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Handelsverband: Teile der Politik unlauter

Freitag, 17. Oktober 2014 - 07:23

“Die Wirtschaft” schießt sich schon seit längerer Zeit auf die von ihr befürchtete Anti-Stress-Verordnung ein. Jahrelang haben Unternehmer das Thema aussitzen können. Nun jammern sie, dass sie enger an die Kandarre genommen werden sollen.

Der Handelsverband Deutschland (HDE, ehemals Hauptverband des Deutschen Einzelhandels) ist die Spitzenorganisation des deutschen Einzelhandels. Pressemeldung des HDE (http://www.einzelhandel.de/index.php/presse/aktuellemeldungen/item/124681-meinung-der-stress-mit-dem-stress):

Kommentar: Der Stress mit dem Stress
08. Oktober 2014

Kommentar von HDE-Geschäftsführer Heribert Jöris

Das Thema „psychische Belastung“ ist zum Mega-Thema geworden.

So stellt auch der Koalitionsvertrag eine sogenannte Anti-Stress-Verordnung in Aussicht. Richtig dabei ist, dass Arbeit zu Stress führen kann und sich dieser Stress auch gesundheitlich negativ auswirken kann – aber nicht muss. Das Gleiche gilt gleichermaßen für den privaten Bereich, wo Konflikte in der Partnerschaft oder finanzielle Sorgen Menschen extrem psychisch beanspruchen können. Und manchmal sind Probleme in dem einen oder anderen Bereich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Wieder andere stecken diese Belastungen schadlos weg. Das Stichwort lautet „Resilienz“, vereinfacht ausgedrückt auch Widerstandsfähigkeit.

Faktoren, die zu einer psychischen Beanspruchung von Arbeitnehmern führen können, sind aber nicht auf den ersten Blick erkennbar. Es fehlen einfache Messwerte. Viele Faktoren – wie im Einzelhandel das Verhalten von „König Kunde“ – sind nicht immer kalkulierbar. Insbesondere ist die Frage offen, inwieweit der Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis hinreichend ist, mögliche Gefährdungen in ihrer Komplexität klar zu definieren und zu erfassen, um auf dieser Basis moderne Arbeitsformen menschengerecht zu gestalten. Einfach gesagt: Teile der Politik verlangen hier von den Unternehmen mehr, als selbst die Wissenschaft anzubieten hat. Das ist unlauter.

Man müsste noch einmal überlegen, was hier unlauter ist. Verlangen tatsächlich “Teile der Politik” von den Unternehmen mehr, als selbst die Wissenschaft anzubieten hat? Was hat dieser Handelsverband im Bereich der psychischen Belastungen bisher in eigener Initiative unternommen?

Seit 1996 gab das Arbeitsschutzgesetz den Unternehmern viel Freiheit bei der Gestaltung des Arbeitsschutzes. Für den Einzelhandel und andere KMU ist die Umsetzung sicherlich nicht einfach. Aber wenigstens hätten Verbände wie der HDE das Thema spätestens ab etwa 2004 aufgreifen und ihren Mitgliedern beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz helfen können. Zu viele Unternehmen haben fehlende strenge Vorgaben im Arbeitsschutzgesetz als Einladung zum Nichtstun aufgefasst. Nachdem gerade im Bereich der psychischen Belastungen die Schmerzgrenze überschritten wurde, jammern die Unternehmen nun über eine möglicherweise bevorstehende “Anti-Stress-Verordnung”, die ihnen unrealistische Grenzwerte aufbürden würde.

Die Unternehmen sind selbst schuld an dieser Entwicklung der Dinge. Ich hoffe allerdings, dass eine Anti-Stress-Verordnung im Bereich der psychischen Belastung keine harten Grenzen definiert (wie sollte das auch gehen?), sondern eher die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Betrieben stärkt. Es war ja die ursprüngliche Idee, dass Argeitgeber und Arbeitnehmer (bzw. deren Vertreter) in ihren Unternehmen betriebsbnahe Lösungen erarbeiten. Statt dessen gibt es Fälle, in denen sogar große Unternehmen ganz offen und unter den Augen sowohl der Gewerbeaufsicht wie auch unter den Augen externer Auditoren die Mitbestimmung im Arbeitsschutz umgehen können, was ja auch eine strafbare Handlung sein kann. Solange das möglich ist, wird der Rechtsstaat wieder stärker auf Gesetze und Vorschriften sowie auf stärkere Kontrolle setzen müssen. Eine Anti-Stress-Verordung muss sich ja nicht unbedingt direkt an die Unternehmen richten, sondern könnte auch als eine Richlinie für die behördliche Aufsicht gestaltet werden.

Der HDE könnte ganz lauter seinen Mitgliedern nahelegen, die heute schon vorhandenen Handlungshilfen zu nutzen.