Schlagwort 'Eigenverantwortung'

Von wegen geringe Eigeninitiative der Mitarbeiter: Sie bestimmen sogar mit!

Montag, 24. Oktober 2011 - 21:21

booz&co
Vorteil Vorsorge
Die Rolle der betrieblichen Gesundheitsvorsorge
für die Zukunftsfähigkeit des
Wirtschaftsstandortes Deutschland

Felix Burda Stiftung / netzwerk gegen darmkrebs
(00178_Preventive Medicine DE_Final_25.5.indd, 2011-05-25)
http://www.felixburda.de/content/download.php?file=doc1318603781129.pdf&type=pdf&name=Studie–quot;Vorteil-Vorsorge-quot;-hier-kostenlos-downloaden

S. 12

… Ganzheitlichkeit

Betriebliche Gesundheitsvorsorge zielt inzwischen verstärkt darauf ab, neben Maßnahmen, die auf rein physische Indikationen ausgerichtet sind, die Ursachen und Gegenmaßnahmen für psychisch bedingte Krankheiten zu adressieren. Zahlreiche Studien haben sich mit dem Zusammenhang zwischen Mitarbeiterzufriedenheit, guter Führung und einem niedrigen Krankenstand beschäftigt und die positiven Auswirkungen von Führung und Mitarbeiterzufriedenheit auf den Gesundheitsstand bestätigt.

Laut Gesetzgeber sind Unternehmen seit Anfang 2011 verpflichtet, neben der Grundbetreuung und dem gesetzlichen Mindestmaß an betriebsärztlichen Stunden auch eine jährliche betriebsspezifische Betreuung durchzuführen. Laut Unfallverhütungsvorschrift beinhaltet diese eine betriebsindividuelle Gefährdungsbeurteilung (Beurteilung der Arbeitsbedingungen). Arbeitspsychologische Aspekte sind hierbei ausdrücklich eingeschlossen. Diese umfassen neben Arbeitsaufgaben, Arbeitsrhythmus, Arbeitszeit- und Pausengestaltung sowie Personaleinsatz sogenannte gesundheitsstärkende Faktoren wie gegenseitige Unterstützung bei der Arbeit.

Am Beispiel der RWE AG wird deutlich, wie stark die psychosoziale Verfasstheit der Mitarbeiter und der Gesundheitsstand korrelieren. Unter anderem deutet eine Mitarbeiterbefragung von RWE darauf hin, dass Aspekte, die mit wirksamer Führung zusammenhängen, eine signifikant hohe Korrelation (0,62 bis 0,73) mit dem Gesundheitsstand der Mitarbeiter aufweisen.13

Ganzheitliches Gesundheitsmanagement wendet sich an alle Mitarbeiter. Besonders für Menschen, die außerhalb des Berufs aufgrund mangelnder Informationen oder geringer Eigeninitiative keine entsprechenden Angebote wahrnehmen, spielt das Arbeitsumfeld eine entscheidende Rolle, denn dort können Kollegen und Führungskräfte den richtigen Umgang mit der eigenen Gesundheit vorleben. Das Gesundheitsbewusstsein des einzelnen Mitarbeiters hängt deshalb in hohem Maße auch von dem Stellenwert ab, den der eigene Arbeitgeber dem Wohlbefinden aller beimisst. …

(Links nachträglich eingefügt)

S. 14

… Eine enge Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten und dem Betriebsrat ist für die reibungslose Durchführung von präventiven Maßnahmen unerlässlich. Vor allem von der Unterstützung des Betriebsrats hängt es ab, ob die Mitarbeiter Vertrauen in die betrieblichen Vorsorgeprogramme fassen. …

Wie man sieht, sind den Beratern von booz&co Betriebsräte durchaus bekannt. Aber dass sie schon auf Seite 12 bei der Ganzheitlichkeit eine Mitbestimmungspflicht haben und nicht erst ab Seite 14 beim Datenschutz, das müssen die Berater noch lernen.

Nett, wie fürsorglich sich Unternehmen “besonders für Menschen, die außerhalb des Berufs aufgrund mangelnder Informationen oder geringer Eigeninitiative keine entsprechenden Angebote wahrnehmen” einzetzen wollen. Schwupps, schon ist der schwarze Peter wieder bei den ach so passiven Mitarbeitern, deren Arbeitsplätze seit 2011 “eine jährliche betriebsspezifische Betreuung” erfahren müssen. Im Arbeitsschutzgesetz steht jedoch ganz klar, dass der Arbeitgeber verantwortlich ist. Und die Arbeitnehmer (Arbeitgebende) werden dabei nicht nur entgegenkommend eingebunden, sondern sie bestimmen mit. BAuA/GRAziL:

Fehlende Handlungsbereitschaft: Unternehmen greifen ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung (GB) i. d. R. nicht auf.

Den Mitarbeitern fehlt die Initiative, sondern es waren die Unternehmen, die das Thema jahrelang verschleppten und aufgrund ihrer Sorge vor Veränderungen, ihres mangelnden Wissens und ihrer geringen Eigeninitiative die Angebote der Arbeitnehmervertreter nicht annehmen wollten.

Das Thema ja nicht erst seit 2011 auf dem Tisch. Dass es spätestens seit 2004 (eigentlich schon seit 1997) klar war, dass in den Betrieben auch die psychisch wirksamem Belastungen in den Arbeitsschutz (und damit in die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung) einbezogen werden mussten, schreibt booz&co seinen Auftraggebern anscheinend nicht so gerne in das Hausaufgabenbuch.

Psychische Krankheiten müssen Thema des Arbeitsschutzes werden

Freitag, 21. Oktober 2011 - 07:46

DIE GRÜNEN, 2011-10-17
http://www.gruene-bundestag.de/cms/presse/dok/393/393519.psychische_krankheiten_muessen_thema_des.html

Zu den Zahlen der Deutschen Rentenversicherung, wonach sich psychische Krankheiten in den vergangenen zehn Jahren zum Hauptgrund für das unfreiwillige vorzeitige Ausscheiden aus dem Berufsleben entwickelt haben, erklären Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte, und Maria Klein-Schmeink, Sprecherin für Prävention und Patientenrechte:

Psychische Krankheiten sind mittlerweile der Hauptgrund des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente, vor Skelett- und Muskel- sowie Herz- und Kreislauferkrankungen. Kaum eine Woche vergeht, ohne dass Sozialversicherungsträger oder wissenschaftliche Institute über eine Zunahme von psychischen Störungen berichten. Diese Tendenz ist seit Jahren zu beobachten. Umso unverständlicher ist, dass die Bundesregierung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und Rente mit 67 keine Antwort darauf hat. Augen zu und durch – das ist die Devise der Bundesregierung.

Der Umgang mit psychischen Belastungen und Stress am Arbeitsplatz wurde viel zu lange ausschließlich den Arbeitgebenden überlassen. Aber die Eigenverantwortung der Arbeitgebenden hat nicht dazu geführt, dass psychische Krankheiten abnehmen – im Gegenteil.

Die Bundesregierung muss einen Aktionsplan vorlegen und dafür sorgen, dass die Gefährdungsbeurteilung um psychische Belastungen erweitert wird und mit einer Verordnung unterlegt wird. Für alle betrieblichen Akteure sind konkrete Ausführungsbestimmungen und verbindliche Maßnahmen zu schaffen, die aufzeigen, wie Schutzziele bei psychischen Belastungen erreicht werden können.

Diese Kraftanstrengung müssen alle betrieblichen Akteure gemeinsam leisten. Psychische Belastungen und Stress am Arbeitsplatz müssen zudem zu einem zentralen Thema der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie gemacht werden – auch gegen den Widerstand der Arbeitgeberseite.

Anmerkung: Es besteht zwar Verwechselungsgefahr, aber “Arbeitgebende” ist durchaus der physikalisch richtige Begriff für Menschen, die z.B. aus einer traditionell juristischen Sichtweise heraus als “Arbeitnehmer” bezeichnet wurden.

“Meine Arbeit als Projektleiterin”

Dienstag, 19. Juli 2011 - 20:27

Anina Mischau, Mechthild Oechsle: Arbeitszeit – Familienzeit – Lebenszeit: verlieren wir die Balance?, Zeitschrift für Familienforschung, Heft 5, 2005, ISBN 978-3-8100-4167-8

Das Buch untersucht, wie die Work-Life-Balance sich verändert hat, welche Zeitstrukturen unser Leben bestimmen. Die Arbeitswelt befindet sich in einem rasanten Wandel und mit ihr die Koordinaten alltäglicher Lebensführung. Veränderte Muster von Arbeitsorganisation und neue Formen unternehmerischer Steuerung führen zu einer Entgrenzung von Arbeit, die auch das Verhältnis von Arbeit, Familie und Lebensführung tiefgreifend verändert und Familien wie Individuen mit neuen Anforderungen konfrontiert. Das Buch untersucht aus verschiedenen Perspektiven, wie sich Zeitstrukturen ändern und die Balance von Arbeit und Leben beeinflussen und fragt nach Gestaltungsmöglichkeiten in Erwerbsarbeit, Familie und Kommune.

Besonders möchte ich auf den folgenden Beitrag in dem Buch hinweisen (darin wiederum ab S. 175, Bericht einer Projektleiterin bei IBM, 1997): Wilfried Glissmann: Die neue Selbstständigkeit in der Arbeit: Wie können Arnbeitnehmer unter diesen Bedingungen ihre Interessen erkennen und durchsetzen?

Siehe auch: https://www.google.de/search?q=Wilfried+Glissmann+IBM+Betriebsrat

In “Meine Zeit ist mein Leben!” geht Stephan Siemens auf den Bericht “Meine Arbeit als Projektleiterin” ein: http://www.club-dialektik.de/Texte:Meine_Zeit_ist_mein_Leben.

Lieber Herr Daniel Bahr …

Donnerstag, 19. Mai 2011 - 05:59

Sehr geehrter Herr Bundesgesundheitsminister,

Wenn man den Nachrichten glauben schenken kann, werden Sie die Politik ihres Vorgängers fortsetzen. Wie diese Politik aussieht, wurde am 3.8.2010 in der Süddeutschen Zeitung gut dargestellt:

… Die Vorbehalte [der Firmen] gegenüber guter Prävention zeigen auch wieder, dass die Pläne von Gesundheitsminister Philipp Rösler [FDP] falsch sind, den Arbeitgeberanteil am Krankenkassenbeitrag einzufrieren. Damit würden künftig die Arbeitnehmer alleine dafür zahlen, dass Firmen durch schlechte Vorsorge die Gesundheit ihrer Belegschaft gefährden.

(Anmerkungen in eckigen Klammern nachträglich eingetragen)

Tatsache ist, dass Unternehmen in Deutschland massenhaft gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen dürfen. Politiker wie Sie sehen dabei untätig zu oder helfen sogar den Arbeitgebern dabei, im betrieblichen Gesundheitsmanagement der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävention zu geben und damit die vorgeschriebenen Prioritäten des Arbeitsschutzes umzudrehen.

Ich halte die Politik ihres Vorgängers für unredlich, weil sein Ministerium den Anschein erweckte, dass es die Vorbehalte der Firmen gegenüber guter Prävention (d.h. in der Praxis: Missachtung des Arbeitsschutzes durch die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland) billige: Die Darstellung des Themas “Gesundheitsmanagement” durch das BMG sieht so aus, als ob sie vom Arbeitgeberverband geschrieben worden wäre, dessen Mitglieder seit 1996 in ihrer Mehrheit die Forderungen des ganzheitlichen Arbeitsschutz ignorieren. Dass denen das so nachhaltig gelingt, zeigt, wie Anarchie heute aussieht. Sie ist von der Straße in die komfortableren Umgebungen der Führungsetagen von Wirtschaft und Politik umgezogen: Unternehmen können sich heute anscheinend nach Lust und Laune aussuchen, ob sie Schutzbestimmungen einhalten möchten oder auch nicht. Dabei werden von dem Bundesgesundheitsminister und der Arbeitsministerin auch noch unterstützt.

“Eigenverantwortung” ist der zeitgemäße Code für “selber zahlen”. Soll damit die “zweit Säule” der Krankheitskostenfinanzierung legitimiert werden, die die Arbeitgeber aus deren Verantwortung entlässt? Von den Versicherten Eigenverantwortung zu fordern und gleichzeitig den Verursachern von Erkrankungsrisiken billigend bei der Umgehung des Arbeitsschutzes zuzusehen, zeigt, was “mitfühlender Liberalismus” tatsächlich bedeutet: Frechheit siegt. Ich hoffe, dass die nächsten Bundestagswahlen dem ein Ende setzen werden.

Mit freundlichen Grüßen
Götz Kluge

 


http://www.tagesschau.de/inland/citybkk114.html, 2011-05-19:
Kassen versprechen Besserung – Die Tricksereien, mit denen Krankenkassen versucht haben, Versicherte der City BKK abzuwimmeln, verstoßen gegen das Verbraucherrecht. Das Ultimatum von Gesundheitsminister Bahr und die Drohung der Union, notfalls die Vorstände haften zu lassen, zeigen nun Wirkung. …

Mit was für einem Stil berichtet hier die Tagesschau? Viel Wind um “Tricksereien” der Kassen, aber wo bleibt die journalistische Neugier? Die Mehrheit der Unternehmen missachtet seit Jahren den Arbeitsschutz und belastet damit die Kassen und somit ebenfalls die Gemeinschaft der Versicherten. Warum fragt die Tagesschau nicht, warum der Minister und die Union einerseits rechtswidriges Verhalten der Kassen so schnell abstellen können, aber andererseits das rechtswidrige Verhalten von Unternehmen, die diese Kassen belasten, hinnehmen?

 


Die FDP kann’s mit kompetenten Leuten in Berlin aber auch besser:
http://blog.psybel.de/kompetente-fragen-der-fdp/

Eigenverantwortung und Belastungsprofile

Montag, 16. Mai 2011 - 12:02

Auszug aus Böckler Impuls 13/2010, http://www.boeckler.de/22605_22610.htm:

Gesundheit in eigener Verantwortung? Die Beschäftigten in den Untersuchungsbetrieben geben an, dass ihre Arbeit Stress erzeugt. Daraus folgern sie “aber nicht, dass es primär der Betrieb ist, der für die Gesundheit seiner Mitarbeiter verantwortlich ist und deren Arbeitsbedingungen entsprechend zu gestalten hätte”. In den Belegschaften herrscht vielmehr die Auffassung vor: Der eine hält dem Stress stand, der andere nicht. “Sich gesund, fit und leistungsfähig zu halten wird immer mehr zur Aufgabe individueller Selbstsorge der Beschäftigten”, so die Wissenschaftler. Angebote der Betriebe wie etwa Stress-Seminare werden nur selten angenommen – die Beschäftigten wollen keine Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit aufkommen lassen. Einzelne Beschäftigte nehmen stattdessen an privaten Verhaltenstherapien teil, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Andere verzichten auf berufliches Vorankommen und reduzieren enttäuscht ihr Engagement.

Am häufigsten aber reagieren Beschäftigte auf den Leistungsdruck, in dem sie ihre eigene Gesundheit gefährden, berichten die Wissenschaftler. Sie arbeiten länger, machen kaum Pausen. Etliche Befragte berichten von Burn-Out-Syndromen aus dem Kollegenkreis. Man registriert Erkrankungen sehr aufmerksam und wertet sie als Alarmzeichen – ohne jedoch daraus eine Konsequenz abzuleiten. “Kehren die Erkrankten zurück an ihren Arbeitsplatz, verlieren sie die Privilegien der Krankenrolle und sollen wieder leistungsfähig sein”, schreiben die Forscher.

Die Belastungsprofile der neuen Arbeitswelt [ISF]:

  1. Das Gefühl des ständigen Ungenügens
  2. Widersprüche zwischen Zielen und Aufgaben
  3. Vorschriften konterkarieren die geforderte Eigeninitiative
  4. Leistung und Erfolg entkoppeln sich
  5. Leistung garantiert keine Beschäftigungssicherheit
  6. Ein ständiger Ausnahmezustand

Die Glückslüge

Montag, 9. Mai 2011 - 23:00

Anti-Lesetipps vom NDR-Kulturjournal

http://www.ndr.de/kultur/literatur/gluecksluege101.html:

von Boris Rosenkranz

Das ganz große Glück – die Regale der Buchhandlungen sind voll damit. Ein Millionengeschäft mit dem Versprechen: Hier wird jeder Wunsch Wirklichkeit. “Da ist in den letzten zehn Jahren eine Menge passiert”, sagt Ursula Caberta von der Innenbehörde Hamburg. “Die Leute sind anfälliger geworden für Vereinnahmung von irgendetwas Spirituellem.” “Das Emotionale wird heute sehr viel stärker akzeptiert, als es früher der Fall war”, weiß Michael Eid, Professor für Psychologie. “Deswegen darf man sich auch stärker damit beschäftigen.”

Es ist eben ein Problem, mit dem Emotionalen ohne Verstand umzugehen. Erfolgsbuchautoren wissen das. Sie nutzen mit Verstand die Emotionen ihrer Leser für ihr erfolgreiches Geschäft.

In dem Beitrag des NDR wird auch wieder eine bekannte Masche dieser Glücksberater erläutert: Wer sein Glück nicht findet, hat es sich nicht stark genug herbeigewünscht. Wem also ein Glücksbuch kein Glück bringt, der sollte sich nicht beim Glücksautor beschweren.

Es gibt aber mindestens ein Buch über Glück, dass einen Lesetipp verdient:
Herrad Schenk: Glück und Schicksal. Wie planbar ist unser Leben? (2001).

Thema des Monats Mai: Psychische Gesundheit

Montag, 2. Mai 2011 - 21:25

http://www.dgfp.de/de/content/articles/thema-des-monats-mai-2011-psychische-gesundheit-2025/, Deutsche Gesellschaft für Personalführung:

Thema des Monats Mai 2011: Psychische Gesundheit
Herausforderung für Mitarbeiterbetreuung und Führungskultur

Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. Für Personalmanager und Führungskräfte ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen? Wie gehe ich mit ihnen um? Was kann/muss ich tun und wo sind Grenzen? In diesem DGFP “Thema des Monats” setzen wir uns mit diesen Fragen auseinander und stellen mögliche Lösungsansätze bereit.

Stop!

“Die Anzahl der Mitarbeiter mit hoher psychischer Belastung nimmt zu. … Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?”

  1. Kann ich bei meinen Mitarbeitern die hohe psychische Beanspruchung erkennen?
  2. Kann ich bei meinen Arbeitsplätzen die hohe psychische Belastung erkennen?

Beide Fragen sind natürlich legitim. Gesetzlich vorgeschrieben ist im Arbeitsschutz jedoch ausgerechnet die fehlende zweite Frage. Ohne sie zu beantworten, fehlen wichtige Lösungen für das Thema des Monats Mai.

 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/burn-out-wenn-seele-und-koerper-bei-der-arbeit-nicht-mehr-mitmachen-1948/:

Zwar ist es die Eigenverantwortung jedes Einzelnen, zu entscheiden, wie weit er oder sie sich aufzehrt und wo die persönlichen Grenzen des Engagements für das Unternehmen liegen. Doch gerade an dieser Selbstreflexion mangelt es offenbar bei den vom Burn-out Betroffenen.

Auch diese Klage ist berechtigt. Doch schon wieder fehlt etwas. Hat das vielleicht System? Bei der Deutschen Gesellschaft für Personalführung sind nicht die berechtigten Fragen, die sie stellt, das Problem, sondern die wichtigen Fragen, denen sie ausweicht: Warum halten Arbeitgeber, bevor sie immer wieder “Eigenverantwortung” einfordern, sich nicht erst einmal an die Mindestvorgaben des Arbeitsschutzes?

 
http://www.dgfp.de/de/content/articles/dgfp-studie-zur-psychischen-beanspruchung-von-mitarbeitern-problem-in-fast-jedem-unternehmen-2024/ (2011-06-07: Die Links scheinen sich zu ändern. Probieren Sie’s mal hier: http://blog.psybel.de/fehlberatung-belastung-und-beanspruchung/):

Was den Umgang der Führungskräfte mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern angeht, so scheint es dort erhebliche Defizite zu geben. 76 Prozent der befragten Personalmanagern sind der Ansicht, dass die Führungskräfte in ihrem Unternehmen nur unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Beanspruchung zu erkennen. 87 Prozent der Befragten beobachten, dass die Führungskräfte unsicher sind, wie sie sich im Umgang mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern adäquat verhalten. 56 Prozent der befragten Personalmanager haben den Eindruck, dass die Führungskräfte die psychische Beanspruchung ihrer Mitarbeiter tabuisieren.

Die Führungskräfte in ihrem Unternehmen sind vielleicht unzureichend darauf vorbereitet, psychische Beanspruchung zu erkennen. Insbesondere sind sie aber von einem Berufsverband schlecht beraten, der ihnen die falschen Prioritäten vorgibt. Denn wenn sie unzureichend darauf vorbereitet sind, psychische Fehlelastungen zu erkennen, dann kommen Sie mit dem Gesetz in Konflikt und werden sich irgendwann auch mit Haftungsansprüchen konfrontiert sehen.

Es ist fast schon faszinierend, wie hier das Thema der psychischen Belastung umschifft (tabuisiert?) wird. Das mag an einer verbesserungsfähigen Kenntnis des Arbeitsschutzes liegen, denn die Klage über “psychische Beanspruchung” geht sogar viel zu weit. Ein Arbeitgeber hat nämlich ein gutes Recht, seine Mitarbeiter zu belasten! Arbeitnehmer werden dafür bezahlt, sich von psychischen Belastungen beanspruchen zu lassen und daraus etwas Nützliches zu machen. Es geht nicht um die Vermeidung von psychischen Belastungen (in der ISO 10075 steht mental workload), sondern es ist die gesetzliche Pflicht der Arbeitgeber, psychische (und andere) Fehlbelastungen zu vermeiden oder wenigstens zu mindern.

Aussagen zur Gefährdungsbeurteilung in der Studie fand ich nur auf Seite 17: Nach Angabe der DGFP setzen 60% von 212 Unternehmen die Instrumente “Arbeitsplatzanalyse/Gefährdungsbeurteilung” zu “Maßnahmen zur Prävention bzw. zum Umgang mit psychischer Beanspruchung” ein. Und dann:

Erstaunlich ist, dass die am besten bewertete Maßnahme (individuelle Belastungs und Beanspruchungsanalyse), die von 92 Prozent der Anwender als positiv bewertet wird, in nur 12 Prozent der Unternehmen engesetzt wird.

Nach dem zuvor Gesagten erstaunt mich hier nichts mehr. 12 Prozent sind noch viel zu viel. Klar ist es einfacher, sich den einzelnen Mitarbeitern fürsorglich zuzuwenden und psychische Probleme bei ihnen individuell zu verorten. Da sind wohl 15 Jahre Arbeitsschutz spurlos an der DGFP vorbeigegangen: Beim ganzheitlichen Arbeitsschutz kommen Arbeitsplätze auf die Couch, nicht die Mitarbeiter!

“Im Vordergrund des Arbeitskreises standen dabei psychische Beanspruchungen, eine mögliche Vorstufe psychischer Erkrankungen.” Das ist Unsinn. Nicht “psychische Beanspruchungen” sind ein Problem, sondern “psychische Fehlbeanspruchungen”. Diese “Studie” ist Desinformaton und manipulativ.

Es gibt wesentlich seriösere Arbeiten. Wie man sich ernsthaft und kritisch (auch gegen Gewerkschaftspositionen) mit dem Thema des psychischen Belastung auseinandersetzen kann, zeigen A. Hofmann, K.- J. Keller und R. Neuhaus in Die Sache mit der psychischen Belastung, Eine praxisnahe Handlungshilfe für Unternehmen in Leistung und Lohn, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft (Nr. 367/368/369/370 April 2002).

Stimmung machen

Samstag, 23. April 2011 - 14:32

“Stimmung machen” heißt die Überschrift in NEON vom Mai 2011.
http://www.neon.de/kat//wissen/job/335944.html:

Weshalb nicht nur dein Chef fürs Betriebsklima zuständig ist – sondern auch du selbst

von Christoph Koch

Heute schon den Kollegen ein Lächeln geschenkt und einen lustigen Youtube-Link geschickt? Oder doch eher das dreckige Geschirr in der Teeküche ignoriert? Ein Plädoyer von NEON-Redakteur Christoph Koch für mehr Sozialklimaschutz im Büro. Denn auch ein gut bezahlter Job mit Selbstverwirklichungsgarantie macht mit zerstrittenen Kollegen keinen Spaß.

Speziell in den bunteren Monatsillustrierten liegt beim Thema “Arbeitsbedingungen” der Schwerpunkt auf individuellen Verhaltensverbesserungen, also auf der Verhaltensprävention. “Weshalb nicht nur dein Chef fürs Betriebsklima zuständig ist” impliziert, das behauptet würde, das nur der Chef (nur der Arbeitgeber) für das Betriebsklima zuständig sei. Dass Journalisten darauf hinweisen, dass die meisten Arbeitgeber den Arbeitsschutz (und damit die Erfordernisse der Verhälnisprävention) missachten, kommt jedoch nur ganz selten vor. Sie müssten eigentlich nur lernen, beharrlich zu recherchieren: Sind Arbeitgeber wirklich daran interessiert, Arbeitsbelastung zu analysieren und zu dokumentieren? Gibt es Betriebsvereinbarungen, in denen die Prozesse und Kriterien der im Arbeitsschutz erforderlichen Gefährdungsbeurteilungen mit Einbezug psychischer Belastungen beschrieben sind? Das lässt sich konkret recherchieren. Statt dessen lassen sich zu viele Journalisten von hübsch komplexen Programmen zum Gesundheitsmanagement unkritisch beeindrucken.

Schade, wenn bei den Lesern mit hobbypsychologischen Ratschlägen Stimmung in Richtung Selbsthilfe gemacht wird und der Journalist dabei geflissentlich übersieht, dass kaum ein Arbeitgeber seiner Verpflichtung nachkomment, überhaupt erst einmal die Arbeitsbedingungen in seinem Unternehmen zu verstehen.

Christoph Koch schreibt: “Wir müssen mehr in die [Arbeits-]Atmosphäre investieren! … Nur wie?” Ist es tatsächlich so unsexy, von Arbeitgebern zu verlangen, dass sie mindestens die Vorschriften des Arbeitsschutzes befolgen?

Natürlich müssen Alle ihre individuellen Beiträge zum Arbeitsklima leisten und können sich dabei nicht auf das Herumjammern beschränken. Aber ist es nicht ein bisschen zu frech z.B. wenn Arbeitgeber Mitarbeiter in die Eigenverantwortung nehmen und gleichzeitig die meisten Unternehmen seit 1996 (bzw. spätestens nach klaren BAG-Beschlüssen im Jahr 2004) ihren arbeitsschutzrechtlichen Pflichten nicht nachkommen?

Ohne Wissen kann niemand Verantwortung übernehmen

Mittwoch, 13. April 2011 - 06:55

Unterrichtung & Unterweisung
http://www.ergo-online.de/site.aspx?url=html/organisation_arbeitsschutz/schulung_information/unterrichtung_unterweisung.htm
Regine Rundnagel

  • Unterweisungen informieren Beschäftigte über sicheres und gesundheitsgerechtes Verhalten am Arbeitsplatz.
  • Zu regelmäßigen Unterweisungen und Unterrichtungen über Gesundheits- und Sicherheitsgefahren am Arbeitsplatz sind Arbeitgeber verpflichtet.
  • Diese sollen vor Arbeitsaufnahme, mindestens einmal jährlich und bei Veränderungen der Arbeitsbedingungen stattfinden.
  • Unterweisungen müssen die jeweilige Gefahrensituation und die Qualifikation der Betroffenen berücksichtigen.
  • Sie sollen Aufklärung über Gefahren, Schutzmaßnahmen und vorbeugendes Verhalten beinhalten.
  • Leiharbeitnehmer/innen, Telearbeiter/innen und Freelancer müssen ebenfalls unterwiesen werden.
  • Auch zuverlässige und fachkundige Führungskräfte können unterweisen.
  • Unterweisungen gehören nicht zu den Mindesteinsatzzeiten der Fachkräfte für Arbeitssicherheit bzw. Betriebsärzte.

Ohne Wissen kann niemand Verantwortung übernehmen. Wenn Beschäftigte über die möglichen Gesundheits- und Sicherheitsgefahren an ihrem Arbeitsplatz Bescheid wissen und klar ist, was sie dagegen tun können, lässt sich vorbeugender Gesundheitsschutz im Betrieb verwirklichen. Dann können sie Eigenverantwortung für sicheres und gesundheitsgerechtes Verhalten während der Arbeit übernehmen. Sie können auf Mängel aufmerksam machen, sich aktiv an der Mitgestaltung der Arbeitsbedingungen beteiligen und damit verantwortliche Vorgesetzte unterstützen.

Inhalte und Gestaltung der Unterrichtung und Unterweisung

Wichtig für die Wirksamkeit ist das Umfeld, die Erwartungen und die Reaktionen der Führungskräfte. Eine Unterweisung kann erfolgreich sein, wenn die folgenden Anforderungen beachtet werden. 

  • Information über alle gesundheits- und sicherheitsrelevante Fragen des Arbeitsplatzes und des Aufgabenbereiches
    z.B. für Bildschirmarbeit die Bildschirmaufstellung, die ergonomische Einstellung des Stuhls und auch der Software bzw. zu körperlichen und zu psychischen Fragen.
  • praxis- und tätigkeitsbezogene und an die Aufgaben, den Arbeitsplatz und die speziellen Gefahren- und Belastungsmomente angepasste Informationen z.B. die Sensibilisierung über die Blendung am Bildschirm beispielhaft direkt am Arbeitsplatz.
  • Information über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und die daraus folgenden Maßnahmen zur Vermeidung oder Minderung von Gefährdungen und Belastungen, z.B. Sonnenschutzeinrichtungen.
  • Informationen zu den vorhandenen Betriebs- und Arbeitsanweisungen.
  • Informationen und Übungen zum individuellen gesundheitsfördernden Verhalten, z.B. ergonomisches Sitzen, Stressvermeidung.
  • Vorkenntnisse und Sprache sowie Grundsätze der Erwachsenenbildung müssen berücksichtigt werden, z.B. sind Informationen und praktische Übungen direkt an einem Beispielarbeitsplatz empfehlenswert, sowie Videos, Bildmaterial und Fachreferenten.
  • Durchführung in einer ungestörten, entspannten Lernatmosphäre.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/unterweisung/

“Das Leben ist einfach wunderbar zu mir”

Samstag, 2. April 2011 - 17:16

Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM), die mit Hilfe von Beratern definiert und implementiert werden, sind können keine Arbeitsschutzmaßnahmen sein, wenn ihnen keine Gefährdungsbeurteilung zugrunde liegt. Wichtig: Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen für eine solche Gefährdungsbeurteilung Prozesse und Kriterien vereinbart haben. Der Arbeitsschutz ist mitbestimmt durch die Arbeitnehmer. Er ist kein Nebenprodukt des Gesundheitsmanagements, sondern ein glaubwürdiges Gesundheitsmanagement muss auf Gefährdungsanalysen aufbauen. Das gilt nicht nur aus rechtlichen, sondern insbesondere auch aus logische nachvollziehbaren Gründen.

Fragen Sie potentielle Berater, ob sie zeigen können, wie sie die Erarbeitung einer Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung mit Einbezug psychischer Belastungen in anderen Betrieben unterstützt haben. Lassen sie sich von anderen Betriebsräten über die Erfahrungen mit diesen Beratern berichten.

Motio ist ein typischer Berater im Bereich des BGM. Motio zufolge soll gelernt werden, Selbstverantwortung für die Erhaltung der eigenen Gesundheit zu übernehmen, aber für ein Gleichgewicht zwischen Verhaltensprävention und Verhältnisprävention wäre eben auch die Forderung notwendig, dass Unternehmen lernen müssen, Verantwortung für den Arbeitsschutz zu übernehmen. Das diese Forderung fehlt, mag an der Zielgruppe liegen, die Motio vorwiegend ansprechen will.

http://www.motio.de/Unsere_Kompetenzbereiche/
Betriebliches_Gesundheitsmanagement/Arbeitsplatzprogramme/
:


Ziele

  • Die Teilnehmer lernen ihre Belastungen zu managen und Selbstverantwortung für die Erhaltung ihrer Gesundheit zu übernehmen
  • Die Arbeitsplätze werden unter Einbeziehung der Mitarbeiter und unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Aspektes optimiert
  • Die Kommunikation unter den Teilnehmern verbessert sich deutlich
  • Die Leistungs- und Kooperationsbereitschaft wird erhöht

2011 Motio GmbH

 

Aus einer Besprechung des Buches “Burn-Out” der Motio-Geschäftsführerin Ilse Goldschmid und Claudia Fiedler: http://motio.de/AktuellesDownloads/ (2011-04):

Das Formulieren positiver Glaubenssätze wie „Das Leben ist einfach wunderbar zu mir“ oder „Das schaffe ich“, sowie bewusstes Nein-Sagen, sind gute Methoden einem Burn-out vorzubeugen. Aber auch ein optimiertes Zeitmanagement hilft, das Energie-Gleichgewicht aufrecht zuhalten. Die Autorinnen empfehlen: „Halten Sie regelmäßig inne und fragen Sie sich: Was ist wirklich wichtig in meinem Leben?“

Das ist nicht wirklich falsch, aber im Arbeitsschutz hilft das nicht viel weiter.

Mehr zur Orientierung von Motio finden sie in deren Newsletter-Archiv: http://motio.de/AktuellesDownloads/Newsletter-Archiv/

Klar in die Schublade der rein arbeitgeberorientierten Berater kann man Motio allerdings auch nicht stecken. So kritisiert dieser Berater beispielsweise den Vorschlag des DIHK (2005), die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu kürzen.
 

Schlüsselworte, die ich in Veröffentlichungen von Beratern suche, die ernsthaft Interesse am Arbeitsschutz haben:

  • psychische Belastung
  • Arbeitsschutz, Arbeitsschutzgesetz, Bildschirmarbeitsverordnung
  • Betriebsrat, Betriebsvereinbarung, Personalrat, Dienstvereinbarung
  • Mitbestimmung (“Einbeziehung” und “Mitwirkung” reicht nicht)
  • Gefährdungsbeurteilung, Unterweisung, Wirksamkeitskontrolle, Dokumentation
  • Eigenverantwortung bzw. Selbstverantwortung der Mitarbeiter, Verantwortung des Arbeitgebers
  • Verhaltensprävention, Verhältnisprävention

 

  • psychische Belastung