Schlagwort 'Defizite im Aufsichtshandeln'

Hessen sabotierte die Steuerfahndung

Samstag, 12. Dezember 2015 - 07:58

http://www.morgenpost.de/vermischtes/article206817657/Fuer-paranoid-erklaerte-Steuerfahnder-werden-rehabilitiert.html

[...] Angeblich seien sie [vier Steuerfahnder] dem Wahn verfallen, sie dürften nicht mehr gegen Banken ermitteln, deshalb seien sie krank und dauerhaft dienstunfähig, urteilte ein Gutachter im Auftrag der hessischen Finanzverwaltung. Ein Berufsgericht hat den Gutachter deshalb bereits wegen vorsätzlicher Falschbegutachtung zu einer Geldbuße von 12.000 Euro verurteilt. [...]

Warum sollte es bei anderen Aufsichtsbehörden, die die Wirtschaft “belästigen”, anders sein? So arbeiten dann auch die Gewerbeaufsichten wohl sehr freundlich insbesondere mit Großunternehmen zusammen.

Zum Fall: Die hier vom Arbeitgeber verursachte und auf die vier Steuerfahnder wirkende psychische Fehlbelastung war extrem. Der Arbeitgeber müsste auch im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes dafür in die Verantwortung genommen werden können. Hier lag Körperverletzung vor. Spätestens jetzt müssten die für diesen öffentlichen Arbeitgeber (hessische Landesregierung) zuständigen Aufsichtsorgane (Gewerbeaufsicht, Berufsgenossenschaften) aktiv werden. Hier wurden vier Menschen “dauerhaft dienstunfähig” gemacht.

Wie proaktiv dürfen die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft in Hessen den Fall jetzt verfolgen?

Siehe auch: https://www.google.de/search?q=”Ein+Beamter+packt+aus:+Die+Steuerfahnderaffäre”

Zuschauer und Mittäter

Donnerstag, 3. Dezember 2015 - 10:55

So allmählich bröckelt das Vertrauen in die behördliche Aufsicht weg.

Während die Gewerbeaufsicht von ihrer arbeitsbelastung überfordert zuschaut, erfassen auch große Unternehmen arbeitsbedingten psychischen Belastungen nicht ausreichend zuverlässig. Und bei Unternehmen mit zertifizierten Vorzeige-Arbeitsschutz-Managementsystemen sind die privaten Zertifizierer nicht für allzu kritische Audits bekannt. Schlampige Audits erzeugen im Gesundheitsschutz eine für die Arbeitnehmer gefährliche Scheinsicherheit, die diese Managementsysteme nicht verbessern, sondern seine Mängel verdecken. Hier ist es die Deutsche Akkreditierungsstelle (DAkkS), die freundlich und milde hinschaut.

Die Begeisterung der Berufsgenossenschaften für ein bessere Dokumentation psychischer Fehlbelastungen bei den Unternehmen ist auch recht überschaubar.

Daszu passt es, dass die Arbeitgeber es geschafft haben, sich aus der paritätischen Beteiligung an Beitragserhöhungen der Krankenkassen zu verabschieden. Dank des Zuschauens der behördlichen und privaten Aufsicht (Gewerbeaufsicht, DAkkS, bei der DAkkS akkreditierte Zertifizierer) können sie den Arbeitnehmern nun auch die Kosten für arbeitsbedingte Erkrankungen aufbürden. So funktioniert erfolgreiche Lobbyarbeit.

Die für diese Zustände verantwortlichen Gesundheitspolitiker sind nicht nur Zuschauer, sondern Mittäter.

Gemeisamkeiten: Abgasskandal und Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz

Mittwoch, 4. November 2015 - 06:27

Es geht nicht nur um VW. Siehe http://www.zeit.de/mobilitaet/2015-11/abgas-stickoxid-autohersteller-dieselmotor

Die Gemeinsamkeit: Unternehmen konnten sich in Deutschland anscheinend ziemlich sorgenlos über Vorschriften und Regeln hinwegsetzen. Und/oder ihnen werden Lücken geboten, mit denen die Wirksamkeit von Vorschriften und Regeln erheblich geschwächt wurde. Wenn man weiß, wie Berater bei Gesetzesentwürfen mitarbeiten, ist das ja auch keine Überraschung.

Bei der Abgasgeschichte geht es nun um hohe Schadensbeträge. Da haben sich die Risikoanalysten der Compliance-Abteilung bei Volkswagen wohl verschätzt. (Gewusst haben sie von Widersprüchen zwischen Testergebnissen und Praxis schon, denn das wurde ja in der Öffentlichkeit bereits früher diskutiert.) Bei Regelverstößen im Arbeitsschutz haben deutsche Unternehmen dagegen viel weniger zu befürchten. Ihre Compliance-Abteilungen machen auch hier eine entsprechende Risikoanalyse. Ist das Sanktionsrisiko z.B. bei fehlendem Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz gering, dann wird das Arbeitsschutzgesetz ohne Furcht vor Sanktionen nur soweit umgesetzt, wie das zur Minderung finanzieller Risiken auf ein geringes Maß nötig ist.

Kam Ursula von der Leyens “knallharter Strafenkatalog” (2012) überhaupt jemals zum Einsatz?

 


http://www.spiegel.de/wirtschaft/volkswagen-lasst-vw-pleitegehen-kolumne-a-1061431.html
[...] Ich frage mich, wie es sein kann, dass die Prüfer, die die Typenzulassungen erteilen, das nicht gemerkt haben. Schlimmer noch: Wie konnte das Kraftfahrt-Bundesamt, immerhin eine Behörde des Staates, das nicht bemerken? Oder die vielen Autojournalisten, von denen es in Deutschland nur so wimmelt? Vielleicht, weil viele von ihnen von der Autoindustrie – wie auch immer – bei Laune gehalten wurden? [...]

 
http://www.forbes.com/sites/enriquedans/2015/09/27/volkswagen-and-the-failure-of-corporate-social-responsibility/

[...] But the sad truth is that this conclusion applies to the vast majority of companies: a head of CSR is appointed, given an air of respectability, and runs a department the job of which is to keep the company’s image clean, despite the filth it is mired in, as is clearly the case with Volkswagen. Once again, we have allowed ourselves to be duped into believing that companies can and will regulate themselves, when of course the sordid reality is that as their actions show, beyond the occasional symbolic act, their sole objective is to maximize profit, and by any means. [...]

Bayerisches Arbeitsschutzmanagement ohne psychische Belastung

Mittwoch, 12. August 2015 - 05:54

Habe heute einmal wieder in die Website der bayerischen Gewerbeaufsicht hineingesehen.
http://www.gewerbeaufsicht.bayern.de/arbeitsschutz/managementsysteme/ohris/index.htm

OHRIS ist das Managementsystem der Bayerischen Staatsregierung für mehr Gesundheit bei der Arbeit und Sicherheit technischer Anlagen. Entwickelt wurde es in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, um den Arbeitsschutz in den Betrieben zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten. Ein Grundgedanke des Arbeitsschutzmanagementsystems OHRIS ist, dass die Mitarbeiter in erheblichem Maß den Erfolg eines Unternehmens mit bestimmen. Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten fördern deren Motivation, Leistungsfähigkeit und Kreativität. Sie tragen in besonderem Maß zu einem positiven Arbeitsklima bei. [...]

Die Prioritäten sind also klar bayerisch: In Zusammenarbeit mit der Wirtschaft (unüberraschenderweise nicht auch mit Arbeitnehmerorganisationen) ist es für die bayerische Staatsregierung uninteressant, ein Managementsystem der bayerischen Staatsregierung zu implementieren, bei dessen Beschreibung auch das Arbeitsschutzthema “psychische Belastung” erwähnt wird.

Zwar gibt es sehr gute Informationen der Gewerbeaufsicht zu dem Thema, aber bei der Umsetzung machen die Bayern dann doch nicht so gerne ernst. Man will “der Wirtschaft” ja keine Steine in den Weg legen. Gehandelt wird erst, wenn es für die Öffentlichkeit zu ekelig wird.

So kommt es, dass Aufsichtpersonen selbst krasse psychische Fehlbelastungen in mit der Staatsregierung harmonisch zusammenarbeitenden Unternehmen nicht einmal protokollieren, geschweige denn kritisieren. Beispiel: Abmahnung an einen Mitarbeiter, der eine Fehlbelastungen meldete. Zwar konnte der Mitarbeiter mit einer Klageandrohung eine Rücknahme der Abmahnung erwirken, war aber über einen Zeitraum von drei Monaten einer massiven Fehlbelastung ausgesetzt. Die bayerische Gewerbeaufsicht findet es in Ordnung, wenn solch eine inakzeptable Bedrohung eines Mitarbeiters nicht als Fehlbelastung dokumentiert wird.

Das “Unterfangen, das Thema psychische Belastung am Arbeitsplatz möglichst weit aus den Betrieben herauszuhalten” lebt bei der bayerischen Gewerbeaufsicht munter weiter.

Bundeswirtschaftsministerium unterstützt Kriminalität

Mittwoch, 29. Juli 2015 - 07:13

http://www.br.de/nachrichten/inhalt/lohnbetrug-baustellen-100.html

[...] und ebensowenig in Deutschland. Hier bleibt die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS), sobald sie ihre Quoten erfüllt hat, im Büro. Ob Papiere echt oder gefälscht sind, wird kaum geprüft. Schließlich, so ein Ermittler, wolle man die Wirtschaft “nicht kriminalisieren”. [...]

Die Wirtschaft (zumindest Teile davon) kriminalisiert sich doch selbst. Darum kann die Aufdeckung ihrer Straftaten keine Kriminalisierung mehr sein, denn diese bestand ja schon vorher.

Bei Schwarzarbeit muss die Finanzkontrolle wegsehen, wenn vom Bundesfinanzministerium sehr niedrig angesetzten Quoten erfüllt sind. Das Bundesfinanzministerium verhindert effektive Kontrollen von Schwarzarbeit. Mehr dazu gibt es heute abend im Fernseh-Magazin “Kontrovers” des Bayerischen Rundfunks.

Noch leichter ist es, im Arbeitsschutz wegzusehen. Wenn ein Großteil der Unternehmen seit 1996 ungestraft den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz verhindern konnte, dann muss die Gewerbeaufsicht über einen langen Zeitraum nachhaltig weggesehen haben.

Auch die privatisierte Aufsicht von Arbeitsschutzmanagementsystemen arbeitet ziemlich “wirtschaftsfreundlich”. Beaufsichtigt werden die Zertifizierungsgesellschaften von der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS), wenn sie bei der DAkkS akkreditiert sind. Die Gesellschafter der DAkkS sind (a) Das Bundeswirtschaftsministerium, (b) der BDI und (c) die Länder. Ich meine, dass das BMAS ein weiterer Gesellschafter werden sollte, denn die DAkkS muss ja Audits nicht nur im Interesse der Wirtschaft überwachen.

Suche: https://www.google.de/search?q=”Franz+Buckenhofer”+Schwarzarbeit+Polizeii

Aufsichtsperson gibt
Versagen der Gewerbeaufsicht zu

Freitag, 26. Juni 2015 - 07:01

Die Gewerbeaufsicht ist mit der Prüfung des Einbezugs psychischer Überlastungen in den Arbeitsschutz der Betriebe überfordert. Das wurde im Jahr 2012 im Bundestag festgestellt.

In einem deutschen Bundesland berichtet ein Unternehmen seinen Mitarbeitern ganz stolz, dass die Gewerbeaufsicht es bei der Umsetzung der Vorschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes unter den Top 10 Unternehmen in dem Bundesland einordnet. Damit lobt die Gewerbeaufsicht dieses Landes ein ziemlich verspätetes Pilotprojekt, dem in dem betroffenen Betrieb nun erst Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Betriebsleitung zur Beurteilung psychischer Belastungen folgen werden. Bisher gab es da nichts: Der Abschnitt der Gefährdungsbeurteilung, der psychische Belastungsen betrifft, blieb nämlich bis heute leer, mit dem Hinweis auf das laufende Projekt. Kritik für die Zeit von 1996 bis heute gibt es von der Gewerbeaufsicht nicht, obwohl in dem Betrieb bis heute kein mitbestimmtes Verfahren implementiert ist, mit dem die psychische Belastungen an allen Arbeitsplätzen erfasst und bewertet werden. Treiber war hier der Betriebsrat.

Deutsche Zustände: Eine überforderte Behörde lobt ein Unternehmen, in dem bis zum Jahr 2013 für mehrere tausend Mitarbeiter keine psychische Fehlbelastung so erfasst wurde, wie das Unternehmen es versprach: Es versprach nämlich, dass es selbst solche Vorfälle erfasst, die physische und mentale Erkrankungen nur hätten zur Folge haben können. Nach seiner eigenen Selbstverpflichtung bleibt die Schwere tatsächlicher oder möglicher Erkrankungen dabei unberücksichtigt. Aber nur etwa null Vorfälle wurden selbst seit dem Jahr 2008 erfasst, in dem Mitarbeiter erstmals Mängel im Arbeitsschutz des Unternehmens ansprachen. Die Gewerbeaufsicht berät den Arbeitgeber freundlich und respektvoll, aber beaufsichtigt ihn im Bereich der psychischen Belastungen weiterhin nicht. Im Jahr 2015 wird dann doch Handlungsbedarf für die Arbeitsplätze mehrerer Dutzend Mitarbeiter festgestellt.

Statt den Schutz der Arbeitnehmer zu sichern, schwächt die Gewerbeaufsicht mit ihrem Lob die Position jener Arbeitnehmer, denen der Arbeitgeber über viele Jahre hinweg den Schutz vor psychischen Fehlbelastungen verwehrte – und zwar insbesondere auch, weil die Gewerbaufsicht nicht ordentlich kontrolliert hatte. Das ist wohl das Problem der Gewerbeaufsicht: Wenn korrekt nachkontrollieren würde, dann würde das ihr bisheriges Versagen dokumentieren. Da lässt die Gewerbeaufsicht dann lieber die Arbeitnehmer im Stich.

Die eigentliche Nachricht aber ist, dass sich aus diesem Lob einer extrem verspäteten Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes ergibt, dass auch heute noch fast alle der Unternehmen in diesem feinen Bundesland gegen das Arbeitsschutzgesetz verstoßen dürfen, und zwar mit Wissen der netten Gewerbeaufsicht. Dieses Versagen der Gewerbeaufsicht gab nun eine Aufsichtsperson mit ihrem Lob zu.

Wie gesagt: Deutsche Zustände. Wir haben hübsche Gesetze, aber die behördliche Ausicht kritisiert es nicht in einer nachvollziehbaren Dokumentation, wenn das Arbeitsschutzgesetz nicht richtig umgesetzt wird. Der Arbeitgeber kann dann Kritik seiner Mitarbeiter mit dem Argument abwehren, dass die Gewerbeaufsicht keine Fehler festgestellt habe.

Wer prüft die drei Streifen?

Sonntag, 24. Mai 2015 - 11:53

Adidas-Arbeitsbedingungen: http://www.zeit.de/2015/21/adidas-arbeitsbedingungen

Es geht um Leiharbeit. Adidas schreibt in CSR-Veröffentlichungen, dass sich Auftragsnehmer nach dem BS OHSAS 18001 (ein Standard für das Arbeitsschutzmanagement) richten müssen. Wie ernsthaft geht es bei dieser Zertifiziererei zu?

Adidas verweist auf verschiedene externe Zertifizierer, veröffentlicht aber keine Zertifikate für OHSAS 18001. Obwohl diese Papiere (wegen teilweise schlechter Qualität der Zertifizierer) häufig nur der Wanddekoration dienen, haben sie wenigstens die Funktion, Zertifizierer zur Verantwortung ziehen zu können, wenn sie ihre Klienten nicht ordentlich auditiert haben. Im Gegensatz zu anderen sich auf die Anwendung von OHSAS 18001 berufenden Unternehmen ist es bei Adidas schwer, einen Zertifizierer zu finden, der zu seinen Audits bei Adidas steht.

Interessant ist, dass Adidas mit OHSAS 18001 wirbt, in Deutschland aber nicht zertifiziert ist
(http://www.adidas-group.com/media/filer_public/e8/32/e832823b-8585-4e26-8990-07b80e3ae71c/2014_sustainability_report_make_a_difference.pdf, S. 62):

[...] The site [Germany] is subject to regular occupational health and safety inspections by authorities, although it does not hold a formal OHSAS 18001 certification. [...]

Adidas scheint in Deutschland nicht an der mit einer disziplinierten Erfassung und Dokumentation von Vorfällen verbundenen Zertifizierung nach OHSAS 18001 interessiert zu sein. Bleibt nur die Gewerbeaufsicht (“authorities”), aber die Behörden sind bekanntermaßen bei ihren “inspections” chronisch überfordert. Bei der Überprüfung des Einbezugs psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz haben sie versagt (was im Jahr 2012 sogar ein Thema im Bundestag war). Außerdem ist Adidas in seiner Region ein ziemlich einflussreicher Arbeitgeber.

Anstatt sich in Deutschland externen Zertifizierungsaudits zu stellen, inverstiert Adidas lieber in den “Auf- und Ausbau eines positiven Arbeitgeberimages (Employer Branding)”.

Belastungsmoratorium

Freitag, 13. März 2015 - 07:38

Seit 1996 haben die Arbeitgeber psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Bis 2012 ignorierten etwa 80% der Betriebe diese Vorschrift. Es mag auch diese nachhaltige Bereitschaft zum Rechtsbruch sein, derentwegen die Arbeitgeber heute ein “Belastungsmoratorium” fordern (z.B. in den Nachrichten von heute), mit dem sie sich unter anderem gegen eine konsequente Überwachung von Arbeitsszeiten wehren. Das ist schon ziemlich frech.

Schüchterne Gewerbeaufsicht

Montag, 18. November 2013 - 07:30

Die Gewerbeaufsicht in Bayern kneift immer noch: In http://www.stmas.bayern.de/arbeitsschutz/arbeitsmedizin/psychologie.php war einmal (2011-07-13) zu lesen:

[...] Arbeitspsychologie

In der heutigen Arbeitswelt spielen psychische Belastungen eine immer größere Rolle. Angst vor Arbeitsplatzverlust, hoher Zeitdruck, Zunahme der Arbeitsmenge, Informationsmangel- oder Informationsüberflutung, Kommunikationsbarrieren, geringe Qualifizierungsmöglichkeiten oder zu wenig Handlungsspielraum können Kopfschmerzen, Lustlosigkeit, “Ausgebranntsein”, Schlafstörungen oder Erkrankungen verursachen.

Psychische Fehlbelastungen lassen sich vermeiden. Die bayerische Gewerbeaufsicht überprüft die Betriebe und legt die Abhilfemöglichkeiten in einer Zielvereinbarung fest.

In Fällen von Bournout, Mobbing, Gewalt am Arbeitsplatz oder posttraumatischer Belastungsstörung führt die Gewerbeaufsicht keine Konfliktberatungen durch. Sind keine Verstöße im arbeitsschutzrechtlichen Sinne festzustellen, so wird auf externe Berater und Beratungsstellen oder auf das Präventionsnetzwerk verwiesen. [...]

(Hervorhebungen wurden nachträglich vorgenommen)

Mitte 2012 verschwand die “Zielvereinbarung” von der Seite der bayerischen Gewerbeaufsicht. War das Versprechen der Gewerbeaufsicht an die Arbeitnehmer zu mutig? Hielten die Unternehmen in Bayern Zielvereinbarungen für eine Respektlosigkeit? Tatsächlich habe ich heute den Eindruck, dass es für die Gewerbeaufsicht in Bayern gerade bei großen und politisch gut vernetzten Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung ist, in diesen Unternehmen das Fehlen mitbestimmter Prozesse zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen als Abweichung zu erkennen. Nicht nur, dass es dann keine Sanktionen gab, sondern nun traute sich die Aufsicht nicht einmal mehr, öffentlich zu schreiben, dass bei Abweichungen Zielvereinbarungen zur Verbesserung der Situation getroffen werden.

Kann es vorkommen, dass die Gewerbeaufsicht Verbesserungsprojekte im Arbeitsschutz lobt und sie dabei mit einem bereits ordentlich implementierten Arbeitsschutz verwechselt? Lob ist eine feine Sache, aber wie dokumentiert die Gewerbeaufsicht, dass in der Übergangszeit von einem bisher unvollständigen Arbeitsschutz zum ganzheitlichen Arbeitsschutz für die Mitarbeiter ein erhöhtes Gefährdungsrisiko besteht?

Falls es das Instrument der Zielvereinbarung noch geben sollte, so kann man auch heute nichts darüber im Webauftritt der bayerischen Gewerbeaufsicht nachlesen. Wer hat den Hinweis streichen lassen? Wie sehen in den Behörden der Gewerbeaufsicht eigentlich die Gefährdungsbeurteilungen für die Arbeitsbedingungen der Aufsichtspersonen aus?

Schutzlücke beim Arbeitsschutz schließen

Samstag, 5. Januar 2013 - 16:30

Ende November 2012 hatte es die Arbeits- und Sozialministerkonferenz (ASMK) noch geschafft, sich zu einem Enwurf zu einer Art “Anti-Stress-Verordnung” zu entschließen. Ein Zitat aus dem Protokoll:

Erschwerend kommt hinzu, dass die rechtliche Unverbindlichkeit dafür sorgt, dass im Spannungsfeld zwischen Unternehmensleitungen und staatlicher Aufsicht die Durchsetzungsfähigkeit für konkrete Forderungen an die Betriebe stark eingeschränkt ist.

 
Vorweg gleich eine Kritik: Ähnlich wie Arbeitgeber, sprechen anscheinend auch Politiker lieber über Wohltaten für ihre Schutzbefohlenen, als diese selbst bei der Gestaltung ihres Schutzes in den Betrieben mitbestimmen zu lassen. Obwohl es hier um den Schutz von Arbeitnehmern geht und gerade im Arbeitsschutz eine zwingende Mitbestimmungspflicht herrscht, interessieren sich die “Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder” (auch der SPD) in der ASMK kaum dafür, wie die Zielgruppe ihrers Vorschriftenentwurfs in den Betrieben praktisch mitbestimmt und wie man gegen die nicht seltene Straftat der Behinderung der Mitbestimmung vorgeht. Speziell bei Thema der Defizite in den Betrieben hätte die auch Qualifizierung der Arbeitnehmervertreter angesprochen werden müssen.

Die ASMK hat ignoriert, dass gerade die Gewerkschaften und die Betriebsräte (sowie nur vereinzelt auch die Arbeitsschutzbehörden) die aktivsten Impulsgeber beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz waren.

 

http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3705684/2012-11-29-bgv-asmk-psychische-belastungen.html

… In der Verordnung soll als Konkretisierung des Arbeitsschutzgesetzes der Umgang mit arbeitsbedingten psychischen Belastungen verbindlich geregelt werden. Unternehmen sollen demnach künftig verpflichtend ermitteln, ob und welche Gefährdungen am Arbeitsplatz auftreten, etwa durch die Arbeitsaufgabe, -mittel, -organisation oder durch soziale Bedingungen. Die Verordnung soll Maßnahmen benennen, die eine mögliche Gesundheitsgefährdung durch psychische Belastungen verringern oder vermeiden. Ebenso sollen Risikofaktoren und Gestaltungsgrundsätze festgeschrieben werden, die in Betrieben zu berücksichtigen sind. Die Verordnung soll die Anforderungen an Betriebe dabei ebenso klar wie verbindlich beschreiben, so dass die Arbeitsschutzbehörden prüfen können, ob Unternehmen diese angemessen erfüllen. …

 

http://www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/schutzlücke-beim-arbeitsschutz-schließen

Pressemitteilung
Schutzlücke beim Arbeitsschutz schließen

Stand: 29.11.2012
Dokument Nummer: 1346
Arbeitsgruppen: Arbeit und Soziales
Abgeordnete/r: Anette Kramme, Josip Juratovic
Themen: Arbeit , Soziales

Zum heutigen Beschluss der Arbeits- und Sozialministerkonferenz zu psychischen Belastungen bei der Arbeit erklären die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion Anette Kramme und der zuständige Berichterstatter Josip Juratovic:

Wir begrüßen diese Initiative ausdrücklich. Bisher ist alles mögliche im Arbeitsschutz per Verordnung geregelt – im Bereich psychische Belastungen fehlt jedoch eine Verordnung. Wir müssen diese Schutzlücke schließen und eine Anti-Stress-Verordnung schaffen. Ähnlich wie beim Lärmschutz muss es belastbare Vorgaben geben, um Angestellte besser vor Stress zu schützen. Wir fordern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf, zügig eine solche Verordnung zu erlassen.

Die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen haben stark zugenommen. Im vorletzten Jahr gab es insgesamt 53,5 Millionen psychisch bedingter Arbeitsunfähigkeitstage – das sind 80 Prozent mehr als im Jahr 2001. Diese Zahlen sind alarmierend. Wohlfeile Ankündigungen der Ministerin von der Leyen reichen nicht. Konkrete rechtliche Schritte sind nötig.

Die SPD setzt vor allem auf Prävention. Psychische Belastungen in der Arbeitswelt müssen so weit es geht vermieden werden. Dazu brauchen wir klare Regeln im Arbeitsschutz. Die von den Ländern geforderte Anti-Stress-Verordnung ist ein sinnvoller und gangbarer Weg. Zweitens wollen wir, dass mehr Unternehmen als bisher Gefährdungsbeurteilungen erstellen und dabei auch psychische Belastungen beachten. Drittens muss das betriebliche Gesundheitsmanagement unterstützt und gefördert werden.

 


ASMK-Protokoll: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2013/01/Protokoll_ASMK_2012.pdf, S. 158-168
TOP 7.29
Psychische Belastungen bei der Arbeit
Antragsteller: Brandenburg, Bremen, Hamburg,
Nordrhein-Westfalen

Beschluss:
Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder haben mehrheitlich beschlossen:

Arbeitsbedingte psychische Belastungen sind zu einem zentralen Thema der gesundheits- und arbeitsschutzpolitischen Diskussion geworden. Nach den Auswertungen der Europäischen Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit gehört arbeitsbedingter Stress zu den wesentlichen gesundheitsgefährdenden Ursachen in der Arbeitswelt. Nach den Berechnungen der Krankenkassen werden die jährlichen Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen in Deutschland auf insgesamt über 43 Milliarden Euro geschätzt, die sich aus etwa 19 Milliarden Euro direkter und 25 Milliarden Euro indirekter Kosten zusammensetzen. Bei den direkten Kosten nehmen die psychischen Störungen mit ungefähr drei Milliarden Euro nach den Muskel-Skelett-Erkrankungen den zweiten Rang ein. Im Hinblick auf die indirekten Kosten lösen die psychischen Störungen mit gut 3 Milliarden Euro die zweithöchsten Kosten aus, bezüglich der indirekten Kosten durch Frühberentung sogar die höchsten. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Arbeit und Soziales der Länder:

1. stellen fest, dass ein dringender Handlungsbedarf für den Arbeitsschutz besteht, die negativen Auswirkungen arbeitsbedingter psychischer Belastungen zu vermeiden oder zu verringern. Die gesundheitlichen Folgen für die Betroffenen, als auch die enormen betriebs- und volkswirtschaftlichen Kosten erfordern Anstrengungen aller Akteure.

2. halten es für erforderlich, dass die Aufsichtsbehörden hinsichtlich arbeitsbedingter psychischer Belastungen mit den in diesem Themenfeld agierenden Akteuren, Netzwerken und Sozialpartnern kooperieren müssen, insbesondere mit den Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern.

3. sprechen sich dafür aus, dass die staatlichen Arbeitsschutzbehörden ihre Aktivitäten im Handlungsfeld „arbeitsbedingte psychische Belastungen“ auf der Grundlage der vorhandenen Konzeptionen und Handlungshilfen weiter intensivieren.

4. sind der Auffassung, dass für arbeitsbedingte psychische Belastungen die rechtlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich der Grundpflichten der Arbeitgeber, der Anforderungen an die entsprechende Gefährdungsbeurteilung und zur Umsetzung präventiver Maßnahmen nicht hinreichend konkret beschrieben sind. Sie bitten die Bundesregierung, die notwendigen Rechtsgrundlagen für eine angemessene Überwachung und Beratung der Betriebe zu arbeitsbedingten psychischen Belastungen zu schaffen und die Länder an der Erarbeitung zu beteiligen.

Protokollnotiz Baden-Württemberg:
Eine zu erlassende Verordnung sollte gegebenenfalls durch ausreichend bestimmte Rechtsbegriffe die Arbeit der Arbeitsschutzbehörden und das Engagement der Unternehmen erleichtern und die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber und der anderen Akteure nicht beeinträchtigen. In diesem Sinne und mit dem Ziel der Verschlankung sollte der vorliegende Arbeitsentwurf mit Stand vom 21.09.2012 noch einmal kritisch überprüft und überarbeitet werden.

Anlage zu TOP 7.29 der 89. ASMK
Eckpunktepapier:
Psychische Gesundheit bei der Arbeit schützen und fördern
1 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt – Eine Herausforderung für Betriebe und Aufsichtsbehörden …
2 Europäischer Rahmen …
3 Handlungskonzepte der Länder …
4 Umsetzungsdefizite …
    Defizite in Betrieben …
    Defizite im Aufsichtshandeln …

    Gesetzlicher Rechtsrahmen fehlt …
5 Umsetzungsvorschläge …
    Betriebliche Umsetzung stärken …
    Mehr Verbindlichkeit durch Rechtsoffensive schaffen …
    Mehr Wirksamkeit des Aufsichtshandelns erhöhen …
    Ziel der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie Nachdruck verleihen …
6 Grundzüge einer „Verordnung zum Schutz der Beschäftigten vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit“ …

 


Links: