Kategorie 'Thematisierung in Medien'

“Akzeptanz” der Situation

Montag, 28. Oktober 2013 - 08:26

https://plus.google.com/+technikerkrankenkasse/posts/SdC6ZkjsSHS

[...] Das Osnabrücker “Resilienzmodell” konzentriert sich auf sieben Faktoren des menschlichen Lebens. Dazu gehören unter anderem die “Akzeptanz” der Situation, eine “Lösungsorientierung”, aber auch der “Optimismus”.
Professionelles Coaching kann die Einzelperson stärken, was das “Resilienzmodell” auch für Unternehmen interessant macht. [...]

Klar ist es interessant für die das Arbeitsschutzgesetz immer noch mehrheitlich missachtenden Unternehmen, die Opfer ihres Rechtsbruchs für die Abwehr der schädlichen Folgen psychischer Fehlbelastungen verantwortlich zu machen.

Die TKK wirbt in der Meldung für das vom Resilienzzentrum Osnabrück entwickelte “Resilienzmodell” und für einen für Coaches werbenden Artikel in der WELT, in dem man nichts mehr vom kritischen Journalismus merkt.

Statt für Resilienz gegen die Folgen des heute immer noch möglichen Rechtsbruchs zu werben, sollten die TKK und DIE WELT sich diesem Rechtsbruch selbst widmen: Die Mehrheit der Unternehmen beziehen psychische Belastungen nicht verhältnispräventiv in den Arbeitsschutz ein, treiben aber (wenn überhaupt) die Verhaltensprävention vorwärts. Sie brechen damit geltendes Arbeitsschutzrecht. Angesichts des heutigen Kenntnisstandes kann dieser Rechtsbruch nur vorsätzlich sein. Und die Gewerbeaufsicht ist im Kampf gegen diese Anarchie immer noch zu sehr überfordert.

Damit es klar ist: Eine Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes wird nicht akzeptiert.

Thematisierung des Arbeitsschutzes in den Medien

Samstag, 24. August 2013 - 19:46

Heute hat die Süddeutsche Zeitung im Wirtschaftsteil auf fast zwei Seiten über die Verhinderung arbeitsbedingter Erkrankungen geschrieben und es dabei tatsächlich wieder einmal geschafft, den Arbeits- und Gesundheitsschutz fast völlig zu ignorieren. Das ist in den Medien der Normalfall: Die Unternehmen haben es offensichtlich geschafft, mit einem in der Praxis eben doch überwiegend verhaltenspräventiv angelegten “Gesundheitsmanagement” ihre eher ablehnende Haltung zum vorgeschriebenen verhältnispräventiv orientierten Arbeits- und Gesundheitsschutz verschleiern zu können. Die damit verbundene beharrliche Missachtung des Arbeitsschutzgesetzes ist in den Medien kaum ein Thema. (Ich hoffe, dass sich die Initiative Nachrichtenaufklärung oder dgl. einmal näher mit diesem Problem befassen wird.)

Auch gibt es da noch die “Gesundheitsförderung”. Jetzt bin ich einmal derjenige, der hier nicht im Detail darauf eingeht. Suchen Sie selbst. Was das Herz der Journalisten aber vielleicht höher schlagen lassen könnte, wären Reibungsflächen zwischen dem FDP-Gesundheitsministerium (vorwiegend verhaltenspräventive betriebliche Gesundheitsförderung usw.) und dem CDU-Arbeitsministerium (verhältnispräventiver Arbeits- und Gesundheitsschutz).

Ehe ich mich nun weiter über Journalisten beschwere, die komplexen Themen ausweichen, weise ich zur Abwechselung einfach einmal auf ein Beispiel für eine gelungene Thematisierung eines großen Problems im Arbeitsschutzes hin: Die Überforderung der Gewerbeaufsicht. Das Kompliment für gute journalistische Arbeit geht an Thomas Öchsner, ebenfalls von der Süddeutschen Zeitung. Hinweise auf seinen Artikel finden Sie unter dem Stichwort “Bundestagsdrucksache 17/10229″.

Siehe auch: http://wanderseminar.wordpress.com/gesundheit-im-job-grose-unternehmen-werden-aktiv-doch-was-machen-die-kleinbetriebe/

TV: Deutschland im Stress

Sonntag, 14. Juli 2013 - 23:07

http://www.wdr.de/programmvorschau/object4Broadcast.jsp?broadcastId=4329006

Das Erste
Dienstag, 06.08.2013
21:45 bis 22:15
Reportage
Exclusiv im Ersten: Deutschland im Stress
Reise durch ein krankes Land
Deutschland im Stress – Reise durch ein krankes Land
D 2013

Das ARD-Magazin FAKT vom MDR will ‘exclusiv im Ersten’ “offen und schonungslos” zeigen, “welchen Stress Deutschland inzwischen mit dem Stress hat”. Themen wie Arbeitsschutz und Überforderung der Gewerbeaufsicht usw. werden in der Sendung leider nicht behandelt.

Das Ärzteblatt recherchiert

Mittwoch, 22. Mai 2013 - 07:54

http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54378/Psychische-Belastungen-am-Arbeitsplatz-Experten-sehen-dringenden-Handlungsbedarf gibt einen guten und geradezu lehrbuchmäßig ausgewogenen Überblick mit nützlichen Links unter dem Titel “Psychische Belastungen am Arbeitsplatz: Experten sehen dringenden Handlungsbedarf” (2013-05-14).

Keine psychischen Belastungen bei BASF?

Donnerstag, 16. Mai 2013 - 07:15

http://www.salzburg.com/nachrichten/rubriken/bestestellen/karriere-nachrichten/sn/artikel/wenn-die-balance-verloren-geht-59010/

[...] BASF-Personalchefin Anna Gstöttner sagt, dass die Evaluierung zwar ergeben habe, dass es im Betrieb keine psychischen Belastungen gebe, aber dennoch arbeite man mit dem Ergebnis weiter und setze bei Themen an, die am schlechtesten abgeschnitten hätten. [...]

Daran erkennt man, dass die Personalchefin die Grundzüge des Arbeitsschutzes noch nicht ganz versteht. Natürlich haben alle Mitarbeiter psychische Belastungen, sonst hätten sie nichts zu tun. Und ganz ohne Fehlbelastungen kann es auch nicht gehen, das verlangt selbst der österreichische Arbeitsschutz nicht.

Verlangt wird dagegen, dass die in der Gefährdungskategorie “psychische Belastungen” (“mentale Arbeitsbelastung” wäre die bessere Übersetzung von “mental workload” in der ISO 10075) immer wieder unvermeidlich auftretenden Fehlbelastungen mitbestimmt und auditierbar erfasst, bewertet und gemindert werden. Die mentale Arbeitsbelastung (psychische Belastung) selbst abzuschaffen würde bedeuten, jede geistige Arbeit schlechthin abzuschaffen. Ein Unternehmen, in dem es keine psychischen Belastungen gibt, könnte nicht im Markt bestehen.

Der Unterschied von Belastung und Fehlbelastung hat übrigens auch in Österreich im Rahmen der Regeln des Arbeitnehmerschutzes und der wissenschaftlichen Erkenntnisse mitbestimmt gefunden zu werden. Die Presse sollte überprüfen, ob bei Aussagen von Firmenleitungen zur psychischen Belastungen in einem Unternehmen sichergestellt ist, dass auch der Betriebsrat zu diesen Aussagen steht. Unternehmensleitungen machen hier gelegentlich falsche Angaben.

Der Artikel ist trotzdem ganz interessant. Er macht deutlich, dass die Mitarbeiter ein Eindringen des Unternehmens in ihre privaten Angelegenheiten nicht so sehr mögen. Der gesetzlich vorgeschriebene Arbeitsschutz vermeidet ein solches Eindringen. Er nimmt das Unternehmen aber viel mehr in die Verantwortung, als die freiwillige Gesundheitsförderung. Das, was in den Unternehmen oft als Gesundheitsförderung verstanden wird, mischt sich schon eher in das Privatleben ein.

Wieder einmal so ein Artikel …

Freitag, 26. April 2013 - 00:17

… für den zu wenig kritisch recherchiert wurde. In http://www.freiepresse.de/LOKALES/CHEMNITZ/Firmen-investieren-in-Fitness-der-Belegschaft-artikel8361900.php haben sich wieder einmal Journalisten (hier Steffi Hofmannund und Christian Mathea) Verhaltensprävention als gute Tat der Unternehmer verkaufen lassen. Ist ja auch hilfreich, aber ohne Verhältnisprävention (hat Vorrang im von vielen Unternehmen missachteten gesetzlichen Arbeits- und Gesundheitsschutz) kann Verhaltensprävention nicht funktionieren. Ganz kurz kam einmal ein Einwand von Sabine Zimmernann (DGB) in dem Artikel zur Sprache. Danach ging’s gleich wieder um “psychische Probleme”.

Chance in B5aktuell verpasst

Samstag, 20. April 2013 - 23:32

Im Samstagsforum (http://www.br.de/radio/b5-aktuell/sendungen/samstagsforum/samstagsforum108.html) von B5aktuell (Bayerischer Rundfunk) stellte der BR-Nachrichten-Redakteur Daniel Pokraka heute die Frage:

Schlechte Stimmung am Arbeitsplatz – was tun?

Termindruck, Konkurrenzkampf und schlechte Laune – jeder zweite Deutsche empfindet seinen Berufsalltag als hektisch und verbissen. Was kann ich gegen schlechte Stimmung am Arbeitsplatz tun? Wie gehe ich mit schwierigen Chefs und Kollegen um? Wer hilft mir, wenn alles zu viel wird? Antworten auf diese Fragen gibt Dominik Hammer, Arbeitspsychologe beim TÜV Süd in München. Das Samstagsforum. Um 11:20 Uhr und um 13:20 Uhr auf B5 aktuell.

 
Dominik Hammer antwortete, dass es eine Stresszunahme durch rasant zunehmende Arbeitsverdichtung mit den neuen Medien ab 1998 gebe. “Da gab’s dann Handy, Email; da kam richtig diese Tsunami.” Verdichtung ist, wenn man anfängt, Dinge gleichzeitig zu tun. Das führt zur Überforderung. Und Überforderung führt zu Stress. Hammer schließt sein Outlook, wenn er nicht unterbrochen werden will und arbeitet linear, “weil das Multitaskink, das Simultane eben nicht hinhaut.”
        Wenn man nicht mehr weiterkommt, dann gibt es die Überlastungsanzeige an den Vorgesetzten. Viele tun das nicht, obwohl sie es tun sollten, weil sie Angst haben. Im Prinzip läge es irgendwann in der Verantwortung des des Mitarbeiters, “Stop” zu sagen. Man müsse in das gespräch mit dem Vorgesetzten gehen.
        Man kann sich auch außerhalb fachliche Hilfe holen. Zunächst sind Betriebsärzte Ansprechpartner und Arbeitspsychologen. Je nach Schweregrad kann man in eine Praxis gehen. Wenn es schon körperliche Symptome gibt, dann sollte man iunbedingt zum Arzt gehen.
        Das kurze Interview konzentrierte sich zwar in der für viele Journalisten leichter zu handhabbaren Weise auf das Verhalten der von psychischer Fehlbelastung Betroffenen, aber Hammer stellte auch klar: “Manchmal sind die Verhältnisse so, dass man bei aller Verhaltensschulung und bei allen Möglichkeiten trotzdem nicht ‘rauskommt. Dann muss man an den Verhältnissen ansetzen, am Thema Arbeitsorganisation, Abläufe, flexible Arbeitszeit.”
        BR-Nachrichten-Redakteur Daniel Pokraka fragte dann noch, was passiert, “wenn man sagen muss, ich hab’ alles versucht, ich hab’ probiert Arbeitsabläufe zu verändern, ich hab versucht, meine Kollegen irgendwie zu ändern, ich hab’auch versucht, mich selber zu ändern…” Dominik Hammer empfiehlt, mit dem Arzt zu entscheiden, wie es weitergeht.

Der Tenor des Interviews ist leider, dass immer noch die einzelnen Arbeitnehmer den Schwarzen Peter haben. Schade, dass Dominik Hammer nicht darauf hinwies, dass die Verantwortung für die Veränderung von Arbeitsabläufen zu Minderung psychischer Fehlbelastungen beim Arbeitgeber liegt. Dazu hatte ich in arbeitundgesundheit.de noch etwas Passendes gefunden (http://blog.psybel.de/gefaehrdungsbeurteilung-als-lohnendes-betaetigungsfeld-fuer-arbeitnehmervertretungen/):

[...]
Gesundheitsschutz: Besser mit System als von Beschwerde zu Beschwerde

Betriebs und Personalräte kennen es nur zu gut: Kollegen klagen über Probleme am Arbeitsplatz, zum Beispiel über Unzufriedenheit mit dem Verhalten des Vorgesetzten, möchten aber aus Unsicherheit und Angst heraus nicht, dass der Betriebs- oder Personalrat tätig wird. Und die Arbeitgeberseite? Welcher Betriebs- oder Personalrat kennt das nicht? »Nennen Sie mir Ross und Reiter, ansonsten sehe ich keinen Handlungsbedarf«.
[...]

Von einem Nachrichtenredakteur erwarte ich schon gar nicht mehr, dass er daran denkt und sich sich mit den Mängeln im Arbeitsschutz auskennt. Aber gerade ein Arbeitsspychologe des TÜV hätte auch in den knappen neun Minuten des Interviews auf die Rolle der Arbeitnehmervertretungen und die Pflichten der Arbeitgeber hinweisen können. Denn natürlich sind hier auch die Personal- und Betriebsräte wichtige Ansprechpartner für von mit psychischen Fehlbelastungen bedrängte Mitarbeiter. Hammer hat hier eine Chance zur Aufklärung der Öffentlichkeit über die Mängel im Arbeitsschutz und über die Pflichten der (oft noch nicht ausreichend kompetenten) Arbeitnehmervertretungen verpasst.

Podcast (Stand 2013-04-21): http://cdn-storage.br.de/mir-live/MUJIuUOVBwQIb71S/iw11MXTPbXPS/_2rc_H1S/_-9S/_Avp_Ak6/130420_1120_Samstagsforum_Schlechte-Stimmung-am-Arbeitsplatz—was-tu.mp3 (aufgerufen über http://www.br-online.de/podcast/mp3-download/b5aktuell/mp3-download-podcast-samstagsforum.shtml#)

TAZ behauptet Behauptungen

Freitag, 12. April 2013 - 18:41

In der TAZ (http://www.taz.de/Psychische-Belastung-und-Arbeit/!114424/) hängt Barbara Dribbusch das Thema Psychische Belastungen und Arbeit an Jobs für Menschen mit “Macken” auf. Der Psychater Michael Linden fordert “mackengerechte” Jobs. Auf das Hauptproblem geht die TAZ nicht ein: In 80% der Betriebe werden nicht einmal jene Belastungen beurteilt, die von ausgehend von Arbeitsplätzen auf durchschnittliche Mitarbeiter wirken. Diese Unternehmen missachten damit seit 1996 wichtige Regeln des Arbeitsschutzes. Mangels Ressourcen konnten die Aufsichtsbehörden den Einbezug psychischer Belastungen in den Betrieben aber bisher kaum durchsetzen.

 

Psychosoziale Belastungen (bzw. psychische Belastungen im Sinn der ISO 10075: mental workload) sind Gegenstand des gesetzliche Arbeitsschutzes. Im Arbeitsschutz kommen aber nicht die Arbeitnehmer auf die Couch, sondern ihre Arbeitsplätze. Es gibt nämlich auch Arbeitsplätze mit “Macken”. Psychische Belastungen wirken von mehr oder minder gut gestalteten Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen ausgehend auf Menschen. Bildzeitungsmäßig gibt die TAZ dem Thema des ganzheitlichen Arbeitsschutzes ausgerechnet mit dem Geschichtchen eines Menschen mit Angststörungen den falschen Rahmen, und kommt dann in dem Artikel noch zu allgemeingültig klingenden Aussagen.

Die TAZ schreibt:

Macht die Arbeit heute seelisch krank, wie die Gewerkschaften behaupten?

Richtig ist zwar, das es Leute gibt, die das behaupten, auch Gewerkschafter. Das sind aber nicht “die Gewerkschaften”. Aber es ist ein alter Trick, sich Behauptungen “der Gewerkschaften” oder von sonst wem auszudenken, um sie dann widerlegen zu können.

Die Gewerkschaften zeigen, das schlechte Arbeit krank macht. Den Unsinn, dass Arbeit schlechthin krank macht, werden “die Gewerkschaften” nicht von sich geben.

Linden warnt vor den Verallgemeinerungen in der Burn-Out-Debatte, die in der Diskussion aber nicht die entscheidende Rolle spielen:

Man muss aufhören zu sagen, das Leid kommt von der Arbeit.

Wer ist “man”? Linden versucht den Trick wieder und verfälscht Argumente, um sie dann kritisieren zu können. Richtig lautet das Argument: Leid kommt nicht von der Arbeit, sondern von schlechter Arbeit. Das haben übrigens auch die Arbeitgeber bemerkt, denn schlechte Arbeit bereitet auch ihnen Probleme. Woran sowohl sie wie auch die Mitarbeiter sich noch gewöhnen müssen: Was schlechte Arbeit in einem konkreten Betrieb ist, vereinbaren Arbeitgeber und Arbeitnehmervertreter im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes miteinander.

 

Was nun kritisieren “die Gewerkschaften” tatsächlich? Die Gewerkschaften beklagen zusammen mit unterausgestatteten Gewerbeaufsichten, das zu viele Unternehmen die Regeln des Arbeitsschutzes misachten. Das Hauptproblem ist nämlich, dass etwa 80% der Betriebe schon überhaupt nicht hinsehen wollen, wie es bei ihnen zugeht. Entgegen ihren Verpflichtungen beziehen sie psychische Belastungen nicht in die Gefährdungsbeurteilungen ihrer Arbeitsplätze ein. Daran verzweifelt sogar eine überforderte Gewerbaufsicht, was auch TAZler bitte einmal in der Bundestagsdrucksache 17/10229 nachlesen möchten.

Die TAZ schreibt:

Die Gewerkschaften fordern mehr „Gefährdungsbeurteilungen“ für die psychische Belastung in Betrieben. Bei diesen Beurteilungen werden die Beschäftigten unter anderem nach Stressbelastung, Betriebsklima und Führungsstil im Unternehmen befragt. Arbeitsmediziner weisen allerdings daraufhin, dass solche Befragungen angesichts der aktuellen Burn-Out-Debatte einen suggestiven Charakter entfalten könnten.

Das ist schlicht falsch. Die Gewerkschaften fordern nicht “mehr” Gefährdungsbeurteilungen, sondern (zusammen mit den Gewerbeaufsichten) den vielerorts noch fehlenden Einbezug psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung. Missachtet ein Arbeitgeber diese Pflicht, dann begeht er mindestens eine Ordnungswidrigkeit. In dieser Weise verstoßen derzeit die schon genannten 80% der Unternehmen gegen die Vorschriften das Arbeitsschutzes. Diese Anarchie herrscht seit 1996.

Die Gefährdungsbeurteilung ist keine neue Erfindung der Gewerkschaften. Als wesentliche Grundlage für die Ableitung und Durchführung von Arbeitsschutzmaßnahmen braucht die Gefährdungsbeurteilung nicht in ihr von der TAZ verpasten Gänsefüßchen daherzuwatscheln.

Gefährdungsbeurteilungen sind außerdem nicht “solche Befragungen”, sondern eine Befragung ist nur eine von sehr vielen anderen Möglichkeiten, zu einer Gefährdungsbeurteilung zu kommen. Und wenn es Befragungen gibt, dann gibt es auch Verfahren, in denen Mitarbeiter über Fehlbelastungen durch Unterforderung und zu wenig Stress berichten können. So simpel, wie die TAZ das darstellt, ist das Thema nämlich nicht. Bei der Auswertung solcher Befragungen sind dann Organisationspsychologen geeigneter, als eher am einzelnen und zu heilenden Menschen orientierten Psychater.

Die TAZ schreibt ja auch, dass die Beschäftigten zur Beurteilung ihrer Situation “unter anderem” nach Stressbelastung, Betriebsklima und Führungsstil im Unternehmen befragt werde. Dann lässt Barbara Dribbusch die Fehlermöglichkeiten bei Befragungen thematisieren, aber weist nicht darauf hin, wie Psychologen solche Fehler vermeiden können und wie sonst noch “unter anderem” Gefährdungsbeurteilungen (Gefährdungsermittlungen und Risikobewertungen) im Bereich der arbeitsbedingten psychischen Belastungen durchgeführt werden können. Mit ihrer Darstellungsweise stellt sie damit die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen schlechthin in Frage. Was für ein Journalismus ist das?

 
Bitte an die TAZ: Vor dem Schreiben des nächsten Artikels zum Thema der psychischen Belastungen die GDA-Leitlinien lesen: “Beratung und Überwachung bei psychischer Belastung am Arbeitsplatz”, “Gefährdungsbeurteilung und Dokumentation”und “Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes” (http://www.gda-portal.de/de/Downloads/Downloads-Leitlinien.html). Wenn das zu kompliziert ist, dann überlasst das Thema bitte Anderen.

Übrigens: Gäbe es bei der TAZ eine ordentliche Unterweisung der Mitarbeiter (also auch mit Einbezug psychischer Belastungen) und einen Betriebsrat, der bei der Gestaltung und Durchführung dieser vorgeschriebenen Unterweisung kompetent mitbestimmt, dann würde die Autorin des Artikels die Gefährdungsbeurteilung besser verstehen. Auch als TAZ-Genosse wünsche ich mir, dass sich TAZ-Mitarbeiter sich damit ein bisschen besser auskennen.

Hamburg vorne

Samstag, 23. März 2013 - 21:58

http://www.welt.de/regionales/hamburg/article114694097/Dauerstress-im-Buero-soll-bald-Vergangenheit-sein.html

[...] Nun hat auch die Politik das Problem erkannt. Der Hamburger SPD-Senat arbeitet derzeit an einer “Verordnung zum Schutz vor Gefährdungen durch psychische Belastungen bei der Arbeit”. Dieser soll über den SPD-dominierten Bundesrat in den Bundestag gehen und dort, wenn sich die CDU anschließt, zum Teil der Arbeitsschutzgesetzgebung werden – mit möglicherweise revolutionären Folgen für die deutsche Bürowelt.

“Nach 16 Jahren Arbeitsschutzgesetz haben nur wenige Unternehmen eine Strategie, wie sie ihre Mitarbeiter vor Gefährdungen durch psychische Belastung schützen”, sagte Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks der “Welt am Sonntag”. “Aus meiner Sicht müssen Betriebe mehr tun, um psychische Erkrankungen am Arbeitsplatz möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen.” Mittlerweile gebe es für fast alles Verordnungen: für gesundes Sitzen, die Einstellung von Computerbildschirmen, das richtige Heben, so Prüfer-Storcks. Nur für den Schutz vor psychischen Belastungen gebe es keine Vorgaben. [...]

Es geht um die “Anti-Stress-Verordnung”. Hier habe ich manchmal fast eine Arbeitgeberposition: Die Verordnung bringt nur neue Probleme. Die Erfüllung der Detailregelungen ist schwer zu messen. Besser wäre es, die Arbeitnehmervertretungen so zu stärken, dass sie den Ganzheitlichen Arbeitsschutz mit Hilfe der bestehenden Regelungen durchsetzen können.

Manchmal glaube ich aber auch, dass eine Anti-Stress-Verordnung nötig ist. Wenn die Arbeitgeber mit der Mitbestimmung nicht zurecht kommen, die in dem Gestaltungsspielraum der Arbeitgeber begründet ist, dann wird die Anti-Stress-Verordnung kommen. Die Arbeitgeber, die unbürokratische und betriebsnahe Lösungen ohne enge Grenzen wollten, hätten’s dann nämlich gründlich vermasselt.

Siehe auch: http://www.hamburg.de/pressearchiv-fhh/3809176/2013-01-28-bgv-psychische-belastung-arbeitsplatz.html

Fehldiagnose in der Ärztezeitung

Donnerstag, 28. Februar 2013 - 00:46

Ärzte Zeitung, 27.02.2013, Kommentar zu Burn-out von von Sunna Gieseke: Es fehlt die Therapie (http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/versorgungsforschung/article/834375/fehlt-therapie.html):

[...] Der Grund für die Zunahme psychischer Erkrankungen liegt offenbar darin, dass das Bewusstsein für psychische Erkrankungen gewachsen ist – bei Ärzten und Patienten. Entsprechend sind die Diagnosezahlen für diese Leiden deutlich nach oben geschnellt. [...]

Offenbar? Aber man kann in der Ärztezeitung (auch von Sunna Gieseke) dann doch noch nachlesen, was fehlt (http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/versorgungsforschung/article/834368/dak-report-burn-out-keine-volkskrankheit.html):

[...] In den Betrieben habe es hingegen noch kein Umdenken gegeben: Psychische Erkrankungen seien nach wie vor stigmatisiert. Das Verständnis von Kollegen für psychische Probleme werde im Jahr 2012 eher pessimistischer eingeschätzt als 2004, so der DAK-Chef [Herbert Rebscher]. [...]

Die “Stigmatisierung” besteht allerdings darin, dass der Mehrheit der Arbeitgeber der Wille fehlt, sich an die Vorschriften zu halten und auf die Mitarbeiter wirkende psychische Gefährdungen pflichtgemäß zu beurteilen. Rechtsbruch ist für die Unternehmen billiger.