Sonntag, 19. August 2012 - 18:41

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben – schlafen –

William Shakespeare, Hamlet, 3. Aufzug, 1. Szene
(Übers.: August Wilhelm von Schlegel)

Unfallkasse Hessen: Gefährdungsbeurteilung

Sonntag, 19. August 2012 - 13:11

http://www.ukh.de/praevention/fachthemen-uebergreifend/gefaehrdungsbeurteilung/, 2009

ILO-OSH und AMS

Samstag, 18. August 2012 - 09:39

Update 2014-08-25

 


2012-08-18

Links zur Anwendung von ILO-OSH für Arbeitsschutzmanagementsysteme (AMS)

Es gibt auch Zusammenhänge zwischen OHSAS 18001 und ILO-OSH. Siehe dazu die Anhänge B.3 und B.4 in OHSAS 18002:2008.

DIN SPEC 91020 ist kein Arbeitssicherheitsstandard

Freitag, 17. August 2012 - 08:20

Die Werbung für die DIN SPEC 91020 scheint ohne Unwahrheiten nicht auskommen zu können. Es wird behauptet, die Spezifikation gehe über rechtliche Verpflichtungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung hinaus. Diese Behauptung ist irreführen. Arbeitsschutz ist kein Gegenstand dieser DIN SPEC, denn sonst wäre sie gar nicht Zustande gekommen.

Erst tut sich zu wenig im Arbeitsschutz. Und jetzt tut sich zu viel.

http://www.lrqa.de/aktuelle-themen/Arbeitssicherheit/standards-und-vorgaben/206773-din-spec-91020-scohs.aspx

Arbeitssicherheit 

DIN SPEC 91020 / SCOHS
Neuer Standard DIN SPEC 91020 veröffentlicht

Das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat die Bedeutung des Themas Betriebliches Gesundheitsmanagement erkannt und hat einen entsprechenden Standard entwickelt, der im Juli 2012 als Spezifikation DIN SPEC 91020 veröffentlicht wurde. LRQA war im Arbeitskreis des DIN an der Entwicklung des Standards beteiligt, in den auch die Anforderungen des SCOHS aufgenommen wurden. …


Zertifizierung Ihres Betrieblichen Gesundheitsmanagements – Ihr Nutzen

  • Höhere Leistungsfähigkeit durch gesunde und motivierte Mitarbeiter
  • Optimierte Unternehmensprozesse durch eine gesunde Organisation
  • Höhere Attraktivität Ihres Unternehmens bei der Rekrutierung neuer Führungskräfte und Mitarbeiter
  • Stärkere Bindung Ihrer Kunden durch verbesserte Qualität bei den Prozessen
  • Weniger Fehlzeiten ersparen Ihrem Unternehmen Ersatzpersonal und Lohnfortzahlung

Hier wird die DIN SPEC noch nicht mit Arbeitsschutz assoziiert. Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit sehen ja auch anders aus. Höhere Leistungsfähigkeit, optimierte Unternehmensprozesse, Employer Branding, Kundenbindung und niedrigere Personalkosten sind schön und gut, aber dafür brauchen Sie sich nicht dem Normengeschäft und irgendwelchen Audits auszuliefern. Diese Ziele sind nicht die primären Ziele der Arbeitssicherheit bzw. des Arbeitsschutzes.

Außerdem: Nicht das Deutsche Institut für Normung (DIN) hat die Bedeutung des Themas Betriebliches Gesundheitsmanagement erkannt und einen entsprechenden Standard entwickelt, sondern einige Leute aus der Gesundheitsbranche haben diese “DIN SPEC” ohne die für reguläre deutsche Normen erforderliche mühevolle Arbeit in etwa neun Monaten zusammengeschrieben und vermarkten diesen Standard nun über die DIN-Organisation.

“Das Ziel des Arbeitsschutzes ist, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern.” (LV 54, S. 7). Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz konzentrieren Sie sich besser auf Standards wie OHSAS 18001 oder ILO-OHS. Dafür gibt es auch Zertifikate. Mehr brauchen Sie sich nicht aufzuhalsen.

Es ist sinnvoll, einen zertifizierten Arbeits- und Gesundheitsschutz in ein Gesundheitsmanagement und/oder eine Gesundheitsförderung einzubetten. Aber außerhalb des Arbeitsschutzes sind Audits und externe Spezifikationen nicht nötig. Vergeuden Sie kein Geld für das Geschäft von Unternehmen, die sich mit ihren Gesundheitsmanagementstandards einen Markt mit von den Dienstleistungsanbietern selbst bestimmten Regeln entwickeln wollen.

 
Hier nun ein hübsches Beispiel, wie man die DIN SPEC mit dem Begriff “Arbeitsschutz” verknüpfen kann: http://www.gesundheitsmanagement.com/aktuelles/news/ab_sofort_erhaeltlich_din_spec_91020.html

Ab sofort erhältlich: DIN SPEC 91020 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ …

… Die Spezifikation geht über rechtliche Verpflichtungen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz und Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung hinaus …

Das ist irreführend. Eine Spezifikation, die über den Arbeitsschutz hinausgeht, schließt den Arbeitsschutz mit ein. Das trifft auf die DIN SPEC 91020 aber nicht zu. Wenn diese Spezifikation mit Arbeitsschutz zu tun hätte, dann hätte sich das DIN-Institut nicht dafür einspannen lassen.

 
Mehr zu DIN SPEC 91020: http://blog.psybel.de/2012/08/12/din-spec-nach-pas-verfahren/

 


2012-11-21:

“Wenn diese Spezifikation mit Arbeitsschutz zu tun hätte, dann hätte sich das DIN-Institut nicht dafür einspannen lassen.” Das war leider ein Irrtum: http://blog.psybel.de/2012/11/21/b-a-d-macht-verwirrende-angaben/

Kamillentee kochen gegen das Burnout

Freitag, 17. August 2012 - 08:11

http://derstandard.at/1343745014031/Burnout-Anti-Burnout-Trainings-Maslach

… Das Problem all dieser Angebote Burnout-Trainings, Yoga usw.: Ihre Wirksamkeit ist kaum erforscht. “Wer daran glaubt”, schreibt ein Betroffener in einem Lebenshilfe-Forum, “der kann sich auch Kamillentee kochen gegen das Burnout.” Er dürfe dann nur nicht behaupten, dass er allein durch den Tee geheilt worden sei. (Peter Illetschko, STANDARD, 17.8.2012) …

Auch Der Standard hätte sich mit der Recherche ein bisschen mehr anstrengen sollen: In Österreich gibt es einen Arbeitsschutz, in den der Gesetzgeber jetzt auch explizit psychische Belastungen mit einbeziehen wird. (In Deutschland ergibt sich dieser Einbezug zwar aus der Rechtsprechung und der Bildschirmarbeitsverordnung, aber ich halte die österreichische Lösung für sauberer.)