Sind psychische Belastungen beurteilbar?

Dienstag, 1. September 2015 - 21:41

Die Gesamtbetriebsvereinbarung von Bosch zu psychischen Belastungen hatte mich richtig erschrocken. Die Verfassung “belasteter” Mitarbeiter liegt bei Bosch im verhaltenspräventiven Fokus. Da hat sich ein Gesamtbetriebsrat über den Tisch ziehen lassen, denn vorgeschrieben ist die verhältnispräventive Erfassung, Beurteilung und Minderungen von Fehlbelastungen. Belastungen und Fehlbelastungen sind keine Eigenschaften der Mitarbeiter, sondern der Arbeitsplätze und der Arbeitsbedingungen.

Deswegen war dann die folgende Pressemeldung des TÜV Thüringen gleich wieder ein Lichtblick. Sie zeigt, dass es für psychische Belastungen verhältnispräventive Beurteilungsmöglichkeiten gibt, die Bosch anscheinend aber nicht so recht gefallen. Die Beurteilung psychischer Belastungen stellt nämlich auch bei Bosch Führungsstile auf den Prüfstand. Der moderne ganzheitliche Arbeitsschutz verändert Unternehmenskulturen. Für ein Unternehmen wie Bosch ist das sicherlich eine Herausforderung.

http://www.abg-net.de/aktuelles/nachrichten/datum/2015/08/22/ein-sicherheitshelm-fuer-die-seele-sind-psychische-belastungen-beurteilbar/

22.08.2015, 06:51 Uhr
Ein Sicherheitshelm für die Seele – sind psychische Belastungen beurteilbar?
Thüringer Arbeitssicherheitssymposium

Am 9. September tauschen sich auf dem Thüringer Arbeitssicherheitssymposium in Jena Experten zum Schutz von Leben und Gesundheit am Arbeitsplatz aus. Ganz aktuell stellen Arbeitsschützer eine deutliche Zunahme psychosomatischer Erkrankungen aufgrund von Stress und psychischen Belastungen fest. Gerade dafür will die Veranstaltung unter dem Motto „Mensch und Maschine im Einklang“ Lösungen anbieten.

In den letzten Jahren ist die Zahl der Arbeitsunfälle erfreulicher Weise weiter zurückgegangen. Trotz dieser positiven Entwicklung sollte das Thema Arbeitsschutz allerdings nicht als lästige Vorgabe des Gesetzgebers oder gar als Kostenfaktor abgetan werden. Neben den Gefahren am Arbeitsplatz, die von Technik ausgehen beziehungsweise aufgrund gesundheitsschädigender Arbeitsbedingungen wie Lärmauswirkungen oder dem Umgang mit Gefahrstoffen entstehen, spielen in unserer modernen und hochtechnisierten Arbeitswelt heute zunehmend psychische Belastungen eine Rolle.

Eine erste wichtige Handlungsanleitung, wie mit solchen Risiken umgegangen werden soll, liefert die Norm DIN EN ISO 10075. Arbeitsschutzexperte Ken Hauser vom TÜV Thüringen rät Unternehmen, sich umfassend in Sachen Arbeitsschutz beraten und die Arbeitsplätze hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben bewerten zu lassen.

„So kann das Risiko minimiert werden, dass Arbeitskräfte aufgrund psychischer Belastungen – und das oft für längere Zeit – ausfallen. Beispielsweise werden durch eine passende ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes psychische Beanspruchungen vermindert. Daher soll [nein, sondern muss gemäß Arbeitsschutzgesetz] heutzutage [nein, sondern seit 1996] die ganzheitliche Gefährdungsbeurteilung auch die psychischen Aspekte am Arbeitsplatz in die Risikobetrachtung mit einbeziehen“, erläutert Hauser.

Das Thüringer Arbeitssicherheitssymposium beleuchtet genau diese Aspekte, betrachtet die wachsenden psychischen Belastungen am Arbeitsplatz und bietet zahlreiche Lösungsmöglichkeiten an, auch im Hinblick auf die zum 1. Juni 2015 in Kraft getretene novellierte Betriebssicherheitsverordnung. Hochkarätige Referenten wie beispielsweise Hans-Peter Raths vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales oder Frau Dr.-Ing. Kerstin Ziemer vom Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz tragen neueste Erkenntnisse vor. In einem Best Practice Beispiel zeigt Rolf Schoch wie das Thema Arbeitssicherheit bei der Thüringer Energie AG umgesetzt wird.

Anmeldungen zum Thüringer Arbeitssicherheitssymposium am 9. September in Jena sind noch kurzfristig möglich. Im Internet unter: www.die-tuev-akademie.de oder telefonisch unter: 0800 555 8838.

TÜV Thüringen – Mit Sicherheit in guten Händen!
Jan Schnellhardt
Presse-/Öffentlichkeitsarbeit

Siehe auch: http://www.die-tuev-akademie.de/wir-zeigen-neue-wege-im-arbeitsschutz/

 

Der TÜV Thüringen zeigt, dass Verhältnisprävention auch im Bereich der psychischen Belastungen möglich ist. Bosch dagegen zeigt in seiner Pressemeldung überhaupt kein Interesse an einer verhältnispräventiven Vorbeugung gegen psychische Belastungen, mit der man den Mitarbeitern nicht mit auch in die Persönlichkeit eindringender “Fürsorge” auf die Pelle rückt. Es ist dem Unternehmen gelungen, seinen Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung unterzeichnen zu lassen, deren Schwepunkt verhaltensorientiert ist.

Haufe.de versteigt sich sogar in die Behauptung, Bosch sei ein Vorreiter in der Arbeitssicherheit. Das kommt davon, wenn man die Bosch-Werbung unkritisch übernimmt. Hier sieht man wieder, wie sehr OHSAS 18001 als Vorzeigezertifikat dienen kann. Viele Bosch-Betriebe sind nach OHSAS 18001 zertifiziert, aber was wissen die Mitarbeiter davon? Ich bin neugierig, ob die Arbeitnehmer bei Bosch überhaupt etwas vom Geist des BS OHSAS 18001 zu spüren bekommen. Sind die Betriebsräte gut damit vertraut gemacht worden? Schon bemerkt?: Von Bosch hört man in der Pressemeldung keinen Pieps über den arbeitsschützerischen Umgang mit psychischen Erkrankungen.

Der Zertifizierer von Bosch ist auch ein TÜV. Der sollte einmal genauer prüfen, wie viele Vorfälle erfasst wurden, die psychische Erkrankungen nur hätten zur Folge haben können, und zwar ohne Berücksichtigung der Schwere der Erkrankungen (Kategorie 1.2.2.1 in meiner Liste). Bosch hat tausenden von Mitarbeitern versprochen, derartige Vorfälle zu erfassen. Hier kann der TÜV bei Audits nach OHSAS 18001 ganz leicht überprüfen, ob Bosch tut was Bosch verspricht.

Und natürlich könnte sich auch der Betriebsrat die Vorfallsstatistik zeigen lassen. Wenn dann darin nichts über psychische Belastungen steht, dann verstehen wir, warum Bosch “Vertraulichkeit” so sehr schätzt. Kleiner Tipp and Bosch-Mitarbeiter: Wenn Betriebsräte OHSAS 18001 (oder andere den Mitarbeitern dienende Normen und Vorschriften) nicht kennen und nicht ernst nehmen, dann gehören sie abgewählt.

Weiterhin sollte der TÜV Süd überprüfen, wie bei Bosch Absatz 4.4.3.2 umgesetzt wird. Und wissen die Mitarbeiter, wie sie Vorfälle nach Absatz 3.9 (zusammen mit 3.8) zu melden haben? Die müssen nicht notwendigerweise als vertrauliche Geheimsache gemeldet werden, weil es bei der Vorfallsmeldung nämlich überhaupt keine Sorge um “Stigmatisierung” geben muss.

Arbeitsbedingte psychische Gefährdungen sind ohne Belästigung der Mitarbeiter beurteilbar. Verantwortungsbewusste Arbeitgeber wissen das. Wo sie psychische Fehrbelastungen verhältnispräventiv mindern, braucht man die Mitarbeiter nicht mit gut gemeinten Betriebsvereinbarungen, die sich verhaltensorientiert auf die psychologischer “Betreuung” bei “Überbelastung” konzentrieren, zu bedrängen. Das würde die Mitarbeiter dann noch zusätzlich fehlbelasten.

Der TÜV Süd könnte vielleicht vom TÜV Thüringen ein paar Anregungen gebrauchen.


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