Alles schon da

Donnerstag, 19. März 2015 - 07:32

Fast alles, was man für die Verminderung psychischer Fehlbelastungen braucht, gibt es schon. Es scheitert an der Umsetzung, weil ein Hauptproblem nicht angesprochen wird: Arbeitgeber fürchten eine ordentliche Dokumentation möglicher und tatsächlicher Fehlbelastungen, weil fehlbelastete dann leichter Mitarbeiter Ansprüche (auch Haftungsansprüche) stellen könnten.

Was gibt es schon?

  • “Antistressverordnung”: So eine Vorordnung sollt sich auf das behördliche Aufsichtshandeln konzentrieren. Da gibt es bereits die LASI-Verordnungen. Der Wille und die Ressourcen zur Umsetzung fehlen.
  • Tests: Hinsichtlich Aussagekraft, praktischer Handhabbarkeit und der erforderlichen Infrastruktur zu einer Vergleiche ermöglichenden Auswertung empfehle ich das COPSOQ-Verfahren. Besonders gut auf betriebliche Belange geht das IMPULS-Verfahren ein. (Den von den deutschen Arbeitgebern empfohlenen KPB kann man zusätzlich davor verwenden, aber nicht als alleiniges in einem Betrieb eingesetztes Test-Verfahren.)
  • Handlungshilfen: Siehe Hinweise dazu in diesem Blog.
  • Arbeitsschutz-Standards: Nutzen Sie (auch wenn Ihr Betrieb nicht zertifiziert ist) OHSAS 18002 als Lehrbuch für ein diszipliniertes Arbeitsschutzmanagement.

Nach meiner Erfahrung möchten Arbeitgeber zwar durchaus psychische Fehlbelastungen mindern, aber sie wehren sich (oft getarnt als Bürokratisierungskritik) gegen ein prozesshaftes Vorgehen, bei dem Probleme klar und transparent dokumentiert werden. Es soll wohl nichts auf den Radar kommen, für das Arbeitgeber haftbar gemacht werden könnten – oder was so deutlich mangelhaft ist, dass die Gewerbeaufsicht nicht mehr wegsehen kann. Verschärft wird das Problem leider durch eine politisch gewollte überforderte behördliche Aufsicht, durch an den Interessen der Arbeitgeber orientierte Auditoren (für deren effektive Kontrolle die DAkkS zu schwach ist) sowie leider auch durch überforderte und mutlose Betriebsräte, denen die Gewerkschaften nicht genügend helfen, durch Professionalität auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern zu kommen.

Das für eine praktische Minderung psychischer Fehlbelastungen erforderliche Wissen ist längst vorhanden. Der Wille zu einem transparenten, disziplinierten und ehrlichen Arbeitsschutz fehlt im Bereich der psychischen Belastungen ganz besonders. Hier müsste Forschung ansetzen. Statt dessen wird Bekanntes erforscht, damit man die Umsetzung vorhandenen Wissens und vorhandener Erfahrungen (z.B. mit den Ausweichstrategien der Arbeitgeber seit 1996) bremsen kann.

Kleine Nebenbeobachtung: Achten Sie einmal darauf, wieviele Akteure im Arbeitsschutz es nach so vielen Jahren bis heute nicht begreifen wollen, dass sie keine arbeitsbedingten psychischen Belastungen bekämpfen müssen. Psychische Belastungen zu bekämpfen wäre Unsinn, denn Arbeit ist psychische Belastung. Anstelle Arbeit zu bekämpfen, haben Arbeitsschützer psychische Fehlbelastungen bei der Arbeit zu vermeiden oder mindestens zu mindern. Wie kommt es, dass die Akteure im Arbeitsschutz das selbst heute noch zu oft falsch darstellen? Das Wissen ist vorhanden, aber anscheinend noch nicht ausreichend in die Köpfe derer gelangt, die dieser Wissen umsetzen müssen.


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