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Thematisierung des Arbeitsschutzes in den Medien

Samstag, 24. August 2013 - 19:46

Heute hat die Süddeutsche Zeitung im Wirtschaftsteil auf fast zwei Seiten über die Verhinderung arbeitsbedingter Erkrankungen geschrieben und es dabei tatsächlich wieder einmal geschafft, den Arbeits- und Gesundheitsschutz fast völlig zu ignorieren. Das ist in den Medien der Normalfall: Die Unternehmen haben es offensichtlich geschafft, mit einem in der Praxis eben doch überwiegend verhaltenspräventiv angelegten “Gesundheitsmanagement” ihre eher ablehnende Haltung zum vorgeschriebenen verhältnispräventiv orientierten Arbeits- und Gesundheitsschutz verschleiern zu können. Die damit verbundene beharrliche Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes ist in den Medien kaum ein Thema. (Ich hoffe, dass sich die Initiative Nachrichtenaufklärung oder dgl. einmal näher mit diesem Problem befassen wird.)

Auch gibt es da noch die “Gesundheitsförderung”. Jetzt bin ich einmal derjenige, der hier nicht im Detail darauf eingeht. Suchen Sie selbst. Was das Herz der Journalisten aber vielleicht höher schlagen lassen könnte, wären Reibungsflächen zwischen dem FDP-Gesundheitsministerium (vorwiegend verhaltenspräventive betriebliche Gesundheitsförderung usw.) und dem CDU-Arbeitsministerium (verhältnispräventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz).

Ehe ich mich nun weiter über Journalisten beschwere, die komplexen Themen ausweichen, weise ich zur Abwechselung einfach einmal auf ein Beispiel für eine gelungene Thematisierung eines großen Problems im Arbeitsschutzes hin: Die Überforderung der Gewerbeaufsicht. Das Kompliment für gute journalistische Arbeit geht an Thomas Öchsner, ebenfalls von der Süddeutschen Zeitung. Hinweise auf seinen Artikel finden Sie unter dem Stichwort “Bundestagsdrucksache 17/10229″.

Siehe auch: http://wanderseminar.wordpress.com/gesundheit-im-job-grose-unternehmen-werden-aktiv-doch-was-machen-die-kleinbetriebe/

Abschalten dürfen im BMAS

Donnerstag, 21. Februar 2013 - 20:15

In http://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitszeitregeln-im-arbeitsministerium-aussen-hui-innen-pfui-1.1605704 und auf der ersten Seite der gedruckten SZ beobachtet Thomas Öchsner, dass auch Ursula von der Leyens eigene Mitarbeiter nicht immer erreichbar sein wollen.

Vernachlässigte Psyche

Montag, 23. Juli 2012 - 20:29

“Vernachlässigte Psyche” ist der Titel eines Berichtes von Thomas Öchsner in der Süddeutschen Zeitung vom morgigen Dienstag (2012-07-24, Wirtschaft, S.17). Online ist “Anfrage an Bundesregierung – Staatlicher Arbeitsschutz vernachlässigt die Psyche” (2012-07-24).

Zum Artikel “Vernachlässigte Psyche” in der gedruckten SZ-Ausgabe:

… Wenn die Gewerbeaufsicht der Länder Betriebe kontrolliert, wird das Sachgebiet psychische Belastung nur “bei jeder neunzigsten Besichtigung” behandelt. So steht es in einer Antwort des Bundesarbeitsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Darin weist das Ministerium auch darauf hin, dass die zuständigen Länder die Anzahl der Beschäftigten in der Arbeitsschutzverwaltung verringert habe und dort “mit einem weiteren Personalabbau” zu rechnen sei. …

(Link nachträglich eingefügt)

Die Antwort der Bundesregierung (Vorabausgabe) auf die Kleine Anfrage der Grünen (und der SPD) zum Thema “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz”, die der Süddeutschen Zeitung vorlag (wie Thomas Öchsner es in der Süddeutschen Zeitung auch so kursiv schrieb), liegt allerdings jedem Bürger vor. Bei aller Maulerei über was sich Arbeitgeber in unserem Rechtstaat an Verstößen gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes leisten konnten und können, muss ich hier dem Bundestag doch ein Kompliment aussprechen: Ich fand die Antwort vor einer Woche in der öffentlich zugänglichen Datenbank unseres Parlaments. (Aber manche Links dahin funktionieren nur wenn man vorher über die Hauptseite in die Datenbank eingestiegen ist.)

Der interessanteste Teil der Antwort der Bundesregierung zeigt, dass etwa 80% der befragten Unternehmen ihre Pflicht zur Beurteilung psychischer Belastungen missachtete verstieß. Die Mehrheit der Großunternehmen gab allerdings an, die Pflicht beachtet zu haben. Das ist mit Vorsicht zu genießen: Jene Unternehmen, die in Wirklichkeit überhaupt keine mitbestimmten Prozesse zur Beurteilung dieser Belastungen implementiert hatten, hatten jedoch bei der Umfrage schlicht gelogen. Die Betriebsräte (und die Auditoren) dieser Unternehmen hatten natürlich keine Ahnung davon, was die Unternehmen den Befragern zum Arbeitsschutz erzählten. Unternehmer, die Arbeitsschutzprozesse ohne Mitbestimmung implementieren, begehen eine Straftat.

Für die Süddeutsche Zeitung war die Gefährdungsbeurteilung dagegen wohl nicht so interessant. Das Wort ist auch irgendwie unsexy. Noch unsexier ist im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung vielleicht, dass die Unternehmen “ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema »Psychische Belastungen« als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB)” in der Regel nicht aufgreifen (wie es bereits als Ergebnis aktueller Forschungsprojekte zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung von Ina Krietsch und Thomas Langhoff, Prospektiv GmbH, Dortmund für BAuA/GRAziL für den Zeitraum 2007-09 – 2010-04 berichtet wurde).

Der Bericht in der Süddeutsche Zeitung gibt auch die Sorge der Bundesregierung wieder, dass die Ressourcen der Aufsichtsbehörden noch knapper werden, als sie es ohnehin schon sind. Hier bietet sich aus meiner Sicht eine Problemlösung an: Die Betriebsräte und Personalräte helfen den Arbeitsschutzbehörden.

  • Die Betriebsräte und die Personalräte haben doch gezeigt, dass sie den ganzheitlichen Arbeitsschutz voran bringen können. Es gibt aber noch viele Arbeitnehmervertretungen, die bei diesem Thema Wissenslücken haben. Hier muss die Kompetenz aufgebaut werden, die erfolgreiche Kollegen schon aufbauen konnten. Dabei halfen bisher vor allem die Gewerkschaften.
  • Warum eine Anti-Stress-Verordnung, wenn wir schon den § 89 des Betriebsverfassungsgesetzes haben? Der Betriebsrat “hat bei der Bekämpfung von Unfall- und Gesundheitsgefahren die für den Arbeitsschutz zuständigen Behörden, die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung und die sonstigen in Betracht kommenden Stellen durch Anregung, Beratung und Auskunft zu unterstützen.” Die Aufsichtsbehörden sollten die Arbeitnehmervertreter stärker in die Pflicht nehmen.
  • Es ist nämlich ein Irrtum, dass Arbeitnehmervertreter nur ein “Mitbestimmungsrecht” haben, auch wenn das die Überschrift des § 87 BetrVG ist. Es ist vielmehr so, das Betriebsräte und Personalräte eine Mitbestimmungspflicht haben: Gemäß § 87 dürfen sie nicht nur “bei Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften” mitbestimmen, sondern sie haben mitzubestimmen. Es darf keine Betriebsräte geben, die die im BetrVG geforderte vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber falsch verstehen und deswegen Verstöße gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes tolerieren.
  • Die Arbeitnehmervertreter brauchen auch Unterstützung von den Aufsichtsbehörden. Eine angemessene Anleitung durch die Behörden und eine besser koordinierte Zusammenarbeit von Arbeitnehmervertretern und Aufsichtspersonen wäre hilfreich. Angesichts der Widerstände kann hier ein bisschen Hartnäckigkeit nicht schaden.
  • (Auch die einzelnen Arbeitnehmer können sich an die Behörden wenden.)

Es war doch gerade die Idee, dass der ganzheitliche Arbeitsschutz Arbeitnehmern und Arbeitgebern einen entbürokratisierten Freiraum bieten sollte, betriebsnahe Lösungen zu finden. Die Arbeitnehmervertreter haben hier eine große Aufgabe bei der Mitbestimmung.
http://www.dgb-nord.de/hintergrund/3/19/IHK__Buerokratieabbau_eine.pdf, 2003

Bürokratieabbau jetzt – schlanker Staat für eine starke Wirtschaft
Forderungspapier der Industrie- und Handelskammern des Landes Mecklenburg-Vorpommern an die Landesregierung

Der Subsidiaritäts-Gedanke sollte mit Blick auf bürokratische Anforderungen stärker zum Zuge kommen: Statt eine Vielzahl an detaillierten gesetzlichen und rechtlichen Vorschriften sollte der Gesetzgeber seine konkreten Ziele (z.B. beim Arbeitsschutz) definieren. Die Unternehmen hätten dann die Pflicht, zur Realisierung dieser Ziele betriebsbezogen optimierte Lösungen zu entwickeln und selbst auszuwählen. Eine solche Subsidiaritätsregelung wäre insbesondere für Kleinbetriebe zu fordern – sie wäre aber auch ausweitungsfähig auf alle Unternehmen. Erfolgreiche Beispiele für die Umsetzung dieses Gedankens waren in den letzten Jahren Selbstverpflichtungen der Wirtschaft in der Umweltpolitik. …

Wie hat das seit 1996 funktioniert?

 
Der Bericht von Thomas Öchsner mit dem Untertitel “Die Bundesregierung räumt große Probleme beim Arbeitsschutz ein” ist eine gute Zusammenfassung der Antwort der Bundesregierung und des Hintergrunds zu dem Thema. Er erwähnt auch die “Anti-Stress-Verordnung” und die Vorbereitung der “Leitlinie Beratung und Überwachung zu psychischer Belastung”. Auf den “Bericht über Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit” wird ebenfalls suchfreundlich hingewiesen.

-> Alle Beiträge zur Kleinen Anfrage “Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz” im Bundestag.

Weitere Links:

 


Und hier noch die “Vernachlässigte Psyche” bei der Berliner Morgenpost aus dem Jahr 2003
(http://www.morgenpost.de/printarchiv/wissen/article466662/Vernachlaessigte-Psyche.html, 2003-08-10):
Berlin – Die Wirtschaftskrise führt zu einer Zunahme psychischer Erkrankungen. Gerade Probleme am Arbeitsplatz sind die Hauptursache eines neuen Krankheitsbilds, das der Berliner Psychiater Professor Michael Linden kürzlich erstmals beschrieben hat: Posttraumatische Verbitterungsstörung. Besonderes Merkmal ist die tiefe Verbitterung infolge einer persönlichen Kränkung. …

Vorzeitiger unfreiwilliger Ruhestand

Montag, 17. Oktober 2011 - 08:31

http://www.sueddeutsche.de/karriere/
vorzeitiger-unfreiwilliger-ruhestand-aufhoeren-weil-die-seele-leidet-1.1165601

Aufhören, weil die Seele leidet

16.10.2011, 17:23
Von Thomas Öchsner

Psychische Erkrankungen sind mittlerweile der Hauptgrund für den unfreiwilligen Vorruhestand – und der kommt immer früher: Wer vor 30 Jahren vorzeitig aus dem Berufsleben ausscheiden musste, war im Durchschnitt 56 Jahre alt. Heute sind vor allem diejenigen, die wegen seelischer Leiden aufhören, wesentlich jünger. Das hat mehrere Gründe. …

Auf Seite 4 (SZ 2011-10-17) gab es dann von “tö” den Kommentar “Wenn Arbeit krank macht”. Der Kommentarschreiber liest anscheinend seine eigene Zeitung nicht. Und er suchte auch nicht in ihrem Archiv: “Wenn Arbeit krank macht” war an gleicher Stelle schon einmal der Titel eines Kommentars, und zwar in der SZ 2010-08-13.

“tö” fragt: “Was zu tun ist?”. Seine Antworten: “Arbeitnehmer müssen lernen, an sich selbst keine überzogenen Ansprüche zu stellen, und die Arbeitgeber dürfen ihre Untergebenen nicht als moderne Arbeitssklaven behandeln …”

Davon, dass diese beiden (die Situation nicht ganz nicht falsch, aber auch nicht ausreichend beschreibenden) Klischees wiedergekäut werden, werden sie auch nicht hilfreicher. Sie lenken von einem ganz anderen Problem ab: Wieso kommt der Kommentator nicht auf die Idee, zu fragen, ob überhaupt ehrlich und diszipliniert gefragt wird, “was zu tun ist”? Einiges, was zu tun ist, ist nämlich seit vielen Jahren vorgeschrieben, wird aber nicht getan. Je nach Quelle kann man erfahren, dass seit Jahren 16% bis (sehr optimistisch geschätzt) 50% der Unternehmer psychisch wirksame Belastungen nicht in die vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen mit einbeziehen. Seit spätestens 2004 verstößt die Mehrheit der Unternehmen gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzgesetzes und die dazu gehörnden Urteile. Was wäre dagegen zu tun? Aufsicht! Und dass es an Aufsicht fehlt, sollte bei der SZ inzwischen auch bekannt sein.

Wenn die Leute locker bei Rot über die Ampel fahren dürften, würde sich sich doch auch niemand wundern, wenn mehr Verkehrsunfälle passieren. Es kann da doch keine allzu große geistige Herausforderung sein, zu fragen, wie sich der gewohnheitsmäßige Verstoß gegen die Pflicht der Arbeitgeber zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz (schon ganz am Anfang, also beim Fragen nach Gefährdungen) auf psychische Erkrankungen auswirkt.

SZ 2010-08-13, S. 4:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler [(damals war er das noch)] falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

 



http://www.tagesschau.de/inland/fruehrente100.html

Zahlen im vergangenen Jahr laut Zeitung angestiegen
Psychische Erkrankungen häufiger Grund für Frührente

Die Zahl der Arbeitnehmer, die wegen einer psychischen Erkrankung vorzeitig in Rente, ist im vergangenen Jahr gestiegen. Das berichtet die “Süddeutsche Zeitung” unter Berufung auf neue Zahlen der Deutschen Rentenversicherung.

Demnach mussten sich im Jahr 2010 bundesweit fast 71.000 Frauen und Männer wegen seelischer Störungen vor Erreichen der Altersgrenze von 65 Jahren in den Ruhestand verabschieden. 2009 waren es noch knapp 64.500 gewesen. …

 


Abendzeitung München / dpa:
http://www.abendzeitung-muenchen.de/inhalt.rente-mit-depression-still-und-heimlich-in-die-fruehverrentung.c4d6a420-17fd-4ca7-878e-15e61e25d746.html
Mit Depression still und heimlich in die Frühverrentung

… Burnout ist kein neues Phänomen, aber es breitet sich aus wie ein Ölfleck auf dem Wasser. Die internationalen Konzern-Verflechtungen bei zunehmendem Konkurrenzdruck führen zu höheren Anforderungen an die Arbeitnehmer. Dabei spielen individuelle Fähigkeiten auch eine wichtige Rolle: Manche sind stress-resistenter als andere, die dann auch früher ans Limit kommen.

Um die fatale Entwicklung zu bremsen, muss nach Überzeugung aller Experten in den Betrieben vorbeugend gegengesteuert werden: Das Bundesgesundheitsministerium will dazu in Zusammenarbeit mit Firmen demnächst ein Stressabbauprogramm für Beschäftigte auflegen. …

Nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit. Warum weist die DPA auf die Bedeutung der individuellen Resilienz hin ohne auch die einfach nachprüfbare Missachtung der Arbeitsschutzregeln durch die Mehrheit der Unternehmen zu erwähnen? Warum will das Bundesgesundheitsministerium ein Stressabbauprogramm auflegen anstatt die Unternehmen endlich durch gründliche Gewerbeaufsicht zur Einhaltung bereits bestehender Vorschriften bewegen?

Die gute Nachricht: Wie man es richtig macht, zeigte jüngstens (entgegen meinen eigenen Vorurteilen) ausgerechnet eine CSU-Landesministerin. Und bereits im Jahr 2009 bohrte (entgegen meinen weiteren Vorurteilen) die FDP in Berlin an den richtigen Stellen nach. Hier sind ein paar Politiker der Presse voraus.