Schlagwort 'ISO 10075'

Amtsärztliche Auskunft

Montag, 4. April 2016 - 06:55

Feststellung eines Arztes der Gewerbeaufsicht:

Eine ungerechtfertigte Abmahnung kann auf Seiten des Mitarbeiters zu einer Fehlbeanspruchung führen.

Eine Fehlbeanspruchung ist Folge einer Fehlbelastung. Eine ungerechtfertigte Abmahnung hat also die Eigenschaften einer Fehlbelastung. (Zum Zusammenhang zwischen Belastung und Beanspruchung: ISO 10075)

“Wie die Politik Weicheier heranzüchten wird”

Mittwoch, 24. September 2014 - 10:07

http://wirkt.de/die-anti-stress-verordnung/ (Dr. Thorsten Bosch AG):

Die Anti-Stress-Verordnung
Veröffentlicht am 19. September 2014 von Roger El-Hourani
Oder: wie die Politik Weicheier heranzüchten wird [...]

Das fängt ja schon mit der Überschrift gut an. Lesen Sie den Rest selbst. Die Verordnung kann Kritik gebrauchen, aber ist die Verordnung, die von Roger El-Hourani dargestellt wird, auch die Verordnung, die vorgeschlagen werden soll? Es ist immer hilfreich, sich mit dem Argumentationsstil der Gegner einer verbesserten Umsetzung des Arbeitsschutzgesetze auseinanderzusetzen.

Die Polemik El-Harounis soll mit Quelleangaben am Ende des Artikels einen seriösen Anstrich bekommen. Darunter findet sich auch “Normenausschuss Ergonomie (1987). Psychische Belastung und Beanspruchung Din-Norm Nr. 33 405. Berlin, Beuth Verlag 1987″. Die Norm DIN 33405 ist schon längst zurückgezogen worden. Relevant ist die Norm ISO/EN/DIN 10075. (El-Harouni ist hier nicht alleine. Auch das Gabler-Wirtschaftslexikon hat’s noch nicht gemerkt.)

2012 schloss Roger El-Hourani sein Psychologiestudium mit einer praktischen Forschungsarbeit zum Gesundheitsmanagement in Kooperation mit der AOK-Baden-Württemberg ab. Seine Schwierigkeiten, die “Anti-Stress-Verordnung” zu verstehen beruhen also nicht auf fehlender Fachkenntnis, sondern dienen ihm zur eristischen Darstellung des Themas. Der Psychologe El-Harouni setzt sein Wissen zur psychologischen Kampfführung ein und weiß, dass er die “Anti-Stress-Verordnung” falsch darstellt. Wahrscheinlich geht es hier aber nicht um falsch oder richtig, sondern um die Übereinstimmung mit den Vorstellungen der Kunden, die die Dr. Thorsten Bosch AG bedienen will.

Das Niveau des Artikels von El-Harouni wir noch von dem YouTube-Video unterboten, den El-Harouni in seinen Artikel eingebettet hat. Verantwortlich dafür ist Jörg Zajonc, der Chef von RTL-West. Er ist also eine Führungskraft, weswegen sich die Gewerbeaufsicht seine Polemik einmal genauer ansehen und anhören sollte.

Berater wie Roger El-Harouni und Führungskräfte wie Jörg Zajonc sind ein gutes Argument für eine strenge “Anti-Stress-Verordnung”, die sich insbesondere einer kompetenten behördlichen Aufsicht widmen könnte.

Übrigens, man kann Regulierungsbemühungen im Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen auch anständig kritisieren: A. Hofmann und K.- J. Keller (Arbeitgeberverband Metall NRW), R. Neuhaus (Institut für angewandte Arbeitswissenschaft), April 2000 (nicht 2002, wie das bei ergonassist.de steht), 59 Seiten: Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370). Ralf Neuhaus war als seriöser Wissenschaftler schon im April 2000 weiter, als Roger El-Hourani es zwei Jahre nach seinem Studienabschluss ist.

DIN 33405 längst durch DIN EN ISO 10075 abgelöst

Freitag, 1. November 2013 - 09:32

http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/56969/beanspruchung-und-belastung-v5.html

[...] Die Begriffe psychische Beanspruchung und Belastung sind in der DIN 33405 aufgeführt. [...]

Veraltet.

 


Update 2014-09-26: Das Gabler-Wirtschaftslexikon referenziert immer noch auf die heute nicht mehr relevante Norm.

Update 2016-04-06: Das Gabler-Wirtschaftslexikon referenziert immer noch auf die heute nicht mehr relevante Norm.

Überarbeitung der ISO DIN 10075

Dienstag, 25. Juni 2013 - 23:20

Arbeitsschutz und menschengerechte Arbeitsgestaltung

Freitag, 9. November 2012 - 20:56

Arbeitsschutz

Das Arbeitsschutzgesetz dient dazu, Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit durch Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sichern und zu verbessern. Maßnahmen des Arbeitsschutzes im Sinne dieses Gesetzes sind Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen bei der Arbeit und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren einschließlich Maßnahmen der menschengerechten Gestaltung der Arbeit. Gefahren sind an ihrer Quelle zu bekämpfen. Individuelle Schutzmaßnahmen sind nachrangig zu anderen Maßnahmen. Maßnahmen sind mit dem Ziel zu planen, Technik, Arbeitsorganisation, sonstige Arbeitsbedingungen, soziale Beziehungen und Einfluß der Umwelt auf den Arbeitsplatz sachgerecht zu verknüpfen. Kosten für Maßnahmen nach diesem Gesetz darf der Arbeitgeber nicht den Beschäftigten auferlegen.

Die DIN SPEC 91020 versucht, Arbeitsschutz als Abwehr von Unfallgefahren und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren sowie als Schutz vor arbeitsbedingten Verletzungen (Arbeitsunfällen) und arbeitsbedingten Erkrankungen (Berufskrankheiten und andere arbeitsbedingte Erkrankungen) darzustellen.

Angelehnt an OHSAS 18001:2007 ist Arbeitsschutz jedoch die Abwehr von arbeitsbezogenen Ereignissen, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge haben oder hätten zur Folge haben können. Dabei gelten Erkrankungen als erkennbare, nachteilige physische oder mentale Zustände, die durch eine Arbeitstätigkeit und/oder durch eine Arbeitssituation entstanden sind und/oder verschlechtert wurden.

 
Menschengerechte Arbeitsgestaltung

Der private Standard DIN SPEC 91020 ist in einem PAS-Verfahren entstanden. Darum fehlen ihm nach den Regeln des DIN-Institutes die Voraussetzungen, die für einen Arbeitsschutzstandard erfüllt werden müssten. Die privatwirtschaftlich orientierten Autoren versuchen, das Ziel menschengerechter Gestaltung und ständiger Verbesserung der Arbeit so einzuschränken, dass beide insgesamt den körperlichen und geistigen Leistungsvoraussetzungen des Organisationsmitgliedes entsprechen und auf Bewahrung von Leben und Gesundheit in Verbindung mit der Berufsarbeit abzielen. Schleichen sich da individuelle Leistungsfähigkeitsmessungen (z.B. orientiert an der ISO 10667) als Instrument des Arbeitsschutzes ein?

Vergleichen Sie das einmal mit dem, was die BAuA angelehnt an die ISO 10075 und ergo-online.de angelehnt an die ISO 9241-2 zur menschengerechten Arbeitsgestaltung schreiben.

Das Arbeitsschutzgesetz kümmert sich in seinem § 28 zur menschengerechten Arbeitsgestaltung eigentlich nur um die Jugend. Hoffentlich wird der Paragraf irgendwann einmal erwachsen, z.B. so: Der Arbeitgeber hat bei der Einrichtung und der Unterhaltung der Arbeitsstätte einschließlich der Maschinen, Werkzeuge und Geräte und bei der Regelung der Beschäftigung die Vorkehrungen und Maßnahmen zu treffen, die zum Schutz der Beschäftigten gegen Gefahren für Leben und Gesundheit sowie zur Vermeidung einer Beeinträchtigung ihrer körperlichen und seelisch-geistigen Verfassung erforderlich sind. Hierbei sind das Sicherheitsbewußtsein und die Erfahrung der Beschäftigten zu berücksichtigen und die allgemein anerkannten sicherheitstechnischen und arbeitsmedizinischen Regeln sowie die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse zu beachten.

Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

Sonntag, 9. September 2012 - 23:35

In der markigen Beschreibung http://www.industry.siemens.com/topics/global/en/system-certificates/Documents/IA_Management_Manual.pdf eines Managementhandbuchs schreibt Siemens I IA CE:

… Das Managementsystem von I IA umfasst die Themen Qualität, Umweltschutz und Arbeitssicherheit (EHS).

Indikatoren für die Wirksamkeit des Managementsystems sind die positive Geschäftsentwicklung und die hohe Kundenzufriedenheit.

Und die Mitarbeiterzufriedenheit ist kein Indikator? Oder kann man irgendwo bei Siemens nachlesen, dass für OHSAS 18001 auch die Mitarbeiter zu den Kunden gehören?

 
http://www.dialog.igmetall.de/Artikel.32+M5cfbfaf1969.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=7781:

Psychische Belastung – kein Thema für Siemens?

Man könnte meinen, dass die Thematik psychische Belastung mittlerweile abgegriffen erscheint – aber immer wieder schrecken uns Zahlen und Fakten auf und zeigen ganz deutlich, wie dramatisch diese Krankheit tatsächlich auf dem Vormarsch ist (siehe zum selben Thema).

Herunterspielen aus Kostengründen?

Positive Ansätze im Umgang mit dieser Problematik bei Siemens verliefen allerdings im Sande: Die aus Kostengründen gestoppte psychosoziale Hotline oder das ebenfalls gestoppte Hand-out für Führungskräfte hätten weitere Bausteine zur Hilfe und Unterstützung unserer Kolleginnen und Kollegen sein können. Weitere Maßnahmen wie ein Fragebogen zur Selbsteinschätzung im Intranet und Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter werden gar nicht mehr mit dem Ausschuss des Gesamtbetriebsrats besprochen. …

Die Gewerkschaft (in der ich Mitglied bin) liegt daneben: Psychische Belastung ist keine Krankheit. Ohne “psychische Belastung” (die schlechte Übersetzung des Begriffs “mental workload” in der deutschsprachigen Version der ISO EN DIN 17005 ) gäbe es keine Jobs. Das wäre dann allerdings eine psychische Fehlbelastung. Und selbst die ist keine Krankheit, sondern eine mögliche Ursache von Krankheiten.

Wenn ein Arbeitgeber Maßnahmen wie eine Befragung zur Selbsteinschätzung im Intranet und den Ausbau der angebotenen Seminare für Führungskräfte und Mitarbeiter ohne Mitbestimmung durchführt, dann läge auch er daneben, und der Betriebsrat könnte rechtlich gegen solche Straftaten vorgehen. In nach OHSAS 18001 zertifizierten Betrieben, die ihr Zertifikat nicht verlieren wollen, gibt es aber noch andere Handlungsmöglichkeiten für Arbeitnehmervertreter.

Viele Betriebe der Siemens AG sind nach OHSAS 18001:2007 zertifiziert. In den Zertifikaten können Siemensianer auch die nächsten Rezertifizierungstermine nachlesen. Und für die internen Audits gibt es Auditpläne. Macht da mal mit! Übrigens, in der großen Mehrheit der Fälle ist DQS der Zertifikator. Das Unternehmen bietet einen Beschwerdeprozess an.

Ein paar Fragen, die sich Arbeitnehmervertreter in allen nach OHSAS 18001 zertifizierten Unternehmen stellen sollten:

  • Wenn trotz mangelhaften Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz Zertifikate für das Arbeitsschutzmanagementsystem erteilt wurden, ist diese Nichtkonformität dann wenigstens in einem Abweichungsbericht dokumentiert worden?
  • Sprechen Zertifikatoren mit den Kunden des OHSAS 18001, also mit den Mitarbeitern und ihren Vertretern?
  • Sind die Berufsgenossenschaft und die Gewerbeaufsicht überfordert? Verlässt sich die behördliche Aufsicht darum zu leichtfertig auf Zertifikate für Managementsysteme?
  • Kennen die Betriebsräte an den Standorten und der Gesamtbetriebsrat den Standard BS OHSAS 18001 und darin das Kapitel zur Mitbestimmung?
  • Was ist der Hauptmotivator im Arbeitsschutz?
  • Warum lassen Unternehmen ihre Managementsysteme zertifizieren?
  • Sind den Betriebsräten die Berichte der internen und externen Audits bekannt?
  • Welche Dokumente wurden den Auditoren vorgelegt?
  • Werden im Widerspruch zum OHSAS 18001:2007 (Punkt 3.9 und Kapitel 4.5.3.1) nur Unfälle dokumentiert und untersucht, die der Arbeitgeber der Berufsgenossenschaft zu melden hat, oder werden (mit Beachtung der Mitbestimmung nach OHSAS 18001:2007, Kapitel 4.4.3.2) alle arbeitsbezogenen Ereignisse verhältnispräventiv analysiert und auch in der Statistik ausgewiesen, die eine Verletzung oder Erkrankung (ohne Berücksichtigung der Schwere) oder einen tödlichen Unfall zur Folge hatten oder hätten zur Folge haben können? (Nach OHSAS 18002:2008, Anhang, C.4 gehören auch Mobbing und Einschüchterung zu solchen Ereignissen.)
  • Kennen die Betriebsräte die Auditpläne für vergangene und zukünftige Audits?
  • Sind die Betriebsräte kompetent genug, den Arbeitgeber an seinen eigenen Maßstäben zu messen?
  • Was ist die Selbstverpflichtung eines Unternehmens nach OHSAS 18001 wert, wenn schon die Betriebsräte dieses Versprechen nicht ernst nehmen?

 
Siehe auch: https://www.google.de/search?q=psychische-belastung+”OHSAS+18001″+-psybel. Was man da findet, ist wenig beeindruckend. Betriebsräte könnten hier den Hebel ansetzen. Lesestoff: LV 52 und LV 54 und OHSAS 18002:2008 (die Umsetzungshilfe zu OHSAS 18001:2007).

Versteht die BAuA den WAI nicht mehr?

Montag, 11. Juni 2012 - 07:43

Verhaltensbeurteilung: Mit dem Arbeitsbewältigungsindex (ABI, Work Ability Index – WAI) soll die individuelle Arbeitsfähigkeit einer Person in einer bestimmten Tätigkeit bewertet werden. Er ist als arbeitsmedizinische Messinstrument zur Bestimmung eines optimalen und gerechten Pensionierungszeitpunktes entwickelt worden.

Verhältnisbeurteilung: Sie ist im Arbeitsschutz die Grundlage der Primärprävention. Für die gesetzlich geforderte Analyse von Arbeitsplätzen (Arbeitsbedingungen usw.) gibt es geeignetere Instrumente zur Erfassung psychischer Belastungen, die nicht erst umgebaut werden müssen, damit man sie für die Verhältnisprävention verwenden kann. Der WAI ist nicht für die Verhältnisbeurteilung geschaffen worden.

Warum bewerben BAuA ind INQA den WAI so intensiv – und dazu noch mit einem irreführenden Text?

http://www.inqa.de/DE/Lernen-Gute-Praxis/Publikationen/why-wai.html (Seite nicht mehr verfügbar)

Unbestritten ist, dass durch verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen die Voraussetzungen für ein längeres Verbleiben von mehr Erwerbstätigen in Beschäftigung geschaffen werden können – und müssen. Denn abgesehen von dem persönlichen Leid und dem Verlust an Lebensqualität, die sich hinter jedem Einzelfall verbergen – leisten können wir uns diese Verschwendung von Wissen, Erfahrungen und Kenntnissen bereits jetzt nicht mehr – und künftig noch viel weniger. Vor diesem Hintergrund ist der Work Abilitiy Index (WAI) ein sinnvolles Instrument, da mit seiner Hilfe sowohl die aktuelle als auch die künftige Arbeitsfähigkeit von älter werdenden Beschäftigten erfasst und bewertet werden kann. Ausgehend vom WAI können konkrete Maßnahmen zum Erhalt und zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit eingeleitet werden.

Darum fördern INQA und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die Anwendung und Verbreitung des WAI. Ausdruck dieser Förderung ist das auf Initiative der BAuA und in Kooperation mit der Bergischen Universität Wuppertal gebildete nationale WAI-Netzwerk. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Irreführend ist der Text, weil in ihm der WAI sowohl mit Verhältnisprävention wie auch mit Verhaltensprävention so verknüpft wird, dass der Eindruck entstehen könnte, der WAI sei für beide Präventionsarten geeignet. Das WAI-Netzwerk versucht ja auch mit beachtlichem Publikationsaufwand, diesen Eindruck zu erwecken.

Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist unbestritten, dass verhältnispräventive Maßnahmen (mit den entsprechenden Erhebungsinstrumenten) Pflicht sind, verhaltenspräventive Maßnahmen sind dagegen eine freiwillige Übung. Unbestritten ist außerdem, dass der WAI kein Instrument der Verhältnisprävention ist. Wer hat es geschafft, die trickreiche Irreführung in die BAuA/INQA einzuschmuggeln? Diese Art von verwirrender Werbung scheint wohl eine der Aufgaben der WAI-”Netzwerkarbeit” zu sein.

 

Die BAuA beschreibt den WAI an einer derzeit noch weniger von Lobbyarbeit verseuchter Stelle richtig:
http://www.baua.de/de/Informationen-fuer-die-Praxis/Handlungshilfen-und-Praxisbeispiele/Toolbox/Verfahren/WAI.html

Gestaltungsbezug: Quantitative Verfahren der Verhaltensprävention
Jahr: 1998

Quintessenz: Der Work Ability Index (WAI) ist ein Instrument zur Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten. Er wird auch als Arbeitsfähigkeitsindex oder Arbeitsbewältigungsindex (ABI) bezeichnet. Es handelt sich um einen Fragebogen, der entweder von den Befragten selbst oder von Dritten, z. B. von Betriebsärzten/innen bei der betriebsärztlichen Untersuchung beantwortet wird. Ziel der Anwendung in Betrieben ist die Förderung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten.

Der WAI kann angewendet werden
1. im Rahmen der betriebsärztlichen Betreuung,
2. im Rahmen der Betriebsepidemiologie (Querschnitt- und Längsschnittuntersuchungen),
3. im wissenschaftlichen Bereich und
4. zur Evaluierung von Maßnahmen der individuellen und betrieblichen Gesundheitsförderung.

Der Fragebogen ist in den 80er Jahren von finnischen Arbeitswissenschaftlern entwickelt worden. Seither wurde er in 21 Sprachen übersetzt.

Ziel(e): Individualprävention

Methode(n) der Datengewinnung: schriftliche Befragung, mündliche Befragung

Merkmalbereich(e): z. B. momentane und zukünftige Arbeitsfähigkeit, Anforderungsbewältigung

(Hervorhebungen und Kursivsatz nachträglich eingefügt)

Hier werden die Anwendungsgrenzen des WAI klar. Wie ist es gelungen, an anderer Stelle die BAuA und die INQA so für den WAI zu begeistern und dort Desinformation zu plazieren? Arbeitgeber zeigen an der Bewertung der individuellen Arbeitsfähigkeit (ISO 10667) ein größeres Interesse als an der Beurteilung der arbeitsplatzbezogenen psychischen Belastung (ISO 10075). So wie Wissenschaft heute von der Wirtschaft “gefördert” wird, hat die Netzwerkerei für den WAI ein unangenehmes Geschmäckle.

 

http://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/DE/Publikationen/why-wai.pdf?__blob=publicationFile,
Why WAI? – Der Work Ability Index im Einsatz für Arbeitsfähigkeit und Prävention – Erfahrungsberichte aus der Praxis.
(4., aktualisierte Auflage, Oktober 2011), S. 131:

… Individuelle Betrachtung der Arbeitsfähigkeit:
der ABI-Dialog / das WAI-Gespräch

Nach Auswahl und Festlegung der WAI-Fragen etablierte sich das Instrument in der betriebsärztlichen Arbeit – wiederum zuerst in Finnland, dann auch im deutschsprachigen Raum. Ausschlaggebend dafür war die Prognosekraft des WAI: Schon mit wenigen Fragen lässt sich frühzeitig erkennen, bei welchen Beschäftigten die Arbeitsfähigkeit gefährdet ist und wie dringend Präventionsmaßnahmen sind. Es zeigte sich, dass die Durchführung als Interview durch die Betriebsärztin bzw. den Betriebsarzt in mehrfacher Sicht sinnvoll ist: Ein doppeltes Abfragen von Krankheiten (im WAI und in der betriebsärztlichen Anamnese) lässt sich so vermeiden, zugleich ermöglichen die Fragen einen guten Gesprächseinstieg in den Themenkomplex ›Arbeit, Alter und Gesundheit‹. So wird aus dem Diagnoseinstrument ein Interventionsinstrument: der ABI-Dialog, der auch als WAI-Gespräch bezeichnet wird. Die Durchführung dieses Dialogs erfordert betriebsärztliche oder arbeitspsychologische Kompetenz. Wird der ABI-Dialog nicht von Medizinern durchgeführt, kommt in der Regel die WAI-Kurzversion (mit kurzer Krankheitsliste) zum Einsatz. …

WAI-Kurzversion mit kurzer Krankheitsliste, genutzt von Nicht-Medizinern? Da gibt es dann keine ärztliche Schweigepflicht mehr. So beginnt, was ich “fürsorgliche Belagerung der Mitarbeiter” nenne. Der WAI hat vielleicht seine Berechtigung in der betriebsärztlichen Anamnese, ist aber kein Instrument des Arbeitsschutzes. Darüber hinaus soll er sogar im individuellen “Coaching” (und darum letztendlich auch für die Leistungs- und Verhaltensbeurteilung) verwendet werden. Kompetente Betriebs- und Personalräte werden den WAI nicht als Instrument des Arbeitsschutzes zulassen, sondern die Verwendung direkt für den Arbeitsschutz geeigneter Instrumente durchsetzen.

 

http://www.gesundheitsfoerderung.ch/pdf_doc_xls/d/betriebliche_gesundheitsfoerderung/programme_projekte/A4_Broschuere_Arbeit_Alter_d.pdf
Arbeit und Alter - Grundlagen zur Bewältigung der demografischen Herausforderung in Betrieben,
Ralph M. Steinmann, 2008, Gesundheitsförderung Schweiz, Bern und Lausanne.

… Work Ability Index (WAI)

Dieses inzwischen in vielen Ländern erfolgreich getestete und eingesetzte arbeitsmedizinische Messinstrument zielt darauf, Gesundheitsgefährdungen der Beschäftigten und Risiken der Frühverrentung frühzeitig zu erkennen und diesen entgegenzuwirken. Es ist zwecks Bestimmung eines optimalen und gerechten Pensionierungszeitpunktes entwickelt worden. Ausgehend von den Selbsteinschätzungen der Mitarbeitenden wird von einer arbeitsmedizinischen Fachperson untersucht, ob zukünftig Einschränkungen ihrer Arbeitsfähigkeit drohen und welcher Handlungsbedarf besteht, um die Gesundheit der Befragten über den Erwerbsverlauf zu fördern. Die Fragen betreffen

  • die aktuelle und zukünftige Arbeitsfähigkeit,
  • Krankheiten und
  • die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage im vergangenen Jahr,
  • die geschätzte krankheitsbedingte Beeinträchtigung der Arbeitsleistung sowie
  • psychische Leistungsreserven.

Aufgrund der Ergebnisse kann gemeinsam überlegt werden, was die Arbeitskraft selber und was das Unternehmen tun kann, um die Arbeitsfähigkeit zu erhalten und zu fördern. Für unterschiedliche Berufsgruppen und Altersklassen liegen inzwischen Durchschnittswerte als Richtwerte vor, die einen betriebsübergreifenden Vergleich erlauben. …

(Hervorhebungen nachträglich eingefügt, Layoutänderungen nachträglich vorgenommen)

 

Institut für Qualitätssicherung in Prävention und Rehabilitation GmbH
an der Deutschen Sporthochschule Köln
Autoren des Beitrags: IQPR Maike Bohnes, Annette Röhrig
http://www.assessment-info.de/assessment/seiten/datenbank/vollanzeige/vollanzeige-de.asp?vid=436

ABI, WAI, Arbeitsbewältigungsindex, Work Ability Index

Erfassung der Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten
Dimensionen / Analyseeinheiten:
Der WAI besteht aus 7 Dimensionen:
1. Derzeitige Arbeitsfähigkeit im Vergleich zu der besten, je erreichten Arbeitsfähigkeit
(Wenn sie Ihre beste, je erreichte Arbeitsfähigkeit mit 10 Punkten bewerten: Wie viele Punkte würden sie dann für ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit geben?)
2. Arbeitsfähigkeit in Relation zu den Arbeitsanforderungen
(Wie schätzen sie ihre derzeitige Arbeitsfähigkeit in Relation zu den körperlichen oder psychischen Arbeitsanforderungen ein?)
3. Anzahl der aktuellen vom Arzt diagnostizierten Krankheiten
(Langversion = 50, Kurzversion = 13 Krankheiten / Krankheitsgruppen)
4. Geschätze Beeinträchtigung der Arbeitsleistung durch die Krankheiten
(Behindert sie derzeit eine Erkrankung oder Verletzung bei der Ausübung ihrer Arbeit?)
5. Krankenstandstage im vergangenen Jahr
(Wie viele ganze Tage blieben Sie auf Grund eines gesundheitlichen Problems (Krankheit, Gesundheitsvorsorge oder Untersuchung) im letzten Jahr (12 Monate) der Arbeit fern?)
6. Einschätzung der eigenen Arbeitsfähigkeit in zwei Jahren
(Glauben sie, dass sie, ausgehend von ihrem jetzigen Gesundheitszustand, Ihre derzeitige Arbeit auch in den nächsten zwei Jahren ausüben können?)
7. Psychische Leistungsreserven / mentale Ressourcen
(Haben sie in der letzten Zeit ihre Aufgaben mit Freude erledigt?
Waren sie in der letzten Zeit aktiv und rege?
Waren sie in der letzten Zeit zuversichtlich, was die Zukunft betrifft?)

Gesamtzahl der Items: 10

Erhebungs- / Analysemethoden: Selbsteinschätzung; Fragebogen;

Frage- und Antwortformate / Beurteilungsskalen: Die sieben Dimensionen des ABI werden über das Ankreuzen einer Anwort bzw. einer Zahl aus den vorgegebenen Antwortformaten bewertet. Die angekreuzten Antworten bzw. Zahlen werden in Zahlen übertragen bzw. übernommen und ergeben einen Gesamtpunktwert zwischen 7 und 49. Der so erzielte Gesamtwert liefert eine Aussage zu der Eigeneinschätzung der Arbeitsfähigkeit. Der Einschätzung sollten beschriebene Interventionen folgen.

Punkte Arbeitsfähigkeit Ziel

7-27 schlecht Arbeitsfähigkeit wiederherstellen
8-36 mittelmäßig Arbeitsfähigkeit verbessern
37-43 gut Arbeitsfähigkeit unterstützen
44-49 sehr gut Arbeitsfähigkeit erhalten

Aufbau: Kurz- und Langform vorhanden ;
Die Kurzversion des ABI unterscheidet sich von der Ursprungsform in der Anzahl der abgefragten Krankheiten/Krankheitsgruppen; statt 50 werden in der Kurzform 13 Krankheiten/Krankheitsgruppen erfragt. …

 
Ohne eine bereits mitbestimmt zustandegekommene und etablierte Verhältnisprävention können Maßnahmen der Verhaltensprävention zu einer Gefahr für die Mitarbeiter werden.
 

Links (2013):

Immaterielle Normen

Sonntag, 11. März 2012 - 07:45

Wer bestimmt unsere Arbeitswelt? Wie konstruiert man strukturelle Verantwortungslosigkeit in der Praxis?

http://de.wikipedia.org/wiki/Kommission_Arbeitsschutz_und_Normung

Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) vereint seit 1994 die in Deutschland für den Arbeitsschutz relevanten Institutionen.

Sie hat die Aufgabe, die Normungsarbeit zu beobachten und die Belange des Arbeitsschutzes gegenüber der Normung zur Geltung zu bringen. Ihre Beschlüsse im Bereich von Arbeitsschutz und Normung haben den Charakter von Empfehlungen und stellen den Konsens von Sozialpartnern, Staat, Unfallversicherungsträgern (Berufsgenossenschaften) und des Deutschen Instituts für Normung e. V. dar.

Sie wird vom Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa e. V. (VFA) und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales finanziert.

Suche: http://www.google.de/search?q=”Verein+zur+Förderung+der+Arbeitssicherheit+in+Europa”+VFA

 
Aktualisierung 2012-07-31:
http://www.kan.de/fileadmin/user_upload/docs/KANBericht/KANBericht_DE/Bericht_34/Beri34.pdf

Einflussmöglichkeiten des Arbeitsschutzes auf die ISO-Normung
KAN-Bericht 34

Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa …

Das ist eine interessante Erläuterung, wie die Gestaltung von Normen durch Mitglieder der Normenausschüsse beeinflusst werden kann, z.B. bei der Gestaltung und Änderung der Normen ISO 10075 (psychische Belastung) und ISO 10667 (Arbeitsfähigkeit, Personaldiagnostik usw.).

 
http://www.dguv.de/inhalt/praevention/praev_netz/kan/index.jsp

Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN)

Technische Normen legen in vielen Bereichen sicherheitsrelevante Anforderungen z.B. an Arbeitsmittel und Prüf- und Messverfahren fest. Normen leisten damit einen wichtigen Beitrag, um Unfälle und Erkrankungen zu vermeiden. Die Kommission Arbeitsschutz und Normung (KAN) hat die Aufgabe, die Normungsarbeit aus Sicht des Arbeitsschutzes zu begleiten und dessen Interessen in die Normung einfließen zu lassen.

In der KAN sind die Sozialpartner, der Staat, die gesetzliche Unfallversicherung und das DIN vertreten. Die KAN bündelt die Meinung der verschiedenen Arbeitsschutzkreise – gestützt auf einen breiten Konsens aller Beteiligten – und bringt diese Position über das DIN als Stellungnahmen in laufende und geplante Normungsvorhaben oder zu bereits bestehenden Normen ein. Sie selbst ist jedoch kein Normungsgremium. Auch in normungspolitischen Diskussionen vertritt die KAN die deutsche Arbeitsschutzmeinung. Zusätzlich bringen die in der KAN vertretenen deutschen Arbeitsschutzkreise ihre Positionen über ihre europäischen Partnerorganisationen in die europäische und internationale Normungsdiskussion ein.

Die KAN wird vom Verein zur Förderung der Arbeitssicherheit in Europa e.V. (VFA) getragen und vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gefördert. Mitglieder im VFA sind Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung.

 
http://www.kan.de/uploads/tx_kekandocs/b32-08.pdf
(zu: 10 Jahre KAN; Datei eröffnet: 2004-03, modifiziert: 2007-03)

Reflexionen der in der KAN vertretenen Kreise 

 
Alexander Gunkel, BDA
,,Nach Auffassung der BDA gehört es zu den wichtigen Aufgaben der KAN, einer weiteren Überregulierung im Arbeitsschutz entgegenzuwirken und so einen Beitrag zum dringend notwendigen Bürokratieabbau in Deutschland zu leisten. Eine Deregulierung führt zu mehr Transparenz und Anwenderfreundlichkeit und hat somit unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen und internationalen Kontext.”

 
Die europäischen Normen regeln die sicherheitstechnische Beschaffenheit von Arbeitsmitteln. Die EU legt in ihren Richtlinien keine sicherheitstechnischen Details mehr fest, sondern überlässt dies den europäischen Normungsgremien. Dadurch nimmt die Bedeutung der Europäischen Normung erheblich zu. Hier ist das Bewusstsein für die Qualität der Normen, d.h. vor allem ihre Praxistauglichkeit, zu verstärken. Das betrifft die Lesbarkeit, Transparenz und anwenderorientierte Beschaffenheit der Normen.

Kein Normungsgegenstand sind die betrieblichen Belange des Arbeitsschutzes, soweit sie Pflichten des Arbeitgebers, Rechte und Pflichten der Beschäftigten und die Organisation des Arbeitsschutzes betreffen. Diese sind europäisch und national durch verbindliche Vorschriften umfassend und abschließend geregelt. Normen für den Bereich des betrieblichen Arbeitsschutzes sind von Seiten der KAN in Übereinstimung mit dem Gemeinsamen Deutschen Standpunkt (GDS) grundsätzlich abzulehnen.

Die Arbeitgeber sehen in der KAN ein sinnvolles Instrument, um einer ausufernden, besonders die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) belastenden Normungstendenz entgegenzuwirken und dazu beizutragen, die Konsensfindung in Bezug auf Arbeitsschutzfragen in der Normung zu erleichtern. Darüber hinaus sehen die Arbeitgeber in der KAN eine Institution zur stärkeren Beteiligung der Sozialpartner am Normungsgeschehen und ein Gremium zur Verbesserung des Informationsflusses bei der Mandatierung von Normen, insbesondere um Fehlentwicklungen der Normung im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz zu verhindern.

Die Entwicklungen im Bereich ,,Arbeitsschutzmanagementsysteme” haben gezeigt, wie wichtig die KAN für die Abstimmung und Durchsetzung gemeinsamer Arbeitsschutzinteressen ist. Diese Aufgabenstellung dürfte noch weiter an Bedeutung zunehmen. Mit wachsendem Trend zu ,,immateriellen Normen” (Dienstleistungsnormen, Qualitätssicherung, psychische Belastungen, auch Normung im Bereich der Ergonomie u. ä.) wird es notwendig, noch stärker im Bereich der Normungspolitik mitzuwirken, dies nicht nur auf nationaler, sondern vor allem auf europäischer und internationaler Ebene. Insbesondere muß es aber auch darum gehen, eine Ausweitung der Normung auf das sozialpolitische Feld – z.B. auf das Thema ,,soziale Verantwortung von Unternehmen” – zu verhindern.

Immaterielle Normen: Was wichtig in Unternehmen ist, ist daran erkennbar, dass auf Messbarkeit Wert gelegt wird. Ohne Normen kann nicht gemessen werden. Arbeitgeber wollen sich im Arbeitsschutz nicht messen lassen, sondern sind mehr an einer ISO/EN 10667 interesssiert, mit der an Arbeitnehmer eine “immaterielle Norm” angelegt werden soll. Die Strategie der Arbeitgeber (die nicht müde werden, Mitarbeiter an ihre “Eigenverantwortung” zu erinnern) ist also ein Ungleichgewicht der Verantwortungen zu ihrem Vorteil und zum Nachteil der Arbeitnehmer anzustreben. Aber ist das eine Überraschung? Es passt dazu, wenn Top-Manager ihre Einkommen nicht mehr mit Verantwortung rechtfertigen, sondern mit dem “Markt”.

Darüber hinaus kann die KAN dazu beitragen, einer weiteren Überregulierung im Arbeitsschutz entgegenzuwirken und so einen Beitrag zum dringend notwendigen Bürokratieabbau in Deutschland zu leisten. Eine Deregulierung führt zu mehr Transparenz und Anwenderfreundlichkeit und hat somit unmittelbaren Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft im europäischen und internationalen Kontext.

Normung entbindet den Gesetzgeber von der Erarbeitung detaillierter Rechtsvorschriften. Mit dem Prinzip der Neuen Konzeption ist dies in Europa für den Bereich der Produktnormung realisiert worden. Es liegt im Interesse der Wirtschaft, diesen Ansatz auch auf die internationale Ebene zu transferieren.

Zusammengefasst: Die Arbeitgeber sehen in der KAN

  • eine Institution zur Stärkung der Beteiligung der Sozialpartner an der Normung und zur Verbesserung des Informationsflusses bezüglich Normungsvorhaben,
  • ein Gremium zur Vermeidung von Fehlentwicklungen der Normung im Hinblick auf den betrieblichen Arbeitsschutz,
  • ein wirkungsvolles Instrument zur nationalen Meinungsbildung im Bereich der arbeitsschutzrelevanten Normung,
  • ein Instrument zur Durchsetzung der nationalen Arbeitsschutzposition auf europäischer und internationaler Ebene sowie
  • ein Mittel, um der Überregulierung im Arbeitsschutz entgegen zu wirken.

(Link nachträglich eingetragen)

 
http://www.kan.de/de/normal/themen/uebergreifende-themen/normungspolitik.html#c206

Rolle der Normung in Bezug auf den betrieblichen Arbeitsschutz – Gemeinsamer Deutscher Standpunkt (GDS)
Ansprechpartnerin: Angela Janowitz

Der “Gemeinsame Deutsche Standpunkt (GDS) zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EG-Vertrags gestützten Richtlinien” trägt der Tatsache Rechnung, dass in diesem sozial-politischen Bereich das Europäische Rechtssystem eine vollständige Harmonisierung nicht vorsieht. Auf europäischer Ebene stützen sowohl die Normung als auch der EU-Vertrag und die EU-Institutionen unverändert die Position, dass im Bereich der Sozialpolitik Normen grundsätzlich nur sehr begrenzt einsetzbar sind. Dennoch stellen nationale, europäische und internationale Normen immer wieder Anforderungen an den betrieblichen Arbeitsschutz. Hier gilt es, dies zu verhindern oder, wenn das nicht möglich ist, eine klare Trennung von Produktanforderungen und betriebliche Anforderungen anzustreben. Gleichzeitig aber stellt die zunehmende Internationale Normung den Arbeitsschutz vor die Aufgabe, seine Strategie zum Thema Normung und betrieblichen Arbeitsschutz weiterzuentwickeln. Als einen Schritt hat die KAN im KANBrief 2/09 die heute bestehenden Grenzen und Spielräume für betriebliche Arbeitsschutznormung dargestellt.

Weitere Informationen:

 
Deregulierung hilft den Betrieben nur dann, wenn die Arbeitgeber ihre Gestaltungspflicht ausfüllen und wenn Arbeitnehmervertretungen stark und kompetent mitbestimmen. In der Praxis zeigt sich, das die Mehrheit der Arbeitgeber ihre Freiheit, die ja mit einer Pflicht verbunden war, als Einladung zum Nichtstun verstanden hat: Selbst die Bundesarbeitsministerin bestätigt heute, dass die Arbeitgeber den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schleifen ließen.

Persönlichkeitstest ganz einfach

Dienstag, 6. März 2012 - 22:17

Die m.o.v.e. hr GmbH propagiert mit “hr-metrics” ein Verfahren, mit dem das Problem des Burnout an der Wurzel angepackt werden soll. Dazu stimme das Analyse-Tool einfach die Persönlichkeit des Arbeitnehmers und die Anforderungen des Berufs ganz genau aufeinander ab, Stress und Überlastung sollen so gar nicht erst entstehen können. Des Verfahren soll zu einer neuen Test-Generation gehören und zeige, wie einfach die Vermeidung von Burnout sein könne.

  1. Im ersten Schritt ermittelt bei “hr-metrics” ein “Job-Profiler” die Anforderungen des Jobs an die Persönlichkeit. Also die Belastung (ISO 10075). Es wird nicht angegeben, ob das ein bei z.B. bei der BAuA verzeichnetes Verfahren ist.
  2. Danach komme ein “ein weltweit anerkanntes Verfahren (MBTI)” zum Einsatz, mit dem man feststellen könne, wie der Job-Bewerber seine eigene Persönlichkeit in die Arbeits- und Lebenswelt einordnet. “Mit diesen beiden Schritten kann schon an einigen Stellschrauben gedreht werden”, meint Jens-Peter Paulsen, der Geschäftsführer der GmbH. (In der Normung ist hier die ISO 10667 interessent.)
  3. Ein “Visual Questionnaire (ViQ)” ist die dritte Komponente. Dieser “intuitive Persönlichkeitstest” beruhe “auf modernsten neuro-wissenschaftlichen Erkenntnissen” und zeige, “wo genau die Stärken und Schwächen des Arbeitnehmers” liegen. Paulsen meint, dass man es gerade im Fall von Burnout haben mit einer modernen Krankheit zu tun habe darauf ebenso modern antworten müsse.

Zum ViQ meint der Stern (http://www.stern.de/wissen/mensch/visual-questionnaire-lernen-sie-sich-besser-kennen-534188.html):

… Der Test besteht aus einfachen Abbildungen, die sich auf vielerlei Weise erfassen und deuten lassen. Die konkreten Interpretationen zeigen, wie man die Welt wahrnimmt und dem Wahrgenommenen Sinn und Bedeutung zuordnet. Die Wahrnehmung beeinflusst wesentlich die Grundmuster des Verhaltens. Der ViQ verbindet die visuelle Wahrnehmung mit einer vom Schweizer Arzt und Psychoanalytiker Carl Gustav Jung entwickelten Typologie, die Menschen nach ihren Verhaltensmustern unterscheidet. Die Zuordnung zu den Persönlichkeitstypen gelingt mit dem ViQ direkt über die Messung individueller Unterschiede in der Wahrnehmung und Beurteilung von visuellen Signalen. …

Man sieht, was alles mit Burnout verkauft werden soll. Jungs Typologie hat in über 80 Jahren schon etwas Staub angesetzt, aber hier sollen “modernsten neuro-wissenschaftlichen Erkenntnisse” dazu kommen.

“Wo genau die Stärken und Schwächen des Arbeitnehmers” liegen, lässt sich bei bereits angestellten Arbeitnehmern ganz sicher nicht mit solchen Tests im Auftrag eines Arbeitgebers ermitteltn. m.o.v.e.-hr bietet sein Verfahren ja auch nicht für den Arbeitsschutz an.

Aufmerksam sollten Betriebsräte in der Pharme- und Chemiebranche hier werden (http://euromarcom.de/2012/02/chemiebranche-profitiert-von-neuer-test-generation/):

Chemiebranche profitiert von neuer Test-Generation
Veröffentlicht am: 22.02.2012 von euro.marcom

Für den Personalexperten ist hr-metrics ein unverzichtbares Tool, nicht nur für die Pharma- und Chemiebranche. “Bei dem sich abzeichnenden Mangel an Fach- und Führungskräften müssen Unternehmen für einen nachhaltigeren Erfolg in Besetzungsfragen und höherer Mitarbeiter-Zufriedenheit wesentlich intensiver mit der Persönlichkeit der Kandidaten und Mitarbeiter auseinandersetzen. Menschen bleiben, wenn sie sich wohlfühlen – und sie fühlen sich wohl, wenn sie in ihrer Persönlichkeit ernst genommen werden” …

Wie kann man bei soviel Respekt vor der Persönlichkeit kritisieren, wenn sich ein Arbeitgeber so fürsorglich mit der Persönlichkeit seiner Mitarbeiter “auseinandersetzt”?

Ein positiver Ansatz ist allerdings:

… Rainer Pohl, Vertriebsleiter Deutschland der m.o.v.e. hr GmbH (www.move-hr.de). “Anstatt beispielsweise Arbeitszeiten zu verlängern, müssen die qualifizierten Fachkräfte besser eingesetzt werden. Denn Low Performer sind High Performer am falschen Platz.” …

Siehe auch: http://blog.psybel.de/persoenlichkeitstests/

Salzgitter: Reha ohne ganzheitlichen Arbeitsschutz?

Mittwoch, 22. Februar 2012 - 00:08

In einer Pressemappe der BDA zu einer gemeinsamen Erklärung der BDA und der VDBW (2012-02-09) geht es auf den Seiten 29 bis 36 in einem Artikel von Birgit Leinweber (Fachärztin für Allgemeinmedizin, Leiterin des BKK MedPlus Centers ) auch um die Salzgitter AG:

Das Betriebliche Rehabilitationskonzept der Salzgitter AG

Netzwerkarbeit, die wirkt

Mit einem kompetenten Netzwerk gegen die Probleme des demographischen Wandels zu arbeiten und gegen Ressourcenverluste durch Schnittstellenprobleme anzugehen – das ist das Ziel der Netzpartner, die an dem Betrieblichen Rehabilitationskonzept (BeReKo) der Salzgitter AG beteiligt sind. Gesteuert wird das Konzept maßgeblich durch die BKK Salzgitter, die sich seit Jahren beim Aufbau und der Entwicklung geeigneter Maßnahmen engagiert hat. Die große Akzeptanz unter den Teilnehmern ermuntert nicht nur zur Fortsetzung, sondern auch zur Ausweitung des Angebots. Birgit Leineweber

EFL-Test
Die ,,Evaluation der funktionellen Leistungsfähigkeit” (EFL) wurde in den USA entwickelt und hat sich dort außerordentlich bewährt.

PACT-Test
Der PACT-Test (Performance Assessment and Capacity Testing) wurde für die Selbsteinschätzung der körperlichen Fähigkeiten entwickelt.

Nach drei Monaten Training wird es spannend: Dann werden nämlich die drei Testverfahren erneut durchgeführt. Die Leistungssteigerung wird vermerkt und der Versicherte erhält einen neuen Trainingsplan aufgrund der aktuellen Befunderhebung.

Modul C. Dieses Modul gilt den „Sorgenkindern“ – das sind die Versicherten mit langen AU-Zeiten, schweren Beeinträchtigungen mit Komorbiditäten und einer fraglichen weiteren Einsatzfähigkeit im Betrieb.

Medizinische Wirbelsäulenanalyse ,,DAVID-Test”

AVEM-Test [siehe auch AVEM in der BAuA-Liste]
Das Testverfahren ,,Arbeitsbezogenes Verhaltens und Erlebensmuster” (AVEM) ist ein mehrdimensionaler persönlichkeitsdiagnostischer Test

(Anmerkung in eckigen Klammern und Links nachträglich eingefügt)

Die freiwillige Verhaltensprävention (individuelle Maßnahmen) und gesetzlich vorgeschriebene Verhältnisprävention (arbeitsorganisatorische Maßnahmen) ergänzen sich, aber individuelle Schutzmaßnahmen sind im Arbeitsschutz nachrangig zu allen anderen Maßnahmen.

Im Artikel der BKK geht es um verhaltenspräventiv orientierten Verfahren zum Test von individuellen Mitarbeitern. Es geht dabei eher um Leistungsfähigkeit (siehe auch ISO 10667) als um Gesundheit, nicht jedoch um die Arbeitsbedingungen und die dort zu messenden psychischen Belastungen (siehe auch ISO 10075). Ohne die im Arbeitsschutz vorgeschriebene Beurteilung der Arbeitsbedingungen macht das keinen Sinn. Wo ist die Schnittstelle zum gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz? Wo ist die Schnittstelle zu den mitbestimmenden Arbeitnehmern?

Es ist bedenklich, wie sich hier eine Krankenkasse und eine Betriebsärztin auf die Wiederherstellung und Messung der Arbeitsfähigkeit konzentrieren und dabei die Prävention völlig vernachlässigen. Dass “Rehabilitation” das Thema ihres Artikels ist, entschuldigt dieses unverantwortliche Desinteresse an der Verhältnisprävention nicht. Ohne Überprüfung beispielsweise der Arbeitssituation von zu rehabilitierenden Mitarbeitern kann nicht verstanden werden, welchen Einfluss diese Arbeitssituation auf die Erkrankung haben könnte. Für eine nachhaltig gelingende Rehabilitation ist die funktionierende Verhältnisprävention eine entscheidende Voraussetzung.

Im BKK-Artikel finden sie keinen Hinweis auf eine funktionierende Verhältnisprävention als Vorraussetzung für die Verhaltensprävention. In der Pressemappe finden Sie Hinweise mit der Suche nach “Gefährdungsbeurteilung” und “IMPULS”. In Zukunft gestalten – 5 Jahre Generationen-Offensive 2025 (Salzgitter AG, S. 37-70) hat es die Salzgitter AG aber geschafft, das Wort “Gefährdungsbeurteilung” zu vermeiden, obwohl das IMPULS-Verfahren Daten dafür liefern soll. Wie der Betriebsrat mitbestimmt, wird nicht deutlich. Ein vielleicht nicht ganz ausgeschlafener Gesamtbetriebsratsvorsitzender (Christian Schwandt) hat die Broschüre trotzdem unterschrieben.

(geändert: 2012-02-23)