Schlagwort 'Rheinische Post'

Nahles nähert sich der Anti-Stress-Verordnung

Dienstag, 26. August 2014 - 22:42

Heute in den Nachrichten:

Arbeitsministerin Andrea Nahles will 2015 Kriterien für eine Anti-Stress-Verordnung vorlegen. “Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen, das haben mittlerweile auch die Arbeitgeber anerkannt. Wir haben dazu auch wissenschaftliche Erkenntnisse”, [...]

sagte Nahles im Sommer-Interview der Rheinischen Post (Rehna Lehmann, Eva Quadbeck): http://www.rp-online.de/politik/ministerin-andrea-nahles-spd-eine-anti-stress-verordnung-ist-mein-ziel-aid-1.4477441

[...] Ich habe dafür gesorgt, dass die Prüfung einer Anti-Stress-Verordnung in den Koalitionsvertrag hineinkommt. Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen, das haben mittlerweile auch die Arbeitgeber anerkannt. Wir haben dazu auch wissenschaftliche Erkenntnisse. Dennoch ist es eine Herausforderung, diese gesetzlich rechtssicher umzusetzen. Daher haben wir die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin beauftragt, fundiert aufzuarbeiten, ob und wie es möglich ist, Belastungsschwellen festzulegen. Wir brauchen allgemeingültige und rechtssichere Kriterien, bevor wir den Betrieben etwas vorschreiben. [...]

“Belastungsschwellen” sind von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich. Das Problem ist nicht das Fehlen von “Belastungsschwellen”, sondern vielmehr das Fehlen nachvollziehbarer, transparenter und mitbestimmter Prozesse für den Umgang mit psychischen Belastungen im Arbeitsschutz. Die Gefährdungsbeurteilungen werden nicht einmal so durchgeführt, wie die Bundesvereinigung der Arbeitgeber (BDA) es ihren Mitgliedern empfiehlt. Deswegen fehlen in vielen Betrieben auch viele Jahre nach dem Inkrafttreten des Arbeitsschutzgesetzes (1996) immer noch Daten über das tatsächliche Belastungsspektrum. Es gibt auch heute noch genug Arbeitgeber, die das Belastungsspektrum lieber nicht dokumentiert haben wollen. Sie beseitigen zwar hier und da Mißstände, aber nicht (wie vorgeschrieben) auf Basis einer Gefährdungsbeurteilung, sondern eventuelle Fehlbelastungen nicht dokumentieren zu müssen.

Eine Anti-Stress-Verordnung sollte die Stärkung der Mitbestimmung im Arbeitschutz fördern und die überforderte Gewerbeaufsicht viel besser in die Lage versetzten, überhaupt einmal zu verstehen, was in den Betrieben los ist. Das Problem ist nicht fehlendes Wissen, sondern es herrscht Anarchie: Arbeitgeber meinen in Ihrer großen Mehrheit, sie stünden über dem Gesetz: 80% der Betriebe konnten sich sanktionslos herausnehmen, psychische Belastungen nicht in der vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung zu erfassen. Wenn die Belastungen gar nicht nicht erst gesehen werden, dann helfen auch keine “Belastungsschwellen”.

 
http://www.stern.de/politik/deutschland/psychische-erkrankungen-nahles-will-anti-stress-verordnung-fuer-arbeitnehmer-2133478.html und http://www.wiwo.de/erfolg/beruf/anti-stress-verordnung-nahles-sagt-dem-arbeitsstress-den-kampf-an/10608904.html

[...] SPD-Chef Sigmar Gabriel hatte gesagt, er sehe bei diesem Thema vor allem Arbeitgeber und Gewerkschaften und nicht den Gesetzgeber in der Pflicht. Die stellvertretende Bundestags-Fraktionsvorsitzende Carola Reimann und Nordrhein-Westfalens SPD-Arbeitsminister Guntram Schneider hatten sich hingegen für ein Gesetz stark gemacht, das die Verfügbarkeit von Arbeitnehmern grundsätzlich regeln soll. [...]

Was der Stern und die WiWo nicht schreiben: Gabriel äußerte sich hier nur zu einem Unterthema aus dem Bereich der Psychischen Belastungen, nämlich um den Dauerbrenner “ständige Erreichbarkeit”. Ganz unrecht hat Gabriel zwar nicht, aber er hat die Betriebsräte vergessen. Nicht die Gewerkschaften, sondern die Betriebsräte bestimmen bei der Umsetzung der Forderungen des Arbeitsschutzgesetzes mit. Vielen Betriebsräten fehlt hier aber noch die erforderliche Kompetenz.