Kategorie 'Bundestag'

Weniger Beanstandungen mit weniger Gewerbeaufsicht

Samstag, 21. Juli 2012 - 00:49

2012-06-17: In verschiedenen Berichterstattungen (basierend auf einer zur Westdeutsche Allgemeine Zeitung gehörenden Quelle?) war zu lesen, dass die Zahl der von den für die Arbeitsschutz-Aufsicht zuständigen Länderbehörden jährlich inspizierten Betriebe von 2005 bis 2010 auf 25 Prozent gesunken sei. Im letzten Jahr dieses Zeitraums sollen nur noch 1220000 Betriebe kontrolliert worden sein.

Hintergrund dieser Entwicklung sei ein deutlicher Personalabbau: Von 2005 bis 2010 sei jede sechste Stelle in der Arbeitsschutz-Aufsicht gestrichen worden. Übriggeblieben waren dann im letzten Jahr dieses Zeitraums noch etwa 3200 Aufsichtsbeamte der Länder, die bundnesweit 4,9% der Betriebe besucht und dabei 509000 Beanstandungen festgestellt haben sollen. Gegenüber dem Jahr 2006 seien das 60% weniger gewesen.

Das sind dann so um die 380 Betriebe, die eine Aufsichtsperson in einem Jahr kontrolliert. Und die soll dann auch noch überprüfen, wie in den Betrieben mit dem Thema der psychischen Belastungen umgegangen wird? Wie sieht es da mit den psychischen Fehlbelastungen aus, denen Ausichtsbeamte selbst ausgesetzt sind? Da stimmt etwas nicht mit der Meldung. Aber dazu komme ich später.

Die Daten wurden in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage genannt. In der Antwort soll es auch geheißen haben, dass dieser Personalabbau “nicht ohne Sorge” betrachtet werde. Sogleich musste ich an die Meldung denken, die ich nach Stöbern in Bundestagsdrucksachen einen Tag zuvor gebracht hatte und schaue noch einmal in die dort zitierte Bundestagsdrucksache hinein. Da meint die um ihre Bürger rührend besorgte Bundesregierung (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf bzw. http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf, 2012-07-03):

Es gibt weder im nationalen Recht noch in europäischen oder internationalen Vereinbarungen konkrete quantitative Anforderungen an den Umfang einzusetzender Personal- oder sonstiger Ressourcen für die Aufsichtstätigkeit, so dass diesbezügliche konkrete Anforderungen an die Länder nicht gestellt werden können. Gleichwohl beobachtet die Bundesregierung den Personalabbau bei der Arbeitsschutzaufsicht der Länder nicht ohne Sorge.

Wie peinlich. Die Regierung findet keine europäischen oder internationalen Vorgaben für sich und macht dann halt nix. Aber die Drucksache ist sehr lesenswert. Interessant ist dabei, dass es um das Arbeitsschutzthema “psychische Belastungen” ging. Auch wurde nicht berichtet, wer die Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt hatte. Was sind denn das für Journalisten? Liebe blog.psybel.de-Leser, nehmen Sie sich doch mal Zeit für die ganze Bundestagsdrucksache und überprüfen Sie die oben angegebenen Zahlen.

Im Jahr 2010 haben die Aufsichtsbeamtinnen und -beamten der Länder insgesamt 300252 Besichtigungen in 121990 Betrieben durchgeführt.

1220000/10=122000. (Ein anderer WAZ-Beitrag macht hier vorsichtshalber keine Angeben.)

Bevor Sie sich davon ab- und dann der Drucksache zuwenden, hier noch ein weiteres Geständnis unserer Regierung:

[Es] wird deutlich, dass der Schwerpunkt bei den Besichtigungen im „Technischen Arbeitsschutz“ liegt. Das Sachgebiet „Arbeitsplatz, Arbeitsstätte, Ergonomie“ wird bei jeder zweiten Besichtigung thematisiert, das Sachgebiet „Arbeitszeit“ bei jeder zehnten Besichtigung. Das Sachgebiet „psychische Belastung“ wird hingegen im Durchschnitt bei jeder neunzigsten Besichtigung behandelt.

Na toll. Wenn kaum geprüft wird, dann weiß man doch gleich, was unsere Arbeitsministerin Ursula von der Leyen mit ihrem “knallharten Strafkatalog” unseres “strengen Arbeitsschutzgesetzes” machen kann, wenn’s nicht zu anstrengend ist.

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

Bundestag: Aufsichtstätigkeit beim Arbeitsschutz

Montag, 16. Juli 2012 - 00:58

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Brigitte Pothmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Drucksache 17/10026, 2012-07-03
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710229.pdf
(oder http://blog.psybel.de/wp-content/uploads/2012/07/1710229vorab.pdf)


4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die Aufsichtspersonen ausreichend qualifiziert sind, um den Anforderungen bei der Besichtigung von psychischen Gefährdungen angemessen gerecht zu werden?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht, und welche Maßnahmen plant die Regierung?

Die Integration des Gefährdungsfaktors „psychische Belastung“ in die Arbeitsschutzaufsicht erfordert eine veränderte Herangehensweise. Die bisherigen Konzepte greifen hier nicht. Psychische Belastungen sind im Rahmen von Betriebsbesichtigungen nur schwer zu ermitteln. Ein einfacher Soll-Ist-Vergleich (wie z. B. bei physikalischen oder stoffbezogenen Grenzwerten) ist nicht mögich. Psychische Belastungen müssen im Rahmen von Gesprächen mit dem Arbeitgeber und den Beschäftigten sowie durch intensive Beobachtungen vor Ort ermittelt werden. Eine solche Vorgehensweise ist zeit- und personalaufwändiger als die bisherige Ermittlung der klassischen Gefährdungsfaktoren, die in Verordnungen und staatlichen Regeln weitgehend konkretisiert sind. Erste Schritte zur Qualifizierung der Aufsichtsbeamtinnen und -beamten haben die Länder und die Unfallversicherungsträger bereits frühzeitig eingeleitet. So wurde im Jahr 2009 die LASI-Veröffentlichung LV 52 „Integration psychischer Belastungen in die Beratungs- und Überwachungspraxis der Arbeitsschutzbehörden der Länder“ erarbeitet. Mit der Umsetzung der LV 52 wurde durch ein spezielles länderübergreifendes Schulungskonzept begonnen. Im Rahmen des „Schutz und Stärkung der Gesundheit bei arbeitsbedingter psychischer Belastung“ der GDA wird die Qualifizierung der Aufsichtspersonen der Länder und auch der Unfallversicherungsträger einen Schwerpunkt darstellen. Eine „Leitlinie Beratung und Überwachung zu psychischer Belastung“ ist in Vorbereitung.

(Links nachträglich eingetragen)

-> Alle Beiträge zu dieser Kleinen Anfrage im Bundestag

Journalistische Zurückhaltung

Donnerstag, 3. Mai 2012 - 17:37

Den Linken kann man immerhin zugute halten, dass sie das Thema der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz wieder in das Gespräch gebracht haben:
http://blog.psybel.de/2012/04/29/auch-die-linke-leidet-unter-lernschwaeche/.

Die Unternehmen mussten spätenstes seit 2005 gewusst haben, dass sie psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen haben. Aber bis heute verstoßen etwa 70% der Unternehmen ganz locker gegen diese Pflicht:
http://blog.psybel.de/2012/03/03/bewusste-pflichtverletzung-seit-1996-oder-seit-2005/

Es herrscht also Anarchie. Wie in diesen Tagen gemeldet wurde, sieht der Bundestag jedoch keinen Handlungsbedarf. Das heißt, dass CDU, CSU und FDP weiterhin Körperverletzung von Arbeitnehmern durch Unternehmer so dulden, wie bisher. Siehe auch:
http://blog.psybel.de/2010/12/02/petition20090202/

Die Medien haben wieder einmal Stoff zum Füllen von Zeilen und Sendungen, das rechtswidrige Verhalten der Mehrheit der Arbeitgeber ist jedoch kein Thema für sie. Die Pflicht zur vollständigen Umsetzung eines Schutzgesetzes gegen Fehlbelastungen am Arbeitsplatz wird seit vielen Jahren ignoriert, aber kaum ein Journalist wundert sich, das nun die Fehlbelastungen ohne die vorgeschriebene Verhältnisprävention steigen. Was mag der Grund für diese journalistische Zurückhaltung sein? Wie sehr sind Journalisten selbst von diesem Rechtbruch betroffen? Ich vermute, dass auch in den Redaktionen der fehlende Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz sowie die wissentliche Missachtung speziell der Bildschirmarbeitsverordnung (z.B. § 3) der Normalfall ist. Journalisten in Führungsfunktionen sind wahrscheinlich nicht allzu motiviert, ihr eigenes Versagen zu thematisieren. Und ihre Mitarbeiter haben schon bei der Recherche die Schere im Kopf:
http://blog.psybel.de/2012/02/12/tabu-thema-in-redaktionen-missachtung-des-arbeitsschutzes/

Auch Die Linke leidet unter Lernschwäche

Sonntag, 29. April 2012 - 09:09

http://www.bundestag.de/presse/hib/2012_04/2012_199/04.html

Im Bundestag notiert: psychische Belastungen

Arbeit und Soziales/Kleine Anfrage – 24.04.2012

Berlin: (hib/BOB) Die Linke will in einer Kleinen Anfrage (17/9287) wissen, welche gesetzlichen oder untergesetzlichen Vorgaben es derzeit in Deutschland gibt, um psychische Belastungen bei der Arbeit zu reduzieren. Die Bundesregierung soll ferner herausfinden, welche Instrumente es für die betrieblichen Akteure im Bereich Arbeitsschutz derzeit gibt, um psychische Belastungen zu reduzieren. Nach Angaben der Linksfraktion haben 2010 Depressionen erstmals den Spitzenplatz bei den Fehltagen belegt. Die Zahl der Menschen, die wegen psychischer Störungen ins Krankenhaus mussten, haben in den vergangenen 20 Jahren um 129 Prozent zugenommen, so Die Linke.

Die Lernkurve bleibt weiterhin flach. Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Es geht nicht um die Reduktion psychischer Belastungen bei der Arbeit, sondern um die Reduktion von psychischen Fehlbelastungen.

Die 34 Fragen der Linken geben jedoch einen guten Überblick über die Fakten, die dem Bundestag beim Einbezug psychischer Belastungen in den Arbeitsschutz bekannt sein sollten. Viele der in der Anfrage berührten Themen wurden bereits in diesem Blog angesprochen, das ja auch als Recherchehilfe dienen soll.

Suche: http://www.google.de/search?q=Bundestag+%2217%2F9287%22

DGUV Vorschrift 2 verschlechtert Arbeitsschutz

Donnerstag, 23. Februar 2012 - 06:50

https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2011/_11/_08/Petition_21011.html

Der Deutsche Bundestag möge prüfen, ob die Unfallverhütungsvorschrift “Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit” (DGUV Vorschrift 2) der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten (BGN) den mit dem Arbeitssicherheitsgesetz (ASIG) verfolgten Zweck (Arbeitsschutz und Unfallverhütung) erreicht.

 
Aus der Begründung:

[...] Nicht die Gefährdungslage des Betriebes, sondern die Entscheidung des Unternehmers, welches Modell er einsetzt, wird über das Niveau an Arbeitsschutz und Unfallverhütung in einem Betrieb entscheiden. Der Umfang des Einsatzes von Expertenwissen sollte sich an der potentiellen Gefährdungslage orientieren. Es dürfen nicht finanzielle Interessen eines Unternehmers Einfluss auf das Niveau des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung erlangen. [...]

Siehe auch: https://www.openpetition.de/petition/online/arbeitsschutz-novellierung-der-unfallverhuetungsvorschrift-zum-arbeitssicherheitsgesetz

Petition an den Bundestag: Betrieblicher Arbeitsschutz – Psychische Belastungen

Donnerstag, 2. Dezember 2010 - 21:30

Die Petition wurde abgelehnt. Die Ablehnung wurde sorgfältig begründet: Mit der Antwort stellte der Bundestag bereits im Jahr 2009 klar, dass psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen sind.

Petition eingereicht: 2009-01-18
https://epetitionen.bundestag.de/petitionen/_2009/_01/_18/Petition_1902.nc.html

Der Deutsche Bundestag möge beschließen, den tatsächlichen Grad des Einbezugs psychischer Belastungen in die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in deutschen Unternehmen durch entsprechende Dienste oder Beauftragte des Bundestages feststellen zu lassen und im Fall einer mangelhaften Umsetzung der Arbeitsschutzgesetzes und vergleichbarer Gesetzte und Vorschriften die personelle Situation der Aufsichtsbehörden so zu verbessern, dass sie ihrer Aufsichtspflicht auch praktisch nachkommen könne

Begründung: Nur ein kleiner Teil der Unternehmen in Deutschland kommt seinen Verpflichtungen nach, auch psychomentale Belastungen (Begriff “psychomentale Belastung”: Zusammensetzung aus “mentaler Belastung” entsprechend der englischsprachigen EN ISO 10075 Norm und “psychischer Belastung” entsprechend der deutschsprachinen EN ISO 10075 Norm) in den Arbeitsschutz mit einzubeziehen. Konkret drückt sich das dadurch aus, dass nur sehr wenige Betriebe in Deutschland die mit Arbeitsaufgaben und Arbeitsplätzen verbundenen psychomentale Belastungen in Gefährdungsbeurteilungen beschreiben (was nur ein erster Schritt ist). Abgesehen von der Gefährdung, die langjährig nicht wirklich umgesetzte Gesetze für die Rechtsstaatlichkeit schlechthin darstellen, bauen sich hier angesichts der Veränderungen der Arbeitswelt neue Hindernisse und Gefahren für wirtschaftliches Wachstum auf. Grundlage der gängigen Wachstumstheorien ist Innovation, also das Ergebnis psychomentaler Belastung. Darum muss das Verständnis dieser Belastungsart und die Durchsetzung der menschengerechten Gestaltung der Arbeit höchste Priorität bekommen. Auch könnte die jetzige “Wirtschaftskrise” auf einen hohen Grad an Ernüchterung und Erschöpfung von Arbeitnehmern (einschließlich Ihrer Führungskräfte) zurückzuführen sein. Dabei ist das Thema der psychomentalen Arbeitsbelastung inzwischen recht gut erforscht und sollte nicht erst dann angegangen werden, wenn für Krankenkassen, Sozialversicherungen usw. durch psychomentale Fehlbelastungen verursachte Kosten zu hoch werden.

Antwort des Bundestages (Petitionsausschuss):

Betrieblicher Arbeitsschutz

Der Deutsche Bundestag hat die Petition am 25.02.2010 abschließend beraten und beschlossen:

Das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen nicht entsprochen werden konnte.

Begründung

Der Petent fordert, den tatsächlichen Grad des Einbezugs psychischer Belastungen in die Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes in deutschen Unternehmen durch entsprechende Dienste oder Beauftragte des Bundestages feststellen zu lassen und im Fall einer mangelhaften Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes und vergleichbarer Gesetze und Vorschriften die personelle Situation der Aufsichtsbehörden so zu verbessern, dass sie ihrer Aufsichtspflicht auch praktisch nachkommen können.

Zur Begründung führt der Petent im Wesentlichen an, dass bisher nur ein kleiner Teil der Unternehmen in Deutschland seinen Verpflichtungen nachkäme, psychische Belastungen in den Arbeitsschutz einzubeziehen.

Die Eingabe wurde als öffentliche Petition auf der Internetseite des Petitionsausschusses eingestellt. Sie wurde von 364 Mitzeichnern unterstützt. Außerdem gingen acht Diskussionsbeiträge ein.

Der Petitionsausschuss hat zu der Eingabe eine Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) eingeholt. Darin führt das BMAS im Wesentlichen aus, dass es die Auffassung des Petenten teile, dass das Thema Psychischen Belastungen unabdingbarer Bestandteil des Arbeitsschutzes sei. Dem BMAS sei auch die Bedeutung des Themas bekannt. Die Forderung nach einer stärkeren Berücksichtigung der psychischen Komponente bei der Gefährdungsbeurteilung werde daher grundsätzlich unterstützt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die vom Petenten eingereichten Unterlagen Bezug genommen.

In seiner parlamentarischen Prüfung kommt der Petitionsausschuss zu folgendem Ergebnis:

Der Begriff “Psychische Belastungen” ist in der DIN EN ISO 10075 definiert als “die Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und psychisch (seelisch) auf ihn einwirken”.

Mit “psychischen Fehlbelastungen” sind dagegen Anforderungen und Belastungen gemeint, die in ihrer Ausprägung bei Beschäftigten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Berufliche Anforderungen können eine Herausforderung darstellen und bei erfolgreicher Bewältigung zu Arbeitszufriedenheit führen. Unstreitig können psychische Fehlbelastungen in der Arbeitswelt zu gesundheitlichen Problemen bei den Beschäftigten und zu krankheitsbedingten Folgekosten in erheblichem Ausmaß führen.

Im Rahmen einer Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) über Kosten arbeitsbedingter Erkrankungen wurden die gesamt- wirtschaftlichen Kosten für psychische Belastungsfolgen in Deutschland im Jahr 1998 auf 11,1 Mrd. Euro direkte und 26,2 Mrd. Euro indirekte Kosten geschätzt. Für das Jahr 2004 ergibt sich eine Schätzung von 18,6 Mrd. Euro bzw. 25,3 Mrd. Euro Kosten.

Die vorläufigen Ergebnisse des aktuellen BAuA-Forschungsprojekts “Aufarbeitung Gefährdungsbeurteilung bei Umsetzung der zur Erfahrungen betrieblicher psychischen Belastungen” lassen Tendenzen hinsichtlich des tatsächliche Umsetzungsgrades der Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) zu den psychischen Fehlbelastungen erkennen. Eine im Rahmen dieses Projektes durchgeführte Befragung von Betriebsräten in der metallverarbeitenden Industrie Baden-Württembergs hat ergeben, dass 87 % der Betriebe eine Gefährdungs- beurteilung vorweisen konnten, allerdings nur 33 % der Betriebe unter Berücksichtigung der psychischen Fehlbelastungen.

Dem Ziel der stärkeren Berücksichtigung der psychischen Komponente der Gefährdungsbeurteilung dienen die Aktivitäten des Bundes im Rahmen der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA). Die GDA beinhaltet das abgestimmte Vorgehen von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern (UVT) im Arbeitsschutz durch die Vereinbarung von gemeinsamen Zielen und die Verfolgung kooperativer Strategien und Aufsichtsverfahren. Für die Handlungsperiode 2008 2012 wurde der Komplex “Psychische Belastungen” in das Arbeitsprogramm der GDA mit aufgenommen. Die Zieldefinitionen enthalten in mehreren Projekten die psychischen Fehlbelastungen als Querschnittsziele und verdeutlichen so deren hohen Stellenwert. Überdies nimmt das Thema auch im Rahmen der von der Bundesregierung im Jahre 2001 ins Leben gerufenen “Initiative Neue Qualität der Arbeit” (INQA) breiten Raum ein. So gibt es verschiedene Publikationen, die sich dem Thema widmen und den betrieblichen Akteuren Wissen vermitteln und praktische Handlungshilfen an die Hand geben.

Hinsichtlich des Anliegens, die personelle Situation der Aufsichtsbehörden zu verbessern, ist festzuhalten, dass der Vollzug des staatlichen Arbeitsschutzrechts grundsätzlich Sache der Bundesländer ist. Der Aufbau und die Organisation der Arbeitsschutzbehörden liegen in der Verantwortung der Länder. Es ist nicht Aufgabe des Bundes, den Ländern z. B. hinsichtlich der Anzahl der Aufsichtsbeamten oder der Einzelheiten der Verwaltungsorganisation Vorgaben zu machen.

Auch der tatsächliche Umsetzungsgrad der Vorgaben des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) hinsichtlich psychischer Fehlbelastungen kann letztlich nur von den für die Überwachung des Arbeitsschutzes zuständigen Instanzen eingeschätzt werden. Dies sind die Arbeitsschutzbehörden der Länder und die UVT. Den UVT steht bei der Erfüllung des gesetzlichen Auftrages der Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren “mit allen geeigneten Mitteln” im Rahmen der Selbstverwaltung ein weiter Ermessens- und Gestaltungsspielraum zu.

Auf der Ebene der Bundesländer und damit der Arbeitsschutzbehörden ist der Handlungsbedarf hinsichtlich der Berücksichtigung der psychischen Komponente der Gefährdungsbeurteilung erkannt. Die Länder führen Schulungen und Schwerpunktaktionen zu psychischen Belastungen in verschiedenen Branchen durch. Vom Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik wurde ein Leitfaden zur besseren Berücksichtigung psychischer Belastungen in der Arbeitsschutz-Revision erarbeitet. [Die LV 52 vom Oktober 2009 war allerdings noch nicht veröffentlicht, als ich die Petition im Januar 2009 abschickte.] Weitere Aktivitäten sind die Qualifizierung der Aufsichtspersonen, die Erstellung von Verfahrensanweisungen und Unterrichtsmodulen. Mit diesen umfassenden Maßnahmen werden den Aufsichtsbeamten das nötige Wissen und die methodischen Kenntnisse zur stärkeren Berücksichtigung der psychischen Aspekte bei ihrer Tätigkeit vermittelt. Auch die UVT haben sich des Themas angenommen. So ist beim Institut Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (BGAG) ein Bereich eingerichtet, der zum Thema “Psychische Belastungen und Beanspruchungen am Arbeitsplatz” forscht und berät.

Mit den aufgezeigten Aktivitäten der Akteure des staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzes sind wichtige Weichenstellungen getroffen worden, das Thema auch in den Betrieben weiter voranzubringen und die Arbeitgeber und Arbeitnehmer weiter für das Themenfeld zu sensibilisieren. Damit wird die stärkere Einbeziehung psychischer Fehlbelastungen bei der Gefährdungsbeurteilung weiter unterstützt und gefördert sowie dem Thema die erforderliche Aufmerksamkeit gewidmet.

Der Petitionsausschuss hat das Vorbringen des Petenten geprüft. Er hält die geltende Rechtslage zum Arbeitsschutz insbesondere hinsichtlich der Zuständigkeit der Bundesländer und selbstverwalteten gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand – für sachgerecht.

Da die Petition nach Auffassung des Ausschusses keine wesentlichen neue Aspekte enthält, die nicht bereits bekannt sind, sieht er davon ab, sie den Landesvolksvertretungen und den selbstverwalteten gewerblichen Berufsgenossenschaften und Unfallversicherungsträgern der öffentlichen Hand als Material für weitere Beratungen zuzuleiten.

Der Petitionsausschuss empfiehlt, das Petitionsverfahren abzuschließen, weil dem Anliegen des Petenten nicht entsprochen werden konnte.

(Anmerkung in eckigen Klammern, Links und Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Links:

Aufbewahrungspflicht für Gefährdungsanalysedokumente

Samstag, 27. Februar 2010 - 19:17

https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=10213

Petition: Betrieblicher Arbeitsschutz – Aufbewahrungspflicht für Gefährdungsanalysedokumente (Gefahrstoffverordnung) vom 22.02.2010 (Angela Vogel)

Text der Petition

Der Deutsche Bundestag möge die Bundesregierung beauftragen,
1. die Pflicht für Arbeitgeber wieder in der GefahrstoffVO zu verankern, die Dokumentation der betrieblichen Gefährdungsanalysen und der Gesundheitsschutzmaßnahmen für ihre Beschäftigten drei Jahrzehnte lang aufzubewahren;
2. gesetzlich zu regeln, die Dokumentationen auf langlebigen Datenträgern anschließend bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin für Beweissicherungszwecke und die Forschung zu archivieren

Begründung

Die vom Verordnungsgeber 2004 ausgesetzte Pflicht zur Aufbewahrung der Dokumentationen der betrieblichen Gefährdungsanalysen und Schutzmaßnahmen hat gravierende Folgen. Sie
a) verletzt die Übereinkunft Nr. 170 der ILO von 1990, die auch die Bundesrepublik Deutschland ratifiziert hat.
b) unterläuft alle staatlichen (u.a.) Kontrollen, ob die Unternehmen ihren Verpflichtungen tatsächlich nachkommen, die Gefährdungen in ihren Betrieben zu dokumentieren und ihre MitarbeiterInnen davor – oft genug auch sich selbst – angemessen zu schützen.
c) stellt Beschäftigte, die mutmaßlich arbeitsbedingt erkrankt sind, noch viel weit gehender beweislos als zuvor. ArbeitnehmerInnen können die beruflichen Ursächlichkeiten ihrer Erkrankungen/Gesundheitsschäden nicht nachweisen, weil die Dokumentationen ihrer Arbeitsplatzgefährdungen vernichtet sind. Bei Erkrankungen mit langen Latenzzeiten wie bestimmten Krebsarten ist das besonders bedrückend.
d) verletzt einmal mehr das Rechts- und Sozialstaatsprinzip. Die fehlende Aufbewahrungspflicht stellt geschädigte ArbeitnehmerInnen chancen-los, a) ihre Rechte verwirklichen (Rechtsstaatsprinzip) und b) den Schutz der (sozialstaatlichen) Gesetzlichen Unfallversicherung (Sozialstaatsprinzip) tatsächlich erhalten zu können.
e) be- und verhindert die toxikologische und fachmedizinische Forschung. Kausalitäten zwischen betrieblichen Einwirkungen und Gesundheitsschäden sind empirisch kaum mehr zu rekonstruieren. Die Datenbasis fehlt oder ist zu klein.
f) be- und verhindert die rechtliche Vorgabe der Weiterentwicklung des geltenden Berufs- und Arbeitsunfallrechts. Neue Erkenntnisse über industriell produzierte und/oder verwertete Substanzen und Zubereitungen können entweder gar nicht oder nur mit sehr viel mehr Kosten- und Zeitaufwand gewonnen werden.
g) verstärkt die Schutzverweigerungen der GUV und damit den sozialstaatlich schon zuvor kaum zu vertretenden Kostentransfer für betrieblich verursachte Gesundheitsschäden. Es werden die anderen Sozialversicherungen finanziell noch mehr belastet, d.h. vor allem die Gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung, aber auch die Kommunen und die Bundesanstalt für Arbeit im Bereich von ALG II (HARTZ IV).

Wichtig ist so eine Aufbewahrung auch wegen der möglichen Langzeitfolgen psychischer Fehlbelastungen. Was sich allerdings bei vielen Unternehmen ziemlich einfach nachweisen lässt, ist das komplette Fehlen des Einbezugs psychischer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung.

Arbeitsunfall der Postmoderne

Sonntag, 3. Januar 2010 - 02:31

Seit 1996 sind psychische Belastungen als gesundheitsgefährdende Berufskrankheiten im Arbeitsschutzgesetz offiziell anerkannt. “Die Depression ist der Arbeitsunfall der Postmoderne“, formuliert plakativ Hans-Peter Unger von der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie im Allgemeinen Krankenhaus Hamburg-Harburg. Der Mediziner weist darauf hin, dass die Zahl der handfesten Verletzungen auch in den Industriebetrieben deutlich zurückgegangen ist. Statt dessen wachse das Risiko einer psychischen Störung.

So schrieb es Thomas Gesterkamp am 18.12.2006 in der Zeitschrift des Bundestages “Das Parlament”. Der insgesamt gute Artikel ist aber auch ein Beispiel für einen häufigen Fehler bei der Thematisierung psychischer Belastungen in den Medien. Journalisten sollten zwei Punkte beachten:

  • Psychische Belastungen sind keine Berufskrankheiten, sondern sie sind aus der Sicht des Arbeitsschutzes eine der Wirkungen, die von einem Arbeitsplatz und/oder einer Arbeitssituation ausgehen.
  • Jede Aufgabenstellung ist irgendwo auch eine psychische Belastung. Ohne psychische Belastungen gäbe es also gar keine Arbeitsplätze. Erst als Fehlbelastungen können psychische Belastungen zu Körperverletzungen führen und Krankheiten auslösen.