Schlagwort 'geschwächte Aufsicht'

Gemeisamkeiten: Abgasskandal und Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz

Mittwoch, 4. November 2015 - 06:27

Es geht nicht nur um VW. Siehe http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-11/abgas-stickoxid-autohersteller-dieselmotor

Die Gemeinsamkeit: Unternehmen konnten sich in Deutschland anscheinend ziemlich sorgenlos über Vorschriften und Regeln hinwegsetzen. Und/oder ihnen werden Lücken geboten, mit denen die Wirksamkeit von Vorschriften und Regeln erheblich geschwächt wurde. Wenn man weiß, wie Berater bei Gesetzesentwürfen mitarbeiten, ist das ja auch keine Überraschung.

Bei der Abgasgeschichte geht es nun um hohe Schadensbeträge. Da haben sich die Risikoanalysten der Compliance-Abteilung bei Volkswagen wohl verschätzt. (Gewusst haben sie von Widersprüchen zwischen Testergebnissen und Praxis schon, denn das wurde ja in der Öffentlichkeit bereits früher diskutiert.) Bei Regelverstößen im Arbeitsschutz haben deutsche Unternehmen dagegen viel weniger zu befürchten. Ihre Compliance-Abteilungen machen auch hier eine entsprechende Risikoanalyse. Ist das Sanktionsrisiko z.B. bei fehlendem Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz gering, dann wird das Arbeitsschutzgesetz ohne Furcht vor Sanktionen nur soweit umgesetzt, wie das zur Minderung finanzieller Risiken auf ein geringes Maß nötig ist.

Kam Ursula von der Leyens “knallharter Strafenkatalog” (2012) überhaupt jemals zum Einsatz?

 


http://www.spiegel.de/wirtschaft/volkswagen-lasst-vw-pleitegehen-kolumne-a-1061431.html
[...] Ich frage mich, wie es sein kann, dass die Prüfer, die die Typenzulassungen erteilen, das nicht gemerkt haben. Schlimmer noch: Wie konnte das Kraftfahrt-Bundesamt, immerhin eine Behörde des Staates, das nicht bemerken? Oder die vielen Autojournalisten, von denen es in Deutschland nur so wimmelt? Vielleicht, weil viele von ihnen von der Autoindustrie – wie auch immer – bei Laune gehalten wurden? [...]

 
http://www.forbes.com/sites/enriquedans/2015/09/27/volkswagen-and-the-failure-of-corporate-social-responsibility/

[...] But the sad truth is that this conclusion applies to the vast majority of companies: a head of CSR is appointed, given an air of respectability, and runs a department the job of which is to keep the company’s image clean, despite the filth it is mired in, as is clearly the case with Volkswagen. Once again, we have allowed ourselves to be duped into believing that companies can and will regulate themselves, when of course the sordid reality is that as their actions show, beyond the occasional symbolic act, their sole objective is to maximize profit, and by any means. [...]

Bayerisches Arbeitsschutzmanagement ohne psychische Belastung

Mittwoch, 12. August 2015 - 05:54

Habe heute einmal wieder in die Website der bayerischen Gewerbeaufsicht hineingesehen.
http://www.gewerbeaufsicht.bayern.de/arbeitsschutz/managementsysteme/ohris/index.htm

OHRIS ist das Managementsystem der Bayerischen Staatsregierung für mehr Gesundheit bei der Arbeit und Sicherheit technischer Anlagen. Entwickelt wurde es in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, um den Arbeitsschutz in den Betrieben zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten. Ein Grundgedanke des Arbeitsschutzmanagementsystems OHRIS ist, dass die Mitarbeiter in erheblichem Maß den Erfolg eines Unternehmens mit bestimmen. Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten fördern deren Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität. Sie tragen in besonderem Maß zu einem positiven Arbeitsklima bei. [...]

Die Prioritäten sind also klar bayerisch: In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft (unüberraschenderweise nicht auch mit Arbeitnehmerorganisationen) ist es für die bayerische Staatsregierung uninteressant, ein Managementsystem der bayerischen Staatsregierung zu implementieren, bei dessen Beschreibung auch das Arbeitsschutzthema “psychische Belastung” erwähnt wird.

Zwar gibt es sehr gute Informationen der Gewerbeaufsicht zu dem Thema, aber bei der Umsetzung machen die Bayern dann doch nicht so gerne ernst. Man will “der Wirtschaft” ja keine Steine in den Weg legen. Gehandelt wird erst, wenn es für die Öffentlichkeit zu ekelig wird.

So kommt es, dass Aufsichtpersonen selbst krasse psychische Fehlbelastungen in mit der Staatsregierung harmonisch zusammenarbeitenden Unternehmen nicht einmal protokollieren, geschweige denn kritisieren. Beispiel: Abmahnung an einen Mitarbeiter, der eine Fehlbelastungen meldete. Zwar konnte der Mitarbeiter mit einer Klageandrohung eine Rücknahme der Abmahnung erwirken, war aber über einen Zeitraum von drei Monaten einer massiven Fehlbelastung ausgesetzt. Die bayerische Gewerbeaufsicht findet es in Ordnung, wenn solch eine inakzeptable Bedrohung eines Mitarbeiters nicht als Fehlbelastung dokumentiert wird.

Das “Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten” lebt bei der bayerischen Gewerbeaufsicht munter weiter.

Bundeswirtschaftsministerium unterstützt Kriminalität

Mittwoch, 29. Juli 2015 - 07:13

http://www.br.de/nachrichten/inhalt/lohnbetrug-baustellen-100.html

[...] und ebensowenig in Deutschland. Hier bleibt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), sobald sie ihre Quoten erfüllt hat, im Büro. Ob Papiere echt oder gefälscht sind, wird kaum geprüft. Schließlich, so ein Ermittler, wolle man die Wirtschaft “nicht kriminalisieren”. [...]

Die Wirtschaft (zumindest Teile davon) kriminalisiert sich doch selbst. Darum kann die Aufdeckung ihrer Straftaten keine Kriminalisierung mehr sein, denn diese bestand ja schon vorher.

Bei Schwarzarbeit muss die Finanzkontrolle wegsehen, wenn vom Bundesfinanzministerium sehr niedrig angesetzten Quoten erfüllt sind. Das Bundesfinanzministerium verhindert effektive Kontrollen von Schwarzarbeit. Mehr dazu gibt es heute abend im Fernseh-Magazin “Kontrovers” des Bayerischen Rundfunks.

Noch leichter ist es, im Arbeitsschutz wegzusehen. Wenn ein Großteil der Unternehmen seit 1996 ungestraft den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz verhindern konnte, dann muss die Gewerbeaufsicht über einen langen Zeitraum nachhaltig weggesehen haben.

Auch die privatisierte Aufsicht von Arbeitsschutzmanagementsystemen arbeitet ziemlich “wirtschaftsfreundlich”. Beaufsichtigt werden die Zertifizierungsgesellschaften von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), wenn sie bei der DAkkS akkreditiert sind. Die Gesellschafter der DAkkS sind (a) Das Bundeswirtschaftsministerium, (b) der BDI und (c) die Länder. Ich meine, dass das BMAS ein weiterer Gesellschafter werden sollte, denn die DAkkS muss ja Audits nicht nur im Interesse der Wirtschaft überwachen.

Suche: https://www.google.de/search?q=”Franz+Buckenhofer”+Schwarzarbeit+Polizeii

Aufsichtsperson gibt
Versagen der Gewerbeaufsicht zu

Freitag, 26. Juni 2015 - 07:01

Die Gewerbeaufsicht ist mit der Prüfung des Einbezugs psychischer Überlastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe überfordert. Das wurde im Jahr 2012 im Bundestag festgestellt.

In einem deutschen Bundesland berichtet ein Unternehmen seinen Mitarbeitern ganz stolz, dass die Gewerbeaufsicht es bei der Umsetzung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes unter den Top 10 Unternehmen in dem Bundesland einordnet. Damit lobt die Gewerbeaufsicht dieses Landes ein ziemlich verspätetes Pilotprojekt, dem in dem betroffenen Betrieb nun erst Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung zur Beurteilung psychischer Belastungen folgen werden. Bisher gab es da nichts: Der Abschnitt der Gefährdungsbeurteilung, der psychische Belastungsen betrifft, blieb nämlich bis heute leer, mit dem Hinweis auf das laufende Projekt. Kritik für die Zeit von 1996 bis heute gibt es von der Gewerbeaufsicht nicht, obwohl in dem Betrieb bis heute kein mitbestimmtes Verfahren implementiert ist, mit dem die psychische Belastungen an allen Arbeitsplätzen erfasst und bewertet werden. Treiber war hier der Betriebsrat.

Deutsche Zustände: Eine überforderte Behörde lobt ein Unternehmen, in dem bis zum Jahr 2013 für mehrere tausend Mitarbeiter keine psychische Fehlbelastung so erfasst wurde, wie das Unternehmen es versprach: Es versprach nämlich, dass es selbst solche Vorfälle erfasst, die physische und mentale Erkrankungen nur hätten zur Folge haben können. Nach seiner eigenen Selbstverpflichtung bleibt die Schwere tatsächlicher oder möglicher Erkrankungen dabei unberücksichtigt. Aber nur etwa null Vorfälle wurden selbst seit dem Jahr 2008 erfasst, in dem Mitarbeiter erstmals Mängel im Arbeitsschutz des Unternehmens ansprachen. Die Gewerbeaufsicht berät den Arbeitgeber freundlich und respektvoll, aber beaufsichtigt ihn im Bereich der psychischen Belastungen weiterhin nicht. Im Jahr 2015 wird dann doch Handlungsbedarf für die Arbeitsplätze mehrerer Dutzend Mitarbeiter festgestellt.

Statt den Schutz der Arbeitnehmer zu sichern, schwächt die Gewerbeaufsicht mit ihrem Lob die Position jener Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber über viele Jahre hinweg den Schutz vor psychischen Fehlbelastungen verwehrte – und zwar insbesondere auch, weil die Gewerbaufsicht nicht ordentlich kontrolliert hatte. Das ist wohl das Problem der Gewerbeaufsicht: Wenn korrekt nachkontrollieren würde, dann würde das ihr bisheriges Versagen dokumentieren. Da lässt die Gewerbeaufsicht dann lieber die Arbeitnehmer im Stich.

Die eigentliche Nachricht aber ist, dass sich aus diesem Lob einer extrem verspäteten Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ergibt, dass auch heute noch fast alle der Unternehmen in diesem feinen Bundesland gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen, und zwar mit Wissen der netten Gewerbeaufsicht. Dieses Versagen der Gewerbeaufsicht gab nun eine Aufsichtsperson mit ihrem Lob zu.

Wie gesagt: Deutsche Zustände. Wir haben hübsche Gesetze, aber die behördliche Ausicht kritisiert es nicht in einer nachvollziehbaren Dokumentation, wenn das Arbeitsschutzgesetz nicht richtig umgesetzt wird. Der Arbeitgeber kann dann Kritik seiner Mitarbeiter mit dem Argument abwehren, dass die Gewerbeaufsicht keine Fehler festgestellt habe.

Wer prüft die drei Streifen?

Sonntag, 24. Mai 2015 - 11:53

Adidas-Arbeitsbedingungen: http://www.zeit.de/2015/21/adidas-arbeitsbedingungen

Es geht um Leiharbeit. Adidas schreibt in CSR-Veröffentlichungen, dass sich Auftragsnehmer nach dem BS OHSAS 18001 (ein Standard für das Arbeitsschutzmanagement) richten müssen. Wie ernsthaft geht es bei dieser Zertifiziererei zu?

Adidas verweist auf verschiedene externe Zertifizierer, veröffentlicht aber keine Zertifikate für OHSAS 18001. Obwohl diese Papiere (wegen teilweise schlechter Qualität der Zertifizierer) häufig nur der Wanddekoration dienen, haben sie wenigstens die Funktion, Zertifizierer zur Verantwortung ziehen zu können, wenn sie ihre Klienten nicht ordentlich auditiert haben. Im Gegensatz zu anderen sich auf die Anwendung von OHSAS 18001 berufenden Unternehmen ist es bei Adidas schwer, einen Zertifizierer zu finden, der zu seinen Audits bei Adidas steht.

Interessant ist, dass Adidas mit OHSAS 18001 wirbt, in Deutschland aber nicht zertifiziert ist
(http://www.adidas-group.com/media/filer_public/e8/32/e832823b-8585-4e26-8990-07b80e3ae71c/2014_sustainability_report_make_a_difference.pdf, S. 62):

[...] The site [Germany] is subject to regular occupational health and safety inspections by authorities, although it does not hold a formal OHSAS 18001 certification. [...]

Adidas scheint in Deutschland nicht an der mit einer disziplinierten Erfassung und Dokumentation von Vorfällen verbundenen Zertifizierung nach OHSAS 18001 interessiert zu sein. Bleibt nur die Gewerbeaufsicht (“authorities”), aber die Behörden sind bekanntermaßen bei ihren “inspections” chronisch überfordert. Bei der Überprüfung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz haben sie versagt (was im Jahr 2012 sogar ein Thema im Bundestag war). Außerdem ist Adidas in seiner Region ein ziemlich einflussreicher Arbeitgeber.

Anstatt sich in Deutschland externen Zertifizierungsaudits zu stellen, inverstiert Adidas lieber in den “Auf- und Ausbau eines positiven Arbeitgeberimages (Employer Branding)”.

Wird die Aufsicht besser?

Mittwoch, 1. April 2015 - 07:10

Im Herbst 2014 wurden von der GDA die “Empfehlung zur Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung” veröffentlicht. Die GDA hat jetzt ihre Webesite überarbeitet.

Seit Anfang dieses Jahres sollen Betriebe die Möglichkeit haben, sich von speziell qualifizierten Aufsichtspersonen bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung unter Einbeziehung der psychischen Belastungen unterstützen zu lassen. Ich bezweifele jedoch, dass es ausreichend viele Spezialisten sind. Allzu kritisch durften sie ja bisher nicht sein. Betriebe, die seit 1996 erst noch auf dem Weg sind, die Vorgaben des Arbeitsschutzes zu erfüllen, werden für ihre Anstrengungen sogar gelobt. (Bei kleinen Kindern wäre das eine akzeptable Mitivationstechnik.) Die noch bestehenden Mängel werden nicht dokumentiert, obwohl sie Ordnungswidrigkeiten sind. Mit ihrer freundlichen Zurückhaltung hilft die Gewerbeaufsicht den Betrieben, ihre Haftungsrisiken zu mindern.

Deutsche Zustände: In Deutschland durften Unternehmer weitgehend unbehindert gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Im Juli 2012 behauptete Ursula von der Leyen noch, dass es “strenge” Strafen gebe. Davon hatte aber kein Unternehmer etwas gespürt. In vielen europäischen Staaten müssen Arbeitgeber mit deutlich empfindlicheren Sanktionen rechnen, wenn sie der Pflicht der Gefährdungsbeurteilung am Arbeitsplatz nicht nachgehen. So kam es, dass im Jahr 2012 immer noch 80% der Unternehmen ganz locker auf die von ihnen geforderte Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes im Bereich der psychischen Belastung verzichten konnten.

Leider gibt es auch Betriebsräte, die sich von dem Lob der Gewerbeaufsicht bei der Mängelbeseitigung selbst dann beeindrucken lassen, wenn es in ihrem Betrieb noch gar keinen Prozess für die Beurteilung psychischer Belastungen gibt. Fehlt die im Arbeitsschutz erforderliche Kompetenz, dann trauen sich Betriebsräte nicht, der Gewerbeaufsicht die Mängel im Betrieb darzustellen. Kein Wunder, wenn es Lob gibt. Wenn Betriebsräte dann noch an Besichtigungen durch die Gewerbeaufsicht mit teilnehmen und den Mund dabei nicht aufkriegen, kann der Arbeitgeber stolz darauf hinweisen, dass der Betriebsrat mit der Beurteilung durch die Gewerbeaufsicht einverstanden sei. So kann Mitbestimmung leider auch aussehen: Der Betriebsrat liefert das Alibi.

Belastungsmoratorium

Freitag, 13. März 2015 - 07:38

Seit 1996 haben die Arbeitgeber psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Bis 2012 ignorierten etwa 80% der Betriebe diese Vorschrift. Es mag auch diese nachhaltige Bereitschaft zum Rechtsbruch sein, derentwegen die Arbeitgeber heute ein “Belastungsmoratorium” fordern (z.B. in den Nachrichten von heute), mit dem sie sich unter anderem gegen eine konsequente Überwachung von Arbeitsszeiten wehren. Das ist schon ziemlich frech.

Lästiger Kontrolldruck

Dienstag, 3. Februar 2015 - 16:51

Dass bayerische CSU-Politiker die ersten sind, die sich beim Mindestlohn gegen endlich einmal ernst zu nehmende Kontrollen wehren, ist überhaupt keine Überraschung. Strunzdumm schwafeln sie von “Planwirtschaft” und “überbordender Bürokratie”.

Im Arbeitsschutz kann man beobachten, wie ein Gewerbeaufsichtler ein Unternehmen als “Vorreiter” bezeichnet, das immer noch keine mitbestimmten Prozesse hat, mit der psychische Belastungen beurteilt werden. Freundlich wird das kontrollierte Unternehmen außerdem darauf hingewiesen, dass man bei den vielen Unternehmen, für die die Gewerbeaufsicht zuständig ist, sowieso nicht so genau hinsehen kann.

Im Bereich der privatisierten Kontrolle stufen akkreditierte Auditoren eine mangelhafte Vorfallserfassungen im Arbeitsschutzmanagement nur als “Beobachtung” und nicht als “Abweichung” ein, obwohl damit eine der Grundlagen des Arbeitsschutzes nicht funktioniert.

Es schmerzt im Umgang mit Vorschriften kreative Unternehmer natürlich besonders, wenn sie für Regelverstöße ihrer Subunternehmer verantwortlich gemacht werden sollen. Das Outsourcing von Verantwortung war schließlich ein wesentlicher Bestandteil des Geschäftsmodells “Subunternehmen”. Unterstützt wurde das z.B. im Arbeitsschutz durch Zertifikate, mit denen Subunternehmer ihre Auftraggeber schützen, aber nicht wirklich die in den Subunternehmen arbeitenden Menschen. Und nun soll die Party vorbei sein? Haben kreative Unternehmer vielleicht sogar Angst, dass möglicherweise wirkungsvolle Kontrollen des Mindestlohnes irgendwann einmal auch im Arbeitsschutz stattfinden könnten?

In Deutschland durften 80% der Betriebe gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen. Als ein Hauptgrund wurde im Bundestag die überforderte Aufsicht erkannt. Mehr als ein Jahrzehnt der Überforderung ist aber auch kein Versehen mehr, sondern System.

Es gibt natürlich auch anständige Arbeitgeber, also 20% weiße Schafe neben 80% schwarzen Schafen.

Wer die Zustände bei der Aufsicht (behördliche und akkreditierte private Auditoren) im Arbeitsschutz kennt, wünscht sich die Kontrollqualität, die beim Mindestlohn vorgesehen ist (oder vorgesehen war?). Leider sind in in der deutschen Arbeitswelt potentielle Gesetzesbrecher anscheinend immer noch stark genug, gegen Kontrollen vorgehen zu können.

Huml warnt vor „Effizienzwahn“ in der Wirtschaft

Samstag, 20. September 2014 - 03:51

In Bayern kann ein großes Unternehmen ohne Furcht vor Kritik und vor entsprechender Protokollierung durch die Gewerbeaufsicht versuchen, Mitarbeiter abzumahnen, die psychische Fehlbelastungen melden. Die betroffenen Mitarbeiter müssen sich selbst wehren (erfolgreich mit Betriebsrat und Rechtsanwalt), denn die Gewerbeaufsicht bleibt passiv. Die Gesundheitsministerin dieses Landes beglückte uns nun wieder mit Mahnungen, die gut klingen, aber ohne eine kompetentere und engagiertere Kontrolle durch die Gewerbeaufsicht populistisches Politikergeschwätz bleiben werden.

Abgesehen davon ist es Unsinn, ein verstärktes Vorgehen gegen körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu fordern. Obwohl es inzwischen eigentlich hinreichend bekannt sein sollte, haben die Öffentlichkeitsarbeiter der Ministerin immer noch nicht begriffen, dass es um die Vermeidung körperlicher und psychischer Fehlbelastungen am Arbeitsplatz geht. Ohne körperliche und psychische Belastungen gäbe es keine Arbeit.

http://www.stmgp.bayern.de/aktuell/presse/detailansicht.htm?tid=30685

Pressemitteilung

13.09.2014
Nr. 223/GP

Huml warnt vor „Effizienzwahn“ in der Wirtschaft – Bayerns Gesundheitsministerin: Steigende Zahl psychischer Erkrankungen bei Arbeitnehmern besorgniserregend

Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml fordert ein verstärktes Vorgehen gegen körperliche und psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Huml betonte am Samstag anlässlich eines Gesundheitsforums der Industrie- und Handelskammer Bayreuth im oberfränkischen Weißenstadt: „Die Beschäftigten dürfen nicht vom Beschleunigungs- und Effizienzwahn überrollt werden. Das ist auch im Interesse der Betriebe. Denn sie brauchen dauerhaft gesunde und motivierte Mitarbeiter.“

Die Ministerin fügte hinzu: „Unternehmerischer Erfolg auf Kosten der Gesundheit – diese Rechnung geht auf Dauer nicht auf! Dagegen lohnen sich Investitionen in ein gesundheitsförderndes Arbeitsumfeld. Denn: Studien konnten zeigen, dass sich jeder Euro, der in die Gesundheit der Mitarbeiter investiert wird, mindestens doppelt auszahlt.“

Die Ministerin verwies auf den „Fehlzeiten-Report 2013“. Sie unterstrich: „Arbeitsausfälle in der deutschen Wirtschaft sind häufig durch Muskel-Skelett- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen verursacht. Besonders besorgniserregend ist darüber hinaus die steigende Zahl an Krankheitstagen aufgrund psychischer Erkrankungen. Hier sollte gegengesteuert werden! Notwendig ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement, das neben den körperlichen auch die seelischen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt.“

Das Bayerische Gesundheitsministerium setzt sich im Rahmen der Gesundheitsinitiative Gesund.Leben.Bayern. mit verschiedenen Modellprojekten für eine „gesunde Arbeitswelt“ ein. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Prävention psychischer Erkrankungen. So unterstützt das Gesundheitsministerium das Projekt “Kein Disstress in der Ausbildung!”, das sich um einen positiven Start ins Berufsleben kümmert, mit rund 150.000 Euro.

Die bayerische Gewerbeaufsicht darf ja nicht einmal mehr schreiben, dass sie mit Unternehmen, die von den gesetzlichen Bestimmungen des Arbeitsschutzes abweichen, Zielvereinbarungen trifft. So sieht die Doppelstrategie bayerischer Gesundheitspolitik aus: Nach außen hin den “Effizienzwahn” der Wirtschaft bejammern, aber gleichzeitig wird im Arbeitsschutz nicht ernsthaft dafür gesorgt, dass eine effiziente behördliche Kontrolle im Bereich der Verhinderung psychischer Fehlbelastungen stattfinden kann. Diese Politik ist infam.

Die Ministerin meint: “Notwendig ist ein ganzheitliches betriebliches Gesundheitsmanagement, das neben den körperlichen auch die seelischen, emotionalen und sozialen Bedürfnisse der Mitarbeiter berücksichtigt.” Das klingt erst einmal gut, lenkt aber davon ab, dass die Politikerin mitverantwortlich für immer noch schwache Kontrollen im Bereich des ganzheitlichen betrieblichen Arbeitsschutzes ist. Notwendig ist erst einmal (seit 1996!), dass sich Unternehmen endlich an die Vorschriften halten. Die Ministerin will den einfachsten Grund für Mängel im Arbeitsschutz nicht ansprechen: Wenn die Politik zulässt, dass die Gewerbeaufsicht nicht ausreichend kritisch, effizient und kompetent kontrolliert, dann ist es doch kein Wunder, dass die Bestimmungen des Arbeitsschutzes in den Betrieben nicht eingehalten werden!

Mit ihrer Werbung für die an der Oberfläche gut aussehende “Gesundheitsförderung” beteiligt sich die Ministerin an der Ablenkung von den politisch tolerierten Rechtsbrüchen im Arbeitsschutz. Die Mahnungen der Ministerin vor einem angeblichen “Effizienzwahn” sind also gar nicht so wirtschaftskritisch, wie es auf den ersten Blick aussieht. Sie dienen nur der Wählerberuhigung, geben der Wirtschaft aber Raum, weiterhin ohne Sorge vor ernsthaften Sanktionen gegen Gesetze und Vorschriften des Arbeitsschutzes verstoßen zu können, z.T. zusammen mit der strafbaren Handlung der Behinderung der Betriebsratsarbeit. So geht es allerdings nicht nur in Bayern zu, sondern auch in anderen Gebieten Deutschlands.

Insider packt aus: Falschspiel im Zertifizierungsgeschäft

Freitag, 19. September 2014 - 15:38

Der folgende Artikel steht unter http://suite101.de/article/ein-insider-packt-aus-falschspiel-im-zertifizierungsgeschaeft-a112550 nicht mehr zur Verfügung. Ich veröffentliche ihn (ohne den Teil mit nicht mehr aktuellen Links) mit Genehmigung der Autoren.

Klaus Lohmann, in Kooperation mit Vera Kriebel, 2013-07-04
http://www.buendia.de/buendia.htm

TÜV, Bio, Öko, geprüfte Qualität – Zertifikate, Gütesiegel und Normen nach DIN oder ISO sollen Qualität und Sicherheit in der Wirtschaft gewährleisten und zum Beispiel Orientierung bieten, die Einhaltung von Qualitätsstandards besiegeln oder die Produktion sicherer machen. Doch die Zertifizierung läuft unsauber, sagt ein Insider, der ungenannt bleiben möchte, im Gespräch mit suite101.

Zertifikate: Gütesiegel für Qualität, Verantwortung und Sicherheit?

Redaktion: Warum wollen Sie Ihren Namen nicht nennen, wenn Sie so fragwürdige Abläufe im Zertifizierungsgeschäft schildern?

Experte: Ich möchte nicht an dem Ast sägen, auf dem ich sitze. Leider sind einige in der Zertifizierungsbranche dabei, den ganzen Baum zu schädigen. Wenn ich den Baum schütze, rette ich auch meinen Ast.

Redaktion: Zertifikate sollen für Qualität und Sicherheit sorgen, doch bestehen Zweifel, ob sie das tatsächlich leisten. Sie kritisieren in diesem Zusammenhang ganz grundsätzlich die Zertifizierungsbranche.

Das Zertifizierungsgeschäft ist hart

Experte: Der Wettbewerb ist hart. Problem: Zertifizierungsfirmen benötigen neue Kunden. Lösung: Beratungsfirmen empfehlen ihren Kunden bestimmte Zertifizierungsstellen. Die Berater erhalten von den Zertifizierern im Gegenzug

  • die Sicherheit, dass ihr Kunde zertifiziert wird,
  • Vermittlungsprovisionen,
  • Folgeaufträge: Im Rahmen der Zertifizierungen finden Untersuchungen – sie heißen im Fachjargon: Audits – statt. Werden dabei Mängel festgestellt, stehen Maßnahmen an, zum Beispiel Schulungen – die wiederum werden dankend durch die Beratungsfirmen durchgeführt.

Redaktion: Aber damit wird ja der Grundsatz, Beratung und Zertifizierung zu trennen, ausgehebelt.

Keine Trennung von Beratung und Zertifizierung

Experte: Natürlich. Es geht aber noch besser: Eine beliebte kick-back-Variante ist die Zertifizierung des Beraters oder der Beratungsgesellschaft durch die verbundene Zertifizierungsgesellschaft. Im einfachsten Fall läuft dies so ab: Die Zertifizierungsgesellschaft Schmidt-Cert zertifiziert den freiberuflich tätigen Berater Müller und die Beratungsgesellschaft Meier-Consult. Beide können danach auch Zertifizierungen vornehmen.

Schon mehr kriminelle Energie benötigt die Variante 2: Im Auftrag von Schmidt-Cert untersuchen (auditieren) sich Berater Müller und Mitarbeiter der Beratungsgesellschaft Meier-Consult gegenseitig – zumindest offiziell, praktisch passiert natürlich nichts, es sind reine Luft-Audits. Jeder erhält von der Schmidt-Cert das begehrte Zertifikat. Als I-Tüpfelchen und um das Ganze dann finanziell noch lukrativer zu gestalten, können die Zertifizierungskosten mit Vermittlungsprovisionen, die sonst ja “schwarz” über den Tisch gehen müssten, verrechnet werden. Die Vermittlungsprovisionen werden also offiziell als Zertifizierungskosten in Rechnung gestellt.

Systematischer Betrug: Zertifikate, Provisionen, Aufträge

Das sind keine Einzelfälle, sondern so arbeitet das System! Auf diese Weise decken viele Unternehmen in Netzwerken beide Felder ab – Fahrschule und Führerscheinprüfung aus einer Hand. Möchten Sie weitere Beispiele? Bei mir hat sich ein Kunde letztens beschwert, weil ein Gutachter, der nun bei einer anderen Zertifizierungsgesellschaft arbeitet, ihn mit Abwerbeanrufen bombardiert und ihm dabei eine 50-€-Wechsel-Provision anbietet. Anderes Beispiel: Ein Berater beklagte die schlechte Zahlungsmoral einer Zertifizierungsgesellschaft. Seine zugesicherten Provisionen waren noch nicht auf dem Konto.

Oder Zertifizierungskunde und Zertifizierungsgesellschaft machen gemeinsame Sache. Ein offizielles Angebot und eine offizielle Rechnung über die Pflichteinsatzzeit von, sagen wir, vier Tagen. Der Auditor ist aber nur zwei Tage vor Ort. Die Differenz von zwei Tagen wird dem Kunden als Gutschrift ausgezahlt.

Redaktion: Das hört sich ja nach mafiösen Zuständen an …

Beratung und Zertifzierung: Verschlungene Netzwerke

Experte: Es haben sich hierzu Clan-ähnliche Netzwerke gebildet. Das Spiel läuft so: Sie, Herr Lohmann, vermitteln Beratungskunden an mich. Als Gegenleistung erhalten Sie einen Auditauftrag bei einem Beratungskunden eines anderen Beraters oder direkt Geld (etwa zehn Prozent der Zertifizierungskosten). Das wurde mir unverblümt ins Gesicht gesagt: “Du glaubst doch nicht, dass der Berater auf Dich Wert legt. Der kriegt Geld.” Wenn ich Kontakt mit einer anderen Zertifizierungsstelle habe, mache ich heute klar, dass ich keine “Mitgift” bringe. Ich möchte wegen meiner Qualifikation Geschäftspartner sein.

Mit all diesen kriminellen Machenschaften umgeht man Auditregeln und den Wettbewerb. Ohne echte Kontrollen werden Kunden, Berater und Auditoren, die nicht Teil des Netzwerks sind, und die Zertifizierungssysteme selbst geschädigt.

Ungenügende Überwachung durch DAkkS und Behörden

Die Akkreditierungsstelle DAkkS, die dem Bundeswirtschaftsministerium untersteht und an und für sich die Zertifizierer überprüfen und deren Qualität und Unabhängigkeit gewährleisten soll, ist aber hoffnungslos überfordert. Dass auch die Überwachung durch die Behörden nicht funktioniert, zeigt nicht nur das Prognos-Gutachten im Fall des Dortmunder Entsorgers Envio auf.

Mehrere Regierungspräsidien, das heißt die Zulassungsstellen für die Zertifizierer im Entsorgungsbereich, öffnen beispielsweise solchen unsauberen Netzwerken Tür und Tor, indem sie einem Inhaber einer Beratungsgesellschaft gestatten, stellvertretender Leiter einer Technischen Überwachungsorganisation (TÜO) zu sein. [Anmerkung: Eine TÜO ist eine staatlich anerkannte Zertifizierungsstelle für sensible Bereiche, wie zum Beispiel die Abfallwirtschaft.]

Redaktion: Die Behörden akzeptieren also ganz offen die Aufweichung der Trennung von Beratung und Zertifizierung?

Experte: Ja, genau. Beratung und Zertifizierung werden im Bereich der Entsorgung nicht mehr sauber getrennt! Bei den durch die DAkkS überwachten Zertifizierungsgesellschaften, die beispielsweise Zertifizierungen nach ISO 9001 oder 14001 durchführen, ist dies dagegen strengstens verboten.

Was kann man tun zur Verbesserung des Zertifizierungssystems?

Redaktion: Was könnte man denn zur Änderung dieses Systems unternehmen?

Experte: Zertifizierungen müssen schärfer überwacht werden. Es gibt sehr einfache Möglichkeiten, die Überwachung zu verbessern. Die Aufsichtsbehörden und die DAkkS sollten

  1. von Zertifizierungsstellen und Sachverständigen eidesstattlich versicherte Angaben über ihre Tätigkeiten fordern;
  2. Unterlagenstichproben nehmen und wie die Plagiatsjäger prüfen;
  3. unangemeldet in Betrieben und Zertifizierungsstellen Vor-Ort-Prüfungen durchführen und dabei die Plausibilität der Angaben der Sachverständigen prüfen.

Voraussetzung ist natürlich der Wille, die bestehenden Zustände zu ändern. Die Behörden und die Akkreditierungsstelle müssen dies nur wollen.

Im Zertifizierungsgeschäft für Arbeitsschutzmanagementsysteme mag es etwas anders zugehen, aber die Zertifizierer, die DAkkS und die behördliche Aufsicht sind (um es sehr freundlich auszudrücken) sehr zurückhaltend mit Kritik an Unternehmen, die sich sogar offensichtlich nicht an den Standard halten, nach dem sie zertifiziert sind. Zertifizierer, die schlampig und unaufmerksam auditieren, werden bei Auditüberprüfungen (z.T. unter Umgehung der Arbeitnehmervertretung) von der DAkkS meiner Ansicht nach nicht streng genug begleitet.