Kategorie 'Verhältnisprävention'

Nett, aber kein Arbeitsschutz

Sonntag, 14. Oktober 2012 - 05:31

http://derstandard.at/1348285103865/Arbeitsmediziner-Nutzen-nicht-nur-laestige-Pflicht

… Der Arbeitsmediziner dürfe nicht nur als der “Hausdoktor” eines Betriebes gelten, sondern es müsse selbstverständlich seien, welch wichtige Rolle ihm in Hinsicht auf Prävention zukomme. “Das ist auch praktischer Nutzen für die Wirtschaft, nicht nur lästige Pflicht”, so Klien in Hinblick auf die stetig steigenden Ausfälle von Arbeitnehmern durch psychische Erkrankungen. Es gebe Firmen, die böten zwar psychische Betreuung für Mitarbeiter an, was “nett ist, aber nichts an den Arbeitsbedingungen ändert”. …

GDA-Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz

Sonntag, 7. Oktober 2012 - 11:25

http://www.gda-portal.de/de/Betreuung/Leitlinie-PsychBelastung.html

Leitlinie Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz
Stand: 24. September 2012
Herausgeber:
Nationale Arbeitsschutzkonferenz

Inhaltsverzeichnis:

1. Vorwort
2. Einleitung
3. Ziele und Zielgruppe
4. Beratung und Überwachung
4.1 Personelle Rahmenbedingungen
4.1.1 Rollenverständnis
4.1.2 Qualifikation
4.1.3 Personelle Ressourcen
4.1.4 Zwei-Ebenen-Modell der Beratung
4.2 Vorgehen im Betrieb
4.3 Verwaltungshandeln
5. Anhang
5.1 Rahmenkonzept „Qualifizierung des Aufsichtspersonals“
5.2 Instrumente und Methoden
5.3 Checkliste: „Merkmalsbereiche und Inhalte der Gefährdungsbeurteilung“
5.4 Checkliste: „Prozessqualität der Gefährdungsbeurteilung“
5.5 Glossar

 
Weitere wichtige Grundlagen:

Arbeitsschutz verkehrt

Sonntag, 9. September 2012 - 22:53

Seiner Tradition folgend, hilft das von Daniel Bahr (FDP) geleitete Bundesgesundheitsministerium den Unternehmen, die im Arbeitsschutz nachrangige Verhaltensprävention als förderungswürdigen Beitrag zum Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz zu verkaufen. Das BMG behauptet, das folgende Projekt gehöre in den Bereich der “psychischen Belastung”. Das ist verkehrt. In dem Siemens-Projekt geht es vorwiegend um den Umgang mit individuellen Beanspruchungen. Ich vermute, dass die Fachleute im Ministerium, wissen, dass sie hier die verkehrten Begriffe verwenden. Als Politiker arbeiten sie aber auch an der Umdeutung des Arbeitsschutzvokabulars.

http://mobile.bundesgesundheitsministerium.de/index.php?id=5678

Projekte im Bereich Psychische Belastung
Förderung psychischer Gesundheit in der Arbeitswelt – Siemens Healthcare und Siemens-Betriebskrankenkasse

Unternehmen: Siemens Healthcare
Beschäftigte:
Zielgruppe: Mitarbeiter mit Führungsverantwortung in der Produktion und Verwaltung, mittlere Leitungsebene
Laufzeit: Start: 05/2009; Laufzeit: 10/2009–07/2010

In Schulungen und Coachings wurden Führungskräfte zur eigenen psychischen Gesundheit und zum Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitern trainiert. In den einzelnen Trainingsmodulen wird der Umgang mit der eigenen Gesundheit und dem eigenen Stressverhalten, sowie dem Umgang mit der Gesundheit der Mitarbeiter thematisiert. Auch Stressbewältigung und Ressourcenmanagement sind fester Bestandteil der Schulungen. Zu Beginn wurde mithilfe einer Arbeitsunfähigkeitsanalyse der Handlungsbedarf ermittelt und im Arbeitskreis Gesundheit eine Strategie hierzu entwickelt. In einer Voranalyse mittels evaluierter Fragebögen wurden die Handlungsschwerpunkte festgelegt und in einem Workshop die betreffenden Inhalte für zwei Seminare abgeleitet. Themen der beiden Seminare waren „Persönliches Stress- und Ressourcenmanagement“ und „Umgang mit psychisch belasteten Mitarbeitern“. Mithilfe von Zwischen- und Posttests durch Fragebögen und Einzelgespräche zur Wissensvermittlung und dem Umgang mit Stress wurden weitere Handlungsempfehlungen gegeben und das Projekt evaluiert.

(Hervorhebungen nachträglich vorgenommen)

Das Ministerium betreibt Desinformation. Hier geht es nicht um “Projekte im Bereich Psychische Belastung” im Sinn des Arbeitsschutzes. Anstelle die Einhaltung der Vorschriften voranzutreiben, beteiligt sich das Ministerium zusammen mit Unternehmen an einer Begriffsverwirrung.

Diese Seminare können ja wohl nicht die im Arbeitsschutz vorgeschriebenen Unterweisungen gewesen sein sein. Hoffentlich wurde dieses verhaltenspräventiv ausgerichtete Projekt nicht mit Steuergeldern gefördert, solange nicht zuerst die Verhältnisprävention funktioniert.

Das Arbeitsschutzgesetz verlangt, dass individuelle Schutzmaßnahmen nachrangig zu anderen Schutzmaßnahmen sind. Unternehmen, die die auf das Individuum ausgerichtete Verhaltensprävention über die an Unternehmensprozessen ansetzende Verhältnisprävention stellen, stellen sich damit gegen die Grundsätze des Arbeitsschutzes. Als primäre Prävention haben Unternehmen der Verhältnisprävention Vorrang vor der Verhaltensprävention zu geben.

Im Arbeitsschutz kommen nicht die Mitarbeiter, sondern die Arbeits- und Leistungsbedingungen auf die Couch.

Siehe auch: http://mobile.bundesgesundheitsministerium.de/index.php?id=5784

Verhaltens- und VerhÄaltnisprÄavention im Betrieblichen Gesundheitsmanagement: http://blog.psybel.de/moderne-it-arbeitswelt-gestalten/#VFS

Begehungen durch Arbeitsschutzfachleute und den Betriebsrat

Samstag, 23. Juni 2012 - 12:40

Hier finden Sie ein paar Hinweise, worauf bei Begehungen von Arbeitsplätzen hinsichtlich der Qualität von Gefährdungsbeurteilungen zu achten ist.

http://blog.psybel.de/wie-die-aufsicht-prueft/#lv52, LV 52, Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder, darin aus dem Anhang 6 GB-Check Prozessqualität – Arbeitshilfe Interviewleitfaden zur Bewertung des Prozesses der Gefährdungsbeurteilung,  2009, S. 26 und 27:

Beteiligung Führungskräfte: Die mittleren und unteren Führungskräfte wurden bei der Ermittlung und Veränderung psychischer Belastungen beteiligt? 

  • Wie?
  • Melde-/ Beschwerdewesen, durch die Methodenwahl z.B. Fragebogen, Gruppenmoderation, MAG, Einzelinterviews

Planungen: Gefährdungsbeurteilung wurde systematisch geplant.

  • Wer war mit der Umsetzung beauftragt?
  • Wurden Arbeitsbereiche und Tätigkeiten festgelegt?
  • Beurteilungsablauf festgelegt?

Risikofaktoren: Die wesentlichen Risikofaktoren für psychische Fehlbelastung werden berücksichtigt.

  • Abgleich mit Merkmalliste

Vollständigkeit: Alle Arbeitsbereiche und Tätigkeiten wurden auf psychische Belastungen hin beurteilt.

  • Wurden Prioritäten gesetzt?
  • Welche Bereiche wurden ausgelassen?
  • Aus welchem Grund?

Maßnahmenfestlegung: Bei psychischen Fehlbelastungen wurden Maßnahmen festgelegt.

(nachträgliche Anmerkung in eckigen Klammern)
 

Siehe auch:

 
(Aktualisierung: 2012-06-23. Ursprüngliches Datum: 2011-10-21)

Tun und Lassen

Dienstag, 19. Juni 2012 - 00:28

In http://www.arbeitstattstress.de/tag/verhaeltnispraevention/ gibt es gute Blog-Artikel zur Verhaltensprävention und zur Verhältnisprävention. Stephan List bringt es auf den Punkt:

Man muss die Verhältnisprävention tun, ohne die Verhaltensprävention zu lassen.

manager magazin: Burn-out-Ranking

Freitag, 8. Juni 2012 - 23:50

http://www.reif.org/blog/blow-up-des-employer-brandings-manager-magazin-uber-burn-out-falle-der-dax-konzerne/

… In einigen Vorstandsbüros und Employer-Branding-Abteilungen schlugen einige Köpfe auf den Tisch. Das ist der Mega-Blow-up für das Employer-Branding. Das Manager-Magazin titelt in seiner neuesten Ausgabe “Welche Konzerne ihre Mitarbeiter krank machen”. Als Deutschlands erstes Burn-out-Ranking wird der Leitartikel eingeleitet. Bisschen viel Polemik für meinen Geschmack. …

… Solche Berichte sind ein Tritt in die Magengrube des Employer-Brandings. Von solchen Botschaften erholt man sich nicht in einer Woche. Kenne die Zusammenstellung der Studie nicht im Detail. Aber woher kommen die präzisen Angaben und womit lässt sich eine solch konkrete Aussage zur Burn-out-Quote nach Unternehmen mit Zahlen untermauern? …

Die Antwort auf diese Frage von Markus K. Reif interessiert mich auch. Wie mutig sind die Extrapolationen von Asklepios?

 

Suche: http://www.google.de/search?q=Burn-out-Ranking+manager-magazin

Der Schwerpunkt des Heftes 2012-06 ist ein “Burn-out-Ranking” deutscher Unternehmen. Verwendet wurden dabei Daten von Asklepios, “Europas führender privater Klinikkette”. Die Statistik halte ich für zumindest fragwürdig. Der Artikel zum Thema ist aber schon interessant.

S. 108:

… Der Umgang mit Burn-out-Erkrankungen fällt vielen Unternehmen auch deshalb so schwer, weil sich Organisationen zwar ändern lassen, aber die Persönlichkeit des Einzelnen und seine Fähigkeit, mit Stress umzugehen, mindestens ebenso bedeutend sind. …

Organisationen lassen sich ändern? Die große Mehrheit der deutschen Unternehmen hat ja nicht einmal versucht, wenigstens die schon seit 1996 vorgeschriebenen organisatorischen Maßnahmen im Arbeitsschutz auch für die Gefährdungskategorie der psychischen Belastungen umzusetzen. Im Gegenteil, sie verstießen zunehmend vorsätzlich gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Da die Aufsichüberfordert war, war das anscheinend problemlos (also straflos) möglich. So läuft das heute eben.

Herrmann-Josef Lamberti (Personalvorstand der Deutschen Bank) meinte (so das manager magazin auf S. 105), das Thema der psychischen Belastung werde übertrieben und es bestünde kein Handlungsbedarf. Das zu sagen, war wohl keine gute Idee. Ob Handlungsbedarf besteht, hat nämlich in Gefährdungsbeurteilungen beurteilt zu werden, und zwar in einem vom Betriebsrat mitbestimmten Arbeitsschutzprozess nach vom Betriebsrat mitbestimmten Kriterien. Ich hoffe, dass Lamberts Ausführungen die Gewerbeaufsicht und die Berufsgenossenschaft zu häufigen Besuchen bei der Deutschen Bank anregen.

Ob polemisch oder nicht, in einem Punkt haben Eva Buchhorn, Michael O.R. Kröher und Klaus Werle im manager magazin ihre Hausaufgaben gemacht: Sie fragen gezielt nach der Gefährdungsbeurteilung (S. 106):

… Die gezielte Nachfrage seitens mm, ob die Bank das seelische Belastungspotential der Arbeitsplätze analysiere, will die Bank nicht beantworten. Mitarbeitervertreter kritisierten, dass es diese Erhebungen nicht gebe: “Die Bank kuriert nur das Verhalten Einzelner, an den Verhältnissen ändert sich nichts”, heißt es. …

Klartext: Die Bank will nicht sagen, ob sie sich an die Regeln des Arbeitsschutzes hält, und der Betriebsrat sagt, dass in die im Arbeitsschutzgesetz vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilungen psychische Belastungen nicht einbezogen werden, die Bank also die Regeln des Arbeitsschutzes missachtet. Nebenbei wird noch deutlich, dass die Bank aus der Sicht der Mitarbeitervertreter den Mitarbeitern mit individueller Verhaltensprävention zu Leibe rückt, ihnen aber die vorgeschriebene Verhältnisprävention verweigert.

Die Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung gibt es im Prinzip schon seit 1996. Darum vermittelt der folgende Absatz ein falsches Bild (S. 112):

… Dass der Kampf gegen den Burn-out die Unternehmen nicht mehr loslässt, dafür sorgt nun auch die Politik. Nach dem Willen von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen soll die Analyse psychischer Belastungen, wie sie von der Commerzbank bereits realisiert werden, auch an Büroarbeitsplätzen endlich Standard werden - und nicht wie bisher auf Industriejobs beschränkt sein. …

Schon seit 1996 gab es ganz klar keine Beschränkung auf Industriejobs mehr. Hier irrt sich entweder das manager magazin oder die Arbeitsministerin oder beide irren sich zusammen. Es gab hier einmal eine entsprechende Rechtsposition der Arbeitgeber, die aber nicht mit einer Tatsache verwechselt werden sollte. Nach Auffassung beispielsweise der Berufsgenossenschafen ist der Einbezug psychischer Belastungen in die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilungen von Arbeitsplätzen schon seit langer Zeit der Standard, dem die Arbeitgeber zu folgen haben. Nur hat die Politik es bisher erlaubt, dass Arbeitgeber nicht belangt werden, selbst wenn sie sich beharrlich den Regeln des ganzheitlichen Arbeitsschutzes widersetzen.

http://www.manager-magazin.de/unternehmen/karriere/0,2828,834827,00.html

… Und von einem strategischen Gesundheitsmanagement, das etwa auch die Risiken analysiert, am Arbeitsplatz psychisch zu erkranken, sind viele Firmen noch weit entfernt. …

manager magazin online beschreibt hier einen nachhaltigen Verstoß vieler Firmen gegen die Regeln des Arbeitsschutzes. Für diese anarchischen Zustände trägt auch die Ärztin Ursula von der Leyen (zusammen mit ihren Vorgängern) eine Mitschuld..

 

Noch etwas zum manager magazin selbst: Mir schien bisher, es gäbe ein Tabu-Thema in Redaktionen: Missachtung des Arbeitsschutzes. Aber siehe da (S. 106):

… Und die Medien, die sich in zahllosen Beiträgen am Thema [Burn-out] abarbeiten, sitzen selbst im Glashaus: Die Burn-out-Quote der Branche soll etwa doppelt so hoch sein wie im Durchschnitt aller Beschäftigten. …

Hier nun kann sich das manager magazin kleine Seitenhiebe auf Mitbewerber nicht verkneifen. Im Editorial arbeitet Arno Balzer (der Chefredakteur des Magazins) mit Lust am eigenen Employer-Branding (S. 5):

… In unserer Branche ist die Quote nach Asklepios-Schätzung rund doppelt so hoch wie in der übrigen Wirtschaft. Besonders stark betroffen sei der Axel-Springer-Verlag, gefolgt vom Norddeutschen Rundfunk. Die Spiegel-Gruppe, in der auch manager magazin erscheint, weist nach Asklepios-Angaben wenige Stresspatienten auf. …

 
Das Stichwort “Geschichte” ordnete ich auch diesem Artikel zu, weil hier erstmalig ein Überblick über die Zustände in einzelnen deutschen Unternehmen veröffentlicht wurde. Die Statistik selbst ist mit Vorsicht zu genießen, aber dass das “Burn-out”-Thema einmal in dieser Weise thematisiert werden wird, hätten wir uns vor vielleicht fünf Jahren wohl so noch nicht vorgestellt.

 
Fortsetzung: http://blog.psybel.de/2012/06/15/massnahmen-der-dax-unternehmen/

 
-> Andere Artikel zum Thema

Präventive Arbeitsgestaltung
unter Nutzung von §§ 90, 91 BetrVG

Samstag, 10. März 2012 - 11:54

http://www.inqa.de/DE/Mitmachen-Die-Initiative/Foerderprojekte/Projektdatenbank/praeventive-arbeitsgestaltung.html (PDF jetzt in http://www.inqa.de/SharedDocs/PDFs/DE/Projekte/praeventive-arbeitsgestaltung.pdf), Uwe Dechmann, Sozialforschungsstelle Dortmund:

Seit den 70er Jahren gibt es den gesetzlich verankerten gemeinsamen Auftrag für Arbeitgeber und Betriebsrat, arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit bei der Planung und Korrektur von Gestaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Ziel des Projektes war es, die widersprüchlichen Erfahrungen mit diesem Auftrag des Betriebsverfassungsgesetzes (§§ 90 und 91 BetrVG) aufzuarbeiten. Es galt vor allem, die seinerzeitigen Hemmnisse der Kooperation zwischen interdisziplinärer Arbeitswissenschaft und betrieblichen Praxis sowie zwischen den Tarif- und Betriebsparteien herauszuarbeiten und hinsichtlich ihrer gegenwärtigen Geltung abzuprüfen. Eine kritische Aufbereitung dieser Erfahrungen und der Möglichkeiten ihrer heutigen Anwendung soll zur Förderung einer partizipativen Unternehmenskultur beitragen.

Das Projekt gliederte sich in folgende Arbeitspakete:

  • AP 1: Curriculare Bestandsaufnahme des Lehrganges “Menschengerechte Arbeitsgestaltung” des IGM Bildungszentrums Sprockhövel aus den 80iger Jahren sowie der entsprechenden Arbeitshilfen der IGM
  • AP 2: Aufarbeitung und Diskurs um die Anwendung der §§ 90, 91 BetrVG (“gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse”) in den siebziger/ achtziger Jahren hinsichtlich ihrer hemmenden und fördernden Bedingungen
  • AP 3: Menschengerechte Arbeitsgestaltung in der Produktion – arbeitsrechtliche Bewertung und aktuelle Erfahrungen von Betriebsräten und Beschäftigten – Barrieren und Chancen
  • AP 4: Neue Konzepte und Leitbilder der Arbeit: differentielle Teamarbeit und Care
  • AP 5: Modernes Wissensmanagement und Wissenstransfer zwischen Humanisierung und Rationalisierung (Grobkonzept)
  • AP 6: Abschlussbericht mit “Rahmenkonzept Bildungsarbeit”

Das Projekt der Sozialforschungsstelle TU Dortmund wurde in enger Abstimmung und Kooperation mit dem Funktionsbereich Gesundheitsschutz und Arbeitsgestaltung im Vorstand der IG Metall und bezüglich der Bildungsarbeit mit dem Bildungszentrum der IGM Sprockhövel sowie einem interdisziplinären Begleitkreis durchgeführt. Die Laufzeit des Projektes erstreckte sich von August 2009 bis September 2010.

Bewusste Pflichtverletzung seit 2005

Samstag, 3. März 2012 - 08:10

Wer vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.

Richard von Weizsäcker

 
http://blog.psybel.de/praeventive-arbeitsgestaltung-unter-nutzung-von-§§-90-91-betrvg/

Seit den 70er Jahren gibt es den gesetzlich verankerten gemeinsamen Auftrag für Arbeitgeber und Betriebsrat, arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse über die menschengerechte Gestaltung der Arbeit bei der Planung und Korrektur von Gestaltungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Uwe Dechmann, Sozialforschungsstelle Dortmund

Zu viele “Macher” vergessen gerne die Vergangenheit. Sie schauen lieber “nach vorne”, denn sie möchten zwar für ihre Verantwortung sehr gut entlohnt, aber für Pflichtverletzungen nicht verantwortlich gemacht werden. Sie verlangen göttliche Unantastbarkeit:

Gedenkt nicht an das Frühere und achtet nicht auf das Vorige! Denn sehe, ich will ein Neues schaffen.

Jesaja 43, 18 – 19

Who controls the past controls the future. Who controls the present controls the past.

George Orwell

Geschichte, unter die ein Schlussstrich gezogen werden soll, ist in der Regel eben besonders interessant. Geschichte wird ja nicht nur vergessen, sondern auch noch geklittert. Wir schauen schon deswegen in die Vergangenheit, weil beispielsweise unsere Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen heute versucht, die nachhaltige Missachtung der Pflicht zum Einbezug psychischer Belastungen mit “Unwissen und Hilflosigkeit” der Unternehmen zu entschuldigen. Das ist keine Enschuldigung, weil sich zeigen lässt, dass viele Unernehmer wussten was sie taten. Sie ließen das Thema bewusst schleifen und hatten mit ihrem wissentlich gepflegten Unwissen ihre Mitarbeiter die Krankheit getrieben. Dabei mussten politisch ausgebremste Aufsichtsbehörden untätig zuschauen. Unsere wirtschaftliche und politische Elite verletzte dabei nicht nur die Arbeitnehmer, sondern die Anarchie im Arbeitsschutz fügte auch dem Rechtsstaat Schaden zu.

Den ganzheitlichen Arbeitsschutz gibt es seit 1996. Aus den Vorschriften ergab sich damals schon eine Pflicht der Arbeitgeber, psychisch wirksame Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen. Seit dieser Zeit hatten nicht nur ein Großteil der Unternehmer, sondern auch Arbeitnehmervertretungen (Ausnahmen gab es, z.B. die Pionierarbeit des Betriebsrats der SICK AG) und Aufsichtspersonen ihre Lernkurve sehr flach gehalten.

Spätestens seit 2005 war den Arbeitgebern jedoch klar, was sie zu tun haben. Im Jahr 2004 gab es klärende Beschlüsse des Bundesarbeitsgerichts. Die BDA merkte nun, das es brenzlig wurde und veröffentlichte im Mai 2005 die Position der Arbeitgeber zur Bedeutung psychischer Belastungen bei der Arbeit. Zumindest bei größeren Unternehmen war das Thema also seit 2005 auf ihrem Radar. Aber selbst danach setzten sie nicht einmal das um, was im April 2000 in der eher arbeitgeberorientierten Zeitschrift für Arbeitswissenschaft Leistung und Lohn beschrieben wurde. Darum gehe ich davon aus, dass seit 2005 viele Arbeitgeber ihre Pflicht zum verhältnispräventionsorientierten Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz vorsätzlich missachteten. Mitverantwortlich ist hier aber auch eine Politik, die im naïven Vertrauen auf das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmen die Aufsichtsbehörden geschwächt hat.

Am Beispiel der BGFE (jetzt in der BG ETEM) kann man sehen, dass auch die Berufsgenossenschaften die von ihnen überwachten Unternehmen auf ihre Pflichten aufmerksam gemacht hatten (2006). Leider führt z.B. die BG ETEM bis heute keine ausreichend gründlichen Prüfungen durch.

In Betrieben mit Bildschirmarbeit kann seit 1996 oft von einer vorsätzlichen Missachtung der Bildschirmarbeitsverordung ausgegangen werden, wenn psychische Belastungen nicht beurteilt wurden. Wurde eine Erfüllung der Bildschirmarbeitverordnung dokumentiert obwohl psychische Belastungen nicht beurteilt wurden, dann ist das eine unwahre Angabe in der Dokumentation des Arbeitsschutzes.

Im Jahr 2010 stellte die BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) fest, dass die große Mehrheit der Arbeitgeber das Thema “Psychische Belastungen” als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung ohne die Impulsgebung durch Gewerkschaften, Betriebsräte bzw. Arbeitsschutzbehörden (vereinzelt) nicht aufgreife. Erst Ende 2011 erkannte die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auch öffentlich, “dass sieben von zehn Unternehmen das Thema [Arbeitsschutzbestimmungen auch mit Blick auf seelische Belastungen] schleifen lassen – meist aus Unwissenheit oder Hilflosigkeit”. Was “schleifen lassen” anbetrifft, hat sie sich noch recht freundlich ausgedrückt; aber mit “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” liegt sie ziemlich daneben, wie der Blick auf die Vergangenheit zeigt.

Meine Kritik richtet sich nicht so sehr gegen die Fachkräfte für Arbeitsschutz in den Betrieben oder gegen Aufsichtspersonen, die diese Betriebe (gelegentlich) besuchen. Das sind oft gutmütige Techniker und Chemiker, die psychische Belastungen überhaupt nicht im Blickfeld hatten. Hier gab es nicht durch Absicht, sondern durch Überforderung bedingte Unwissenheit und Hilflosigkeit. Verantwortlich sind viel mehr die oberen Führungskräfte in den Betriebs- und Behördenleitungen, die trotz Kenntnis ihrer Verpflichtungen diese Unwissenheit und Hilflosigkeit aufrecht erhielten. Die Thematisierung von Arbeitsbelastung wurde geradezu angestrengt vermieden.

Es gibt viele Gründe, die Geschichte der “Unwissenheit oder Hilflosigkeit” (Ursula von der Leyen, Dez. 2011) beim Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz nicht in Vergessenheit geraten zu lassen:

  • Wir können aus Fehlern lernen.
  • Spätestens seit 2005 sparte sich die Mehrheit der Unternehmen die Kosten für den vorgeschriebenen Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz. Dank der dadurch erzielten Einsparungen können Unternehmen sich nun mit überdurchschnittlichen Budgets für einen hochwertigen Arbeitsschutz begeistern, und damit die erforderliche Nacharbeit beschleunigen - ohne jedoch deren Qualität zu mindern.
  • Wenn sich ein Unternehmen dazu entschließt, psychische Belastungen verspätet in den Arbeitsschutz einzubeziehen, können trotzdem die Risiken nicht vergessen werden, denen die Mitarbeiter durch die Pflichtverletzung des Unternehmens zuvor ausgesetzt waren. Zwischen psychischer Verletzung und psychischer Erkrankung können viele Jahre liegen. Eine vollständige Gefährdungsbeurteilung löst noch keine Probleme, sondern sie ist der erste Schritt zu Problemlösungen.
  • Die Gründe für die Missachtung der Regeln des Arbeitsschutzes durch Arbeitgeber müssen verstanden werden. Sind die Regeln nicht umsetzbar und/oder fehlt der Mehrheit der Arbeitgeber der Respekt gegenüber Schutzgesetzten?
  • Außerdem könnte ein Verständnis der Geschichte der mangelhaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes helfen, die Bedeutung von Arbeitnehmervertretungen besser zu verstehen und das (europäische) Entbürokratisierungskonzept zu überdenken, auf dem dieses Gesetz basiert.

Für Betriebe mit kompetenten und durchsetzungsfähigen Arbeitnehmervertretern ist der Gestaltungsspielraum, den ein Rahmengesetz für betriebsnahe Lösungen gibt, eine feine Sache. Dieser Gestaltungsspielraum begründet den an die Arbeitgeber gerichteten Gestaltungsimperativ und die starke Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aber was geschieht in den vielen Unternehmen mit überforderten (und gelegentlich sogar gemobbten) Arbeitnehmervertretungen?

Wie wichtig Betriebsräte im Arbeitsschutz sind, sieht man an einem schönen Beispiel: Belastungen als Thema des Arbeitsschutzes führten kürzlich zur Gründung des ersten Betriebsrats bei Apple in München. Auch das ist ein interessantes Ereignis in der Geschichte des deutschen Arbeitsschutzes.

Siehe auch: http://blog.psybel.de/motivierendevorschriften/

Seminare von GULMO

Samstag, 3. März 2012 - 07:03

Hier ist die Liste: http://www.gulmo.de/aktuelles.html.

Die aktuellen Seminare sind im März. Mein Hinweis ist ein bisschen spät, sorry. Am Seminar “Professionelle Gefährdungsbeurteilung” hatte ich selbst einmal teilgenommen und kann es nur empfehlen.

Auch interessant: http://www.gulmo.de/institut.html

… Dr. Norbert Gulmo war über zwanzig Jahre als Betriebsschlosser tätig, bevor er 1996 in den Betriebsrat eines international tätigen großen deutschen Produktionsunternehmens gewählt wurde. Seit 1998 ist er freigestellter Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender. 2003 hat er neben seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Vorsitzender des Betriebsrats ein Studium der Psychologie mit Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Heidelberg aufgenommen und dort zum Thema Stress bei Arbeitnehmervertretern promoviert. Seit 2007 arbeit er zusätzlich als freiberuflicher Referent und Berater. …

BMAS: Psychische Gesundheit im Betrieb

Dienstag, 21. Februar 2012 - 18:43

http://www.arbeitstattstress.de/2012/02/broschuere-psychische-gesundheit-im-betrieb/

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat eine arbeitsmedizinische Empfehlung zur psychischen Gesundheit im Betrieb veröffentlicht: Psychische Gesundheit im Betrieb – Arbeitsmedizinische Empfehlung.

Die Schrift wendet sich in erster Linie an Betriebsärzte. …

http://www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a450-psychische-gesundheit-im-betrieb.html, S. 23


Ebenso unverzichtbar für das Gelingen ist die gründliche Bedarfsanalyse im Vorfeld. Sie ermöglicht es erst, unternehmensspezifische Programme für alle Interventionsebenen „maßzuschneidern“, die nachweisbar effektiver und nachhaltiger sind. Das Arbeitsschutzgesetz hat 1996 die systematische Beurteilung der Arbeitsbedingungen als zentrale Verantwortung des Unternehmers herausgestellt. Die Gefährdungsermittlung und -beurteilung wird vom Gesetzgeber im § 5 des Arbeitsschutzgesetzes gefordert und ist Aufgabe des Arbeitgebers. Betriebs und Personalräte haben ein Recht auf Mitbestimmung. Unterstützend können betriebliche Experten mitwirken, insbesondere der Betriebsarzt, die Fachkraft für Arbeits-sicherheit und, sofern vorhanden, andere innerbetrieblichen Ratgeber (Sozialberatung, psychologischer Dienst, Sicherheitsbeauftragte, u.a.).

S. 33


Seit langem schon setzt sich der Staatliche Arbeitsschutz mit den Veränderungen in der Arbeitswelt auseinander und spricht die unterschiedlichen thematischen Aspekte psychischer Gesundheit im Betrieb aktiv an, zum Beispiel im Rahmen von Betriebsrevisionen. Der Staatliche Arbeitsschutz zielt im Sinne des Arbeitsschutzgesetzes auf verhältnispräventive Maßnahmen, denn sein Adressat ist in erster Linie der Arbeitgeber, der seinerseits für eine gesundheitsgerechte und sichere Gestaltung der Arbeitsplätze und –abläufe in seinem Betrieb Sorge tragen muss. Entsprechend stehen Primär- und Sekundärprävention im Fokus. Im Blickfeld sind dabei innerbetriebliche Strukturen und Prozesse, die zu einer Verbesserung des Arbeitsschutzes führen. Der staatliche Arbeitsschutz kooperiert aber auch bei flankierenden verhaltenspräventiven Maßnahmen und Konzepten: er ermutigt zu innerbetrieblicher Gesundheitsförderung und dem Aufbau von Gesundheitskompetenz, um so den Präventionsgedanken zu stärken. Die Aufsichtspersonen werden in Zukunft noch stärker prüfen, ob in den Gefährdungsbeurteilungen die im Betrieb existierenden psychischen Belastungen angemessen aufgegriffen werden und die entsprechenden Maßnahmen veranlasst und umgesetzt sind.

(Links und Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Diese Veröffentlichung des BMAS behandelt auch den Arbeitsschutz recht ausführlich.

Siehe auch: