Kategorie 'Gegenspieler'

Die drei Selektionen von Wissenschaft

Sonntag, 3. Juli 2011 - 00:50

Es geht um die interessengesteuerte Selektion von Resultaten wissenschaftlicher Forschung:

  • Vorselektion
  • Nachselektion
  • Wegselektion

 

Vorselektion

Zwar fand ich beim Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht (kurz ZAAR) in München keine Veröffentlichungen zum Thema der psychischen Belastungen, aber das Institut zeigt, wie die Wirtschaft Wissenschaft beeinflusst. Der Stand der Wissenschaft ist bei der Umsetzung des Arbeitsschutzgesetzes (ausfüllungsbedürftiges Rahmengesetz) ein wichtiges Kriterium. Achten Sie beim Hinzuziehen wissenschaftlicher Sachverständiger darauf, von wem und unter welchen Bedingungen deren Forschung finanziert wird.

Dabei ist es nicht so, dass sich die Arbeitgeber Forschungsergebnisse kaufen. Das ZAAR ist tatsächlich unabhängig. Aber die Glaubensrichtung der Wissenschaftler muss stimmen:
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a2&dig=2011%2F07%2F02%2Fa0034&cHash=bcc251bf29


Der Vertrag [mit einer Siftung der Arbeitgeber] sieht ein “koordiniertes Berufungsverfahren” vor, bei dem zunächst die Hochschule nach ihren Regeln Arbeitsrechtsprofessoren beruft. Die Professoren werden dann sofort beurlaubt und gewissermaßen als Leiharbeiter an die Stiftung weitergereicht, die sie wieder anstellt. Zu welchen Konditionen, darüber verhandelt der Kandidat allerdings ausschließlich mit dem Stiftungsrat. Weitergedacht heißt das: Selbst wenn die Universität der abwegigen Idee verfallen sollte, einen arbeitnehmerfreundlichen Professor zu berufen, könnten die Stifter ihm die Stelle mit einem unattraktiven Vertrag madig machen. “Es wurden natürlich von vornherein nur Leute berufen, die der Arbeitgeberseite nahestehen”, sagt der Arbeitsrechtsprofessor Wolfgang Däubler von der Universität Bremen.

Das Ergebnis ist also ähnlich wie bei den theologischen Fakultäten – auch dort darf als Professor nur arbeiten, wer sich eindeutig zum entsprechenden Glaubenssystem bekennt. …

(Bernd Kramer, Abhängig Beschäftigt – LOBBYISMUS: Arbeitgeberverbände leisten sich für 55 Millionen Euro deri Lehrstühle an der Universität München, die tageszeitung, 2011-07-02, S. 30)

Wie unabhängig und überparteilich das ZAAR ist, bestimmt, wer es finanziert.

Volker Rieble ist Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in  München. Er wird gerne von der Süddeutschen Zeitung zitiert. Sein An-Institut wird direkt von den Arbeitgeberverbänden der bayerischen und baden-württembergischen Metallindustrie sowie der Bundesarbeitgeberverband Chemie finanziert. Mit einem Stiftungsvermögen von 55 Millionen Euro ausgestattet, entstand im Jahr 2004 das ZAAR an der LMU. Zwei weitere Professuren beim ZAAR haben Andrea Angleitner und Abbo Junker.

 

Nachselektion

Neben der Vorselektion der “richtigen” Wissenschaftler gibt es noch die Nachselektion der “richtigen” Forschungsergebnisse:

… Wie stark die Wissenschaft dabei geknebelt werden kann, zeigt das Beispiel zweier Berliner Universitäten, die sich in einem Vertrag mit der Deutschen Bank sogar verpflichteten, Forschungsveröffentlichungen vorab abzustimmen. …

(TAZ, ebd.)

 

Wegselektion

Der Dritte Weg ist der brutalste: Unerwünschter Wissenschaft wird der Geldhahn zugedreht. Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass ausgerechnet in einer Zeit steigender Aufmerksamkeit für organisationspsychologische Fragestellen die Forschung dazu an der Universität Oldenburg einfach dichtgemacht wurde. Da dort bei Friedhelm Nachreiner anscheinend weder Vor- noch Nachselektion funktionierte, blieb wohl nur noch die Wegselektion: Die Uni Oldenburg entfernte seinen Lehrstuhl. Daneben wurde in Lüneburg eine den Niedersachsen genehmere Forschung aufgebaut.

Stoiber-Kommission: Arbeitsschutz unter Beschuss

Dienstag, 21. Juni 2011 - 06:38

http://www.wiki-gute-arbeit.de/index.php/Die_europ%C3%A4ische_Arbeits-_und_Gesundheitsschutzpolitik.2#Die_Vorschl.C3.A4ge_der_Stoiber-Kommission

… Vor allem zwei EU-Richtlinien wurden einer Untersuchung unterzogen und Vorschläge zu deren Veränderung vorgelegt. Dies sind die Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz (89/391/EWG) und die so genannte Baustellenrichtlinie (92/57/EWG). Die Vorschläge treffen im Kern zentrale Aspekte des Arbeitsschutzes:

  • Für kleine Firmen soll die Dokumentationspflicht zur Risikobeurteilung suspendiert werden, was in der Konsequenz einen abgestuften Arbeitsschutz je nach Betriebsgröße bedeuten würde;
  • analog zum vorherigen Punkt soll die Verpflichtung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplanes für Baustellen mit geringen Risiken entfallen;
  • Ebenfalls eines von drei zentralen Dokumenten des Arbeitsschutzes für Baustellen, die Sicherheitsunterlagen (health and safety file), soll für Baustellen mit geringen Sicherheitsrisiken entfallen;
  • es soll eine Unterscheidung zwischen risikoreicheren Betrieben und risikoarmen eingeführt werden (wobei die irrige Aussage getroffen wird, kleine Firmen seien risikoärmer);
  • den Mitgliedsstaaten soll mehr Freiraum bei den Anforderungen bezüglich der Gefährdungsbeurteilung und der Dokumentationspflichten gegeben werden.

Unter Berufung auf eine im Januar 2009 durchgeführte Konsultation von Interessengruppen unterbreitet die HLG weitere Vorschläge auch zu anderen Rechtsbereichen. Unter anderem:

  • die Abschaffung eines Ruhezeitenregimes in der europäischen Arbeitszeitrichtlinie;
  • die Abschaffung oder Revidierung des Anhangs zur Bildschirmarbeitsverordnung mit ihren konkreten Vorgaben für die Gestaltung von Bildschirmarbeit;
  • völlig außer Acht lassend, dass EU-Richtlinien im Arbeitsschutz Mindestanforderungen formulieren, plädiert die HLG für eine „schlanke“ Umsetzung in nationales Recht;

Der EGB hat in einer ersten Stellungnahme seine Befürchtung zum Ausdruck gebracht, dass hiermit die Errungenschaften und die Grundstruktur des europäischen Arbeitsschutzes ausgehebelt werden sollen. In einem Brief an die Europäische Kommission hat die Arbeitnehmergruppe des Beratenden Ausschusses in Luxemburg unter anderem auf die absolute Unzulänglichkeit der Datenerhebung hingewiesen. Demnach sind 89 Prozent aller Kosten in Zusammenhang mit den betrieblichen Tätigkeiten rund um die Gefährdungsbeurteilung vermeidbare administrative Lasten. 3,78 Milliarden Euro könnten angeblich europaweit eingespart werden. Obwohl in dem Bericht der HLG in einer Bilanz der europäischen Arbeitsschutzpolitik für den Zeitraum 1995 bis 2004, also für den relevanten Zeitraum der Einführung der europäischen Rahmenrichtlinie, ein Rückgang der Arbeitsunfälle von 5 Millionen auf 3,9 Millionen ausgewiesen wird, findet sich keinerlei Betrachtung darüber, welches Leid und welche Kosten auf der individuellen, der betrieblichen und der gesellschaftlichen Ebene durch die vermuteten Kosten für die Gefährdungsbeurteilung vermieden wurden. …

(Links zu diesem Blog und Hervorhebungen nachträglich eingefügt)

Siehe auch: http://ec.europa.eu/enterprise/policies/smart-regulation/administrative-burdens/high-level-group/index_en.htm

Arbeitgebermentalität?

Mittwoch, 8. Juni 2011 - 07:34

arbeitgeber.org mag nicht repräsentativ für die Arbeitgebermentalität sein. Aber es scheint wohl doch einen Markt für die Anregungen zu geben, die arbeitgeber.org anbietet:
http://arbeitgeber.org/Betriebsratswahl/

Die Seite sollte nicht mit dem moderateren Auftritt der BDA verwechselt werden: http://arbeitgeber.de/.

Unbequem

Samstag, 23. April 2011 - 02:01

http://www.arbeitgeber.org/Betriebsrat/dem-betriebsrat-kuendigen.html:

Betriebsräten kann man nicht kündigen!
… Oder doch??

Sie können!

So trennen Sie sich von unbequemen
Betriebsratsmitgliedern

Wechseln Sie von offener und emotional geführter Konfrontation auf ein geschmeidiges Aufeinanderzugehen!

Sie werden nicht klein beigeben! Sie werden die Führung des Unternehmens nicht dem Betriebsrat überlassen! Sondern Sie werden auch künftig Ihr Unternehmen nach Ihren Vorstellungen führen!

Macht Mitbestimmung Spaß?

Widerstand gegen mitbestimmten Arbeitsschutz

Mittwoch, 2. März 2011 - 16:55

Es ist wichtig, die Position der Arbeitgeber zum Einbezug der psychisch wirksamen Belastungen in den Arbeitsschutz zu kennen und ihren Widerstand gegen die Mitbestimmung im Arbeitsschutz zu verstehen. Es scheint inzwischen so zu sein, dass dieser Widerstand vieler (nicht aller!) Unternehmen gegen den auf Arbeitsbedingungen fokussierenden Arbeitsschutz insbesondere in vier Formen auftritt:

  1. “Entbürokratisierung”.
  2. Strukturelle Verantwortungslosigkeit: Verlagerung von Verantwortung (und Haftungsrisiken) in die untersten Führungsebenen, ohne diese jedoch mitbestimmt mit geeigneten Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten auszustatten.
  3. Mißachtung von Vorschriften oder Verschleppung ihrer Umsetzung: Souveräne (weil offene und die Zurückhaltung der Aufsichtsbehörden nutzende) Mißachtung wichtiger Aufgaben des Arbeitsschutzes z.B. durch beharrliche Verschleppung des Einbezugs psychisch wirksamer Belastungen in den Arbeitsschutz. Konkret wehren sich viele Unternehmen insbesondere gegen den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung und in die vorgeschriebene Unterweisung der Mitarbeiter.
  4. Verkehrte Prioritäten im Gesundheitsmanagement: Versuch, über “betriebliches Gesundheitsmanagement” (BGM) und intensive “Kommunikation” der Unternehmer und ihrer Verbände (an Belegschaften, an Politiker, an die Öffentlichkeit und an sich selbst), den Fokus des Arbeitsschutzes von der Verhältnisprävention umzulenken auf die als fürsorglich und freiwillig darstellbare Verhaltensprävention mit Betonung der “Eigenverantwortung” der Mitarbeiter. In ihre Strategie des Agenda Setting konnten die Unternehmer auch das Bundesgesundheitsministerium unter Philip Rösler (FDP) erfolgreich mit einbinden.

Mit diesen Ansätzen kann einerseits versucht werden, unerwünschte Bestimmungen des Arbeitsschutzes zu umgehen und die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer zu schwächen, andererseits kann ein Unternehmen mit einem werbewirksam gestalteten betrieblichen Gesundheitsmanagement behaupten, es ginge damit über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus. Mit diesem Trick nehmen Unternehmen auch an Wettbewerben teil, womit sie Engagement zeigen können ohne jedoch psychische Belastungen ausreichend mitbestimmt in den Arbeitsschutz einbeziehen zu müssen. Die Kür überdeckt die Pflicht.

Wettbewerbe und Selbstdarstellung

Die werbewirksame Teilnahme an Wettbewerben zur Ablenkung vor den ungeliebten Pflichten des Arbeitsschutzes ist natürlich auch für die Anbieter solcher Wettbewerbe ein Problem. Wie gehen sie damit um? Einerseits sollen sich Unternehmen einer bewertung durch Wettbewerbsanbieter unterwerfen. Andererseits sind sie auch zahlende Kunden dieser Wettbewerbsanbieter.

Ein positives Beispiel für einen der eher verantwortungsvolleren Anbieter von Wettbewerben im Gesundheitsmanagement ist Great Place to Work® Deutschland (GPTW). Dieses Unternehmen bezieht Betriebsräte ein und fördert mit einem “Sonderpreis Gesundheit” den mitbestimmten Einbezug psychisch wirksamer Belastungen in die Gefährdungsbeurteilung. Achten Sie also darauf, ob ein Unternehmen versucht, diesen Sonderepreis zu bekommen, denn im “Kulturaudit” von GPTW können Unternehmen selbst dann gute Noten bekommen, wenn sie die Regeln des Arbeitsschutzes missachten.

Am Standard-Ranking von GPTW dürfen jedoch meines Wissens nach auch solche Unternehmen teilnehmen, die sich über das Recht stellen und psychisch wirksame Belastungen weder in die Gefährdungsbeurteilung noch in die Unterweisung mitbestimmt einbeziehen. Wenn GPTW glaubwürdig bleiben will, sollten diese Arbeitgeber nur dann an dem GPTW-Ranking teilnehmen dürfen, wenn es eine Betriebsvereinbarung gibt, die den Weg zur Einhaltung der Arbeitsschutz-Vorschriften messbar regelt. Solange Arbeitgeber es entgegen den Vorschriften vermeiden können, Mitarbeiter ordentlich über die Bedeutung der Verhältnisprävention und ihre Priorität im Arbeitsschutz zu unterrichten, haben Mitarbeiterbefragungen im GPTW-Stil nur eine beschränkte Aussagekraft.

Die mir bekannten jüngsten Veranstaltungen zum Gesundheitsmanagement fallen hinter Anbieter von Wettbewerben zurück: In Tagungen zum Gesundheitsmanagement stellen sich Unternehmen werbewirksam dar. Die Mitbestimmung durch Arbeitnehmer, deren Vertretungen die eigentlichen Treiber dieser Thematik sind, wird entsprechend der Zielsetzung der Wirtschaftsverbände marginalisiert, nun auch mit Hilfe des Gesundheitsministers.

Countervailing Power

Dienstag, 9. November 2010 - 09:02

Management … has to have considerable power and authority – power and authority grounded in the needs of the enterprise and based on competence. And power, as the drafters of the American Constitution knew, needs to be limited by countervailing power. Modern society, a society of organizations each requiring strong management, needs an organ such as the labor union.

Peter Ferdinand Drucker: The Frontiers of Management (paragraph III.25), 1982