Schlagwort 'Digitalisierung'

Den Mensch an die Digitalisierung anpassen?

Freitag, 24. Juli 2015 - 07:11

Die Arbeitgeber wollen angeblich den 8-Stunden-Tag kippen. Der hat aber mit dem Arbeitschutzgesetzt nichts zu tun. Das Arbeitszeitgesetz beschränkt die tägliche Arbeitszeit auf 10 Stunden. Arbeitzeitbeschränkungen dienen z.B. dazu, dass übermüdete Ärzte bei Operationen nicht links und rechts verwechseln.

Die 8 Stunden oder 7 Stunden usw. sind in tariflichen Vereinbarungen geregelt.

Könnte es sein, dass eine Digitalisierung, die eine Änderung des Arbeitsszeitsgesetzes und eine Erweiterung der ja bereits bestehenden Spielräume verlangt, keine menschengerechte Digitalisierung ist? Will die BDA den digitalisierungsgerechten Menschen mit einem entsprechend angepassten Biorhythmus? Länder, in denen die Menschen etwas chinesischer geführt werden, scheinen ja zu zeigen, dass das geht.

Es geht tatsächlich um viel mehr, als nur um die Arbeitszeit. Die BDA will die Digitalisierung als Hebel zur Systemveränderung im Sinn der Arbeitgeber nutzen. Der Mensch hat sich den “Chancen der Digitalisierung” anzupassen. Ich persönlich arbeite an und mit der Digitalisierung seit 1975, kenne also ihre guten und schlechten Seiten recht genau. Mit dieser Erfahrung lese ich dann das BDA-Positionspapier:
Chancen der Digitalisierung nutzen
Positionspapier der BDA zur Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeitswelt

Mai 2015

[...] Im Bereich der körperlichen Belastungen und Gefährdungen sind – ausgehend von einem bereits hohen Niveau – auch weiterhin deutliche Verbesserungen zu erwarten, weil ergonomischere Arbeitsmittel zur Verfügung stehen werden. [...]

[...] Etwas anders ist die Situation bei den psychischen Belastungen. Derzeit ist noch nicht umfassend vorhersehbar, wie sie sich im Zuge der Digitalisierung von Wirtschaft verändern werden. Deshalb muss der Arbeitsschutz zeitnah und flexibel auf Veränderungen reagieren können. Dies ist durch die derzeitigen Handlungsspielräume im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen gewährleistet. Hier würde weitere Regulierung – etwa zur Stressvermeidung oder zur Einschränkung der Erreichbarkeit – keinen zusätzlichen Nutzen bringen, sondern nur mehr Bürokratie, Handlungs- und Rechtsunsicherheit. Der geltende Rechtsrahmen bietet alle Möglichkeiten, innerhalb eines Betriebs potenzielle psychische Gefährdungen für einzelne Tätigkeiten zu ermitteln. Dabei ist es sinnvoll, dass in diese Bewertungen nach und nach gesicherte und allgemein akzeptierte Forschungsergebnisse zu psychischen Belastungen einfließen, ohne dass es deshalb neuer Rechtsetzung bedarf. [...]

So wie Forschung inzwischen finanziert wird, werden die Arbeitgeber schon für die von ihnen benötigten Ergebnisse sorgen.

Zu dem obigen Absatz: Die Arbeitgeber fürchten insbesondere die “Anti-Stress-Verordnung”. Tatsächlich glaube ich auch, dass die bestehenden Vorschriften theoretisch reichen. Praktisch hat sich aber viele Jahre lang kaum ein Arbeitgeber daran gehalten. Zu schnell ist vergessen, dass die Arbeitgeber (unter den Augen der ja bereits sehr laxen Gewerbeaufsichts-Bürokratie) fast 20 Jahre lang gebraucht haben, um heute darüber nachzudenken, ob man sich jetzt vielleicht netterweise nicht doch an diese Vorschriften halten sollte. Darum entsteht schon ein gewisses Geschmäckle, wenn die Arbeitgeber nun die Vorschriften für ausreichend halten, gegen die sie viele Jahre lang verstoßen haben. Offensichtlich konnten die Arbeitgeber nicht mit der Entbürokratisierung, die das Arbeitsschutzgesetz bereits seit 1996 einleitete, anständing umgehen.

Wir brauchen eine laufende Diskussion über eine Anti-Stress-Verordnung, damit wir keine Anti-Stress-Verordnung brauchen :-)