Kategorie 'Psychiatrie'

Psychische Erkrankungen: BDA und VDBW

Freitag, 10. Februar 2012 - 06:54

Dieser Beitrag betrifft die gemeinsame Erklärung von der BDA und des VDBW zur Bedeutung der psychischen Gesundheit im Betrieb,
http://www.google.de/search?q=VDBW+BDA+%22Bedeutung+der+psychischen+Gesundheit+im+Betrieb%22.
Am 9. Februar gab es in Salzgitter einen Kongress zu psychischen Erkrankungen (das ist ein Unterschied zu psychischen Belastungen) am Arbeitsplatz. dpa/tmn berichteten (http://www.stern.de/wirtschaft/job/ausgleich-von-der-arbeit-suchen-1784493.html und http://www.news.de/wirtschaft/855270967/burnout-vorbeugen-ausgleich-von-der-arbeit-suchen/1/):

… Psychische Leiden sorgen immer öfter für Probleme im Beruf: So sind sie die häufigste Ursache für Frühverrentungen. 2010 sind laut der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) bundesweit 70 000 Arbeitnehmer wegen einer seelischen Erkrankung frühzeitig aus dem Beruf ausgeschieden. Seelische Leiden verursachen zudem jeden achten Krankheitstag: Sie waren 2010 bei den Betriebskrankenkassen Grund für 12 Prozent aller Fehltage. …

Der Artikel wurde auch wieder mit ein bisschen Expertise gefüllt:

… Im Job könne auf Dauer nur derjenige Hochleistungen erbringen, der sich selbst regelmäßig Gutes tut. Das sagte die Ärztin Nadja Behling. So hat ein Burnout keine Chance. Gut zu wissen, denn das Leiden ist die häufigste Ursache für Frühverrentungen.

Um einem Burnout vorzubeugen, ist ein Ausgleich von der Arbeit wichtig. Das kann Sport sein, aber auch Treffen mit Freunden sind gut für das seelische Gleichgewicht, sagte Nadja Behling. Diesen Grundsatz ließen viele Burnout-Patienten jedoch außer Acht. …

Wieder einmal bekommen die Betroffenen den schwarzen Peter. Tun Sie sich etwas Gutes! Auch heute (15 Jahre nach Erlass des Arbeitsschutzgesetzes) fällt der Presse selten etwas Anderes ein, als Verhaltensprävention. Verhältnisprävention ist vorgeschrieben. Verhaltensprävention mögen die Arbeitgeber aber lieber. Die BDA hat leichtes Spiel: Die Missachtung des Arbeitsschutzes in der Mehrheit der Betriebe haben die Redaktionen nicht auf dem Radar. Im Arbeitsschutz hat jedoch die Verhältnisprävention Vorrang, auch wenn (und gerade weil) das den Arbeitgebern nicht so liegt.

Was sagt die BDA zu der Veranstaltung? http://www.bda-online.de/www/arbeitgeber.nsf/id/DE_PI-BDA-VDBW:

Psychische Erkrankungen: Abgestimmtes Zusammenwirken unerlässlich

Psychische Gesundheit ist eine unverzichtbare Grundlage, um im modernen Arbeitsleben zu bestehen und sich fachlich und persönlich zu entfalten. Mehr denn je wird körperliche und geistige Gesundheit aber auch als zentrale Grundlage hoher Wettbewerbsfähigkeit verstanden. Die Zunahme an psychischen Erkrankungen und die damit verbundenen Fehlzeiten der Beschäftigten stellen Unternehmen und Betriebsärzte vor neue Herausforderungen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte (VDBW) sehen daher gemeinsamen Handlungsbedarf. Ihnen ist es ein zentrales Anliegen, das Thema Psychische Erkrankungen gezielt und umfassend, d.h. von der Prävention und Früherkennung über die Behandlung bis zur Wiedereingliederung, anzugehen und für nachhaltige betriebliche Lösungen zu werben. Voraussetzung hierfür ist eine gute Kooperation der Betriebs- und Werksärzte mit den anderen betrieblichen Akteuren.

(Link nachträglich eingefügt)

Es scheint so, dass nicht nur die BDA, sondern auch Ärzte auf die Früherkennung von Erkrankungen setzen und nicht auf die Früherkennung von Fehlbelastungen. Aber in diesem Fall täte man dem VDBW unrecht, wenn man ihm Einseitigkeit vorwürfe, denn es gibt auch eine Position von Betriebsärzten und Gewerkschaft, die sich psychischen Belastungen zuwendet.

Es handelt sich hier also um Positionen zu unterschiedlichen Bereichen:

  • Mitarbeiter mit psychischen Problemen: BDA und VDBW widmen sich psychische erkrankten Beschäftigten in den Betrieben, die gerne auch als “auffällige” Mitarbeiter bezeichnet werden. Hier wird ein Modell der Salzgitter AG beworben. Anja Grocholewski beschreibt das in „Drei unter einem Dach“ – Das IV-Konzept von TU Braunschweig, BKK Salzgitter und Salzgitter-AG für Mitarbeiter mit psychischen Problemen. Jahrbuch 2012 “Psychiatrie in Niedersachsen”. “IV” steht dabei für “integriertes Versorgungskonzept”. Der Schwerpunkt liegt auf der Verhaltensprävention und der Versorgung bereits erkrankter Mitarbeiter. (Da entsteht natürlich Neugier, mit was für einer Betriebsvereinbarung der Betriebsrat der Salzgitter AG den Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz geregelt hat.) Arbeitgeber kamen mit der fürsoglichen Zuwendung zu einzelnen und als erkrankt darstellbaren Mitarbeitern bisher besser zurecht, als mit der gesetzlich vorgeschriebenen Verhältnisprävention.
  • Psychische Probleme verursachende Arbeitsplätze: Gewerkschaft und VDBW widmen sich psychischen Belastungen, also “auffälligen” Arbeitsplätzen. Hier empfehle ich, von der SICK AG zu lernen. Die Verhältnisprävention kommt hier nicht zu kurz. Für viele Arbeitgeber ist dieser Ansatz immer noch ungewohnt. Die SICK AG gehört eher zu der kleinen Gruppe fortschrittlicher Arbeitgeber.


Das Schweigen der Betriebsärzte

Die BDA weiß, dass die Mehrheit ihrer Mitglieder gegen die Bestimmungen des Arbeitsschutzes verstößt. Seit 2005 fällt es schwer, das noch als Versehen zu entschuldigen. Vor diesem Hintergrund wird ein Glaubwürdigkeitproblem von Arbeitgebern (z.B. BDA Geschäftsfüherer Alexander Gunkel) und Betriebsärzten (z.B. Bernhard Koch, Betriebsarzt der Salzgitter AG) deutlich. In einem dpa-Artikel Die Seele kann im Rücken und im Magen wehtun schreibt Anita Pöhlig (2012-02-09):

… Die Salzgitter AG mit rund 25 000 Beschäftigten hat bereits reagiert. «Wir hatten schon immer ein Projekt für Muskel- und Skelettprobleme. In den vergangenen Jahren gab es eine wachsende Anzahl von Mitarbeitern, denen wir trotz guter Physiotherapie und Sportangeboten nicht helfen konnten, das hat unser Interesse geweckt», sagt Betriebsarzt Bernhard Koch. Schnell sei klar geworden, das psychische Probleme dahinter stehen.

Bei Vorsorgeuntersuchungen versuchen Koch und seine sieben Kollegen nun, mit den Beschäftigten ins Gespräch zu kommen. Typische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Gereiztheit werden abgefragt und wie es mit dem persönlichen Eindruck der Leistungsfähigkeit stehe. …

“Typische Beschwerden wie Schlafstörungen oder Gereiztheit werden abgefragt und wie es mit dem persönlichen Eindruck der Leistungsfähigkeit stehe.” Ohne den von den Arbeitnehmern mitbestimmten Einbezug der psychischen belastungen in den Arbeitsschutz ist diese Art von fürsorglicher Belagerung ein die Mitarbeiter noch zusätzlich gefährdender Angriff auf ihre Persönlichkeit und ihre Rechte. Betriebsärzte sind ein Teil des Problems, wenn sie den Beschäftigten mit Vorsorgeuntersuchungen zu Leibe rücken, aber nicht eingreifen, wenn Arbeitgeber ganz offen die Pflicht zur Verhältnisprävention (d.h. zur an den Arbeitsbedingungen ansetzenden Vorsorge) vernachlässigen. Es ist eine verkehrte Welt: Ausgerechnet Ärzte trugen seit 1996 mit ihrer Toleranz gegenüber dem Rechtsbruch der Mehrheit der Arbeitgeber dazu bei, dass die Unternehmen den Arbeitsschutz ungestraft missachten durften. Das Schweigen der Betriebsärzte verletzte die von ihnen betreuten Mitarbeiter. Und heute helfen noch zu viele Betriebsärzte den Unternehmen, die Verhaltensprävention über die Verhältnisprävention zu stellen und damit den ganzheitlichen Arbeitsschutz zu unterlaufen.

Ratschlag an Arbeitnehmer vor dem Besuch beim Betriebsarzt: Trauen sie keinem Arzt, der nicht mit Ihnen zusammen überprüft, ob es zu ihrem Arbeitsplatz eine ordentlich und mitbestimmt erarbeitete Gefährdungsbeurteilung gibt. Das ist nicht vertraulich, denn es geht nicht um ihr persönliches Seelenleben, sondern um Ihre Arbeitsbedingungen. Darum können Sie sich bei der Diskussion der Gefährdungsbeurteilung von einem Betriebsratsmitglied begleiten lassen.

 
Gemeinsame Positionen vom VDBW mit …

Denkt Dr. Pawelzik chinesisch?

Mittwoch, 1. Februar 2012 - 23:07

Markus R. Pawelzik ist Autor von Papieren wie Positive Psychologie, Glück ist machbar!, Mentalisierungsbasierte Psychotherapie, Einführung in die mentalisierungsbasierte Psychotherapie usw. Auch ist der Arzt Leiter der EOS-Klinik für Psychotherapie in Münster, deren Träger die konfessionelle geprägte Alexianer-GmbH ist.

Im MERKUR vom 2. Februar schrieb er von Seite 123 bis 134 in Zur aktuellen Burnout-Epidemie auch Sätze wie diesen:

… Blicken wir nach China, so ist festzustellen, dass es dort unsere Volkskrankheit Depression kaum zu geben scheint. Depressiv zu sein gilt in China als unanständig. Psychosozial belastete Chinesen leiden stattdessen an einer Art Neurasthenie, bei der körperliche Erschöpfungssyndrome im Vordergrund stehen. … 

Es ist festzustellen, dass dort, wo Chinesen freier sprechen dürfen und nicht als Abweichler in die Anstalten linientreuer Psychiater gesteckt werden, zu den körperlichen Erschöpfungssyndromen dann doch noch Äußerungen zum seelischen Befinden dazu kommen. Depressive in Taiwan unterscheiden sich nicht grundsätzlich von Depressiven, sagen wir mal, in Deutschland. Ich glaube, dass man dazu selbst mit Google mehr lernen kann, als mit Chinesenklischees.

Der Beobachtungsansatz in der Volksrepublik ist ähnlich dem Ansatz deutscher Unternehmen: Vermeide zu beobachten, was du nicht sehen willst. In Deutschland ist die Beobachtung von psychischen Belastungen aber vorgeschrieben. Wer sich’s leisten kann, ignoriert die Vorschrift einfach. Sie sind Vorzeigevorschriften, an die sich keiner hält, auch das ist “chinesisch”. Nach Leben mit Chinesen in China und Taiwan, dank guter Freundschaften mit Chinesen in Hongkong, den USA und Deutschland sowie nicht zuletzt dank halbchinesischer Familie ist mir klar, wie unterschiedlich Verhalten von Menschen in unterschiedlichen Umgebungen sein kann und wie schnell Menschen auf einen Wechsel der Umgebung reagieren können. Das gilt auch für Arbeitsumgebungen.

Wie “chinesisch” ist Markus R. Pawelzik bei der Auswahl der Argumente für seine in Münster gepflegte Sichtweise? Warum geht er nicht auf darauf ein, wie Unternehmen die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz ganz einfach ignorieren? Ist das Burnout vieler Arbeitnehmer nicht schon deswegen wahrscheinlich, weil sich viele Arbeitgeber angestrengt bemühen, mögliche Fehlbelastungen nicht deutlich werden zu lassen?

Da gibt es ein Gegenmittel: Ebenfalls in Münster promovierte ja Niklas Luhmann, von dem man den Trick lernen kann, schwer Beobachtbares durch die Beobachtung der Beobachter herauszufinden. Genau so gut geht das, wenn man beobachtet, wie Leute darauf achten, etwas nicht zu beobachten, zum Beispiel Leichen im Keller. Wer den Burnout-Begriff lächerlich macht und ausgebrannte Patienten “Schicksalsuntauglichkeit” so andichtet, wie der Arzt Markus Pawelzek, der will sich vermutlich gar nicht richtig für die Belastungen interessieren, denen seine Patienten heute ausgesetzt sind.

Wie beobachtet der Arzt die Belastungsquellen in der von ihm geführten Klinik? Das Hauptgegenmittel gegen Beobachtungsvermeinder ist natürlich die solide Arbeit der Arbeitsschützer und der Arbeitnehmervertreter - allerding nur dort, wo es sie gibt. Die Beobachtungsinstrumente gibt es schon lange genug.

Markus Pawelzik unterstellt Burnout-Bekämpfern Dinge, die sie gar nicht behaupten, um sie dann zu kritisieren:

… Gleichwohl ist die Unterstellung, Stressoren und Stressreaktionen stünden in einem linearen Zusammenhang, unzutreffend. …

Der Arzt hat wenig Ahnung, wie im modernen ganzheitlichen Arbeitsschutz gedacht und gehandelt wird. Da ist längst klar, das auch Unterforderung ein Stressor sein kann. Wie ein Laie macht es sich der Arzt einfach, auf das “illnes behaviour” zu verweisen, und entdeckt eine zunehmende “Schicksalsuntauglichkeit”. Das ist fast schon eine Frechheit, denn viele Fehlbelastungen im betrieblichen Alltag sind kein Schicksal, sondern Folge von Schlamperei und Unehrlichkeit bei der Planung und der Führung von Prozessen und Projekten. Das schadet nicht nur den Mitarbeitern, sondern dem Geschäft des Unternehmens.

Gut wäre der Artikel, wenn er erläutern würde, dass “Burnout” der falsche Begriff für die richtige Epidemie ist, die aber (erst 15 Jahre nachdem das heutige Arbeitsschutzgesetz erlassen wurde) durch den Burnout-Begriff Aufmerksamkeit erhielt. Das ist einerseits zwar nicht ungefährlich für das Verständnis von Erschöpfungsdepressionen, aber andererseits leider wohl doch notwendig gewesen. Immerhin haben jetzt zwei führende Politikerinnen den gewohnheitsmäßigen Rechtsbruch der Mehrheit der Unternehmen angesprochen. Eine von ihnen rief sogar nach “Burnout-Detektiven“. Wenn wenigstens die Leute von der Gewerbeaufsicht oder der Berufsgenossenschaft kämen und dort genauer hinsähen, dann wäre das auch schon ganz in Ordnung.

Nun kommt der Höhepunkt:

… Ärzte und Lobbyisten sind steht bemüht,
im “Dienste des Volks” neue Geschäftsfelder aufzutun. …

Markus R. Pawelzik ist auch Arzt. Er deutet an, dass hinter der Burnout-Epidemie Geldmacherei stecke. Wie jemand mit dem Burnout-Begriff (in durchaus anständiger Weise) Geschäfte macht, kann Markus R. Pawelzik in der Burnout-Broschüre einer Klinik nachlesen, die von einem Markus R. Pawelzik geleitet wird: http://www.eos-klinik.de/fileadmin/user_upload/burnout_broschuere.pdf

Übrigens: Ein Leiter eines Krankenhauses ist verantwortlich für die vorschriftsmäßige Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in seiner Klinik. Und im Arbeitsschutz wird nicht nach “auffälligen” Mitarbeitern gefragt, sondern nach auffälligen Arbeitsplätzen. Wie sehr mögen Chefs diese These? Führungskräfte ahnen/wissen, dass es bei ggf. erforderlichen Veränderungen häufig ans Eingemachte geht – Organisation, Personaleinsatz/ -entwicklung, Führung/ Kommunikation – und man dieses (Diskussions-)Risiko scheut. Ich bin neugierig, wie es in der Klinik zugeht, die Markus Pawelzik leitet. Gingen dort mitbestimmte Gefährdungsbeurteilungen ans Eingemachte?

Fürsorge mit Geschmäckle

Samstag, 28. Januar 2012 - 15:39

http://static.dgfp.de/assets/publikationen/2011/Umgang-mit-psychischer-Beanspruchung-Leitfaden.pdf

Mit psychisch beanspruchten Mitarbeitern umgehen –
ein Leitfaden für Führungskräfte und Personalmanager

PraxisPapier 6 / 2011
DGFP e.V. (Hg.)

Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. • Düsseldorf • ISSN 1613-2785

Siehe auch: http://blog.psybel.de/leitfaden-zum-umgang-mit-psychisch-beanspruchten-mitarbeitern/

Das ist ein hilfreiches Papier der DGFP zur Verhaltensprävention (oder für den Fall, das es für Prävention schon zu spät ist).

Genau genommen geht es dabei um alle Mitarbeiter, weil psychische Beanspruchung ein Kennzeichen fast jeder Arbeit ist, genauso wie psychische Belastung. Was wir nicht wollen, ist pychische Fehlbeanspruchung und psychische Fehlbelastung.

Mut ihrem Leitfaden erweckt die DGFP den Eindruck, sie wolle sich fürsorglich und verantwortungsvoll um Arbeitnbehmer kümmern.

Die von der DGFP empfohlene Fürsorge hat ein Geschmäckle: Die Zuwendung zum einzelnen beanspruchten Mitarbeiter verdeckt, dass die meisten Arbeitgeber parallel zur oft überwiegend verhaltenspräventionsorientierten Betrieblichen Gesundheitsförderung ihre im Arbeitsschutz gesetzlich vorgeschriebenen Pflichten bei der Verhältnisprävention vernachlässigen. Der Focus ist nicht auv auffälligen Arbeitsplätzen, sondern auf auffälligen Mitarbeitern. Das erinnert mich dann doch schon an chinesische Verhältnisse: “Auffällige” Menschen landen da ein bisschen zu schnell in der Psychiatrie. Die Partei darf nicht in Frage gestellt werden. In China würde man das vielleicht “Fürsorge – in chinesischer Färbung” nennen.

Das ist keine Polemik: Es ist auch in Deutschland möglich, dass Unternehmen wider besseren Wissens in ihren Gefährdungsbeurteilungen den Eindruck erwecken, dass sie psychische Belastungen beurteilen, obwohl ihnen klar ist, dass sie psychische Belastungen noch nicht in den Arbeitsschutz einbezogen haben. Anstelle von Minderleistungen im Arbeitsschutz identifizieren sie dagegen gerne (ohne eine mitbestimmte Beurteilung der Arbeitsbedingungen) unter ihren Mitarbeitern “Minderleister”. Wenn diese Mitarbeiter nicht “belastbar” sind, trennen sie sich eher von diesen Arbeitnehmern anstatt ihre Pflichten im Arbeitsschutz zu erfüllen.

Das ist möglich, weil die Gewerbeaufsicht zu schwach ist. Mit einer funktionierenden Gewerbeaufsicht, die sich nicht mit auf Vorzeigbarkeit hin optimierten Maßnahmen des Gesundheitsmanagements abspeisen lässt, könnte das heute nicht mehr passieren. Aber die Aufsicht wird (oder wurde bisher) ausgebremst. Schutzgesetze zu schreiben, aber ihre Ausführung auszubremsen, auch das ist eine Methode der kosmetischen 中国特色的Gesetzgebung. (“Auffällig” ist dann der, der Schutzvorschriften ernst nimmt. Diese Einstellung gibt es allerdings auch wieder in Deutschland.)

Braucht die Gewerbeaufsicht erst Beweise, um nach Beweisen zu sehen? Auditoren und Aufsichtspersonen machen ja nicht einmal von der einfachen Möglichkeit Gebrauch, prinzipiell in Unternehmen mit Bildschirmarbeit die Einhaltung der Bildschirmarbeitsverordnung zu überprüfen und die (manchmal nicht mehr versehentliche) Vorlage unrichtiger Arbeitsschutzdokumente zu ahnden.

Wenn sich ein korrumpierter Arbeitsschutz mit einer auf Vorzeigbarkeit getrimmten Betrieblichen Gesundheitsförderung trifft, dann kann sich Fürsorge schnell in Mobbing verwandeln.

Richtig und falsch

Montag, 23. Januar 2012 - 07:52

Nachdem “Burnout” nach langem Wegsehen zu einem Thema wurde, wird es nun zum “Modethema” erklärt.

http://www.news4teachers.de/2011/11/modekrankheit-burnout-experte-warnt-vor-fehldiagnosen/

Modekrankheit Burnout: Experte warnt vor Fehldiagnosen

LEIPZIG. Prof. Dr. Ulrich Hegerl, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, hat vor dem “inflationären Gebrauch des schwammigen Begriffs Burnout” gewarnt. Dies könne dazu führen, dass Betroffene verwirrt und möglicherweise falsch behandelt würden.


“Auch wenn ausnahmslos jede Depression mit dem tiefen Gefühl der Erschöpftheit einhergeht, ist jedoch nur bei einer Minderheit der depressiv Erkrankten eine tatsächliche Überforderung der Auslöser der Erkrankung”, sagt der Direktor der Klinik für Psychiagtrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. “Bei zahlreichen Menschen mit einer depressiven Episode ist beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser festzustellen. Viele depressiv Erkrankte fühlen sich in einer schweren depressiven Episode zu erschöpft, um ihrer Arbeit nachzugehen, ja um sich selbst zu versorgen; nach erfolgreicher Behandlung und Abklingen der Depression empfinden sie die zuvor als völlige Überforderung wahrgenommene berufliche Tätigkeit wieder als befriedigenden und sinnvollen Teil ihres Lebens”, erklärt der Arzt.

Mehr Schlaf hilft Depressiven nicht

Mit dem Begriff Burnout sei die Vorstellung verbunden, dass langsamer treten, länger schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien seien. Hegerl: “Verbirgt sich hinter diesem Begriff eine depressive Erkrankung, so sind dies jedoch oft keine empfehlenswerten und oft sogar gefährliche Gegenmaßnahmen.” Menschen mit depressiven Erkrankungen reagierten auf längeren Schlaf und eine längere Bettzeit nicht selten mit Zunahme der Erschöpftheit und Stimmungsverschlechterung. Dagegen sei Schlafentzug eine etablierte antidepressive Behandlung bei stationärer Behandlung.

  • Richtig ist, dass falsche Diagnosen schädlich sind. Burnout (Ausgebrannt sein, ICD-10:  F73.0) ist sogar ein Ausschlusskriterium für das Erschöpfungssyndrom (F48.0). Ausgebranntsein wird aber auch als eine mögliche Ursache des Depersonalisierungssyndroms (F48.1) genannt.
  • Falsch ist (aus der Sicht des Arbeitsschutzes) die Behauptung, dass mit dem Begriff Burnout die Vorstellung verbunden sei, dass langsamer treten, länger schlafen und Urlaub machen gute Bewältigungsstrategien seien. Professionellen Arbeitsschützer sind solche Amateurempfehlungen fremd. Die Schädlichkeit auch von Unterforderung ist im Arbeitsschutz längst bekannt. Bessere Arbeit ist nicht notwengigerweise weniger Arbeit. Prof. Hegels Behauptungen birgt (von Prog. Hegerl wohl nicht beabsichtigte) die Gefahr in sich, dass denjenigen, die sich z.B. als Aufsichtspersonen, Betriebsräte oder Arbeitsschützer gegen psychische Fehlbelastungen bei der Arbeit im Betrieb wenden, ein fehlendes Wissen über Fehlbelastungsursachen und geeignete Gegenmaßnahmen unterstellt wird. Der Arbeitsschutz würde dann eristisch  für Ansichten kritisiert, die sich nicht Arbeitsschützer, sondern erst ihrer Kritiker ausgedacht haben.
  • Richtig ist, dass sich die Belastungen in der Arbeitswelt in den letzten Jahren beträchtlich verändert haben. Die Arbeitsdichte, die Komplexität der Aufgaben, die Anforderungen an Effizienz und generell die psychosozialen Kosten turbulenter Veränderungen sind spürbar gestiegen.
  • Falsch ist es, zu sagen, das zu einem Sachverhalt “beim besten Willen kein bedeutsamer Auslöser festzustellen” sei, wenn dieser Sachverhalt nicht diszipliniert beobachtet wird. Richtig ist nämlich, dass nicht nur dieser beste Wille nicht existiert, sondern dass in großen Teilen der Arbeitswelt sogar nachhaltig und regelwiedrig versucht wurde, die seit 1996 vorgeschriebene Beurteilung von psychisch wirksamen Belastungen zu vermeiden. (Siehe auch: Friedrich Hauß, Arbeitsbelastung und ihre Thematisierung im Betrieb, 1983/1997.)

Wirklich ein Nervenarzt?

Mittwoch, 18. Januar 2012 - 22:44

http://derstandard.at/plink/1326503017843?sap=2&_pid=24470401#pid24470401

horse with no name
18.01.2012 16:11

Als Nervenarzt erlaube ich mir anzumerken, dass die permanente Propagierung des Burn-out-Begriffes durch “Experten” aus verschiedenen Interessensgruppen (Psychiater, Psychologen, Psychotherapeuten, Gesundheitsökonomen, Arbeitnehmervertreter, etc.) und der willige und kritiklose Transport dieser Inhalte durch die Medien wesentlich zum derzeitigen Zustand beigetragen haben. Das “Burn-out” ermöglicht es jedem, den Grund für seine Unzufriedenheit mit der Lebenssituation, egal welche Gründe sie nun wirklich hat, ausschließlich in der Arbeitssituation zu verankern und sich gleich selbst eine psychiatrische Diagnose zu stellen. Und die “Märkte” haben auch sofort darauf reagiert: Die vielen “Burn-out-Kliniken” sind ja kein Zufall…

Ich zitiere diesen Beitrag aus einem Diskussionsforum des österreichischen Standard, um einmal zu zeigen, wie und mit welchen rhetorischen Kunstgriffen über das Burn-out-Thema immer noch diskutiert wird. Ob dieses Beispiel eristischer Argumentation aber wirklich von einem echten Nervenarzt geschrieben wurde, können wir natürlich nicht wissen.

Depression und Burn-out

Dienstag, 3. Januar 2012 - 14:50

http://www.arbeit-und-gesundheit.de/webcom/show_article.php/_c-745/_nr-5/_p-1/i.html


[DGUV Arbeit & Gesundheit:] Antriebsschwäche gibt es also bei beiden Syndromen gleichermaßen?
[Marlene Hupke:] Nur auf den ersten Blick. Es gibt einen interessanten Unterschied: Burn-out-Betroffene leiden nicht unter einer generellen Antriebsschwäche. Vielmehr wissen sie, dass es sie zu stark erschöpfen würde, abends noch ein Konzert zu besuchen oder Freunde zu treffen. Sie meiden bewusst zusätzliche Belastungen.

[DGUV:] Depressiv Erkrankte leiden gar nicht so sehr unter Erschöpfung …
[MH:] Genau das haben wissenschaftliche Analysen gezeigt: Personen, die an Depressionen erkrankt sind, leiden nur zum Teil auch unter emotionaler Erschöpfung – dem Kernsymptom des Burn-outs.

Das Interview hatte “Flow” zum Thema. Siehe dazu auch: Mihály Csíkszentmihályi

Zermalmt von der Last

Freitag, 30. Dezember 2011 - 06:53

Interessanter Aspekt: Belastung zur Rechtfertigung absurder Einkünfte.

Jean-Martin Büttner, Berner Zeitung, 2010-01-09
Interview mit Thomas Knecht
Sie kommen, nehmen und gehen wieder
http://www.bernerzeitung.ch/wirtschaft/unternehmen-und-konjunktur/
Sie-kommen-nehmen-und-gehen-wieder/story/13502254


Oft fühlen sich die Täter [narzistische Manager] als Opfer und reden von ihrer Verantwortung. Damit rechtfertigen sie Jahreslöhne in mehrfacher Millionenhöhe.

Das ist ein kampfrhetorisches Manöver. Um dermassen absurde Einkünfte zu rechtfertigen, reicht der Hinweis auf die Intelligenz und Arbeitsleistung nicht mehr. Man braucht eine pseudomoralische Rechtfertigung, die zugleich die eigene Grandiosität ausdrückt, im Sinne: Wenn ich das nicht täte, würde das ganze System zusammenbrechen. Ich werde als Verantwortungsträger fast zermalmt von der Last, aber ich tue das für euch, nicht für mich. Ich opfere mich auf für die Gemeinschaft.

Selbstständigkeitsverlust macht krank

Mittwoch, 7. Dezember 2011 - 14:01

http://umsetzungsblog.de/2011/12/02/burnout-auswege/


Gefühlter Selbstständigkeitsverlust verschlechterte die persönliche Zufriedenheit und erhöhte die Mortalität. Diesen Effekt haben verschiedene Wissenschaftler mit eigenen Studien bestätigt.

Gejammer: Die Not der Psychiater

Freitag, 25. November 2011 - 06:23

Andreas Meißner ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in München. Auch ist er
Mitglied im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft Münchner Nervenärzte und Psychiater. Er schreibt heute in der Außenansichten-Rubrik (Seite 2) der Süddeutschen Zeitung unter dem Titel Die Not der Psychiater:

Alle reden vom Burn-out, kaum einer von den Menschen mit Psychose oder Depressopn. Patienten und Helfer bleiben allein. …

… Studien haben gezeigt, dass ein Viertel der psychisch Kranken eine Psychotherapie machen, was jedoch drei Viertel des zur Verfügung stehenden Budgets verschlingt. Die anderen 75 Prozent der Patienten werden dagegen durch Nervenarzte und Psychiater behandelt – ihnen stehen lediglich die restlichen 25 Prozent des entsprechenden Honorartopfes zur Verfügung. Dadurch wächst die Gefahr, dass die psychotherapeutische Behandlung oft leichter, dafür eloquenter psychisch Kranker, die meist noch über ein stabiles soziales Netz und einen Arbeitsplatz verfügen, vieles an Ressourcen verbraucht. Ressourcen, die dann fehlen für die psychiatrische Versorgung von Patienten mit ausgeprägten Störungen wie schweren Depressionen und Psychosen.

Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen sind daher gefordert, die Schieflage in der Versorgung psychisch Kranker zu korrigieren …

Wenn Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen, Psychiater und Journalisten (auch der SZ) ihren Job ordentlich machen würden, dann wäre die seit vielen Jahren auch von den Kassen und Journalisten tolerierte Mißachtung der Pflicht der Unternehmen zum Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz längst deutlich thematisiert worden. Die Krankenkassen (und damit ihre Kunden) hätten weniger Kosten und auch der von Andreas Meißner angepeilte nicht durch Fehlbelastungen am Arbeitsplatz geschädigte Rest der psychisch Erkrankten hätte weniger Wartezeiten in der Psychotherapie und der Psychiatrie. Andreas Meißner müsste dann auch nicht so sehr über fehlende Ressoucen jammern, die ihm die Psychotherapeuten mit ihren “eloquenten” Klienten angeblich wegschnappen.

(Nachtrag, 2011-11-28: Zum Burnout einer großen Gruppe von weniger “eloquenten” Betroffenen gibt es interessante Anmerkungen von Prof. Johannes Siegrist ab 53m30s im Podcast einer Sendung Ständig unter Druck bei dradio.de. Und noch etwas: “Der Trend ist klar. Und es trifft durchweg den Otto Normalverbraucher, der [wegen Burnout] dann still und heimlich und mit Abschlägen in der Erwerbsminderungsrente verschwindet.”)

Besonders erstaunlich finde ich in Andreas Meißners SZ-Beitrag, dass der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie anscheinend Psychotherapie nicht versteht:

… Dabei wäre oft gar nicht gleich eine tiefgehende Psychotherapie nötig, wie sie mit durchschnittlich 40 Stunden durchgeführt wird und mit einem festen Satz von 80 Euro pro Stunde schnell hohe Kosten verursacht. Nicht jeder Burnout-Betroffene muss seine Kindheit aufarbeiten – nicht jeder will das auch. …

Meißner hat wohl nicht bemerkt, dass schon seit einiger Zeit auch nicht jeder Psychotherapeut die Kindheit seiner Klienten aufarbeiten will. Kennt Meißner in der Psychotherapie nur die Psychoanalyse? Warum unterschlägt er das ganze Spektrum der verhaltenstherapeutischen Therapien? Damit schreckt Meißner Menschen vor der Psychotherapie ab, die eine Psychoanalyse weder brauchen noch wollen.

Erschöpfung

Donnerstag, 8. September 2011 - 17:08

http://www.psychiater-psychotherapie.com/?p=20406&lang=de

Der Zustand der Erschöpfung ist ein klinisches Phänomen. In der Medizin unterscheidet man eine körperliche Erschöpfung von einer psychischen Erschöpfung. Bei der körperlichen Erschöpfung stehen körperliche Symptome und Phänomene im Vordergrund, bei der psychischen Erschöpfung psychische Symptomen und psychische Phänomene.

Der Begriff der Erschöpfung ist in der Medizin nicht näher definiert. Auch in der Psychiatrie ist der Begriff der psychischen Erschöpfung nicht näher definiert.

Man kann dazu jedoch auf der Grundlage der klinischen Erfahrung nachfolgendes sagen:

Physiologisch betrachtet handelt es sich bei einer köperlichen Erschöpfung um einen Zustand, wie er nach extremer körperlicher Belastung aufgetreten ist und zu einer Abweichungen in der Stoffwechsellage geführt hat. Diese Abweichung in der Stoffwechsellage ist also in Folge der maximalen Belastung, also in Folge des Verbrauchs von einzelnen Stoffen und dem Anfall von gewissen Stoffwechselprodukten aufgetreten. …

… Bei der psychischen Erschöpfung handelt es sich um einen Zustand, wie er sich nach mehr oder weniger lang andauernder, hoher psychischer Belastung entwickelt hat, und zuerst ein Reizzustand auftritt, der allmählich in einen psychischen Erschöpfungszustand übergeht. Auch hierbei kommt es – so wie bei der körperlichen Erschöpfung – letztlich zu einem signifikaten Leistungsabfall, der dann eben als psychischer Erschöpfungszustand bezeichnet wird. Eine lebensgefährliche Erschöpfung – wie bei der körperlichen Erschöpfung – tritt hierbei in körperlicher Hinsicht allerdings nicht auf. …