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Gesundheitsminister schnappt sich den Arbeitsschutz

Dienstag, 18. Dezember 2012 - 06:06

http://www.haufe.de/sozialwesen/leistungen-sozialversicherung/praevention-koalition-einigt-sich-auf-praeventionsstrategie_242_156026.html

14.12.2012

Prävention: Koalition einigt sich auf Präventionsstrategie Mit neuer Strategie für mehr Gesundheitsvorsorge.

Eine neue Strategie zur Gesundheitsvorsorge soll mehr Menschen zu einem gesünderen Leben bewegen.

Die Koalition einigt sich auf die Eckpunkte einer seit langem angekündigten Präventionsstrategie für mehr Gesundheitsvorsorge in Deutschland. Schwerpunkte sind eine Stärkung der betrieblichen Gesundheitsvorsorge und neue Ansätze für soziale Brennpunkte. Das teilte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums der dpa am 13.12.2012 auf Anfrage mit. Die gesetzlichen Änderungen sollen im Jahr 2013 angegangen werden. …

Die FDP arbeitet weiter an der Besetzung des Arbeitsschutzthemas Prävention durch das Bundesgesundheitsministerium. Von Ursula von der Leyen hört man hier nicht mehr so viel.

Info:

  • Betriebliche Gesundheitsvorsorge – vorwiegend Verhältnisprävention – vorgeschriebener Arbeits- und Gesundheitsschutz – während der Arbeitszeit – auf Kosten des Arbeitgebers – Standards: OHSAS 18001, ILO-OSH usw. – Mitbestimmung: zwingend – Politik: BMAS (von der Leyen, CDU)
  • (Betriebliche) Gesundheitsförderung – vorwiegend Verhaltensprävention – freiwillige Angebote an Mitarbeiter – auch während der Freizeit – auch mit finanzieller Beteiligung der Mitarbeiter (“Eigenverantwortung”) – Standards: evtl. DIN SPEC 91020 – Mitbestimmung: mindestens konsensual – Politik: BMG (Bahr, FDP)

 


2012-11
http://www.bmg.bund.de/praevention/betriebliche-gesundheitsfoerderung/best-practice-beispiele-bayern/projekte-psychische-belastungen/foerderung-psychischer-gesundheit-in-der-arbeitswelt.html
Frage an Siemens Healthcare:
Förderung psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt – Siemens Healthcare und
Siemens-Betriebskrankenkasse

Wo haben Sie Präventionsbedarf?

Mit dem Projekt soll Stress, Burnout und weiteren psychischen Erkrankungen präventiv entgegengewirkt werden. Die Handlungskompetenz und das Wissen zu den Themen psychische Gesundheit und Umgang mit belasteten Mitarbeitern, sowie die Zufriedenheit mit der eigenen Work­Life­Balance soll erhöht werden. Außerdem soll das Thema „psychische Belastung“ enttabuisiert werden und Entspannungsmethoden erprobt werden. …

Das Bundesgesundheitsministerium des Daniel Bahr (FDP) hilft hier der Firma Siemens, Verhaltensprävention als das Hauptwerkzeug gegen psychische Fehlbelastungen darzustellen. Das ist natürlich falsch. Aber im Augenblick kann Daniel Bahr das durchsetzen.

Für den Arbeitsschutz ist eigentlich die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) zuständig. Jetzt aber läuft erst einmal das Projekt von Arbeitgebern und FDP, den verhältnispräventiven Arbeitsschutz in einem überwiegend verhaltenspräventiven Betrieblichen Gesundheitsmanagement zu marginalisieren.

Übrigens: Die FDP versteht die Wichtigkeit des verhältnispräventiven Arbeitsschutzes dann sehr gut, wenn sie der SPD damit auf die Füße treten kann. Sollte sie im Jahr 2013 nicht unter 5% bleiben, bestünde eine gewissermaßen nationale Arbeitsschutzmaßnahme also darin, die FDP auch im Bundestag in die Opposition zu schicken, damit sie einer regierenden SPD kräftig zuleibe rücken kann.

 


http://www.european-news-agency.de/wirtschaft_und_finanzen/psychische_erkrankungen_werden_ernster_genommen-52181/
Psychische Erkrankungen werden ernster genommen

Verfasser: Siegfried Kubiak
Barendorf, 23.08.2012, 18:37 Uhr

Barendorf [ENA] Das Bundesgesundheitsministerium fördert ein dreijähriges Projekt des „Aktionsbündnisses Seelische Gesundheit“ zur Einbindung der Medien in Maßnahmen zur Bekämpfung von Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Monatlich sollen damit Journalisten über aktuelle Themen aus dem Bereich der seelischen Gesundheit informiert werden. Hintergrundmaterialien werden angeboten. …

… Das Deutsche Institut für Normung e.V. hat im Juli dieses Jahres einen neuen Zertifizierungsstandard DIN SPEC 91020 für das betriebliche Gesundheitsmanagement vorgestellt, weil bereits heute knapp 28 Prozent der Erwerbstätigen zwischen 60 und 65 Jahre alt sind. Die Zahl derjenigen, die vor Rentenbeginn ausscheiden wächst jedoch. Fast jeder Vierte scheide vorzeitig wegen Rückenproblemen, Depressionen, Burnout oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus dem Berufsleben aus. Die Anforderungen an die DIN SPEC 91020 würden ermöglichen, dass die Arbeitsorganisation, Rahmenbedingungen, Strukturen und Prozesse gesundheitsfördernd gestaltet werden.

(European News Agency. Executive-Patronage: Deutscher Verband der Pressejournalisten AG.)

Siegfried Kubiak packt das Projekt des Bundesgesundheitsministeriums mit Werbung für die DIN SPEC 91020 zusammen. Die DIN SPEC 91020 dient dem freiwilligen Betrieblichen Gesundheitsmanagement. Arbeitsbedingte “Rückenproblemen, Depressionen, Burnout oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen” sowie daraus entstehende Frühverrentung haben jedoch von Arbeitgebern mit dem gesetzlich vorgeschriebenen Arbeitsschutz verhindert zu werden, und zwar verhältnispräventiv. Dafür gibt es andere Normen (z.B. OHSAS 18001 oder ILO-OSH), auf die Sigfried Kubiak jedoch nicht hinweist. Die DIN SPEC 91020 wurde nach dem PAS-Verfahren entwickelt, bei dem das DIN Standards zum Arbeitsschutz explizit ausschließt, da diese einen Konsens zwischen den am Standard interessierten Parteien erfordern.

Krankenkassen vergessen den Arbeitsschutz

Samstag, 15. Dezember 2012 - 09:44

http://www.presseportal.de/pm/63330/2382903/praeventionsbericht-2012-krankenkassen-engagieren-sich-verstaerkt-fuer-psychische-gesundheit-im

… “Die gesetzlichen Krankenkassen konzentrieren sich damit schon heute auf das, was der Bundesgesundheitsminister jetzt fordert – nämlich intensiv die betriebliche Gesundheitsförderung und Maßnahmen in Lebenswelten vor Ort zu fördern”, so Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbandes. “Gesundheitsförderung ist dann erfolgreich, wenn sie die Menschen auf möglichst vielen verschiedenen Wegen anspricht und dadurch erreicht. Eine Verengung auf eine ärztliche Verordnung, wie derzeit offenbar im Bundesgesundheitsministerium überlegt wird, wäre ein falscher Ansatz. Prävention muss z. B. im Kindergarten, am Arbeitsplatz und in der Schule beginnen und nicht erst dann, wenn jemand bereits zum Arzt geht.” ..

Bellen am falschen Baum. Der Arbeitsschutz stellt die Prävention sicher – vorausgesetzt, dass sich die Arbeitgeber an die Vorschriften halten. Wenn die Krankenkassen besser darauf geachtet hätten, dann gäbe es jetzt schon weniger Erkrankungen.

… Engagement in der betrieblichen Gesundheitsförderung ausgebaut

Gesundheitsförderung am Arbeitsplatz – das bedeutet geringere krankheitsbedingte Kosten und mehr Lebensqualität für den Einzelnen. Deshalb haben die Krankenkassen 2011 wie in den Vorjahren ihr Engagement in der betrieblichen Gesundheitsförderung (BGF) ausgeweitet …

Mit welcher Absicht wird der Arbeitsschutz am Arbeitsplatz nicht berücksichtigt? Warum wird (abgesehen von der Techniker Krankenkasse) das Engagement beim Arbeitsschutz nicht ausgebaut?

Psychische Erkrankungen verursachen rund 10 Prozent aller Krankheitstage in deutschen Unternehmen und sind seit Jahren die Hauptursache für krankheitsbedingte Frühverrentungen. Entsprechend den gewandelten Belastungen am Arbeitsplatz mit zunehmender Hektik und fortschreitender Arbeitsverdichtung verstärkten die Krankenkassen 2011 weiter ihre Aktivitäten zur Förderung der psychischen Gesundheit von Arbeitnehmern. “Die Anforderungen in der Arbeitswelt haben sich in den letzten Jahren rasant verändert. In der Folge sind vor allem kognitive und psychosoziale Belastungen gestiegen – Stress ist inzwischen das zweithäufigste arbeitsbedingte Gesundheitsproblem. Der Präventionsbericht zeigt, dass die Krankenkassen hier aktiv gegensteuern”, so Dr. Peter Pick, Geschäftsführer des MDS.

2011 gehörten Maßnahmen zum Stressmanagement bzw. zur Stressbewältigung und Angebote zur gesundheitsgerechten Mitarbeiterführung neben der Reduktion von körperlichen Belastungen zu den häufigsten Präventionsmaßnahmen am Arbeitsplatz

Der Präventionsbericht zeigt, dass die Krankenkassen die Bedeutung des Arbeitsschutzes noch immer nicht verstehen.

 
Präventionsbericht: http://www.mds-ev.de/Praeventionsbericht.htm (direkt: http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/12/Praeventionsbericht_2011_final_ungschuetzt.pdf)

… Mittlerweile wird die betriebliche Gesundheitsförderung – insbesondere in Großbetrieben – zunehmen in ein umfassendes betriebliches Gesundheitsmanagement integriert. Das betriebliche Gesundheitsmanagement kann darüber hinaus beispielsweise Initiativen des Arbeitgebers zum Arbeitsschutz, zur Wiedereingliederung langfristig Erkrankter, zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, zur Hilfe in privaten Krisen und anderes mehr umfassen. …

Was bezweckt der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) mit solchen Aussagen? Damit es klar ist: Der Arbeitsschutz ist keine Nebensache. Das Betriebliche Gesundheitsmanagement “kann” den Arbeitsschutz nicht umfassen, sondern der Arbeitgeber hat den Arbeitsschutz mit Einbezug der psychischen Belastungen vorschriftsmäßig umzusetzen.

 
http://www.welt.de/wirtschaft/article112025787/Kassen-sollen-mehr-Geld-in-Praevention-stecken.html

Kassen sollen mehr Geld in Prävention stecken

Sechs Euro pro Mitglied fließen künftig qua Gesetz in die Vorsorge. So soll Krebs häufiger erkannt, die Zahl der Diabetes-Fälle reduziert oder psychisches Leiden im Job verringert werden.

Die schwarz-gelbe Koalition will die gesetzlichen Krankenkassen zu verstärkten Investitionen in die Gesundheitsförderung verpflichten. Der Schwerpunkt soll dabei auf der Krankheitsvorbeugung in den Betrieben liegen. Dies sieht eine 16-seitige Präventionsstrategie vor, auf die sich die Gesundheitsexperten von Union und FDP verständigt haben. …

Die Kassen merken’s nicht. Der Arbeitsschutz muss von den Unternehmen bezahlt werden, nun sollen aber die Kassen mitzahlen. Das sollte für die Kassen doch Motivation genug sein, beim Arbeitsschutz der Unternehmen ein bisschen schärfer hinzusehen.

… Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr sagte am Freitag, Ziel der Strategie sei es, einen gesunden Lebensstil zu fördern und Krankheiten zu vermeiden. Das Konzept setze auf die Eigenverantwortung der Bürger. Die Krankenkassen sollten künftig nur noch qualitätsgesicherte Präventionsmaßnahmen finanzieren. Ein Schwerpunkt solle außer in den Betrieben in sozialen Brennpunkten liegen. …

http://www.daniel-bahr.de/wcsite.php?wc_c=21749&wc_lkm=2611

… Die Prävention verstanden als aktive Gesundheitsvorsorge ist primär eine individuelle Herausforderung. Jeder Einzelne ist dafür verantwortlich, durch eine gesundheitsbewusste Lebensweise der Entstehung von Gesundheitsrisiken vorzubeugen, qualitätsgesicherte Angebote sachgerecht zu nutzen und auch bei bereits vorhandenen Krankheiten durch ein verantwortungsbewusstes Verhalten dazu beizutragen, dass eine Besserung erreicht oder eine Verschlimmerung vermieden werden kann. Es ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bedeutung von Prävention und Gesundheitsförderung zur Vermeidung, Heilung und Linderung bei vielen Erkrankungen zu verdeutlichen und zielgerichtet Menschen, die von sich heraus ohne Hilfe nicht zu einem gesundheitsbewussten Leben in der Lage sind, dabei zu unterstützen, entsprechende Aktivitäten zu entfalten. Die Finanzierung darf deshalb nicht allein auf die Kranken- bzw. Sozialversicherung zentriert werden. …

Das ist überwiegend Verhaltensprävention. Die ist freiwillig. Die Verhältnisprävention verstanden als aktiver Arbeitsschutz ist primär eine den Unternehmen vorgeschriebene Aufgabe. Die Finanzierung ist daher auf sie zu zentrieren.

Die Mehrheit der Arbeitgeber greift den Arbeitsschutz einerseits durch die offene Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften an und andererseits über den Umweg über das Bundesgesundheitsministerium. Bahrs Schwerpunkt liegt zusammen mit den Interessen der Arbeitgeber auf der Eigenverantwortung der in den Betrieben Beschäftigten. Bahr und die Mehrheit der Unternehmen bremsen schon seit einiger Zeit den ganzheitlichen Arbeitsschutz aus, denn der Arbeitsschutz nimmt die Arbeitgeber in die Pflicht. Die den Arbeitgebern vorgeschriebene Verhältnisprävention gegen arbeitsbedingte Erkrankungen müsste von Ursula von der Leyen (BMAS) nachhaltig eingefordert werden. Sie hat dazu aber nur kurz etwas Lärm gemacht zu haben und scheint danach von Daniel Bahr (BMG) geschickt zur Seite gedrängt worden zu sein.

Die Krankenkassen sollten einmal bei Ursula von der Leyen anklopfen.

 
Links:

Bundestagsdebatte 17/201

Donnerstag, 1. November 2012 - 16:08


http://dbtg.tv/fvid/1975670

 
http://www.das-parlament.de/2012/44-45/Innenpolitik/41250030.html

Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Über die Bedingungen der Arbeitswelt hat der Bundestag am Donnerstag vergangener Woche debattiert. Die Fraktion Die Linke hatte einen Antrag (17/11042) vorgelegt, der eine “Anti-Stress-Verordnung” fordert. Die soll es ermöglichen, im Dialog mit Beschäftigten Ursachen für psychische Belastungen zu benennen und gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Zudem forderte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung in einem weiteren Antrag (17/10867) dazu auf, Arbeitsplätze “alters- und alternsgerecht” zu gestalten. Es seien Bedingungen notwendig, die für alle Altersklassen und das ganze Berufsleben eines Menschen gelten. Im Anschluss an die Debatte wurden die beiden Anträge zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse überwiesen.

 

2012-10-25
17/201 (201. Sitzung, 17. Wahlperiode)

TOP 6 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt

Es geht zwei Anträge:

  1. 6.a) Beratung Antrag DIE LINKE.
    Psychische Belastungen in der Arbeitswelt reduzieren
    - Drucksache 17/11042 -
    … Ein individuelles Vetorecht für die Beschäftigten ist zu verankern, das dann greift, wenn die Arbeitsanforderungen zu gravierenden negativen Belastungen für die Psyche führen. Bereits bestehende Beschwerde- und Einspruchsmöglichkeiten (Arbeitsschutzgesetz, Betriebsverfassungsgesetz, Überlastungsanzeigen) müssen entsprechend ausgebaut und stärker bekannt gemacht werden. Die Aufgabe, individuelle Belastungsschwerpunkte zu identifizieren und konkrete Gegenmaßnahmen daraus abzuleiten, erhält eine verpflichtend einzurichtende Kommission zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes, die paritätisch mit Vertreterinnen und Vertretern der Beschäftigten und der Arbeitgeber besetzt ist und verbindliche Entscheidungen fällen kann. Bei Nicht-Einigung entscheidet die Einigungsstelle. …

    Anmerkung: Tatsächlich haben nach meiner Ansicht die Arbeitnehmervertretungen bereits heute speziell in nach OHSAS 18001:2007 zertifizierten Betrieben die Pflicht, im Fall von (potentiell) krank machenden Vorfällen (Punkt 3.9), bei der Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (Punkt 4.3.1) sowie bei der Vorfalluntersuchungen, der Bearbeitung von Nichtkonformitäten und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (Punkt 4.5.3) mitzubestimmen (Punkt 4.4.3.1). Dazu müssten sie allerdings ersteinmal aufwachen und die nötige Kompetenz erwerben. Dem Gesetzgeber empfehle ich, bei Entwürfen OHSAS 18002:2008 (das ist OHSAS 18001:2007 mit Hinweisen zur Umsetzung) zu berücksichtigen, was auch den Unternehnmen bei der Organisation des Arbeitsschutzes helfen würde.

  2. 6.b) Beratung Antrag B90/GRÜNE
    Psychische Gefährdungen mindern – Alters- und alternsgerecht arbeiten
    - Drucksache 17/10867 -
    … In Deutschland existieren zwar Arbeitsschutzgesetze, aber es besteht ein Umsetzungsdefizit auf betrieblicher und gesetzgeberischer Ebene. So fehlen in vielen Betrieben Gefährdungsbeurteilungen, die aufzeigen, welche gesundheitlichen Belastungen auftreten und wie sie vermieden werden können. Und obwohl seit 2004 die europäische Sozialpartnervereinbarung zu Stress am Arbeitsplatz existiert, gehört Deutschland zu den wenigen europäischen Ländern, in denen weiterhin ein Regelungsdefizit besteht. Die Bundesregierung muss daher endlich die europäische Rahmenvereinbarung zu arbeitsbedingtem Stress mit untergesetzlichen Regelungen unterlegen, um Beschäftigte effektiver vor psychischen Gefährdungen am Arbeitsplatz zu schützen. Arbeitgeber sind in Zusammenarbeit mit den zuständigen Interessenvertretungen (gegebenenfalls Schwerbehindertenvertretungen), Integrationsämtern und Rehabilitationsträgern zur gesundheitlichen Prävention in ihren Betrieben verpflichtet. Diese Präventionsverpflichtung, die unter anderem durch das betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) erfüllt wird, muss – insbesondere in kleinen und mittleren Betrieben – gestärkt werden. …

    Anmerkung: Die Vorlage der Grünen beschreibt den Verbesserungsbedarf beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz recht gut, aber BEM dient nicht der Prävention. Allerdings gilt auch, dass Betriebliches Eingliederungsmanagement ohne den seit 1996 vorgeschriebenen verhältnispräventiven Arbeitsschutz natürlich keine Sinn macht: Kranke werden an kranken Arbeitsplätzen nicht nicht gesund.

 

Im Video oben können Sie sich die ganze Debatte ansehen. Über http://suche.bundestag.de/plenarprotokolle/search.form habe ich die Einzelbeiträge gefunden:

Protokoll(PDF | 3,0 MB) Video des Tagesordnungspunkts
Alle Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

Die Beiträge von Pascal Kober (FDP) und Ulrich Lange (CDU) sind recht anschauliche und aktuelle Darstellungen von Positionen, die auch von den Arbeitgebern vertreten werden. Darum habe ich in http://blog.psybel.de/hauptsache-gesundheit/ auf die Redebeiträge der beiden Abgeordneten hingewiesen.

Beide Abgeordneten lobten unüberraschenderweise die jüngsten Aktivitäten ihrer Koalition beim Einbezug der psychischen Belastungen in den Arbeitsschutz - die 16 Jahre zu spät kommen und zum Teil Ablenkung sind: Pascal Kober gibt ein Beispiel für die Betonung der Gesundheitsförderung beim Thema psychische Belastung, obwohl diese die ja oft eher verhaltenspräventionsorientiert ist und in das Privatleben der Mitarbeiter eingreift. Der Arbeitsschutz schreibt dagegen Verhältnisprävention vor. Meiner Ansicht nach muss genau beobachtet werden, wie ideologisch die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie orientiert sein wird, denn die gemeinsame Begeisterung von Schwarz-Gelb und der Arbeitgeber für dieses Projekt ist auffällig.

Ulrich Lange weist darauf hin, das man nicht immer auf die “schwarzen Schafe” unter den Unternehmen sehen solle:

… Wir haben durchaus Vertrauen in unsere Unternehmen, in unsere Unternehmer und Unternehmerinnen, dass das Arbeitsschutzgesetz in den Betrieben angewendet wird. Man sollte hier nicht immer das Negativbeispiel nennen, auf das schwarze Schaf abzielen. In vielen Betrieben wird mit den Arbeitnehmervertretungen zusammen sehr wohl, sehr gut und sehr konstruktiv an diesem Thema gearbeitet. …

Der Anwalt Lange weiß, wie man die Unwahrheit sagt, ohne zu lügen. Er weiß natürlich, dass die schwarzen Schafen die große Mehrheit sind. Die Mehrheit der Unternehmen hat wichtige Teile des ganzheitlichen Arbeitsschutz spätestens seit dem Jahr 2005 wissentlich missachtet. Im Gegensatz zu Langes Darstellung handelten die Unternehmen im Bereich der psychischen Belastungen überwiegend verantwortungslos. Weiterhin macht Lange die Furcht der Unternehmer (und damit die Vorbehalte der Arbeitgeber) vor der Mitbestimmung im Arbeitsschutz sehr deutlich:

… Zum Betriebsverfassungsgesetz. Mit dieser Keule, mit der Sie schlagen, sind Sie bei einem alten Thema. Immer dann, wenn wir hier irgendetwas diskutieren, wollen Sie über das Betriebsverfassungsrecht Dinge regeln, womit letztlich die Systematik dieses Gesetzes und das Grundverständnis über die Stellung unserer Betriebe verändert würden. Sie wollen ein Mitbestimmungsrecht bei wirtschaftlichen Fragen und bei der strategischen Ausrichtung. …

Die Gefährdungserkennung, Risikobeurteilung und Festlegung der Schutzmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.3.1) sowie die Vorfalluntersuchungen, die Bearbeitung von Nichtkonformitätren und Korrektur- und Vorbeugungsmaßnahmen (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.5.3) mag die strategische Ausrichtung und wirtschaftliche Fragen eines Unternehmens berühren. Aber hier herrscht bereits eine Mitbestimmungspflicht, für die die Unternehmen mit den Arbeitnehmern Prozesse zu vereinbaren haben (z.B. nach OHSAS 18001:2007, Punkt 4.4.3.2).

Ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte und (leider nur vereinzelt) auch die Aufsichtssbehörden wäre die Mehrheit der von Ulrich Lang gelobten Unternehmen heute nicht motiviert, die Voerschriften des ganzheitlichen Arbeitsschutzes zu respektieren.

Zur SPD: http://www.spdfraktion.de/themen/reden/psychische-belastungen-der-arbeitswelt-verhindern

… Die SPD wird in den nächsten Wochen einen umfassenden Antrag zur Modernisierung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes vorlegen. …

Firmen sollen Burn-out bekämpfen

Dienstag, 30. Oktober 2012 - 20:29

http://www.sueddeutsche.de/karriere/seelische-gesundheit-in-unternehmen-firmen-sollen-burn-out-bekaempfen-1.1510394

Seelische Gesundheit in Unternehmen
Firmen sollen Burn-out bekämpfen

30.10.2012, 17:24
Von Guido Bohsem und Sibylle Haas

Der Arbeitsschutz in Deutschland stammt aus einer anderen Zeit: Es geht vor allem um die körperliche Unversehrtheit schwer arbeitender Männer. Doch inzwischen ist nicht mehr der Körper das größte Problem, sondern ist die Seele. Darum soll nun das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit ergänzt werden.

Eine Gruppe SPD-regierter Länder will das Arbeitsschutzgesetz erweitern. Über eine Bundesratsinitiative soll das Gesetz um den Schutz der seelischen Gesundheit der Beschäftigten ergänzt werden.

Im Juni hatte schon Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) angekündigt, den Umgang mit Handys strikter regeln zu wollen. Das Arbeitsschutzgesetz verlange mit seinem “knallharten Strafenkatalog” von jedem Chef, dass er “Körper und Geist seiner Mitarbeiter aktiv schützt”, sagte die Ministerin.

(Links nachträglich eingetragen)

Es muss ja nicht immer etwas Neues sein, über das eine Zeitung berichtet.
Schön, dass die SZ am Ball bleibt. Hier ist eine Erinnerung durchaus notwendig. Ein Personalratsmitglied schrieb mir:

… bei uns gibt es Erfahrungen mit Gesundheitsprogrammen. Leider aber keine wirklich positiven.
Es gab Versprechen und Ansätze, die aber nie verwirklicht wurden. Insbesondere mit der Einbeziehung von psychischen Belastungen im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung tut man sich sehr schwer. …

Viele Unternehmen wollen psychische Belastungen nicht wirklich in ihren Arbeitsschutz einbeziehen. Vor Allem wollen sie nicht dokumentieren, dass es arbeitsbedingte Fehlbelastungen gibt. Mitarbeiter, die solche Vorfälle melden, werden sogar noch zusätzlich unter Druck gesetzt. Selbstverpflichtungen (z.B. durch Zertifizierungen nach OHSAS 18001) zur Vorfallsuntersuchung sind dann nur Makulatur. Es gibt eben einen Konflikt zwischen Haftungsabwehr und ehrlicher Gefährdungsbeurteilung. Außerdem macht ein konsequenter ganzheitlicher Arbeitsschutz Führungsstile in einer Weise transparent, an die sich Unternehmensführungen wohl erst noch gewöhnen müssen.

Die Vorschriften des Arbeitsschutzes und die Rechtsprechung reichen eigentlich aus, um den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz durchzusetzen. Aber das läuft in der Praxis viel zu zäh. Mehr als 15 Jahre der sehr beharrlichen Missachtung der Arbeitsschutzvorschriften durch viele Unternehmen sind ein Beweis für die Anarchie, die hier herrscht. Darum ist die Initiative der vier Länder leider wohl notwendig.

Psychische Belastung bei der CDU/CSU

Mittwoch, 4. April 2012 - 12:55

Die CDA (Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft der CDU/CSU) versucht nun, das Thema des Einbezugs der psychischen Belastungen wieder unter Kontrolle zu bekommen:

http://www.cda-bund.de/uploads/media/Beschluss_Arbeitnehmergruppe_Gesundheit.pdf

Beschluss der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Bundestagsfraktion

Für eine Humanisierung der Arbeitswelt
Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz stärken …

… Dabei wird die Konstellation aus überhöhten eigenen Ansprüchen und nachteiligen Anreizstrukturen als besonders problematisch angesehen. …

Dass das etwas Besondere sei, soll in der FAZ (2011-10-07) geschrieben worden sein. Über diese private Beobachtung hinaus ist aber inzwischen klar, dass sich viele Arbeitgeber nicht für die neuen Anforderungen des Arbeitsschutzes begeistern konnten, um das einmal freundlich auszudrücken. Dass die Verweigerungshaltung der Arbeitgeber für die CSU/CDU nicht besonders erwähnenswert ist, überrascht allerdings nicht. Erst später geht das CDA-Papier an den Kern des Poblems:

… In Deutschland bestehen zahlreiche gesetzliche Regelungen, die Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten (z. B. Arbeitsschutzgesetz, Arbeitszeitgesetz, Arbeitsstättenverordnung, Bildschirmarbeitsverordnung, Betriebssicherheitsverordnung, Bundesurlaubsgesetz, Gesetz zum Elterngeld und zur Elternzeit, Teilzeit- und Befristungsgesetz und Kündigungsschutzgesetz). Flankiert werden diese Gesetze durch Verordnungen für die jeweils spezifischen Bereiche, in denen sie angewandt werden. Konkretisierende Verordnungen für psychische Belastungsfaktoren gibt es derzeit lediglich in der Bildschirmarbeitsverordnung. Bei der Gefährdungsbeurteilung werden psychische Gefährdungen derzeit überwiegend nicht ermittelt. Für angemessene und wirksame Präventionsmaßnahmen bedarf es allerdings einer umfassenden Gefährdungsbeurteilung. …

Das ist richtig, vermittelt aber einen falschen Eindruck. Die Rechtsprechung hat durchaus klargestellt, dass Arbeitgeber psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen haben. Dass die Mehrheit das nicht tat, kann spätestens seit etwa 2005 kein Versehen mehr gewesen sein. Vielen Arbeitgebern muss klar gewesen sein, dass sie ihre Ordnungswidrigkeit wissentlich begangen hatten. Einige wehrten sich sogar gegen Betriebsräte, die das Thema aufgriffen.

Im Papier wird nun der Eindruck erweckt, die Arbeitgeber seien bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes überfordert gewesen. Das ist eine Ausrede. Die CDA meint, ihre 22 Forderungen könnten helfen. Darunter diese:


19. Eine konkretisierende Verordnung für psychische Belastungsfaktoren zu erstellen und in ein funktionierendes Arbeitsschutzmanagement zu integrieren, damit bestehende Gesetze (z. B. § 5 Arbeitsschutzgesetz) für Unternehmen verständlicher und besser umsetzbar werden.
20. Sicherzustellen, dass Unternehmen, etwa mittels Anreizsystemen, stärker in die Pflicht genommen werden, in der BGF [Betriebliche Gesundheitsförderung] aktiv zu sein und mit den Sozialversicherungsträgern zu kooperieren.

Es gibt schon genügend viele Betriebe, die gezeigt haben, dass man auch ohne eine sicherlich nicht sehr schnelle Umsetzung der 22 CDA-Forderungen das Arbeitsschutzgesetz gut umsetzen kann. Es ist nicht zu kompliziert, sondern viele Unternehmer mögen das Gesetz einfach nicht. Im aktuellen rechtlichen Umfeld konnten sie die Umsetzung des Gesetzes dann ohne für sie wirklich unangenehme Konsequenzen verweigern. Die Betriebliche Gesundheitsförderung ist in den Betrieben auch schon angekommen. Sie dient gerne auch dazu, den Versuch von Arbeitgebern zu verschleiern, der Verhaltensprävention Vorrang vor der Verhältnisprävention zu geben.

Mit den unter der europäischen Entbürokratisierungsflagge segelnden betrieblichen Vereinbarungen, für die ein einaches Rahmengesetz einen weiten Gestaltungsspielraum geben soll, scheint das nicht so ganz zu klappen, wie sich die Unionsparteien und die Liberalen das vorgestellt haben. Gewünscht war möglicherweise von den Arbeitgebern, dass ihre Gestaltungsspielraum von möglichst wenig konkreten Vorgaben eingeengt wird. Dank des Betriebsverfassungsgesetzes bestimmen die Arbeitnehmervertreter jedoch mit, wie dieser Freiraum ausgefüllt wird: Das Fehlen konkreter Bestimmungen im als Rahmengesetz angelegten Arbeitsschutzgesetz stärkte die Mitbestimmung der Mitarbeiter ganz erheblich. Solange viele Betriebsräte das nicht begriffen, fühlten sich die Arbeitgeber ganz wohl mit dem Rahmengesetz. Aufgeweckte und aufgwachte Betriebs- und Personalräte erreichten dann aber recht gute Lösungen beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz, wenn sie das Thema einmal aufgegriffen hatten. Jetzt merken die Arbeitgeber, was das Fehlen konkreter Vorgaben für die ihnen oft immer noch lästige Mitbestimmung bedeutet. Darum rufen sie nun wohl wieder nach dem Gesetzgeber, dem sie mit entsprechender Lobbyarbeit auch gerne “beraten” möchten.

Wohin die Reise gehen soll, sieht man daran, dass Edmund Stoiber die Bildschirmverarbeitung wieder vereinfachen will. Sie ist in einer Weise konkret, die den Arbeitgebern wohl nicht so liegt.

Wie die CDA, so fordern auch die Gewerkschaften konkretere Verordnungen, aber wahrscheinlich mit unterschiedlichen Vorstellungen. Insbesondere scheint Unternehmern der Vorrang der Verhältnisprävention im Arbeitsschutz ein Dorn im Auge zu sein. Bei der Umsetzung wird genau hingesehen werden müssen, damit die Verordnungen nicht hinter dem zurückbleiben, was gute Betriebsräte erreichen können.

 


2013-01-12

Bald bin auch ich überzeugt: Wir brauchen “eine konkretisierende Verordnung für psychische Belastungsfaktoren”. Ohne so eine Verordnung ist es für Arbeitnehmervertretungen zu schwierig, der Mitbestimmungspflicht gerecht zu werden. Siehe auch: http://blog.psybel.de/systematisch-betriebener-arbeitsschutz/

Motivationsdruck auf Mitarbeiter

Freitag, 16. März 2012 - 18:04

Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik
http://blog.psybel.de/grundsaetze-der-behoerdlichen-systemkontrolle/

… Ursachen für Arbeitsschutzmängel müssen aufgedeckt werden. Dabei kann die Ursachenprüfung nicht beim Fehlverhalten des Arbeitnehmers enden, denn allzu häufig finden sich Fehler in der Delegationskette, in der Bereitstellung von Informationen, oder es sind Zuständigkeiten oder Abläufe unklar. …

 

SPIEGEL WISSEN, Patient Seele – Wie die Psyche wieder ins Gleichgewicht kommt,
(132 Seiten, Druckauflage: ca. 240000, Feb. 2012), Nr. 1/2012, S. 115

… Wenn ein Mitarbeiter aber über längere Zeit nichts unternimmt, um sein Problem anzugehen, dann könnte der Vorgesetzte in weiteren Gesprächen auch den Motivationsdruck erhöhen, sagt er [Dr. Werner Kissling, CFDM]. Das könnte dann so klingen: “Wir werden nicht mehr zwölf Monate abwarten, bis Sie etwas unternehmen, um gesund zu werden. Durch klare Ansagen erreiche man oft doch, “dass professionelle Hilfe angenommen wird” …, meint der Psychotrainer. Das letztlich auch im Interesse des erkrankten Mitarbeiters.

Das Modell hat nur einen Haken: Wer auf der Burnour-Spirale schon weit hinabgerutscht ist, hat längst seinen unverstellten Blick dafür verloren, was Gesundheit für ihn mal bedeutet hat. …

Darum schlägt Werner Kissling ein solches “Modell” auch nicht so vor, wie es sich einem unkritischen SPIEGEL-Leser auf den ersten Blick darstellen könnte. In seinen Seminaren rät er Mitarbeitern und Vorgesetzten klar davon ab, Arzt zu spielen. Laien können und dürfen weder “Probleme” von Mitarbeitern als Krankheit diagnostizieren noch Mitarbeiter als psychisch “erkrankt” einstufen.

Werner Kissling ist kein “Psychotrainer”, sondern ein seriöser Psychiater, dessen Institut (der TU-München) Vorträge, Schulungen und Beratung anbietet. Dabei betont er, dass ein funktionierender Arbeitsschutz eine Grundvoraussetzung ist und dass Gefährdungen vorschriftsgemäß beurteilt werden müssen. Im Gegensatz zum SPIEGEL kennt und respektiert Werner Kissling den Arbeitsschutz und die Mitbestimmung. Er bietet auch Betriebsräten Schulungen an.

All das hat der SPIEGEL ignoriert und erweist damit sowohl seinen Lesern wie auch dem von ihm zitierten Arzt keinen Dienst. Auch in dem ganzen 132seitigen Heft habe ich nichts zum Arbeitsschutz und seiner Vernachlässigung durch die Mehrheit der Arbeitgeber gefunden. In Sachen Arbeitsschutz bleiben die Leser unwissend und hilflos.

Die Vernachlässigung der psychischen Belastungen im Arbeitsschutz dermaßen zu ignorieren, muss inzwischen ziemlich anstrengend für Journalisten geworden sein. Diese Vernachlässigung ist inzwischen klar belegt. Die meisten Journalisten ignorieren die Fakten trotzdem: Etwa 70% der Unternehmen beziehen psychisch wirksame Belastungen nicht in den Arbeitsschutz ein. Der SPIEGEL weiß, dass es hier Probleme gibt, kommt aber nicht auf die Idee, dass die beharrliche Missachtung wichtiger Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes das Risiko der Mitarbeiter erhöht, durch ihre Arbeitsbedingungen verletzt zu werden. Unter welchen Bedingungen arbeiten eigentlich die Mitarbeiter des SPIEGEL? Ist der Einbezug psychischer Belastungen an den Bildschirmarbeitsplätzen in der SPIEGEL-Redaktion ein Tabu?

Von wichtige Fakten ausblendende Journalisten zu Politikern, die sich eigentlich um die Gesundheit der Bürger kümmern sollten: Auf der Rückseite des Heftes wirbt das FDP-geführte Bundesministerium für Gesundheit (BMG):

Die Vermeidung von zu viel Stress am Arbeitsplatz ist eine gemeinsame Aufgabe. Daran haben alle ihren Anteil.

Ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber: Zu viel Stress schadet uns allen. Nehmen Sie die betriebliche Gesundheitsförderung nicht auf die leichte Schulter. Machen Sie auch mit: www.Unternehmen-unternehmen-Gesundheit.de

Die Bundesregierung erlässt Gesetze, an die sich die Arbeitgeber zu halten haben. Anstatt die Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes anzusprechen und die Verantwortung der Arbeitgeber für den Arbeits- und Gesundheitsschutz anzusprechen, macht dieses Ministerium (im Gegensatz zum CDU-geführten Bundesarbeitsministerium) Täter und Opfer gleichermaßen für die Gesundheitsförderung verantwortlich. Dabei ist erwiesen, dass sich Arbeitgeber ohne Motivationsdruck durch die Aufsicht beim Arbeitsschutz mehrheitlich nicht an ihre Pflichten halten würden. Ein zu großer Teil der Klientel der FDP drückt sich davor, den gesetzlichen Verpflichtung zur Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes nachzukommen.

(Aktualisierung: 2012-03-19)

Staatlich behinderte Gewerbeaufsicht

Donnerstag, 26. Januar 2012 - 07:53

http://www.igmetall.de/cps/rde/xbcr/SID-577D2ED4-F01794B3/internet/Tipp43_V6_Finale_Screen_0180513.pdf

Gegenwärtig entscheidet jedes Bundesland nach Kassenlage und eigenem Gutdünken, wie viel Personal es für die Gewerbeaufsicht einsetzt. Ich dachte früher, dass eine Steuerprüfung das seltenste Ereignis ist, das einem Betrieb passieren kann. Aber der staatliche Arbeitsschutz schlägt das noch um Längen!

Das meinte Hans-Jürgen Urban (IG-Metall) zur Gewerbeaufsicht. Nun fordert er strengere Durchführungsverordnungen. Ich sehe das kritisch, aber vielleicht hat er leider doch recht.

Während Ursula von der Leyen (CDU) beklagt, dass die Unternehmen den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schleifen lassen und Christine Haderthauer (CSU) sogar nach Burnout-Detektiven ruft, versucht Edmund Stoiber (CSU) den Arbeitsschutz noch zusätzlich zu schwächen. Edmund Stoiber arbeitet auf europäischer Ebene daran, ein Instrument zu blockieren, mit dem sich Pflichtverletzungen der Arbeitgeber sehr konkret prüfen lassen. Die Bildschirmarbeitsverordnung ist Edmund Stoiber ein Dorn im Auge. In Betrieben mit Bildschirmarbeit kann man pflichtverletzenden Arbeitgebern mit den Kriterien der Bildschirmarbeitsverordnung sehr leicht ihre Vergehen nachweisen. Es geht da längst nicht mehr nur um Pixelauflösungen, Bildschirmflimmern und technische Parameter. Sondern es geht um die Benutzerfreundlichkeit von Software und die Belastung von Menschen durch Interaktion mit Benutzerschnittstellen. Wenn Arbeitgeber trotz Forderung beispielsweise des Betriebsrates keine Beurteilung der psychischen Belastung durch die Benutzerschnittstellen durchführen, kann auch gezeigt werden, dass sie eine Vorschrift des Arbeitsschutzes vorsätzlich missachten.

Auffallend ist auch die Zurückhaltung der Krankenkassen mit Kritik an der offensichtlichen Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz bei einer Mehrheit der Unternehmen. Das Bundesarbeitsministerium stellte fest: Die psychische Belastung ist unabdinbarer Bestanddteil des Arbeitsschutzes. Die Pflichten der Arbeitgeber sind klar, aber die Kassen trauen sich nicht, die Versäumnisse der Arbeitgeber bei der Erfüllung ihrer gesetzlichen Pflichten als Rechtsbruch zu kritisiern.

Jetzt wird über eine Verpflichtung der gesetzlichen Kassen diskutiert, ihren Versicherten bei ärztlichen Fehlern zu helfen. Die Kassen sollten auch verpflichtet werden, ihrer Versicherten zu helfen, wenn deren Arbeitgeber gegen die Vorschriften des Arbeitsschutzes verstoßen. Was können wir hier von von den Krankenversicherern erwarten, wenn sie schon klaren Rechtsbruch nicht klar ansprechen? Mit Samthandschuhen gehen auch die Berufsgenossenschaften mit Unternehmen um, die den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz schleifen lassen. Unternehmern, die Körperverletzungen ihrer Mitarbeiter schon so lange riskieren, das Vorsatz deutlich wird, wird mehr Verständnis entgegengebracht, als Kleinkriminellen. (Entschuldigung bitte, aber wenn Sie diesen Vorwurf zu krass finden, dann denken Sie bitte einmal darüber nach, was die Gewöhnung an Rechtsbruch mit uns selbst anrichtet.)

Die Aufsichtspersonen auf der unteren Ebene kann man für die Sabotage der Arbeitsschutzaufsicht übrigens nicht haftbar machen. Politiker behindern die Arbeitsschutzaufsicht ja nicht durch offene Anweisungen, aktiv wegzusehen. Sondern sie begrenzen einfach die Ressourcen der Aufsicht. Die kann dann erst aktiv werden, wenn sich die Wahrnehmung von Mängeln überhaupt nicht mehr vermeiden lässt. Auf einer Tagung meinte einmal eine Psychologin (die für eine Organisation im Bereich der Arbeitssicherheit Unternehmen beobachtet) zu mir, dass sie erst tätig werden dürfe, “wenn in einem Unternehmen Zustände herrschen wie bei France Télécom”.

Es muss also erst Tote geben. Und dann lassen sich Ursachenzusammenhänge immer noch kaum nachweisen. Als Haftungsgrund müsste ausreichen, mangelnde Prävention nachzuweisen. Dafür ist eine ausreichend mit Ressourcen und Sanktionsmitteln ausgestattete Aufsicht erforderlich. Das kann von der Zielvereinbarung mit kooperativen Unternehmen bis hin zur Einschaltung des Staatsanwalts reichen.

Die TAZ sagt auch noch etwas dazu

Mittwoch, 28. Dezember 2011 - 07:45

Mit acht Tagen Verspätung füllt die TAZ (die tageszeitung) auf Seite 6 noch ein kleines Spaltenstückchen mit einer Meldung über die Arbeitsministerin van der Leyen, die jetzt etwas gegen Überlastung am Arbeitsplatz tun will. Zwei Spaltensegmente auf Seite 16 belegte dazu noch Simone Schmollack unter dem Kommentartitel “Ministerin ganz ohne Burnout“. Sehr originell. Schmollack maulte, dass sich die Arbeitsministerin in Themen der Familienministerin und der Gesundheitsministers einmische. Dann widmete sie sich dem Burn-Out als Modebegriff. Das ist nach all den Ungenauigkeiten in der Diskussion zu dem Thema eben im Augenblick die Mode.

Klar, das Thema war in den letzten Monaten populärer geworden, und dann musste nach langer Enthaltsamkeit zu diesem Thema auch die TAZ etwas dazu sagen. Schmollak machte das wie Kristian Weber in der Süddeutschen Zeitung (2011-10-22, S. 24), nur kürzer.

Angesichts ihrer Zuständigkeiten im Arbeitsschutz auf Bundesebene kann man der Arbeitsministerin legitim eigentlich nur vorwerfen, dass sie die Überlastung am Arbeitsplatz erst jetzt aufgreift und nicht deutlich genug macht, dass die Mehrheit der Arbeitgeber seit 1996 (und trotz wichtiger BAG-Beschlüsse im Jahr 2004) ihre Pflichten im ganzheitlichen Arbeitsschutz fortgesetzt und wissentlich mißachtet hatte. Nicht nur die Bundesfamilienministerin und der Bundesgesundheitminister kamen der Bundesarbeitsministerin zuvor, sondern besonders deutlich (hoffentlich auch weiterhin) wurde hier bereits Christine Haderthauer, die Bayerische Staatsministerin für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen.

Es ist zwar ein bisschen verkehrt herum, aber die TAZ könnte vielleicht auch noch nach dem Kommentar etwas recherchieren. In der Redaktion weiß man vermutlich nicht, dass die große Mehrheit der Unternehmen seit Jahren gegen die Arbeitsschutzbestimmungen verstößt, weil diese Arbeitgeber die psychisch wirksamen Belastungen in ihn nicht mit einbeziehen. Wenn man Kommentare über die Arbeitsministerin und Burn-out schreibt, könnte es nicht schaden, die Aufgaben der Arbeitsministerin zu kennen. Möglicherweise ist das Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz aber auch nur uninteressant für die taffe TAZ. Oder vielleicht rafft sich ja doch aus dieser so vorbildlichen Redaktion noch jemand zu einer ordentlichen Recherche auf. (Ich hatte die Redaktion auch als TAZ-Genosse schon früher darum gebeten.) Zu der These “Zu viele Organisationen drücken sich vor dem Arbeitsschutz” könnte die TAZ damit in Berlin beginnen, also noch in Simone Schmollaks Nähe.

Anmerkung: Die Begeisterung der FDP-Gesundheitsminister für das Betriebliche Gesundheitsmanagement ist mit Vorsicht zu genießen. Siehe: Gesundheitsmanagement als Schleier.

Von der Leyen kündigt Kampagne an

Mittwoch, 28. Dezember 2011 - 07:41

http://www.rp-online.de/politik/deutschland/von-der-leyen-plant-kampagne-gegen-burn-out-1.2652967

Wie auch die Saarbrückener Zeitung meldet, plant Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen eine breit angelegte Kampagne zur Bekämpfung psychischer Überbelastungen in der Arbeitswelt. Mit den Tarifpartnern, Sozialversicherungsträgern sowie Länderexperten wolle sie im kommenden Jahr “wirksame Maßnahmen” gegen diese Probleme entwickeln, kündigte von der Leyen der Zeitung zufolge an.

Strengere Gesetze seien, so die Zeitung, nach Ansicht von der Leyens nicht nötig.

Schon jetzt gebe es strenge Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen.

Studien zeigten aber, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit“. Daher müsse man besser informieren und Lösungswege aufzeigen. Dies solle die von ihr geplante “breit angelegte Kampagne” erreichen.

(Link und Hervorhebung nachträglich eingefügt)

Hier stimmt fast alles, vielleicht auch die “Hilflosigkeit”. (Gibt es erlernte Hilflosigkeit auch bei Organisationen?) Aber die “Unwissenheit” wurde von zu vielen Arbeitgebern geradezu proaktiv gepflegt. Mitarbeiter und Betriebsräte, die auf das Thema aufmerksam machten, wurden unter Druck gesetzt. Dokumentiert wird die Absichtlichkeit des Unwissens der Arbeitgeber einfach dadurch, dass die Gewerkschaften das Thema schon vor Jahren aufgriffen. Das ist gut dokumentiert. Die Arbeitgeber wussten, was sie taten und was sie unterließen: Tausendmal diskutiert, und doch ist nichts passiert.

Sehr gut ist, dass die Arbeitsministerin strengere Gesetze nicht für nötig hält. Strengere Gesetze wären meiner Ansicht nach sogar schädlich. Aber Arbeitgeber, die ohne einen ausreichenden Arbeitsschutz die Gesundheit ihrer Mitarbeiter riskieren, müssen leichte in Haftung genommen werden können.

Woran wir uns wieder gewöhnen müssen, ist ein Rechtsstaat, in dem Unternehmen geltene Schutzgesetze zu beachten haben und in dem Aufsichtbehörden diese Schutzgesetzen durchsetzen können und dürfen. Dabei gibt es häufig noch ein Problem: Manche Arbeitgeber schaffen es gerade noch, Betriebsräte “einzubeziehen”, das Wort “Mitbestimmung” fehlt dann häufig sogar schon in ihrem Vokabular. Das behindert die Umsetzung der als Rahmenbestimmungen formulierten Regeln des Arbeitsschutzes. Betriebsräte bestimmen mit. Es herrscht sogar Mitbestimmungspflicht! Es geht also nicht nur um mehr Respekt vor Schutzgesetzen, sondern auch um das Betriebsverfassungsgesetz und um die Förderung der Betriebsräte beim Aufbau der für ihre Aufgaben erforderlichen Kompetenzen.

Komplettes Interview: http://www.bmas.de/DE/Service/Presse/Interviews/interview-vdl-saarbruecker-zeitung-2011_12_27.html

 
Anmerkung: In der Süddeutschen Zeitung wurde im Oktober eine vermeintlich hysterische Verwendung des Begriffes “Burn-out” kritisiert. Die nüchtern geschriebene Meldung der Saarbrückener Zeitung gaben die Süddeutschen unter dem Titel “Von der Leyen plant Burn-out-Gipfel” wieder.

Die Betriebe in die Pflicht nehmen

Dienstag, 20. Dezember 2011 - 06:52

http://www.welt.de/print/welt_kompakt/print_wirtschaft/article13774163/Burn-out-als-Chefsache.html

Von der Leyen kündigt Kampagne gegen psychische Belastung am Arbeitsplatz an

Ministerin will kein schärferes Gesetz, sondern Firmenstrategien

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will Arbeitnehmer besser vor psychischen Belastungen am Arbeitsplatz schützen und dabei die Betriebe in die Pflicht nehmen. “Das ist für mich eines der großen Ziele im Arbeitsschutz”, sagte von der Leyen “Welt Kompakt”. “Wir sind in den letzten Jahrzehnten weit vorangekommen, um schwere körperliche Schäden durch Arbeit, etwa durch Fließbandarbeit, deutlich zu reduzieren. Das können wir bei den psychischen Belastungen auch schaffen.

Im kommenden Jahr werde die Gemeinsame Deutsche Arbeitsschutzstrategie mit den Ländern und den Unfallversicherungsträgern einen Schwerpunkt setzen und die Konzepte mit Hilfe der Arbeitgeber und Gewerkschaften in die Betriebe hineintragen, kündigte die Ministerin an”

Sich beispielsweise an die seit 1996 bestehende Gesetze zum Arbeitsschutz zu halten, könnte eine gute Firmenstrategie sein. Angesichts der bestehenden Zustände wäre das sogar ziemlich innovativ. Bisher nämlich griff die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht auf, worauf die Arbeitsministerin wider besseren Wissens nicht hinweisen möchte.

Noch ein sachlicher Fehler, der aber ziemlich weit verbreitet ist: Es geht nicht um die Abschaffung psychischer Belastungen. Eine Kampagne gegen psychische Belastungen am Arbeitsplatz würde Arbeitsplätze beseitigen. Was die Ministerin wohl meint, ist eine Kampagne gegen psychische Fehlbelastungen. Fallweise kann auch ein Mangel an stimulierenden psychischen Belastungen eine Fehlbelastung sein.