Kategorie 'ISF München'

Mehr Druck durch mehr Freiheit

Montag, 1. Oktober 2012 - 04:45

http://www.neue-arbeitszeit-praxis.de/veranstaltungen/fachtagung/praes_sauer_arbeitszeit_und_betriebliche_leistungspolitik.pdf

Dieter Sauer
Arbeitszeit und betriebliche Leistungspolitik
Fachtagung „Neue Zeiten, neue Arbeitszeiten?“ der Bundesanstalt für
Arbeitschutz und Arbeitsmedizin am 17. November 2011 in Berlin


Vertrauensarbeitszeit
„Mehr Druck durch mehr Freiheit“: Die Beschäftigten arbeiten umso länger und umso härter, je mehr Freiheiten sie in der Arbeit haben. Vertrauensarbeitszeit oder andere Formen flexibler Arbeitszeit führen also gewöhnlich zur Arbeitszeitverlängerung und zur Arbeitsintensivierung.

Das Handlungsdilemma betrieblicher Arbeitszeitpolitik
Neue Zeitökonomie und Indirekte Steuerung bringen die Beschäftigten in eine Lage, in der sie, um ihre Arbeitsanforderungen zu erfüllen, selbst, d.h. von sich aus auf ihnen zustehende Rechte verzichten. Sie unterlaufen von ihnen erkämpfte Regeln der Arbeitszeitgestaltung, in Betriebsvereinbarungen, Tarifverträgen und auch Gesetzen, weil sie ihre Arbeit anders nicht schaffen oder Angst haben, ansonsten ihre Arbeitsplätze zu verlieren.
Betriebsräte und Gewerkschaften geraten in Gegensatz zu den Menschen, deren Interessen sie wahrnehmen wollen.

Die „Herrschaft über den Arbeitsprozess“
Der Kampf um die Zeit wird zum Kampf um die Einflussgrößen des Arbeitsprozesses und um dessen Gestaltung. Zeitpolitik wird integraler Bestandteil von Arbeitspolitik – einer Arbeitspolitik, die sich nicht mehr auf die Abfederung von Auswirkungen auf die Beschäftigten beschränken kann, sondern sich in die Organisation der Rahmenbedingungen von Arbeit einmischen muss, wenn sie Wirkung erzielen will.

Individualisierung geht am eigentlichen Problem vorbei

Montag, 24. September 2012 - 04:49

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1874215/ (2012-09-23)

… Ob Fernseh-Dokumentationen und -Diskussionsrunden wie hier auf den Sendern Arte und Phoenix, Entspannungsvideos etwa der Firma Sync-Souls oder auch eine unüberschaubare Menge an Ratgeberliteratur – das Thema “Burnout” ist ein Dauerbrenner. Allerdings kritisiert der Münchner Arbeitssoziologe Nick Kratzer, dass Lösungsstrategien für seelische Erschöpfungszustände oft am eigentlichen Problem vorbeigingen.

“Das merkt man immer dann, wenn die Vorschläge individualisiert sind, wenn man sagt, dann sollen halt Beschäftigte mal “Nein” sagen. Der Witz dabei ist, wenn es diese Dilemma-Situation gibt, dann können die Beschäftigten zwar “Nein” sagen und damit vielleicht etwas für ihre Gesundheit oder ihr Sozialleben tun, haben aber im Beruf Probleme. Und andersrum: wenn sie versuchen, die ständig steigenden Anforderungen zu bewältigen, also nicht “Nein” sagen, kriegen sie daheim Probleme.” …

Karriere bedeutet Aufgabe der Zeitsouveränität

Dienstag, 12. Juli 2011 - 04:52

… Gül: Zeitliche Verfügbarkeit wird zum Selektionskriterium. Das heißt: Wer dazugehören will, muss lange arbeiten. In allen Unternehmen, die wir untersucht haben, waren hohe Arbeitszeiten die Regel – im unteren Management mehr als 45 Stunden in der Woche, im mittleren und oberen Management mehr als 50 Stunden.

Vom Abteilungsleiter aufwärts wird ständige Verfügbarkeit per Smartphone erwartet. Karriere bedeutet also die Aufgabe der eigenen Zeitsouveränität.

SZ: Warum wehrt sich niemand?

Gül: Das liegt an den Bedingungen in den Unternehmen. Wir nennen es ein System der permanenten Bewährung, das es schwer macht, Grenzen zu ziehen. …

Siehe auch (ebenfalls SZ 2011-07-09):

 

Eigenverantwortung und Belastungsprofile

Montag, 16. Mai 2011 - 12:02

Auszug aus Böckler Impuls 13/2010, http://www.boeckler.de/22605_22610.htm:

Gesundheit in eigener Verantwortung? Die Beschäftigten in den Untersuchungsbetrieben geben an, dass ihre Arbeit Stress erzeugt. Daraus folgern sie “aber nicht, dass es primär der Betrieb ist, der für die Gesundheit seiner Mitarbeiter verantwortlich ist und deren Arbeitsbedingungen entsprechend zu gestalten hätte”. In den Belegschaften herrscht vielmehr die Auffassung vor: Der eine hält dem Stress stand, der andere nicht. “Sich gesund, fit und leistungsfähig zu halten wird immer mehr zur Aufgabe individueller Selbstsorge der Beschäftigten”, so die Wissenschaftler. Angebote der Betriebe wie etwa Stress-Seminare werden nur selten angenommen – die Beschäftigten wollen keine Zweifel an ihrer Leistungsfähigkeit aufkommen lassen. Einzelne Beschäftigte nehmen stattdessen an privaten Verhaltenstherapien teil, um ihre Leistungsfähigkeit zu steigern. Andere verzichten auf berufliches Vorankommen und reduzieren enttäuscht ihr Engagement.

Am häufigsten aber reagieren Beschäftigte auf den Leistungsdruck, in dem sie ihre eigene Gesundheit gefährden, berichten die Wissenschaftler. Sie arbeiten länger, machen kaum Pausen. Etliche Befragte berichten von Burn-Out-Syndromen aus dem Kollegenkreis. Man registriert Erkrankungen sehr aufmerksam und wertet sie als Alarmzeichen – ohne jedoch daraus eine Konsequenz abzuleiten. “Kehren die Erkrankten zurück an ihren Arbeitsplatz, verlieren sie die Privilegien der Krankenrolle und sollen wieder leistungsfähig sein”, schreiben die Forscher.

Die Belastungsprofile der neuen Arbeitswelt [ISF]:

  1. Das Gefühl des ständigen Ungenügens
  2. Widersprüche zwischen Zielen und Aufgaben
  3. Vorschriften konterkarieren die geforderte Eigeninitiative
  4. Leistung und Erfolg entkoppeln sich
  5. Leistung garantiert keine Beschäftigungssicherheit
  6. Ein ständiger Ausnahmezustand

Privatisierung der Folgen von zu hohem Arbeitsdruck

Sonntag, 10. April 2011 - 01:38

Ein Interview und ein Artikel von Nicola Holzapfel in der Süddeutschen Zeitung

 
http://www.sueddeutsche.de/karriere/kampf-dem-stress-arbeitgeber-denken-nicht-langfristig-1.571022, 2007-07-17, Interview mit Nick Kratzer:

… Natürlich gibt es Arbeitgeber, die Vitamin-Bars einrichten oder Nordic-Walking-Kurse anbieten. Aber das ist eine Privatisierung der Folgen von zu hohem Arbeitsdruck. Da wird dem Beschäftigten die Verantwortung für den Umgang mit Stress wieder zurückgespielt. …

 
http://www.sueddeutsche.de/karriere/arbeitszeit-wenn-der-job-am-leben-frisst-1.499239, 2005-02-27:

Früher anfangen, später gehen: Über den unausgesprochenen Zwang, freiwillig mehr zu arbeiten.

 
Eine wirkliche Verringerung von Kompexität ist oft nur möglich, wenn man einen Teil von ihr irgendwoandershin verschieben kann. Beispielsweise verlagern Banken ihren Schalterdienst in die Computer ihrer Kunden. Und Unternehmen können Verwaltungsaufgeben zu ihren Mitarbeitern verschieben, weil sich das nicht so gut messen lässt, wie Mehrarbeit oder eine Gehaltsminderung. Gefährdungsbeurteilungen mit Einbezug psychischer Belastungen verbessern diese Messbarkeit ein wenig. Könnte das ein Grund sein, dass sich Arbeitgeber gegen sie wehren?

ISF: Arbeit und Betrieb

Samstag, 9. April 2011 - 12:22

http://www.isf-muenchen.de/forschung/abetrieb

Seit Gründung des ISF München liegt ein Schwerpunkt unserer Forschung im Betrieb – als dem sozialen Ort, wo Arbeit „in Betrieb genommen“ wird. Hier werden ökonomische Strategien umgesetzt und realisiert, hier werden Personen eingestellt und entlassen, Aufstiege und Qualifizierungen angeboten oder verwehrt, Einkommens- und Zeitressourcen verteilt, Konflikte ausgetragen. Hier verbringen die Erwerbstätigen einen Großteil ihrer Zeit, hier gestalten sie Biografien und knüpfen fürs ganze Leben wichtige Beziehungen. Im Betrieb treten ökonomische und soziale Interessen in Beziehung zueinander.

Work Performance and Health Policies in Enterprises

Samstag, 9. April 2011 - 08:44

http://www.pargema.de/files/ws2_par080922_nickkratzer_confrome_sept09_e7englisch.pdf

Nick Kratzer, ISF München

Work performance and health policies in enterprises – new areas for the cooperation
of direct and representative participation?

Paper for the Presentation in Workshop 2

“Direct and representative participation – conflicting relationship or co-ordination?

Third European Conference of the Work and Labour Network – “European Workplace Participation
Forum: New Ways to Effective Forms of Worker Participation”

24. bis 26. September 2008-03-18

Empirical studies show that these employee groups [white collar employees, especially high skilled white collar employees] are more and more under pressure; time stress, work load and psychological strains are increasing. At the same time, the chances of participation presently seem to dwindle rather than to grow, at least in the perception of a part of these employees. And there is also a clear indication that works councils find positive resonance by this group especially if the culture of individual participation and informal “self representation” is addressed and not only negative experiences and disappointments. Thus, “cooperation” between both concepts of participation will probably be the (only?) way to approach these groups of employees.

The problems of performance pressure as well as occupational health are clearly of increasing relevance, also in the perception of the employees themselves. And both problems can only be addressed by a combination of individual and collective participation. For as an effect of the new forms of “indirect”, so called participative work regulation and control, the employees have become essential actors of work design – a mere representation by an institution is neither favoured by the employees nor effective. And the chances for such a combination of individual and collective participation in these fields are also promoted by legal and institutional supports, as the law for occupational health and safety and the collective labour agreement ERA.

Moreover, the subjects of performance regulation and occupational health and safety are apt to “transport” central issues of interest articulation. Discussions about performance-linked payment can be turned into discussions about work and performance conditions in general, about the forms of work control and regulation, about leadership culture and personnel policy. And the question of psychological stress or an unbalanced work-life-relationship leads to questions about its causes and about participation in order to reduce them – and thus again to questions of performance regulation and control.

However, works councils often hesitate to take action. One reason is that these issues (and also this group of employees) are no familiar ground for them. But they also tend to interpret the notion of “participation” rather narrowly: sometimes participation is understood as a short-term involvement of employees in projects conducted by the works council. There is often no culture or structure of participation designed for permanence. Participation is – if at all – a project but not a process.