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Großer Widerstand der Betriebe

Sonntag, 1. Juli 2012 - 00:05

Werner Fricke, Institut für regionale Kooperation, Wieren, März 2010, 14 S.
Was sind gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse aus Sicht der Aktionsforschung?
http://www.forum-neue-politik-der-arbeit.de/content/workshop/2010/GfA_Maerz/Fricke_GfA_ 2010.pdf


Mit diesen Elementen, insbesondere mit seiner Beteiligungspflicht, seiner Verbindlichkeit hinsichtlich Prävention und der Perspektive einer stetigen Verbesserung der Arbeitsplätze sowie mit der Ausweitung auf psychische Belastungen stellt das neue Gesetz hohe Anforderungen an die Betriebe; insbesondere die Beteiligungspflicht und wegen der damit verbundenen Kosten das Gestaltungsgebot provozieren Widerstände. Die Folge ist ein erhebliches Umsetzungsdefizit. Es gibt Schätzungen, nach denen „noch immer … in weit über 80 Prozent aller Betriebe eine ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung (fehlt)“ (Lersmacher, Satzer 2010: 240). Auf zusätzlichen Widerstand stößt die Beteiligung von Beschäftigten. „Das schlank formulierte deutsche Arbeitsschutzgesetz ist sehr sparsam mit Aussagen zur Partizipation der Beschäftigten…In der Mehrzahl der Betriebe“, schreibt der Arbeitsrechtler Wolfhard Kohte, „ist es in Deutschland nicht üblich, dass die einzelnen Beschäftigten Zugang zur Gefährdungsbeurteilung haben und sie kennen“ (Kohte 2009: 31/32). Dagegen schreibt die EN ISO Norm 6385 in Abschnitt 3.1 ausdrücklich vor: „Die Arbeitenden müssen bei der Gestaltung von Arbeitssystemen einbezogen werden und sollten auf wirksame und effiziente Weise am Gestaltungsprozess teilnehmen.“

Neben der Norm 6385 ist in zertifizierten Betrieben auch der Punkt 4.4.3 in OHSAS 18001 zu beachten.


Fazit

Dieser Text umspannt einen Zeitraum von 35 Jahren. Das Aktionsforschungsprojekt, aus dem das Beispiel der Entwicklung eines Konzepts für eine ganzheitliche Belastungsanalyse unter Beteiligung der Arbeitenden stammt, fand zu Zeiten des Aktions- und Forschungsprogramms „Humanisierung des Arbeitslebens“ in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre statt. Das Humanisierungsprogramm war damals für eine kurze Zeit von einem gesellschaftlichen Reformbündnis aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politik getragen, bis die Arbeitgeber 1980 einen arbeitspolitisch zentralen Bereich des Programms (demokratische Beteiligung) aufkündigten (Fricke 2003: 52 – 54). Was den normativen Rahmen jener Zeit angeht, so gab es zwar schon das Betriebsverfassungsgesetz 1972 mit den §§ 90/91, aber Richtlinien, wie sie insbesondere die europäische Norm „Grundsätze der Ergonomie für die Gestaltung von Arbeitssystemen“ aus dem Jahre 2004 formuliert, waren damals undenkbar.

Dass Arbeitnehmer bei der Gestaltung von Arbeitssystemen beteiligt werden müssen, dass „die Erfahrungen der Arbeitenden eine unverzichtbare Wissensgrundlage“ für die Gestaltung von Arbeitssystemen darstellen (EN ISO 6385, Abschnitt 3.1), war zwar Aktionsforschern klar, stand aber ansonsten allenfalls in den Sternen – jedenfalls nicht in einer DIN Norm oder dem damals geltenden Arbeitsschutzgesetz.

So wegweisend diese Normen sind – in der betrieblichen Wirklichkeit sind sie längst nicht durchgesetzt. Das liegt zum einen am heute wie damals großen Widerstand der Betriebe, demokratische Beteiligung und betriebsöffentliche Diskurse zuzulassen. Anders als vor 35 Jahren zu Beginn der sozialliberalen Koalition ergreifen heute weder der Staat noch die politischen Parteien nennenswerte arbeitspolitische Initiativen, ein neues gesellschaftliches Reformbündnis ist nicht in Sicht. In dieser Hinsicht waren die gesellschaftlichen Bedingungen, obschon nur für die kurze Zeitspanne von 5 Jahren, demokratische Beteiligung fördernden arbeitspolitischen Initiativen günstiger als heute. Die Gewerkschaften, insbesondere IG Metall und Ver.di, erkennen die arbeits- und gewerkschaftspolitische Bedeutung von demokratischer Beteiligung heute klarer als vor 30 Jahren. Mit ihnen steht wenigstens ein gesellschaftlicher Akteur für ein erneuertes Reformbündnis bereit, das ein neues Humanisierungsprogramm tragen könnte. …

(Hervorhebung nachträglich eingefügt)